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Der Aufstieg der Assassine

von

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Schicksalhafte Begegnung

Die Nacht legte ihren dunklen Schleier über Neriak, doch in der unterirdischen Stadt der Dunkelelfen selbst veränderte sich dadurch nicht viel. Die Düsternis, die unter der Erde herrschte, stand an der Tagesordnung und wurde nur durch den Schein der blau flackernden Lampen verdrängt, die man überall finden konnte. Dennoch machte sich langsam bemerkbar, dass der Abend bereits fortgeschritten war, denn die Stille der Nacht lag über der Stadt, auf den Straßen waren nur noch patrouillierende Wachen, sonst aber kaum eine Menschenseele zu sehen.

Eine junge Teir'Dal trat aus dem Schatten eines Hauses, mit dem sie bis eben nahezu vollständig verschmolzen war. Durch ihre dunkle Kleidung und die mitternachtsblaue Haut war sie in der Finsternis kaum zu erkennen - nur ihre eisblauen Augen stachen aus ihrer düsteren Silhouette hervor, in denen sich der Schein der Laternen reflektierte und die Farbe umso intensiver erscheinen ließ.

Aufmerksam wanderte ihr Blick über den Cristanos-Platz, doch die Wache, die hier Streife ging, war nicht in der Nähe. Lautlos huschte die Dunkelelfe in eine gegenüberliegende, etwas abgelegene Gasse: der Treffpunkt.

Suchend sah sie sich um, konnte jedoch niemanden hier ausmachen, als eine Stimme hinter ihr ertönte.

"Scarramouche V'Oziar."

Der Fall ihres Namens ließ die Teir'Dal herumwirbeln und Erleichterung durchflutete sie, als sie erkannte, dass es der Vorstand der "Schwarzmetallmaske", der Kundschaftergilde in Neriak, war, den sie selbst hierher bestellt hatte. Scarramouche zog sich die Kapuze vom Kopf und ihr tiefviolettes Haar fiel über ihre Schultern. "In der Tat."

Ihr Gegenüber sah sich besorgt über die Schulter und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Scarramouche runzelte die Stirn.

"Was ist los? Redet", befahl sie und obwohl sie gerade einmal 51 Winter alt war und somit nicht halb so alt, wie der Vorstand selbst, sah er die junge Frau nervös an und gehorchte.

"Nun", setzte der Dunkelelf an, der sich schon bei ihrem letzten Treffen als Vykko T'Lach vorgestellt hatte. "Ich fürchte, unsere Abmachung ist geplatzt."

Scarramouche starrte ihn an.

"Was soll das heißen?" Ihre Stimme klang unverändert ruhig. T'Lach schien nicht so recht mit der Sprache herausrücken zu wollen und Scarramouche bedachte ihn mit einem stechenden Blick, und er fuhr hastig fort.

"Es wird kein Termin zwischen Euch und der Assassinenausbilderin Qillara T'Despth zustande kommen."

Noch immer war Scaramouches Blick undeutbar und sie fragte: "Weshalb? Ich habe ein hübsches Sümmchen dafür springen lassen."

"Euer Vater, Nador V'Oziar, hat Wind von der Sache bekommen", gestand T'Lach zögernd.

Härte trat in Scarramouches Züge und ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Immer wenn sie an ihren Vater dachte, machte sich eine eiskalte Wut in ihr breit, doch sie verbarg sie geschickt und antwortete nur: "Interessant."

Sie streckte T'Lach ihre Hand entgegen und er kam ihrer Aufforderung nach, indem er einen kleinen, jedoch schweren Münzbeutel in ihre Handfläche fallen ließ. Dann verabschiedete er sich hastig und verschwand eilig in der Dunkelheit. Scarramouche blieb allein in der Gasse zurück.

Ein resignierter Seufzer entfuhr ihren Lippen, bevor sie die Kapuze wieder überzog und sich auf den Weg nach Hause begab.

Ihr Vater also, soso. Scarramouche knirschte mit den Zähnen. Wieder einmal hatte er ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Zu Hause hocken und die Bälger eines Kerls zur Welt bringen, den du für mich ausgesucht hast?, dachte sie verächtlich. Ist das die Zukunft, die du dir für mich vorstellst?

Die Familie V'Oziar war eine hoch angesehene Adelsfamilie in Neriak, die sich vor allem einen Namen durch die Kunst der Nekromantie gemacht hatte. Ihre Mutter Eliha und auch ihr Vater Nador waren beide am Hof der Königin Cristanos tätig, als Ratgeber und Leibgarde und neben der Herrscherin selbst die mächtigsten Magier im Reich der Dunkelelfen. Somit wurden auch an ihre einzige Tochter, Scarramouche, hohe Erwartungen gestellt, doch die Teir'Dal hatte sich schon in jungen Jahren von der Nekromantie abgewandt, denn sie hatte ganz andere Pläne. Ihr Interesse galt der Kunst des stillen Tötens, des Mordes ohne Beweise und des Meuchelns, ohne dass der Täter jemals ausfindig gemacht wurde.

Doch ihr Vater sowie auch ihre Mutter waren strikt dagegen, ihre Tochter zu einer Assassine ausbilden zu lassen und als sie sich nach Jahren endlich damit abgefunden hatten, dass Scarramouche niemals eine Nekromantin werden würde, waren sie nun bemüht darum, einen angemessenen Ehemann für die junge Frau zu finden. Dass sie mit 51 Jahren noch nicht verheiratet war, war eine Schande für die Familie, wie ihr Vater zu sagen pflegte, denn Scarramouche hatte bisher jeden Bewerber von sich gewiesen, egal wie sehr er sich bemühte und wie sehr ihre Eltern versuchten, sie zur Heirat zu zwingen.

Scarramouche würde sich auch weiterhin weigern, denn nur sie selbst bestimmte, wen sie zum Mann nahm - falls sie dies überhaupt jemals tun würde - und welche Tätigkeit sie ausüben würde. Dies war ihr Leben und nur sie würde ihre Zukunft bestimmen.

Verstimmt schlug sie den Weg zum Anwesen ihrer Familie ein, das in der Nähe des Hafenmarktes lag und huschte dort angekommen geräuschlos hinter das Haus, um dort einen Geheimgang zu öffnen, der sie in die Eingangshalle des Anwesens führte.

In Neriak gab es keine Fenster - wozu auch, denn es gab ebenso wenig Tageslicht, das durch sie hätte hindurch fallen können. Daher gab es für Scarramouche keine andere Möglichkeit, unbemerkt aus ihrem Elternhause zu schlüpfen, als auf dessen Geheimgänge zurückzugreifen - und sie war überaus stolz darauf, diese durch Zufall entdeckt zu haben.

Vorsichtig schob sie das Regal in der Eingangshalle beiseite, hinter dem der Geheimgang lag, spähte hinaus und stellte erleichtert fest, dass die Halle völlig ausgestorben war. Wenig später kam sie unbemerkt in ihren Gemächern an, schloss lautlos die Tür hinter sich und legte den Umhang ab.

Noch immer brodelte der eiskalte Zorn in ihr, der hoch gekocht war, als sie erfahren hatte, dass ihr Vater ihr erneut die Pläne durchkreuzt hatte, während sie ihre Stiefel aufschnürte und sich beherrschte, sie nicht wutentbrannt in die Ecke zu werfen.

Missmutig ließ Scarramouche sich auf ihr Himmelbett fallen und überlegte, wie sie nun vorgehen sollte. Wie sie schon aus vorangegangen Gesprächen mit ihren Eltern festgestellt hatte, konnte sie diese nicht überreden, einer Ausbildung zur Assassine zuzustimmen. Qillara T'Despth war ihre einzige Hoffnung gewesen, zumal sie die einzige Assassinenausbilderin in ganz Neriak war. Doch da Scarramouches Vater nun Wind von der Sache bekommen hatte, dass sie ihre Ausbildung gegen seinen Willen durchsetzen wollte, konnte sie das nun vergessen und obendrein würde sie noch eine gehörige Standpauke und möglicherweise auch eine Tracht Prügel erwarten.

Scarramouche hörte Schritte auf der Treppe, die ins Obergeschoss führte, in dem auch ihr Zimmer lag und ihr Herz verkrampfte sich unwillkürlich. Sie zwang sich zur Ruhe, doch ein seltsames Gefühl der Nervosität stieg in ihr auf, gleich einer dunklen Vorahnung und sie schluckte schwer, als sich ihre Türklinke nach unten bog. Was konnten ihre Eltern um diese Uhrzeit noch von ihr wollen? Es war schon ziemlich spät.

Glücklicherweise hatte sie noch nie Probleme damit gehabt, ihre Gefühle zu verbergen und somit lag sie völlig gelassen auf ihrem Bett, als ihr Vater, gefolgt von einem fremden Dunkelelfen, ihr Zimmer betrat. Die Miene ihres Vaters war streng und als er Scarramouche erblickte, verhärtete sich sein Blick.

"Wo bist du gewesen?!", blaffte er sie an und Scarramouche fluchte innerlich; er war in ihrer Abwesenheit in ihrem Zimmer gewesen. Die junge Teir'Dal antwortete nicht; stattdessen war ihr Blick zu dem Kerl gewandert, der ihren Vater begleitet hatte und nun regungslos im Türrahmen stand und das Geschehen mit gleichgültiger Miene verfolgte. Für einen Teir'Dal war er ungewöhnlich hoch gewachsen und wie die meisten Besucher ihres Vaters schien er von hohem Rang zu sein, was an seiner Gewandung deutlich zu erkennen war; reich bestickt und augenscheinlich von hoher Qualität. Seine kräftige, aber dennoch schlanke Statur wurde dadurch deutlich unterstrichen. Die Haare des Teir'Dal waren etwa schulterlang und liefen in seinem Nacken in einen geflochtenen Zopf, während die kürzeren, losen Strähnen, die an der Seite seines markanten Gesichtes herab fielen, ebenfalls von einem kleinen Zopf zusammengehalten wurden. Doch als Scarramouche ihm in die grauen Augen schaute, wurde sie von einem Frösteln erfasst. Selbst unter Dunkelelfen war sie noch nie einem so eiskalten Blick begegnet und gegen ihren Willen wallte Furcht in ihr auf.

"Scarramouche!" Die wütende Stimme ihres Vaters riss sie aus ihren Gedanken und damit wandte sie auch rasch den Blick von dem seltsamen Dunkelelfen ab und zwang sich, ihren Vater anzusehen. Noch einmal fragte er sie, wo zum Henker sie gewesen sei, doch sie sah ihn nur regungslos an und antwortete nicht.

"Wo hast du dich wieder herumgetrieben, junge Dame?" Ihr Vater wurde allmählich wirklich wütend. "Es ist bereits ziemlich spät!"

Scarramouche konnte sich eine spöttische Bemerkung nicht verkneifen. "Ja, das ist es allerdings, daher frage ich mich, was zwei Männer um diese Uhrzeit in meinen Gemächern verloren haben?" Die Augen ihres Vaters verengten sich zu Schlitzen, doch bevor er den Mund öffnen konnte, kam ihm der Teir'Dal zuvor.

"Welch ungezogenes Benehmen." Die Stimme des Fremden war tief und ebenso kalt wie seine Augen. Widerwillig wandte Scarramouche sich wieder um, um ihn anzusehen und zu ihrer Überraschung schien der Teir'Dal amüsiert.

"Ich bitte um Verzeihung, Lord T'Narem. Meine Tochter ... ", stammelte ihr Vater und Scarramouche wurde hellhörig.

T'Narem?

Soweit sie sich erinnern konnte, war dies eine der hochrangigsten Familien in ganz Neriak, der unter anderem die Nachtliedoper in der Todesgrotte gehörte. Dass dieser Kerl hier war, konnte nur eines bedeuten...

Dass Lord T'Narem nicht auf seine Entschuldigung reagierte, schien Scarramouches Vater etwas zu verunsichern, aber er fasste sich sogleich wieder und sagte an seine Tochter gewandt: "Scarramouche, benimm dich. Das ist Sharthir T'Narem, ein potentieller Ehemann für dich."

Als er vorgestellt wurde, nickte Sharthir höflich, doch die Kälte in seinen Augen war allgegenwärtig. Scarramouche warf ihrem Vater einen nicht minder kalten Blick zu; sie hatte es gewusst. Warum sonst sollte ihr Vater einen derart ranghohen Mann zu Besuch haben, als seine Tochter endlich verheiraten zu können? Die altbekannte Wut stieg in ihr auf und sie hatte Mühe, sie niederzukämpfen und sich nichts anmerken zu lassen.

Ihr Vater sah sie eindringlich an und gab Scarramouche zu verstehen, dass sie sich nun ebenfalls vorstellen sollte. Scarramouche schnaubte, dann wandte sie sich zu Sharthir und stieß mit zusammengebissenen Zähnen hervor: "Mein Name ist Scarramouche V'Oziar. Und danke, aber kein Interesse."

Ihr Vater starrte sie entgeistert an - Scarramouche fand diesen Blick allmählich albern, denn schließlich war dies ihre Standardantwort bei jedem Heiratskandidaten. Nach einer solchen Äußerung wollten die meisten Kerle ohnehin nichts mehr von ihr wissen, weshalb sie es bisher immer geschafft hatte, sich einer Hochzeit zu entziehen.

So aber nicht Sharthir. Seine Augen funkelten merkwürdig, bevor er zu ihrem Vater gewandt sagte: "Lasst uns allein."

Scarramouches Vater runzelte die Stirn, dann verneigte er sich jedoch und schritt aus dem Zimmer. Gleich nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, ging Sharthir zu Scarramouche hinüber und setzte sich zu ihr aufs Bett. Sie rückte sogleich auf Abstand und warf ihm einen widerwilligen Blick zu, schwieg aber. Ihr Herz schlug unangenehm in ihrer Brust - dieser Kerl war einfach nur zu unheimlich.

"Wie widerspenstig", sagte der Teir'Dal nur und Scarramouche drehte wie zur Bestätigung den Kopf weg. "Zu schade nur, dass die Entscheidung bereits gefallen ist." Scarramouches Hand zuckte unwillkürlich und sie war sich sicher, dass er es gesehen hatte. Was war nur los mit ihr? Verunsicherte er sie derart, dass all ihre Selbstbeherrschung nun über Bord ging? Und was wollte er damit sagen?

"Sträube dich, so viel du willst, es wird dir nichts nützen", fuhr Sharthir fort, dann packte er sie an der Schulter und riss sie herum, um die Hand unter ihr Kinn zu legen und sie zu zwingen, ihn anzuschauen. Ihre Miene war angespannt, doch sie starrte ihm fest in die Augen.

"Du wirst meine Frau. Gewöhn dich schonmal an den Gedanken." Mit diesen Worten ließ er sie los, stand auf und ging aus dem Raum.

Selbst nachdem Sharthir schon eine Weile aus dem Zimmer war, schlug Scarramouches Herz immer noch unruhig in ihrer Brust. Seine kalte Art, seine Berührung und auch das, was er zu ihr gesagt hatte, all das hatte sie derart aufgewühlt, dass sie kaum noch klar denken konnte und sich selbst dabei nicht wieder erkannte. Doch auch ein ungebändigter Zorn auf den Teir'Dal war in ihr aufgestiegen und so sprang sie auf und lief ruhelos in ihrem Zimmer umher. Dabei fiel ihr Blick auf den Spiegel, der ihr gegenüber an der Wand hing. Ihre sonst eisblauen Augen, so fiel ihr auf, als sie einen Blick in den Spiegel warf, hatten sich wieder einmal dunkel verfärbt - wie immer, wenn eine kalte Wut drohte, sie aus der Fassung zu bringen.
 

* * *
 

Am nächsten Morgen schlug Scarramouche die Augen auf - doch geschlafen hatte sie nicht. Die ganze Nacht lang hatte sie wach gelegen, durch die gestrigen Ereignisse unfähig auch nur das letzte bisschen Schlaf zu finden. Doch jetzt war sie hellwach, denn neben den lästigen Gedanken, die sie an Sharthir verschwendet hatte, hatte sie auch noch über etwas anderes nachgedacht, das durch diesen Mistkerl letzte Nacht viel zu kurz gekommen war - ihre Assassinenausbildung.

Ihre Eltern hatten ihr eine solche Lehre von Anfang an verboten, wochenlang hatte sie um ein heimliches Treffen mit der Ausbilderin gekämpft, doch da ihre Eltern ihr zuvor gekommen waren, hatte der Vorstand des Kundschafterhauses sie jedes Mal abgewiesen. Bis es ihr erst vor kurzem gelungen war, ihn mit einem beachtlichen Sümmchen zu bestechen, doch auch von dieser Sache hatte Scarramouches Vater Wind bekommen und am vorangegangenen Tag dafür gesorgt, dass sie wieder mit leeren Händen zurückkam. Missbilligung schlich sich in das Gesicht der Teir'Dal und ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Ihr Vater hatte an jenem Abend nichts Besseres zu tun gehabt, als ihr den nächsten Kotzbrocken von einem Kerl vor die Nase zu setzen - zu allem Übel war besagter Kotzbrocken hartnäckiger als seine Vorgänger. Scarramouche schob den Gedanken an den unliebsamen Verehrer beiseite und wandte sich wieder dem Wesentlichen zu: Da eine Ausbildung innerhalb Neriaks für sie nun schier unerreichbar war und es nicht infrage kam, die Stadt unbemerkt zu verlassen, blieb ihr nur eine Möglichkeit. Sie musste das Handwerk des Assassinen selbst erlernen.

Mit diesem Gedanken schwang Scarramouche sich aus ihrem Bett, kleidete sich an und zog sich ihre Stiefel über, um dann hinaus auf den Flur zu treten und die mächtige Treppe in der Eingangshalle des Herrenhauses hinunter zu rennen. Der erste Schritt, um sich ein solch umfangreiches und überaus schwieriges Handwerk anzueignen, war Information. Und diese bekam sie zur Genüge in der Bibliothek von Neriak: Der Bibliothek von K'Lorn. Natürlich würde sie ihren Eltern nicht Bescheid sagen, wohin sie ging; zu groß war die Gefahr, dass sie es ihr wieder untersagen würden. Also spähte Scarramouche vorsichtig in der Eingangshalle umher und stellte zufrieden fest, dass hier keine Menschenseele zugegen war. Gerade wollte sie unauffällig durch das Eingangsportal schlüpfen, als eine Stimme ertönte, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.

"Wohin des Weges, junge Dame?"

Scarramouche stieß langsam den Atem aus und drehte sich um. Sharthir - oder Lord T'Narem wie sie ihn immer noch anzusprechen hatte - stand in der Tür des Speisezimmers, das links an die Eingangshalle grenzte. Seine grauen, kalten Augen blitzten interessiert zu ihr hinüber. Scarramouche überkam erneut ein Frösteln; was suchte dieser Kerl überhaupt schon wieder hier? Noch bevor sie sich eine Antwort darauf geben konnte, trat ihr Vater neben den Dunkelelfen und auch er war stark interessiert daran, wohin Scarramouche wollte.

"In die Bibliothek", murmelte Scarramouche und alle Hoffnung, dort auch wirklich hinzugelangen, hatte sie bereits verlassen.

"Was willst du dort?", fragte ihr Vater überflüssigerweise. Scarramouche verdrehte die Augen, antwortete aber nicht.

Sharthir zog missbilligend die Augenbrauen in die Höhe über solch Unverfrorenheit ihrem Vater gegenüber, doch was dieser Kerl von ihr dachte, scherte Scarramouche herzlich wenig. "Was dagegen, werter Vater, wenn deine Tochter versucht, sich ein wenig weiterzubilden?" In ihrer Kindheit war Scarramouche eines der wenigen Mädchen gewesen, die das Glück hatten, sich Privatunterricht unterziehen zu dürfen, wodurch sie in der Tat nicht auf den Kopf gefallen war, wie so manch verzogene Adelstochter.

"Kommt ganz auf das ... Themengebiet an.", erwiderte ihr Vater und gab seiner Tochter damit zu verstehen, dass er zu ahnen schien, was sie im Schilde führte. "Ich fürchte, ich halte es für unklug, dich..."

Sharthir unterbrach ihn höflich, indem er die Hand hob. "Verzeiht die Unterbrechung, Lord V'Oziar, aber erlaubt mir, die junge Dame zu begleiten. Ich werde darauf achten, dass sie keinen Unfug anstellt."

Scarramouche starrte Sharthir entgeistert an, ebenso wie ihr Vater. Nach kurzem Zögern nickte dieser allerdings zustimmend und als Sharthir ihr einen auffordernden Blick zuwarf, verspürte Scarramouche nicht mehr die geringste Lust, die Bibliothek zu besuchen.
 

* * *
 

Es war ein kleiner Fußmarsch, um vom Hafenmarkt zum Cristanos-Platz zu gelangen, bei dem sich, etwas abgelegen, die Bibliothek von K'Lorn befand. Scarramouche und Sharthir schritten größtenteils schweigend nebeneinander her, abgesehen von ein paar gelegentlichen Fragen seitens Sharthir, die Scarramouche nur einsilbig beantwortete. Sie hatten die Türme Innoruuks hinter sich gelassen und kurz darauf den Cristanos-Platz erreicht und bogen in die Straße ein, die zur Bibliothek führte. Einen Moment später erhob sich das mächtige Gebäude vor ihnen und Scarramouches Herz machte einen kleinen Hüpfer, sodass sie sogleich eines der großen Portale aufzog und hindurch trat. Sharthir folgte ihr schweigend.

Scarramouche sah sich um; sie hatte oft Zeit hier verbracht und sie mochte die Bibliothek, wenngleich sie auch der Sitz der Magiergilde in Neriak war und für arkane Künste hatte die junge Teir'Dal noch nie viel übrig gehabt. Die Wände wurden verdeckt von unzähligen Bücherregalen, während in der Mitte der Räumlichkeiten Tische und Sitzgelegenheiten zum Schmökern zu finden waren. Kerzen und stellenweise auch Bücher schwebten durch den Raum, doch Scarramouche ließ sich davon nicht stören. Ebenso wenig wie von Sharthir, der sich in einer Ecke auf einem Sessel niedergelassen hatte und ihr aufmerksame Blicke zuwarf.

Langsam schlenderte Scarramouche durch die Regalreihen und ließ den Blick über die Buchrücken schweifen, dabei jedoch stets darauf bedacht, das unangenehme Kribbeln in ihrem Nacken weitestgehend zu ignorieren. Sie spürte Sharthirs überwachende Blicke in ihrem Rücken und es war schier unmöglich sie auszublenden. Sie seufzte; so hatte sie sich ihren Besuch in der Bibliothek nicht vorgestellt. Doch immerhin verfolgte sie der unheimliche Teir'Dal sie nicht auf Schritt und Tritt.

Scarramouche hielt inne, als ihr Blick auf einen Buchtitel fiel, der ihr Interesse weckte.

"Der lautlose Tod" stand dort auf dem Buchrücken geschrieben und Scarramouche zog den schweren Buchband neugierig aus dem Regal. Dann warf sie Sharthir einen verstohlenen Blick zu und nahm das Buch mit in die andere Ecke des Raumes, wo er sie schlecht beobachten konnte.

Sie setzte sich an einen Tisch, zog den Stuhl heran und schlug das Buch auf. Es handelte von verschiedenen Techniken, sein Opfer sofort zu töten, mit welchen Waffen auch immer. Schon bald war Scarramouche so vertieft, dass sie gar nicht bemerkte, dass jemand hinter sie getreten war und sie erst aufschreckte, als Sharthir ihr das Buch aus der Hand nahm und laut vorlas: "'Der lautlose Tod'. Soso."

Scarramouche warf ihm einen erbosten Blick zu, doch sie kam nicht umhin, sich ertappt zu fühlen. Sie griff nach dem Buch, doch Sharthir schob ihre Hand beiseite und stellte das Buch zurück ins Regal. Scarramouche wollte protestieren, doch Sharthir schnitt ihr das Wort ab: "Ich bezweifle, dass das deinem Vater gefallen wird, kleine Meuchelmörderin." Wut kochte in ihr auf; ihr war nicht entgangen, dass er die letzten beiden Wörter voller Spott ausgesprochen hatte.

"Wir gehen", sagte Sharthir in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Scarramouche rührte sich nicht von der Stelle und starrte ihn wütend an. "Wir GEHEN." Mit diesen Worten packte er sie am Arm und zerrte sie zum Ausgang der Bibliothek.

Bald darauf waren sie wieder bei ihr zu Hause angekommen; Sharthir hatte sich verabschiedet und Scarramouche saß missgelaunt in ihrem Zimmer und grübelte vor sich hin. Offenbar war Sharthir derselben Meinung wie ihr Vater - eine Assassinenausbildung kam nicht in Frage und sie täte besser daran, wenn an seiner Seite einfach nur die hübsche und ergebene Ehegattin war. Scarramouche schnaubte.

Dies ist nicht das Schicksal, das mir vorherbestimmt ist, mein Lieber. Verlass dich drauf, dachte sie und ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, während die Iris sich bereits dunkel verfärbte.
 

* * *
 

Entgegen Scarramouches Annahme, hatte Sharthir ihrem Vater offenkundig nichts von den Büchern erzählt, in denen sie in der Bibliothek gelesen hatte, denn er hatte sie deshalb nicht gescholten. Höchstwahrscheinlich dachte sich dieser Kerl, dass er dem Ganzen als ihr zukünftiger Gatte selbst Einhalt gebieten konnte, doch Scarramouche würde weder gehorchen noch seinen Worten auch nur im Geringsten Gehör schenken. Sie würde schon eine Möglichkeit finden, ihr Ziel zu erreichen.

Im Moment saß sie mit ihrer Mutter im Kaminzimmer und sah ihr dabei zu, wie sie mittels Magie einen Teppich webte. Wie von Zauberhand glitt die Spindel durch die Luft, während sie die verschiedenfarbigen Fäden zu einem großen Ganzen verknüpfte. Ihre Mutter schien zu bemerken, dass Scarramouche sie beobachtete, denn sie lächelte wissend vor sich hin und warf ihrer Tochter immer wieder verstohlene Blicke zu. Scarramouche wandte den Blick ab und starrte gedankenverloren in die Flammen, die im Kamin düster vor sich hin tänzelten. Der Mimik ihrer Mutter nach zu urteilen, versuchte sie gerade ihrer Tochter die Heimarbeit schmackhaft zu machen. Immer wieder sah sie zu ihr hinüber, doch Scarramouche schenkte ihr bewusst keine Beachtung.

"Willst du es nicht auch einmal ..." , begann Eliha, doch Scarramouche schnitt ihr barsch das Wort ab. "Nein."

Ihre Mutter hielt inne und während sie seufzte, schwebte die Webspindel langsam zu Boden. Eliha wandte sich Scarramouche zu und sah sie ernst an. "Dir wird ein wenig Übung in der Ehe sicherlich von Nutzen sein."

"Ich werde nicht heiraten", antwortete die junge Teir'Dal knapp und ohne ihre Mutter dabei anzusehen. Ihr Blick ruhte noch immer auf dem Kaminfeuer. Eliha lehnte sich in ihrem Sessel zurück, schloss kurz die Augen, als würde sie sich sammeln und begann erneut zu sprechen.

"Sei doch vernünftig, Scarramouche. Früher oder später ..."

"Was erwartest du von mir, Mutter?! Dass ich den ganzen Tag herumsitze und Deckchen sticke?", fuhr Scarramouche Eliha an, welche nicht einmal mit der Wimper zuckte. "Das wird dann wohl meine einzige Beschäftigung sein, da es mir ja nicht erlaubt ist, eine andere Kunst als die der Nekromantie zu erlernen!"

Eliha senkte den Kopf und seufzte. "Ich verstehe nicht, weshalb du dich so sträubst ..."

"Mutter." Scarramouches Stimme hatte einen beinahe bedrohlichen Klang angenommen. "Du kennst meine Beweggründe. Ich habe kein Interesse an eurem schwachsinnigen Fingergewackel."

"Hüte deine Zunge!", zischte ihre Mutter erzürnt, doch Scarramouche erhob sich ohne ein weiteres Wort und verließ den Raum, bemüht darum, die Tür nicht zuzuschlagen. In der Eingangshalle war es düster, doch dank ihrer Teir'Dal-Augen konnte sie auch in der Dunkelheit uneingeschränkt sehen und sie schlug den Weg zu ihrem Zimmer ein.

"Guten Abend." Scarramouche zuckte beim Klang der eisigen Stimme sichtlich zusammen und drehte sich langsam in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.

Sharthir stand vor dem Eingangsportal und sah, wie es schien, amüsiert zu ihr hinüber, was Scarramouche einen Schauer über den Rücken jagte. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück, dann besann sie sich eines Besseren, blieb stehen und hob würdevoll den Kopf, um ihr Unbehagen zu verbergen. Er zog die Augenbrauen in die Höhe, als ihr Gruß ausblieb, ließ sich dadurch aber nicht beirren und kam auf sie zu. Scarramouche trat instinktiv einen Schritt zurück und prallte dabei gegen die schwere Tür des Kaminzimmers.

"Du bist wirklich ungezogen, kleine Meuchelmörderin", flüsterte er in ihr Ohr. Scarramouche schauderte, als sie seinen Atem neben ihrem Gesicht spürte und er die eine Hand auf ihre Hüfte legte, während er sich mit der anderen an der Tür abstützte. Unwirsch fegte sie seine Hand beiseite, als sie realisierte, was er tat und stieß ihn von sich.

Sharthir verlor weder das Gleichgewicht noch taumelte er; er wich lediglich ein Stück zurück, gerade so, als hätte er ihre Bewegung vorausgeahnt.

"Was tust du ... Was tut Ihr schon wieder hier?", zischte Scarramouche angewidert und brachte sogleich einige Meter Abstand zwischen sie. Ihr war nicht entgangen, dass seine Augenbrauen beinahe unter seinem dunklen Haar verschwunden waren, als sie ihm versehentlich nicht den gebührenden Respekt gezollt hatte. Auf seinem Gesicht breitete sich ein spöttisches Grinsen aus und er erwiderte: "Vielleicht über deine Mitgift sprechen?"

Sie starrte den Teir'Dal an und dieser trat an ihr vorbei, öffnete die Tür zum Kaminzimmer und verschwand darin ohne ein weiteres Wort.
 

* * *
 

Mit einem lauten Krachen warf Scarramouche ihre Zimmertür zu. Schwer atmend blickte sie in ihren Räumlichkeiten umher und noch immer brodelte der ungebändigte Zorn in ihrer Brust, der kurz nach der Begegnung mit Sharthir in ihr aufgeflammt war. Einige Augenblicke lang blieb sie an der Tür stehen und versuchte, sich zu beruhigen, als ihr Blick auf ihren Kleiderschrank fiel. Sie stieß scharf die Luft aus und durchquerte den Raum, öffnete ihren Schrank und zog den schwarzen Umhang hervor, der ihr schon früher treue Dienste geleistet hatte. Nachdenklich begutachtete sie ihn und fasste spontan einen Entschluss: Sie würde der Bibliothek einen nächtlichen Besuch abstatten.

Nachdem sie in ihre dunkle Hose und die schwarze Weste geschlüpft war, schnürte sie ihre kniehohen Lederstiefel und warf sich den Umhang über. Sie blies die Kerze aus, die ihr Zimmer erhellt hatte und zog sich die Kapuze tief ins Gesicht, bevor sie in den Flur hinaustrat, der Treppe hinunter in die Eingangshalle folgte, wo sie sich versicherte, dass niemand zugegen war und daraufhin im Geheimgang neben der Treppe verschwand.
 

* * *
 

Scarramouches Schritte waren kaum zu hören, als sie durch die verlassenen Gassen Neriaks rannte, so flink und gerissen, dass nur ein flüchtiger Schatten zu sehen war. Wie schon am Tag zuvor passierte sie die Türme von Innoruuk und schlich sich über den Cristanos-Platz, um schließlich der Straße zu folgen, die zur Bibliothek von K'Lorn führte.

Vorsichtig schlich sie um das Gebäude herum, denn wie angenommen war das große Eingangsportal mit Magie verschlossen. Auf der Suche nach einer Hintertür wurde sie fündig, doch auch diese war abgeschlossen. Scarramouche fluchte leise; die Dietriche an ihrem Gürtel vermochten so manche Schlösser zu knacken, doch gegen Magie waren sie nutzlos. Mit den groben Künsten eines Kundschafters war Scarramouche vertraut; das Schleichen hatte ihr noch nie Probleme bereitet und auch mit Säbeln, Dolchen und Schwertern wusste sie im Großen und Ganzen umzugehen; aber dennoch fehlte es ihr an der nötigen Ausbildung, um ihre Fertigkeiten zu denen einer Assassine zu verfeinern.

Sie hatte die Hoffnung schon beinahe aufgegeben, in die Bibliothek zu gelangen, als sie tatsächlich einen weiteren Nebeneingang entdeckte, dessen Tür nur angelehnt war.

Scarramouche lächelte still in sich hinein. Wohl irgendein unvorsichtiger Novize.

Lautlos betrat sie das Gebäude, folgte einem Flur und spähte schließlich vorsichtig in den anliegenden Raum, in den er führte. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen; das Zimmer wurde von den unaufhörlich brennenden Kerzen erleuchtet, die durch den Raum schwebten und ihn in schummriges Licht tauchten. Augenscheinlich wurde der Raum wirklich von Novizen und ihren Meistern für Lehrstunden genutzt, denn er war gefüllt mit Tischen, Regalen mit Schreibutensilien und Pulten. Lautlos trat Scarramouche hinein und schlich geduckt durch den Raum; sie inspizierte jede einzelne Regalreihe, bevor sie sich wirklich sicher sein konnte, dass niemand hier war. Dennoch blieb sie aufmerksam und lauschte nach auffälligen Geräuschen, während sie nun die Bücher genauer unter die Lupe nahm. Es dauerte nur einige Augenblicke bis Scarramouche das Buch gefunden hatte, das sie am vorigen Tag in den Händen gehalten hatte: "Der lautlose Tod". Sie konnte es schlecht mitnehmen, spätestens am nächsten Tag würde der Diebstahl bemerkt werden und die Spur unweigerlich zu ihr führen. Also griff sie sich eine Kerze aus der Luft und kauerte sich in eine entlegene Ecke und fing an im Schein des Kerzenlichts an zu blättern.

Im Laufe der Nacht wuchs der Bücherstapel neben Scarramouche stetig an, bis sie schließlich ihr Buch zuklappte und sich auf den Heimweg begab, bevor die Dämmerung eintrat. Die wichtigsten Informationen und Details hatte sie sich in einem kleinen Notizbuch aufgeschrieben und den ganzen Nachhauseweg über schwirrte ihr der Kopf von so viel neu gesammeltem Wissen. Schließlich erreichte sie den Geheimgang und kehrte in ihr Zimmer zurück und betete dabei, dass niemand ihre Abwesenheit bemerkt hatte. Letztendlich würde sie das erst am nächsten Morgen erfahren.
 

* * *
 

Als Scarramouche einige Stunden später die Augen aufschlug, war sie sofort hellwach. Die nächtlichen Ereignisse des Vortages hatten sie kaum zur Ruhe kommen lassen und nun sprang sie auf, entzündete die bläulichen Kerzen ihres Kerzenständers und hob die Matratze ihres Bettes hoch. Dort hatte sie ihre Notizen versteckt, die sie letzte Nacht gesammelt hatte. Sie warf ihrer Zimmertür einen verstohlenen Blick zu, dann griff sie nach ihren Aufzeichnungen und setzte sich an ihren Schreibtisch, um sie zu studieren. Bisher hatte Scarramouche nur in Abenteuergeschichten über die Assassinen gelesen, doch sie wusste, dass dieses Handwerk in Neriak weit verbreitet war und schon vor Jahren hatte sie sich in den Kopf gesetzt, es ebenfalls auszuüben. Immer wieder hörte man von Morden, keinerlei Zeugen und der Täter wie vom Erdboden verschluckt, dabei lebte er irgendwo zivil direkt unter ihnen. Scarramouches eisblaue Augen begannen zu leuchten, als sie darüber nachdachte und sie vertiefte sich wieder in ihre Notizen.

Anders als in irgendwelchen Romanen hatten die Bücher von vergangener Nacht konkrete Informationen über die Tätigkeiten eines Assassinen geliefert: über das vielfältige Waffenarsenal der Meuchelmörder, über ihre Vorgehensweise und auch einige Aufzeichnungen über den Körperbau der verschiedenen Rassen, da nicht wenige äußerst unterschiedlich proportioniert waren. Wichtige und besonders empfindliche Körperteile und Organe waren farbig markiert gewesen und Scarramouche hatte die Figuren so genau wie möglich abgezeichnet. Ein Stich in Lunge, Herz oder Nieren war tödlich, das wusste sie auch ohne das Buch gelesen zu haben, doch wie man den Stich platzieren musste, um jemanden augenblicklich zu töten, war eine Kunst für sich. Die Teir'Dal war so vertieft in ihre Aufzeichnungen, dass sie gar nicht hörte, dass nach ihr gerufen wurde und erst als sich ihre Tür öffnete, schreckte sie auf und versteckte hastig ihre Notizen. Sie drehte sich möglichst unauffällig um und erblickte ihren Vater im Türrahmen.

"Ich habe dich gerufen", sagte er knapp und warf seiner Tochter einen strengen Blick zu. Scarramouche musterte ihn schweigend. Der Dunkelelf seufzte und befahl: "Komm nach unten."

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.

Scarramouche seufzte und schob den Stuhl nach hinten, um sich zu erheben. Was ihre Eltern wohl jetzt wieder geplant hatten? Sie wurde das Gefühl nicht los, dass Sharthir ebenfalls damit zu tun hatte. Gemischte Gefühle machten sich in ihr breit, als sie an den stattlichen Teir'Dal dachte. Einerseits hasste sie ihn abgrundtief für seine Selbstgefälligkeit und dass er dachte, er könne sie einfach zur Frau nehmen, nur weil es ihm gerade beliebte. Doch andererseits musste sie zugeben, dass er durchaus gut aussehend war. Und deshalb hasste sie ihn noch mehr, weil er sich dadurch garantiert bestätigt fühlen würde. Alles in allem graute ihr vor einer weiteren Begegnung mit dem Dunkelelfen.

Seufzend lief sie die große Treppe in der Eingangshalle hinunter und blieb kurz vor dem Kaminzimmer stehen. Sie atmete tief durch, dann klopfte sie und als sie Antwort bekam, trat sie ein. Ihr Vater saß auf seinem gewohnten Platz: der große Lehnsessel schräg links stehend vor dem Kamin. Auf dem Sessel gegenüber hatte ihre Mutter sich niedergelassen und auf dem teuren Sofa zwischen den beiden saß Sharthir, die Beine übereinander geschlagen und ein Glas Wein in der Hand. Als sie eintrat, blitzen seine grauen Augen aufmerksam zu ihr hinüber und sie meinte, ein kaum merkliches Lächeln auf seinen Lippen erkennen zu können. Ihr Blick huschte auf die prunkvolle Uhr, die auf dem Kaminsims stand und sie stellte überrascht fest, dass es bereits Nachmittag war. Wenn sie so darüber nachdachte, wunderte sie das eigentlich nicht; schließlich war sie erst in den frühen Morgenstunden zu Bett gegangen.

Ihre Eltern warfen ihr undeutbare Blicke zu, während sie vor der Tür stand und sie beschlich ein ungutes Gefühl.

"Setz dich", forderte ihr Vater sie schließlich auf und deutete auf den Platz neben Sharthir. Scarramouche blieb wie angewurzelt stehen. Sharthir stellte sein Weinglas auf dem kleinen Tisch vor dem Sofa ab und sah sie erwartungsvoll an.

"Scarramouche." Die Stimme ihres Vaters klang drohend und duldete keinen Widerspruch. Widerwillig setzte die Teir'Dal sich in Bewegung, der Weg bis zum Sofa kam ihr unendlich lang vor, bis sie sich schließlich zwang, sich neben Sharthir niederzulassen, darauf bedacht, soviel Abstand wie nur möglich zwischen sich und den Elfen zu bringen.

"Hör zu, Scarramouche." Die Stimme ihres Vaters klang ernst, sodass Scarramouche den Kopf hob, um ihn forschend anzusehen. Er machte einen sehr zufriedenen Eindruck, so wie ein jeder in diesem Raum - außer ihr natürlich und genau das bereitete ihr Unbehagen.

Ihr Vater rutsche in seinem Sessel auf eine gemütlichere Position und sprach weiter: "Ich bin glücklich, dir mitteilen zu können, dass wir endlich einen Termin für deine Hochzeit festlegen konnten."

Scarramouche starrte ihn an, unfähig etwas auf diese dreiste Aussage zu erwidern. Sie spürte, wie sowohl die Blicke ihrer Mutter als auch die Sharthirs auf ihr ruhten. Tausend Gedanken schwirrten in ihrem Kopf herum und sie war nicht in der Lage, sie zu ordnen. Wenn sie diesen Kerl heiratete, dann hatte sie nach seiner Pfeife zu tanzen, würde mit ihm zusammenleben; 24 Stunden, den ganzen Tag über, die ganze Woche, den ganzen Monat, das ganze Jahr - für immer, ihr ganzes Leben lang. Bei dem Gedanken daran wurde ihr übel und sie lehnte sich zurück und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, war ihre Iris bereits dunkel verfärbt und sie rang sichtlich um Fassung, als sie zu sprechen begann.

"Und ich werde dabei nicht um meine Meinung gefragt?"

Ihre Mutter breitete die Hände aus. "Scarramouche, Lord T'Narem ist ohne Frage eine viel versprechende Partie für dich." Sie warf besagtem Mann einen freundlichen Blick zu. Sharthir nickte Eliha höflich zu.

"Ich werde diesen Mann nicht heiraten!", platzte Scarramouche heraus und deutete auf Sharthir, wobei sie aus ihrem Ekel keinen Hehl machte. Ihr Vater warf ihr einen entrüsteten und zugleich warnenden Blick zu und ihre Mutter hatte empört ihren Namen gerufen.

"Verzeihung, Lord T'Narem, für die Unverfrorenheit unserer Tochter. Sie wird selbstverständlich ...", stammelte ihre Mutter entschuldigend, doch Scarramouche fiel ihr ins Wort: "Ich weigere mich."

Sie verschränkte die Arme, doch Sharthir brach in schallendes Gelächter aus; ein Lachen, das so kalt und freudlos war, dass es Scarramouche bis ins Mark fuhr. Ihre Hoffnung, den einflussreichen Dunkelelfen durch ihr schlechtes Benehmen vergrault zu haben, zerschlug sich augenblicklich, als er antwortete: "Keine Sorge, Lady und Lord V'Oziar." Er fasste Scarramouche an der Schulter und zog sie an sich heran. "Dieses ungezähmte Kätzchen und ich, wir werden uns sicher prächtig verstehen."

Scarramouche riss sich auf der Stelle los und schnellte ans andere Ende des Sofas, von wo aus sie Sharthir angewiderte Blicke zuwarf. Dieser hatte nur ein geheimnisvolles Lächeln auf den Lippen und Eliha und Nador schienen erleichtert über seine Bemerkung.

Scarramouches Hände lagen verkrampft in ihrem Schoß und sie starrte auf ihre Knie, die unter dem edlen Tuch ihres Kleides verborgen waren. Das fortwährende Knistern der Flammen im Kamin war das einzige Geräusch, das zu hören war, doch die junge Teir'Dal nahm es kaum wahr - es wurde von dem Rauschen übertönt, das ihre Ohren erfüllte. Was sollte sie nun tun? Eine Hochzeit mit Sharthir schien nun unausweichlich und doch überlegte sie fieberhaft, wie sie sich ihrer entziehen konnte. Ihr Blick flackerte kurz zu dem rätselhaften Teir'Dal, der am anderen Ende des Sofas saß und mit undeutbarer Miene in die flackernden Flammen des Kamins sah. Ein Hauch von zufriedener Selbstgefälligkeit legte sich auf seine Züge, als er den Kopf wandte und ihre Blicke sich trafen.

Scarramouche sah augenblicklich weg. Ein Schauer des Fröstelns überkam sie, wie jedes Mal, wenn der Dunkelelf seine Aufmerksamkeit auf sie richtete. Sie schluckte. Es drängte sie zu erfahren, wann die Hochzeit stattfinden sollte und doch wagte sie es nicht zu fragen, aus Angst, der Termin könnte bereits näher als erwartet sein. Als hätte ihr Vater Nador ihre Gedanken gelesen, durchbrach er endlich die Stille und richtete das Wort an seine Tochter.

"Die Vermählung wird am zehnten Tage des siebten Mondes erfolgen. Genügend Zeit, um die erforderlichen Vorbereitungen zu treffen", erklärte Nador und heftete seinen Blick auf Sharthir, der zustimmend mit dem Kopf nickte. Scarramouches Blick huschte zwischen ihren Eltern und Sharthir hin und her, während sie sich bemühte, eine aufrechte Haltung beizubehalten.

Am zehnten Tage des siebten Mondes! Der Gedanke nahm in ihrem Kopf nur träge Gestalt an. Nicht einmal mehr drei Mondphasen. Die Teir'Dal hatte das Gefühl, man würde ihr eine Schlinge um den Hals legen, die sich nun unaufhörlich zuzog. Ihre Augen begann zu brennen, doch sie bemühte sich um eine gleichgültige Miene.

Sharthir schwenkte gemächlich sein Weinglas, nahm einen Schluck davon und bemerkte: "Die Zeremonie wird im Beisein des Königs Naythox vollzogen. Es ist bereits alles geregelt."

Scarramouche hob ruckartig den Kopf und starrte ihn an. Eigentlich hätte ihr klar sein müssen, dass die Verbindung zweier solch einflussreichen Adelsfamilien in Neriak in einem dementsprechend großen Rahmen gefeiert wurde, doch darüber hatte sie gar nicht nachgedacht. Ihr wurde kalt, als sie sich vorstellte, wie viele Elfen am schlimmsten Tag ihres Lebens dabei sein würden. Sie schob den Gedanken verbissen beiseite und richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihren Vater, der die Stimme zum Sprechen erhob.

"Es ist uns eine Ehre unsere Tochter vor Eurer Majestät vermählen zu lassen.", erwiderte Nador stolz und Eliha nickte zustimmend. Sharthir machte eine gelangweilte Handbewegung.

"Lord V'Oziar, ich bitte Euch. Ihr seid die Oberhäupter der königlichen Leibgarde und damit die mächtigsten Nekromanten in ganz Neriak. Es wäre eine Beleidigung, Euch bei einer solchen Feierlichkeit königliche Anwesenheit zu verwehren."

Ein Anflug von Ekel befiel Scarramouche, als sie sah, dass ihre Eltern bei diesen Worten vor Stolz beinahe platzten. Sie wandte den Blick ab.

"Wir werden gleich nächste Woche dein Kleid aussuchen", erklärte Eliha ihrer Tochter erfreut, woraufhin diese ihr einen finsteren Blick zuwarf. In Sharthirs kalte Augen schlich sich ein Funken Zufriedenheit.

"Scheut bitte keine Kosten, Lady V'Oziar", bemerkte er. "Notfalls komme ich dafür auf."

"Auf keinen Fall." Nador hob abwehrend die Hände. "Selbstverständlich ist uns dafür kein Preis zu hoch!"

Scarramouche starrte vor sich hin, während Zorn in ihr aufkochte, als sie zuhörte, wie ihre Eltern und Sharthir über sie sprachen wie über Vieh, das verkauft werden sollte. Schließlich setzte Sharthir sich auf und zog eine kleine Schatulle aus der Hosentasche, die er nun aufklappte. Scarramouche wurde flau im Magen. In der Schatulle befanden sich zwei aus Silber gefertigte Ringe, denen jeweils ein eisblauer Edelstein aufgesetzt war. Die Präzision des eingearbeiteten Musters und die Politur des Edelsteins ließen darauf schließen, dass diese beiden Ringe ein kleines Vermögen gekostet haben mussten. Scarramouche entging nicht, dass die Steine dieselbe Farbe wie ihre Augen hatten.

Gelassen entnahm Sharthir den ersten der beiden Ringe aus der Schatulle und steckte ihn sich an den Finger, bevor er Scarramouche die ausgestreckte Hand entgegen hielt und sie mit einem auffordernden Blick bedachte. Die Teir'Dal saß regungslos da und starrte auf seine Hand. Sie konnte die Blicke ihrer Eltern auf sich ruhen spüren, doch viel schlimmer waren Sharthirs stechende graue Augen, die sich immer weiter in die ihren bohrten, bis sie schließlich nachgab und zögerlich die Hand ausstreckte. Als er ihr den zweiten Ring überstreifte, biss sie die Zähne zusammen und zwang sich, ihn anzusehen. Sie durfte sich auf keinen Fall irgendwelche Gefühlsregungen anmerken lassen.

Es folgten weitere Gespräche über Einzelheiten, was die Vermählung betraf, doch Scarramouche hörte gar nicht mehr richtig zu. Sie starrte auf den wertvollen Ring, der nun ihren Finger zierte und ein Vorbote dessen war, was ihr noch bevorstehen würde. Ein beklemmendes Gefühl der Leere machte sich in ihr breit.

Schließlich erhob sich Sharthir und riss Scarramouche damit aus ihren düsteren Gedanken.

"So ungern ich es auch sage, ich muss mich nun leider empfehlen", verabschiedete sich Sharthir. "Es ist bereits Abend und ich habe noch einige geschäftliche Angelegenheiten zu erledigen."

Nador erhob sich ebenfalls und bot Sharthir an, ihn bis zur Tür zu geleiten, doch der Teir'Dal lehnte dankend ab. Stattdessen warf er einen Blick auf Scarramouche, die ihn misstrauisch musterte und er sagte: "Aber es wäre mir eine Freude, meine zukünftige Frau hinaus zu geleiten."

An seinem Tonfall und auch an seinem Blick war zu erkennen, dass dies kein Angebot, wenn auch weniger eine Aufforderung sondern eher ein Befehl war.

"Ich bin mir sicher, sie könnte ein wenig Schlaf vertragen." Mit diesen Worten öffnete Sharthir die Tür des Herrenzimmers und Scarramouche zögerte einen Moment, bevor sie ihm folgte, nicht sicher, wie sie seine Bemerkung nun verstehen sollte.

Die Tür des Herrenzimmers fiel hinter Scarramouche ins Schloss und als das Geräusch an den Wänden der Eingangshalle widerhallte, klang es ungewöhnlich laut in ihren Ohren. Sharthir stand einige Schritte entfernt von ihr und beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Der Schein der blauen Fackeln, die die Halle spärlich beleuchteten, verliehen seinen kalten, grauen Augen einen noch rätselhafteren Ausdruck.

Scarramouche warf ihm einen nervösen Blick zu. Was sollte sie von der Bemerkung halten, die er zum Abschied gegenüber ihren Eltern geäußert hatte? Wusste er etwa von ihrem nächtlichen Ausflug in die Bibliothek? Allein die Vorstellung dessen jagte ihr einen Schauer über den Rücken und sie trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.

"Gefällt er dir?", fragte Sharthir unvermittelt und Scarramouche, so plötzlich herausgerissen aus ihren Gedanken, hob ruckartig den Kopf.

"Was?", stieß sie verwirrt hervor. Sharthir hob kaum merklich eine Augenbraue.

"'Wie bitte?'", korrigierte er sie hochmütig und ein Lächeln trat auf sein Gesicht, das Scarramouche nicht mochte. "Aber sorge dich nicht; wir werden bald genug Zeit haben, um dir versäumte Manieren beizubringen."

Scarramouche starrte ihn missmutig an und ihr entging nicht, dass seine Stimme einen härteren Klang annahm, als er fortfuhr: "Ich habe dich gefragt, ob dir der Ring gefällt."

Sie antwortete nicht und wandte den Blick von ihm ab. Das Gewicht des Ringes an ihrem Finger konnte sie nun umso deutlicher spüren, ebenso, wie Sharthirs stechenden Blick, der auf ihr ruhte. Als sie noch immer keine Antwort gab, schritt der Dunkelelf auf sie zu und blieb so dicht neben ihr stehen, dass sie seinen Atem an ihrem Ohr spüren konnte. Sie unterdrückte ein weiteres Schaudern.

"Wag es nicht ihn abzunehmen", murmelte Sharthir ihr leise ins Ohr. "Andernfalls wird es deine Eltern sicherlich brennend interessieren, was du vergangene Nacht in der Bibliothek von K'Lorn getrieben hast."

Scarramouches Augen weiteten sich und mit diesen Worten schritt Sharthir durch das Eingangsportal und verschwand in der nächtlichen Dunkelheit Neriaks.
 

* * *
 

Rauchend vor Zorn schlug Scarramouche ihre Zimmertür zu. Wahrscheinlich würde ihr Vater jeden Moment in der Tür stehen, weil sie in ihrer Wut solch einen Höllenlärm veranstaltete, dass man sie im ganzen Haus hören konnte, doch es war ihr gleich. Immerhin hatte der Mann, der sich ihr "Vater" nannte, sie soeben an dieses Monstrum verkauft, diesen ... Unhold, diesen ... ihr fiel einfach kein treffendes Wort für Sharthir ein.

Ich werde ihn nicht heiraten, dachte Scarramouche verbissen, während sie sich auf ihr Bett setzte und missmutig auf ihre Füße starrte. Doch eine leise Stimme in ihr, die sie bisher stets ignoriert hatte, sagte ihr nun immer deutlicher: Aber du hast keine Wahl. Du wirst dich ihm beugen müssen.

Scarramouche entfuhr ein Schnauben, ähnlich einem widerspenstigen Fauchen. Die Stimme aber, das wurde ihr nun schmerzlich bewusst, würde Recht behalten. Sharthir hatte überaus deutlich zu verstehen gegeben, dass er sie um jeden Preis zur Frau nehmen würde. Was konnte sie bloß dagegen tun? Sich weigern, so wie sie es bisher getan hatte? Fast hätte sie verbittert aufgelacht. Da es ihrem Verlobten offensichtlich herzlich egal war, was sie von der bevorstehenden Hochzeit hielt, würde ihn auch eine weitere Weigerung Scarramouches sicher nicht davon abhalten. Er würde sie auch vor den Altar zerren, wenn es sein müsste, dessen war sie sich sicher.

Sollte sie fliehen? Dieser Gedanke war schlichtweg töricht. Innerhalb Neriaks würde man sofort nach der verschwundenen Adelstochter suchen und sie auch garantiert finden. Sie müsste also aus Neriak selbst fliehen. Doch wohin? Qeynos, Freihafen, Felwithe, Kelethin, Kaladim, Halas... all diese Städte duldeten keine Teir'Dal in ihrer Mitte und bei solch gutmütigem Gesindel wie beispielsweise Hochelfen wollte sie ohnehin nicht leben. Mit Stolz war sie eine Teir'Dal, ein Wesen des Hasses, ein Kind Innoruuks. Andererseits, in Oggok oder Grobb, unter anderen böse gesinnten Wesen, Ogern, Trollen und Rattonga zu leben, war auch nicht die Zukunft, die sie sich immer ausgemalt hatte. Scarramouche seufzte. In die Wildnis zu flüchten war nahezu lächerlich; wie sollte sie ohne Geld oder irgendwelchen anderen Hilfsmitteln dort draußen überleben? Stehlen kam nicht infrage; sie wollte eine Assassine werden, kein Brigant. Außerdem wurde Scarramouche das dumpfe Gefühl nicht los, dass Sharthir sie finden würde. Überall.

Mutlos ließ sie sich hinterrücks auf ihr Bett fallen und starrte an die Decke ihres Himmelbetts. Eine Flucht war ausgeschlossen und eine andere Möglichkeit, sich der Hochzeit mit Sharthir zu entziehen, schien es nicht zu geben. Lange Zeit starrte sie einfach nur gedankenverloren in ihre Bettvorhänge hinein. Dann setzte sie sich so abrupt auf, als hätte sie einen Schlag versetzt bekommen.

Natürlich gab es eine Möglichkeit. Warum war ihr das nicht viel früher in den Sinn gekommen?

Doch bis zur Hochzeit würde es nicht reichen.... Die Zeit war zu knapp. Scarramouche biss sich auf die Lippe. Sie würde ihn heiraten müssen, wie man es drehte und wendete, drei Monate waren viel zu wenig Zeit. Es würde wahrscheinlich Jahre dauern, doch wenn die Zeit reif war, würde ihre Stunde kommen. Zum ersten Mal seit Tagen stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Sie würde ihn töten.



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