Love Is International
„Senpai, wach auf!“, forderte eine nervende Stimme neben seinem Ohr und veranlasste En tatsächlich mühsam ein Auge aufzumachen.
„Guten Morgen!“ flötete ein pinkes Etwas, das bei näherer Betrachtung verdächtig nach Ryuu Zaou aussah. Wie der in sein Zimmer gekommen war? Er hatte keine Ahnung, aber es gefiel ihm nicht und das nicht nur, weil der Jüngere so laut herumschrie.
„Sag mir dein Passwort“, forderte Ryuu und En verwarf all seine Pläne wieder einzuschlafen.
„Nein“ entgegnete er, obwohl er ahnte, dass diese Antwort die war, die die meiste Arbeit nach sich zog. Trotzdem, Passwörter verriet man nicht. Höchstens vielleicht Atsushi.
Neben dem Bett schnaubte Ryuu unzufrieden.
„Fein, dann mach deinen Laptop eben selber an. Los, los, los. Beeil dich.“
En holte tief Luft.
„Geh doch nach Hause und benutz deinen eigenen“, schlug er vor und hätte sich sicherlich die Decke über den Kopf gezogen, hätte nicht schon etwas an ihrem anderen Ende gehangen und ihn so davon abgehalten.
„Aber Senpai! Die nächste Bahn fährt erst in einer halben Stunde“, nölte es in sein Ohr und für einen Augenblick fragte er sich, ob er den Anderen versehentlich mit Yumoto verwechselt hatte. Erneut öffnete er die Augen.
Nein, das war eindeutig Ryuu. Ein furchtbar aufgeregter Ryuu.
„Ich bin extra so früh aufgestanden um es abzuholen“, klagte er weiter, „und ich dachte, wir könnten es zusammen spielen.“
„Um 8.24 Uhr morgens?“
Ryuu nickte. „Bitte, Senpai.“
Ein bunt bemaltes Etwas wurde in sein Blickfeld geschoben und entpuppte sich als Pappkarton. Was war das, ein Computerspiel? En musterte die Packung.
„Das kann ich nicht lesen“, behauptete er stur.
Ryuu sah ihn ungläubig an. „Das ist Englisch Senpai. Das hast du in der Schule.“
„Habe ich?“
Erneut nickte der Andere und seine Hoffnung, Ryuu würde verschwinden, wenn er sich einfach nur dumm stellte, erlosch. Ein weiteres Mal ließ er den Blick über den Karton schweifen.
„Magi – The Labyrinth of Magic“, las er unwillig vor, „Klingt wie ein MMORPG.“
„Weil es eines ist. Mein Cousin vierten Grades hat es mir aus den USA geschickt. Das hier erscheint bei uns erst nächsten Monat.“
„Wunderbar, weck mich dann.“
En drehte sich zur Seite, nur um im nächsten Moment an der Schulter gerüttelt zu werden.
„Bitte Senpai.“
„Warum fragst du nicht Io?“
„Weil du näher an der Poststation wohnst.“
En stöhnte. Das konnte doch alles nicht wahr sein.
„Du hättest wenigstens vorher anrufen können“, grummelte er, während er sich genervt aufrichtete.
„Habe ich“, eröffnete Ryuu mit einem Blick auf sein Smartphone, „Sieben Mal. Willst du es sehen?“
„Nein.“
Nur in Unterhose stieg er aus dem Bett um seinen Rechner vom Schreibtisch zu holen und das verdammte Passwort einzugeben. Ryuu würde ja doch erst Ruhe geben,wenn sein Spiel den Speicher seines Laptops belegte.
„Wieso spielst du das überhaupt?“ fragte er, während er auf das Eingabefenster wartete.
„Weil man so amerikanische Mädchen kennenlernt.“ Ryuu strahlte. „Außerdem kann ich mit meinen Verwandten chatten. Die haben sogar eine eigene Gilde auf einem lokalen, amerikanischen Server. Und ich bin das Ehrenmitglied da.“
En seufzte. Warum hatte er noch mal gefragt?
„Weißt du, ich spiele Prinzessin Kousa und ich bin so kurz davor auch endlich einen Dungeon einzunehmen“, plapperte Ryuu weiter, während er die CD ins Laufwerk stopfte. „Wenn du mir hilfst, schaff ich das vielleicht heute noch.“
En spitzte die Ohren.
„Wenn ich dir helfe?“, wiederholte er ungläubig, doch Ryuu nickte schon wieder und starrte mit großen Augen auf den grünen Installationsbalken, der auf seinem Bildschirm erschienen war. Irgendwie wuchs in En das gerade Gefühl, dass er das mit dem Ausschlafen für heute vergessen konnte, das und vermutlich auch seinen Mittagsschlaf.
