Vergessenes Licht
Langsam öffnete ich meine Augen. Mein Kopf schmerzte und auch mein Arm fühlte sich komisch an. Ich hatte den Geruch von Meer in der Nase. Salzig und sandig.
Ich blinzelte mehrmals. Vor mir wollte nichts scharf werden. Ich erkannte nur verschwommene Umrisse, die sich mit der Zeit klärten. Erschrocken riss ich die Augen auf und drückte mich in das Kissen hinter mir. Ich lag in einem Bett oder lehnte halb – die eine Hälfte war etwas schräg. Verwirrt sah ich in die Gesichter vor mir. Neben mir waren ein Mann und eine Frau, welche weinte und mich lächelnd ansah. Rund um das Bett waren auch Jugendliche. Mein Herz pochte schneller und meine Atmung passte sich dem Tempo an. Meine Hände krallte ich ins Bett.
„Oh Kari“, flüsterte die Frau und streckte ihre Hand nach mir aus.
Davon abgeschreckt zuckte ich nach rechts und beobachtete die Hand panisch. Dann kam von links eine Stimme, „Kari, alles in Ordnung.“ Ein Junge mit braunen, zerstrubbelten Haaren.
Ich rutschte in die Mitte des Bettes zurück und beobachtete ihn misstrauisch. Dann drängte sich ein Mann in einem weißen Kittel ans Bett. Auch er streckte eine Hand aus. Ich ging mit dem Kopf nach hinten, dann streiften seine Fingerspitzen mein Kinn und hielten mich damit etwas ruhig. Mit leicht geöffnetem Mund starrte ich sie an. Er zog ein Lämpchen heraus und leuchtete mir in die Augen, dann lehnte er sich auch schon wieder zurück.
„Weißt du wo du bist?“, wollte er sachlich wissen.
Ich schüttelte langsam den Kopf. Ich sah wieder in die Runde. „Wer seid ihr?“, ich begutachtete jeden einzeln.
„Karii“, wieder kamen der Frau Tränen und sie schluchzte los.
Verwirrt legte ich den Kopf schräg.
„Das habe ich mir bereits gedacht“, sagte der im weißen Kittel, „sie hat eine leichte Amnesie.“
„Amnesie?“, wollte ein Mädchen mit rosa Haaren wissen.
„Gedächtnisverlust“, erwiderte ein Junge mit blauen Haaren und Brille.
Gedächtnisverlust? Verwirrt sah ich an das Fußende des Bettes. Dort standen zwei Jungen. Beide blond und irgendwie ähnlich. Der eine war größer und schien erwachsener. Der andere kindlicher und niedergeschlagener, aber trotzdem strahlte er eine Weisheit aus und er hatte etwas, was ich nicht beschreiben konnte. Er hielt ein weißes Plüschtier auf den Armen, mit lila Akzenten und einer Katze gleich. Sie sah süß aus.
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„Kari“, der braunhaarige setzte sich wieder an mein Bett, „ich bin Tai, dein Bruder“, versuchte er es erneut. Nach mehrmaligen Aufsagen war er aufgestanden, im Raum herum gelaufen und hatte sich nun wieder gesetzt, nur um gleich wieder aufzustehen.
Interessiert beobachtete ich ihn dabei. Ich hatte einen Bruder? Das sagte er zumindest immer wieder. Das vorhin waren meine Eltern gewesen und alle anderen hier meine Freunde. Die mit den rosa Haaren hieß Mira und die andere Somi … nein … ich runzelte die Stirn. Die linke hieß Izzy … nein, auch nicht richtig, das war der Junge an dem PC. Mimi und Sora hatten sie gesagt. Die zwei Blonden waren Brüder der kleine war Matt und der große TK. Ich biss mir auf die Unterlippe. Nein, anders rum. Das Tier hatte auch angefangen zu sprechen, nachdem die Erwachsenen weg waren. Es ist Gotamon oder so ähnlich. Es sprach etwas von Partner und Freunden.
„Ich kann mich an keinen erinnern“, murmelte ich und knüllte die Decke zwischen meinen Händen zusammen.
„Kari“, der Braunhaarige seufzte und fuhr sich übers Gesicht.
„Licht“, murmelte ich, „ich habe Licht und Dunkelheit gesehen“, ich sah aus dem Fenster, dann wanderte mein Blick zu … meinem Bruder, „eine Stimme sagte etwas von Kriegerin des Lichts. Wer ist das?“ Ich blickte ihn erwartungsvoll an.
Er fing an zu grinsen, auch die anderen atmeten auf, „das bist du, liebste Schwester“, er setzte sich zu mir, zog ein Bein mit aufs Bett und strich mir über die Wange, „du bist das Licht“, er küsste mich auf die Stirn. Es war unangenehm. Er war so nah.
„Was hat die Stimme noch gesagt?“, wollte das Tier wissen.
„Dass Gatomon auf mich wartet“, murmelte ich, als ich es ansah, „wer ist Gatomon?“
Ein allgemeines Schnauben. Aber das Tier blieb ruhig und lächelte, „das bin ich“, es tippte sich auf die Brust. „Weißt du wer die Stimme war?“
Ich schüttelte den Kopf. Der mir mittlerweile zu zerplatzen drohte.
Auch wenn ich diese Leute nicht kannte, es war ein befreiendes Gefühl so unwissend zu sein. Sie schienen nett zu sein. Aber etwas hielt mich davon ab, mich an sie zu erinnern. Als wäre etwas schlimmes passiert. Mein Blick glitt zu einem Jungen der an Tai heran trat. Er hatte dunkle Haare und hieß Ken.
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Vorsichtig war ich zu ihrem Bruder getreten. Sie sah mitgenommen aus. Aber auch zufrieden.
„Tai“, flüsterte ich ihm ins Ohr, „ich wüsste vielleicht eine Möglichkeit, dass sie sich wieder erinnern könnte.“
Wie vom Blitz getroffen sah er mich an und war sofort auf den Beinen. Er packte mich am Arm und zog mich vom Bett weg, dabei winkte er den anderen zu, dass sie sich um Kari kümmern sollten. TK ging zögerlich zu ihr und setzte sich zu ihr. Er lächelte leicht und ließ immer noch den Kopf hängen. Er konnte immer noch nicht sprechen und sie konnte sich nicht an ihn erinnern.
„Was meinst du?“, riss mich Tai zischend aus den Gedanken.
Matt war zu uns getreten. Auch er sah mich auffordernd an.
„Es scheint, als würde es ihr gefallen, sich an nichts erinnern zu können. Als würde sie sich selbst davor schützen wollen. Das muss ihr Nymphmon eingeredet haben, dass das gut für sie ist“, ich sprach leise und hoffte, dass sie mich nicht unterbrechen würden.
„Was meinst du also sollten wir tun?“, wollte der blonde wissen.
„Nun ja, momentan ist das das Wichtigste bei ihr.“
„Du meinst doch nicht, wir sollen sie wieder ans Meer der Dunkelheit bringen“, Tai packte mich unsanft an beiden Schultern und schüttelte mich leicht.
„Beruhige dich“, Matt legte seinem Freund die Hand auf die Schulter, „vielleicht hat er recht, es ist nichts zu verlieren. Und vielleicht wurde ihr wirklich durch das Meer die Erinnerung genommen. Es war ihr doch immer so wichtig und du sagtest selbst, dass sie sich an weit vergangene Dinge erinnerte“, er machte eine Pause und sah zu seinem Bruder, „vielleicht hilft das auch TK.“
Tai ließ von mir ab und sah ebenfalls zum Bett. Seine Schwester musterte den Blonden neugierig. Sie fragte ihn etwas, doch er ließ nur den Kopf hängen und sah zu Gatomon, diese antwortete für ihn. Es war ein trauriges Bild.
„Hoffnung und Licht“, murmelte der ehemalige Anführer. „Ja, vielleicht hilft es ihm auch“, er seufzte und lächelte seinen Freund müde an. „Versuchen wir es.“