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Blau in Grau

von

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Wiedergutmachung

Es war, als hätte die Welt ihre Farbe verloren; als wären nur noch Schwarz und Weiß auf der Palette, mit der sein Leben angestrichen wurde. Die Straßen, die Uni, die Menschen um ihn herum, das Essen, die Lichter, sie alle waren grau, grau wie Asche, Staub, Rauch. Irgendwann hatte Itachi sich nicht mehr die Mühe gemacht, nach den zarten Farbschimmern zu haschen, die nach und nach zu verblassen schienen. Stattdessen hatte er es still akzeptiert und versucht, damit weiterzuleben. Eine Flucht aus der Realität kam nicht in Frage; jedes Mal, wenn er die Augen schloss, kamen in ihm Bilder von Staubwolken und Gesteinstrümmern hoch. Eine Fontäne, die aus dem aufgerissenen Boden schoss und geräuschvoll über den Boden spritzte, ehe sie mit einem spuckenden Gurgeln versiegte. Es war das einzige Geräusch gewesen, nachdem der laute Knall die Luft erfüllt hatte und der Brunnen krachend zerborsten war.
 

Vergessen ging nicht. Die Erinnerung war noch zu frisch, das Gefühl der Hilflosigkeit unverändert. Jeden Morgen kam sie wieder hoch, wenn er auf den Weg zu den Hörsälen über denselben Platz lief. Er hatte auf der Treppe gestanden, als die Bombe gezündet worden war, und nur aus den Augenwinkeln gesehen, was sich während eines Wimpernschlags abgespielt hatte, eingefroren mitten in der Bewegung. Einen Moment lang hatte niemand gewagt, auch nur einen Muskel zu regen, bis die Angst schließlich den Schock überwältigte.
 

Wegrennen half nicht. Es würde nichts ändern, die Angst würde bleiben. Die Erinnerung auch. Deidara mochte es gelungen sein, er war immer recht ignorant gewesen, gelegentlich auch sadistisch. Er hatte Rache an denen gewollt, die versucht hatten, ihn bloßzustellen, die ihn nicht anerkannten… wahrscheinlich war er nun sehr zufrieden mit sich, denn er hatte sein Ziel erreicht. Wohingegen Itachis Gewissen ihn niederdrückte, wenn er auch nur daran dachte, ihm zu folgen. Er war anders, er konnte sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Er mochte zwar nicht der Auslöser gewesen sein, doch er hätte es verhindern können… manchmal lagen Schuld und Versagen zu nah beieinander, um sie voneinander trennen zu können. Er erinnerte sich lebhaft an die Wut in den eisig blauen Augen, als Deidara ihn angeschrien hatte, ihm Unverständnis vorgeworfen hatte. Vielleicht hätten sie sich eher bewusst damit auseinander setzen sollen, bevor es zum äußersten kam. Es noch einmal von vorn angehen. Doch die Diplomatie erhielt keine zweite Chance, denn bereits am nächsten Tag war sein Freund verschwunden und Itachi blieb allein mit dem Wissen um dessen Vorhaben zurück. Bis zuletzt hatte er auf ein Zeichen gehofft, auf ein Einsehen seitens Deidara. Dabei hätte er es wirklich besser wissen müssen; Deidara war niemand, der leichtfertig verzieh oder auf schöne Worten vertraute. Doch dermaßen extrem zu handeln, Menschen für seine lächerliche Vergeltung in Gefahr zu bringen, hätte Itachi ihm auch nicht zugetraut… und zurück blieb die Enttäuschung, die allmählich seinen Alltag grau einfärbte.
 


 

Natürlich hatte er nicht vorgehabt, dieses Martyrium, zu dem es schließlich geworden war, ewig auszusitzen. Nach seinem Abschluss wäre er aus der Stadt verschwunden, hätte sich anderswo ein neues Leben aufgebaut. Dank seinem Vater gab es zwischen ihm und dem Attentat keine offizielle Verbindung, niemand würde ihm etwas anlasten können, keine Schwierigkeiten… es klang tröstlich genug, um ihn durchhalten zu lassen. Bemüht, seine graue Umwelt auszublenden, hatte er sich auf sein Studium gestürzt und gearbeitet, bis er spätabends todmüde ins Bett fiel und traumlos durchschlafen konnte. Er hatte sich mit Männern getroffen ohne jedes Bedürfnis nach Befriedigung zu verspüren, jedoch schaffte es den nötigen Ausgleich… auch wenn es ebenfalls nichts als Stress war. Es half, den Gedanken an Deidara zu verdrängen, wenn auch nicht besonders gut.
 

Er merkte gar nicht, wie der Stress ihm selbst immer mehr zusetzte. Abgestumpft und desillusioniert war er zu einer farblosen Marionette geworden, die sich von ihrer grauen Bühne kaum abhob, die eigenen Ideale zerfressen von Gleichgültigkeit. Seine Mutter begann, sich Sorgen zu machen, weshalb er den Kontakt mit seiner Familie zu meiden begann… es sollte sie nicht belasten. Mit dem festen Ziel vor Augen, dass es irgendwann besser werden und er zu ihnen zurückkehren würde.
 


 

Und dann, aus heiterem Himmel, war plötzlich ein dicker, blauer Klecks auf seiner Palette gelandet. Plötzlich begannen die grauen Fassaden abzubröckeln, erst langsam, zögerlich, dann immer heftiger. Mit jedem Schritt wuchs die Erleichterung, und er spürte, wie er allmählich zu seinem alten Selbst zurückfand. Anfangs hatte es sich seltsam angefühlt, mit jemanden umzugehen, der den Abgrund hinter seiner Maske erkundet hatte und ihn dennoch wie einen normalen Menschen behandelte. Es war ihm unwirklich vorgekommen, wie ein Traum aus vergangener Zeit, doch es hatte ihm Hoffnung gegeben, und nach kurzem Zögern hatte er danach gegriffen. Und es war wohl die beste Entscheidung, die er seit langem getroffen hatte.
 

Mit einem schmalen Lächeln fuhr er abwesend über die Heftspirale seines Notizblocks. Die Qualität seiner heutigen Mitschriften ließ stark zu wünschen übrig, was nicht zuletzt daran lag, dass er dem Dozenten kaum zuhörte. Er wusste nicht mal, wovon diese Vorlesung überhaupt handelte, doch es störte ihn nicht sonderlich. Vielleicht würde er es nachher im Skript nachlesen, später, wenn ihm der Gedanke an Kisame nicht mehr jede Konzentration raubte. Was durchaus noch ein Weilchen dauern könnte, denn Kisame ließ keinen Zweifel daran, mindestens solange an seiner Seite bleiben zu wollen, bis sein Leben wieder Farbe angenommen hatte…
 

Und heute würden noch weitere Farben ihren angestammten Platz einnehmen und das Grau verdrängen. Vor wenigen Tagen hatte ihn noch regelmäßig das Unwohlsein ergriffen, wenn er daran dachte, seiner Familie die ungeschönte Wahrheit zu beichten. Zwar war sein Vater zwischenzeitlich unglücklicherweise informiert worden, und dieser hatte seiner Frau sicherlich das Nötigste berichtet, doch an der Ausgangslage hatte das nicht viel geändert. Dennoch war er gerade ziemlich entspannt, von einem kleinen Funken Nervosität mal abgesehen, und das, obwohl es in weniger als zwei Stunden soweit sein würde. Wobei, wenn es nach Kisame gehen würde, hätte ihn dieser sofort zu seiner Familie geschleift, doch Itachi hatte sich quergestellt. Es war ein kleiner Kampf gewesen, doch letztendlich er hatte eine Woche Aufschub gewonnen. Dabei ging es ihm nicht darum, diesen Besuch weiter hinauszuzögern, schließlich war er lange überfällig. Allerdings hatte er gehofft, dass seine Verletzungen bis dahin etwas abgeheilt waren und seine Eltern nicht allzu sehr entsetzen würden. Was sie leider teilweise nicht waren, zumindest nicht ausreichend. Seine Lippen waren wieder heil und von der Prellung spürte er dank Kisames Salbe auch nichts mehr, doch bei der Platzwunde sah das anders aus. Wie zu erwarten schillerte die verletzte Haut nun bläulich bis lila, und es würden noch ein paar Wochen vergehen, bis sie sich wieder entfärbt hatte. Und so lange konnte und wollte er nicht warten.
 


 

Es läutete und der Dozent beendete die Lesung indem er den Beamer ausschaltete. Mechanisch packte er seine Sachen zusammen. Gestern war seine alte Tasche wieder aufgetaucht, hatte plötzlich auf der Reihe hinter ihm gelegen. Das Gerede, welches fast verstummt war, brodelte inzwischen wieder. Offenbar hatte sich seine Auseinandersetzung mit Kyoya, Yatogo und den anderen vom Bahnhof herumgesprochen, und auch, dass er nicht mehr allein war. Nicht, dass Kisame an diesem Morgen hatte einschreiten müssen, doch er hatte ihr Verhältnis recht anschaulich gemacht, nachdem Itachi zu ihm zurückgegangen war. Ausnahmsweise war ihm das Gerede nur recht, schließlich war Kisames Persönlichkeit einigen Studenten durch seine temporäre Arbeit an der Universität in Erinnerung geblieben, und was bereits funktioniert hatte, ließ sich sicherlich ein weiteres Mal zu seinem Vorteil ausnutzen. Bisher hatte es jedenfalls noch keiner gewagt, ihm offensiv zu begegnen.
 

Er erhob sich, schulterte seine Tasche und lief dann durch die ansonsten leere letzte Reihe des Hörsaals zum Ausgang. Früher hatte er immer etwas gewartet, bis die meisten Studenten von den Gängen geströmt waren, um ungewollten Körperkontakt zu meiden, was leider nie eine zuverlässige Methode gewesen war. Nun konnte er sich unbehelligt durch die Flure bewegen, ohne das ihn jemand anrempelte oder aus dem Weg stieß. Und das schon nach so wenigen Tagen. Es war ein Wunder.
 

Kisame wartete unten in der Eingangshalle auf ihn. Die Arme vor der breiten Brust verschränkt, stand er mit dem Rücken zur Wand und ließ seinen Blick über die anderen Studenten schweifen. Dabei sah er so autoritär aus, dass es Itachi erschien, als würden in seinem Sichtfeld die Köpfe respektvoll eingezogen. Seine Ausstrahlung war wirklich gewaltig, ganz wie der Mann, dem sie angehörte. Doch während sie auf Andere überlegen oder gar furchteinflößend wirken mochte, so schenkte sie ihm Wärme und innerliche Ruhe. Vor allem wo nun er wusste, wie sanft diese großen, rauen Hände sein konnten.
 

Schnell wurde er entdeckt und Kisame kam ihm auf seinem Weg entgegen. Seine zaghafte Begrüßung ging in dem rauen Kuss unter, den Kisame ohne Umschweife auf seine Lippen drückte. Sein Herz machte einen kleinen Sprung, als sich der schwere Arm auf seine Hüfte legte und eine vorwitzige Hand auf seinen Hintern rutschte.
 

»Wie war’s?«
 

»Entspannt«, gab er leise zurück, widerstand dem Drang, sich an ihn zu lehnen. Kleine Berührungen schienen in Ordnung, wurden sogar erwidert, doch er wollte sich ihm nicht aufdrängen. Sie waren kein Paar, auch wenn sie diesen Eindruck bewusst vermittelten; Kisame hielt sich dahingehend nicht zurück. Nein, die Nähe war kein Problem, aber Itachi beherrschte sich, wollte es nicht ausreizen, so schwer es ihm auch fiel.
 

»Konnte mich nicht konzentrieren.« Konnte er immer noch nicht, sonst wäre ihm dieser peinliche Satz nie über die Lippen gekommen. Irgendwie hatte er in seiner Nähe immer das Bedürfnis, ihm die Wahrheit zu sagen, wohl um sich nicht wieder in einem Labyrinth aus Lügen zu verirren. Kisame färbte auf ihn ab, auch, was seinen Mangel an Diskretion anging; nie zuvor hätte er sich so in der Öffentlichkeit gehen lassen.
 

Kisame gluckste erheitert, strich durch seine Haare. »Kann mir denken, was dich abgelenkt hat.«
 

Darauf antwortete Itachi nicht. Meinte er damit den Gedanken an seine Familie? Die Bemerkung war so zweideutig und bei einem anderen Mann wäre er sofort davon ausgegangen, dass dieser auf sich selbst anspielte. Kisame hingegen schien sich der Zweideutigkeit mancher Formulierungen zuweilen gar nicht bewusst zu sein ‒ anders konnte Itachi sich nicht erklären, wie dieser seine eigenen Flirtversuche nicht mitbekommen hatte. Vielleicht flirtete er nicht oft, oder, und das konnte Itachi sich besser vorstellen, er sagte einfach geradeheraus, was er wollte.
 

Stattdessen legte er eine Hand auf Kisames Brust und drückte diesen widerwillig von sich. Die vielen Blicke, die auf ihnen lagen, waren ihm unangenehm.
 

Skeptisch zog Kisame eine Braue hoch. »Zu viel?«
 

»Ich bin schon geoutet«, gab er trocken zurück. Was zweifellos niemand vergessen hatte.
 

Kisame runzelte die Stirn, machte aber keine Anstalten, die Hand von seinem Hintern zu nehmen.
 

»Ging das eigentlich von dir aus oder haben deine Fans das für dich übernommen?«
 

»Nein, das war ich«, erwiderte Itachi entschieden. »Für Deidara.«
 

Er war ihm wichtig gewesen, wenngleich sie nie ein Paar geworden waren, und Itachi hätte nahezu alles für ihn getan. Letztendlich hatte es aber nichts gebracht; das wahre Problem war schließlich nie ihre Homosexualität gewesen, sondern Deidaras Einstellung.
 

Kisame schnaube verächtlich, ließ ihn aber los. »Du bist so ein Idiot, wirklich!«, schimpfte er und es klang, als wäre er mit seiner Weisheit am Ende. »Man outet sich doch nicht einfach so, damit ein paar Deppen ihre Zielscheibe erweitern können, und erst recht nicht für einen Kerl! Das ist… weiß nicht. So bescheuert, wie sich tätowieren zu lassen, obwohl einem das Motiv nicht gefällt.«
 

Kein besonders einleuchtender Vergleich, denn auf die Idee, sich tätowieren zu lassen, wäre er nicht im Traum gekommen. Hierzulande war es generell eine schlechte Idee, wenn man nicht mit den Yakuza in Verbindung gebracht werden oder öffentliche Bäder besuchen wollte. Kisame schien sich darüber jedoch keine Gedanken zu machen und hatte seinen Körper offenbar reichlich verzieren lassen. Itachi hatte die Tätowierungen zwar kaum gesehen, nur gelegentlich an den Ärmeln und dem Halsausschnitt seiner Oberteile hervorblitzen sehen, doch das ließ ihn zur Genüge erahnen, was Kisame unter dem Stoff verbarg. Wahrscheinlich hätte ihn das abstoßen sollen, doch trotz den Schauergeschichten seines Vaters von Yakuza und anderen kriminellen Organisationen wirkte es auf ihn anziehend roh und hart.
 

»Ich werde wirklich ein ernstes Wörtchen mit deinen Eltern reden müssen, kann ja nicht angehen, was die bei deiner Erziehung alles verpasst haben…«
 

»Viel Spaß dabei.«
 

»Ist eh zu spät.«
 

Itachi seufzte. »Gehen wir?«
 

»Wenn wir nicht im Verkehr stecken bleiben wollen, wäre das nicht unklug.«
 

»So weit außerhalb wohnen sie auch nicht…«
 

»Ey, Hoshigaki!«
 

Augenblicklich verzog Kisame das Gesicht. »Bloß nicht die«, grummelte er wenig begeistert und drehte sich um in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Neugierig geworden, sah Itachi an ihm vorbei. Eine recht burschikose Frau bewegte sich forschen Schritts auf sie zu und er meinte, sie oft mit Kisame zusammen gesehen zu haben, als dieser hier am Campus gearbeitet hatte.
 

»Was machst du denn hier?«, fragte sie angesäuert, nachdem sie nah genug herangekommen war. Die Freude, einander wiederzusehen, schien auf beiden Seiten gleich gering zu sein.
 

»Itachi abholen.«
 

»Was?« Nun erst schien sie ihn zu bemerken, und ihre Augen weiteten sich verblüfft. »Oh!«
 

Plötzlich grinste sie breit. »Von wegen, da läuft nichts mit ihm, na?«
 

»Neidisch?«
 

Sie lachte hell auf. »Unbedingt! Bei dem, was man sich alles über euch erzählt…«
 

Itachi erstarrte bei ihrem anzüglichen Ton. Was man sich über sie erzählte?
 

»Hast du nichts zu tun?«, fuhr Kisame sie an. »Kummerkasten ausleeren oder so?«
 

»Ich schmeiß lieber ungehobelte Mistkerle vom Gelände«, erwiderte sie salopp und verschränkte die Arme vor der Brust. »Weiß Mei davon?«
 

»Selbstverständlich«, knurrte Kisame gereizt zurück, wobei es schwer herauszuhören war, ob er es ironisch meinte oder nicht, und ergriff Itachis Unterarm. »Wenn du uns jetzt bitte entschuldigst, wir haben noch was vor.«
 

Kisame nickte ihr zu, ehe er sich abwendete und auf den Ausgang zumarschierte, mit Itachi an seiner Seite, wobei dieser ihm eher zögerlich folgte. Es war mehr als unhöflich, jemanden einfach stehen zu lassen, auch wenn diese Person selbst recht unfreundlich war. Unsicher warf er einen Blick über die Schulter zurück, wo die Frau offenbar kurz vor dem Explodieren war.
 

»Aber sicher, lass mich hier einfach so stehen, du dämlicher Penner. Wie immer eine Freude sich mit dir zu unterhalten! Arsch!«
 

Ein wirklich reizendes Wesen.
 


 


 

»Wer ist Mei?«, fragte Itachi vorsichtig, als sie später in Kisames Auto saßen und hinter den Fenstern die Innenstadt vorbeizog.
 

»Meine Chefin. Du kennst sie, sie war damals bei der Einführung mit dabei.«
 

Nun, gesehen hatte er sie wohl, doch seine Aufmerksamkeit war zu dem Moment gänzlich auf den Mann gerichtet gewesen, der mitten in der Veranstaltung in das Auditorium geplatzt war. Erst recht, nachdem er festgestellt hatte, dass es sich dabei um denselben Mann handelte, dem er einst unfreiwillig in die Arme gestolpert war.
 

»Warum solltest du deine Chefin von deinen Beziehungen in Kenntnis setzen?«
 

»Naja«, meinte Kisame und trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad, »sie ist auch meine Ex, auch wenn das ewig lange her ist. Wir vögeln nur noch gelegentlich.«
 

Das war nicht unbedingt eine Information, die jemand, der ohnehin nur auf der Warteliste für eine mögliche Beziehung stand, hören wollte. Wie sollte er bitteschön mit einer Frau konkurrieren, die mit solchen großen… Argumenten aufwarten konnte? Die waren sogar ihm in Erinnerung geblieben. Er war nun mal ein Mann und nicht nur flach wie ein Brett, sondern auch noch weit von einem athletischen Körper entfernt…
 

»Jetzt mach nicht so ein Gesicht, Itachi.«
 

Ertappt sah er auf. Normalerweise fiel es ihm leichter, die Kontrolle zu behalten, doch der Gedanke, Kisame könnte neben ihm noch andere Partner haben, war nicht leicht zu ertragen.
 

»Wir hatten uns für letzten Samstag verabredet und da habe ich ihr gesagt, dass ich momentan schon jemanden habe, der mich interessiert. Und das es vermutlich besser ist, wenn ich ihrem Schlafzimmer fernbleibe, weil sonst ein geeigneterer Kerl als ich seinen Weg womöglich nicht hineinfindet.«
 

»Das ist sehr… umsichtig.«
 

Kisame lachte trocken. »Alles andere hätte mir einen kräftigen Schlag in die Fresse eingebracht.«
 

Skeptisch warf er dem anderen Mann einen Seitenblick zu. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Kisame sich von so einer Drohung beeinflussen lassen würde und fragte sich, was das für eine Person sein musste, die mit ihm so umsprang. Unwahrscheinlich ein besonders freundlicher Zeitgenosse, hoffentlich nicht noch ein ehemaliger Partner.
 

»Soviel zum Thema ›echte Männer lassen sich nicht verprügeln‹.«
 

»Echte Männer prügeln sich schon, das ist ein Unterschied.«
 

»Macho.« Aber auf der ganzen Linie.
 

»Schwächling«, grinste Kisame zurück, nahm eine Hand vom Lenkrad und zwickte ihm in den Oberschenkel.
 

Streng schlug er die Hand weg. »Konzentrier dich aufs Fahren.«
 

»Bah. Kümmer dich lieber darum, dass du deinen Hintern aus dem Tiefkühlfach schwingst.«
 

»Da vorn geht’s nach rechts.«
 


 


 

Etwa eine halbe Stunde später erreichten sie sein Elternhaus. Es war ein schlichtes zweistöckiges Einfamilienhaus mit einem kleinen Vorgarten, in dem dank der liebevollen Pflege seiner Mutter allerhand Grünzeug wucherte. Als Sasuke noch klein gewesen war, hatten sie noch weiter außerhalb in einer Kleinstadt gewohnt, wo nahezu alles grün gewesen war. Nach seiner Beförderung hätte sein Vater jedoch entweder stundenlang zu seinem Arbeitsplatz pendeln oder sich gleich eine Wohnung in der Innenstadt nehmen müssen, weshalb sie um der Familie Willen umgezogen waren. Damals hatte ihn das neue Haus nicht übermäßig begeistert, doch nachdem er wegen seines Studiums ans andere Ende der Stadt ziehen musste, war er recht gern zurückgekommen. Manchmal war er seine Familie sogar jedes Wochenende besuchen gekommen, nicht zuletzt da Sasuke sonst bockig wurde. Doch in den letzten Monaten hatte er darauf keine Rücksicht nehmen wollen… und hoffte, sie würden es ihm verzeihen.
 

Gekonnt parkte Kisame seinen Wagen auf dem freien Stellplatz. Der andere war von dem seines Vaters besetzt, womit Itachi nicht gerechnet hätte. Normalerweise kam sein Vater erst später am Abend nach Hause.
 

»Nett«, meinte Kisame beim Aussteigen, mit Blick auf das Haus, und Itachi war sich wieder nicht sicher, ob es ernst gemeint war oder nicht. Wenn er die Straße hinunter schaute, sahen die Häuser für ihn im Wesentlichen gleich aus, dunkles, flaches Dach, weiße Wände, Grün in den Vorgärten. Keines stach heraus.
 

»Gewöhnlich.«
 

»Find ich in Ordnung.«
 

Itachi zuckte gleichgültig mit den Schultern. Er hatte angenommen, Kisame würde es auffälliger bevorzugen… andererseits, was wusste er schon von Kisame?
 

Er folgte ihm zur Haustür, blieb dicht hinter ihm, während Itachi die Klingel betätigte und wartete. Der Haustürschlüssel war in seiner Hosentasche, doch er bezweifelte, dass sie lange warten müssten. Tatsächlich dauerte es keine zehn Sekunden, bis ein rosa Schopf in der Tür auftauchte und sie überrascht ansah, überrascht, aber offensichtlich erfreut.
 

»Hallo, Sakura.«
 

»Itachi! Mensch, das ist ja toll!« Sie öffnete die Tür weiter und ließ sie herein.
 

»Sasuke ist schon ganz nervös«, verrät sie und blinzelt ihm verschwörerisch zu. »Seitdem du deinen Besuch angekündigt hast, schwankt er zwischen aufgeregt und pessimistisch.«
 

Itachi nickte still; das hatte er bereits geahnt. Er war lange fortgewesen, viel zu lange, weshalb er sich nicht daran störte, dass Sakura ihn musterte, als käme er von einer Weltreise zurück. Als sie die Wunde entdeckte, weiteten sich ihre Augen entsetzt, doch er schüttelte abwehrend den Kopf. Später. Erleichtert bemerkte er, wie Sakura verstehend nickte, doch die Besorgnis war ihr anzusehen.
 

»Und wer ist dein Begleiter?«
 

»Das ist Hoshigaki Kisame, er ist…« Er stockte. Wie beschrieb man ihr Verhältnis nur am besten? Zwischen ihnen herrschte weder Liebe noch Freundschaft, sie lernten sich mehr oder minder gerade erst richtig kennen. Ging Bekannter?
 

»Ein Freund«, sprang Kisame schnell ein und deutete eine Verbeugung an. »Und mit wem habe ich das Vergnügen?«
 

»Haruno Sakura, freut mich«, meinte Sakura und frischte ihr eingebrochenes Strahlen wieder auf.
 

»Sie ist die Freundin meines Bruders«, fügte Itachi hinzu, noch etwas erstaunt von Kisames Ansage, die so selbstverständlich geklungen hatte. War es das, was Kisame über sie dachte?
 

»Aha.«
 

»Na dann… kommt einfach ins Wohnzimmer, wenn ihr soweit seit«, sprach sie und zog sich taktvoll zurück.
 

Sofort wendete er sich an seinen Begleiter. »Wir sind Freunde.«
 

Kisame hängte seelenruhig seine Jacke auf. »War am einfachsten. Oder was hättest du gesagt? Unerwiderte Liebe meines Lebens?« Er gluckste und richtete sein Oberteil, zog die Ärmel über die Handgelenke.
 

»Mein Vater wird es trotzdem sehen«, merkte er an, ohne auf Kisames Frage einzugehen. »Außerdem hast du bei Sakura auch so einen guten ersten Eindruck gemacht.«
 

Kisame grinste schief. »Fürchte, den ersten Eindruck habe ich bei deinem Vater schon verspielt… Egal. Gehen wir.«
 


 

Im Wohnzimmer saßen sie bereits zusammen. Seine Mutter hatte ihre geliebten Porzellantassen auf dem niedrigen Tisch verteilt und Sakura stellte gerade ein weiteres Gedeck dazu. Sein Vater thronte in seinem Sessel und verbarg seine Überraschung über Itachis Anhang hinter einem hoheitsvollen Nicken. Itachi suchte seinen Blick, doch obgleich Fugaku niemals besonders fröhlich dreinschaute, so konnte er keine Abneigung entdecken, höchstens Ungeduld.
 

Sein Bruder stand auf und kam ihnen entgegen. »Hey, Itachi. Hast lange gebraucht.«
 

»Ich hoffe, du kannst mir verzeihen.« Er sagte es scherzhaft, doch keinem entging die Ernsthaftigkeit, die in dieser Bitte steckte.
 

»Sicher«, gab Sasuke versöhnlich zurück. Erleichtert lächelte Itachi und streckte schon die Hand aus, um ihm gegen die Stirn zu tippen, doch Sasuke wich ihm geschickt aus und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wer ist das?«
 

»Das ist…« Er wollte gerade ansetzen, Kisame vorzustellen, als seine Mutter aus der Küche kam, in den Händen zwei Teller mit Gebäck und anderen süßen Köstlichkeiten, die es immer gab, wenn er zu Besuch kam. Augenblicklich wurde er von ihrem scharfen Blick erfasst und natürlich entdeckte sie sofort, was seinem Bruder wahrscheinlich nicht mal aufgefallen war.
 

»Mein Gott, Itachi!« Entgeistert eilte sie auf ihn zu und drückte seinem perplexen Bruder die beiden Teller in die Hand, ehe sie sein Gesicht umfasste und zu sich herunterzog. »Was ist denn mit deinem Gesicht passiert?«
 

Automatisch hätte er fast ›nichts‹ gesagt, doch erfahrungsgemäß machte es diese Antwort nur noch schlimmer. »Mutter…«
 

»Oh nein, hast du dich mit jemanden geschlagen?«
 

»Als würde Itachi sich je prügeln«, kam es missgelaunt von seinem Vater, es klang fast enttäuscht. Er hatte sich schon immer gewünscht, Itachi würde sein sanftmütiges Verhalten gelegentlich ablegen und sich ›wie ein richtiger Mann‹ verhalten, besonders früher. Mal ein Rotzbengel sein und sich mit den Nachbarsjungen anlegen anstatt immer den naseweißen Besserwisser zu geben und seine Lehrer mit seiner Reife zu überfordern. Zum Glück kam jedoch Sasuke nach und sorgte für einen Ausgleich, indem er sich durch seine halbe Grundschule stänkerte und die bösen Jungs verhaute.
 

Hinter ihm hielt Kisame plötzlich die Luft an, als müsse er sein Lachen unterdrücken. Es wunderte ihn wirklich, warum dieser an der Sympathie seines Vaters zweifelte. An ihren Vorstellungen davon gemessen, wie Mann zu sein hatte, sollten sie wunderbar miteinander harmonieren.
 

»Mutter, bitte, es ist nicht weiter schlimm…«
 

»Ich hoffe, du hast dich ordentlich revanchiert.«
 

»Sasuke!«
 

»Eine Hoffnung zum Begraben, meiner Meinung nach.«
 

Tadelnd sah Mikoto von ihrem Jüngsten zu ihrem Mann, ehe sie Itachi losließ und einen Schritt zurückging. Nun schien sie Kisame erstmals wirklich wahrzunehmen. Verlegen strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr und nahm Sasuke die Teller wieder ab.
 

»Hoshigaki Kisame«, stellte dieser sich nun selbst vor. »Freut mich.«
 

»Sein Freund«, warf Sakura dazwischen.
 

»Ein Freund«, korrigierte Itachi bestimmt. Leider.
 

»Noch«, fügte Kisame hinzu. »Mal schauen, was wird.«
 

Diese vage Zukunftsprognose schien sie dann alle etwas zu verwirren.
 

»Aha«, gab sein Vater gedehnt von sich, ehe er befahl: »Setzt euch« und mit dem Kinn zum Sofa hindeutete. Gehorsam zog er Kisame zur längeren Seite des Sofas und ließ sich seinem Vater gegenüber auf das Polster sinken, während Sakura es sich auf der kürzeren Seite neben Kisame bequem machte. Dabei warf sie ihnen beiden und besonders Kisame immer wieder neugierige Blicke zu und zwinkerte ihm verlegen zu, als Itachi ihren Blick auffing.
 

Fugaku hingegen machte sich nicht die Mühe, sein Interesse an Kisame zu verbergen und taxierte ihn unverhohlen. Es war typisch für seinen Vater, bei neuen Bekanntschaften kam immer der Polizist in ihm durch, doch in diesem Moment war es Itachi unangenehm. Den Mann neben ihm schien es jedoch nicht zu stören, denn er saß entspannt da und erwiderte die Blicke gelassen. Ein wenig beruhigt beugte er sich vor und klaubte sich zwei Dangospieße von den Tellern, die seine Mutter mittlerweile abgestellt hatte um den Kaffee zu holen, und hamsterte sie auf seinem eigenen. Sicher war sicher.
 

»Sie sind also derjenige, dem wir Itachis Rücker zu verdanken haben«, stellte Fugaku nach kurzer Musterung fest und sein Scharfsinn überraschte Itachi kein bisschen. »Verzeihen Sie, aber Sie kommen mir bekannt vor.«
 

Kisame nickte. »Ist ein paar Jahre her.«
 

Verwundert sah er von einem zum anderen. Zuvor hatte er Kisames Anspielung auf den ersten Eindruck nur für eine Floskel gehalten, die auf dessen ungewöhnliches Äußeres zielte, jedoch nicht wörtlich genommen.
 

Fugaku runzelte die Stirn, kombinierte. »Ich habe Sie verhaftet.«
 

Wieder nickte Kisame, er machte nicht mal den Versuch, es zu bestreiten. »Kneipenschlägerei. Ist etwas eskaliert.«
 

Vielleicht war es ganz gut, dass seine Mutter im selben Moment aus der Küche kam als sein Vater antworten wollte. Sofort ließ er von dem Gespräch ab, auch wenn der Ausdruck seiner Augen deutlich machte, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen war. Mit keinem von ihnen. Vorerst verlegte er sich jedoch darauf, seiner Frau beim Kaffeeausschenken behilflich zu sein.
 


 

Schließlich war es sein bis dahin recht stiller Bruder, der das Tischgespräch mit ein paar unverfänglichen Fragen hinsichtlich Itachis Studium wiederbelebte, und so dauerte es nicht lange, bis eine warme und herzliche Stimmung sie alle eingefangen hatte. Sogar sein Vater taute wieder auf, nachdem Kisame augenzwinkernd versichert hatte, seine Karriere von damals nicht weiter fortzusetzen. Vielleicht abgesehen von ein paar Nachhilfestunden. Und spätestens nachdem er von ihrem Kennenlernen, auf das Sakura ganz gespannt gewesen war, eine leicht modifizierte Version wiedergegeben hatte, war seine Mutter ganz angetan von ihrem Eventuell-Zukunfts-Schwiegersohn.
 


 

»Itachi, das reicht jetzt«, meinte Fugaku plötzlich und funkelte ihn streng an. »Ich habe mitgezählt.«
 

Augenblicklich verstummte das Gespräch.
 

Ertappt zog Itachi den Kopf ein und ließ das fünfte Zuckerstück missmutig zurück in die Dose fallen. So ein Mist. Dass sein Vater aber auch immer so pingelig sein musste, dabei wäre ein weiterer Würfel ideal für diese Tassengröße… Musste er halt mit Sahne korrigieren. Nicht gerade begeistert von dieser Notlösung wollte er gerade nach dem Sahnekännchen greifen, als Kisames Hand seinen Unterarm auf dem Weg zur Zuckerdose streifte und hineingriff.
 

Irritiert hielt er inne. Kisame mochte für ihn ein Buch mit sieben Siegeln sein, an dem er gerade mal dabei war, das Erste abzuknaubeln, doch er wusste definitiv, wie Kisame seinen Kaffee trank. Nämlich schwarz, ohne Milch, Sahne und ohne Zucker. Der Andere bemerkte seinen Blick und grinste schalkhaft. Denn über seiner eigenen Tasse angekommen, ließ er den Zucker nicht hineinfallen, sondern schnippte zielsicher dagegen. Plötzlich flog der glitzernd weiße Würfel durch die Luft und landete mit einem leisen, aber unüberhörbaren Platschen in Itachis Tasse.
 

»Hoppla.«
 

Einen Moment war es still, in dem sein Vater ein Gesicht zog, welches deutlich machte, wie euphorisch er über die offensichtliche Untergrabung seiner Autorität war. Dann aber prustete Sakura los, selbst Sasuke grinste, und einen Augenblick später wurde auch Fugaku von der allgemeinen Erheiterung angesteckt.
 

Andächtig griff Itachi zu seinem Löffel und begann, sein nun harmonisches Getränk sorgfältig umzurühren. Es war ein unermesslicher Augenblick puren Glücks… und auch wenn er bezweifelte, seine Dankbarkeit je völlig ausdrücken zu können, für all das, was Kisame für ihn tat, so würde er es unbedingt versuchen, jeden Tag aufs Neue… denn Aufgeben oder gar Resignieren kam nicht mehr in Frage.
 

Er lächelte.
 

Sein blauer Klecks.
 


 


 


 

Ende
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Danke fürs Lesen :-) Komplett anzeigen

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