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Alle Wege führen nach Rom

von

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Die Glocken von Notre Dame

I.

In der hinteren Eckes des riesigen Salons steht ein Stuhl. Klein und verloren wirkend, neben einer riesigen Säule aus rotem Marmor, welche sich lang zur Decke reckt. Der Stuhl, zart und kunstvoll verziert durch filigrane Holzarbeit, gleicht einer Insel in einem tosenden Meer. Ein Meer aus schwarzgekleideten Männern und Frauen. Ihr Stimmengewirr erfüllt den Raum. Es dringt bis in alle Ecken und Spalten. Wie eine hohe Woge ansteigend, dann zu einem leisen Zischen abfallend, monoton und einschläfernd. Ab und zu trägt das Meer eine einzelne schwarze Welle an die Insel. Eine Welle aus tröstenden Worten und einem mitfühlenden Gesicht. Doch die tröstenden Wellen berühren die Insel nicht. Es hat sich zu einem Ort aus gähnender Leere und Trauer gemacht.
 

"Juliette, das Kind macht mir Angst. Sie sitzt immer noch völlig reglos auf ihrem Stuhl."

"Sie blinzelt nicht einmal."

"Sie sollte etwas essen! Claude? Claude? Wo steckt dieser Nichtsnutz von einem Diener? Ich habe ihn doch vorhin mit der Biskuitplatte gesehen. Claude?"

"Hör mit deinem Essen auf, Rose! Das legt sich nur auf die Taille und das Kind braucht ihre schmale Taille noch."

"Ein Stück Kuchen hat noch keinem geschadet und das Kind braucht etwas für die Seele! Mein Engel komm, hier iss etwas!"

"Geh mit deinem Kuchen weg! Sie braucht etwas frische Luft."

"Ach Juliette! Die Sonne ruiniert nur ihren Teint."

Für Lady Juliette war essen lediglich ein Brennstoff, kein Balsam für die Seele. Der enorme Taillenumfang ihrer Schwester Rose zeugte davon, dass diese Essen als Balsam für einfach alles benutzte.

Die beiden Matronen, anmutend wie zwei gackernde Hühner, umkreisten Renée's Insel. Renée seufzte. Vor zwei Stunden war Francois's Sarg der Erde übergeben

worden. Mit seiner leblosen Hülle lag, tief im dunklen Erdreich vergraben, ihr Herz, zerschunden und nutzlos.

Sie wünschte, ihre beiden Tanten würden einfach explodieren und in abertausend kleinen Teilchen davon wehen oder wenigstens der Kronleuchter würde sie treffen. Immerhin durchdrang das penetrante Gezänk und die Vorstellung, wie Lady Rose üppige Gestalt wegpuffte, die Mauer der Lethargie, welche Renée umgab. Doch das riesige Loch in ihrer Brust konnten sie nicht füllen.

Renée seufzte erneut. Auch dieser Tag würde vorbei gehen. Obgleich dies keinen Unterschied machte. Alle Tage waren gleich, erfüllt mit Schmerz und Trauer.

"Tante Juliette?"

Ihre beiden Tanten, selbsternannte seelische Stützpfeiler ihrer Nichte, schoben und schubsten sich ihn Renée's Blickfeld.

"Ja, mein Kind? Willst du an die frische Luft? Wir bleiben auch im Schatten!"

"Willst du Kuchen mein Kind? Soll ich dir ein Glas Wein holen?" Lady Rose rieb sich die Seite, welche schmerzhaft Lady Juliette's Ellenbogen zu spüren bekommen hatte.

"Oder etwas Obst, ein paar Pralinen, etwas Salat ...?"

"Wie können wir dir helfen?"

"Ich möchte gern etwas allein sein."

Die Gesichtszüge der Beiden rutschten merklich tiefer.
 

Der Tag ging vorbei und die Dunkelheit vertriebt das Licht. Im Schloss wurde es langsam ruhig. Der Wind kräuselte leicht die Oberfläche im Parkteich, die Vögel steckten ihre Köpfe unter das bunte Gefieder, die Köchin scheuchte ihren dicken Kater aus ihrem Bett, der Butler überprüfte ein letztes Mal die Fensterläden. Renée schloss die Augen. Aus ihrer Erinnerung stieg Francois totenblasse Gestalt auf. Eingeschlossen in einem massiven Eichensarg, vergraben im tiefen, kalten Erdreich. Heerscharen von Würmern bahnen sich ihren Weg zu dem kalten Körper. Renée öffnete ihre Auge. Die Vorhänge bewegten sich gespenstig im Wind und warfen unheimliche Schattenbilder an die Wand. Ihre Augenlieder schlossen sich wieder, aber die Bilder kamen, erdrückend lebendig und unausweichlich.

Ihre nackten Füße tapsten leise über den Marmorfußboden, als Renée zu ihrer Zimmerflut zurückschlich. Vorsichtig balancierte sie eine Tasse Milch in ihrer Hand. Sie hielt inne, als sie Stimmen am Ende des Flures vernahm. Aus dem Arbeitszimmer ihres Onkels drang sanfter Lichtschein auf den Flur. Sie erkannte die tiefe Bassstimme ihres Onkels. Auch die zweite Stimme, in welcher ein ständig nörgelnden Unterton mitschwang, war ihr nicht unbekannt.

"Wie lange muss ich noch warten, Vermont?"

Von ihrem Platz aus, konnte sie mühelos das Gespräch mitverfolgen.

"Ein Jahr müsst Ihr Euch schon gedulden, Charles. Auch wenn sie nur verlobt waren. Aber was ist schon ein Jahr? Renée ist dann 17. Noch jung genug für Euch, aber schon weiter zur Frau erblüht. Und dann werde ich sie Euch zur Frau geben."

"Was wird die zukünftige Braut dazu sagen?"

"Es ist nicht von Belang, was sie dazu sagen wird. Ich bin ihr Vormund und sie hat sich meinen Wünschen zu beugen. Sie hat ein volles Jahr Zeit sich mit diesen Gedanken anzufreunden."

Das hässliche Lachen von Charles d'Estcount kroch schaudernd an Renée's bloßen Beinen hoch. Das ständig schmerzhafte Gefühl der Trauer in ihrem Herzen, wurde von blankem Entsetzten verdrängt. Sie sah wie die Tür sich öffnete und Stimmen sich ihr näherten, aber sie konnte sich nicht bewegen. Erstarrt blickte sie den Männer entgegen.

"Renée?" Die gierigen Augen d'Estcount glitten über den jungen Körper, kaum verhüllt durch den dünnen Stoff des Nachthemdes. Seine wulstigen Lippen teilten sich zu einem verheißungsvollen Lächeln.
 

Schwer Atmend lehnte sich Renée an die geschlossene Zimmertür, aber die Erinnerung an d'Estcounts Augen blieb. In Gedanken spürte sie schon die Hände, die sie grob berührten und Schauer des Ekels liefen ihr in Wellen über den Rücken. Angstvoll hörte sie die Stimmen der Männer über den Flur wandern. Instinktiv stemmte sie sich hinter die Kommode, um diese vor die Tür zu schieben. Sie konnte Charles d'Estcount nicht einfach aussperren, doch diese Nacht wollte sie daran glauben. Ihre Füße rutschten nach hinten, während sie versuchten Halt zu finden, sie drückte mit aller Kraft, ihre Arme schmerzten, Schweiß perlte ihre Stirn herunter, aber die Kommode bewegte sich nicht einen Zentimeter. Frustriert trat sie gegen die Kommode und zuckte angesichts des Schmerzes im Fuß zusammen. Entkräftet sank sie auf den Boden und weinte vor Wut. Wie sollte sie sich gegen den ganzen Mann wehren, wenn sie nicht einmal diese lächerliche Kommode bewegen konnte?

Im Schatten der Truhe hockend, den Kopf in den Armen vergraben, fand sie am Morgen schließlich die Zofe.

"Mademoiselle?" Vorsichtig stupste Sophie ihre Herrin an. "Mademoiselle?" Renée schreckte auf und rieb sich die verquollenen Augen. Die Morgensonne warf ihre sanften Strahlen in das Zimmer und vertrieb alle Geister der Nacht.

"Aber nicht doch, Mademoiselle. Ihr habt doch nicht die ganze Nacht auf dem Boden verbracht? Ihr verkühlt Euch noch. Kommt ich suche Euch Eurer gelbes Tageskleid heraus!"

"Sophie? Ist mein Onkel schon beim Frühstück?" Sophie stockte in ihrer Betriebsamkeit.

"Ich ... ich weiß nicht, Mademoiselle?"

Ihr bäuerliches Gesicht zeigte Spuren von Furcht. Sobald etwas Sophies Verantwortungsbereich übertraf, fühlte diese sich hoffnungslos überfordert.

"Suche mir das gelbe Kleid heraus!" Sophie Züge glätteten sich erleichtert.
 

Das Klappern ihrer Absätze hallte auf den blanken Marmorfliesen nieder. Schwere, verzierte Eichentüren öffneten sich, Zimmer reihten sich an Zimmer. Die hohen Fensterbögen gaben den Blick auf die Parkanlage frei.

"Bonjour, Onkel Vermont." Renée's Onkel saß in seine Morgenzeitung vertieft am Frühstückstisch. Er nickte ihr kaum merklich zu. Außer einem unauffälligen Diener, dessen Erscheinung mit der Holzverkleidung verschmolz, war niemand anderes anwesend.

"Onkel Vermont?" Eine hochgezogene, finstere Augenbraue des Angesprochenen erschien über dem Zeitungsrand.

"Ich möchte ... ich will ..., bitte verheiratet mich nicht mit Charles d'Estcount!"

Sein unnachgiebiger Blick nagelte sie auf ihrem Stuhl fest. Das Klicken des Uhrenpendels schallte rhythmisch durch die Stille.

"Charles d'Estcount hat den Status, das Ansehen und das Vermögen, um dir ein guter Ehemann zu sein."

"Aber ..."

"Der Ehevertrag ist schon unterzeichnet worden," unterbrach er sie.

"Aber ich liebe ihn nicht, ich mag ihn nicht einmal."

"Liebe? In unseren Kreisen hat Liebe mit einer Ehe nichts zu tun. Ich bin dein Vormund und du wirst mir den Respekt zollen, der mir gebührt, indem du meine Entscheidungen respektierst."

Renée presste ihre Lippen zu einen dünnen Strich zusammen und ballte die Hände, unter dem Tisch versteckt, zu Fäusten. Ihre Tränen hob sie sich für die Einsamkeit auf.
 

"Ach, diese Sonnenstrahlen. Kind, ziehe den Hut tiefer ins Gesicht! Wir wollen doch keine Sommersprossen bekommen. Komm, komm!" Renée bekam einen sanften Schub von ihrer Tante. Laufburschen, Bedienstete, Geschäftsmänner und geschwätzige Frauen eilten die Allee entlang. Die Sonne spiegelte sich in den Schaufensterscheiben der Geschäfte. Kutscher bahnten sich brüllend ihren Weg. Lady Juliette neigte majestätisch ihr Haupt, als ein Bekannter sich grüßend den Weg zu ihnen bahnte. Ihre Turmfrisur wippte schwungvoll in ihre Ausgangsposition.

"Tante Juliette, hier wohnt der Anwalt, der die Angelegenheiten von Francois' Familie klärt."

"Komm weiter, Renée, mit Advokaten verkehren wir nicht!"

"Bitte, Tante Juliette. Ich muss wissen, ob er etwas über den Verbleib des Amuletts weiß, dass ich Francois geschenkte habe."

"Gut, bleib hier! Ich werde nachfragen. Bleibe aber im Schatten!" Ihre Tante seufzte resigniert. "Oh, Sophie, dort sehe ich Gräfin Boninet. Gehe rasch rüber und frage ihre Zofe aus, woher sie diese gefärbten Straußenfedern hat! Na, geh schon!" Juliette d'Herblay wedelte ungeduldig mit der Hand, so dass sich die Sonnenstahlen ihn ihren Ringen brachen und rauschte die Treppen hinauf, zum Büro eines der verhassten Advokaten.
 

Mit einem Male war Renée allein. Unbekannte Gesichter rannten an ihr vorbei. Eine alte Postkutsche bog in die Straße ein. Die riesigen Räder wirbelten den Straßenstaub auf. Schnaubend kamen die Pferde vor Renée zum Stehen. Ihre Nüster stießen heiße Luft aus, die großen, feucht glänzenden Leiber hoben und senkten sich. Die Farbe blätterte schon an den Wagenwänden ab, das Federgestell quietschte verrostet, das Gepäck der Reisenden stapelte sich ungesichert auf dem Dach. Dann öffnete sich die Tür und gab Renée den Blick in den dunklen Innenraum frei.

Ihr verlorenes Herz kehrte aus dem Grab zurück und schlug nun laut und heftig.

Drei Stockwerke über ihr sprach ihre Tante, mit gutgemeinter Arroganz zu dem Anwalt.

Wenn sie jetzt in diese Kutsche stieg, konnte sie nie wieder zurückkehren, aber Renée achtete nicht darauf, ihr Herz war zu verletzt.

Diese Kutsche konnte sie wegtragen. Weit weg von Charles d'Estcount, mit seinen gierigen Augen und den groben Händen.
 

*****

II.

Die riesige Postkutsche rumpelte über Frankreichs gröbste Schlaglochstraße und schüttelte seine Insassen kräftig durch. Die vergangenen Jahrhunderte hatten der Straße arg zugesetzt. Nichts erinnerte mehr an die alte römische Fernstraße, über die Legionen von Soldaten in geordneten Reihen Gallien überrannt hatten. Bäume im saftigen Grün des Frühlings vermischten sich mit dem Gelb der weizenreichen Felder und dem Braun der vorbeiziehenden Häuser. Zum wiederholten Male rollten die Räder durch ein metertiefes Schlagloch. Das Fahrgestell knirschte und ächzte wie die Gelenke einer alten Frau. Das Gepäck polterte auf dem Wagendach seinen eigenen Rhythmus. Mit jedem Schlagloch hüpften die bunten Farbkleckse der Landschaft für kurze Zeit aus Renée's Blickfeld. Ihre Hände krallten sich um die Sitzkante. Weiß stachen die Handknöchel hervor. Ihre Zähne schepperten bei jedem weiteren Loch aufeinander. Durch die Wucht des Aufpralls wurde sie von ihrer linken Sitznachbarin gegen den rechten Fahrgast gedrückt. Renée saß eingekeilt zwischen den beiden korpulentesten Fahrgästen. Der beleibte Mann zu ihrer Rechten begrüßte ihr unfreiwilliges Entgegenkommen mit einem beglückten Lächeln und rollte genüsslich mit den Augen. Bisher nur an die gefederten und elegant geschnitten Kutschen ihrer Familie gewöhnt, war dies Renée's erste Reise in einer Postkutsche. Sie hoffte nur, dass ihre neugewonnene Erfahrung nicht in einem Straßengraben oder vor der rauchenden Pistole eines Räubers endete.

Seit Francois' Beerdigung hatten sich die Ereignisse einfach überstürzt. In den endlose Minuten ihrer Reise realisierte sie ihr vorschnelles Verhalten. Ihr wurde bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, welches Reiseziel die Kutsche ansteuerte.

Verzweifelt sah sie sich in der Kutsche um. Wieder wurde sie gegen den Mann gedrückt und erntete sein Wohlwollen. Unbehaglich sah sie zu der linken Dame. Diese schlummerte vor sich hin. Das gewaltige Doppelkinn ruhte auf der mächtigen Brust. Ihre Nasenflügel blähten sich. Ihr Blick glitt zu dem Priester, welcher steif und sittsam ihr gegenüber saß.

>DU SOLLST DEINEN VATER UND DEINE MUTTER EHREN....< Renée zuckte zusammen. Ein gewaltiger Zeigefinger schallte ihr mahnend durch den Kopf. Ihr Eltern waren ihre Tante und ihr Onkel. Nie hatte sie deren Entscheidungen angezweifelt. Als letzter Passagier saß ihr eine gepflegte Dame mittleren Alters gegenüber. Verschwörerisch zwinkerte sie Renée zu und rollte gespielt genervt, über die anderen Insassen mit den himmelblauen Augen. Renée lächelte ihr zutraulich zu. Mittlerweile hatte die Kutsche die Stadt Pontoise erreicht und hielt für geraume Zeit, um die Pferde auszuwechseln. Die müden und durchgerüttelten Passagiere konnte sich die Beine vertreten oder eine Kleinigkeit essen.
 

Die Nachmittagssonne stand hoch am Zenit und erwärmte den kleinen Platz vor dem Gasthof. Reisende gingen ein und aus, Pferde standen, umschwirrt von Fliegen und Staub an der Tränke. Hühner liefen gackernd und unkoordiniert zwischen Menschen und Pferde umher. Renée stand abseits von allen im Schatten. Ihr fehlte die Selbstverständlichkeit, mit der sich andere Reisende bewegten. Im Schatten gedrückt, fühlte sie sich unsicher und fehl am Platz. Wann immer die große Vordertür aufschwang, wehte ihr der Geruch von Essen in die Nase und ihr Magen gab grummelnd seine Anwesenheit preis. Beklommen dachte sie an die geringe Summe, die sie zur Verfügung stand. Ihr Magen würde noch lange weiterprotestieren müssen.

"Ist das nicht ein herrliches Blau am Himmel?" Unbemerkt war die vornehme Dame aus der Kutsche neben sie getreten. Ihr hübsches Gesicht strahlte Renée unaufdringliche Freundlichkeit entgegen.

"Ich bin Madame Roque." Sie streckte ihr die weiß behandschuhte Hand entgegen.

"Renée d'H ... Renée!" Wie um die Pause zu fühlen, meldete sich Renée's Magen wieder zu Gehör. Sie wurde rot und versuchte verlegen im Schatten des Gebäudes zu verschwinden. Solche Geräusche waren nicht gerade en vogue für ein junge Adlige. Ihre Gesprächspartnerin lachte leise und winkte sie mit sich ins Wirtshausinnere.

Bald saßen beide an einem Tisch, versorgt mit etwas Brot, Käse, Oliven und Wein.

"Danke." Renée knetete verlegen ihre Hände. "Darf ich Euch etwas fragen?"

"Natürlich."

"Wo .. wo fährt die Kutsche hin?" Madam Roque sah das junge Mädchen verdutzt an, sie lachte wieder leise.

"Mein liebes Kind, wie könnt Ihr nur in eine Kutsche steigen, ohne das Reiseziel zu kennen? Wir werden heute Nacht Paris erreichen." Madam Roque sah aus, als wüsste sie genau, wie junge Mädchen dazu kommen.

"Paris?" wiederholte Renée mit großen Augen.

"Das Herz Frankreichs. Ich nehme an, da Ihr nicht einmal Euer Reiseziel kennt, dass es eine äußerst überstürzte Abreise war? Den Grund sehe ich in Euren Augen. Kindchen, warum schimmert in diesen großen schönen Augen soviel Traurigkeit?"

"Ich wollte nur fort von zu Hause. Ich sollte verheiratet werden, aber ich will nicht heiraten. Nicht diesen Mann," fügte Renée trotzig hinzu. Madam Roque lächelte wissend.

"Genügend finanzielle Mittel scheinen Euch auch nicht zur Verfügung zu stehen, habe ich Recht?"

"Nein. Aber ich könnte etwas Schmuck verkaufen."

"Lasst mich Euch Eurer annehmen, meine Liebe. Die Händler würden Euch nur hereinlegen und wer weiß, wo Ihr heute Abend landen werdet. Ihr findet bei mir eine Bleibe, bis sich etwas besseres für Euch angefunden hat!"

"Ich danke Euch Madam. Ihr wisst gar nicht, wie sehr ich Euch danke. Vielen Dank, Madam."

Madam Roque lächelte gütig. "Ihr braucht mir nicht zu Danken. Wir werden diesen traurigen Blick aus Euren Augen vertreiben." Renée schwieg. Die Trauer in ihrem Herzen, welche sich in den Augen wiederspiegelte würde für lange Zeit niemand vertreiben können.
 

Schwarze Finsternis schlich durch Paris, während die Kutsche das westliche Stadttor passierte. Mit mürrischer Miene winkte der Torwächter die Reisenden durch das Tor und zog sich gleich an seine wärmenden Feuerstelle zurück. Dumpf hallte das Rattern der Räder durch die nächtlichen Straßen. Spärlich beleuchteten Fackeln die verwinkelten Gassen. Eine Gruppe Männer zog lärmend, im Rausch des Weins, an der Kutsche vorbei. Schier endlos schaukelte die alte Kutsche durch die dunklen Straßen. Mit einem müden Schnalzen brachte der Kutscher seine Pferde zum Stehen. Ungeduldig drängte er seine Passagiere zum Aussteigen. Soweit es noch eine Steigerungsform gab, ließ die Sehnsucht nach der heimischen Strohmatratze, den Mann noch finsterer wirken.

Madam Roque seufzte zufrieden und winkte Renée zu, ihr zu folgen. Von der Schönheit und den Wundern der Hauptstadt war in diesem Stadtteil nicht viel zu sehen. Renée war es gleich. Müde und verspannt von der Fahrt folgte sie ihrer Wohltäterin, in der Hoffnung sich bald in einem Bett wiederzufinden. Vor ihnen tauchte die Rückseite eines großen Gebäudes auf. Madam Roque schnurrte zufrieden wie eine Katze, als sie sich der Hintertür näherten.

Warmes Licht und Stimmengewirr drangen in die dunkle Gasse, als sie die Tür öffnete.

"Bleibt hier stehen! Ich komme gleich wieder." Mit diesen Worten ließ Madam Roque sie alleine. Renée strich den schweren Samtstoff ihres Kleides glatt und sah sich um. Viel war nicht zu sehen. Sie stand an der Hintertreppe des Hauses und konnte lediglich einen Blick in die Küche werfen. Wie versprochen kaum kurz darauf Madame Roque in Begleitung eines gedrungen Mannes zurück. Madam Roque schubste sie sanft dem Mann entgegen "Gehe mit dem Monsieur mit!" Sein Blick verschlang sie regelrecht.

"Bist du wirklich noch Jungfrau, oder hat dich Madam angewiesen eine zu spielen? Aber egal, du bist hübsch." Ein dreckiges Lachen begleitete ihn. Entsetzt starrte Renée ihn an, dann irrte ihr Blick zu Madame Roque.

"Wie könnt Ihr es wagen? Madame Roque, ich verstehe nicht?"

"Zier dich nicht, Schätzchen! Was glaubst du, wo du ohne mich gelandet wärst? In der übelsten Gosse. Ihr verzogenen und verhätschelten Gänschen habt nicht einmal einen Hauch Ahnung, wie es außerhalb eurer Schlösser aussieht. Hier bekommst du wenigstens ein Bett und die reichsten Männer dieser Stadt zwischen die Beine, als irgend einen dreckigen Bauerntrampel." Dienstbeflissen schubste sie Renée wieder dem Mann entgegen. Dieser packte hart ihr Handgelenk und zerrte sie mit sich.

"NEEIN." Sie versuchte sich mit aller Kraft am Treppengeländer festzuhalten. Ihre Finger rissen sich an den Splittern des Holzgeländers blutig. Unnachgiebig zog er sie weiter in die zweite Etage. Je mehr sie sich wehrte, desto dreckiger klang sein Lachen. Er umfasste ihre Taille und schleppte sie ins Zimmer. Sein Atem ging stoßweise und seine Erregung war jetzt deutlich zu spüren.

"NEEIN." Helles Mädchenlachen und tiefes Männergelächter übertönten Renée' s verzweifelte Schreie. Wie ein Puppe wurde sie aufs Bett geschmissen. Der Stoff ihres Kleides riss, als sie versuchte sich zu wehren. Er stöhnte lustvoll und leckte sich gierig die fleischigen Lippen. Angestrengt versuchte er die vielen Rockbahnen hochzuschieben. Derart damit beschäftigt, die strampelnden Beine festzuhalten, bemerkte er nicht, wie der schwere Kerzenhalter auf seinen Hinterkopf niederschlug. Schwarze Finsternis hüllte ihn ein. Sein Kopf kippte in Renée' s Schoß und dunkles Blut färbte das spärliche Haar am Hinterkopf rot. Keuchend ließ sie den Kerzenhalter fallen. Sie schupste angewidert den leblosen Männerkörper von sich weg und verließ gehetzt das Zimmer. Mehrere Prostituierte und Kunden aus dem Weg schupsend, stolperte sie auf die Außentreppe herunter zur Tür hinaus. Sie rutschte auf der abfallübersäten Straße aus. Stimmen schienen näher zu kommen. Benomme rappelte sie sich auf und rannte verzweifelt durch die Straßen dem Glockengeläut von Notre Dame entgegen.
 

******

III.

Düster ragten die alten Mauern Notre Dames vor ihr auf. Abschreckend blickten die hässlichen Wasserspeier auf sie herab. Im schattenreichen Licht der Nacht wirkten ihre steinernen Gesichtszüge gespenstig lebendig. Nur mit Mühe ließ sich einer der großen Torflügel öffnen. Erschöpft lehnte Renée sich an das kalte Holz. Ihre Lungen brannten vom ungewohnten Laufen und ihr Körper schmerzte von den harten Griffen ihres Peinigers. Die groben Hände hatte rote Spuren auf ihrer Haut hinterlassen. Zaghaft ging sie weiter ins Gebäudeinnere. Mahnend sahen die Heiligenfiguren auf die nächtliche Besucherin. Sie kauerte sich zaghaft in eine der hinteren Sitzbänke. Trocken saßen unterdrückte Schluchzer in ihrer Kehle und die Augen brannten von den ungeweinten Tränen. Ihr Blick richtete sich anklagend auf den gekreuzigten Gottessohn am Altar. Duzende Kerzen umhüllten die Statur mit ihrem Licht.

"Francois." Ihre Stimme hallte laut wieder, im leeren Gotteshaus. Renée' s Stimme stockte bei seinem Namen und wurde brüchig. Warum hatte er sie so früh verlassen? Das war nicht gerecht. Jetzt kamen die Tränen. Sie weinte nicht nur um Francois, sondern auch um sich selbst. Sie schlang die Arme um die Brust und wiegte sich langsam vor und zurück. Tränen flossen ihr über das Gesicht und heftige Schluchzer schüttelten ihren Körper. Sie ließ es zu, ein letztes Mal schwach zu sein und versuchte nichts zurückzuhalten. Die Zeit verlor an Bedeutung, bis sie einschlief.
 

Stimmen drangen durch das Traumgewebe der Schlafenden. Erschrocken versuchte Renée ihre Umgebung zu erfassen. Licht strahlte durch die bunten Glasbilder der Kathedralefenster und zauberte bunte Bilder auf den Boden. Sie duckte sich vor den Stimmen in die Holzbank. Unbemerkt beobachtete sie die beiden Männer, welche im Mittelgang an ihr vorbei schritten.

"Ihr solltet aufpassen, D'Treville! Der Kardinal hält noch immer seine Hand über unseren König und benutzt schamlos den Namen Gottes. Ihr solltet Konflikte mit ihm meiden, auch wenn Ihr der Kapitän der Musketiere seid!"

"Ich weiß, Pater Raphael. Und Ihr solltet aufpassen, dass niemand Eure Reden hört!" erwiderte der Angesprochene.

Pater Raphael lächelte schalkhaft. "Dem Kardinal ist meine Meinung über ihn nicht unbekannt. Aber nun müsst Ihr mich entschuldigen! Ich muss die Andacht einläuten." Mit einem Nicken entfernte sich der Pater. Kapitän d'Treville setzte sich in einen der Holzbänke und ließ seine Gedanken schweifen.

"Kapitän d'Treville?"

Renée fand ihren Hals an der scharfen Spitze eines Dolches wieder. Sie wagte es nicht auszuatmen.

"Mädchen, du solltest das nicht noch einmal machen! Der Letzte, der sich an mich heranschlich, hat jetzt ein Ohr weniger."

"Tut .. tut mir leid. Ihr seid doch Monsieur d'Treville? Der Kapitän der Musketiere?"

"Ja, Mademoiselle, der bin ich."

"Ihr wart befreundet mit meinem Vater, André d'Herblay. Erinnert Ihr Euch? Ich weiß, dass Ihr zusammen mit ihm gedient habt."

D'Treville betrachtete verwundert die kleine Mademoiselle d'Herblay, in ihrem zerrissenen Kleid und der zerkratzten Haut. Die großen blauen Augen, André's Augen, blickten ihn ängstlich suchend an.

"Du .. Ihr seid André's Tochter?"

"Renée d'Herblay."

"Als ich Euch das letzte mal sah, da wart Ihr gerade ..." D'Treville verschwand in der Vergangenheit. "Euer Vater starb in meinen Armen, nachdem er im Gefecht tödlich getroffen wurde." Renée nickte betrübt.

"Meine Mutter starb kurz darauf an einer schweren Krankheit. Ich wurde von Vaters Bruder und seiner Frau aufgezogen."

D'Treville erinnerte sich vage an Vermont d'Herblay, als unangenehmen und engstirnigen Menschen. Das genaue Gegenteil vom warmherzigen André d'Herblay.

"Warum seid Ihr nicht bei Eurem Onkel und wer hat Euch so zugerichtet?" Renée erklärte es ihm. Das Glockengeläut tönte durch das nachdenkliche Schweigen der Beiden.

"Bitte helft mir, Kapitän!"

"Wobei?"

"Ich will Rache!" antwortete Renée schlicht.

"Rache?" D'Treville sah sie überrascht an. "Ihr solltet brav zu Eurem Onkel zurückkehren! Das solltet Ihr machen! Euer zukünftiger Ehemann wird schon gut für Euch sorgen."

"Ja, dass kann ich mir bildlich vorstellen," antwortete sie finster.

D'Treville wedelte unwirsch mit seiner Hand.

"Er ist bestimmt entzückt eine so hübsche Braut zu bekommen."

"Hübsch? ... Was bringt mir das? Bisher wurde ich nur gedemütigt. Aber ich lasse mich nicht mehr wie Ware behandeln. Nie wieder will ich den Männern unterlegen sein. Nie wieder sollen sie das Recht haben mich zu unterdrücken. Und ich werde mit dem Mann beginnen, mit dem alles anfing. Ich will Rache an dem Mörder von Francois. Doch dafür brauche ich Eure Hilfe."

"Meine Hilfe?"

"Eine Bande, die angeführt wurde von einem Mann namens Kamel, soll für seinen Tod verantwortlich sein. Die Musketiere hätten die Möglichkeit, diesen Mann zu finden."

"Wie stellt Ihr Euch das vor? Wollt Ihr, dass ich meine Männer auf ihn hetze?"

"Nein, ich selbst will ihn töten."

"Ihr, als Frau wollt ihn töten?"

"Nein, ich will keine Frau mehr sein."

"Also wollt Ihr Euch als Mann verkleiden und zu den Musketieren gehen? Könnt Ihr überhaupt fechten?"

"Nein."

"Die Musketiere sind keine Teegesellschaft. Mädchen, dort sind die besten Kämpfer des Landes vertreten. Wollt ihr die Feinde des Königs mit Eurem Fächer in die Flucht schlagen? Der König wird entzückt sein, eine Frau unter seiner Elitegarde zu haben." D'Treville stoppte seinen Sarkasmus angesichts ihres Gesichtsausdrucks.

"Bringt es mir bei!"

Er starrte sie an und suchte den Wahnsinn in ihren Augen. Resigniert seufzte er. "Kommt mit!"
 

D'Treville trat durch den kleinen Torbogen in den schattigen Innenhof. Kletten rankten sich am bröckligen Außenputz entlang die Fassade hoch. Enrico de las Ferras gab gerade einem seiner Schüler Fechtunterricht. Der lange drahtige Italiener deckte seinen Schüler mit langen, schnellen Attacken ein. Nur mit Mühe konnte der junge Mann seine Deckung aufrecht erhalten. Sein Hemd klebte schweißnass an seinem Rücken, während sein Lehrer selbst in der gnadenlosen Mittagssonne nicht den geringsten Schweißtropfen zeigte.

"Enrico!" D'Treville winkte seinen alten Freund zu sich. Enrico de las Ferras war mittleren Alters und hatte das gute Aussehen und den Charme, der Italienern gemeinhin zu eigen war.

"Enrico, du musst mir einen Gefallen tun. Ich habe hier eine junge Dame, die du unterrichten musst!"

"Hast du gesterrrn zuviel Wein getrrrunken d'Trreville?"

"Nein, es ist anders als du denkst. Das Mädchen möchte Rache an ihren toten Verlobten nehmen. Sie scheint verzweifelt und, dass ist das schlimmste, zu allem entschlossen zu sein. Ich habe eingewilligt, ihr eine Verkleidung als Mann schaffen und ihr das Kämpfen beizubringen. Sie will den Musketieren beitreten."

"Wieso schickst du sie nicht nach Hause?"

"Ich fürchte, sie würde sich eher etwas antun, als nach Hause zurückzukehren. Ich war mit ihrem Vater sehr gut befreundet. Ich kann es ihm gegenüber nicht verantworten, wenn sich seine Tochter aus Verzweiflung vom nächstbesten Kirchenturm stürzt."

"Willst du sie wirrrklich bei den Musketierrren aufnehmen?"

"Natürlich nicht! Ich habe nur zum Schein eingewilligt. Hör zu! Ich möchte, dass du ihr beibringst wie ein Junge zu sein und sie soll das Kämpfen bei dir erlernen. Aber! Ich möchte, dass du sie hart rannimmst. Härter als jeden anderen deiner Schüler. Sie soll derart erschöpft sein und an ihre Grenzen gelangen, dass sie freiwillig aufgibt und nach Hause geht."

"Bene, brrring sie herrr! Ich werrrde sie auf dem Zahnfleisch krrrieschen lassen."

"Warte kurz!" De las Ferras betrachtet die junge Frau, die auf ihn zukam. Er runzelte missbilligt die Stirn. Wie sollte er aus diesem Geschöpf einen Mann machen? Alles an ihr schien zart und schmal zu sein. Hinzu kamen blondes Haar und eine Haut wie Porzellan.

"Mademoiselle d'Herblay, dies ist Signore de las Ferras. Er wird Euch unterrichten. In einem Jahr werde ich Euch gegen einen meiner Musketiere antreten lassen. Besiegt Ihr diesen, werde ich Euch als Musketieranwärter aufnehmen." Mit diesen Worten überließ Kapitän d'Treville Renée ihrem neuen Lebensabschnitt.
 

*****

IV.

"Die Haarrre müssen abgeschnitten werrrden. Diese Haut brrraucht Farrrbe. Der Oberrrgörrperrr muss abgebunden werrrden. Wirrr brauchen anderrre Kleidung." De las Ferras umkreiste seine Beute und ließ nichts unkritisiert.

"Oh, diese Hände. Zu weich." Angewidert ließ er Renée's Hand fallen. "Die Fingerrrnägel müssen kurrrz sein. Knapperrr sie ab!"

"Ich soll meine Fingernägel abbeißen?" Jetzt war es an Renée die Miene angewidert zu verziehen. An den Nägeln zu knappern, war reinste Blasphemie an ihrer Erziehung.

"Bon Appetit! Jungen knapperrrn mit Frrreuden an Fingerrrnägeln. Du bist jetzt ein Junge!

"Signore? Das Haar noch kürzer schneiden?" Die Köchin des de las Ferras Haushaltes strich mit Bedauern die losen Haarsträhnen glatt.

"Si Si, Giselle rrrunter mit den Haarrren!" 17 Jahre Pflege und intensive Bürstenstriche durch Sophie gesellten sich zu den Küchenabfällen auf den Bodenfliesen.

"Das soll ich anziehen? Das sind doch nur Lumpen?" Sie hob den braungrauen Stoffhaufen mit spitzen Fingern hoch.

"Glaube mir, du wirrrst keine Seidenkleiderrr brrauchen, wenn du den Boden schrrrubbst!"

"Ich soll den Boden wischen? Aber Ihr sollt mir das Kämpfen beibringen."

"Mein Kind, nichts ist umsonst in dieserrr Welt. Du wirrrst arrrbeiten müssen. Fürrr meine Dienstleistung, fürrr deine Unterrrkunft, fürrr dein Essen und ..." de las Ferras Lächeln wurde eine Prise hinterhältiger " ... fürrr diese LUMPEN. Und jetzt beweg deinen kleinen Hinterrrn und wisch auf!"

Missmutig kniete Renée auf dem Küchenboden und schwang den Wischlappen über die Fliesen. Stechende Schmerzen fuhren durch ihr Rückrat und ihre Knie waren schon seit geraumer Zeit taub. Die ungewohnt grobe Kleidung scheuerte auf ihrer Haut. Das laugenhaltige Wasser hatte ihre sorgsam gepflegten Fingernägel in wunde Schlachtfelder verwandelt.

"Was machst du da?" Drohend ragte Signore de las Ferras über ihr auf.

"Ich wische den Boden, wie Ihr es verlangt habt."

"Du besprrrenkelst ihn mit Wasserrr, mehrrr aberrr auch nicht! Strrreng dich an!"

Der Rest des Tages zog sich in endlosen Qualen dahin. Das Putzen des Küchenbodens war nur der Anfang in de las Ferras Arbeitsliste. Erst als sich die Dunkelheit über die Straße legte, durfte sie ruhen. Müde und am Rande der Erschöpfung schleppte sie sich zu ihrem neuen Lehrmeister.

"Kann ich ein Bad nehmen?" Sie war zu müde, um ihre Stimme fest klingen zu lassen.

"Natürrrlich, im Badehaus! Wie jederrr anderrre auch!"

"Aber dann sieht mich jeder." Sie war zu müde, um richtig zu widersprechen.

"Dann musst du drrreckig bleiben! Du kannst bei den anderen Knechten auf dem Dachboden schlafen." Sie war zu müde, um richtig zu schlafen. Enrico de las Ferras lehnte sich gemütlich in seinem Sessel zurück und griff zu seinem Buch. Kleine Flammen knisterten heimisch im Kamin. Neben ihm stand ein großer Krug mit gekühltem Bier.

"Die anderen Knechte lassen mich nicht oben schlafen. Sie sagen ich stinke."

"Sie haben rrrecht. Schlafe im Stall!" sagte er, ohne von seinem Buch aufzusehen. Unbemerkt beobachtete er die kleine Gestalt, welche sich mit hängenden Schultern nach draußen schleppt und Mitleid durchflutete sein Herz. Er seufzte. Bald würde sie aufgeben. Es war das Beste so.
 

Renée lag zusammengekrümmt im Stroh und fühlte sich erbärmlich. Sogar die Pferde hatten etwas gegen ihre Anwesenheit. Zusammengedrängt, leise wiehernd, einer Verschwörung gleich, standen sie dicht beieinander. Renée hatte geglaubt, mit ihrer Flucht aus dem Bordell sei das Schlimmste überstanden. Dabei ging die Hölle erst jetzt richtig los. Sie konnte sich nicht entsinnen, sich je so elend gefühlt zu haben. Alles in ihrem Körper schmerzte. Die Haut, der gnadenlosen Sonne ausgesetzt, spannte sich verbrannt um die Knochen. Die Strohhalme stachen durch die durchlässig gewebte Kleidung und kratzten ihren Rücken schorfig. Sie wünschte, sie könnte aufstehen und wieder nach Hause zurückkehren. Konnte Charles d'Estcount schlimmer sein? Ja, und schon allein ihr Stolz verbot es ihr, nach Hause zurückzukehren. Größer wog allerdings die Tatsache, dass ihre Beine sie nicht einmal mehr zur Tür getragen hätten, geschweige denn, in die Nacht hinaus.

Es sollten noch weitere schlimme Nächte und noch albtraumhaftere Tage folgen. De las Ferras wurde nicht müde, ihr die niedrigsten und zehrmürbesten Arbeiten zuzuteilen. Renée schien es, als wäre sein Repertoire an Grausamkeiten und Demütigungen ihr gegenüber schier unermesslich. Zu den widerwärtigsten Hausarbeiten, schleppte sie Kolonnen an Wassereimern und Holzstapeln ins Haus, bis es schien, als würden ihre Arme aus den Gelenken reißen. Sie wurde zu endlosen Botengängen abkommandiert, die nur im Eiltempo zu schaffen waren. Ganz Paris blieb sie als keuchender Botenjunge in Erinnerung. Weiterhin konnte Reneè sich nicht richtig Waschen, war alleine und schleppte sich zum Schlafen in den Stall, wo sie einsam Nachts unter Muskelkater und endlosen Krämpfen litt. Aber für nichts auf der Welt würde sie zurückkehren.
 

"Die Winde ist kaputt, ich kann den Eimer nicht mehr aus dem Brunnen hochziehen." Renée kniff die Augen zusammen, um Signore de las Ferras Gesichtsausdruck im blendenden Sonnenlicht ausmachen zu können. Es war ein wunderschöner Sommertag. Vögel zwitscherten fröhlich ihr Lied und die Sonne wärmte die Seelen der Pariser.

"Kletterrre hinab und mit vollem Eimer wiederrr zurrrück!" De las Ferras hatte unnahbar die Arme vor der Brust verschränkt.

"Waaas? Ich falle höchstens rein und breche mir den Hals."

"Nicht, wenn du es rrrichtig machst."

"Aber ..." Wieder eine neue Gemeinheit. Renée griff zögernd nach dem Seil und hangelte sich hinab. Der Weg zum Grund erschien ihr endlos. Glitschig, dunkelgrün schimmernd und kalt erstreckte sich der Brunnenschacht in die Tiefe. Der Geruch von Moder und Fäulnis stieg ihr entgegen. Das Sonnenlicht war nur noch ein weitentfernter gelber Kranz am oberen Ende. Endlich traf sie auf Wasser. Vorsichtig suchte sie Halt auf einem Steinvorsprung und stützte sich an der feucht-glitschigen Wand ab. Den Eimer zu füllen, grenzte an einen halsbrecherischen Balanceakt. Mühevoll hievte sie den vollen Eimer hoch und sah sich einem neuen Problem gegenüber. Wie sollte sie mit einer Hand den Seilenstrang hochklettern. Sie hatte weder genügend Kraft in den Armen, noch in den Beinen, um sich einarmig, belastet mit dem Gewicht des Wassereimers, hoch zu hangeln.

"Ich schaffe es nicht. Signore de las Ferras? Hört Ihr, ich schaffe es nicht."

Das Sonnenlicht verschwand, als de las Ferras Kopf die Öffnung verdeckte.

"Du kommst nurrr mit vollem Eimerrr aus dem Brrrunnen!" brüllte er hinab.

"Ich habe doch gesagt, ICH SCHAFFE ES NICHT."

"Und ich habe gesagt, du kommst nurrr mit vollem Eimerrr hoch!" Seine Stimme klang messerscharf

"Fein!"

"Fein!" brüllte er zurück.

"Wisst Ihr was, ich bleibe hier unten. Ich habe es satt von Euch herumgescheucht zu werden und Euer Freund d'Treville ist um keinen Deut besser. Ich sage Euch, was Ihr seid ..."

Ihr Beschimpfungen verhallten als ungehörtes Echo im Brunnenschacht. De las Ferras war schon längst nicht mehr auf dem Hof.

Die Zeit verstrich und die Sonne wanderte am Himmelszelt. Nur spärlich drang Licht in den Brunnenschacht. Auf dem Hof verlief das Leben in seinem gewohnten Rhythmus, nur hier stand die Zeit still. Renée fror mittlerweile erbärmlich und zeterte leise vor sich hin. Wieder verdeckte ein Kopf die Sonnenschreibe an der Brunnenöffnung.

"Warum sitzt du im Brunnen, Junge? Und fluchst schlimmer, als eine ganze Piratenflotte?" Eine unbekannte Stimme hallte zu ihr hinunter.

"Rebellion."

"Rebellion?" fragte der Unbekannt zurück.

"Ist eine lange Geschichte. Wer seid Ihr? Ich kenne Euch nicht."

"Mein Name ist Athos. Ich bin Musketier und suche Signore de las Ferras."

Ein Musketier? Das hatte ihr gerade noch gefehlt.

"Weißt du, wo er ist?"

"Nein, er war nicht geruht, mir hier unten Gesellschaft zu leisten," brüllte Renée bockig zurück.

"Willst du nicht hochkommen?"

"Nein!"

"Nein? Dann noch viel Spaß dort unten. Salute." Es war besser, wenn sie kein Musketier zu Gesicht bekam. Immerhin sollte sie gegen einen von ihnen kämpfen. Bloß, wie es aussah würde sie gar nicht dazu kommen. Bis her hatte sie nicht einmal eine Waffe zu Gesicht bekommen, geschweige denn in der Hand gehalten. Heiße Wut loderte in ihrem Inneren auf.
 

Enrico de las Ferras sah auf seine nassen Füße hinunter. Rasch breitete sich die Wasserlache um den Stuhl herum aus. Wenn er den Fuß bewegte, quietschte das angesammelte Wasser in seinem Schuh. Er bewegte unbehaglich seine durchnässten Zehen.

"Sehrrr schön! Du hast es geschafft. Aberrr du hättest die Schuhe verrrschonen können. Sie wurrrden extrrra angeferrrtigt." Renée sah ihn wütend an. Sie bereute es nicht im Mindesten, ihm den Eimer Wasser über die Füße gekippt zu haben.

"Was kommt als nächstes? Soll ich mit verbundenen Händen die Seine entlang schwimmen? Wann werdet Ihr mir endlich kämpfen beibringen. Ich habe genug davon Euren Diener zu spielen. Wochenlang habt Ihr mich nur als Sklave missbraucht. Ihr hattet doch nie vor, mir das Fechten beizubringen!" De las Ferras betrachtet ihren Ausbruch ungerührt.

"Bist du unzufrrrieden mit meinen Lehrrrmethoden?" Er lächelte sarkastisch, dann nahm unsanft ihre Hand.

"Das sind Hände, mit denen ich etwas anfangen kann. Sie sind nicht mehrrr weich und zerrrbrechlich. Sie haben Horrrnhaut und Kraft." Er packte ihren Arm.

"Das sind Arrrme, mit denen ich etwas anfangen kann. Sie haben Muskeln. Vorrrher hätte dich derrr errrste Windhauch überrr die Strrraße wehen können."

"Ihr habt trotzdem kein Recht, mich so zu behandeln. Ich bin immer noch eine d'Herblay."

"Warrrum glaubst du, lass ich dich durrch die Strraßen rrrennen, warrum musst du Wasserrreimerrr schleppen, warrrum den Hühnerrrn nachjagen? Ich habe für solche Arrbeiten genügend Knechte." Er schüttelte sie.

"Damit du Krrraft, Schnelligkeit, Ausdauerrr und Rrreaktion lerrrnst. Sieh dirrr deine Arrrme an! Das sind Muskeln!"

"Aggh, das sieht ja ecklig aus!" fasziniert und zugleich angewidert beugte Renée ihren Arm und ließ immer wieder die Muskeln vorschnellen.

"Morrrgen wirrrst du einen Degen in deinerrr Hand halten. Die Zeit ist rrreif."

Renée betrachtete immer noch hypnotisiert ihren Oberarm und beugte ihn fortwährend, als sie den Stall ansteuerte.
 

*****

V.

D'Treville zügelte sein Pferd. Wärmend blies er sich seinen heißen Atem in die eisigen Hände. Der kalte Wind fand seinen Weg durch seine Kleidung. Langsam tappte der schwarze Araberhengst durch den niedrigen Torbogen. Sein Reiter musste sich bücken, um unbeschadet auf den Hof zu gelangen. Die Stimme seines Freundes hallte ihm entgegen. De las Ferras Anweisungen schnitten durch die eisige Kälte des Wintermorgens. Sein italienischer Akzent rollte das langgezogene "r" in seinen Befehlen auf und ab.

"Die Beine weiterrr auseinander, damit du sicherrrerrr stehst. Die Schulterrr höherrr. Ich sagte die Schulterrr höherrr. Si, noch höherrr. Und Angrrriff!"

Sein Degen folg seinem Schüler entgegen. Es folgte eine rasche Angriffswelle, die den Jungen viel zu schnell entwaffnete. Enrico de las Ferras unterbrach seine Lehrstunde und begrüßte seinen Freund freudig.

"D'Trrreville, schön dich zu sehen. Du trrrinkst doch einen Schluck Wein mit mirrr? Ich habe einen ausgezeichneten Jahrrgang im Keller. Giselle, wo steckst du? Giselle?" Genervt steuerte de las Ferras in Richtung Küchentrakt. Gleichgültig glitt D'Trevilles Blick zu dem schmächtigen Jungen. Trotz des Schweißes auf seiner Stirn, stand der Junge frierend, seinen Degen schutzsuchend an sich geklammert, auf dem Hof.

"Mademoiselle d'Herblay?" Dem Kapitän quollen die Augäpfel aus den Höhlen. Fassungslos glitt sein Blick von dem geschlechtslosen, in grobe Kleidung gehüllten Körper zu dem spitzen Gesicht.

"Bonjour Kapitän. Seid Ihr zufrieden mit dem, was Euer Freund aus mir gemacht hat?" Sie hob höhnisch eine Augenbraue.

"Nun ja ... für eine Frau hält Euch so schnell keiner mehr und wie ich sehe, seid Ihr eifrig beim Fechtunterricht."

Renée lachte trocken. "Es hat lange genug gedauert." D'Treville überging die letzte Bemerkung.

"Sagt, welchen Namen hat Euch Enrico gegeben? Er wird Euch kaum bei Euren Mädchennamen rufen." Sie zuckte gleichgültig die Schultern.

"Beweg deinen kleinen Hintern oder Avanti. Sucht Euch einen aus!" Signor de las Ferras kehrte zurück. Triumphierend hielt er eine Weinflasche hoch.

"Geh den Stall ausmisten! Los beweg deinen kleinen Hinterrrn!" Ungeduldig wedelte er mit seiner Hand Renée fort.

"Sie hat noch nicht aufgegeben." D'Treville wandte sich nachdenklich an seinen Freund.

"Si, und ich warrr wirrrklich grrrausam. Es brrricht mirr das Herrrz. Seit kaum einen Monat lasse ich sie das errrste Mal in einem rrrichtigen Bett schlafen. Gegen wen willst du sie kämpfen lassen?"

"Ich denke, ich werde sie gegen Athos antreten lassen."

"Athos? Sie wirrrd keine Chance haben. Athos besiegt selbst mich."

"Ja, und nachdem was ich gesehen habe, ist sie sehr schlecht."

"Was verrrlangst du nach nur einem Jahrrr? Kommst du nun mit ins Warrme oderrr willst du einen alten Mann hierrr drrraußen frrrieren lassen?
 

*****

VI.

Stolz betrachtete Enrico de las Ferras sein Sorgenkind. Der immerwährende Schmutz war von Giselle heruntergeschruppt worden. Noch immer glühte die Haut rot, von ihren Bürstenstrichen. Unter den Schmutz war wieder Weiblichkeit hervorgetreten, aber sein Schützling würde sich schon zu behaupten wissen. Das halblange Haar glänzte im satten Goldton in der Sonne. Die blauen Augen strahlten ihn fest und wissend an. Renée war ihm näher ans Herz gewachsen, als gut für ihn war. Ein Teil seiner Zuneigung steckte in den neuen Kleidern, die sie für das bevorstehende Duell trug. Nichts verriet den langgestreckten, schlanken Frauenkörper unter dem teuren dunkelblauen Stoff. Er litt innerlich bei den Gedanken, sie in einen ausweglosen Kampf zu schicken. Gegen Athos konnte sie nicht gewinnen. Dieser war schon ein ausgezeichneter Fechter gewesen, als er vor ein paar Jahren nach Paris kam und hatte seine Kunst inzwischen um ein vielfaches verfeinert. Trotzdem unterließ er es nicht, noch letzte Anweisungen und Hilfestellungen zu geben.

"Denke darrran, was ich dirrr beigebracht haben! Die Beine weit genug auseinanderrr, um einen sicherrren Stand zu haben! Den Arrrm auf Schulterhöhe beim Angriff! Verrrsuche die nächsten Züge deines Gegnerrrs vorrraus zu ahnen!" Mit Sorgenfalten auf der Stirn strich er den blütendweißen Kragen seines Schülers glatt. Er trat abrupt zurück und ließ sie los.

"Nun geh schon!" Vor lauter Rührung bekam sie noch einen väterlichen Klaps auf den Hinterkopf.

Verwirrt stolperte Renée ins Freie. Und Sie hatte immer gedachte, Ekelpaket de las Ferras könne sie nicht leiden. Mit gemischten Gefühlen machte sie sich auf den Weg. Staub wirbelte unter ihren Füßen auf, als sie festen Schrittes in Richtung Louvre steuerte.
 

Vor Renée erstreckte sich der langgezogene Komplex der Königsresidenz. Im Herzen des Louvre lebte die Welt der Höflinge für sich. Adlige, Günstlinge, Heerscharen von Dienern, Zofen und Pagen erfüllten den Palast mit Leben. Noch ahnte niemand, dass der folgende König, getrieben von der Angst vor der Pariser Bevölkerung, das kleine Jagdschloss in Versaille vorziehen würde. Sie näherte sich nun dem Quartier der Musketiere. Leicht schlug ihr der Degen bei jedem Schritt gegen das Bein und erinnerte sie an ihr Duell. Stramm und unbeweglich stand ein Wachsoldat in Musketieruniform am Torbogen zum Innenhof. Das Silberemblem auf seiner Uniform leuchtet in der Mittagssonne. Kein Gesichtsmuskel bewegte sich.

Sie schluckte schwer. Der Kloß in ihrem Hals wollte gar nicht mehr rutschen. Als sie den Hof betrat standen schon mehrere duzend Musketiere stramm aufgereiht und blickten ihr entgegen. Kapitän d'Treville kam auf sie zu. Seine Miene blieb ausdruckslos.

"Dann kann es ja losgehen. Seid Ihr bereit?" Renée nickte schwach als Antwort.

"Ich darf Euch Euren Duellpartner vorstellen. Athos!" D'Treville winkte einen seiner Musketiere aus der undurchdringlichen Männerwand. Ihr Gegenüber war Mitte 20, groß und gutaussehend. Die intelligenten Augen musterten sie. Renée wünschte sich nur noch ganz weit weg. Sie war so weit, wieder in den Brunnenschacht zurück zu klettern. Zeit zur Flucht blieb ihr jedoch nicht. Athos zückte seinen Degen und ging in Kampfstellung. Schon erfolgte der erste Angriff. In letzter Sekunde und mehr instinktiv wich sie seiner Degenspitze aus. Sie versuchte sich nur noch auf den Kampf zu konzentrieren. Renée spannte ihre Körper an und beobachtete jede noch so kleine Regung ihres Kontrahenten, um seine Angriffe voraus ahnen zu können. Athos griff wieder an. Obwohl es offensichtlich war, dass er nur ein Teil seines Könnens in die Angriffe legte, wehrte Renée seinen Degen nur mit Mühe ab. Sie wich seinen Degenstößen mehr aus, als diese zu beantworten oder geschweige denn selbst anzugreifen. Bald rann ihr der Schweiß über die Stirn und der rechte Arm erlahmte. Sie musste sich zwingen ihre Bewegungen kontrollierter und mit weniger Kraftaufwand durchzuführen. Ihr Gegenspieler täuschte einige Finten vor. Seine Bewegungen wurden schneller. Renée drehte sich um ihre eigene Achse, um seine Angriffe mit mehr Schwung zu parieren. Nun trieb Athos sie in die Enge. Unausweichlich schränkte er den Bewegungsspielraum ihrer Waffe ein. Mit einer schnellen Attacke, keilte er ihren Degen fest. Sie hatte nicht mehr genügend Kraft ihn ihrem Arm, um seine Waffe fortzustoßen.

"Eure Degenführung zeigt Signor de las Ferras Hand." Er lächelte. Renée entwirrte ihren Degen mit mehr Glück als Verstand. Ihre Gesichtszüge waren zu angespannt, um zurück zu lächeln.

"Was war das? Auf keinen Fall etwas aus Signor de las Ferras Lehrprogramm."

"Rebellion."

"Rebellion?" Athos Augen wurden groß, ein verschmitztes Jungenlächeln stahl sich auf sein Gesicht.

"Der Junge aus dem Brunnen. So siehst du also bei Tageslicht aus."

Renée erstarrte. Das konnte nicht wahr sein. Diese Art von Humor konnten sich nur die Schicksalsgötter einfallen lassen. Dann flog ihr Degen in hohem Bogen durch die Luft und ließ sie schutzlos zurück, ausreichend an ihr Nichtskönnen erinnert.
 

Athos trat zurückhaltend in den Hintergrund. Renée ging müde auf ihren am Boden liegenden Degen zu. Niemand sagte etwas, während sie ihre Waffe aufhob und mit einem letzten Blick auf d'Trevilles unnahbares Gesicht vom Hof trottete. Deprimiert ließ sie sich am Ufer der Seine nieder und beobachtete das träge dahinfließende Wasser. Kinder spielten unweit der Brücke im Flusswasser.

Ein kühlender Schatten breitet sich über sie aus. Renée hob den Blick zu seinem Eigentümer. Der Mann war Anfang 20, mit einer Statur hoch mal breit und hinsichtlich seiner Uniform, ein Musketier. Ein freundliches Grinsen lag auf seinem gutmütigen Gesicht.

"Das lief ja nicht sehr gut."

"Das ist heute nicht mein Tag," erwiderte Renée murmelnd.

"Vielleicht doch. Ich soll dir vom Kapitän ausrichten, dass du als Musketieranwärter aufgenommen wirst." Erstaunt und fassungslos hob sie den Blick.

"Aber wie? ... ich habe das Duell doch verloren? Ziemlich kläglich sogar."

Der Riese hob die breiten Schultern.

"Wie auch immer. Und ich soll dir sagen, dass du ab jetzt Aramis heißen sollst!" Sein Lächeln wurde eine Spur breiter. "Ich heiße übrigens Porthos. Heute schon was gegessen ...?"
 

Der Kapitän trat an seinen Musketier heran.

"Und?"

"Er ist sehr unerfahren! Seine Degenführung ist unzulänglich! Seine Technik ist lückenhaft! Er hat kaum Kraft!" Athos zählte Renée' s Unzulänglichkeiten an seinen Fingern ab. "Er lässt sich leicht ablenken!" Die Finger seiner linken Hand gingen ihm aus.

"Aber?"

"Aber, er kämpft mit Köpfchen. Er denkt erst, dann handelt er. Er beobachtet seinen Gegner genau. Er ist sehr flink und er kann improvisieren. Ich denke, den Rest kann er noch lernen."

D'Treville nickte zustimmend.

"Ich werde ihn aufnehmen."

"Soll ich ihm bescheid sagen?"

"Nein, ich habe Porthos zu ihm geschickt. Die Dokumente liegen schon beim König."

"Dann wolltet Ihr ihn von Anfang an aufnehmen? Auch wenn er schlecht gekämpft hat?"

"Ja, weil er äußerst willenstark ist, genau weiß, was er will und dafür kämpft. Er kämpft bis an seine Grenzen und noch weiter. Im Gegensatz zum Fechten, kann man das nicht erlernen. Und er hat Enrico de las Ferras besondere Schule überstanden." D'Treville grinste zufrieden. "Außerdem ist er dickköpfig, dass gefällt mir."

"Ja, ich weiß. Ein REBELL!" Jetzt war es an Athos zu grinsen. D'Treville sah ihn fragend an.

"Übrigens wusstet Ihr, dass seit neustem Rebellionen von Brunnenschächten aus geführt werden?"



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Snowchan
2005-04-01T08:11:07+00:00 01.04.2005 10:11
Ähhhm... Nachdem ich das hier endlich gefunden hab, mein Kommentar:
Das ist die erste Story, die ich von dir gelesen hab und ich muss einfach sagen "WOW". Ich hatte irgendwie das Gefühl ein Roman zu lesen. Du hast die kleinsten Details beachtet, was Umgebung und Figuren angeht und deutlich ausgeführ in einfachen Sätzen. Ich bin total begeistert. Ich kann ehrlich sagen, dass diese die beste Fanfic ist, die mir von der schriftlichen Ausführung total gefällt. *ganz doll drück*
Der Inhalt ist wiklich einfallsreich. Ich kann mich Juri nur anschließen, dass die Brunnenszene echt zum kugeln war. Diese Geschichte find ich auch am spannensten, in der Hinsicht, dass man unbedingt wissen wollte, ob sie das als verwöhnte Frau auch alles bewältigen kann und aufgenommen wird. Man kann mehr seine Fantasie benutzen.
Am besten find ich aber die Story, wo sie in die Armee unfreiwillig aufgenommen wird. Sie unterscheidet sich sehr von den anderen. Die hat mich am deutlichsten angesprochen.
*noch mal ganz doll drück*
Von:  Tach
2003-08-15T10:57:26+00:00 15.08.2003 12:57
Hmmm....also ich weiß jetz nich welche mir am besten gefällt.....aber ich denke es is nach wie vor die erste, obwohl die andern beiden auch durchaus ihren Reiz haben ^^. Hach...und ich mag einfach deinen Humor :)
Von: abgemeldet
2003-08-09T09:41:20+00:00 09.08.2003 11:41
Anne, ich ziehe den Hut vor dir, super amüsante story und ich kann mich auch Juri und Tach nur anschließen, was die Szene mit dem Brunnen betrifft :o) Ansonsten fand ich allein deinen Schreibstil wieder toll, besonders was die Aussprache des Fechtlehrers betrifft, hihi...und viel *rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr*
Von:  Tach
2003-08-06T14:51:08+00:00 06.08.2003 16:51
Waaaaaah XD Tuffig :). Nur eins stört mich....warum abgeschlossen?
Ansonsten....ja...Rebellion! Das war das schönste XD
Von: abgemeldet
2003-08-06T12:34:51+00:00 06.08.2003 14:34
Hey, schon zwei Tage on und ich bin immernoch die erste? oO
Da ha ich ja richtig Glück gehabt. :-))
Also ich finde deine Story wieder mal einfach gelungen. Ich fand den Teil so Lustig, wo sie im Brunnen sitzt und Rebbeliert. Einkach Klasse. ^______^
Wann geht es weiter???


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