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Stars Of Glass

von

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Zulu Echo Romeo Oscar

„Ed!“ Wütend stellte Vida ihren Korb auf dem knarrenden Küchentisch ab. Die Wasserflaschen darin klirrten laut. Sonst war kein Geräusch in der winzigen Wohnung im neunten Stock zu hören. „Ich geh kaputt… Ed!“ Wieder nichts, sie war allein. Draußen waren Sirenen zu hören. „Verdammt...“ Nervös schaute sie auf die Uhr. Bald war Sperrstunde und Vida wusste was es bedeuten würde, wenn sie Ed dann noch draußen auffinden würden. „Ich bring ihn um!“ Wütend und panisch zugleich schnappte sie sich ihren Schlüssel, zog ihre Kapuzenjacke über und ging zur Tür hinaus. Die Treppen nach unten kamen ihr noch länger vor als sonst. Auf halber Strecke kam ihr die fette Madame Cardiola entgegen, schnaufend und prustend. Als sie Vida die Treppe herunterrennen sah, nahm sie jedoch all ihre Luft zusammen und ließ sich es sich nicht nehmen, einen ihrer hässlichen Kommentare loszuwerden. „Dieses Mal kriegen sie euch schmutziges Pack, wart's nur ab!“ „Sparen sie sich den Atem, sie müssen noch ganze zwölf Stufen gehen. Und nur Gott weiß, wann Sie die überwunden haben!“ Das wütende Fluchen der alten Frau überhörte Vida. Sie wusste, dass Madame Cardiola im Grunde einfach nur verbittert und einsam war. Der Krieg hatte nicht nur ihren Mann, sondern auch ihre drei Söhne geholt. Ihr Mann wurde gehängt, zwei ihrer Söhne erschossen. Der Dritte nahm sich das Leben, kam nicht über den Verlust seiner Beine hinweg.

Vida stemmte die knarrende Hintertür des Hochhauses auf, die Vordertür war mit Brettern verbarrikadiert. Hastig rannte sie an den staubigen Autowracks vorbei, von denen die meisten nur noch aus ihrem Grundgerüst bestanden. Sie zog ihre Kapuze über und schlüpfte durch das kleine Loch des Wellblechzaunes, welches gut versteckt hinter einem Stapel kaputter Reifen war. Sie wusste, wo sie suchen musste. Ihre Kapuze zog sie dicht ins Gesicht und eilte zu den verlassenen Lagerhäusern auf der anderen Seite der von Minen gesprengten Straße. Sie musste sehr vorsichtig sein, dass man sie nicht sah. Es gab auf der breiten Straße nur einen kleinen, sicheren Abschnitt, den man gehen konnte. Wenn man ihn verließ musste man damit rechnen jede Sekunde in die Luft gesprengt zu werden. Die Panzer nutzten diese Straße schon lange nicht mehr, jedoch flogen ab und an Wachdrohnen über sie hinweg um Schmuggler und Ausreißer ausfindig zu machen, die oft in dieser Gegend ihr Unwesen trieben.

Die Hintertür des Lagerhauses war einen Spalt breit geöffnet. Es war ungewöhnlich für Ed, die Tür offen zu lassen. Bei all seiner Risikofreude überließ er fast nichts dem Zufall. Leise konnte sie Stimmen von innen vernehmen. Ihr Herz raste. Vorsichtig öffnete sie die Tür, bedacht darauf möglichst keinen Krach zu machen. Gut, dass Es die alten Türscharniere mit einem selbst entwickelten Fett auf Pflanzen und Butter geschmiert hatte, sodass sie nicht mehr quietschten und knarrten. Die Halle war zugestellt mit altem Schrott und es war wie immer muffig und stickig. Um die Ecke sah sie das grelle, blaue Leuchten der vielen Bildschirme, die Ed mühsam zusammengebastelt und aufgestellt hatte. Im Licht bewegten sich zwei Schatten, ein kleiner und ein furchtbar langer. Sie konnte aufgeregtes Gemurmel vernehmen. Vorsichtig schaute sie um die Ecke, ihr langes Schnappmesser gezückt. Ihr kleiner, zwölfjähriger und viel zu kurz geratener Bruder Ed stand vor seinen Bildschirmen, in den Händen hielt ein ganzes Bündel verschiedenster Kabel und Drähte. Besonders glücklich sah er aber nicht aus, er schien sich zu ärgern. Jemand stand vor ihm, den Rücken zu Vida gekehrt. Sie brauchte sein Gesicht nicht zu sehen, der Anblick seiner hässlichen grünen Strickmütze reichte vollkommen aus, um Vidas Laune noch weiter in den Keller zu treiben. Genervt steckte sie ihr Messer weg und kam aus ihrem Versteck hervor. „Hast du nichts besseres zu tun, als meinem Bruder das letzte Geld aus der Tasche zu feilschen, du mieser Gauner?“ „Vida?!“ Erschrocken versteckte Ed die vielen Kabel hinter seinem Rücken. Der Kerl mit der Mütze drehte sich um und zog automatisch eine Pistole aus der Tasche und richtete sie auf sie. Vida verzog keine Miene, sie kannte das bereits. „Schieb keine Panik, ich bin's nur.“ „Sieh mal an, Sexy Vee ist im Haus.“ „Zum hundertsten Mal, gib mir keine bescheuerten Straßennamen. Sonst kommt noch jemand auf die Idee, dass ich so 'nem Pack wie euch angehöre.“ „Arrogante Sch...“ „Rico, nicht vor meinem Bruder. Und jetzt nimm das Ding endlich runter, du triffst ja eh maximal dich selbst.“ Rico zitterte vor Wut, doch tat er, wie Vida es ihm sagte. „Und jetzt sagt mir, was das hier soll.“ „Die miese Ratte will mich über den Tisch ziehen!“ „Von wegen, das ist erstklassige Ware.“ „Das ist der größte Beschiss aller Zeiten!“ „Ed!“ „Ich wollte Kupfer-Kabel, aber der Penner wollte mir Kabel mit Aluminium andrehen.“ „Ja und?“ „A-LU-MI-NI-UM! Das leitet nicht gut, für den Computer brauche ich zwingend Kupfer!“ Rico schnaubte höhnisch. „Hör mal Kleiner, wenn du Kupfer willst gelten ganz andere Preise auf dem Markt. Da fällt neben den herkömmlichen Schwarzmarktkosten auch noch eine Gefahren-Pauschale an. Weißt du eigentlich wie schwer es ist an Kupfer ran zu kommen? Es ist einfacher einer Mutter das Baby von der Brust zu klauen ohne erwischt zu werden!“ „Genug!“ Vida platzte allmählich der Kragen. „Ed, wir gehen jetzt. Und du verschwinde hier, Rico!“ „Sonst was? Sonst rufst du die Unity um mich dingfest zu machen?“ Hämisch leckte sich Rico über die Zähne. Dabei begaffte er sie von oben bis unten, als wäre er ein Löwe der gleich eine Gazelle anfallen würde. „Wie wärs wenn du deinen Bruder nach Hause schickst und ich zeig dir hier noch n' bisschen was von meiner Ware?“ Erhaben lächelnd trat Vida auf ihn zu. „Nein.“ „Ach komm schon, Vee, wir kennen uns schon so lange. Wird Zeit, dass du auch den Rest von mir kennen lernst.“ „Nein, ich meine, dass ich dir nicht die Unity auf den Hals hetze. Aber ich könnte deiner neuen Flamme erzählen, wie du tatsächlich an die Schussverletzung an deinem Bein gekommen bist. Interessiert sie sicher brennend, dass das nicht bei deinem „berühmten Feuergefecht“ mit den Barcelos in der Via Chula passiert ist.“ Sein dreckiges Grinsen wich einer wütend knurrenden Fratze. Ohne ein weiteres Wort stürmte er aus der Lagerhalle. „Das war der...“ Ed verstummte, als seine Schwester ihn wütend ansah. „Vida, ich...“ „Deck das da ab und komm. Wir haben kaum noch Zeit.“ Von der Straße war bereits zum zweiten Mal die Sirene zu hören. Wer beim dritten erklingen draußen erwischt wurde, musste damit rechnen erschossen zu werden.

Schnell schaltete Ed die Bildschirme aus und warf die schmutzigen Tücher über sein Werk. Jetzt war sein geliebter Computer nicht mehr von dem üblichen Schrott zu unterscheiden. Schnell verließ er mit seiner Schwester die Halle, brachte noch das Schloss an der Tür an. Wortlos huschten sie über den heißen Staub der Straße. Die Scherben darauf glitzerten in der heißen Abendsonne. Es sah aus, als würden sie über einen Fluss voll reißender Lava gehen. Bedacht darauf, nicht entdeckt zu werden, kletterten sie durch das Loch im Zaun. Erst als sie sicher die Hintertür zuzogen, konnte Vida aufatmen. „Ed, was denkst du dir nur immer dabei?“ „Aber Vida, es ist was ganz unglaubliches passiert! Ich hab...“ Schnell hielt sie ihrem Bruder den Mund zu. „Nicht hier.“ Sie deutete mit dem Kopf auf den Flur im untersten Stock. Weit hinten im Dunkeln des langen Ganges konnte man eine Tür ins Schloss fallen hören. „Hier haben selbst die Ziegel in den Wänden Ohren. Rauf.“ Das ist so ätzend!“ „Edmondo!“ Er zuckte zusammen. Sie wusste, dass er es hasste, wenn man ihn bei seinem vollen Namen nannte. Aber es zeigte wie immer seine Wirkung. Schweigend machten sie sich auf, die 114 Treppenstufen nach oben zu steigen, in die kleinste Wohnung unterm Dach.

Während des Weges sprach keiner von ihnen auch nur ein einziges Wort. Ed schaute nach unten und trottete beleidigt seiner elf Jahre älteren Schwester hinterher. Vida fiel es schwer so streng mit ihm zu sein, doch sie hatte keine andere Wahl. Zu groß war die Angst, nach ihren Eltern auch noch ihren kleinen Bruder zu verlieren, den einzigen Menschen den sie noch hatte. Natürlich würde sie lieber ihren Bruder draußen spielen lassen ohne Angst haben zu müssen. Doch die unbarmherzige Diktatur von Ebarardo Elizondo, den seine Anhänger liebevoll den „Eisernen Vater“ nannten, machte dies unmöglich. Es gab eine Möglichkeit, den sogenannten 'Grünen Pass“ der es erlaubte, sich auch nach der Sperrstunde frei draußen zu bewegen, doch dieser war so unverschämt teuer, dass sich nur die aller-reichsten Leute aus der Hauptstadt so einen Pass leisten konnte. Ed hatte einmal ausgerechnet, dass Vida über 50 Jahre ihr mageres Krankenschwesterngehalt hätte sparen müssen, um sich auch nur einen einzigen Pass leisten zu können. Ed, das Wunderkind. Vida war wahrlich kein dummer Mensch, aber ihr Bruder war ein Genie. Mit drei Jahren brachte er sich selbst das Lesen bei, mit vier konnte er bereits schreiben. Seinen ersten Computer baute er, da war er gerade acht. Und jetzt, vier Jahre später, war ihr Bruder einer der besten Hacker des gesamten Bezirks, was Vida mehr als nur ängstigte.

In der Wohnung angekommen schloss sie schnell die Tür hinter ihnen beiden zu. Wie immer lauschte sie noch einige Sekunden an der Tür, ob ihr auch niemand gefolgt war. Doch auf dem Flur vor der Wohnung war es still. Wütend und erleichtert ging sie in die Küche. Ihr Bruder war bereits dort, saß schweigend am Küchentisch. Vida war zu aufgewühlt und Ed nun eine Standpauke halten zu können. Sie würde nur etwas sagen, was sie bereuen könnte. Tief durchatmend machte sie sich daran, endlich ihren Korb auf dem Tisch auszuräumen. Schnell räumte sie als erstes die Milchflaschen und die Butter in den Kühlschrank, bevor diese schlecht würden. Ed saß weiterhin schweigend auf seinem Stuhl, schaute beschämt auf den kleinen Tisch. Es war nicht das erste Mal, dass er dort saß und Löcher in das Holz starrte.

„Wie oft noch, Ed?“ Vida hatte sich einigermaßen gefangen. „Wie oft soll ich dir noch sagen, dass es gefährlich da draußen ist? Dass du auf die Uhr schauen sollst? Und vor allem sollst du dich nicht mit solchen Typen wie diesem Rico abgeben!“ „Ich wollte doch nur ein paar Kabel und...“ „Du willst immer 'nur ein paar' irgendwas von ihm. Dann ein Paar Schrauben, ein Gehäuse oder so ein Chip… dingens… Microteil. Irgendwann marsciert Rico mal mit seiner 'Gang' bei dir auf und verlangt was im Gegenzug und was dann? Ich kann dich nicht vor allem beschützen, Ed. Du musst langsam mal lernen, dich wie ein Erwachsener zu verhalten!“ Es tat weh, solche Worte zu einem erst zwölfjährigem Jungen zu sagen zu müssen, aber so sehr sie sich dies auch wünschte, sie konnte die bittere Realität nun mal nicht schön reden. Sie fuhr sich mit den Händen durch ihr kinnlanges rotes Haar. „Was hast du da drüben eigentlich wieder gemacht?“ Ed sah mit funkelnden blauen Augen auf. „Ich habe ein Signal geortet!“ „Was für ein Signal?“ „Es war total deutlich und ich bin mir einhundert Prozent sicher, dass ich es diesmal gefunden habe!“ Vida schlug die Hände vors Gesicht. „Ed, bitte nicht das schon wieder…“ „Es sind die drei Schwestern, ich bin mir da ganz sicher!“ „Das ist doch nur ein… Märchen, Ed.“ Doch ihr Bruder war bereits aufgesprungen und holte das abgegriffene Buch aus dem Regal. Er schlug es direkt auf der richtigen Seite auf, so oft hatte er bereits die Geschichte gelesen. „Vida, ich weiß, dass sie irgendwo da draußen sind! Papa hat das auch geglaubt.“ Zweifelnd schaute Vida auf die vergilbte Buchseite. Sie hatte ihrem Bruder die Geschichte so oft vorgelesen als er noch klein war, dass sie diese bereits auswendig kannte. „'Die Legende der gläsernen Sterne.'“ „Die Geschichte der drei Kristallschwestern, die auf gläsernen Sternschnuppen die Galaxien bereisten und irgendwo abstürzten und nun warten, gerettet zu werden.“ „Ich weiß, Ed. Und du glaubst, es seien drei Kometen aus Glas mit einem Kern aus Diamant, die auf irgendeinem Planeten liegen.“ „Kein Diamant, sondern Kometkristall. Das Zeug ist hundertmal so viel Wert wie ein Diamant.“ „Und eine Milliarde mal seltener, mindestens. Wenn die Erzählungen stimmen, wurden bislang nur zwei Stücke gefunden, nicht größer als eine Träne. Und du glaubst auf irgendeinem Planeten liegen drei Kometen voll davon herum?“ „Weil sie bislang keiner aufspüren konnte.“ „Und du willst mir jetzt sagen, dass du sie geortet hast?“ „Ja, ich habe ein eindeutiges Signal bekommen. Ich habe die Symbole entschlüsselt und meinen Detektor genau auf diese Position ausgerichtet.“ „Was für Symbole?“ „Die Zeichen auf der Zeichnung!“ Vida schüttelte den Kopf während ihr Bruder hastig in dem Buch weiterblätterte. Die Seite die er nun aufschlug zeigte eine wahrlich unwirkliche Gegend. Ein Wasserfall mitten in einer Wüste, der aus dem nicht zu kommen schien. An seinem Fuß lag ein kleiner See, in dem drei Frauen betend im Kreis standen, umgeben von einem leuchtenden Schimmer. Wie Engel sahen sie aus. Am Ufer des Sees lagen Steine mit seltsamen Symbolen. Ed und ihr Vater hatten immer überlegt, was sie wohl bedeuten würden. „Wie genau hast du denn deinen Detektor in Gang bekommen?“ Es wurde still. „Du hast doch nicht etwa wieder...“ „Ich hab ja auch keine Kupferdrähte!“ „Du sollst keine Geräte von Galaxy-Cruisern anzapfen! Das ist sau gefährlich!“ „Es war kein Cruiser, es war irgendein Handelsschiff oder so.“ „Dein „oder so“ könnte sonst was sein.“ „Du musst übrigens was ins Schimpf-Glas werfen.“ „Lenk nicht vom Thema ab, Ed.“ „Sau sagt man nicht.“ „Auf dein Zimmer!“
 

Das Wasser in dem rostigen Kocher blubberte über dem klappernden Herd. Zum Glück hatte Ed einen gesunden Schlaf und konnte derartige Geräusche ignorieren. Es war drei Uhr morgens und Vida zählte geknickt das Geld aus der roten Spardose. Ihre Geldsorgen raubten ihr regelmäßig den Schlaf. Wenn sie ihr Studium hätte beenden dürfen, wäre sie eine richtige Ärztin geworden und sie müsste nicht mit ihrem Bruder in dieser elendigen Gegend Hausen. Sie könnten irgendwo leben, wo es gut geschützte Häuser gäbe und richtig gepflasterte Straßen anstatt Scherben und Landmienen. Doch nach dem Tod ihres Vaters musste Vida Geld verdienen und ihr Studium abbrechen. Anstatt nun also Patienten zu operieren verband sie jeden Tag irgendwelche Gangmitglieder, die sich gegenseitig über den Haufen schossen und sich mit ihre illegalen Pillen und Spritzen sonst was für widerliche Krankheiten holten. Jeden Tag war sie dem Tod ausgesetzt, jeden Tag schuftete sie mehr als nötig. Und nie bekam sie auch nur eine Münze mehr als abgesprochen. Und die Miete für diese Bruchbude war schon wieder gestiegen. Ed arbeitete, anstatt zur Schule zu gehen, morgens auf dem Schrottplatz und sortierte Kleinteile, zusammen mit den anderen Kindern des Viertels. Dabei ließ es ab und an was mitgehen, so hatte er sich zumindest seinen Computer in der Lagerhalle zusammengebaut. Vida konnte es ihm nicht verbieten, auch wenn sie stehlen nicht guthieß. Aber das basteln war die einzige Freude, die er hatte. Die Alternative waren Straßengangs mit Typen wie Rico als Umgang. Das wollte sie auf gar keinen Fall. Irgendwie war sie ja auch stolz auf ihren kleinen Bruder, das Supergenie.

Ein rappeln riss sie aus ihren Gedanken. Schnell packte sie die Geldbox zurück in ihr versteck. Routinemäßig ergriff Vida das Heizungsrohr, welches am Küchenschrank stand und ging zu Tür. Sie war es gewohnt, irgendwelche Bordellbesucher aus den Kellerräumen zu verjagen, die neugierig nach oben schwankten. So lernte sie auch Rico kennen. Doch das klappern kam nicht von der Tür. Es kam aus dem Wohnzimmer. Doch da war keine Tür, die nach draußen führte. Nur der mit Wellblech verkleidete Balkon. Doch das konnte nicht sein. Wer sollte denn über den Balkon kommen. Und wie? Sie waren in der neunten Etage. Hinter ihr hörte sie Schritte. „Was ist das, Vida?“ „Pssst!“ Langsam schlichen sie und ihr Bruder ins Wohnzimmer. „Ist das die Unity?“ fragte Es mit zitternder Stimme. „Nein, ich glaube nicht, die würden die Treppe nehmen.“ „Was ist das dann?“ „Keine Ahnung.“ Mit einem ohrenbetäubenden Krachen flog auf einmal das Wellblech von der Wand. Mehrere Gestalten kamen durch die geöffnete Tür gehuscht. Noch ehe sie wusste, wie ihr geschah, wurde Vida gepackt und jemand hielt ihr die Hände auf dem Rücken zusammen. Sie wollte schreien, doch ihr wurde der Mund zugehalten. Sie hörte, wie ihr Bruder ebenfalls überrumpelt wurde. Was war nur los? Ein Licht ging an, jemand hatte eine Laterne angezündet. Vor ihr standen zwei Männer. Der eine von Ihnen hatte kurzes Braunes Haar, trug schwarze Lederkleidung und ein Kopftuch und war am Hals tätowiert. Er wirkte schmutzig abgekämpft. Erwartungsvoll schaute er den Mann neben sich an. Dieser war ganz anders. Er war groß, trug einen langen blauen Mantel und wirkte irgendwie… erhaben. Sein Blick ruhte erst auf Ed, dann sah er Vida an. Er verlor kein einziges Wort dabei. „Captain?“ „Such es.“ „Aye.“ Der schmutzige Mann huschte an ihnen vorbei in Richtung der Küche und der Schlafzimmer. „Ich werde euch beiden nun einige Fragen stellen. Keiner von euch schreit oder kommt auch nur Ansatzweise auf die Idee nach Hilfe zurufen.“ Er richtete eine Pistole auf die Beiden. „Ist das klar?“ Vida schaute zu ihrem Bruder hinunter, der sie verängstigt und hilfesuchend anschaute. Ruhig nickte sie ihm zu und hoffte, ihm so ein Gefühl von Sicherheit geben zu können. Der 'Captain' gab den Männern, die sie festhielten, ein Zeichen. Sie nahmen die Hände von ihrem Mund, lockerten aber nicht den Griff. „Also, junges Fräulein. Vielleicht wären Sie so gütig mir zu erklären, wie Sie es geschafft haben meine Navigationsgeräte anzuzapfen?“ Vida sah ihn erschrocken an. „Wer sind Sie?“ „Ich stelle hier die Fragen!“ Vida zuckte zusammen. Der große, blonde Mann kam auf Vida zu und beugte sich leicht zur ihr runter. „Ich frage Sie noch einmal“ er schob ihr Kinn nach oben und zwang sie, in seine dunkelgrünen Augen zu schauen. „Wie haben Sie das gemacht?“ „Lass die Finger von meiner Schwester, du langer Dreckskerl!“ „Ed!“ Der Mann sah unbeeindruckt zu ihrem Bruder rüber. „Die kleine Göre ist also Ihr Bruder?“ „Cap? Schau mal was ich gefunden hab!“ Der schmutzige Typ kam wieder rein, mit einem seltsamen Apparat in der Hand. Es sah aus wie ein übergroßes Funkgerät. Vorsichtig gab er es dem großen Mann, der es begutachtend in seinen Händen drehte. „Das ist also das Gerät, mit dem Sie uns geortet haben, junges Fräulein. Ich muss gestehen, ich wusste gar nicht, dass es so was auch in tragbarer Form gibt.“ „Der Penner war in meinem Zimmer!“ Alle Augen waren nun auf Ed gerichtet. Vida atmete schwer. Was nun? Was sollte sie tun? Auch der große Mann schien verwirrt. „Moment… DIR gehört das?“ „Ja das gehört mir! Und wehe du machst es kaputt, ich habe wochenlang daran gearbeitet!“ „Ed, warum um alles in der Welt baust du ein tragbares Ortungsgerät? So kann man dich doch zurückverfolgen, Herrgott noch eins!“ „Der Junge hat das selbst gebaut? Hm… Ich muss gestehen, ich bin… schwer beeindruckt. Wer hat ihm das beigebracht?“ Vida zitterte vor Angst. Nicht ihretwegen, sondern wegen ihres Bruders. Würden sie ihn töten? Oder foltern? Doch Ed, der es gar nicht mochte, wenn man ihn unterschätzte, konnte einfach nicht seine vorlaute Klappe halten. „Keiner hat es mir beigebracht. Ich kann das einfach, ok?“ „Und wofür genau hast du das gebaut?“ „Ed, bitte sag nichts was...“ „Ruhe!“ Der Mann sah ihr tief und bedrohlich in die Augen. „Ich werde damit die drei Schwestern finden!“ „Die drei Schwestern?“ Vida versuchte die Situation zu beschwichtigen. „Es ist ein Kindermärchen, darin geht es...“ „Ich kenne die Geschichte“ unterbrach er sie. „Und was macht sich so sicher, dass du sie finden wirst?“ Langsam ging der Mann vor Ed in die Hocke und sprach, fast schon beruhigend auf ihn ein. Ed sah furchtbar ängstlich aus. „Du musst keine Angst vor mir haben, ich will dir und deiner Schwester nichts tun. Ich möchte nur ein paar Antworten.“ Zweifelnd schaute Ed zu Vida. Diese glaubte zwar selbst nicht daran, aber sprach ihrem Bruder Mut zu, etwas anderes blieb ihr gar nicht übrig. „Alles in Ordnung, Ed. Beantworte einfach seine Fragen, es wird dir nichts passieren... nicht war?“ Standhaft sah sie dem Mann vor ihrem Bruder an. „Nein, wird es nicht“ antwortete er. Ed atmete tief ein. „Auf einer Seite in dem Buch sind komische Symbole.“ „Auf der Seite mit dem Wasserfall?“ „Ja genau. Ich habe sie entschlüsselt und ich glaube, es sind Koordinaten, die auf den Planeten hinweisen, auf dem die drei Schwestern sind. Ich hab die Koordinaten eingegeben und mit meinem Detektor vor mehreren Tagen ein Kometwellen-Signal abgeschossen, dass sich ausschließlich an Objekten orientiert, die festgesetzten Allstaub anhaften haben. Dazu musste ich mich einmalig an ein voll ausgebautes Ortungssystem ankoppeln, in denen Kometwellen abgespeichert sind. Und heute Nachmittag habe ich ein Signal zurückbekommen!“ Zweifelnd sah er Mann ihn an. „Und warum bist du dir so sicher, dass das Signal von den drei Schwestern kommt?“ „Das Signal kommt aus der Omega Zone der Morpheus-Galaxie.“ Die Männer im Raum begannen zu flüstern. Einzig Vida wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Der Mann blieb ruhig. „Es könnte sich um irgendeinen anderen Kometen handeln.“ Ed schüttelte den Kopf und deutete auf das Gerät. Der Mann schaute es sich genauer an und erstarrte. Mit weit aufgerissenen Augen sah er auf den blinkenden Bildschirm. „Was ist los, Cap?“ „Es sind drei Signale.“ Er sprach wie versteinert. „Und sie bewegen sich nicht“ fügte Ed noch hinzu. Fassungslos starrte er auf den kleinen, schwarzen Kasten. In seinen Augen spiegelte sich das blaue Leuchten den Bildschirms. „Wie lange hält dieses Signal?“ „Bis es sich zu weit von der Quelle entfernt.“ „Zu weit bedeutet?“ „Es reicht nicht einmal bis zur nächsten Kolonie.“ „Und wieso nicht?“ Ed trat beschämt von einem Fuß auf dem anderen. „Ich kann mir kein Kupferdraht leisten…“ Im Blick des großen Mannes konnte Vida erkennen, wie er nachdachte.“ „Nun, ich habe rein zufällig Kupferdrähte. Ich würde sie dir auch zur Verfügung stellen, aber...“ Vida bekam ein ungutes Gefühl im Magen. „Wir haben kein Geld und nichts wertvolles.“ Ihr stockte kurz der Atem, als der große Mann sie durchdringend ansah. „Oh, das denke ich nicht., junges Fräulein. Sie haben sogar etwas sehr wertvolles.“ Er nickte mit seinem Kopf zu Ed. „Ihn.“ Für einen Augenblick schien ihr Herz stehen zu bleiben. „Was?“ „Ihr habt ganz richtig gehört. Ihr Bruder ist ein Genie.“ Er hielt das Ortungsgerät hoch, welches noch immer in seiner Hand leuchtete. „So etwas wie das hier habe ich noch nie gesehen. Das Talent ihres Bruders ist außergewöhnlich.“ „Ja, und?“ „Wir nehmen ihn mit.“ „Sie wollen… WAS?“ Die Panik stieg in ihr an. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. „Sie können ihn nicht mitnehmen! Er ist nur ein Junge und Sie sind… Was zur Hölle sind Sie eigentlich?!“ Der Mann sprang auf. „Hab ich vergessen mich vorzustellen?“ Er zog seinen Hut ab und machte eine hämische Verbeugung vor Vida. „Valerion Blair, Captain der Phorcys Rasui und Anführer der gefürchtetsten Freibeuter der...“ „PIRATEN?“ Erstaunt sahen alle zu Vida. Der Mann, der sie festhielt, packte sie noch fester an dem Armen. „Du dummes Miststück wagst es unserem Captain ins Wort zu fallen?“ Der 'Captain' hob die Hand. „Lass nur.“ Dann wandte er sich ab und ging wieder vor Ed in die Hocke. „Was sagst du, Junge? Ich werde dich mitnehmen auf mein Schiff und du wirst mir helfen, die drei Schwestern ausfindig zu machen. Dafür stelle ich dir alles zur Verfügung, was du an Equipment dafür braucht. Kupfer, Chips, Bildschirme und alles, was du dir erträumen kannst. Und ein bisschen Geld bekommst du auch dafür.“ „Bitte, er ist erst zwölf Jahre alt!“ Der schmutzige Mann meldete sich zu Wort. „Als ich aus dem Heim abgehauen bin war ich acht… Nein warte… Das stimmt ja gar nicht… Ich wurde rausgeworfen.“ „Es, lass dich darauf nicht ein. Das sind Piraten, das sind noch schlimmere Menschen als die Gangster da draußen! Denk daran, was Vater gesagt hat!“ Doch Ed starrte nur zu Boden. „Ed?“ Es herrschte absolutes Schweigen. Alle Augen waren auf Ed gerichtet. „Du hast gesagt, dass es Geld gibt, oder?“ Der große Mann sah ihn an. „Ja, das hab ich gesagt.“ „Gut, dann komme ich mit… aber nur, wenn meine Schwester auch mitkommt.“ Der Mann begann laut und höhnisch zu lachen. „Bist du irre, Junge? Das geht auf keinen Fall!“ Ed starrte ihn wütend an. „Und wieso nicht?“ „Sie ist eine Frau! Eine Frau auf einem Schiff bringt nur Unheil. Nein, Junge. DU kommst mit, deine Schwester bleibt hier. Ende des Gesprächs, hol deine Sachen.“ „Nein!“ Vida war stolz auf ihren Bruder, doch zugleich hatte sie Todesangst. „Wie, nein?“ „Ohne Vida gehe ich nicht mit!“ Der Captain zuckte mit den Schultern. „Wie du willst, dann nehmen wir dich einfach mit, was willst du schon groß tun?“ „Gar nichts!“ „Siehst du? Also...“ „Ich werde nicht einen Finger auf deinem Schiff rühren. Kein einziges Gerät bauen und nicht ein einziges Wort über die Schwestern verlieren!“ „Wie bitte?“ Erzürnt ballte der große Mann seine Fäuste. „Du wagst es mich so zu erpressen, du Wurm?“ Er blieb standhaft, aber Ed's Beine zitterten wie verrückt. „Schön, dein Pech. Dann bleibst du eben...“ „Captain!“ Der schmutzige Mann zog ihn auf den Flur. Vida konnte sie deutlich flüstern hören „So eine Chance bekommen wir nie wieder.“ „Aber sie ist eine Frau!“ „Ich weiß, aber…“ Vida und Ed sahen sich zweifelnd an. Der schmutzige Mann kam kurz ins Zimmer zurück. „Sag mal Fräulein, was machst du beruflich?“ Vida antwortete etwas verunsichert, ahnte nichty Gutes dabei. „Ich bin Krankenschwester.“ „Sie hat sogar mal richtig Medizin studiert!“ „Halt die Klappe, Ed!“ „Warum bist du dann keine Ärztin?“ „Musste aufhören. Kein Geld.“ Ohne ein weiteres Wort verschwand er wieder und diskutierte mit seinem Captain. „Krankenschwester mit angefangenem Studium, Cap!“ „Ist mir egal!“ „Wir brauchen...“ Ihr Stimmen wurden leider. Nach einigen Minuten kam der schmutzige Mann, gefolgt von seinem schmollenden Captain, wieder zurück. Sie standen nur schweigend da, bis der schmutzige mann seinem Captain einen Stoß mit dem Ellenbogen verpasste. Genervt sprach dieser nur vier Worte, die Vida's und Ed's Leben auf einen Schlag änderten: „Sie kommt auch mit.“



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