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Sünde

von

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Johannes

Als Mel mich an diesem Morgen angerufen hatte, hatte ich zunächst an einen Scherz und dann an ein Wunder geglaubt. Sie hatte wie ausgewechselt geklungen, war gut drauf gewesen und hatte sogar munter gescherzt, obwohl man ihrer Stimme angehört hatte, dass sie zumindest körperlich angeschlagen war. Ich hatte mich tierisch für Mel darüber gefreut, dass Greg anscheinend wieder der Alte war, auch wenn sich die Eifersucht sofort wieder bemerkbar gemacht hatte. Ich hatte wirklich geglaubt, dass mein Bauchgefühl sich getäuscht hatte und jetzt vielleicht alles gut werden würde.

Doch nun saß ich auf Mels Bett und fühlte mich schrecklich unwohl. Als ich in das Zimmer gekommen war, hatte ich zunächst nur Mels zierliche Gestalt gesehen, die in den dicken, blutroten Kissen förmlich versank. Im nächsten Moment hatte ich jedoch Greg entdeckt, der auf dem Schreibtischstuhl neben dem Bett gesessen hatte. Der Anblick seiner unglücklich wirkenden Gestalt war mir durch und durch gegangen und hatte dafür gesorgt, dass sich meine Nackenhaare abwehrend aufgestellt hatten.

Wieder betrachtete ich ihn aus den Augenwinkeln, während ich mit halbem Ohr Mel zuhörte, die ganz begeistert war von Gregs Idee, Arzt zu werden. Gregs Haut war aschfahl und wirkte irgendwie brüchig, seine Unterlippe war so blutig gebissen, dass ich allein vom Gucken fast das Gefühl hatte, selbst Blut auf der Zunge zu schmecken, und seine verhangenen Augen starrten auf Mels Hand, die meine umklammert hielt, schienen aber nichts wirklich zu sehen.

Alles an diesem Mann wirkte irgendwie müde und abgespannt, ausgehöhlt und stumpf. Wie tot. Er erweckte den Eindruck, dass es irgendetwas gab, das ihn von innen heraus auffraß, bis er irgendwann nur noch eine leere Hülle sein würde.

Die einzige Reaktion, die irgendwie nach Leben ausgesehen hatte, hatte ich kurz nach meiner Ankunft beobachten können. Ich hatte Mel zur Begrüßung geküsst und war kurz darauf Gregs Blick begegnet, der so voller Wut und Hass gewesen war, dass ich innerlich zusammen gezuckt war. Gerne hätte ich ihn gefragt, was sein Problem war, doch das Aufheben, das Mel um ihren Bruder machte, hatte mich schweigen lassen. Ich wollte mir ihren schrecklichen Wutausbruch, den es sicherlich zur Folge gehabt hätte, wenn ich Greg durch eine bissige Frage vertrieben hätte, nicht einmal vorstellen.
 

Plötzlich stemmte Greg sich auf die Füße und nickte unbestimmt in unsere Richtung. Sofort spannten sich sämtliche Muskeln in Mels Körper an und sie streckte die Hand nach ihrem Bruder aus. „Wo willst du hin?“ Die Panik in ihrer Stimme drehte mir den Magen um. Ich fragte mich, ob Greg es vielleicht genoss, dass sie so offensichtlich um seine Nähe bettelte. Doch ein Blick in seine gequält blickenden Augen reichte, um diese Überlegung wieder zu verwerfen.

„Ich hab Paps versprochen, dass ich ein paar Besorgungen für ihn mache. In spätestens zwei Stunden bin ich wieder hier.“ „Versprochen?“ Greg nickte stumm und verschwand mit wenigen, langen Schritten aus dem Zimmer. Die Geschwindigkeit, die er dabei an den Tag legte, überraschte mich ein wenig. Irgendwie wirkte es, als hätte er es gar nicht abwarten können, zu verschwinden.

Mel sah ihm mit traurigem Blick nach und knabberte nervös an ihrem Daumennagel. Als sie bemerkte, dass ich sie musterte, zuckte sie ein wenig verlegen die Schultern. „Ich hab immer noch Angst, dass er plötzlich wieder gehen könnte ohne zu sagen, wann er wiederkommt. Bis gestern war mir gar nicht klar gewesen, wie sehr ich ihn wirklich vermisst habe.“

Ich starrte stumm auf ihre schmalen Finger, die sich um meine Hand geschlossen hatten, und hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, mich mit Greg zu unterhalten. Ich hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen und murmelte noch schnell „Ich bin sofort wieder da.“, bevor ich hinter Gregor her stürzte.

Als dieser mich erblickte, wurden seine Augen vor Überraschung groß und er blickte mich ratlos an. „Was willst du denn hier? Solltest du nicht oben sein und M–... meiner Schwester das Händchen halten?“ Die Feindseligkeit in seiner Stimme überraschte mich ebenso wie die Tatsache, dass er sich gestoppt hatte, bevor er Mels Namen hatte aussprechen können. Doch besonders irritierend fand ich die Art, wie er das Wort Schwester betont hatte – so als wäre ihm die Tatsache, dass er kein Einzelkind war, vollkommen neu.

Ohne auf seine Sticheleien einzugehen, verschränkte ich die Arme vor der Brust und fragte: „Was ist hier eigentlich los? Gestern kommt Mel völlig aufgelöst bei mir an und erzählt mir, ihr Bruder sei zu einem Eisklotz mutiert. Und heute seid ihr plötzlich wieder ein Herz und eine Seele, aber sobald sich irgendwer auch nur einen Millimeter bewegt, zuckt ihr Beide zusammen, so als würdet ihr irgendetwas befürchten. Dass Mel Angst hat, dass du wieder gehst, ist mir klar. Aber was ist mir dir? Was ist dein Problem?“

Der plötzliche Schmerz, der über Gregs Gesicht glitt, ließ meinen Atem stocken. War ich zu weit gegangen? Nach einem Moment, der so lang war, dass ich schon glaubte, ich würde gar keine Antwort bekommen, flüsterte Greg schließlich: „Das geht dich nichts an.“

Obwohl ich sah, dass ihn jedes weitere Wort verletzte wie ein Fausthieb, konnte ich nicht aufhören. Ich musste einfach wissen, was los war, schließlich konnte ich nicht wirklich für Mel da sein, so lange ich die Umstände nicht verstand. „Das geht mich sehr wohl etwas an, schließlich liebe ich Mel. Oder glaubst du, dein gequälter Gesichtsausdruck würde ihr entgehen oder ihr nicht wehtun? Du bist für sie doch wie eine riesige, eiternde Wunde auf zwei Beinen!“

Gregs Wangen wurden noch ein wenig blasser und seine Haut bekam regelrecht einen ungesunden Grünstich, doch in seinen Augen flammte ungezügelte Wut auf. „Misch dich nicht in Dinge, die du nicht verstehst!“, zischte er, während er mich giftig anfunkelte. „Ob ich sie verstehe, ist unwichtig. Viel wichtiger ist, dass Mel es offensichtlich auch nicht versteht. Siehst du nicht, dass es sie zerreißen würde, wenn du sie noch einmal verlassen würdest?“

„Soll ich vielleicht für den Rest meines Lebens in diesem Haus bleiben?!“ Man hörte seiner Stimme deutlich an, dass er sich anstrengen musste, mich nicht laut anzubrüllen. „Nein, aber du könntest dich ein bisschen mehr anstrengen, deiner Schwester das Gefühl zu geben, dass sie sich auf dich verlassen kann und dass du dich nicht plötzlich in Rauch auflöst, sobald du keine Lust mehr hast, hier schlechte Laune zu verbreiten.“

Greg klappte vor Überraschung über diese Worte der Mund auf, doch bevor er etwas sagen konnte, machte ich kehrt und stieg die Treppe wieder herauf. Nur ein paar Momente später fiel die Haustür mit einem leisen Geräusch ins Schloss und ich fragte mich, ob es ein Fehler gewesen war, Greg so deutlich die Meinung zu sagen...



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