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Crystal of the Dark

von

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Meine wahre Gestalt

Kapitel 4: Meine wahre Gestalt
 

Der kühle Wind pfeift mir durch's Gesicht und treibt mich weiter an. Völlig berauscht jage ich in atemberaubenden Tempo durch die Nacht.
 

Was für ein Gefühl!
 

Wie im Zeitraffer fliegt die Umgebung an mir vorbei. Häuser, Bäume, Felder, Wiesen. Alles verschwimmt in unscharfen Konturen und scheint ineinander überzugehen. Und trotzdem habe ich noch nie so klar gesehen wie jetzt.

Gestochen scharf brennen sich die Bilder in mein Gedächtnis.

Die Eule, die sich im Schutz der Nacht lautlos und doch in tödlicher Geschwindigkeit auf ihre ahnungslose Beute stürzt.

Eine Gruppe Rehe, die am Waldrand stehend kurz in meine Richtung schielt.

Der Waschbär am Fluss, der eilig das Weite sucht, als ich mit lautem Platschen durch eben diesen hechte.

Und dann ist da noch eine Gestalt, hoch über den Baumwipfeln, die, wie versprochen, nicht von meiner Seite weicht. Ich spüre seine Gegenwart ganz deutlich, nehme seinen Geruch wahr und bin mir sicher, dass sein aufmerksamer Blick auf mir ruht.
 

Mehr als sechs Stunden ist mein Körper in meiner persönlichen Hölle verbrannt und ich habe keine Ahnung, wie ich das überstanden habe, ohne meinen Verstand zu verlieren. Aber das hier entschädigt jede Sekunde der Qual tausendfach. Ich fühle mich so viel lebendiger, so viel freier als jemals zuvor.
 

Am Vorsprung einer Klippe mache ich Halt, um den herrlichen Ausblick zu genießen. Unter mir erstreckt sich ein riesiger Mischwald und schwach erkennt man eine sich senkende Nebelwand, die vom fahlen Mondlicht in ein diffuses Licht getaucht wird und dem Wald somit etwas Mystisches verleiht. Es ist einfach nur unsagbar schön.

Wie weit ich wohl mittlerweile von der Stadt entfernt bin? Ich weiß nicht, wie lange ich gelaufen bin. Doch weder brennen meine Lungen, noch spüre ich sonst irgendeine Erschöpfung. Ganz im Gegenteil! Am liebsten würde ich die ganze Nacht weiter laufen. Immer weiter, in den Sonnenaufgang, in das Morgen, nur um danach mit der Abendsonne um die Wette zu laufen, hinein, in eine neue Nacht.

"Du wirst noch genug Gelegenheiten bekommen, das zu tun, Aki." Ian steht neben mir, sieht leicht zu mir herunter und lächelt. Seine Augen funkeln noch einmal grün, bevor sie wieder so dunkel werden, wie der Nachthimmel über uns.
 

Ich werfe einen erneuten sehnsuchtsvollen Blick auf die Landschaft unter mir.

"Ich weiß, es ist wunderschön." wispert er und ich nicke leicht.

"Trotzdem müssen wir wieder zurück, bevor die Sonne aufgeht." Warum? Ich will noch hier bleiben! Der junge Mann lächelt beschwichtigend.

"Solange du es noch nicht kontrollieren kannst, verwandelst du dich bei Sonnenaufgang zurück." Das hätte er mir ruhig auch schon mal eher sagen können!

"Entschuldige. Ich wollte deinem Bewegungsdrang keinen Einhalt gebieten. Außerdem wirktest du so glücklich... irgendwie unbeschwert." Ein entschuldigendes Lächeln gleitet über seine Züge. Wie kann ich ihm da noch böse sein? Sanft legt sich seine Hand auf meinen Kopf und krault diesen. Genießend schließe ich meine Augen und neige mich der Hand leicht entgegen.

"Aki?" Ich sehe ihn wieder an.

"Würdest du mich zurück tragen? Ich bin... ein wenig... erschöpft." Mir fällt sehr wohl auf, dass das nicht die Worte sind, die er unter anderen Umständen benutzt hätte. Aber ich werde es nicht hinterfragen. Sicher hat er seine Gründe, seinen Zustand zu umschreiben. Also gebe ich ihm meine Zustimmung. Hoffentlich ist er nicht zu schwer für mich...

"Keine Sorge, du wirst mich kaum bemerken." Damit schwingt er sich auf meinen Rücken, mit einer Leichtigkeit, die mich stutzen lässt. Sofort ist da wieder die Hand auf meinem Kopf.

"Es ist das erste Mal seit über 150 Jahren, dass ich mich wieder tragen lasse. Ich hoffe, du wirfst mich nicht ab." Bin ich ein Pferd oder was?! Und wie alt ist dieser Kerl eigentlich? Dass er kein Mensch ist, habe auch ich mittlerweile begriffen. Ich bin schließlich auch keiner...
 

Mit langen Sätzen und in enormer Geschwindigkeit trete ich den Rückweg an, wenn auch schweren Herzens. Der weiche Waldboden unter meinen Pfoten beflügelt mich sogar noch mehr und schon kurz darauf liegt Ian halb auf mir und hat seine Arme um meinen muskulösen Hals geschlungen, die Finger fest in meinem braunen Fell verkrallt. Ein amüsiertes Heulen verlässt meine Kehle.

"Das ist nicht komisch!" protestiert er mit leicht verzweifeltem Unterton. Doch, für mich ist es das. Aber ich beschließe, ihn nicht abzuwerfen und drossele mein Tempo. Augenblicklich entspannt er sich etwas und richtet sich ein wenig auf.

"Du bist mir schon ein Wildfang, Aki." lacht er leise und auch ich muss grinsen, wodurch ich meine scharfen Zähne entblöße.

"Können wir an dem See dort hinten kurz Halt machen?" Er beugt sich leicht vor, streckt seinen Arm in die Richtung etwas links meines derzeitigen Weges, sodass ich ihn sehen kann. Ich weiß zwar nicht, was er da will aber ich folge der angegebenen Richtung.
 

Nur wenige Minuten später erreichen wir unser Ziel und Ian gleitet von meinem Rücken und hockt sich ans Ufer. Ich folge ihm und als ich mich über die spiegelglatte Oberfläche beuge, sehe ich mich zum ersten Mal in dieser Nacht vollständig.

Ich wusste bereits, was ich in etwa bin, von dem, was ich selbst gesehen habe. Aber nun ist es sogar noch faszinierender.

"Gefällt dir deine wahre Gestalt?" fragt mich mein Begleiter. Ich starre in die goldgelben Augen, die ich vor nicht einmal 24 Stunden noch für eine Ausgeburt meiner Fantasie gehalten habe. Doch diese Augen gehören nicht der Studentin Aki, sondern einem anmutigen, braunen Wolf, der fast so groß ist, wie meine menschliche Gestalt. Also verdammt groß, wenn man berücksichtigt, dass ich etwa 1,75 Meter groß bin. Vorsichtig stupse ich meine feuchte, schwarze Nase in das kühle Nass und ziehe sie sofort abrupt mit einem Schnauben zurück. Scheiße, ist das kalt!
 

Dann richten sich meine Ohren auf, wenden sich alarmiert nach links, bevor mein Kopf ebenfalls in die Richtung schnellt. Ian hockt am Uferrand, eine Hand ruht auf seinem Oberschenkel, die andere direkt über der Wasseroberfläche. Irgendetwas Merkwürdiges geschieht. Es sieht beinahe so aus, als ob er das Wasser anziehen würde aber egal, wie nah die kleinen Tröpfchen seiner Hand kommen, sie berühren sie nie.

Gespannt beobachte ich das Schauspiel, bis die Vibration um ihn herum plötzlich verschwindet. Der See ist wieder genauso ruhig wie zuvor, dafür wirkt der junge Mann jetzt anders. Hätte er bis zu unserer Ankunft hier noch als normaler Mensch durchgehen können, umgibt ihn jetzt etwas Magisches. Es flackert wie eine Aura um ihn und hüllt ihn in einen kühlen Glanz - fast wie ein Eiskristall.
 

Er hebt seinen Kopf, sieht mich an und dieses Mal sind seine Augen wieder leuchtend grün. Ob er auch eine andere Gestalt hat, so wie ich?

"Nicht ganz." antwortet er auf meinen Gedanken. Da ich in dieser Gestalt nicht sprechen kann, knurre ich ihn stattdessen drohend an. Er soll nicht ständig meine Gedanken lesen! Er lacht amüsiert.

"Möchtest du es sehen?" fragt er mit samtener Stimme und richtet sich zu seiner vollen Größe auf. Also ändert sich nicht nur seine Augenfarbe...

"Deine Neugier steht dir deutlich ins Gesicht geschrieben. Ich muss deine Gedanken nicht lesen, um zu wissen, was in dir vorgeht. Zumindest nicht im Moment." Dann umgibt ihn für den Bruchteil einer Sekunde ein feiner Regen aus Wassertröpfchen und Eiskristallen und danach schnappe ich hörbar nach Luft.

Mein erster Gedanke ist geprägt von überwältigenden Ausrufen. Mein zweiter von nicht jugendfreien Bildern und mein dritter von Flüchen und Verwünschungen auf eben jenen vorangegangenen Gedanken.
 

Ian, der zuvor im hellen Rollkragenpullover und einfacher Jeans da stand, ist nun oberkörperfrei, eine enge, dunkle Hose schmiegt sich um seine langen Beine und aus seinem Rücken tritt ein Paar Flügel hervor, wie ich sie eindrucksvoller nie zuvor gesehen habe. Sie schimmern blau, wirken durchlässig, wie eine Membran, zerbrechlich wie Glas und gleichzeitig so unsagbar kraftvoll. Aus was bestehen diese Flügel?

"Aus unzähligen Eiskristallen." kommt auch prompt die Antwort. In diesem Moment bereue ich, dass ich kein Mensch bin. Ich will sie anfassen! Nur einmal ganz kurz...

Wie von selbst bewege ich mich auf ihn zu, beobachte fasziniert, wie die Flügel im Mondlicht glitzern und glänzen. Seine grünen Seelenspiegel ruhen auf mir, beobachten jeden meiner Schritte und weiten sich plötzlich überrascht, als meine Finger über die Struktur seiner Schwingen gleiten.

Nur einen Moment später halte auch ich inne.

"Was... was ist denn jetzt passiert?" frage ich etwas hilflos und sehe zwischen dem Blauhaarigen und meinen Fingern hin und her.

"Du hast dich gerade willentlich in einen Menschen zurückverwandelt."

"Ja, das sehe ich auch! Aber wie? Warum? Du sagtest doch, ich könne es noch nicht kontrollieren." Überlegend tippt er sich ans Kinn. Ich folge seiner Bewegung mit den Augen und bemerke plötzlich, wie nah ich ihm eigentlich bin. Ich habe ihn sogar einfach angetatscht! Wie peinlich! Schnell weiche ich einige Schritte zurück. Er gluckst nur amüsiert.

"Ach, so ist das..."

"Was? Was meinst du?" Ich bin gerade wirklich verunsichert.

"Du veränderst deine Gestalt durch deinen Willen. Allerdings ist es anfangs recht schwierig, denn niemand, der Macht und Freiheit gekostet hat, will freiwillig wieder ein schwacher Mensch sein. Man lernt mit der Zeit zu beurteilen, wann welche Gestalt vorteilhafter ist." Er macht eine kurze Pause, kommt einen Schritt auf mich zu und streichelt mir erneut über den Kopf.

"Aber dein Verlangen danach, mich zu berühren, war stärker als dein Freiheitsdrang. Darum hast du dich wieder in einen Menschen verwandelt." Seine ruhige, warme Stimme jagt mir unzählige Schauer über den Rücken. Gleichzeitig wird mir die Zweideutigkeit seiner Worte bewusst.

"Ich wollte nur deine Flügel berühren! Nicht DICH!" korrigiere ich ihn, doch er lacht nur leise.

"Oh nein, nicht nur die Flügel..." Er legt einen Arm um meine Schulter, zieht mich zu sich und flüstert mir mit verruchter Stimme ins Ohr:

"Darf ich dich an deine Gedanken erinnern, die dir durch den Kopf schossen, nachdem ich mich verwandelt hatte?" Mein Blut schießt in meine Wangen. Verdammt! Mich noch immer festhaltend, scheint er gerade beschlossen zu haben, mich sogar noch weiter zu foltern.

"Ich gehe davon aus, dass du gerade nicht gewillt bist, mich weiterhin zu tragen... Also lass mir die Möglichkeit, mich für den netten Ritt von vorhin zu revanchieren." Das macht dieser Arsch doch mit Absicht! Aber mir bleibt keine Zeit zum Fluchen, denn starke Arme legen sich um meinen Rücken und meine Beine und ehe ich mich versehe, hebt er mich hoch und fliegt mit mir los. Fast schon panisch kralle ich mich in seinen Nacken und presse mein Gesicht gegen seinen Oberkörper.

Als ob die Situation an sich nicht schon peinlich genug wäre, schießt mir ein Gedanke durch den Kopf, für den ich mich am liebsten ohrfeigen würde: Jetzt kann ich auch seinen nackten Oberkörper berühren...



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