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Der Skorpion

von

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Kapitel 18

Die heisse Sommersonne brannte auf meiner nackten Haut und durch meine zerrissene Jeans hindurch. Meine weisse Bluse hatte ich ausgezogen und mit einer Hand über die linke Schulter geworfen, den Rucksack trug ich auf der anderen. Doch nicht aufgrund der Hitze hatte ich entschlossen auf die Bluse zu verzichten, sondern weil sie nicht mehr tragbar war. Eine zerrissene Jeans, na gut, aber eine blutgetränkte weisse Bluse? Das hätte nur für noch mehr Aufregung gesorgt. Alleine meine Anwesenheit schien die Leute um mich herum so sehr ins Chaos zu stürzen und liess sie einer Nervosität verfallen, die schon beinahe nicht mehr gesund war. Besonders brachten sich doch immer wieder Männer in peinliche Situationen, wurden sie von ihren Frauen dabei erwischt wie sie mir hinterher gafften. Heute ging besonders viel Getuschel in der Stadt um, in der ich mich für einige Tage niederlassen wollte. Das nunmehr vertraute summende Geräusch von Menschen, die sich die Münder über mich zerrissen, war ich mir bereits gewohnt, doch das hier schien mir doch ein neues Ausmass an summenden, flüsternden Stimmen zu sein. Beinahe kam ich mir vor, als stünde ich in einem Bienennest. Die Bandage um meine Taille musste der Auslöser dieses Aufschreis sein, dachte ich mir. Denn bisher hatte mich beinahe niemand mit einer Verletzung gesehen. Naja, Law war da eine riesen grosse Ausnahme, denn er hatte bisher beinahe alle meine Verletzungen behandelt.

Doch auch ihn hatte ich seit nunmehr zweieinhalb Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen. Oder war es umgekehrt? Immerhin hatte ich damals das U-Boot verlassen, um Ace‘ Grab aufzusuchen und dann kurzerhand beschlossen mich Sabo anzuschliessen, anstatt wie eigentlich versprochen zu Law und Viktoria zurückzukehren. Viktoria war bestimmt ausser sich gewesen vor Wut. Ich lächelte. Es tat mir schon leid, dass ich einfach so untergetaucht war, doch es war das Beste für alle Beteiligten, dachte ich mir.

Die Hitze strahlte förmlich von der gepflasterten Strasse unter meinen Füssen ab und hinterliess ein Gefühl, wie in einer Bratpfanne zu stehen. Im Grossen und Ganzen genoss ich diese wunderbare Wärme, denn immerhin war ich dank meiner Teufelskraft ein Feuerdrache geworden.

Schlendernd bahnte ich mir meinen Weg durch die Menschenmengen der Einkaufsstrasse, an deren Ende ich ein Hotel vermutete, wie das bei vielen meiner Reisen bisher der Fall gewesen war. Durch das Schwarz meiner Sonnenbrille entdeckte ich ein Kleidergeschäft, welches an einem Kleiderständer vor dem Laden etliche Blusen im Angebot hatte. Bei näherem Hinschauen fiel mir auf, dass es beinahe dieselben waren, wie jene Ruinierte, die ich bei mir trug. Schnell nahm ich mir eine weisse davon, riss das Preisschild ab, zog sie an und drückte der Verkäuferin genügend Geld in die Hand. Meine zerstörte Bluse liess ich ihr da. Die brauchte ich nicht mehr.

Meine Schritte führten mich geradewegs zu einem grossen Hotelkomplex auf der Anhöhe der Stadt. Die Aussicht aus den oberen Suiten musste herrlich sein, dachte ich, als ich meinen Blick über das riesige Gebäude schweifen liess. Die goldenen Flügeltüren zur Eingangshalle wurden mir von zwei Portiers geöffnet und ich trat in eine solch vornehme spiegelgoldene Eingangshalle, dass es sogar mir beinahe den Atem raubte. Der Boden war so auf Hochglanz poliert worden, dass sich wohl jede Frau mit einem kurzen Röckchen vor lüsternen Blicken vorsehen musste. Der Empfang alleine bestand aus einem riesigen Spiegeltresen, an dem fünf bis sechs Leute gleichzeitig arbeiteten. Ich trat an den Empfang und erkannte die Tresenplatte als pursten weissen Marmor. In meinem Staunen gefangen hatte ich nicht einmal bemerkt, wie sämtliche Gespräche mit meinem Erscheinen in der Eingangshalle mit einem Mal erstorben waren. Die einzige, die einen kühlen Kopf zu bewahren schien, obwohl ich ihren viel zu schnellen Herzschlag in der drückenden Stille der Halle nur überdeutlich hören konnte, war das Empfangsmädchen, welches mir gegenüber stand.

„Wie viele Nächte, Miss?“, fragte sie ruhig wobei ihr Herz einen Schlag aussetzte, als ich meine Son-nenbrille langsam abnahm und ihr direkt in die Augen sah.

„Wie lange dauert es, bis sich der Logpose gesetzt hat?“, fragte ich freundlich und ein schiefes Lächeln formte sich auf meinen Lippen.

Das Mädchen schluckte kurz und blinzelte: „Drei Tage, Miss“.

„Dann also vier Nächte“, sagte ich und sah ihr unentwegt in die Augen.

Schnell begann sie in ein Buch zu kritzeln und liess mich schliesslich unterschreiben.

„Das ist die Schlüsselkarte zu Ihrer Suite, Miss“, erklärte sie und hielt mir eine goldene Karte entgegen. Dann winkte sie einen Jungen von knapp vierzehn Jahren zu sich. Er trug eine Pagenuniform und der Hut dazu sah absolut lächerlich aus.

„Das hier ist Thomas. Er wird sich in den nächsten Tagen ausschliesslich um Ihre Belange kümmern, Miss“, erklärte sie weiter und allmählich klang sie für mich wie ein Roboter, was mich amüsierte. Ihre Nervosität war deutlich daraus heraus zu hören. Ich nahm ihr die Karte ab, wobei ich es nicht versäumte ihre Hand ganz unvorbereitet zu berühren, was sie vor Schreck zusammenzucken liess und ein schüchternes und gänzlich überflüssiges „Entschuldigung“, aus ihr heraus kitzelte. Dann wandte ich mich Thomas zu, der seine Nervosität offenbar nicht annähernd zu verstecken schien, wie seine Kollegin es versuchte.

„D-Darf ich Euch Euer G-Gepäck abn-nehmen, Miss?“, fragte er stotternd und kassierte dafür einen strafenden Blick einer seiner Kolleginnen am Empfang. Er tat mir beinahe Leid, wie er da so mit sich rang. Nicht nur seines Namens wegen erinnerte er mich stark an unseren Küchenjungen in der Baratie. Also gab ich ihm meinen Rucksack und liess mich von ihm zu meinem Fahrstuhl führen. Die Suiten in diesem Hotel besassen allesamt einen eigenen. Nervös drückte Thomas die Knöpfe des Fahrstuhls und setzte ihn somit in Gang. Wir schwiegen beide, bis wir die Suite erreicht hatten, welche nur mit der Schlüsselkarte geöffnet werden konnte, von welcher Thomas offenbar eine Kopie besass.

„D-Dies ist Eure S-Suite, Miss“, sagte er und liess mich voran eintreten. Schnell huschte er hinter mir durch die Türe und stellte meinen Rucksack auf den Wohnzimmertisch.

„Nicht dahin“, wies ich ihn an und er erstarrte in seiner Bewegung. Dann wandte ich mich dem schweissgebadeten Pagen zu, der meinen Rucksack in seinen zittrigen Händen hielt.

Freundlich lächelnd nahm ich ihm den Rucksack ab und liess ihn zu Boden fallen.

„Der ist doch völlig schmutzig. Damit sollten wir doch den wunderschönen Tisch nicht unnötig ver-schmutzen, nicht wahr?“, sagte ich und sah, wie Thomas sich ein wenig entspannte. Eifrig nickte er und räumte den Rucksack schnurstracks in eine Ecke, wo er nicht einfach mitten im Raum rumstand.

„K-Kann ich noch etwas für Euch tun, Miss?“, fragte er und wartete.

„Du könntest mir Verbandszeug bringen, etwas zum Desinfizieren und Nadel und Faden“, sagte ich neutral und die restliche Farbe aus Thomas‘ Gesicht wich augenblicklich. Dann lächelte ich ihn sanft an: „Keine Sorge. Ich muss nur eine Wunde an mir selbst verarzten“.

„Soll ich Euch einen Arzt holen, Miss?“, fragte er und ein besorgter Tonfall schwang in seinen Worten mit. Ich lachte nur kurz: „Das wird nicht nötig sein. Das kann ich schon alleine“. Immerhin hatte ich genug Zeit an Bord von Laws Schiff verbracht.

Thomas empfahl sich und gerade als er zur Türe hinaus wollte hielt er inne, denn ich rief ihm nach: „Und nimm diese bescheuerte Mütze ab! Das sieht lächerlich aus!“. Sein kindliches Gesicht wurde mit einem Mal komplett rot und er riss sich schnell die Mütze vom Kopf. Lächelnd nickte ich und er verschwand hastig durch die Türe.

In der Zwischenzeit zog ich die Bluse aus, warf sie unachtsam auf den Boden und ging ins Bad um die Bandage vorsichtig zu lösen. Auf meiner Jagd nach Teach war ich einem seiner Handlanger begegnet: Burgess. Dass Piraten unfair kämpften war mir durchaus bewusst, doch so unfair wie die Marine? Einer seiner Untergebenen hatte sich mit einem Mal eingemischt und mich knapp mit seinem Schwert erwischt. Zwar war ich aus dem Weg gesprungen, was den Schnitt nicht allzu tief hatte werden lassen. Ich löste die letzte Lage der Bandage und zischte. Die Wunde war nicht allzu schlimm, doch sie verlief direkt durch den unteren Teil meines Tattoos, was mich aufregte. Mit einem kalten, nassen Waschlappen tupfte ich die Wunde ab und entfernte die Blutrückstände, um den Schnitt richtig untersuchen zu können. Das kalte Wasser war schmerzhaft und wohltuend zugleich. Dann klopfte es an der Türe und keine fünf Sekunden später hörte ich Thomas: „Miss?“, fragte er laut.

„Im Bad! Komm her Kleiner!“, rief ich zurück und kaum hatte ich ausgesprochen stand er auch schon im Türrahmen. Sein Gesicht aschfahl. Seine Augen huschten hastig zwischen meinem Gesicht, der Wunde und dem blutigen Waschlappen hin und her.

„Na komm schon her“, drängte ich lächelnd und bedeutete ihm die Sachen auf eine kleine Anrichte im Bad zu stellen. Dann wusch ich mir die Hände, nahm das Desinfektionsmittel von der Anrichte und desinfizierte sie damit. Anschliessend nahm ich einen sauberen Lappen, tränkte diesen in dieser schmerzhaften Flüssigkeit und tupfte damit nochmals meine Wunde ab. Die Zähne zusammengebissen zischte ich jedes Mal, wenn das Mittel langsam in die Wunde sickerte.

„Miss? Darf ich helfen?“, fragte Thomas kleinlaut und schüchtern und ich wandte den Kopf. Ich hatte beinahe vergessen, dass er noch neben mir stand. Bevor ich etwas sagen konnte tat er es mir nach und wusch und desinfizierte sich seine kleinen Hände. Dann nahm er mir schweigend aber mit einem schüchternen Blick sachte den Lappen aus der Hand.

„Haltet still, Miss. Wenn Ihr das selbst macht und Euch bewegt, geht die Wunde immer wieder auf“, erklärte er, was mir selbst natürlich auch bewusst war. Aber ich hatte doch nicht einen kleinen Jungen darum bitten können mir dabei zu helfen.

Der Kleine tupfte die Wunde ab, während ich mich versuchte ruhig zu verhalten. Als er fertig war, die Wunde zu reinigen sah er mich an. In seinen hellbraunen Augen spiegelten sich 1000 Fragen und ich begriff. Der Kleine lernte zwar schnell, hatte aber noch nie zuvor jemanden verarztet. Er kopierte nur.

„Hör zu“, begann ich und besah mir kurz die Wunde im Spiegel. Sie war nicht tief. Er hatte mich also doch nur mit dem Schwert gestreift.

„Die Wunde ist nicht tief. Also müssen wir sie nicht nähen. In dem Köfferchen, das du gebracht hast, sollte eine Art Klebeband sein“, erklärte ich und Thomas begann darin herum zu wühlen bis er es fand.

„Gut. Jetzt reisst du es in dünne Streifen und klebst sie mir quer über die Wunde, als ob du sie zunähen würdest“, erklärte ich weiter und der Kleine tat wie geheissen. Zum Schluss verbanden wir das Ganze wieder ordentlich und wuschen uns nochmals die Hände.

„Ich danke dir Kleiner. Du würdest bestimmt einen guten Arzt abgeben“, lächelte ich und wuschelte ihm anerkennend durch sein haselnussbraunes unordentliches Haar.

„Wirklich?“, fragte er verblüfft und seine kindlichen Wangen färbten sich rot.

„Du brauchst nur fleissig zu lernen“, sagte ich worauf hin er eifrig nickte. Dann räumte er das Bade-zimmer auf, während ich mich im Wohnzimmer aufs Sofa legte und mich von den Strapazen des heutigen Tages erholte. Dieser Burgess würde mir das noch büssen.
 

... Ich blinzelte. Die stählerne Decke verriet mir sogleich wo ich war. Ein gleichmässiges Piepen neben mir, welches von einem Kasten auszugehen schien, der wohl meine Herzfunktion überwachte drang an meine Ohren. Langsam wandte ich meinen Kopf. Niemand schien hier zu sein. Dieses Krankenzimmer war mir nur allzu vertraut und genau dieses Gefühl erdrückte mich. Ich überlegte kurz. Wie war ich hier her gekommen? Ace... Wo war Ace...? Wo waren Viktoria und Marco? Warum war ich alleine hier? Zu schnell setzte ich mich auf, entfernte mit einem Ruck die Infusion an meinem Arm und die Elektroden, die meine Herzaktivität massen. Mir war schwindlig, doch es war mir egal. Meine Brust war vollkommen einbandagiert und abgesehen von kurzen Pyjamahosen, dem widerlichen Blumenmuster nach zu urteilen definitiv von den Kujas, trug ich nichts. Waren wir etwa auf Amazon Lily? Nein das war nicht möglich... Ace... Wo war Ace...?

Die Füsse auf dem kalten Boden aufgesetzt taumelte ich etwas, doch ich hielt mich auf den Füssen. Schwarze Punkte schwirrten mir vor den Augen herum, doch es war mir egal. So schnell es mir mein Körper erlaubte ging ich hinaus auf den Flur. Es war dunkel und still. Mit Ausnahme des gelegentli-chen Knarrens des Stahls, wenn sich das U-Boot in den Wellen bewegte war nichts zu hören ausser dem ununterbrochenen piiiiieeep der Maschine, die mein Herz überwachen sollte und nun nichts mehr zu messen hatte. Der Wand entlang stützte ich mich ständig keuchend ab, um nicht vornüber zu fallen und erreichte schliesslich den OP. Meine Brust schmerzte unerträglich, doch der Drang Ace zu finden trieb mich immer weiter an. Ich stemmte mich mit meinem ganzen Körper gegen die schwere Flügeltüre und hörte das unaufhörliche piep piep piep desselben Gerätes wie in meinem Zimmer vorhin. Als ich näher trat erkannte ich zwei Personen auf den Tragen liegen. Monkey D. Luffy, Ace‘ kleiner Bruder und Jimbei. Doch wo war Ace...? Ich keuchte. Mein Körper war schweissnass von der Anstrengung mich nur auf den Beinen zu halten. Ein Rauschen erfüllte meine Ohren.

„Ace...“, keuchte ich und hustete. Der Geschmack von Blut breitete sich in meinem Mund aus und das Atmen fiel mir noch schwerer als vorhin. Meine Knie gaben nach und ich fiel auf den kalten Boden des OPs. Mit letzter Kraft drehte ich mich noch auf den Rücken und sah Law verschwommen durch die OP Türen stürmen. Dann eine blaue Sphäre und endlose Nacht umgab mich...
 


 

Ich schnappte nach Luft und setzte mich auf. Mein Körper tropfte von kaltem Schweiss und meine Augen waren weit aufgerissen. Schock stand mir ins Gesicht geschrieben und mein Herz raste.

Das Zimmer war vollkommen still. Die einzigen Geräusche waren meine heftige Atmung und mein viel zu schnell pochendes Herz. Die schweren Vorhänge zum Balkon der Suite waren zugezogen und ein Glas Wasser stand neben mir auf dem kleinen Beistelltisch. Ich setzte mich richtig hin und trank einen Schluck. Diese Momente... Die Momente des Aufwachens gleich nach dem Krieg... sie verfolgten mich immer noch... Ich stand auf und ging ins Bad, wo ich mir kaltes Wasser ins Gesicht warf. Ein Blick in den Spiegel bestätigte mir eine furchtbare Wahrheit: Ace war und ist auch nach seinem Tod meine grösste Schwachstelle.

Warum sonst hatte ich mich dem Ziel verschrieben seinen Tod zu rächen?

Ich trat hinaus ins Wohnzimmer, zog die Vorhänge zurück und öffnete die Türe zum Balkon. Das helle Licht des Vollmondes flutete das gesamte Zimmer und die frische Nachtluft erlaubte meinem Kopf wieder ein klein wenig Klarheit zu erlangen. Der Schweiss auf meinen Armen glänzte wie hundert Diamanten und liess mich beim ersten Windhauch erschaudern.

Ich atmete nochmals tief durch und ging dann zurück ins Zimmer, wo ich die Türen wieder schloss, mich endlich meiner zerrissenen Jeans entledigte und mich ins Bett des riesigen Schlafzimmers warf. Lange lag ich wach und dachte nach.
 

... „Beruhige dich bitte Jess! Dein Puls ist viel zu hoch! Sonst muss ich dir Beruhigungsmittel geben!“, schrie Law, während er mich an den Schultern packte und mich zwang nicht mehr weiter um mich zu schlagen.

„Wo ist Ace?! Sag es mir!“, schrie und schluchzte ich. Ich konnte kaum etwas erkennen, so sehr ver-sperrten mir die Tränen die Sicht.

„Er ist nicht hier, Jess“ – „Wo ist er dann? Du hast versprochen ihn da rauszuholen!“

Law sah zur Seite weg und senkte den Kopf.

„Du hast ihn NICHT da rausgeholt!! Du hast dein Versprechen gebrochen! Wahrscheinlich haben sie ihn wieder verhaftet! Nur deinetwegen!!“, schrie ich in meiner Verzweiflung und schlug wieder um mich, um mich von Laws Griff frei zu ringen.

„Hör auf Jess! Deine Wunde öffnet sich sonst wieder!!“

„Ist mir egal! Wo ist Ace?! Aaaceeee!“

Law hielt mich noch fester. Seine Hände vergruben sich schmerzhaft in meinen Oberarmen, als er mich einmal schüttelte, damit ich ihm direkt in die Augen sah.

„Ace ist tot, Jess! Ace kommt nicht wieder!“, schrie er und eine Träne entwischten seinen Augen.

Augenblicklich liess ich meine Arme wie betäubt fallen und starrte Law ungläubig in die Augen. Für einen Moment bewegte ich mich nicht, was Law dazu bewegte mich langsam los zu lassen.

Allmählich begannen sich Bilder in mein Bewusstsein zu drängen. Bilder von Ace, der vor Luffy kniete, blutüberströmt, Ace‘ Lächeln bei seinen letzten Worten, Ace im Staub des Schlachtfeldes liegend und sich nicht rührend. War das alles wirklich geschehen? War Ace... Nein... ich hatte ihm das Armband gegeben... Ich... hatte ihn nicht retten können...? In mir war alles mit einem Mal leer. Ich spürte nichts, als Leere und Dunkelheit. Als hätte sich ein dunkler Schleier um mich herum zu gezogen und drohte mich zu ersticken. Mein Körper bebte. War ich... alleine...?

„Jess... verdammt...“, hörte ich Law schwach durch den Nebel hindurch und fand mich in einem flauschigen Bett wieder. Die Augen hielt ich geschlossen und atmete ruhig. Der Duft der Bettdecke war mir vertraut und beruhigte mich.

„Lass sie doch... Sie braucht Zeit...“, flüsterte jemand neben mir.

„Na gut. Pass auf sie auf, in Ordnung?“, flüsterte jemand zurück. Ich erkannte die Stimmen nicht gleich und es war mir egal. Eine sanfte Hand legte sich wie ein Lufthauch auf meine Stirn und strich mir langsam und bedächtig darüber und über die Haare. Es fühlte sich angenehm an und liebevoll. Ich stellte mir vor, dass es sich so anfühlen musste, wenn eine Mutter ihr Kind beruhigte und versucht es zum Schlafen zu bewegen. Meine Sorgen wurden weggestrichen. Meine Ängste fielen von mir ab. Als würde mir die Person neben mir damit sagen wollen „Es wird alles wieder gut, Jess“.
 

Viktorias Pov
 

„Was ist geschehen?!“, platzte es aus Viktoria heraus und sie sprang augenblicklich aus ihrem Kran-kenbett.

„Leg dich wieder hin, Viktoria. Deine Wunden sind noch nicht ganz verheilt“, ermahnte sie Law, während er eine bewusstlose Jess in ihr Krankenbett zurück legte.

Viktoria ignorierte Law und trat an seine Seite. Sie sah besorgt auf ihre Schwester hinunter.

Law seufzte: „Ich habe ihr gesagt, dass Ace tot ist...“, gab er zu und Viktoria schnellte herum, was sie schmerzlich an die Schusswunde in ihrer rechten Schulter erinnerte.

„Du hast WAS?!“, schrie sie ausser sich. Law setzte gerade eine Spritze an Jess‘ Arm an.

„Ich hatte keine andere Wahl... Sie stand da, hat nicht aufgehört um sich zu schlagen und nach Ace zu rufen. Verdammt nochmal... Was hätte ich denn tun sollen bitteschön?!“, rief er und warf die Spritze wütend auf den Nebentisch.

„Hast du eine Ahnung was du psychisch bei ihr angerichtet hast?! Sie wird nie wieder die alte sein!“

„Nach all dem was sie in Marineford gesehen hat, hast du erwartet, dass sie als unsere alte Jess zurückkommt?! Kriege verändern Menschen. Und ihr Ace‘ Tod zu verschweigen wäre ein noch grösserer Fehler, als ihr die Wahrheit aufzuzwingen, wie ich es gerade getan habe...“.

Viktoria schwieg. Law hatte Recht. Jess in einem Irrglauben zulassen bis es ihr besser ging, nur um sie dann in eine Depression zu stürzen, indem man ihr diese wunderbare Lüge entreisst wäre ein riesiger Fehler...

„Dann lass sie aber fürs Erste in deinem Bett schlafen...“, sagte Viktoria leise und sah Law direkt an.

„In meinem Bett? Was sollte das bringen?“, fragte er verblüfft.

„Das wird sie fürs Erste beruhigen, denke ich. Vertrau mir...“.

Law willigte ein. Einen Versuch war es wert...
 

Jess‘ Pov
 

Die ersten Sonnenstrahlen drangen durch mein Fenster ins Schlafzimmer und liessen mich verschlafen blinzeln. Ich hatte mich genauso in die Bettdecken eingekuschelt, wie damals, als Viktoria mich versucht hatte zu beruhigen. Das tat ich seither ständig, wenn ich in einem richtigen Bett schlief. Es fühlte sich so sicher an. Gähnend schlüpfte ich unter der weichen Bettdecke hervor, setzte sanft einen Fuss auf dem flauschigen Schlafzimmerteppich auf und schlich müde ins Bad. Dort blieb ich eine ganze Weile unter der heissen Dusche stehen, um mir über meine Erinnerungen klar zu werden.
 

... Das Streicheln hatte aufgehört. Ich öffnete die Augen. Neben dem Bett sass Viktoria auf einem Stuhl, ihren Oberkörper und ihre Arme aufs Bett gelegt, und schlief ruhig. Sie musste es gewesen sein, die mir über den Kopf gestrichen hatte, bis ich eingeschlafen war. Sanft legte ich eine Hand auf ihr wallendes blondes Haar, welches ihr anmutig über die Schultern fiel. Sie murmelte leise im Schlaf, kaum hatte ich ihren Kopf berührt und ich flüsterte nur: „Danke, Viktoria...“. Mir ging gerade einiges durch den Kopf. Doch eines besonders... Warum wollte sie mich so sehr beschützen? Was war zwi-schen uns, das unsere Freundschaft so einzigartig machte?...
 

Ich lächelte und machte die Dusche aus. Als ich kurz darauf erfahren hatte, dass Viktoria meine Schwester war, waren mir einige Dinge klar geworden. Ich hoffte, dass sie inzwischen unseren Vater gefunden hatte und ihm die freudige Nachricht überbringen konnte. Wahrscheinlich fiel er vor Schock über die Reling. Leise kicherte ich, wechselte die Bandage und wickelte mir ein Handtuch um meinen Körper. Meine Haare trocknete ich gleich mit meinen Flammen und schritt hinaus ins Schlafzimmer. Mein Blick fiel auf meine zerrissene Jeans am Boden und meinen Rucksack. Ich seufzte. Warum hatte ich mir nicht gleich gestern neue Klamotten gekauft? Etwas genervt schlüpfte ich in meine gestrigen Kleider und Schuhe und verliess das Zimmer. Im Hinausgehen schnappte ich mir meine Sonnenbrille vom Wohnzimmertisch und die Schlüsselkarte. Kaum hatte ich einen Fuss vor die Zimmertüre gesetzt begrüsste mich ein völlig anderer Junge als gestern. Thomas stand vor mir und lächelte mich breit an: „Guten Morgen, Miss!“, rief er gut gelaunt, was mir unweigerlich auch ein Lächeln abrang.

„Guten Morgen Thomas“, sagte ich und begab mich in den Fahrstuhl, welchen Thomas bereits geöffnet hatte.

„Möchtet Ihr unten frühstücken, Miss?“, fragte er freundlich und überhaupt nicht mehr nervös wie gestern.

„Nein. Ich werde einkaufen gehen“, antwortete ich schlicht.

Unten in der Eingangshalle setzte ich gleich meine Sonnenbrille auf und stolzierte an den tuschelnden Gästen vorbei und hinaus ins morgendliche Sonnenlicht.

Kaum war ich vor das Hotel getreten kam mir Thomas nachgerannt: „Miss!“, rief er und ich wandte mich um.

„Miss! Hier, eine Einladung“, sagte er hastig und reichte mir einen goldenen Umschlag. Darin befand sich eine Einladung zu einem hoteileigenen Ball heute Abend.

„Ein Ball?“, fragte ich ungläubig und hob eine Augenbraue, „Was soll ich da?“, fragte ich und die Ent-täuschung in dem kleinen Gesicht liess sich nicht verbergen. Der Kleine überlegte kurz.

„Alle anderen in den Schatten stellen, Miss!“, grinste er breit und ich lachte laut.

„Du hast eine Begabung für gewitzte Antworten, Kleiner! Na schön. Ich werde kommen“, willigte ich ein und gab ihm den Umschlag wieder, um ihn mir auf mein Zimmer zu bringen.

„Hast du das gehört? Der Skorpion wird am Ball teilnehmen“, hörte ich sogleich zwei jüngere Frauen, die an uns vorbei ins Hotel gingen. Ihre Blicke ungläubig. Ihre Augen unerbittlich. Die Natur der Frauen..., dachte ich. Sobald sie Gefahr witterten fletschten sie die Zähne. Ein überhebliches Grinsen zierte meine Lippen. Dieses Spiel spielte ich nur allzu gerne.
 

Laws Pov
 

„Captain? Wir gehen jetzt an Land. Kommst du auch mit?“, fragte Shachi neben ihm, doch er winkte ab. Er hatte sich gerade in seinem Stuhl zurück gelehnt, die Beine auf den Schreibtisch gelegt und seine Mütze ins Gesicht gezogen.

„Geht nur. Amüsiert euch“, sagte er knapp, ohne Shachi überhaupt anzusehen. Er hatte so wenig Interesse an dieser Insel, wie er daran hatte in einem überteuerten Hotel zu nächtigen, wie es Shachi und Penguin offenbar vorhatten.

„Captain... Du solltest dich wirklich mal amüsieren“, fügte Shachi an. War der immer noch nicht weg? Sie blieben genau drei Tage hier, die sollte er geniessen und nicht damit verschwenden ihn zu etwas zu überreden, was er schlussendlich doch nicht tat.

„Ich habe gehört Jess soll sich hier aufhalten“, meldete sich auf einmal Penguin. Hatten die beiden echt nichts Besseres zu tun, als ihre Zeit in seinem Zimmer zu verbringen?

„Das haben wir doch schon oft gehört, Penguin“, sagte Law neutral und seufzte leise. Hunderte Gerüchte um den Skorpion hatte er in den letzten Jahren aufgeschnappt. Auf jeder zweiten Insel hiess es sie sei gesichtet worden, doch nie entsprach es der Wahrheit. Er war es leid einem Phantom hinter her zu jagen. Obwohl... hinterher gejagt war er ihr eigentlich ja nie wirklich. Die ersten paar Male hatte er gehofft sie zu sehen, weil sie einfach ohne ein Wort verschwunden war und ihn mit dem Taifun namens Viktoria zurückgelassen hatte. An dem Tag war er wirklich und aufrichtig froh darum gewesen, dass Viktoria keine Teufelskräfte besass, denn auch so hatte er so um sein Schiff gefürchtet, dass er sie kurzerhand mit seiner Fähigkeit von Bord und in die eiskalte See beförderte, um ihr überhitztes Gemüt abzukühlen. Das hatte sie ihm natürlich übel genommen und jämmerlich gegen ihn in einem anschliessenden Kampf verloren. Doch an und für sich hatte es Spass gemacht. Und trotzdem... Kurz darauf war auch sie gegangen, denn sie hatte sich entschlossen ihren Vater kennenzulernen und ihm die freudige Nachricht vom Überleben zweier seiner Töchter zu überbringen. Oh wie hatte er die Ruhe genossen! Endlich keine Frauen mehr an Bord, die ihm ständig auf die Nerven gingen! Endlich keine irrationalen Hormonschwankungen mehr, die ihn zur Weissglut trieben! Niemand ausser ihm schlief in seinem Bett, niemanden, den er rund um die Uhr medizinisch versorgen musste, niemand... Eigentlich war es ihm ziemlich schnell ziemlich langweilig geworden, kaum waren beide Frauen weggegangen.

Weder das sadistische Herumexperimentieren an unschuldigen Marinesoldaten noch die Gesellschaft schöner Frauen, die Shachi und Penguin andauernd angeschleppt hatten, hatte ihn unterhalten können. Alle waren sie so... zerbrechlich... gewesen. Law seufzte und stand auf. Was hatte er zu verlieren? Hier an Bord würde er jedenfalls nichts verpassen und Shachi und Penguin würden ohnehin keine Ruhe geben, bis er einwilligte.
 

Kurz darauf betraten sie die Eingangshalle des teuersten Hotels der Stadt. All das Gold und die Spie-gelglatten Böden blendeten Law und senkten seine Laune noch ein wenig mehr. Er überliess Shachi und Penguin das Einchecken und wartete in einem der grossen Sessel der Lobby auf die beiden, mit dem Rücken ihnen zugewandt. Ihm fielen sofort zwei junge Frauen ihm gegenüber auf einem Sofa auf, die aufgeregt kicherten und ständig in seine Richtung sahen. Law verdrehte leicht die Augen. Auch wenn sie rein hypothetisch hübsch waren irgendwo unter all dem Makeup, das sie trugen, keine von ihnen würde seiner Meinung nach auch nur fünf Minuten mit ihnen auf See überleben. Zerbrechlich und weinerlich waren sie. Sie alle. Mit einem Mal verstummten sämtliche Gespräche in der Eingangshalle. Sogar die beiden Frauen ihm gegenüber richteten ihre in Erstaunen aufgerissenen Augen auf eine Person hinter Law. Schnell wandte er sich in seinem Sessel um. Doch das einzige, was er sah war, wie sich die goldenen Flügeltüren hinter einer Person schlossen, die er durch das blendende Gold der Türen nicht erkennen konnte. Aufgeregtes Getuschel stellte sich ein und ein kleiner Junge fiel ihm auf, der gerade mit einem goldenen Umschlag durch die Türe hinaus rannte. Interessant...dachte er und ging hinüber zu Shachi und Penguin, die offenbar Mühe hatten einzuchecken.

„Gibt’s Probleme meine Herren?“, fragte er und gesellte sich zwischen seine beiden Kumpels.

„Oh! Mr. Law! Die beiden gehören zu Ihnen?“, fragte das Empfangsmädchen aufgeregt und mit hochrotem Kopf. Law konnte ihren überaus lauten Herzschlag ausmachen und sah ihr sanft in die Augen. Dann nahm er ihre Hand, die auf dem Tresen lag in seine und beugte sich leicht zu ihr vor: „Hätten Sie die Güte mir und meinen Freunden ein schönes Zimmer zu finden?“, fragte er verführerisch und das Mädchen zog hastig zitternd ihre Hand weg.

„N-Natürlich!“, schnell blätterte sie in ihren Büchern und begann zu kritzeln. Dann überreichte sie Law eine goldene Schlüsselkarte und winkte Thomas zu sich heran.

Law nahm ihr die Karte mit einer sanften Berührung ihrer Hand ab, was in ihrem Kopf wohl eine Sicherung durchbrennen liess so rot, wie sie plötzlich war.

„Thomas hier, wird sich während Ihres Aufenthaltes um Sie kümmern Mr. Law“, plapperte sie hastig und der Junge wandte sich nervös zu ihr um: „Aber Mira, ich sollte doch nur die Lady betreuen...“, flüsterte er, doch Law hörte jedes Wort.

„Diese Lady wird es bestimmt verkraften“, lächelte Law, ging an dem Jungen vorbei und wuschelte ihm kurz durchs Haar. Schnell rannte der Kleine ihnen hinterher zum Fahrstuhl, den er auch sogleich öffnete und sie auf ihre Suite brachte.

„Ihre Suite, Mr. Law“, sagte er und öffnete die Türe.

„Danke Kleiner“, erwiderte Law und legte gleich seinen Hut und sein Schwert auf dem Wohnzimmertisch ab. Als Thomas immer noch in der Türe stand sah er ihn an: „Das wäre alles, Kleiner. Du kannst dich jetzt um deine Lady kümmern“, sagte Law amüsiert und winkte ihm zu gehen.

Thomas blieb einen Moment stehen und verneigte sich leicht: „Es ist mir eine Ehre Ihnen zu dienen, Mr. Law“, sagte er bevor er die Türe hinter sich schloss und Law etwas perplex stehen liess.

Kaum hatte Law sich auf das gemütlich aussehende Sofa legen wollen klopfte es schon an der Türe. Es war Thomas und er drückte ihm einen goldenen Umschlag in die Hand, kaum hatte er die Türe geöffnet.

„Ein Ball? Was soll ich da?“, fragte Law ungläubig lachend, während Shachi und Penguin völlig aus dem Häuschen waren.

„Euch amüsieren, Mr. Law“, grinste Thomas breit und empfahl sich.
 

„Warum habt ihr es nur immer so eilig?“, fragte Law genervt, als Shachi und Penguin schon wie die Kinder nervös vor der Türe auf und ab gingen.

„Wir wollen früh genug da sein, um...“, überlegte Shachi und suchte Hilfe bei Penguin. Wenn er sagte, was er dachte, würde er seinen Captain nicht überzeugen können.

„Um einen guten Platz zu ergattern, wo wir uns in eine Ecke setzen können und unsere Ruhe haben“, half Penguin aus, und kassierte einen strafenden Blick von Shachi.

„Das klingt doch mal nach einer anständigen Idee“, sagte ihr Captain, trat aus dem Badezimmer und schwang sich sein Jackett über die rechte Schulter. „Gehen wir“, sagte er, doch Shachi und Penguin standen nur da als hätten sie gerade etwas Schockierendes gesehen.

„Was denn?“, fragte Law etwas unsicher.

„Captain... Das kannst du nicht bringen... Neben dir sehen wir aus wie Müllsäcke...“, meckerte Shachi und Penguin fügte schmollend hinzu: „Ja... und wieder werden uns die Frauen nicht beachten...“, und umarmte seinen Kumpel mitleidig.

Law ging an ihnen vorbei zur Türe hinaus und verpasste beiden eine Kopfnuss.

„Ihr seid doch Idioten. Alle beide“, lachte er und seine Kumpels stimmten mit ein. Er wusste nicht was die Aufregung sollte. Er trug doch nur eine schwarze Hose, ein schwarzes Hemd, welches er nicht einmal bis ganz oben zugeknöpft hatte, aus Angst zu ersticken und eine Krawatte hielt er ohnehin für überflüssig. Aber auch Shachi und Penguin sahen in ihren Anzügen nicht schlecht aus, musste er zugeben. Sie betraten den Ballsaal, gingen eine gewundene Treppe hinunter zur Tanzfläche und suchten sich sogleich eines der noch freien Séparées von wo aus sie die ganze Tanzfläche und den Eingang gut im Auge behalten konnten. Nur leider waren sie ebenso im Blickfeld der Damen, was Law nicht besonders erheiterte. Kaum hatten sie sich gesetzt und Drinks bestellt standen auch schon zwei junge Frauen kichernd vor ihnen und begannen Law zu bezirzen, indem sie sich unaufgefordert neben ihn setzten und wie die Gänse darauf los schnatterten. Law ignorierte ihr Geschnatter so gut es ging und hoffte, dass Shachi und Penguin ihn davon erlösen mochten. Doch sie waren ihm keine grosse Hilfe.

„Captain!“, rief Shachi empört, als Law kurz darauf wieder eine hübsche Frau vergrault hatte.

„Was denn? War doch wahr! Das Kleid war ihr eine Nummer zu klein!“, verteidigte sich Law und Penguin schlug sich mit der Hand vor die Stirn.

„Sowas darfst du doch nicht sagen...“, knirschte er und Law schnaubte. Diese Frauen waren ja auch so was von kompliziert... Also wirklich. Als sich gerade wieder eine näherte, bei der ihm definitiv mehr als nur die falsche Kleidergrösse aufgefallen war, erhob sich Law schnell und flüchtete sich in die Menschenmenge. Der Kellner kam zu selten an ihren Tisch, also gab es nur eine Option: Die Bar.

„Einen Scotch auf Eis, bitte“, bestellte Law und nahm wenige Augenblicke später sein Glas entgegen. Er lehnte sich leicht mit dem Rücken an den Tresen und liess seinen Blick durch den Saal schweifen. Die Tanzfläche war voll mit verliebten tanzenden Paaren, überall Geschnatter über belangloses Zeug und nichts davon interessierte ihn auch nur im Geringsten. Er nahm einen Schluck und seufzte leise. Warum war er überhaupt mitgekommen?

Dann öffneten sich die grossen Flügeltüren des Ballsaals erneut. Ein Raunen ging durch die Menge, die Gespräche verstummten und hastiges Geflüster setzte ein. Sein Blick folgte dem aller anderen Menschen in dem Saal und sein Glas rutschte ihm augenblicklich aus der Hand. Das Klirren wäre in der anfänglichen Stille überdeutlich zu hören gewesen, hätte sich nicht dieses summende Geflüster eingestellt. Seine Augen hafteten auf der wohl schönsten Gestalt, die er jemals erblickt hatte. Ihre wallenden feuerroten Haare flossen über ihren Rücken und ihre nackten Schultern wie tödliche Lava. Die Diamanten ihres mitternachtsblauen Ballkleides funkelten wie die Sterne über den dunkelsten Weltmeeren. Das Kleid selbst bewegte sich mit ihr mit, als wären es Wogen der endlosen See, die sich an sie schmiegten und jeder ihrer Bewegungen gehorchten. Als wäre sie eine Göttin... die Göttin der Meere. Anmutig schwebte sie die gewundene Treppe hinunter wie fliessendes Wasser und liess jedem einzelnen Mann im Saal mit einem einzigen Augenaufschlag das Herz brechen. Ihre absolute Unnahbarkeit... diese Gefahr die von ihr ausging, trotz ihres warmen Lächelns, das ihre perfekten dunkelroten Lippen zierte... diese Gefahr... sie war greifbar. Sie hob ihre linke Hand, um sich eine ihrer roten Haarsträhnen zurück zu streifen und wandte dabei ihren Kopf. Der Ring... Sie trug ihn nicht mehr... Laws Herz setzte einen Schlag aus. Ihre grünen endlos tiefen Augen, sie sahen sich um, wie ein Windhauch einer klaren Sommernacht huschten sie hinüber zu einem kleinen Jungen, der gerade angerannt kam. Law erkannte ihn augenblicklich: Es war sein Page, Thomas. War sie etwa die Lady, der er diente? Sie überreichte ihm ihre, perfekt zum Kleid passende, kleine Handtasche und schenkte ihm ihr wunderschönes Lächeln, welches Laws Herz immer noch zum Schmelzen brachte. Er trat über die Scherben seines zerbrochenen Glases hinweg einen Schritt in ihre Richtung, doch hielt plötzlich inne. Diese Unnahbarkeit, die sie trug wie einen schützenden Mantel... Die erkannte er nur allzu gut. Sie hatte ihn schon damals nach dem Krieg getragen. Unter diesem Mantel der Unnahbarkeit lag Schmerz, so tiefer Schmerz, dass er sich nicht ausmalen wollte, wie viel Kraft es sie kostete diesen Mantel zu tragen. Ob sie ihn ablegte, wenn sie alleine war? Seine Augen folgten ihr durch die Menge. Sie war allein. Rund um sie herum, so viele Menschen, doch sie war alleine. Sie mochte ihren Schein wahren und es mit einem überheblichen Blick abtun, doch sie war vollkommen alleine. Niemand in diesem riesigen Ballsaal traute sich, sich ihr zu nähern und sie anzusprechen. Hatte sie diese Scharade nun über zwei Jahre aufrechterhalten? Oder hatte sie so lange gebraucht sie überhaupt zu errichten? Diese Fassade, diese nach aussen hin absolut perfekt scheinende Mauer. Doch er wusste, im Inneren schlug sie gegen diese Mauer, die genau da, wo ihre verzweifelten Fäuste auftrafen, begann zu bröckeln.

Die alte Jess war das nicht, das war ihm bewusst. Sie war in jeder Hinsicht erwachsen geworden und dennoch... Ihre gefühlsvolle Seite so hinter einer Mauer einzusperren... war das der richtige Weg? Das Orchester spielte auf und die anfängliche Aufregung über Jess‘ Erscheinen hatte sich gelegt. Die Paare begannen wieder zu tanzen, die anderen zu Schnattern und Law stand immer noch da und sah sie nur an, diesen Engel, der mit dem Feuer spielte. Sie hatte das andere Ende des Saales erreicht, nahm sich ein Glas Champagner von einem Kellner und wandte sich der Menge zu. Als wäre sie ein Kunstwerk, welches nur dastünde um betrachtet zu werden. Viele der Männer taten das auch... aus der Ferne, genau wie er gerade. Doch er starrte sie nicht bloss an... Er las in ihrem Gesicht, in ihren Augen. Dann stellte sie das Glas neben sich auf einen Tisch, ging hinaus auf die Terrasse und verschwand für einen Moment aus Laws Blickfeld. Hastig bahnte er sich seinen Weg durch die Tanzenden, wimmelte eine Frau ab, ohne sie eines Blickes zu würdigen und verlangsamte seine Schritte, kaum hatte er die offenen Türen der Terrasse erreicht. Einige Leute kamen ihm entgegen und ihr Getuschel versetzte ihm einen Stich.

„Gehen wir lieber rein, Schatz. Nicht, dass wir noch mit dem Skorpion zu tun bekommen...“, sagte ein Mann gerade zu seiner Frau, als sie an Law vorbei zurück in den Saal gingen. Law sah ihnen ungläubig nach. Was hatte Jess in den letzten zwei Jahren getan, um einen solchen Ruf zu bekommen... um so sehr gefürchtet zu werden? Langsam trat er hinaus ins helle Mondlicht und erblickte sie einige Meter von ihm entfernt. Alleine. Sie stand an dem breiten steinernen Geländer der Terrasse und hatte ihre Hände anmutig vor sich darauf niedergelegt. Sie sah hoch zum Vollmond und dessen helles Licht zierte ihr Gesicht mit Nostalgie und Hoffnung. Ihr Haar bewegte sich seicht im sanften Wind der See vor ihnen. Sie war so schön, wie sie dastand und ihn an die alte Jess erinnerte. Langsam trat er näher an sie heran.
 

Jess‘ Pov
 

Das helle Mondlicht liess die Diamanten meines Kleides wie Sterne funkeln. Heller als die Sterne zu denen ich hochblickte, als ich hinaus in die angenehme Nachtluft trat. Ein sanfter Wind wehte mir von der vor uns liegenden See entgegen, als rufe sie mir zu. Als würde sie mir etwas mitteilen wollen. Als brächte sie mir neues Leben. Meine Hände strichen langsam über die steinerne Brüstung. Für einen Moment stellte ich mir vor es wäre die Reling der Moby Dick, an der ich stand, in den hell erleuchteten Nachthimmel blickte... Ace gesellte sich dazu...

Bemessene Schritte näherten sich mir und ich spürte, dass hinter mir jemand stehen geblieben war, nicht weit von mir. Sollte es tatsächlich jemand wagen mich anzusprechen, wo doch immer gleich alle das Weite suchten, tauchte ich in ihrer Nähe auf?

„Ihr seid entweder sehr mutig, oder sehr dumm, Euch mir zu nähern. Was wollt Ihr?“, fragte ich desinteressiert und wartete nicht lange auf eine Antwort.

„Meinem ersten Maat sagen, wie wunderschön sie aussieht“. Diese Stimme! Ein kalter Schauer durchfuhr mich, als mein Herz einen Schlag aussetzte, nur um dann doppelt so schnell zu schlagen.

Augenblicklich wirbelte ich herum und sah in das liebenswürdige, sanfte Gesicht meines besten Freundes... Marco! Mein Herz raste vor Aufregung und Freude und ich brachte kein Wort heraus.

„Marco...!“, hauchte ich ungläubig und meine Stimme versagte bei dem Kloss, der sich gerade in meinem Hals gebildet hatte. Als hätte das Schicksal mich aus meiner Trauer reissen wollen, hatte ihn die See zu mir gebracht! Dann fiel ich ihm um den Hals und umarmte ihn lange. Heisse Tränen rannen über meine Wangen und eine Erleichterung, wie ich sie schon lange nicht mehr empfunden hatte erfüllte mich. Seine Hände ruhten sanft an meinem Rücken und er flüsterte mir ins Ohr: „Ich hab dich so sehr vermisst, Jess“.
 

Laws Pov
 

In ihm zerbrach alles in nur diesem einen Augenblick... Als er ihn aus dem Schatten treten sah. Grossgewachsen, blond, stark und anmutig zugleich. Marco der Phönix, Captain der Whitebeard Piraten und bester Freund von Jess. Er schritt wie ein Edelmann aus dem Schatten der Terrasse heraus auf sie zu und kaum hatte sie ihn erblickt fiel sie ihm freudig um den Hals. Law wandte sich ab. Sein Blick eiskalt. Er war wohl schon wieder zu spät gekommen. Nun würde sie sich wieder ihrer Crew anschliessen, ganz ohne Zweifel. Das war bestimmt das Beste in ihrer Gefühlslage. Immerhin hatten sie alle denselben Verlust erlitten. Doch was die Rückkehr auf die Moby Dick in Jess auslösen würde wollte er sich gar nicht erst ausmalen. Es hingen so viele Erinnerungen an dem Schiff, dass es sie womöglich erdrücken würde. Doch welches Recht hatte er sie davon abzuhalten?

„Captain! Wohin gehst du?“, rief Shachi, als er geradewegs und ohne ein Wort an ihrem Tisch vorbei marschierte und den Saal verliess. Hatte er sich etwa Hoffnungen gemacht? Hoffnungen worauf? Jess blieb nie lange an einem Ort, geschweige denn bei ihm. Sie war stürmischer als die See es jemals sein könnte. Unberechenbarer als jeder Sturm. Er hatte es verstanden, dass sie Ace nicht hintergehen wollte, als sie das erste Mal bei ihm war. Er hatte es auch verstanden, als sie sich von ihm abgewandt hatte um Ace zu retten und er hatte es mehr denn je verstanden, als Ace von ihr gegangen war. Sie hatte sich schlussendlich immer von ihm abgewandt, sei es aus schlechtem Gewissen oder aus anderen Gründen. Und jedes Mal hatte er ihre Gründe verstanden. Doch immer hatte er insgeheim darauf gehofft... Worauf gehofft?! Er knallte die Türe seiner Suite hinter sich mit einem lauten Knall zu, warf sein Jackett in eine Ecke und raufte sich die Haare. Worauf hatte er gehofft?! Wütend sah er in den Spiegel des Badezimmers auf dessen Waschbecken er sich heftig atmend abstützte. Enttäuschung. Nur Enttäuschung in seinen Augen. Er presste die Augen zusammen, um sich nicht mehr ansehen zu müssen. Was hatte er denn erwartet? Worauf hatte er gehofft? Wieder sah er auf und was er in seinem eigenen Spiegelbild sah machte ihn rasend. Er holte schreiend mit der Faust aus, schlug mitten in sein Spiegelbild, sodass der Spiegel mit lautem Klirren in tausend Stücke zerbarst. Blut tropfte von seiner immer noch angespannten Faust auf den weissen Marmor unter ihm und Schweiss rann ihm von seinem Gesicht. Schwer atmend wischte er sich mit seiner heilen Hand die klaren Perlen vom Gesicht und besah sie sich auf seinen Fingern. Nein definitiv kein Schweiss... Tränen...



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