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Sünde

von

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Teil 4 - Abschied: Veronica

Mit leerem Blick starrte ich aus dem Fenster des Taxis, auf dem sich dicke Tropfen sammelten. Passend zum Anlass hatte es in der Nacht zu regnen begonnen und schien auch so schnell nicht wieder aufzuhören. Es wirkte fast als weinte der Himmel um den Verlust eines Engels...

Wieder schnürte es mir die Kehle zu und ich schluckte krampfhaft, um mich am weinen zu hindern. Ich konnte noch immer nicht glauben, dass Greg tatsächlich tot war. Diese Tatsache wollte einfach nicht in meinen Kopf. Ich hatte mir während der Anreise diesen Satz – „Greg ist tot.“ – immer und immer wieder vorgesagt, doch anstatt mir die Erkenntnis in den Schädel zu hämmern, hatte ich dadurch nur dafür gesorgt, dass die Worte auch das letzte Bisschen ihrer Bedeutung verloren hatten.

Langsam bog das Taxi um eine Kurve und durchquerte ein breites gusseisernes Tor. Der Friedhof. Blind reichte ich dem Fahrer einen Geldschein und stieg einfach aus, auch wenn mir dunkel bewusst war, dass ich gerade ein horrendes Trinkgeld gegeben hatte.

Während ich langsam auf das kleine Grüppchen Trauergäste zu ging, dachte ich wieder daran, wie ich von Gregs Tod erfahren hatte: Ich war gerade dabei gewesen, Wäsche aufzuhängen, als das Telefon geklingelt hatte. Da ich gedacht hatte, Greg würde endlich anrufen, hatte ich das Wäschestück, das ich gerade in der Hand gehabt hatte – eines von Gregs T-Shirts – einfach achtlos auf die Leine geworfen und war zum Telefon gestürmt. Doch als ich die dunkle Stimme am anderen Ende der Leitung gehört hatte, hatte ich bereits geahnt, dass etwas passiert sein musste.

„Entschuldigen Sie die Störung, aber... aber ich hab in der Anrufliste seines Handys gesehen, dass mein Sohn Sie in den letzten Tagen mehrfach angerufen hat.“, hatte die Stimme gesagt, wobei sie brüchig und irgendwie erstickt geklungen hatte. „Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie seine Lebensgefährtin sind?“ Sofort hatte mein Herz für einige Schläge ausgesetzt und meine Antwort hatte bereits wie eine ängstliche Frage geklungen: „Ja?“ Schnell hatte ich mich geräuspert und nachgesetzt: „Warum? Um was geht’s denn?“

Gregs Vater hatte schniefend Luft geholt, was mir die Kehle zugezogen hatte. Mir war klar gewesen, dass irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung gewesen war. „Es... es tut mir leid, aber ich muss Ihnen leider sagen, dass... dass...“ Wieder war da dieses zitternde Luftholen gewesen, das wie ein Bleigewicht auf meine Brust gedrückt hatte. Mit angehaltenem Atem hatte ich in das leise Knacken der Leitung gehorcht und auf ein Wunder gehofft. „Ich muss Ihnen leider sagen, dass Gregor gestern einen tödlichen Verkehrsunfall gehabt hat.“

Ich hatte das Gefühl gehabt, in ein endlos tiefes, pechschwarzes Loch zu stürzen – bis hinab ins Nirgendwo. Schon als meine Eltern gestorben waren, war der Schmerz kaum auszuhalten gewesen, doch Gregs Tod hatte mich noch heftiger getroffen. Mein Herz hatte so wild geschlagen, dass es erstaunlich erschien, dass es mir keine Rippe gebrochen hatte, und in meinen Ohren hatte das Blut so laut gerauscht, dass ich erst mit einiger Verzögerung registriert hatte, dass ich immer wieder „Nein! Nein! Nein!“ geschluchzt hatte.

Trotz seiner eigenen Trauer hatte Gregs Vater sich meinen Zusammenbruch schweigend angehört, bis ich so weit gefasst gewesen war, dass er mir Zeit und Ort der Beerdigung hatte nennen können.
 

Und hier war ich nun... Obwohl ich eingeladen war, traute ich mich nicht so richtig an das Grab heran. Irgendwie fühlte ich mich unter den anderen Trauergästen vollkommen fehl am Platz. Deswegen hielt ich mich ein wenig abseits und beobachtete die anderen Anwesenden.

Ich war erstaunt, wie wenig Personen hier waren, obwohl Greg garantiert ein ganze Schar guter Freunde gehabt hatte, bevor er ins Internat gekommen war. Ein einzelner junger Mann stand direkt vor dem Grab und schien sich hundeelend zu fühlen. Seine Augen waren blutunterlaufen und geschwollen und der Regen tropfte ihm aus den Haaren, was er jedoch gar nicht zu bemerkten schien. Ob er wohl Chris war, von dem Greg oft erzählt hatte?

Ich ließ meinen Blick schweifen und entdeckte eingekeilt zwischen einem etwas pummeligen Jungen und einem fürchterlich mitgenommen wirkenden Mann Mitte Vierzig eine junge, sehr zierliche Frau mit langen rotbraunen Haaren. Sie hielt ihren Kopf gesenkt, sodass ich ihr Gesicht nicht sehen konnte, doch ich hatte nicht den geringsten Zweifel daran, dass es sich bei ihr um Melanie handelte.

Sofort spürte ich wie sich der heiße Stachel der Eifersucht tief in mein gebrochenes Herz grub. Das war sie also, die Frau, die Greg so vergöttert hatte. Sie wirkte so schrecklich zerbrechlich, dass ich jeden Moment damit rechnete, dass eine Windböe sie vor meinen Augen zu Staub zerbröseln würde, und hielt sich krampfhaft an dem jungen Mann neben ihr fest, der ihr immer wieder beruhigend über den Oberarm strich.

Obwohl ich eigentlich alles Recht der Welt hatte, dieses Mädchen inbrünstig zu hassen, hatte ich plötzlich viel eher das Bedürfnis, es in den Arm zu nehmen und zu trösten. Seine unterdrückten Schluchzer waren so laut, dass das Geräusch bis zu mir herüber drang. Außerdem gab es keinen Grund mehr, dieses Mädchen zu verabscheuen. Melanie musste Greg ebenfalls von ganzem Herzen geliebt haben und in unserer Trauer waren wir viel mehr Komplizinnen, denn Konkurrentinnen.

Als hätte sie meinen Blick auf sich gespürt, hob sie plötzlich den Kopf und begegnete meinem Blick. Der Ausdruck in ihren rotgeränderten, moosgrünen Augen ließ mein Herz gleich noch einmal brechen – zeigten sie doch viel mehr Schmerz als ich je bei einem anderen Menschen gesehen hatte.



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