Zum Inhalt der Seite

Kalte Hitze

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Großer Bruder

Kapitel 1: Großer Bruder
 

Als der Wecker um Punkt sieben Uhr klingelte, war Jack schon lange wach. Er saß am offenen Fenster, noch im Pyjama bekleidet, und sah der Sonne beim Aufgehen zu. Ein feiner Nebeldunst lag über der Stadt und die orangefarbenen Sonnenstrahlen verliehen diesen Morgen eine mystische Aura. Es war eisig kalt, Jacks Atem hinterließ kleine, weiße Wölkchen in der Luft, doch frieren tat er nicht. Eigentlich fühlte er sich sogar sehr wohl in der Kälte, seine Lieblingsjahreszeit stand schon in den Startlöchern. Es waren nur noch ein paar Tage bis zum kalendarischen Winteranfang und er konnte den Schnee schon riechen. Voll freudiger Erwartungen auf Schneeballschlachten, Schlittenfahren und Eislaufen erhob er sich schließlich und schaltete den nervtötenden Wecker aus.
 

Vom Boden las er seine Klamotten auf und roch am Pullover. Noch stank er nicht, also zog er ihn über seine nackte Brust, nachdem er sich aus seinem Pyjama geschält hatte. Eine braune Hose, die an den Beinenden schon leicht ausgefranst und löchrig war, zog er sich ebenfalls an. Am Badezimmer ging er vorbei, denn seine Haare saßen sowieso nie richtig, egal was er tat.

Bevor er die Treppe nach unten ging, klopfte er an die Zimmertür seiner Schwester, um zu kontrollieren, ob sie schon wach war.

»Emma?« Sie reagierte nicht, also öffnete er die Tür und er fand seine kleine Schwester schlafend im Bett vor. Anscheinend hatte sie ihren eigenen Wecker überhört. Lächelnd schüttelte er den Kopf und ging auf das schlafende Mädchen zu. Sanft strich er ihr das Haar aus dem Gesicht. »Emma«, sagte er leise, stupste sie mit dem Zeigefinger in die Wange, und sie begann, sich zu regen.
 

»Muss ich schon aufstehen?«, nuschelte sie, als sie ihren Kopf unter der Decke verstecken wollte, doch Jack ließ es nicht so weit kommen, denn mit einem einfachen Ruck hatte er die warme Decke vom Bett gezogen. Protestierend setzte sich Emma auf, ihre braunen Augen funkelten böse. Schützend schlang sie ihre Arme um ihren Oberkörper. »Jack! Es ist kalt!«
 

»Dann zieh' dich doch an«, antwortete Jack gelassen. Dann grinste er sein typisches Grinsen, wenn er seine Schwester aufzog. Schnaufend quälte sich Emma aus dem Bett und schob genervt ihren Bruder nach draußen. Sie schmiss die Tür zu und Jack lachte noch, als er unten in der Küche das Frühstück vorbereitete. Auf dem Küchentisch lagen ihre Pausenbrote und eine Nachricht von ihrer Mutter, die verkündete, dass sie heute vor zehn Uhr abends nicht zuhause sein würde, doch Jack kannte das schon. Es war keine Neuheit für ihn, dass er sich um seine Schwester kümmerte, während ihre Mutter fast ausschließlich arbeitete, um die kleine Familie über Wasser zu halten. Sie war alleinerziehend, vom Vater war keine Spur. Auch Emmas Vater hatte ihre Mutter im Stich gelassen, hatte sie verlassen, als sie schwanger wurde. Da war Jack sieben Jahre alt gewesen.
 

Emma trampelte die Treppe herunter und warf ihren Rucksack in den Flur. Amüsiert fragte Jack: »Heute mit dem falschen Fuß aufgestanden?« Als er Emma leise fluchen hörte, lachte er nur noch mehr. Er angelte zwei Teller aus dem Schrank und platzierte auf beiden Spiegeleier und Speck, dazu zwei Scheiben Toast und goss anschließend noch zwei Gläser Orangensaft ein. Das typische Overland’sche Frühstück. Als Jack die Gläser auf den Tisch stellte, bemerkte er Emmas traurigen Gesichtsausdruck, als sie die Nachricht auf dem Tisch entdeckte.
 

»Ich hole dich heute von der Schule ab«, informierte er sie. »Und weiß du, was wir danach Tolles machen können?« Sein Gesicht erhellte sich, als er mit all seiner Begeisterung sprach. »Heute ist die Eröffnung der Eishalle! Wir können den ganzen Nachmittag eislaufen, bis wir halb erfroren sind und dann machen wir ein Eiswettessen, wem zuerst das Hirn einfriert! Was sagst du, klingt doch lustig!«
 

Emma lachte und schien erfreut. Auch wenn sie die kalte Jahreszeit nicht ganz so sehr liebte wie Jack, sie mochte das Eislaufen und das Eiswettessen hatte bei ihnen schon einen festen Platz in der Winterspaßtradition. »Das klingt super!«
 

Jack grinste und räumte die Teller in die Spülmaschine, nachdem sie das Frühstück beendet hatten. Sie zogen sich beide an, wobei sich eigentlich nur Emma wirklich etwas anzog. Eine dicke Jacke, einen Schal, eine Mütze und Winterstiefel, die Handschuhe steckten in ihrer Jackentasche. Jack verzichtete eigentlich auf alles. Weder Jacke, noch Mütze oder Schal oder geschweige denn Schuhe fanden ihren Weg an seinen Körper. Sicher, das war etwas sehr eigenartig, aber das war sein Stil. Kälte störte ihn nicht, sie war ihm willkommen und er fühlte sich sicher.
 

Er schulterte seinen eigenen Rucksack und warf sich auch Emmas über die Schulter, nahm seine Schwester an die Hand und gemeinsam gingen sie hinaus in die Kälte. Die Bushaltestelle, die die beiden jeden Morgen benutzten, war einige Meter von ihrem Haus entfernt und der Bus fuhr gerade vor, als die beiden dort ankamen. Emma grüßte den Busfahrer freundlich, der wiederum nur einen skeptischen Blick auf Jack und sein winteruntaugliches Outfit warf, bevor er die Türen des Fahrzeugs schloss und losfuhr. Der Bus war voll, fast alle Sitzplätze waren schon besetzt, also warf er beide Rucksäcke in die Gepäckablage über den Sitzen und setzte sich wahllos auf einen Sitz, seine Schwester auf seinem Schoß.
 

Emmas Schule war am anderen Ende der Stadt, zu Fuß brauchte man fast zwei Stunden von ihrem Zuhause aus. Auch von Jacks Schule aus war es noch eine gute dreiviertel Stunde bis dorthin. Manchmal hasste er es, in so einer großen Stadt zu wohnen, wo alles so wahnsinnig weit auseinanderzuliegen schien, doch andererseits gab es in so einer Großstadt natürlich auch die besseren Freizeitmöglichkeiten. Zum Beispiel die Eishalle, die sich nur zehn Minuten von ihrem Zuhause entfernt befand. Auch die Einkaufsmöglichkeiten, sei es nun Lebensmittel oder Klamotten, befanden sich fast in unmittelbarer Umgebung. Nur die Schulen, die waren unendlich weit voneinander entfernt.
 

Der Bus kämpfte sich durch den Verkehr, der allmorgendliche Berufsverkehr war schon im vollen Gange. Alle vier Spuren in beide Richtungen waren mit Autos vollgestopft. Jeden Morgen gab es ein Hupkonzert ohnegleichen, jeden Morgen dasselbe Theater. Aber es lernte auch niemand dazu, niemand stieg auf die öffentlichen Verkehrsmittel um, aber das war auch kein Wunder, denn die waren auch ohne die Autofahrer schon hoffnungslos überfüllt. Es stieg auch niemand aufs Fahrrad oder lief. Und das hatte nicht einmal etwas mit dem kalten Wetter zu tun. Im Sommer waren die Straßen genauso voll wie im Frühling, Herbst und Winter. Jack war froh, dass er selber kein Auto besaß und auch den Führerschein noch nicht gemacht hatte. Den morgendlichen Stau hatte er jeden Morgen im Bus, das reichte ihm schon.
 

Allmählich schlief ihm sein linkes Bein ein, auf dem Emma saß, und er versuchte, sich etwas zu bewegen, ohne seine Schwester dabei allzu sehr durchzurütteln. Die Luft war stickig hier drinnen und er konnte den Moment gar nicht mehr erwarten, wenn sich die Türen öffneten und er wieder die frische Luft um sich hatte. So frisch, wie die Luft mitten in der Stadt nun einmal sein konnte.
 

Trotz des massiven Verkehrs kam der Bus rechtzeitig bei Emmas Schule an. Jack quetschte sich nach draußen und behielt Emma dabei schützend an seiner Seite, damit sie nicht von den anderen Mitfahrern umgerannt wurde, während die sich auf den einen freien Sitz stürzten. Er war froh, als die frische Luft in seine Lungen gelangte und er seine Beine wieder bewegen konnte.
 

»So, das hätten wir geschafft.« Jack fuhr sich durch die Haare und übergab dann Emma ihren Rucksack. »Viel Spaß, wir sehen uns dann heute Nachmittag!«
 

Ein Junge in Emmas Alter lief an ihnen vorbei und schenkte Emma einen giftigen Blick. Jack kannte den kleinen Fratz, sein Name war Jamie Bennett und er war in der gleichen Klasse wie seine Schwester. Die beiden mochten sich zwar nicht sonderlich, aber irgendwie hockten sie doch ständig aufeinander und ärgerten sich. Jack machte sich innerlich schon auf den Tag gefasst, an dem Emma Jamie als ihren Freund vorstellen würde. Auch wenn das seiner Meinung nach auch noch zehn Jahre dauern konnte. Emma jedenfalls starrte genauso böse zurück und lächelte dann honigsüß zu Jack.
 

»Sei nicht zu böse zu den armen Jungs, alles klar?«
 

Emma lachte, winkte und betrat das Schulgebäude, an dessen Eingang Jamie auf sie wartete. Nach einigen Grimassen verschwanden die beiden schließlich im Inneren, gerade als die Schulglocke läutete. Es war zwanzig nach acht und er hatte noch eine halbe Stunde, ehe er selber in den Unterricht musste. Also machte er sich gemütlich auf den Weg zur U-Bahn-Station, wo er auch schon erwartet wurde.
 

»Hey, Keule.« Die tiefe und mürrische Stimme kam von seinem wohl besten Freund, E. Aster Bunnymund. Wofür das E in seinem Vornamen stand, wusste Jack nicht, Bunny wollte es auch um keinen Preis erzählen. Jack vermutete, dass Bunny sich das E selber angehangen hatte, um aus Aster Easter zu machen, denn Ostern war Bunnys liebste Zeit im Jahr. Er konnte auf alles andere verzichten, auf Geburtstag, auf Weihnachten, sogar auf den Winteranfang, was für Jack einem Feiertag gleichkam, solange es nur Ostern gab. Und wehe, es war an Ostern kalt oder es lag noch Schnee oder noch schlimmer, ein Blizzard entstand - nichts war schlimmer für Bunny. Vielleicht fühlte er sich Ostern so verbunden, weil er einen sehr traditionellen Namen trug. Jack hatte das nie so verstanden, genauso wenig wie Bunny es verstand, dass er ein Kind des Winters war. Und so sah er ihn auch gerade an, sehr zweifelnd bezüglich seiner Garderobe.
 

»Guten Morgen, Känguru.« Der gebürtige Australier war wie immer nicht erfreut, dass Jack ihn so nannte, und blickte nur noch grimmiger drein. Bunny war ein kräftiger, großer junger Mann mit grünen Augen und grau-bläulichen Haaren, die nach seiner eigenen Aussage ein nicht näher beschriebener Unfall gewesen waren. Er hatte kräftige Oberschenkel, weshalb Jack ihm den Spitznamen Känguru verpasst hatte; er wirkte auch mehr wie ein Känguru als ein Hase, denn ein süßer Hase war Bunny nun nicht gerade. Zumindest nicht öffentlich.
 

Gemeinsam betraten sie die unterirdische Bahnstation und stiegen wenige Minuten später in die U-Bahn, die sie bis fast vor ihre Schule beförderte. Die Bahn war vollgestopft mit Schülern aus allen Jahrgängen und auch einige der Lehrkräfte befanden sich in dem Wagon. Jack und Bunny hielten sich im Bereich der Tür auf, beide in Gedanken versunken. Bunny, der alle anderen im Wagon um Längen überragte, sah gedankenverloren nach draußen, auch wenn man nichts sehen konnte. Die Arme hatte er vor seiner muskulösen Brust verschränkt und sein Gesicht war mürrisch verzogen. Jack und er waren nicht nur vom Typ her völlig verschieden - Jack, der schlaksige, dünne Junge ohne sonderliche Muskeln und Bunny, der starke, muskulöse Riese - sondern auch vom Charakter her - Jack, der keinen großen Wert auf Regeln und Vorschriften legte, bei dem Spaß fast immer an erster Stelle stand und dem nichts zu verrückt war, und Bunny, der selbstbewusst war, vielleicht ein klein wenig streitsüchtig, misstrauisch und mürrisch. Es gab wirklich nicht viel, was die beiden gemeinsam hatten, und sie mochten auch nicht wie beste Freunde wirken, aber es gab etwas, was die beiden verband. Eine Abnormalität, mit der beide unterschiedlich umgingen.
 

Jack beherrschte Schnee und Eis. Er wusste nicht, seit wann er diese Kräfte hatte, warum er sie hatte oder wie er sie bekommen hatte. Seit er sich erinnern konnte, war der Winter für ihn nicht nur eine Jahreszeit gewesen, sondern auch die Zeit, in der er seiner Kräfte halbwegs freien Lauf lassen konnte, ohne dass jemand Wind davon bekam. Denn dass nicht alle Leute positiv darauf reagierten, hatte er im Kindergarten schmerzlich erfahren, als er seinen Mitkindern seine Kräfte vorführen wollte. Am Anfang fanden es alle cool und er war der Star der Gruppe gewesen, bis er eines Tages einen gewaltigen Blizzard hinaufbeschworen hatte. Er hatte es nicht mit Absicht gemacht, zu dem Zeitpunkt hatte er so gut wie keine Kontrolle über seine Kräfte und irgendetwas hatte ihn furchtbar wütend gemacht. Innerhalb von wenigen Minuten war ein so gewaltiger Schneesturm entstanden - es war gerade Osterzeit gewesen, zu der Zeit sollte es eigentlich keine Schneestürme mehr geben -, dass eine riesige Region lahmgelegt war. Die Kinder schoben es ihm in die Schuhe, doch zum Glück hatte keiner der Erwachsenen ihnen geglaubt. Aber Jack wusste, dass es seine Schuld gewesen war, denn in diesem Augenblick, als er den Sturm entfesselte, hatte er ein unglaubliches Machtgefühl in sich gespürt. Er war gleichermaßen fasziniert und erschrocken über das, was er zu tun vermochte. Heutzutage beschränkten sich die Einsätze seiner Kräfte ausschließlich darauf, unauffällig für mehr Schnee zu sorgen und ihre Rodelpartien unvergesslich werden zu lassen, indem er die Rodelstrecke vereiste und sie beliebig verlängerte. Seine Schwester liebte es. Sie war eine der wenigen Menschen, in dessen Gesellschaft er seine Kräfte ohne Angst anwenden konnte.
 

Bei Bunny war das etwas anders. Der Australier konnte auf wundersame Weise die unterschiedlichsten Pflanzen manipulieren. Eine Narzisse, die blaue Tinte spuckte? Keine große Sache. Eine Rose, aus deren Blüten ein Ei wuchs? Ein Kinderspiel. Er konnte im Nu Gras wachsen lassen, Unkraut verschwand mit einem Fingerschnippen, ein Baum wuchs in der Hälfte der Zeit doppelt so hoch ... Bei Bunny gab es keine toten Pflanzen, im Gegenteil, die Blumen in seiner Wohnung schienen sogar ein Eigenleben zu führen. Am Anfang hatte Jack das sehr seltsam gefunden, aber mittlerweile war Bunnys Magie so normal wie seine eigenen Kräfte. Vielleicht mochte er auch deswegen Ostern so sehr. Wenn seine Rosen Eier ausspuckten, konnten seine Narzissen die Eier gleich färben.
 

Die U-Bahn stoppte ein paar Mal, bevor Bunny und Jack schließlich aussteigen mussten. Sie ließen sich vom Strom der Leute mitreißen und nach einem zehnminütigen Spaziergang durch die Innenstadt kam das Schulgebäude schließlich in Sicht. Der graue Betonklotz war wahrlich keine Augenweide, aber für eine staatliche High School war sie ganz in Ordnung. Bunny und Jack gingen durch die endlosen Gänge der Schule, die sich labyrinthartig über vier Stockwerke erstreckten. Die meisten Stunden hatten die beiden zusammen, außer ein paar wenige Ausnahmen wie naturwissenschaftliche Fächer - Biologie hatten beide zusammen, Jack besuchte außerdem den Physikunterricht und Bunny fühlte sich mehr der Chemie hingezogen. Ansonsten waren die beiden immer zusammen.
 

Sie verstauten ihre Rucksäcke in ihren Schränken. Als Erstes stand eine Doppelstunde Mathematik an, und während Bunny schon für den Unterricht bewaffnet neben ihm stand, ließ sich Jack noch etwas Zeit damit, sein Mathebuch herauszufischen. Erst, als es zum Unterricht läutete, machte er sich auf den Weg zum Klassenzimmer, das sich nur wenige Türen weiter befand.

Ihre Plätze waren in der letzten und vorletzten Reihe am Fenster, da beide lieber nach draußen sahen, als wirklich auf den Unterricht zu achten. Bunny saß ganz hinten, Jack vor ihm. Ihre Lehrerin, die gute, alte Mrs Black, stand schon vor dem Lehrerpult und hatte ihre Hände auf ihren Bauch gelegt, den sie sanft rieb. Es war erstaunlich, wie schnell so ein Babybauch dicker wurde. Als alle Schüler Platz genommen hatten, begann sie zu sprechen.
 

»Guten Morgen«, wünschte sie ihrer Klasse, was sie mehr oder weniger motiviert zurück bekam. »Heute ist ein ganz besonderer Tag, denn heute habt ihr das letzte Mal Unterricht bei mir. Wie ihr wisst, der Tag der Geburt meines Kindes rückt näher, wenn sich die Dame an den Termin hält, sind es noch knappe drei Wochen. Ich weiß, es ist mitten im Schuljahr, eure Abschlussprüfungen stehen vor der Tür und ausgerechnet jetzt müsst ihr euch mit einem neuen Mathelehrer herumschlagen. Aber ich bin mir sicher, dass ihr das meistern werdet und ich hoffe, dass ich niemanden von euch nächstes Jahr wiedersehen werde, wenn ich wieder hier unterrichten werde!«
 

Die, die nicht im Halbschlaf versunken waren, lächelten und ließen ihr Bedauern und ihre Glückwünsche hören. Ein Mädchen in der ersten Reihe, die typische Streberin mit Brille, ungezähmtem Haar, unreiner Haut und Klamotten von vor über fünfzig Jahren, erkundigte sich nach dem neuen Lehrer.
 

»Ich weiß leider nicht genau, wer meine Vertretung sein wird. Der Rektor sagte, es sei eine junge Frau, eine Europäerin um genau zu sein. Mehr Infos habe ich leider auch nicht, da müsst ihr euch leider bis morgen gedulden.«
 

Streberlinchen war anscheinend zufrieden, sie nickte und widmete sich dann wieder dem Mathebuch zu, um sich in das Thema der heutigen Stunden einzulesen. Jack hatte dem Ganzen mit halbem Ohr zugehört und krakelte sinnlose Kreise auf sein Blockblatt. Eine neue Lehrerin also, noch dazu aus Europa, das klang interessant. Er hatte keine Probleme mit Ausländern, zumal sein bester Kumpel aus Australien kam und die halbe Schule nicht auf diesem Kontinent geboren worden war. Selbst der Schulleiter, ein dicker, großer Mann mit Rauschebart, stammte ursprünglich aus Russland. Ihr Geschichtslehrer stand, so wie er es in Erinnerung hatte, ebenfalls aus Europa, aber woher genau hatte er vergessen. Er hoffte nur, dass die neue Lehrerin keine verbohrte und prüde Frau war. Jack mochte es, wenn Lehrer Spaß verstanden, auch wenn seine Ansicht von Spaß ein ganz anderes Level war. Er war gespannt, auch wenn er Mrs Black natürlich vermissen würde. Seit zwei Jahren hatte er sie nun schon in Mathematik und er hatte sich an ihre kleinen Eigenheiten gewöhnt, so wie sie sich an seine gewöhnt hatte und schon gar nichts mehr sagte, wenn er barfuß in ihren Unterricht kam. Hoffentlich würde die neue Lehrerin das auch einfach hinnehmen. Und wenn nicht ... Auch egal. Regeln waren doch nur dazu da, um sie zu brechen. Und welchen Grund hatte es denn, den Schülern vorzuschreiben, dass sie das Schulgebäude nur mit Schuhen betreten durften? Sinnlos, wie so vieles in seinen Augen.
 

Mrs Black begann mit ihrem letzten Unterricht und er gestaltete sich nicht anders als die Stunden davor. Keine Spur von Gelassenheit oder gar etwas Lockerheit, es kam Jack sogar so vor, als würde Mrs Black noch einmal ihre ganze Strenge in diese zwei Stunden legen. Knallhart zog sie die zwei Stunden trockene Theorie durch und am Ende war sogar Jack geschafft, dem Mathe eigentlich mehr als leicht fiel. Und er war noch nie so erleichtert gewesen, dass der Unterricht zu Ende war. Streberlinchen verabschiedete sich unter Tränen von ihrer Lieblingslehrerin - eigentlich waren alle Lehrer ihre Lieblingslehrer, aber zu Mrs Black hatte sie schon immer ein ganz besonderes Verhältnis - und auch Mrs Black sah traurig aus, dass sie das letzte Mal ihre Schüler verabschiedete. Doch sie versprach, an ihrer Abschlussfeier dabei zu sein, die schon in einigen Monaten stattfinden würde.
 

Nach diesen harten Stunden freute sich Jack schon auf die nächste, denn bis zur ersten großen Pause hatten sie jetzt Kunstunterricht, und das bei der wohl schrägsten Person in der Schule. Ihre Kunstlehrerin, Ms Toothiana, war ein knalliger Paradiesvogel, die so flatterhaft war, dass sie manchmal wirklich fast davonflog. Alles an ihr war bunt: Ihre Augen waren lila - Jack vermutete dahinter gefärbte Kontaktlinsen, der waren wohl besonders hip -, ihre Haare waren blond, große Partien hatte sie sich blau und grün gefärbt, meistens hatte sie auch einige bunte Federn im Haar stecken, und ihre Kleidung war ein Spiegelbild ihrer Haare. Viel gelb, viel grün, viel blau und noch mehr Federn. In einem früheren Leben musste sie ein Kolibri gewesen sein, es konnte gar nicht anders sein. Und seltsamerweise besaß sie sogar einen Kolibri, den sie den einfallsreichen Namen Baby Tooth gegeben hatte. Der saß meistens auf ihrer Schulter und putze sein Gefieder, während Tooth wild gestikulierend irgendwelche Dinge erklärte.
 

Nachdem Jack und Bunny ihre Mathebücher in ihren Schränken verstaut hatten, betraten sie den Kunstsaal, der sich im obersten Stock des Schulgebäudes befand. Drei der vier Wände waren vollkommen verglast, sodass man sogar fast die Skyline der Stadt bewundern konnte, wenn denn das Wetter mitspielen würde. Der Nebel machte das etwas schwierig.
 

Jack und Bunny setzten sich an ihren Tisch, wo sie schon erwartet wurden. Die Tische im Kunstsaal waren zu Gruppentischen zusammengestellt worden, sodass sich immer vier Schüler gegenübersaßen. Jack kannte seine Banknachbarn seit vielen Jahren, eigentlich schon seit Beginn seiner Schulzeit. Der stille Sandy - der mit vollem Namen Sanderson Mansnoozie hieß, was aber keiner korrekt aussprechen konnte und er deswegen nur Sandy genannt wurde -, der ihm direkt gegenübersaß, war ein kleiner, dicker Junge mit goldenem, gelocktem Haar. Er sah aus wie ein Engel und auch, wenn er wirklich nichts sagte, war er einer der lustigsten Kerle, die Jack kannte. Statt zu reden, benutzte Sandy sein künstlerisches Talent, denn er malte das, was er zu sagen hatte, immer auf ein Stück Papier oder Pappe, je nachdem, was gerade zur Hand lag. Sandy war ein verträumter Junge, er war hilfsbereit und ein angenehmer Geselle.
 

Die Vierte am Tisch war das allseits beliebte Streberlinchen, die da eigentlich nur saß, weil es sonst keinen freien Platz für sie gab. Eine erste Reihe gab es nicht, auch keinen Tisch direkt neben dem Lehrerpult, da Tooth so etwas gar nicht in ihrem Raum besaß. So musste sie sich während des Kunstunterrichts mit dem pubertären Gerede der Jungs abgeben und diese nahmen keine Rücksicht auf das zarte Gemüt. Sie machte sowieso ihr eigenes Ding und Jack hatte viel zu viel Spaß dabei, sich über die lustig zu machen, als dass er sie wirklich kennenlernen wollte.
 

Sandy schenkte ihnen ein breites Grinsen, seine runden Wangen glühten vor Freude, als sie sich an den Tisch setzten.

»Hey, Sandy!« Jack hob seine Hand und winkte, während Bunny sein typisches »Hey, Keule!« hören ließ.
 

Sandy begann damit, ihnen seinen bisherigen Tagesverlauf zu schildern - es kam nicht viel zusammen nach nur zwei Stunden, aber er freute sich, dass er wenigstens etwas erzählen konnte. Jack hatte ihn mal ziemlich am Anfang ihrer Freundschaft gefragt, warum er denn nicht sprach, woraufhin Sandy nur mit den Schultern gezuckt hatte. Dann hatte er einen gähnenden Smiley gemalt und dahinter ein Fragezeichen. Keine Lust? Jack hatte es einfach hingenommen und nie mehr danach gefragt, es interessierte ihn auch nicht. Wenn Sandy nicht sprechen wollte, dann wollte er eben nicht. Und wenn er es einfach nicht konnte, dann war das auch nicht tragisch, denn er war auch ohne Stimme ein lustiger und unvergleichlicher Mensch, den Jack nicht mehr aus seinem Leben haben wollte. Mit Sandy war alles einfach ... bunter.
 

Ms Toothiana erklärte unterdessen das neue Thema der Woche, doch da Jack mehr Aufmerksamkeit auf Sandy lenkte als auf seine Lehrerin, hatte er die Hälfte nicht mitbekommen. Es ging wohl um so etwas ähnliches wie selbstgemachte Kupferstiche. Sandy warf seine beiden kleinen Arme in die Luft und er freute sich wie ein kleines Kind. Eigentlich freute er sich über so gut wie alles, was sie im Kunstunterricht machten.
 

Ihre Aufgabe für die Woche bestand darin, sich ein Motiv zu überlegen, welches sie auf Papier drucken wollten und es in Form eines Fotos mitzubringen. Die restliche Zeit verbrachten sie damit, auf Plastikplatten herumzukratzen, um herauszufinden, wie sie am besten mit welcher Technik ein Motiv hineingeritzt bekamen.
 

Gemeinsam mit Sandy gingen sie nach dem Unterricht in die Caféteria, erkämpften sich einen freien Tisch und aßen ihr Frühstück. Es war kurz nach elf Uhr und die Hälfte des Tages war fast geschafft. Nur noch vier Unterrichtsstunden waren zu überstehen und dann konnte der spaßige Nachmittag beginnen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
So, liebe Freunde, herzlich willkommen zu meiner ersten FF zum Pair Jelsa, auch wenn es momentan noch so gar nicht danach aussieht :D
Nach dem Einfluss einiger Videos aus YouTube und einige englische FFs zu dem Pair kam mir schließlich die Idee für diese FF hier und ich bin gespannt, wohin sie uns führen wird :)
Noch ein paar Anmerkungen:
Ich habe Jacks Schwester Emma genannt, weil es in Fankreisen der am meisten vorkommende Name ist und der ja auch irgendwie passt.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie Tooth und Sandy mit vollem Namen heißen, aber diese Namen in der FF habe ich mal auf irgendeiner Seite gefunden und fand sie ganz passend, deswegen hab ich diese genommen.
Und in meiner Geschichte sind Jack und seine Schwester nur Halbgeschwister, weil ich es sinnvoller finde, wenn sie verschiedene Väter haben, wenn sie auch so unterschiedlich aussehen. Ich weiß, bei Jack könnte man das auf seine Kräfte schieben, aber...pff, das wär zu einfach xD
Soweit dazu :D
Im nächsten Kapitel wird es um Elsa gehen, ich freue mich schon drauf!
Vielen Dank fürs Lesen und bis zum nächsten Kapitel :D Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück