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Amanalon

Die Tochter Zions
von

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Amanalon

Kann man sich befreit begraben fühlen? Nahe dem Erdkern, wo es noch warm ist, stand er am Geländer und blickte herab auf die blühende Rose Zion und dann hinauf auf die Erdwände, die es umgaben. Es war heiß und stickig, zumindest kam es ihm so vor, und obgleich es der natürlichste Ort auf Erden war, fühlte sich alles so künstlich an. Dies sollte also seine neue Heimat sein? Irgendetwas erschauderte in ihm, wollte diesem Gedanken keine Wahrheit einräumen. Tatsächlich lief jedoch alles darauf hinaus: Er, Mr. Thomas Anderson, genannt Neo, war hier angekommen. Nach einigen Monaten seit seiner Befreiung hatte er endlich diese mystische Stadt betreten.

In den Augenwinkeln bemerkte er, dass unter ihm das Leben ausbrach. Er hörte die metallischen Bewegungen der Roboter-Anzügen, die ihn immer noch erschaudern ließen, und sah, wie sich das Hauptgeschütz aufrichtete und die Schleuse an der Decke des Doms, hinter der einzigen Verbindung zu den Abwasserschächten und dem Draußen, ins Visier nahm. Erschreckend teilnahmslos fragte er sich, ob nun gleich die Maschinen hereinbrechen und dieses ganze falsche Reich in echte Stücke zerschlagen würden oder ob die Menschen nur vorsichtig geworden waren, doch dann öffnete sich die Blende und ermöglichte es einem der zeppelinförmigen Luftkissenschiffe, in das Stadtgebiet einzudringen. Unten machte sich Hektik breit, als die Zivilisten hervorbrachen und das Militär wieder unsichtbar wurde, und aus dem Stimmengewirr entnahm er die Erklärung: Die Ariadne war nach einigen Monaten heimgekehrt. Manche waren in Sorge gewesen, doch nun war alles gut. Eine freudige Nachricht für Zion!

Der Auserwählte seufzte. Er hatte nicht das Gefühl, herumspringen und feiern zu müssen. So blickte er nach oben, wo sich die Schleuse wieder schloss und den Rest der Welt hinter Zions Technologie verschwinden ließ. Da wollte er lachen, aber das wäre ihm albern vorgekommen. So sang er einige Zeilen eines Liedes aus seiner Kindheit.
 

„Give us this day all that you showed me

The power and the glory, till my kingdom comes

Give me all the storybook told me

The faith and the glory, till my kingdom comes“
 

Dann wurde er wieder still und überließ dem fernen Trubel des Docks das Feld. Die Mannschaft wurde begrüßt, doch das kümmerte ihn nicht. Er war vielmehr vom Schiff fasziniert, dass zwar der Nebukadnezar sehr ähnlich sah, aber doch in seinen Details sehr eigen. Als er sich überlegte, ob er hinab gehen und den metallischen Körper aus der Nähe sehen oder lieber seine erhöhte, distanzierte Position wahren sollte, vernahm er von hinten eine Stimme. „Du singst sehr schön“, klang es tief von seinem Kommandanten.

Neo wandte sich um und lachte verlegen. „War früher in einer Band“, sagte er, „mit einem Freund zu Schulzeiten. Wir wollten die Welt verändern.“

Morpheus sagte nichts. Manchmal wirkte er ohne seine Sonnenbrille, die ihn auf seinen Reisen durch die Matrix begleitete, wie ein anderer Mensch. Dies war einer dieser Augenblicke.

„Wenn ich denke, wie ich früher war. Hätte man mich gefragt, wohin es mich im Leben noch verschlagen sollte, hätte ich wohl gesagt: Mit einem Surfbrett an den Strand. Niemals hätte ich gedacht, dass dies… all das…“ Er blickte sich demonstrativ um und fügte noch hinzu: „Als du mir anbotest, du würdest mich in die tiefsten Tiefen des Kaninchenbaus führen, da dachte ich nicht, dass du es wörtlich meinst.“

Unbewegt stand Morpheus da. Neo blickte ihm in die Augen. Manchmal verstand er ihn. Manchmal nicht. „Wie geht es Trinity?“

Neo seufzte und erkannte sofort, dass er damit zuviel verriet. „Wo anders“, fügte er dann hinzu, „Verstehe mich nicht falsch: Sie ist sicher eine tolle Frau, ich meine, sie muss es sein, wenn Cypher bereit war, für sie zu sterben, und ich glaube, sie ist auch sehr innbrünstig und entschlossen zugleich, doch…“

„…doch?“

„Vor einem Jahr lebte ich in einer kleinen Wohnung und wünschte mir, dass mich Hacking zu irgendetwas bringen würde. In den letzten Monaten war ich in einer Traumwelt ein Held und nun… ich brauche erst einmal Zeit, um zu erfühlen, wo ich bin. Da ist nun diese Frau, die mich für ihren Traumprinzen hält…“

„Du dachtest, sie sei ein Kerl.“

Was Morpheus damit meinte, gab er Neo nicht preis. Dieser wollte auch nicht spekulieren, was aus den Augen seines Kommandanten zu lesen war, so drehte er sich um. „Das ist also die Ariadne“, sagte er mit Blick auf das Schiff, „ist sie eigentlich alt oder neu?“

Er sah nicht dabei zu, wie sich Morpheus neben ihn stellte. „Schon vor Jahrhunderten war Zion die Heimat des auserwählten Volkes. Damals war es Nebukadnezar, der ihre Freiheit beendete und sie in die Sklaverei führte. Es ist mein zweites Schiff. Die Bukephalos, mein erstes, und die Ariadne entstammen einer Baureihe.“

Er wollte in die Augen seines Kommandanten blicken, doch er wandte sich nicht herum. Stattdessen murmelte Neo nur: „Verstehe.“

„Vor einigen Jahren kam ich in eine Zeit, in der mir dieser Ort auch wie ein Kerker vorkam. Damals war ich ein Traumprinz. Es kostete mich einiges, mir einzugestehen, dass ich ihr nicht die Liebe geben konnte, die sie sich ersehnte, doch ich wuchs daran.“

„Das tut mir leid.“

Der Kommandant lachte. „Das muss es nicht, überhaupt nicht. Mit jedem Tag spüre ich mehr, dass ich offen bin für etwas _Neues_.“

Nun wandte sich Neo doch um, nur um festzustellen, dass sein Kommandant von der Ariadne gefesselt schien. „Ich vermisse meine Bukephalos, weißt du? Sie fühlte sich an wie ihr Namensgeber, das Pferd Alexanders des Großen, ein mächtiger, stolzer, schwarzer Leib, dessen Kraft dich sicher und geborgen fühlen lässt.“

„Sie muss wunderschön gewesen sein. Was ist mit ihr passiert?“

„Ich musste sie hergeben. Dieses Weib Niobe hat sie gegen die Wand gesetzt.“

Nun verstand Neo die Botschaft in Morpheus’ Augen. So gefasst er wirkte, so sehr spürte er innerlich immer noch den Verlust. Ehe er sich versah, legte er seinem Kommandanten eine Hand auf die Schulter. Da erschien ihm dieser weniger verletzlich und doch wehrte er sich nicht. Er suchte nur langsam Neos Blick und fragte dann: „Sage mir: Hättest du die Frau im roten Kleid auch bemerkt, wenn ich nichts gesagt hätte?“

Neo schüttelte den Kopf.

„Wie wäre es, wenn wir uns die Ariadne einmal aus der Nähe ansehen? Ich kann dir zeigen, worin die Stärken eines guten alten Schiffes liegen. Deine Rose von Zion wird warten… oder sie wartet nicht.“

Neo lächelte und wunderte sich ein wenig über sich selbst. Auf einmal kam ihm nämlich die Maschinenwelt unter Tage ein wenig heller vor.



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