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Mein bester Freund Angie

von

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Eren

Kunst war neben Sport mein Lieblingsunterricht, weil sowieso jeder tat, was er wollte und Frau Ral war die einzige Kunstlehrerin an dieser Schule, die einen Hauch Kreativität in meinen Zeichnungen sah. Ich war mir aber ziemlich sicher, dass sie mich nur nicht kränken wollte, weil ich von vornherein kein Talent hatte. Während Armin und Mikasa um die Wette zeichneten, setzte ich mich nach vorn zu Frau Ral, um ihr ein paar Informationen über Herrn Ackerman zu entlocken. Laut Gerücht verstanden die beiden sich sehr gut, daher nahm ich an, dass sie mir etwas von ihm erzählen konnte.

„Hallo Eren“, begrüßte sie mich freundlich, während sie auf dem Lehrertisch ihre Arbeitsmappen sortierte. „Bist du schon fertig mit deiner Zeichnung?“

„Nein, Armin und Mikasa arbeiten noch an den Ausbesserungen.“ Ich zeigte auf einen Tisch links hinten, wo die beiden mit ihren Smartphones und ein paar Stiften auf der Arbeitsfläche verteilt saßen.

Ich selbst setzte mich nun ganz nach vorn, neben mir ließ ich die Schultasche auf den Boden fallen. Provisorisch kramte ich mein Etui heraus, damit es zumindest den Anschein machte, dass ich arbeiten wollte. Frau Ral fand nun auch endlich ihre Ruhe.

„Puh, ich bin ziemlich geschafft vom Sport gestern früh“, leitete ich das Gespräch gekonnt ein.

„Hat Herr Ackerman euch zu sehr gefordert?“, lächelte sie.

„Na ja“, begann ich.

„Er meint ja immer, dass du eigentlich viel bessere Leistungen erbringen könntest, wenn du dich einmal richtig anstrengst.“

„Was?“ Überrascht blickte ich sie an. „Er redet mit Ihnen über mich?“, fragte ich nun verblüfft und hoffte inständig, dass es stimmte.

„Wir reden beide oft über unsere Schüler“, entgegnete Frau Ral.

Komisch. Herr Ackerman war in meinen Augen noch nie eine redselige Person, aber vielleicht verstand er sich mit der Kunstlehrerin nun besonders gut, Ausnahmen gab es immer wieder.

„Ich wusste gar nicht, dass er so gesprächstüchtig ist“, bemerkte ich.

„Oh doch“, bestätigte mir die Lehrerin mit einem Kopfnicken. „Wenn man einmal ein Thema findet und er sich nicht beobachtet fühlt, kann er loslegen wie ein Wasserfall.“

Ein ohne Ende quasselnder Herr Ackerman? Dieser Anblick war mir wirklich fremd. Doch wenn ich eines seiner liebsten Themen wusste, konnte ich mit ihm vielleicht ein Gespräch beginnen.

Als ob es nur beiläufig wär, fragte ich nun: „Wofür interessiert er sich denn, dass er stundenlang darüber erzählen könnte?“

Meine Lehrerin legte den Kopf schief und schweifte mit dem Blick ab, während sie überlegte.

„Wenn er erstmal seine Tasse Tee vor sich zu stehen hat, kann man eigentlich über alles mit ihm reden. Sport, seine Arbeit, Hygiene … die üblichen Themen.“

„Hygiene?“, hakte ich nach.

Frau Ral musste schmunzeln. „Ja, er regt sich oft über die mangelnde Hygiene der öffentlichen Toiletten auf. Er ist so jemand, der die Türklinken nur mit einem Taschentuch anfasst.“

Plötzlich machte es Klick in meinem Kopf. Dass Herr Ackerman penibel auf Sauberkeit achtete, hätte man von Anfang an merken können. Wie er sich immer mit einem Tuch den Dreck von seinen weißen Turnschuhen wischte. Das Desinfektionsmittel, das in seinem kleinen Büro stand. Außerdem verweilte er nach dem Sportunterricht oft minutenlang in der Turnhalle und putzte die Geräte. Selbst der Hallenwart blieb von den bissigen Kommentaren des Lehrers nie verschont, wenn er mit Straßenschuhen durch das Gebäude lief. Herr Ackerman war ein Sauberkeitsfanatiker wie aus dem Buche.
 

Das Gespräch mit Frau Ral brachte mich heute zu neuen Erkenntnissen, die ich gleich in die Tat umsetzen wollte, da das Objekt meiner Begierde Hofaufsicht hatte. Bevor eine Horde Mädchen den Sportlehrer belagerte, wovor er sowieso meist flüchtete, kam ich allen zuvor und sprintete über den Hof.

„Was gibt es?“, begrüßte er mich mürrisch.

„Ich wollte mich nur entschuldigen, dass ich mich gestern im Sportunterricht so blöd angestellt habe. Eigentlich kann ich die Übungen sogar sehr gut.“

„Das stört mich nicht im Geringsten, schließlich versaust du dir die Note damit, nicht ich.“

Eiskalt durchstach mich sein Blick, wodurch ich zurückschreckte. Ich versuchte seine Aura mit einem Lächeln zu bekämpfen.

„Sie wirken etwas mürrisch“, bemerkte ich kleinlaut. „Soll ich Ihnen vielleicht eine Tasse Tee bringen?“

Er wollte wieder einen scharfen Kommentar abgeben, als ich ihn mürrisch nannte, doch bei dem Wort „Tee“ milderte sich sein Gesichtsausdruck.

„Schau im Lehrerzimmer nach, wenn du wirklich nichts Besseres zu tun hast. Dort steht ein Wasserkocher und den Rest wirst du schon finden.“

„Geht klar“, verabschiedete ich mich und hastete übereifrig in das Schulgebäude, wo ich beinahe mit einer Gruppe Fünftklässler zusammenstieß.

Diese nervigen Kids hatten echt nichts Besseres zu tun, als mir Beleidigungen an den Kopf zu hauen, weil ich manche von ihnen anrempelte. Wäre ich nicht in Eile gewesen, hätten die Biester ordentlich meine Meinung zu hören bekommen. Aber Herr Ackermans Tee besaß höhere Priorität. Am Lehrerzimmer angekommen, klopfte ich behutsam an die Tür, als mir auch schon Herr Smith, der Direktor, öffnete.

„I-ich soll Herrn Ackerman eine Tasse Tee bringen“, stotterte ich leise.

„Ach, Levi und sein Tee“, lachte er beinahe, was mich echt zum Stutzen brachte. Unser Direktor besaß eine sehr kräftige Statur und ein einschüchterndes Wesen, wenngleich er zu den Schülern im Unterricht trotz seiner Strenge wirklich freundlich war. Ihn jedoch lachen zu hören, zerstörte nun endgültig das Bild eines furchteinflößenden Direktors.

„Geht er jetzt wirklich schon so weit, dass er dafür seine Schüler zu uns schickt?“, scherzte Frau Zoe, unsere Biologielehrerin und zugleich Armins Lieblingslehrerin, die mit Genuss ihre Brote verzehrte und den Tisch vollkrümelte, an dem sie saß. Sie war jemand, den man normalerweise einen zerstreuten Professor nannte, wenn man ihren befleckten, weißen Kittel und die unordentlich zusammengebundenen Haare betrachtete. Noch dazu trug sie eine große Brille mit dunklen Rändern auf der Nase, hinter denen sich ihre Augen manchmal gefährlich spiegelten.

Herr Smith zeigte mir den Weg hinüber zum Wasserkocher, dem ich folgte.

„Ich glaube, das Ding kannst du bedienen, oder? Levi mag seinen Tee übrigens mit einem Schluck Milch und stark, aber lass ihn auch nicht zu lange ziehen, sonst hab ich Angst, dass er im Unterricht einpennt.“

Ich nickte. Im Lehrerzimmer benahmen sich die Lehrer wie normale Menschen mit Emotionen, was mir beinahe unbehaglich vorkam. Normalerweise verhielten sich die meisten distanziert, wenn sie unterrichteten. Dass sie sich untereinander gut verstanden, vielleicht sogar befreundet waren, merkte man sonst gar nicht.

Ich wartete, bis das Wasser zu kochen begann, dann goss ich es vorsichtig in eine Tasse, die mir Herr Smith zuvor bereitgestellt hatte. Der Beutel Schwarztee hing schon drin. „3 bis 5 Minuten ziehen lassen“ stand auf dem kleinen Schildchen. Wenn Herr Ackerman seinen Tee stark mochte, wartete ich am besten fünf Minuten.

„Setz dich doch derweil“, bot mir Herr Schulz an und rückte einen Stuhl nach hinten, sodass ich Platz nehmen konnte.

Die Zeit verbrachte ich damit, den anderen Lehrern bei ihren Privatgesprächen und Frau Zoe beim Schmatzen zu lauschen. Anders als vermutet, unterhielten sie sich nicht über ihren Unterricht, sondern über ganz banale Dinge wie das Wetter, Essen oder einfach Fernsehprogramm.

„Solltest du nicht langsam los?“, fragte mich der Direktor.

Hektisch sah ich auf die Uhr und bemerkte, dass die Ziehzeit längst überschritten war.

„Ja, tut mir leid!“

„Kein Thema.“

Ich nahm sofort den Teebeutel aus der Tasse, nachdem ich aufstand und goss einen Schwabs Milch hinein, wie Herr Smith mir noch empfahl, dann balancierte ich den Tee langsam aus dem Lehrerzimmer.

„Bis später“, rief ich noch, achtete aber nicht mehr auf die Verabschiedungen der anderen, während ich durch den Flur nach draußen schlich.

Herr Ackerman saß mittlerweile auf einer freien Bank und wurde von einer Schülerin belästigt. Bevor sie mich mit der Tasse sah, düste sie zum Glück ab. Lächelnd überreichte ich dem Sportlehrer den Tee. Er bedankte sich knapp und nippte an der heißen Tasse. Mit leicht verzogenem Gesicht murmelte er leise: „Bitter.“

Ich seufzte tief, ließ mich dann neben ihm auf der Bank nieder.

„Schmeckt er nicht?“, fragte ich zögernd.

„Doch, ist okay“, antwortete er flüchtig.

Ich war mir nicht sicher, ob es stimmte, denn er behielt seinen grimmigen Blick, während er trank. Das war nicht das richtige Gesprächsambiente, wie Frau Ral es mir geschildert hatte. Zu allem Übel klingelte es auch schon zum Unterricht. Leise wollte ich fluchen, wäre Herr Ackerman nicht in der Nähe gewesen.

„Du kannst ruhig reingehen“, erinnerte er mich, während er bereits aufstand, ich aber noch auf der Bank hockte.

„Ja, tu ich schon.“

Schnell sprang ich auf, wartete aber noch, wie er vor mir den Hof verließ und zur Turnhalle ging. Seufzend betrachtete ich seine Rückenansicht. Mein nächster Annäherungsversuch musste subtiler geplant werden, außerdem durfte ich nicht nochmal die erste Hofpause wählen, die war viel zu kurz. Den ganzen Nachmittag über grübelte ich noch, ob ihm der Tee wirklich geschmeckt hatte.



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