Licht der Dunkelheit
Immer noch sitzt Matt keuchend neben der Klippe. Dann springt Tai zu ihm. Aus seinen Augen traten Tränen.
„Kariii“, schrie er und wollte ihm hinterher.
Matt packte ihn an den Schultern, dass er nicht hinterher sprang. Izzy und Cody eilten ihm zu Hilfe. Davis und die Mädchen waren wie versteinert. Joey hielt sein Handy in der Hand und tippte mit zittriger Hand darauf herum. Und rief letztendlich einen Krankenwagen.
Es brauchte einige Zeit, bis ich mich beruhigt hatte. Das Meer rief so stark wie nie zuvor. Yolei war bei mir geblieben, genauso wie Davis und Joey. Gatomon, Matt und Tai waren sofort zum Strand hinunter gerannt und hatte nach Kari gesucht. Auch wenn es nur vier oder fünf Meter gewesen sind, beim Aufprall ist der Sand so hart wie normaler Boden. Bald kam der Krankenwagen Cody und Izzy hatten ihnen gezeigt wo sie hin mussten. Mimi und Sora saßen währenddessen auf der Bank und konnten nicht mehr. Auch Yolei neben mir, wäre auch in Tränen ausgebrochen, wenn sie es gekonnt hätte. Aber sie blieb stark und unterdrückte die Tränen – und das alles nur, weil sie sah, in welcher Verfassung ich mich befand. Matt und Tai fuhren sofort mit und bis auf Yolei gingen alle hinterher.
Es war bereits eine Stunde vergangen bis auch wir im Krankenhaus ankamen. Ich war immer noch etwas benommen. Auf dem Krankenhausflur blieben wir stehen.
„TAI WAS HAST DU DIR EIGENTLICH DABEI GEDACHT?“, schrie seine Mutter den Jungen an.
Er fixierte etwas und starrte nur den Punkt an.
„DU SOLLST AUF DEINE SCHWESTER AUFPASSEN“, machte sie weiter. „WIE KONNTE DAS NUR PASSIEREN?? WAS HABT IHR DORT GEMACHT??“
Matt, TK und wir standen verdutzt daneben. Wobei ich mich sowieso fragte, was TK noch hier machte, wenn er doch sowieso nicht gut auf sie zu sprechen war. Ihre Eltern hielten von Tai ab, als der Arzt kam und sie beiseite schob.
Grummelnd drehte er sich weg und sah aus dem Fenster.
„ES IST ALLES DEINE SCHULD“, keifte er TK an, „Wärst du nicht gewesen, wäre sie nicht fortgegangen.“
„Was soll das denn? Ich hab nichts gemacht“, rechtfertigte dieser sich.
„DOCH und wie du was gemacht hast.“
„Tai, jetzt lass ihn doch mal in Ruhe“, mischte sich Matt ein.
„Ja, du hältst mal schnell die Klappe“, Tai drängte Matt gegen die Innenwand, „du hast nur ihren Handschuh gehalten.“
„WAS FÄLLT DIR JETZT EIN?? WENIGSTENS BIN ICH NICHT ZU EINER SALZSÄULE ERSTARRT WIE DU!!“, schrie der Blonde zurück.
Der Brünette hielt inne und dann bemerkte er mich, „DU, du weißt doch sicher wie ich an das Meer kommen. Bring mich dort hin oder ich kann für nichts garantieren“, er packte mich grob am Kragen und zog mich zu sich hoch.
„TAI!!“, rief Matt, „jetzt reichts aber!“, er redete nicht lange, sondern zog Tai an der Schulter zu sich und hieb ihn mit der Faust ins Gesicht.
Dieser taumelte und schüttelte den Kopf. Dann sah er sich auf dem Gang um. Durch den Lärm sind ein paar Schwestern angelockt worden. Yolei strich mir das Shirt wieder glatt und giftete Tai mit bösen Blicken an.
„Danke“, murmelte er und hielt sich die rote Wange.
„Wie geht es ihr?“, wollte Yolei wissen.
„Sie liegt im Koma und hat eine Platzwunde am Kopf, der Sand hat sich an mehreren Stellen in den Körper gebohrt und ihr Arm ist gebrochen“, antwortete ihr Matt.
„Kann ich zu ihr?“, fragte sie tonlos auf den Schock.
Die zwei Jungs nickten und wir folgten ihnen in das Zimmer, welches gleich neben unserem Kriegsschauplatz lag. Die Kriegerin des Lichtes lag blass in ihrem Bett, Gatomon saß neben ihr und streichelte behutsam ihre Schulter. Traurig sah sie auf sie herab. Mimi und Sora saßen nebeneinander auf einem Sessel und waren immer noch verweint. Izzy saß vor seinem PC und quälte ihn. Yolei riss schockiert ihre Arme in die Höhe und hielt sie sich vor den Mund.
„Wir haben Cody und Davis nach Hause geschickt“, erklärte Izzy, „Cody wollten wir das nicht antun und Davis hat genervt.“
„Wo ist Joey?“, wollte meine Freundin wissen.
„Er ist bei seinem Bruder. Dieser behandelt Kari.“
„Hast du etwas heraus bekommen?“, wollte Matt von dem Computer-Genie wissen.
„Was heraus bekommen?“
„Die zwei Karis“, murmelte ich, „ihr glaubt, dass sie immer noch am Meer der Dunkelheit ist?“
„Du nicht?“, wollte Tai wissen.
„Wir suchen einen Weg dorthin.“
„Ihr glaubt doch nicht, dass Ken dich dorthin bringen kann?“, wollte die Brillenträgerin wissen.
„Nicht nur mich“, Tai sah ernst in die Runde, „Gatomon, Matt, TK und ihr zwei kommt auch mit.“
„WAS?“, rief TK aus, „ich hab doch nichts getan.“
TKs Ausruf wurde dezent ignoriert. Alle Blicke waren auf mich gerichtet. Ich wusste was sie von mir verlangten. Und der Schmerz kam zurück in meinen Kopf. In mir kämpften zwei Seiten. Die Eine wollte ihr helfen, die andere hatte Angst. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Yolei wäre dagegen, aber anders war es nicht möglich.
„Gut“, murmelte ich, „wir brauchen das Tor“, ich sah zu Izzy und schon meckerte Yolei los.
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Wie in Trance stand ich vor dem Meer. Ich sah es nicht wirklich, ich hörte nur das Rauschen. Es fühlte sich gut an. Allein zu sein.
„Kari, komm zu mir“, säuselte eine weibliche Stimme betörend.
Wie sehr würde ich dem nachgeben und einfach los lassen.
„Dann lass los und komm zu mir“, ertönte erneut die Stimme, „ich kann dir helfen.“
Ein dunkler Griff legte sich um mein Herz und schützte es vor dem Schmerz. Dieser wurde weniger. Es fühle sich leichter an, als wäre alles fort. Langsam schritt ich auf das Meer zu. Das Wasser umspülte meine Beine. Egal wie tief ich hinein ging, es ging mir immer bis kurz über die Knie. Als wäre dort eine Barriere die mich nicht untergehen würde.
„Genau“, lachte die Stimme. „Komm zu mir.“
Je weiter ich hinein ging, desto mehr umfing mich die Dunkelheit und desto weniger konnte ich meine Bewegung kontrollieren. Es war, als wäre ich nur noch eine Zuschauerin, aber es fühlte sich gut an. Der Schmerz war verschwunden.
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„Das ist das Meer der Dunkelheit?“, flüsterte Tai.
„Kari“, rief Gatomon aus und zeigte auf das Wasser.
Das Mädchen war uns zugewandt und blickte mit glasigen Augen dem Ufer entgegen. Erschrocken liefen Matt und Tai los und wollten ins Wasser springen. Kari stand etwa sieben Meter weit im Wasser. Als wäre es nicht tief, doch eigentlich war das Meer tief.
„Stopp“, schrie ich hinterher, „ihr dürft es nicht berühren.“
Erschrocken stoppten sie und drehten sich zu mir um, „was? Wieso?“
„Es stiehlt dir etwas wichtiges, wenn du hinein gehst“, erklärte ich und schloss zu ihnen auf.
„Stiehlt mir etwas wichtiges?“
„Ja, was dir am Herzen liegt“, erklärte ich.
„Was ist dann mit Kari“, wollte Yolei wissen und sah ängstlich zu ihrer Freundin.
„Ich weiß es nicht“, antwortete ich leise.
„Wir müssen ihr doch helfen.“
„Wieso denn?“, schrie TK das kleine Digimon an.
„Genau, wieso denn?“, ertönte eine Stimme.
Wir sahen zum Wasser, hinter Kari tauchte ein Digimon auf. Ihren rechten Arm legte sie über die rechte Schulter des Mädchens und ihren linken schlang sie um deren Hüfte. Ihren Kopf platzierte sie auf der anderen Schulter und grinste verschmitzt.
„Wer bist du?“, schrie Tai.
„Ich? Ich bin Nymphmon“, erklärte es.
Sie war hatte ein mattes blau als Hautfarbe, welche einen leichten schwarzen Stich aufwies. Als Ohren hatte sie so etwas wie Flossen, die ab standen. An ihrer Hüfte begann eine große Schwanzflosse, deren Ende nicht zu sehen war. Sie trug etwas wie einen unscheinbaren Bikini, der nur eine Nuance unterschied zu ihrer Hautfarbe hatte. Lange schwarze Haare umspielten ihren Körper und an ihrer Hüfte hin ein schmaler Gürtel mit einem Messer.
„Was ist mit Kari, was tust du mit ihr?“, knurrte ihr großer Bruder.
„Sie hat endlich auf mein Rufen reagiert und deswegen gehört sie jetzt mir“, sie wandte sich dem Mädchen zu und fuhr mit ihren Lippen über deren Hals, „endlich, dafür habe ich ein Jahr gebraucht.“
„Ein Jahr?“, verwirrt sahen sich die zwei Ältesten an.
„Ja, denn vor einem Jahr konnte ich endlich wieder in ihr Herz“, sie strich mit ihren Händen am Körper von Kari entlang. „Sie war so einsam und fühlte sich so hilflos als ihr Herz gebrochen wurde und sie weiß überhaupt nicht wieso. Sie war traurig und das Licht in ihrem Herzen wurde schwächer, denn das Licht klammerte sich an die Hoffnung und diese Hoffnung verschwand plötzlich“, sie säuselte immer weiter. „Das Einzige was blieb, war die Dunkelheit.“
Alle Blicke richteten sich auf TK
„WAS war vor einem Jahr passiert?“, Tai betonte jedes Wort und kam TK bedrohlich näher.
„Wieso?“, knurrte dieser.
„Sag es uns jetzt einfach“, stimmte Matt mit ein und fixierte seinen Bruder.
„TK“, bat Yolei.
„Ja, sag es ihnen, Kari würde es auch gerne wissen. Die Arme saß doch noch am Tag zuvor mit dir in diesem Café und wartete auf dich“, Nymphmon drückte sich an das Mädchen, als wollte sie ihr Trost spenden, „und dann tauchte dieser Mann auf und flirtete mit ihr, was sie entschieden zurück wies. Und dann plötzlich warst du so. Was war also los.“
Tai lachte hysterisch auf und schnaubte, während er den Kopf schüttelte, „sag mir jetzt nicht, dass DAS der Grund war.“
Große Augen sahen den Kämpfer der Hoffnung an. Auch Gatomon war völlig aus der Bahn geworfen. Sie fand keine Worte. Mir wollte es auch nicht so ganz.
„Was? Wieso?“, brachte TK aber nur hervor.
„TK ist das der Grund?“, wollte sein Bruder wissen.
„Natürlich ist das der Grund“, lachte Nymphmon, „und die kleine Kari wollte ihm nur ihre Liebe gestehen“, sie ließ von Kari ab und riss neben ihr ihre Arme in die Höhe.
In TKs Gesicht war zu erkennen, wie es klick machte und er verstand, was er angerichtet hatte. Mit geweiteten Augen ließ er sich auf den Boden fallen. „Was hab ich getan?“, murmelte er erschrocken.
„Jetzt ist es zu spät“, verwirrt schnellten unsere Augen zu Nymphmon. „Kari gehört mir und wenn sie hier stirbt, stirbt sie auch in eurer Welt“, wie in Zeitlupe zog sie ihr Messer aus der Scheide, „und welcher Tod wäre angebrachter als zu ertrinken“, sie schwamm wieder hinter Kari und zog das Messer quer über ihr Schlüsselbein. Sie löste sich von ihr und brachte Abstand zwischen sich und ihr, dann schien der Boden unter Kari wegzubrechen und sie ging unter.
„KARI“, schrien Tai und Gatomon im Chor.
„Scheiße“, schimpfte TK, zog sich sein Shirt und die Schuhe aus und lief zum Meer.
„Nicht TK“, rief Yolei ihm hinterher.
Ohne Umschweife hechtete er ins Wasser. Erschrocken sah ich ihm nach. Er wird etwas verlieren, genau, wie sie es schon verloren hat, ging es mir durch den Kopf. Dann war TK im dunklen Meer verschwunden. Einzig Nymphmons Lachen war noch zu hören.