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FalloutChristie

Kein Fallout bekommt dich klein, denn du bist eine Kämpferin
von

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Ein paar Tage später ist es soweit und ich kann es kaum erwarten, endlich aufzubrechen. Unsere Gruppe trifft sich am Flughafen, um gemeinsam einzuchecken. Kleine Gruppen bilden sich, wie sie auch in der Schule da waren. Mir bleibt nur Julia, die sich allerdings hin und wieder mit den anderen unterhält. Endlich sitzen wir nebeneinander im Flugzeug. Es kostet mich die größte Mühe, nicht die ganze Zeit über Tom und das Fantreffen zu sprechen, während Julia durch ein Modemagazin blättert. Jedes Mal wieder, wenn sie so eines kauft, frage ich mich, was sie daran so interessant findet. Wenn man nicht gerade Werbung überblättert, stehen da doch bloß unrealistische Schönheitsideale. Während Seite eins sagt, man solle sich lieben, wie man ist, erteilt Seite siebzehn Tipps, wie man schnell zehn Kilo abnehmen kann, um den perfekten Körper zu bekommen.
 

"Du bist heute so still", sagt Julia, als wir endlich in unserem Hotel sind. Die ganze Zeit über war mir nicht nach reden, weil mir mulmig war auf meinem ersten Flug. Außerdem hatte ich Angst, dass ich nur von Tom anfangen würde. Nun folge ich Julia in unser Hotelzimmer, das größer ist als erwartet.
 

"Ich bin bloß müde", versuche ich mich herauszureden. Immerhin stimmt es auch, denn um den Flug zu bekommen, musste ich viel zu früh aufstehen. "Bist du denn gar nicht müde?"
 

"Ich bin gestern um acht ins Bett gegangen", erwidert Julia, während sie den Schrank inspiziert.
 

"Dass du da schon schlafen kannst", sage ich. Wenn ich vor zwölf in mein Bett komme, grenzt es fast schon an ein Wunder.
 

"Naja, ich schlafe halt schnell ein, wenn ich will."
 

Julias Talent ist schon beneidenswert. Während ich mich oft in fremden Betten herumwerfe und nicht schlafen kann, braucht sie sich nur hinlegen und schläft.
 

Ich lasse mich auf einem der beiden Betten nieder und versuche, eine Internetverbindung einzurichten. Dann kann ich gucken, ob es irgendwas Neues von Tom gibt und kann auch meinen Eltern schreiben, dass wir heile angekommen sind, ohne mich für eine Nachricht in Unkosten zu stürzen.
 

"Immer hast du dein Handy in der Hand", sagt Julia plötzlich. Habe ich es wirklich so oft in der Hand? Sie holt ihres doch auch oft heraus und dann nicht einmal selten, um mit anderen zu chatten, während ich schweigend neben ihr sitze, auf der Suche nach einer gemeinsamen Beschäftigung oder einem Gesprächsthema. Schnell schreibe ich meinen Eltern, dass alles in Ordnung ist und stecke mein Handy weg, damit Julia und ich etwas unternehmen können, da holt diese ihr kleines Tässchen heraus, in dem sie ihr Make-up aufbewahrt. Direkt macht sie sich daran, ihren Lidstrich nachzuziehen und noch mehr Mascara in ihre Wimpern zu schmieren. Mittlerweile gleichen ihre Wimpern eher Fliegenbeinchen anstatt Wimpern. Durch ihre Beschwerde habe ich gedacht, dass sie raus wollte, um etwas zu unternehmen.
 

"Ich weiß, was ich machen möchte", sagt Julia plötzlich mit dem Blick in ihren kleinen Handspiegel. Warum sie wohl nicht in das Bad geht, wo ein großer Spiegel ist? Plötzlich wird mir ganz flau im Magen. Hoffentlich sagt sie nicht das, was ich glaube. "Ich möchte dir ein Makeover für das Fantreffen verpassen. Du sollst ja schließlich auffallen für diesen Thomas."
 

In mir schreit alles nein, aber ich habe ihr versprochen, alles mitzumachen. Ich versuche mir vorzustellen, wie ich mit Julias Make-up aussehen würde und die Befürchtung in mir wächst, dass ich aussehen werde wie ein Zirkusclown. Aber Julia würde mich doch nicht mit Absicht hässlich machen, oder? Das letzte Mal, dass sie mich schminken wollte, war als sie mich letztes Jahr zum Freimarkt mit einem Freund von sich verkuppeln wollte. In meinem Kopf erscheint ein Bild von meinem Gesicht damals. Viel zu grelle Farben und zu viel Rouge auf den Wangen lassen mich erschaudern. Vielleicht will sie mich ja nur testen. Ich suche nach Anzeichen in ihrem Gesicht dafür, doch kann keine finden, also gebe ich nach. So schlimm kann es ja nicht werden. Doch Julia beweist mir am nächsten Tag das Gegenteil, als sie mir ein knappes Top von sich leiht und es mit meiner Skinny Jeans paart. Zum Glück erlaubt sie mir meine Chucks und lässt meine Haare in Ruhe, auch wenn mein Pony für ihren Geschmack zu lang ist. Zielstrebig und sich davon nicht beirren lassend, pinnt sie meine Haare aus dem Gesicht und betrachtet mich wie ein Künstler eine leere Leinwand ansieht. Tom ist die Strapazen wehrt, sage ich mir wieder und wieder, während Julia anfängt, eine Creme auf mein Gesicht aufzutragen, dann folgt ein Puder, ein anderes Puder, Lidschatten, Eyeliner, Rouge, ... Die Hälfte der Sachen, die sie benutzt, kenne ich nicht mal. Ich schminke mich bisher nur selten und dann meist auch nur ein bisschen Concealer und Mascara, aber bei Julia habe ich das Gefühl, dass sie mir das halbe Drogeriesortiment in mein Gesicht schmiert. Das kann heiter werden. Vielleicht falle ich dann ja doch nicht so auf unter den Teenies, wenn ich aussehe, wie sie. Besser, als einen negativen Eindruck bei Tom zu hinterlassen. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit bis Julia sich endlich aufrecht hinsetzt, um mich ein letztes Mal zu betrachten. Vielleicht hatte sie ja doch noch etwas, dass sie hinzufügen konnte. Als Julia mir bedeutet, mich im Badezimmerspiegel zu betrachten, erkenne ich mich selber zunächst kaum wieder. Ich trage mehr Make-up als ganz Hollywood zusammen.
 

"Was sagst du?" Julia lächelt breit und ich kann nicht sagen, ob sie stolz auf ihr Werk ist oder mich wirklich nur davon überzeugen will, nicht zu dem Fantreffen zu gehen.
 

"Es ist gewöhnungsbedürftig", erwidere ich. Wenn ich etwas Negatives sage, macht sie nachher noch einen Rückzieher. "Wie spät ist es? Ich glaube, wir müssen los."
 

Auf dem Weg schweigen wir. Ich bin viel zu aufgeregt, um überhaupt denken zu können. Schon von weitem kann ich sehen, dass sich viele Leute in dem Park versammelt haben, wo das Treffen stattfinden soll. Meine Beine werden ganz weich. War es wirklich richtig, hier her zu kommen? Es sind mehr Leute da, als erwartet. Überwiegend Mädchen im Teeniealter. Direkt fühle ich mich alt und unwohl. Am liebsten würde ich wieder gehen, aber das würde ich mir von Julia ewig anhören müssen. Außerdem würde ich mir selber Vorwürfe machen, dass ich die vielleicht einzige Chance verpasst habe, auch nur in die Nähe von Tom zu kommen. Keine Ahnung, was schlimmer wäre. Plötzlich kommt Bewegung in die Menge und aus dem konstanten Summen der Stimmen wird Gekreische. Fast glaube ich, das Geschrei zerreißt mein Trommelfell.
 

"Wahnsinn, als wäre es ein Rockkonzert", sagt Julia neben mir. "Willst du nicht weiter nach vorne?"
 

Sie muss fast schreien, damit ich sie verstehe. So sehr ich will, meine Beine rühren sich nicht. Mir ist schlecht und meine Hände sind nass von Schweiß. Ich hätte nicht her kommen sollen. Das ist mir zu viel. Viel zu viel. Ehe ich antworten kann, stecken wir mitten in der Masse und meine Panik wird größer. Ich bekomme kaum noch Luft. Gerade noch rechtzeitig schaffe ich es, Julias Hand zu ergreifen, um sie nicht zu verlieren. Um mich herum dreht sich alles. Ich spüre, wie Julia an meiner Hand zieht und ich will zu ihr, als auf einmal alles still steht. Erst denke ich, ich sehe nicht richtig. Aber dann bin ich mir sicher. Er ist es. Am anderen Ende der Menschenmenge sehe ich Tom auf dem Podest, dass für ihn und die anderen YouTuber aufgebaut wurde, um sie zu schützen. Auch sein Freund und Mitbewohner Joshua ist dabei, der vor ihm läuft. Hinter ihm kann ich Joshuas Freundin Emma sehen und ein paar andere, die ich nur vom Sehen in den Videos von Tom oder Joshua kenne. Sie setzen sich auf eine Reihe von Stühlen und irgendwie hat Julia Recht, es gleicht wirklich einem Rockkonzert.
 

"Christie, was ist denn jetzt?", höre ich Julia drängen, doch mein Blick ruht auf Tom. Wenn er mich nur einmal ansehen würde, könnte ich gehen. Tom dreht seinen Kopf in meine Richtung. Hat er meine Gedanken gelesen? Mein Herz rast und dann ist es soweit. Er sieht mich an. Mich. Unter all den Mädchen, seinen Fans, sieht er ausgerechnet mich an und lächelt. Für einen Moment ist es wirklich so, als stünde die Zeit still und es gäbe nur uns zwei. Gerade will ich ebenfalls lächeln, als ich nach hinten gezogen werde und seinen Blick verliere. Eine Mischung aus Wut, Enttäuschung und Glück macht sich in mir breit, als ich mich von Julia durch die Menge ziehen lasse bis wir endlich für eins alleine sind.
 

"Was sollte das?", frage ich, als ich wieder denken kann. "Warum hast du mich weggezogen?"
 

"Wir waren da und du hast deinen Liebsten gesehen. So war der Deal."
 

"Hast du noch alle Tassen im Schrank?"
 

Es dauert einen Moment bis ich begreife, dass Julia das ernst meint. Sie glaubt tatsächlich, dass ich meinte, ich wollte Tom nur von weitem sehen. Dass man ihm aber persönlich begegnen kann, wenn man etwas - oder vielleicht auch etwas länger - wartet, ist ihr vollkommen egal.
 

"Ich glaube es nicht", sage ich und gehe davon. Soll sie doch zusehen, wo sie bleibt. Gerade will ich sie nicht mehr sehen. Tränen steigen mir in die Augen. Julia ist meine beste Freundin. Sie sollte Verständnis dafür haben, wie wichtig mir heute war. In Gedanken irre ich die Straße entlang. Nach einer Weile drehe ich mich herum. Fast bin ich enttäuscht, dass Julia mir nicht gefolgt ist. Wahrscheinlich hat sie sich schon ein paar Typen gesucht, um zu flirten. Ich sehe zur Seite und erkenne im Schaufenster, dass ich bereits weine. Das Make-up, das Julia in mühevoller Kleinstarbeit aufgetragen hat, ist vollkommen verschmiert. Ich gleiche einem Waschbären. Also gehe ich weiter, auf der Suche nach einem Kaufhaus oder etwas ähnlichem, um mir auf der Toilette das Gesicht zu waschen.
 

"Alles in Ordnung?"
 

Erschrocken drehe ich mich herum. Tatjana und Bea stehen hinter mir. Wir haben gemeinsam Deutsch und Mathe gehabt. Beide tragen Tüten mit sich. Es kommt mir so albern und irgendwie auch seltsam vor, ihnen davon zu erzählen, weshalb ich so aufgebracht bin.
 

"Ich habe mich mit Julia gestritten", sage ich daher nur. Bea kramt in ihrer Handtasche herum und reicht mir dann ein Paket Taschentücher. Als nächstes zückt sie einen kleinen Spiegel und eine Wasserflasche.
 

"Wollen wir uns dort vorne hinsetzen und du macht in Ruhe dein Gesicht sauber?", fragt Tatjana und zeigt auf eine Bank an einer Busstation. Dankbar gehe ich mit ihnen herüber.
 

"Nun erzähl, was ist passiert? Vielleicht hilft reden ja."
 

Überrascht sehe ich Bea an. Sie ist immer nett zu jedem. Schade, dass wir in der Schule nicht viel miteinander zu tun hatten. Bea und Tatjana sind wirklich nett. Viel netter als Julia. Also erzähle ich ihr, was passiert ist und sie hören geduldig zu.
 

"Das ist wirklich knifflig", sagt Bea schließlich. Sie sieht zu Tatjana. "Aber vielleicht hat sie es ja nicht so gemeint? Solche Massen von Menschen können echt erschreckend sein."
 

"Kommt ja nicht selten vor, dass bei solchen Mengen eine Panik ausbricht und Menschen verletzt werden", pflichtet Tatjana ihrer Freundin bei.
 

Sie verteidigen Julia. Übertreibe ich etwa? Um meine Gedanken nicht zu verraten, sehe ich in den Spiegel, um zu prüfen, ob mein Gesicht nun vorzeigbar ist. Reste von Mascara hängen mir noch in den Wimpern, aber es sieht fast gewollt aus, sodass ich Bea den Spiegel und die restlichen Taschentücher wiedergebe.
 

"Ich halte euch doch nicht von etwas ab, oder?", frage ich. "Ich sollte nach Julia suchen und mit ihr reden."
 

"Ach was", sagt Bea, als sie aufsteht. "Wieso kommst du nicht mit uns mit und lenkst dich etwas ab? Heute Abend kannst du dann in Ruhe mit Julia sprechen."
 

Heute ist echt seltsam. Gerne möchte ich das Angebot annehmen, allerdings fühle ich mich wie das dritte Rad am Fahrrad. Darum sage ich ihnen, dass es mir nicht gut geht und mache mich auf den Weg ins Hotel. Vielleicht ist Julia ja dort und wir können reden. Immerhin haben wir uns seit Monaten auf diese Fahrt gefreut. Unterwegs sehe ich auf mein Handy, um zu prüfen, ob Julia sich bei mir gemeldet hat und ich es nur nicht mitbekommen habe. Es zeigt keine neue Nachricht an. Ich bin enttäuscht, dass Julia sich nicht bei mir gemeldet hat. Sie ist so ein Sturkopf. Heute ist nur ein weiteres Beispiel dafür, dass sie keine Fehler macht, wenn es nach ihr geht. Hoffentlich streiten wir nachher nicht noch mehr. Mit klopfenden Herzen öffne ich die Tür zu unserem Hotelzimmer. Tatsächlich ist sie bereits hier und blättert mal wieder in einem Modemagazin. Bereits jetzt liegen ihre Sachen im ganzen Zimmer verstreut.
 

"Da bist du ja, ich dachte schon du würdest mir den ganzen Tag versauen", ist Julias Begrüßung. Wie bitte? Es fällt mir schwer, dazu nichts zu sagen. Aber wenn ich darauf eingehe, streiten wir nur direkt. Julia und ich sehen Dinge ziemlich unterschiedlich, wird es mir wieder schmerzlich bewusst. Sofort möchte ich nach Hause. Hier mit ihr festzuhängen im selben Zimmer erscheint mir jetzt schon die pure Qual. Immerhin hat Julia mit den anderen Leuten mehr zu tun gehabt und findet im Gegensatz zu mir überall Anschluss.
 

"Ich bin durch die Gegend geirrt und habe dabei zufällig Bea und Tatjana getroffen, die mir halfen, mein Gesicht sauber zu machen, nachdem alles verschmiert war", sage ich. Erst bei den Namen unserer Mitschüler sieht sie von ihrem Magazin zu mir.
 

"Dann hast du ja doch noch einen schönen Nachmittag gehabt", sagt Julia.
 

"Ich wollte zu dem Treffen", entgegne ich.
 

"Na, warst du doch auch", sagt Julia. "Du verhältst dich wie eine verrückte Stalkerin."
 

"Tue ich nicht. Die Treffen werden dafür organisiert, damit Fans ihre Idole treffen können. Ich bin ein Fan und Tom mein Idol, darum wollte ich da hin. Es ist ja nicht so, dass ich mir direkt ein englisches Telefonbuch suche, um seine Adresse zu erfahren."
 

"Nicht?"
 

Fassungslos sehe ich Julia an. Ist das wirklich ihr ernst? Gerne möchte ich sie anschreien, aber das bringt auch nichts. Es verlangt mir alles ab, ruhig zu bleiben.
 

"Was ist dein Problem?", frage ich.
 

"Wow, es geht wirklich endlich mal auch um mich und nicht nur um dich", ruft Julia theatralisch aus, als sie ihr Magazin schließt. "Den ganzen Tag redest du nur von YouTube und den Leuten dort. Vermutlich sagst du mir als nächstes, dass du dich selber auch online zum Deppen machst."
 

Meine Augen brennen.
 

"Du sprichst doch auch nur von Typen", erwidere ich leise. "Inwiefern ist das besser, wenn du auch nur über dasselbe redest?"
 

"Die Typen existieren aber", sagt sie und hebt einen Finger, um meine Widerworte zu verhindern. "Sie sind greifbar und nicht auf irgendwelchen Luftschlössern wie dein komischer Thomas aufgebaut. Du weißt doch gar nichts über ihn."
 

"Du kennst doch seine Videos gar nicht", sage ich. Tränen laufen über mein Gesicht. Mit jedem weiteren Wort fällt mir das Sprechen schwerer. "Die Videos zu gucken, heitert mich auf. Ich kann mich darin wiederfinden. Sie geben mir mehr Verständnis, als du jemals getan hast oder würdest, wenn ich Probleme habe."
 

"Du bist doch bekloppt", sind Julias letzten Worte. Verzweifelt suche ich nach Worten, doch Julia erklärt das Gespräch für beendet, indem sie sich wieder ihrer Zeitschrift zuwendet. Ohne ein weiteres Wort drehe ich mich wieder um und verlasse das Zimmer. Versteht Julia denn überhaupt nicht, was mir heute bedeutet hat? Immer macht sie runter, was mir gefällt.
 

Mein Weg führt mich in die Lobby des kleinen Hotels, wo ich mich in einer Ecke verkrieche und hoffe, dass mich keiner meiner Mitschüler sieht. Ich hole mein Handy hervor. Für eine Weile bleibe ich sitzen und sehe mir ein paar Seiten im Internet an, ohne wirklich wahrzunehmen, was los ist. Als ich kurz darauf mein Twitter Feed aktualisiere, muss ich zweimal lesen, was Tom geschrieben hat:
 

Beim Fantreffen heute hatte ich Augenkontakt mit einer Brünetten. Dein Lächeln war echt süß. Wäre schön, es aus der Nähe zu sehen.
 

Meint er etwa mich? Unsinn, es waren zu viele Mädchen bei dem Treffen, die wie ich braune Haare haben. Direkt sehe ich, dass schon tausende von anderen Leuten auf den Tweet geantwortet haben. Viele schreiben, dass sie gemeint seien. Ich bin nur eine von vielen, die sich für einen Moment für etwas Besonderes hielt. Ich schließe seufzend die App und packe mein Handy ein. Vielleicht bringt mich ja ein Spaziergang auf andere Gedanken.
 

Die nächsten Tage verbringe ich mit Bea und Tatjana, die mich netterweise überall mit hinnehmen. Seit unserem Streit haben Julia und ich nur das Nötigste miteinander gesprochen, was sich darauf beschränkt, die andere zu fragen, ob man das Bad nutzen kann. Wenn ich morgens aufwache, ist Julia schon weg, während ich erst wieder in das Hotelzimmer komme, wenn sie bereits dabei ist, sich für das Bett fertig zu machen. Den Rest der Abende verbringe ich dann damit, mit so wenig Licht wie möglich zu lesen, damit Julia nicht aufwacht. Ich habe mir unsere kleine Reise wirklich anders vorgestellt. Julia vermutlich auch. Was sie wohl den ganzen Tag über treibt? Tatjana und Bea haben sich neulich darüber unterhalten, dass Julia sich an Sven ran machen würde und mit ihm und seinen Freunden ihre Tage verbringt. Ich sehe zu ihr. Sie sitzt mit dem Rücken zu mir zwischen ihrem Bett und dem Schrank und packt ihren Koffer. Weil ich unterwegs aus dem Koffer lebe, bin ich damit bereits fertig. Nun bin ich dabei, Der Wolkenatlas zu Ende zu lesen. Für den Flug brauch ich noch etwas Neues. Wie absurd, dass ich jetzt gerade daran denke. Aber bei dem Gedanken, morgen auf dem Rückflug schweigend neben Julia zu warten, dass wir wieder landen, dreht sich mir der Magen um.
 

"Julia?", sage ich leise. Zunächst denke ich, sie hat mich nicht gehört, doch dann sehe ich, wie sie ihren Kopf ein wenig dreht und beim Packen inne hält. "Wollen wir uns nicht wieder vertragen? Es ist doch doof, wie das jetzt gelaufen ist."
 

"Siehst du also ein, dass du unfair warst?"
 

Das darf doch nicht wahr sein.
 

"Wir haben uns eben missverstanden", sage ich. Ich werde die Schuld nicht auf mich nehmen. Nicht komplett. Das habe ich die letzten Tage innerlich schon genug getan. "Ich hätte mehr Verständnis dafür haben sollen, dass dich YouTube nicht interessiert. In Zukunft werde ich mich bemühen, nicht mehr so viel davon zu reden."
 

Endlich dreht Julia sich zu mir um.
 

"Weißt du", sagt sie lächelnd. "Als ich gestern mit Sven und den anderen unterwegs war, habe ich erfahren, dass Manuel auf dich steht. Er sieht sogar fast aus wie dieser Thomas Typ, findest du nicht?"
 

Mit aller Macht zwinge ich mich zu einem Lächeln. Keine Ahnung, wie dieser Manuel aussieht.
 

"Herrscht also wieder Frieden?", frage ich.
 

"Okay", ist Julias Antwort, woraufhin sie sich wieder ihrem Koffer widmet. Das werde ich wohl noch oft vorgeworfen bekommen.



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