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Ranmas Abtritt

Seltsame Dinge geschehen in Nerima
von

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Ruhestand und Krebs

Kapitel 2

Ruhestand und Krebs
 


 

Auf meinem restlichen Weg zurück zum Tendou-Haus kam ich am Stand des Fremdenführers von Nerima an. Der Laden gehörte einer Geschäftsstelle die mehrere solcher Stände in Japan aufgestellt hatte, erinnerte mich aber nicht an den Namen des Eigentümers. Der hiesige Geschäftsführer dieser Niederlassung, war ein Mann mitte fünfzig, aber den sechzig näher als den fünfzig. Der Mann stammte aus Deutschland und hieß Arnold Schmidt.

Ich hatte den älteren Herrn vor kurzer Zeit kennen- und schätzen gelernt. Irgendwie schien er der einzig normale hier in Nerima zu sein.

Dann öffnete ich die Tür und ging hinein in die etwas kühlere Luft des Gebäudes, an dessen rechter Wand (von der Tür aus) eine Karte von Nerima hing, die er sich öfters ansieht, wenn er alleine hier ist und es sonst nichts zu tun gibt.

"Hallo, Arnie", sprach ich ihn an. Er hatte schon nach unserer ersten Begegnung gesagt, ich solle ihn so nennen. Irgendwie hatte uns das schneller zusammengebracht, als längeres höfliches Gerede.

"'lo Ranma", sagte Arnold während er an der Zigarette zog. Es war eine der vielen täglich. Er hatte kurz von der Zeitung aufgeschaut, als ich den Laden betreten hatte, widmete der Zeitung nochmal einen Blick und legte sie dann zur Seite. Er hatte sie ordentlich zusammengefaltet und so lag sie nun auf einem Stapel mit mehreren zusammengefalteten Zeitungen auf dem Schreibtisch am oberen linken Ende, etwas seitlich der Tischlampe, die er abends einschalten musste, weil in diesem Haus das Licht nicht so gut hindurchscheinte.

Ich blickte mich im Raum um, sah das Bild mit Jesus in der Krippe, Maria und Josef blickten stolz auf ihn hernieder, Hirten huldigten ihn und die drei Weisen waren ebenfalls darauf, die Myrrhe, Weihrauch und Salbei brachten.

Als ich das erstemal hier war, hatte ich ihn nach den Figuren gefragt, und was sie bedeuteten. Danach hatte er mich aufgeklärt, wer die einzelnen Figuren darstellten. Er hatte mir einige Details über die Personen gegeben, mir dann aber geraten, mir ein Buch über den Katholischen Glauben auszusuchen. Ich hatte es zwar noch nicht gemacht, aber ich würde bestimmt bald damit anfangen. Wenn ich mehr Zeit hatte.

Arnie aß von seinem Sandwich, als er seine Zigarette ausgedrückt hatte und rülpste einmal. "Tschuldigung", meinte er leicht verlegen.

"Mahlzeit." erwiderte ich.

Nun entdeckte ich aber etwas neues an der Wand. Es hing direkt neben dem Bild und waren wahrscheinlich die schrecklichsten Worte, die ich mir für meinen soviel älteren Freund vorstellen konnte.
 

Alles Gute im Ruhestand, Arnold
 

Sie hätten mein Erstaunen als Mousse mir sagte, er würde bald keine Brille mehr brauchen, verdoppeln können, und hätten den Kern nicht einmal annähernd getroffen.

"Das kann doch nur ein Scherz sein, Arnie?" fragte ich ihn entsetzt, den Blick zwischen den Wörtern und seinem Gesicht hin- und herschauend.

"Ich verstehe nicht, Ranma. Was meinst du?"

"Das!" sagte ich schockiert und deutete auf das Geschriebene. "DAS!"

"Ach so, die Sache mit dem Ruhestand meinst du? Nein, das ist kein Scherz. Ich gehe in den Ruhestand. Wirklich und wahrhaftig. Ich hoffe doch, du kommst auf die Party am Dienstag."

"Pa . . . Party? Was für eine Party?" musste ich wieder fragen. Verdammt, was ging hier ab, stellte ich mir die Frage. Wieso wusste ich von dem ganzen nichts?

"Ja, meine Abschiedsparty. Ich hätte nicht gedacht, dass man so etwas für mich organisieren würde, bin wirklich gerührt. Aber . . . wieso weißt du nichts davon, Ranma? Das Schild hängt schon seit mehr als einer Woche hier drin. Und vor drei Tagen bist du noch vorbeigekommen, um einfach mal reinzuschauen. Eigentlich solltest du das wissen." Er sah mich erzürnt an, als unterstelle er mir, ich hätte etwas so wichtiges vergessen. Der Satz klang vorwurfsvoll und ich spürte, dass Arnie recht hatte, vorwurfsvoll zu klingen.

"Aber was soll diese Geschichte, mit diesem . . . Ruhestand?"

Arnie sah mich direkt an, und er blickte mir enttäuscht ins Gesicht. "Weißt du, Ranma, Ruhestand ist etwas, in das man geht, wenn die Haare weiß werden und man ein gewisses Alter hat. Siehste', nun bin ich dran zu gehen. Letztes Jahr ist Alec Watermain in Hokkaido gegangen. Der war aber auch älter als ich."

Es machte mich wütend und ich packte ihn und fing an, ihn zu schütteln. "Einen Dreck weiß ich."

Arnie bedachte mich mit einem knappen, gequälten Lächeln. "Einen Dreck weißt du, Ranma. Sag ich's halt noch mal: Die Party findet im Tendou-Dojo statt. Aber, wenn du nicht kommen willst, auch gut. Bleib fort. Du benimmst dich schon seit ein paar Wochen poco loco."

Ich schüttelte ihn wieder. "Was meinst du damit, poco loco?"

"Verrückt, abgedreht wie eine Bettwanze, total plemplem. Und bevor du antwortest, solltest du ja bedenken, schüttelst du mich noch einmal, platzt mein Magen und den Inhalt bekommt nicht mal mehr die chemische Reinigung da raus." Er setzte sich hin und wich mit dem Stuhl etwas zurück, bevor ich es noch einmal tun konnte.

Ich wusste nicht einmal, ob ich es noch mal tun würde. Er zog sein Hemd wieder gerade und betrachtete mich aufmerksam. "Du solltest mal Urlaub machen. Und letzte Woche damit anfangen." sagte zu mir und ließ mich immer noch nicht aus den Augen.

Ich beruhigte mich wieder etwas.

"Ok, Arnie. Was ist es - " ich holte tief Luft und fuhr erst dann fort. Das war mir noch schrecklicher. " - und wohin gehst du?"

Zuerst schien es, als hätte Arnie mich nicht richtig gehört. Er hatte noch nie zu denen gehört, der lange mit seiner Meinung hinter dem Berg hielt. "Krebs", sagte er. "Am Sonntag fliege ich zurück zu meiner Schwester nach Deutschland, nach Dresden. Aber ich glaube, Sie wird nicht sehr viel Mühe mit mir haben. Glaube nicht, dass ich Ihre Geduld überstrapazieren muss. Sie wird die Bezüge bestimmt nur ein paarmal wechseln müssen." Er lächelte mich an, aber irgendwie erinnerte es mich an das Grinsen eines Totenschädels, einen aus Zucker den man in Tijuana sieht. Am Tag der Toten.

"Es ist nicht recht", sagte ich. "Das weißt du, Arnie."

Er blickte diesmal mit seinen Augen in die meinen. Der Tod stand darin, eine schwarze Gestalt, die flatterte und gleich unter dem wässrigen Blau winkte. "Was ist nicht recht, Ranma?"

"Sie sollen hier sein, verdammt. Genau hier! Auf diesem Stuhl sitzen, Leute durch die Stadt führen und das Krippenbild über sich haben. Nicht das." Ich griff an ihm vorbei, packte die Glückwunschkarte und zerriss sie in der Hälfte und dann noch einmal. Schließlich ließ ich los, und kleine Konfetti-Stückchen fielen zu Boden.

"Genau hier sein", wiederholte ich, und schaffte es diesmal nicht, Ihm in die Augen zu sehen.

"Für wie lange, Ranma? Wie lange soll ich noch in diesem Büro sitzen und meine Arbeit tun?"

"Nun - für immer", sagte ich, und diese Worte hingen zwischen uns. Weitere Geister in dem verrauchten Haus. Hätte ich die Wahl zwischen diesen Geistern gehabt, hätte ich mich wahrscheinlich für den Zigarettengeruch entschieden. Aber ich hatte keine Wahl. Statt dessen sagte ich: "Für immer, Arnie."

Er nahm die Camel aus dem Mund, hustete, und einige Blutstropfen fielen mit dem Aschenstaub zu Boden.

"Du kannst nicht in den Ruhestand gehen, Arnie." Mein Herz schlug schneller, aber ich schaffte es dennoch mit ruhiger Stimme zu sprechen. "Du kannst einfach nicht."

"Nicht?" Er nahm die Zigarette wieder aus dem Mund und frische Blutstropfen waren auf dem Filter zu sehen - und sah mich wieder an: "Aus meiner Sicht habe ich keine Wahl, Ranma."
 

Ende Kapitel 2 von 7.



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