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Ein Weihnachtsengel auf vier Pfoten

von

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Warme Stallluft kam mir entgegen, als ich das große dunkle Holztor öffnete.

Das Schnauben, Rascheln, Kauen und Scharren wurde gleich lauter und kaum hatte ich die Schwelle ins Innere übertreten, strecken sich einige Köpfe über die Boxenwände und schauen neugierig zu mir.
 

„Na ihr, schmeckt es euch?“, lächelte ich.
 

Ich liebte diese Atmosphäre. Gerade im Winter hatte es etwas gemütliches.

Es roch nach Heu, Stroh und warmem Pferdekörper.
 

Zielstrebig ging ich auf die Sattelkammer zu, holte Halfter, Strick und Putzkiste vom zugehörigen Platz und machte mich auf den Weg zu Picasso.

Dort angekommen öffnete ich die Tür nur soweit, dass ich eintreten konnte und zog sie danach wieder ran.
 

„Hey mein Hübscher, wie geht’s dir? Lust, eine Runde ins Gelände zu gehen?“, sprach ich dabei ruhig auf den jungen Wallach ein, damit er sich nicht erschreckte.

Daraufhin drehte er sich direkt zu mir um und stupste mich am rechten Oberschenkel an. Ja, der Schlingel wusste ganz genau, wo die Leckerchen waren.

Das Halfter über den Kopf gezogen und den Strick in passender Länge am Gitter befestigt, hielt ich ihm eine der erwarteten Brocken aus Getreide, Möhren und Äpfeln hin.

Während er genüsslich sein Leckerchen kaute und danach die Nase wieder ins Heu steckte, versuchte ich den Staub aus seinem weiß-grauen Winterfell und dem dunkelgrauen Langhaar zu bekommen.
 

Kaum erledigt, gehe ich mit der Putzkiste unterm Arm zurück in die Sattelkammer, schnappe mir seine Trense, sowie seinen Sattel inkl. Gurt und Schabracke und trage alles zurück zur Box. Dort angekommen, lege ich die Trense ordentlich über die Tür und gehe mit dem Rest zu meinem Pferd.

Zunächst lege ich die Schabracke auf den starken Rücken, darüber dann den Sattel und befestige diesen schlussendlich mit dem Gurt.

Anschließend tausche ich das Halfter gegen die Trense, lasse dieses aber noch um seinen Hals hängen.

Danach führe ich ihn auf die Stallgasse, binde ihn dort erneut an, löse den Hufkratzer von der Tür und säubere seine Hufe vollständig.

Nun können wir endlich los.
 

Wir gehen zunächst auf den Außenplatz, ich steige auf, lasse ihn sich etwas im Schritt aufwärmen und gurte nach, bevor wir schlussendlich auf dem Weg Richtung Wald sind.
 

Der Boden ist gefroren, daher lassen wir es langsam angehen. Weiße Wölkchen bilden sich beim Ausatmen.

Heute Nacht hatte es das erste Mal geschneit und zumindest auf den Wiesen und Feldern war er bisher noch nicht weggeschmolzen. So ließ sich ein Tag beginnen. Alles war ruhig und ich hörte nur die Natur, Picassos Hufe auf dem Feldweg und sein gelegentliches Schnauben.

Am Wald angekommen, wurde der Weg weicher und ich ließ den Apfelschimmel antraben. So ging es einige Zeit über die Hauptwege, bis uns der erste Jogger entgegenkam. Ich parierte durch und gingen im Schritt an diesem vorbei. Danach ließ ich ihn wieder antraben, bis uns ein Fußgänger mit seinem Hund begegnete. Erneut im Schritt, passierten wir auch diesen, nur um kurz darauf wieder zu beschleunigen.

Ich war auf dem Weg zu unserer Lieblingsstrecke. Dort wusste ich, dass uns um diese Uhrzeit noch niemand entgegenkommen würde und ich den Dicken laufen lassen könnte.

Auch er wusste, wo es hingeht und wurde mit jedem Meter ungeduldiger.

Kaum um die richtige Kurve, legte ich den rechten Schenkel hinter den Gurt und trieb ihn durch leichten Druck des Linken in den Galopp. Er setzte die Hilfe direkt um und flog regelrecht über den Boden. Ich ließ ihn und meine Gedanken einfach laufen.

Da ich dabei nicht auf meine Umwelt achtete, erschrak ich furchtbar, als Picasso plötzlich aus vollem Lauf stoppte und stieg. Ich konnte mich gerade noch halten. Kaum setzen seine Vorderhufe wieder auf dem Boden auf, preschte er los. Ich versuchte ihn wieder einzufangen, damit wir uns nicht plötzlich den Hals brachen. Nach einigen Minuten gelang mir dies auch.
 

>Was zur Hölle hat ihn bloß so erschreckt?<
 

Ich drehte den Wallach um und wir gingen im Schritt zu jener Stelle zurück, doch ich konnte einfach nicht sehen, was dort gewesen sein könnte. Picasso tänzelte nervös.

Irgendwas musste er also noch immer hören, denn eigentlich war er nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen.

Ich lauschte also intensiver auf irgendwelche Geräusche. Nichts.

Doch nach ein paar weiteren Schritten hörte ich doch ein komisches Geräusch, das einfach nicht hier her gehörte. Ich hielt Picasso an, stieg ab und lauschte erneut. Ich wollte herausfinden, was es war und woher es kam.
 

Plötzlich hörte ich es erneut und dieses Mal ließ es sich als Wimmern und Fiepen identifizieren.
 

>Ein Hund!<, schoss es mir durch den Kopf.
 

„Ist ja gut, mein Großer. Dir passiert nichts!“, sprach ich auf Picasso ein und strich ihm kräftig über den Hals, da er noch immer nervös auf der Stelle trat.

„Das ist nur ein Hund. Der tut dir nicht weh. Ich bin ja da. Na los, lass uns mal nachschauen gehen. Er klingt nicht gut.“
 

Auch wenn er noch immer nervös war, folgte er meinem festen Schritt ins Unterholz. Nach einigem Suchen fand ich plötzlich, mitten in einem Busch hängend, ein fiependes und zitterndes Bündel mit braun-weißem Fell.

Um ihn befreien zu können, bräuchte ich beide Hände. Also warf ich die Zügel über Picassos Hals und band ihn am nächsten Baum fest.
 

Das Bündel hatte sich mit Leine und Halsband total in den Zweigen verhäddert. Ich musste einiges an Kraft und Geschick aufwenden um die Leine von den Ästen zu wickeln und die richtigen Äste so zu brechen, dass ich den Hund befreien konnte, ohne ihn zu verletzen. Letztendlich hatte ich es aber doch geschafft und hob ihn auf die Arme.

Neben dem Busch ließ ich mich dann auf den Boden sinken, legte das Tier auf meinen Schoß und fing an, ihn nach offenen Wunden abzusuchen. Zum Glück fand ich nichts und ich konnte ihn auf den Boden runter lassen.

Trotzdem hielt ich ihn an seiner Leine fest, damit er nicht wieder abhauen konnte. Er sah mich mit seinen braunen Augen an und wusste scheinbar nicht, was er nun machen sollte.
 

„Na komm Junge, wir gehen mal schauen, ob wir dein Frauchen oder Herrchen finden.“
 

Mit dem Hund an der Hand machte ich mich auf den Weg zurück zu meinem noch immer nervösen Pferd.
 

„Ganz ruhig, Picasso. Schau mal, wen ich hier mitgebracht habe.“
 

Langsam ließ ich den Hund näher zum Wallach laufen, damit die beiden sich beschnuppern konnten.

Zunächst war der Hund skeptisch und schien regelrecht Angst vor dem großen Tier zu haben, doch als ich diesem beruhigend über den Kopf strich, schien er mutiger zu werden. Langsam und aufmerksam auf sein Gegenüber achtend, machte er einige Schritte auf ihn zu. Picasso senkte gleichzeitig seinen Kopf in Richtung des Hundes.

Nach kurzem gegenseitigen Beschnüffeln schienen beide zum Glück der Meinung zu sein, dass vom jeweils Anderen keine Gefahr ausging und ich konnte mich, mit je einem Tier an einer Hand, auf den Rückweg machen.
 

Der Hund sah sich um und nach wenigen Schritten auf dem eigentlichen Weg, zog er plötzlich an der Leine. Er wollte einen kleineren Weg entlang. Als ich nicht sofort reagierte, drehte er sich zu mir, bellte kurz und zog wieder.

Er schien mir etwas zeigen zu wollen, also folgte ich ihm. Hunde hatten schließlich einen ausgesprochen guten Orientierungssinn und eine ebenso gute Nase.
 

Auch an der nächsten Weggabelung zog er an der Leine und plötzlich hörte ich Hilferufe. Ich stieg in den Sattel und ließ den Hund mit einem „Such!“ laufen. Dieser preschte los, ich galoppierte auf meinem Wallach hinter ihm her und nach der dritten Kurve sah ich plötzlich jemanden am Wegesrand sitzen, der sich das Bein hielt. Der Hund lief auf die Person zu und rieb dann seine Nase am Gesicht der offensichtlich verletzten Person, bevor er sich wärmend anschmiegte. Ich parierte Picasso durch und stieg ab.
 

„Hallo. Was ist passiert?“
 

„H...hall...llo... I...ich... w...wei...eißßß ni...icht... M...mei...nn... B...b...bein...“, antwortete mir eine tiefe, eindeutig männliche und vor Kälte zitternde Stimme verzweifelt.
 

>Oh Gott, wie lange muss er hier schon gesessen haben?<, dachte ich und schaltete sofort.
 

„Los, kommen Sie. Ich helfe Ihnen auf und dann setzen Sie sich auf mein Pferd. Sie sind ja völlig unterkühlt.“
 

Ich zog den Mann auf sein gesundes Bein, was mich, trotz fehlender Hilfe seinerseits, weniger Kraft kostete, als befürchtet und griff dann zur Stabilisierung um ihn herum. Er war etwa einen halben Kopf kleiner als ich, daher musste ich mich etwas herunter beugen, um uns beide im Gleichgewicht halten zu können. So führte ich ihn einigermaßen sicher, wenn auch noch immer wie Espenlaub zitternd, auf die rechte Seite von Picasso, um ihn, ohne an das kaputte Bein fassen zu müssen, in den Sattel heben zu können.
 

„Halten Sie sich bitte mit der rechten Hand in der Mähne fest und mit der Linken hinten am Sattel. Sie müssen sich gleich einmal hochziehen. Ich helfe dabei, nur ich kann Ihnen vorher schlecht das gesunde Bein auch noch wegziehen.“
 

„Oh G...gott, is...ist d...da...sss h...ho...och. S...sinn...nd S...sie si...sich...cher, da...dassss d...das gu...guttt ge...gee...ht? Tu...tut d...das au...uch nich...ts?“
 

„Nein, Picasso tut Ihnen nichts. Ich halte ihn auch fest, während Sie aufsteigen.“
 

„O...ok...okay, d...da...nn woll...llen wi...wir ma...lll...“
 

„Gut. Ich zähle bis Drei und dann springen Sie mit hoch und Winkeln das Bein etwas nach hinten an. Gleichzeitig fasse ich zu und drücke Sie an dem Bein schließlich weiter hoch. Währenddessen müssen Sie sich etwas hochziehen und dann das kaputte Bein auf die andere Seite schwingen.“
 

Der Mann nickte nur scheu und ich zählte bis Drei. Dann sprang er etwas hoch, ich legte die Hände unter sein Knie und drückte ihn so noch ein Stück höher.

Als er hoch genug war, legte er vorsichtig sein verletztes Bein über den Sattel und ich ließ ihn die wenigen Zentimeter runter in den Sattel gleiten.
 

„Geht es mit dem Bein?“
 

„E...es mu...uss g...g...ge...hen.“, antwortete er mit zusammengebissenen Zähnen.
 

Ich zog mein Handy aus der Tasche und wählte den Notruf. Kurz gab ich durch, was los war und wo der Krankenwagen uns finden würde.
 

„Halten Sie sich bitte vorne am Sattel fest und gegebenenfalls in der Mähne. Wir müssen los.“
 

Wieder nickte der Mann erneut. Er zitterte noch immer.
 

Ich fasste die Zügel und schnalzte mit der Zunge, während ich mit einer Hand das gesunde Bein des Mannes fasste, damit er beim ersten Schritt nicht rutschte. Scheinbar merkte mein Pferd, dass er jemanden auf seinem Rücken hatte, auf den er aufpassen musste, denn er bewegte sich nur langsam und sanft vorwärts.
 

„P...parker, b...bei F...fuß.“, rief er dann, nach dem ersten Schreck über die Bewegung unter sich, scheinbar nach seinem Hund.
 

„Parker? Ein ungewöhnlicher Name für einen Hund.“, versuchte ich ihn in ein Gespräch zu verwickeln.
 

„Sch...stimmt. A...aber als Wel...welpe hat e...er immer na...ach dem Ferns...seher get...tatzt, als Spiderm...man lief. Spiderman o...oder Peter fand i...ich als Name ab...aber blöd, also Pa...parker. Und er hö...rte sofort drauf.“, stieg er darauf ein und zuckte am Ende seiner Erklärung mit den zitternden Schultern.
 

„Ah, cool. Also hat er sich seinen Namen praktisch selbst ausgesucht.“, grinste ich.
 

„Ja. U...und wie heißt da...as Pferd?“, fragte er, scheinbar neugierig geworden.
 

„Laut den Zuchtpapieren heißt er eigentlich ‚Sir Picasso III.‘, aber ich nenne ihn nur Picasso. Das ist kürzer und er hört trotzdem.“
 

„Ein ad...deliges Pferd und Sie la...assen mich einfach s...so aufsteigen? Das Tier muss do...och sauteuer gewes...sen sein.“
 

„Es geht. Da er für die ehemaligen Besitzer durch eine Verletzung nicht mehr zu gebrauchen war, habe ich ihn im Grunde vorm Schlachter gerettet.“
 

„Oh...“, betroffen sah der Mann auf den kräftigen Hals des Apfelschimmels.

Dann lehnte er sich langsam vor und umarmte meinen Wallach vorsichtig.

„Sowas Lieb...bes wie dich darf m...man doch nicht einfach umbr...bringen.“, flüsterte er betrübt, während er dem Tier über die breite Brust strich.
 

„Er lebt ja noch. Und so schnell geb ich den nicht mehr her. Also ist alles gut. Wird Ihnen etwas wärmer?“
 

„Ja, Picasso wär...wärmt mich richtig gut. Sag mal, is...ist Parker bei d...dir?“, schreckte er plötzlich auf.
 

„Er ist auf meiner anderen Seite und lässt uns die ganze Zeit nicht aus den Augen. Keine Sorge. Sag mal, hast du jemanden, der sich um deinen Hund kümmert, wenn du im Krankenhaus bleiben musst?“
 

„Scheiße...“
 

„Ich schätze Mal, das heißt Nein. Soll ich ihn dann solange nehmen? Ich hab eh die nächsten zwei Wochen Urlaub und bin jeden Tag am Stall. Da hätte er dann genug Auslauf. Mit Picasso scheint er auch gut auszukommen.“
 

„Das kann ich do...och nicht von Ihnen verlang...gen. Wir kennen uns doch ga...ar nicht. Und übermorgen ist Heiligabend.“
 

„Das kann man ja ändern.“, grinste ich zu ihm hoch. „Außerdem ist es mir so lieber, als wenn der Hund solange ins Tierheim müsste.“
 

„Stimmt, das wi...ill ich nicht. Schon gar nich...cht über Weihnacht...ten.“
 

„Na sehen Sie. Ich mache das wirklich gerne. Er ist ein kleveres Kerlchen. Wir werden uns schon verstehen. Ich bin übrigens Aaron.“
 

„Stimmt, das ist er. Da...anke, Aaron. Ich bin Marc...cus.“ Er setzte sich wieder aufrecht hin.
 

Ich hielt Picasso an und wir reichten uns die Hand.
 

„So, nimm jetzt mal die Zügel auf. Ich brauche gleich kurz beide Hände frei. Ich zeig es dir.“ Ich reichte ihm die Zügel und legte sie ihm passend zwischen die Finger. „Wenn du die Zügel so zwischen den Fingern hältst, brauchst du nur deine Ringfinger etwas mehr zu beugen, die Hände dabei etwas nach innen drehen, so, und dich im Sattel schwer machen - dann hält er an. Nur bitte nicht zu stark dran ziehen, da er recht empfindlich im Maul ist. Du kannst die Hände ruhig auf dem Sattelhorn ablegen, wenn du dich wohler damit fühlst. Schaffst du das?“
 

Unsicher sah er mich an. „Ich...ch denke schon, aber ich will i...ihm nicht wehtun.“
 

„Wenn du es so machst, wie ich es dir gesagt habe, ist das schon ok. Keine Sorge. Dein Zittern ist ja weniger geworden und wenn du die Hände liegen lässt, tut ihm das nicht weh.“
 

Er nickte und schon gingen wir weiter. Nach wenigen Minuten hatten wir fast das Ende des Waldes erreicht und ich ließ Picasso los, um Parker wieder an die Leine zu nehmen. „Komm mal her, mein Junge. Wir zwei raufen uns schon zusammen, während dein Herrchen im Krankenhaus liegt, oder?“
 

Kaum hatte ich die Leine in der Hand, folgten wir Pferd und Reiter. Am Parkplatz, an welchem der Weg endete, angekommen, hatten wir die beiden eingeholt und ich sah, wie Marcus meine Hinweise umsetzte und Picasso daraufhin sofort stehen blieb.
 

„Hat doch geklappt.“, freute ich mich und auch meine neue Bekanntschaft schien darüber erleichtert zu sein.
 

Der Krankenwagen stand schon bereit und als ich die Hand hob, kamen die Sanitäter mit einer Trage auf uns zu. Einer der beiden half mir, Marcus vom Pferd zu heben, während sich der Andere, scheinbar aus Angst vor dem Tier, erst näherte, als ich Picasso wegführte. Ich band Pferd und Hund an einem Baum in der Nähe fest, bevor ich zum Krankenwagen zurückging.
 

„Können Sie mir sagen, wo Sie ihn hinbringen? Ich würde später nachkommen, sobald die Tiere versorgt sind.“
 

„Ins Städtische. Kommen Se ruhich nach. Er wird eh ers geröncht un anschließnd opariert werdn. Dat sieht nach nem komplizierteren Bruch aus. Aba dat entscheidet der Doc.“
 

„Ist gut. Bis später, Marcus. Ich lasse Parker erstmal im Stall. Dann kann er sich dran gewöhnen und ist nicht alleine. Sascha hat bestimmt nichts dagegen.“, versuchte ich ihn aufzumuntern.
 

„Okay. Wir sehen uns dann später.“, verabschiedete er sich merkbar unwillig.
 

Der Krankenwagen verließ kurz darauf den Parkplatz und ich wollte mich mit Hund und Pferd ebenfalls auf den Rückweg machen. Parker jaulte, seit sein Herrchen auf der Trage ins Fahrzeug geschoben wurde. Ich hockte mich zu ihm, kraulte ihn zwischen den Ohren und sprach beruhigend auf ihn ein: „Ist ja gut, Parker. Herrchen geht es bald besser und so lange passe ich auf dich auf. Na komm, lass uns losgehen, damit wir ins warme kommen.“
 

>Hoffentlich geht das gut, mit den beiden. Sonst müsste ich den ganzen Weg laufen.<, machte ich mir daher doch ein wenig Sorgen. Parker hatte zwar keine Angst vor Picasso, aber das hieß ja nicht, dass ich ihn auch aus dem Sattel lenken konnte.
 

Ich band beide Tiere los und versuchte aufzusitzen. Da Parker jedoch völlig durch den Wind war, machte er damit auch Picasso nervös. Somit klappte es erst beim dritten Mal, dass ich es in den Sattel schaffte. Nach den ersten vorsichtigen Schritten hatten wir uns dann jedoch halbwegs sortiert und konnten uns auf den Weg zum Stall machen.
 

Dort angekommen, band ich zunächst Parker an der Nachbarbox fest, bevor ich Picasso das Halfter über den Hals legte.

Trense runter, Halfter drauf und das Gebiss abwaschen - Sattel und Schabracke runter - Hufe auskratzen - alles zurück an seinen Platz und auf dem Rückweg die Decke einsammeln.

Kurz noch einmal übergebürstet, die Abschwitzdecke drauf gelegt und schon konnte ich mich, mit Parker an der Leine, auf die Suche nach Sascha, dem Stallbesitzer, machen. Doch lange dauerte die Suche nicht. Kaum war ich aus dem Stalltor, kam er mir bereits vom Haupthaus entgegen.
 

„Hallo Aaron, seid ihr zwei schon wieder zurück?“, wank er schon von weitem. Kaum hatte Sascha das erste Wort gesagt, versteckte sich der braun-weiße Hund hinter meinen Beinen.
 

„Hallo Sascha, ja, wir sind schon wieder da. Ist leider etwas anders verlaufen, als gedacht.“
 

„Warum? Ist irgendwas mit Picasso? Brauchst du einen Tierarzt?“
 

„Nein, nein, mit Picasso ist alles okay. Ich hab trotzdem ein Anliegen an dich.“
 

„Na dann bin ich mal gespannt. Was ist los? Geht es um deine neue Begleitung?“
 

„Neue Begleitung? Ach, du meinst Parker! Ja, du hast recht. Ich würde ihn gerne ein paar Stunden in der Box neben Picasso lassen. Er ist mir im Wald vor die Hufe gelaufen, als er Hilfe für sein Herrchen holen wollte. Der ist jetzt im Krankenhaus und es kann sich wohl keiner um den Hund kümmern. Wäre das in Ordnung?“
 

„An sich ja. Wenn er den Stall nicht verwüstet und die Pferde nicht verrückt macht, sollte das gehen. Warum willst du ihn denn hier lassen?“
 

„Ich wollte gleich den Besitzer im Krankenhaus besuchen fahren und schauen, ob er mir schon mehr sagen kann. Die Sannis konnten eben nicht wirklich was sagen. Aber bevor ich Parker hier lasse, würde ich erstmal testen, ob er bleibt. Ist vielleicht von Boston noch Futter für ihn über?“
 

„Das ist ne gute Idee. Futter hole ich ihm gleich. Es müsste noch etwas in der Küche sein. Hey Parker. Komm mal her, du hübscher Kerl.“, ging der Stallbesitzer nun vor uns in die Hocke und hielt ihm die Hand zum schnuppern hin. Der Münsterländer streckte, auch wenn er weiterhin hinter mir stehen blieb, neugierig seine Nase in Richtung der unbekannten Hand. Nach einigen Sekunden traute er sich aus der Deckung und bewegte sich auf mein Gegenüber zu.
 

„Na schau... Das gefällt dir, hm?“, kraulte Sascha den Vierbeiner hinter den Ohren.
 

>Parker scheint ihn zu mögen, gut. Dann wird es einfacher ihn hier zu lassen.<
 

„Wäre Boston nicht so eifersüchtig auf andere Hunde, die hier rumlaufen, würde ich dich mit ins Haus nehmen, Parker. Aber wir wollen ja nicht, dass du auch noch zum Doc musst. Da ist es besser, wenn du im Stall bleibst. Na komm, wir schauen mal, dass wir es dir gemütlich machen.“ Mit diesen Worten erhob sich der blonde, 1,95m große Mann vor mir und drehte sich zum Stalltor.
 

Ich folgte ihm und wir gingen zur vorgesehenen Box. Sie war schon einige Tage leer, da das Pferd, das hier untergebracht war, hatte vom Besitzer verkauft werden müssen und bisher hatte sich noch niemand auf die Zeitungsanzeige gemeldet.
 

Wir streuten, nachdem ich Parker zunächst an Picassos Box festgebunden hatte, mit Sägespänen die Box leicht aus, wobei wir in zwei gegenüberliegenden Ecken die Schicht etwas dicker werden ließen. Auf eine dieser zwei Ecken legten wir anschließend noch etwas Stroh drüber und darauf wiederum zwei alte Decken, auf denen der Hund es sich gemütlich machen konnte.

Dann ging Sascha auch schon los, eine Portion Hundefutter seines Dobermanns zu holen und ich füllte eine zweite Schüssel mit Wasser auf. Parker winselte schon ungeduldig, also band ich ihn los und ging mit ihm in die Box, schloss die Tür hinter uns und machte die Leine vom Halsband ab. Sofort lief der Hund durch die Box, die Nase gen Boden, und erkundete seine vorerst neue Bleibe. Während er so durch die Späne trabte blieben einige der Sägespäne an seinen Beinen hängen und ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.
 

„Was ist denn so lustig?“, erklang plötzlich die Stimme des Stallbesitzers hinter mir. Parker drehte ruckartig den Kopf in unsere Richtung, bevor er sich komplett umdrehte, einmal bellte und schwanzwedelnd auf uns zukam.

Dabei deutete ich auf dessen Beine und auch Sascha ging an zu grinsen, während er dem Hund, der sich an der Tür auf die Hinterläufe gestellt hatte, über den Kopf strich.
 

„So, geh ab, Parker. Geh.“, scheuchte er den Hund dann aber von der Tür weg, da er diese öffnen und ihm das Futter hinstellen wollte.
 

Der Münsterländer hörte zwar nicht sofort, da er scheinbar die Streicheleinheiten genoss, aber bei der zweiten Aufforderung ließ er sich zumindest auf alle vier Pfoten sinken.

Sascha öffnete die Tür und schob sich am Hund vorbei. Ich schloss diese direkt hinter ihm wieder, während er das Futter neben der Wasserschüssel abstellte.

Darüber schienen die kraulenden Hände vergessen und Parker machte sich über beide Schüsseln her.

Ein plötzliches Schnauben ließ ihn jedoch bereits nach dem dritten Happen innehalten. Irritiert sah er sich nach dem Störenfried um und entdeckte Picassos Kopf über der Trennwand. Er lief daraufhin schwanzwedelnd zu dieser Stelle, stellte sich erneut auf die Hinterpfoten und leckte dem Pferd einmal übers Maul. Der junge Wallach schnaubte daraufhin erneut und stupste den Hund leicht an.
 

„Die zwei verstehen sich ja prima.“, staunte der Mann neben mir.
 

„Zum Glück. Sonst wäre der Rückweg echt bescheiden geworden. Dann hätte ich nämlich laufen müssen.“, lachte ich.
 

„Was ist denn jetzt eigentlich genau passiert?“
 

Ich erzählte kurz das, was ich wusste, während wir uns aus der Box zurückzogen. Als Parker das mitbekam, lief er winselnd auf die Tür zu und sprang daran hoch. Wir sahen uns zweifelnd an und dachten gerade, wohl scheinbar dasselbe, als ein erneutes Schnauben den Hund innehalten und zurücklaufen ließ. Das war der Moment, in dem wir leise komplett aus dem Stall gingen und vor dem geschlossenen Tor stehen blieben, um zu lauschen, was nun passierte. Doch außer einem erneuten bellen, einem kurzen, kaum hörbaren kratzen und einem weiteren Schnauben, hörten wir nichts, da es nach zwei Minuten wieder ruhig war. Wir warteten noch weitere fünf Minuten und dann machte ich mich endlich auf den Weg zum Krankenhaus.
 

Dort angekommen, brauchte ich nicht nach dem Zimmer zu fragen, da mich kurz vor der Tür eine Nachricht von Marcus erreicht hatte.

Er war schon auf dem Zimmer, blinzelte mir jedoch mit müden Augen entgegen, als ich nach kurzem Klopfen die Tür öffnete. Ein geschientes Bein lag auf der Bettdecke und an seinem Arm hing ein Tropf. Zusätzlich war er in eine zweite Decke eingewickelt.
 

„Hey, wie geht’s dir?“, fragte ich leise, während ich auf sein Bett zuging.
 

„Mir wird schon wärmer, das Bein musste zum Glück nicht operiert werden und ich bin müde. Aber sonst geht’s mir gut. Was macht Parker? War er lieb?“
 

„Das hört sich doch positiv an! Dein Hund ist brav, keine Sorge. Du kannst also beruhigt schlafen.“, schmunzelte ich, während ich mir einen Stuhl ans Bett holte. „Muss eigentlich noch jemand informiert werden, dass du hier liegst?“
 

„Hm? Ja... Nein... also... ich... Nein, schon okay.“, antwortete er unschlüssig und immer leiser werdend, während er seine Hände im Schoß knetete und diesen intensiv dabei zusah.
 

„Marcus, ist alles in Ordnung?“, sah ich ihn besorgt an. Irgendwas stimmte da doch nicht...
 

„Schon okay. Ich... Ich hab schon geschrieben.“, antwortete er nach einigen Minuten, in denen wir beide geschwiegen hatten.
 

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und ein junger Arzt stolperte regelrecht herein. Als er mich sah, verlangsamte er seinen Schritt und räusperte sich kurz.

„Wie ich sehe, haben Sie bereits Besuch bekommen, Herr Santino. Ich störe Sie auch nicht lange, ich wollte nur noch einmal die Temperatur messen.“, haspelte er.
 

Keine zwei Minuten später war er mit den Worten „Die Temperatur ist fast wieder normal.“ auch schon wieder verschwunden.
 

„Komischer Typ.“, zog ich eine Augenbraue hoch, während ich der Zimmertür beim Zufallen zusah. Marcus blieb jedoch stumm. Er hatte auch keinen von uns beiden angesehen. Da er auch jetzt keine Anstalten machte, mich anzusehen oder mit mir reden zu wollen, wurde mir das Anschweigen nach einer gefühlten halben Stunde zu doof.
 

„Okay Marcus, da du müde zu sein scheinst, werde ich jetzt wieder gehen. Brauchst du noch irgendwas?“
 

„Nein, ich brauche nichts. Danke.“
 

„Sonst meld dich einfach bei mir. Soll ich dich morgen wieder besuchen kommen?“
 

„Das ist nett gemeint, aber du solltest nicht deine ganze Zeit für mich opfern. Ich bin schon froh, dass du dich um Parker kümmern kannst.“
 

„Marcus, es reicht! Was zur Hölle ist los mit dir? Du warst doch heute Morgen nicht so. Was ist passiert, dass du jetzt so abweisend bist? Hab ich etwas falsch gemacht?“
 

„Was... was meinst du?“
 

„Ach komm... Echt jetzt?“
 

„Ich... Nein, du... du hast nichts falsch gemacht. Ich... bin einfach nur müde. Entschuldige.“
 

„Okay... scheinbar muss ich diese Antwort so hinnehmen... Wir sehen uns morgen.“
 

„...“ Marcus drehte sich, so gut er konnte, auf die Seite und wand mir so den Rücken zu. Das war für mich das Zeichen jetzt tatsächlich zu gehen. Scheinbar wollte er über das, was ihn so offensichtlich bedrückte, nicht reden. In der offenen Tür stehend, sah ich ihn noch einmal an, bevor ich mich auf den Rückweg zum Hof machte.
 

„Aaron!“, rief mir Sascha schon von weitem entgegen, kaum dass ich aus dem Auto gestiegen war.
 

„Was ist denn?“, fragte ich alarmiert. Während ich auf ihn zulief, fragte ich mich, ob Parker etwas angestellt hatte.
 

„Komm mal rüber in den Stall. Das MUSST du dir anschauen!“, antwortete er ernst.
 

Wir gingen zusammen auf das große Gebäude zu und Sascha öffnete vorsichtig das Tor, um langsam und leise hineinzugehen. Ich hatte bereits das schlimmste vor Augen, während wir stumm nebeneinander her gelaufen waren und wunderte mich bereits, dass weder die Stallgasse verwüstet, noch der Tierarzt vor Ort war, als ich schallend anfing zu lachen. Sascha hatte mich zu Picassos Box geführt und das Bild, das sich mir bot war einfach zu herrlich. Mein Pferd lag gemütlich in den Spänen, Boston und Parker an seine Seite gekuschelt und die beiden Hunde hatten sich so voreinander gelegt, dass ihr Kopf auf der Schulter des jeweils anderen Hundes lag. Ich musste sofort ein Foto davon an Marcus schicken.
 

„Wie kommt Boston denn hier her?“, wollte ich dann aber doch wissen.
 

„Na ja, scheinbar hab ich die Tür nicht richtig zugemacht und da muss sie sich raus geschlichen haben...“, kratzte sich mein Gegenüber verlegen am Kopf. „Kaum war ich in der Sattelkammer, hörte ich es kratzen und sah gerade noch, wie sie über die Boxentür zu Parker rein sprang. Ich bin natürlich sofort hin, um das schlimmste verhindern zu können, aber die beiden beschnüffelten sich nur und Parker legte sich kurz darauf auf den Rücken. Also war für mich alles klar. Ich machte die Arbeit weiter, sah zwischendurch immer mal wieder nach den beiden und irgendwann war die Box leer. Da ich wusste, dass das Stalltor geschlossen ist, hab ich mich hier in allen Ecken umgesehen und war schon kurz vorm verzweifeln, als dein Pferd plötzlich wieherte. Also bin ich hin und siehe da, die drei schmusen wie ein kleines Mädchen mit ihren Kuscheltieren.“
 

„Du und deine Metaphern.“, lachte ich. „Aber schön, dass die drei sich so gut verstehen. Dann bleibt nur die Frage, was wir heute Nacht mit ihnen machen.“
 

„Na ja, ich denke, wir sollten die drei in Ruhe lassen. Boston schläft ja eh nachts im Stall und Parker scheint auch nichts dagegen zu haben. Wie sieht es eigentlich bei seinem Herrchen aus?“
 

„Scheinbar geht es ihm soweit gut. Seine Körpertemperatur war schon fast wieder normal und das Bein wurde nur geschient. Er sollte in ein paar Wochen wieder auf dem Damm sein. Aber sein Verhalten war komisch. Ich hab ihn gefragt, ob jemand informiert werden muss und seitdem war er völlig in sich gekehrt, hat keinen mehr angeschaut und einen ganzen Satz hat er auch nicht mehr raus gebracht. Er war wie ausgewechselt, im Gegensatz zu heute Morgen.“, erzählte ich resignierend. Ich konnte mir einfach nicht erklären, woher dieser Wandel plötzlich gekommen war.
 

„Das wird schon werden. Er muss sich wahrscheinlich erst einmal damit abfinden, dass er Weihnachten nicht Zuhause verbringen wird.“, versuchte Sascha mich aufzumuntern. „Na komm, lass uns noch einen Kaffee trinken und dann müssen die Pferde und die beiden Hund auch langsam ihr Abendessen bekommen.“
 

„Okay. Bist du mit Misten schon durch? Sonst mache ich gleich den Rest.“
 

„Drei Boxen noch. Dein Picasso, Safir und Pharao.“
 

„Na dann los...“
 


 

Am nächsten Tag machte ich mich gegen Mittag auf den Weg zum Krankenhaus.

Ich klopfte leise an die Tür, um Marcus nicht zu wecken, falls er schlafen sollte, und trat dann ein. Der Arzt von gestern war gerade da und saß auf einem Stuhl neben dem Bett. Als er hörte, dass jemand das Zimmer betrat, verabschiedete er sich jedoch schnell.
 

Der Patient lag mit dem Rücken zur Tür, sodass er mich nicht sehen konnte, also machte ich mich bemerkbar: „Hey Marcus, wie geht’s dir?“
 

„Geht schon. Ich bekomme ja genug Schmerzmittel und meine Temperatur hat sich wieder normalisiert.“ Er drehte sich, während er antwortete um, damit wir uns besser unterhalten konnten. „Oh, wer ist das denn?“
 

„Ich habe Sascha mitgebracht - den Besitzer vom Stall. Parker hat heute Nacht in einer seiner Boxen übernachtet. Das Foto hatte ich dir ja geschickt. Er wollte Parkers Herrchen gerne kennenlernen. Ich hoffe, das ist okay.“, erklärte ich ihm.
 

„Hallo erstmal. Du hast echt einen lieben Vierbeiner an deiner Seite.“, gab Sascha dem verdutzten Marcus lächelnd die Hand.
 

Dieser schlug ein und erwiderte: „Hallo Sascha. Danke für das Kompliment und dass er bei dir übernachten durfte. Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass Parker bei Aaron übernachten würde. Ich hoffe, er hat nicht allzu viele Umstände gemacht?“
 

„Aber nein, gar nicht. Komischerweise ist er der erste Hund, den meine Boston neben sich auf dem Hof akzeptiert. Das war schon eine Erleichterung. Außerdem ist Parker so pflegeleicht, dass er fast nicht auffällt. Aber da erzähl ich dir wahrscheinlich nichts Neues, oder?“
 

Während die zwei sich unterhielten, setzte sich meine Begleitung auf den Stuhl, welcher vom Arzt dort stehen gelassen worden war, also holte ich mir den Anderen und setzte mich dazu.
 

„Sag mal, Marcus, was hat der Doc denn eben gesagt, dass er sich zu dir gesetzt hat? Ich hoffe, keine schlechten Nachrichten?“, fragte ich dann nach einer Weile.
 

Scheinbar hatte ich echt ein Händchen für Fettnäpfchen, bei meiner neuen Bekanntschaft, denn wieder sah man regelrecht in seinen Augen, wie er sich abschottete.
 

Auch Sascha schien das zu bemerken, denn er schaltete schneller als ich: „Schon okay, Marcus, du musst uns nichts sagen. Es ist deine Sache. Mein Schatz ist da manchmal etwas vorschnell. Aber sag uns bitte Bescheid, wenn wir Parker für eine längere Zeit nehmen sollen. Ich muss schließlich wissen, was ich auf den Einkaufszettel schreiben muss.“ Zum Ende hin, grinste und zwinkerte er den Anderen an und diesem schien ein Stein vom Herzen zu fallen.
 

Doch als er gerade zu einer Antwort ansetzen wollte, stockte er plötzlich, sah zwischen uns hin und her, grübelte und holte dann tief Luft, bevor er ein weiteres Mal zum sprechen ansetzte: „D... darf ich... also... ähm... darf ich euch mal etwas fragen?“
 

„Na klar, frag ruhig.“, aufmunternd sah ich ihn an.
 

„S... seid ihr... seid ihr zusammen?“ Nervös knibbelte Marcus bei dieser Frage an seiner Bettdecke und starrte dabei auf seine Finger, als gäbe es gerade nichts spannenderes auf dieser Welt.
 

Ich nahm Saschas Hand und lächelte meinen Partner an, doch bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte, wurde die Tür des Zimmers aufgerissen. Automatisch drehten sich drei Köpfe in Richtung der Lärmquelle und sahen dem Arzt entgegen.
 

„Marcus, lass uns bitte noch einmal reden. Bitte!“, erklang dessen Stimme mit einem verzweifelten Flehen. Uns hatte er scheinbar völlig ausgeblendet.
 

„Henning...“, kam es kaum hörbar vom angesprochenen zurück.
 

„Bitte!“, wiederholte der Arzt.
 

„Es geht nicht. Versteh das doch! Ich kann das einfach nicht... Ich würde alles verlieren... Es tut mir leid...“, schüttelte dieser den Kopf und schluckte hörbar. Scheinbar musste er mit den Tränen kämpfen, denn als ich ihn genauer ansah, schwammen seine Augen bereits im salzigen Nass.
 

Sascha reagierte mal wieder völlig unerwartet: „Ich weiß zwar nicht genau, was hier vorgeht, aber um dir deine Frage zu beantworten: Ja, Aaron und ich sind zusammen! Ich denke, wir werden uns jetzt verkrümeln und ihr beide redet noch einmal miteinander. Wenn ihr anschließend wen zum Reden braucht, hast du Aarons Nummer. Ruiniert euch nicht das Weihnachtsfest, nur weil ihr meint die Welt sei nur schwarz und weiß. Ich weiß wovon ich spreche, denn Aaron und ich mussten lange um- und füreinander kämpfen.“

Damit erhob er sich schwungvoll, sah beide nochmal an und wand sich zum gehen. Auch ich stand auf und folgte meinem Freund.
 

Erst, als wir am Auto angekommen waren, blieb Sascha stehen. Mit der flachen Hand schlug er mit voller Wucht dagegen. Er war frustriert, das sah ich sofort. Vorsichtig legte ich ihm eine Hand auf die Schulter, drehte ihn so zu mir herum und nahm ihn wortlos in die Arme. Zunächst war er noch starr wie ein Brett, doch es dauerte nur wenige Sekunden, bis er einmal tief durchatmete und sich dann gegen mich lehnte.
 

„Entschuldige... Mir kamen nur gerade wieder die Bilder von früher in den Kopf...“
 

„Schon gut. Ich weiß, was du meinst.“, antwortete ich ihm ruhig.
 

„Ich will doch nur, dass Andere nicht den gleichen Fehler machen, wie ich. Wärest du damals nicht so stur gewesen, wären wir heute nicht hier.“
 

„Stimmt, aber wenn ich etwas wirklich will, gehe ich zur Not auch mit dem Kopf durch die Wand.“
 

Wir blieben noch eine Weile so neben dem Auto stehen und hingen unseren Gedanken nach. Vor meinem inneren Auge spulten sich die Bilder von damals ab:
 

——
 

Sascha und ich hatten uns in der 8. Klasse kennengelernt, da er eine Ehrenrunde drehen musste. Anfangs haben wir sogar nebeneinander gesessen, waren nach der Schule noch in die Stadt gefahren oder hatten zusammen Hausaufgaben gemacht. Doch das änderte sich schlagartig, als durch einen blöden Zufall, in der 9. Klasse, zu Beginn der Herbstferien, herauskam, dass ich in einer Beziehung mit einem anderen Jungen war. Von da an behandelte er mich wie einen Aussätzigen. Doch nicht nur er, sondern auch der Rest meiner Klasse.

Prügeleien waren neuerdings an der Tagesordnung, genauso wie fehlende oder zerrissene Hefte und Mappen. Das Ganze zog sich fast drei Jahre und er war der Schlimmste.

Ich weiß bis heute nicht, warum, doch irgendetwas hielt mich davon ab, Sascha für einen schlechten Menschen zu halten.

Am Ende der 12. Klasse war auch meine Beziehung am Ende. Der Kerl hatte mich, wie sich herausstellte, bereits zwei Monate betrogen.

Am nächsten Tag war ich noch durch das Verhalten meines Ex-Freundes und die üblichen Pöbeleien auf dem Schulhof so auf 180 gewesen, dass ich mit Schwung die Klassentür aufriss und rief: „Passt auf eure Ärsche auf, die Schwuchtel ist wieder singel!“

Gut, war echt ein mieser Spruch, aber er schien irgendwie zu wirken, denn plötzlich wurden die Prügel weniger und meine Hefte und Mappen fand ich irgendwann heile im Gebäude wieder.

Und eines Tages, kurz vor unserem Abschluss, fiel es mir auf: Saschas Blick hatte sich geändert. Er war nicht mehr hasserfüllt und voller Abscheu. Etwas anderes wurde sichtbar, auch wenn ich es nicht deuten konnte. Doch es gab mir Sicherheit. Die Sicherheit, dass sich auch zwischen uns wieder etwas geändert hatte. Dass ich ihm trotz des vergangenen Jahres nicht gleichgültig war.

Ich merkte auch, dass er auch mir nicht egal war und so ging ich an, um seine Aufmerksamkeit zu kämpfen - mit Blicken, Gesten, teilweise mit ebenso ätzendem Verhalten ihm gegenüber.

Irgendwann hatte ich ihn dann mal alleine erwischt. Zum Glück ließ der Raum sich abschließen, denn sonst wäre er damals wohl geflüchtet, doch so musste er sich anhören, was ich ihm zu sagen hatte und sagte ich ihm auf den Kopf zu, dass ich sein Verhalten mir gegenüber scheiße fände. Ich fragte ich, warum er plötzlich so geworden war. Schließlich hatte ich ihn weder angefasst, noch ihm sonst irgendwas getan.
 

Seine einzige Antwort war: „Du bist doch nicht normal.“
 

„Was ist denn normal? Jemand der seine Freundinnen wechselt, wie andere ihre Unterwäsche? Tut mir leid, so bin ich nicht. Ich mag nicht auf Frauen stehen, aber dafür bedeuten mir Treue und Ehrlichkeit noch etwas. Ich habe lieber keinen Sex, als sieben One-Night-Stands in der Woche. Aber gegen Will sagst du nichts. Mit dem hängst du scheinbar gerne rum.“, schrie ich ihm aufgebracht entgegen.
 

„Will hat wenigstens so Sex, wie die Natur vorgesehen hat.“, konterte Sascha.
 

„Die Natur? Gott... Sascha... ehrlich jetzt? Die Natur hat den Menschen als Individuum geschaffen und für Nähe. Nicht nur körperliche, sondern auch seelische Nähe! Will verarscht die Menschen in seiner Umgebung doch nur. Selbst dich! Mach die Augen auf!“
 

„Und was hast du gemacht? Du hast mich doch auch belogen.“
 

„Nein, ich habe dich nicht belogen! Ich habe dir verschwiegen, dass ich schwul bin, ja, aber ich habe dich nie belogen. Wäre das Thema auf den Tisch gekommen, hätte ich es dir gesagt, aber ich fand es nicht wichtig, da ich nie davon ausgegangen wäre, dass es unsere Freundschaft so beeinflussen könnte.“, warf ich ihm wütend, wegen dieser Unterstellung, entgegen.
 

„...“
 

„Sascha...“, setzte ich nun ruhiger an. „Du hast doch irgendwas. Ich sehe dir an, dass es dir nicht gut geht. Und deinem Verhalten nach, scheint es etwas mit mir zu tun zu haben. Also rede bitte mit mir.“
 

„Ach was weißt du schon. Du hast doch keine Ahnung.“, wehrte er ab.
 

„Es mag sein, dass ich keine Ahnung habe, aber du bist mir nicht egal und warst es nie. Ich sehe in deinen Augen, dass etwas ist. Deshalb bitte ich dich noch einmal: rede mit mir.“
 

„Lass mich doch einfach in Ruhe... Scheiße... Du bist doch schuld. Du bist schuld, dass es mir die letzten Jahre immer beschissener geht. Du bist schuld, dass diese komischen Gefühle immer wieder hochkommen, wenn ich in deiner Nähe bin und egal, was ich versucht habe, das abzustellen, es hat sich nichts geändert. Sie sind immer noch da und das macht mich bald wahnsinnig...“
 

Sascha raufte sich die Haare, wanderte nervös und aufgebracht von rechts nach links durch den Raum und warf mir immer wieder wütende Blicke zu. Ich hörte mir seine Anschuldigungen ruhig an, denn ich war froh, dass er endlich einmal aussprach, warum er die letzten zweieinhalb Jahre so zu mir war. Das wichtigste aber war, dass ich wahrscheinlich noch vor ihm selbst verstand, wovon er sprach. Ich setzte alles auf eine Karte, ging auf ihn zu und drückte ihn gegen die Wand.
 

„Aaron lass los. Was soll die Scheiße?“
 

„Halt die Klappe!“, antwortete ich ihm nur, bevor ich meine Lippen auf seine legte. Sascha erstarrte für einige Sekunden förmlich zur Eissäule, bevor er anfing, sich zu wehren, doch ich wollte nicht aufgeben. Ich wollte, dass auch er verstand, wovon er gerade noch gesprochen hatte. Also drückte ich ihn und seine Arme weiter gegen die Wand und verschloss seinen Mund noch immer mit meinem. Nach einigen Minuten, in denen seine Gegenwehr immer schwächer geworden war, ergab er sich völlig. Das war der Moment, in dem ich seine Tränen bemerkte. Ich löste meinen Kuss und sah ihn an. Vorsichtig legte ich die Hände um sein Gesicht und wischte mit den Daumen über die nassen Spuren auf seinen Wangen, während er versuchte, meinem Blick auszuweichen.
 

„Sieh mich an, Sascha. Bitte.“
 

„...“
 

Sachte hob ich sein Kinn an, lies es aber gleich wieder los.
 

„War es das, was dir Angst gemacht hat? Das, was du jetzt gerade fühlst?“
 

Ein stummes Nicken folgte.
 

„Sind die Gefühle denn so schlecht? Tun sie dir weh? Tun sie anderen weh?“
 

Ein Kopfschütteln.
 

„Sind es gute Gefühle? Warm, beschützend, zärtlich?“
 

Ein stockendes Nicken.
 

Ich lächelte ihn daraufhin an: „Aber das ist doch gut. Warum weinst du dann?“
 

„Das darf einfach nicht sein. Das ist unnatürlich.“, erwiderte er leise schluchzend.
 

„Was darf nicht sein? Dass du glücklich bist? Dass du dich gut fühlst? Dass du dich an jemand anderen binden möchtest?“
 

„Nein! Es darf nicht sein, dass das zwischen zwei Männern passiert.“
 

„Hattest du diese Gefühle denn auch schon einmal einer Frau gegenüber?“
 

„Nein, ich hatte diese Gefühle noch nie bei jemandem...“
 

„Dann genieße sie doch einfach. Es ist nur wichtig, dass du glücklich bist. Alles andere ist egal. Und wenn du mit einem Mann glücklicher bist, als mit einer Frau, dann ist das eben so. Das ist heute kein Beinbruch mehr. Sei einfach du selbst, dann passiert vieles von alleine und für den Rest stehe ich hinter dir, wenn du mich lässt.“
 

Damit senkte ich meine Lippen erneut auf seine. Seine Gegenwehr hielt dieses Mal bei weitem nicht so lange, wie beim ersten Kuss und plötzlich überraschte er mich mit seiner Erwiderung. Vorsichtig bewegten sich seine Lippen nun gegen meine, auch der Rest seines Körpers lehnte sich mir entgegen. Seine Hände krallten sich in meinem Pullover fest und auch ich legte meine Arme nun ganz um ihn. Sanft stupste meine Zunge an seine Lippen, bevor ich ihre Konturen nachzeichnete und so um Einlass bat, welchen er mir sogar gewährte.

Nach einigen Minuten lösten wir uns, da uns die Luft ausging. Noch immer flossen Tränen. Doch jetzt lächelte er mich das erste Mal seit Ewigkeiten wieder an, auch wenn es noch etwas holprig war.
 

„Und du meinst, es ist richtig?“, fragte er dann flüsternd.
 

„Ja, solange es sich für dich richtig anfühlt. Schalte den Kopf aus und hör auf deine Gefühle. Dann weißt du, dass es richtig ist.“
 

Ich drückte Sascha an mich. So standen wir einige Minuten zusammen, ohne dass einer das Bedürfnis hatte zu sprechen. Hätte uns jemand so gesehen, hätten wir wohl ein komisches Bild abgegeben: der große Muskelberg der sich in die Arme des kleineren und schmächtigeren flüchtet. Doch uns sah niemand und selbst wenn, wäre es mir egal gewesen. Ich war einfach nur froh, dass ich Sascha wieder bei mir hatte. Denn auch ich musste mir eingestehen, dass ich mich, trotz der ganzen Schikanen der letzten Jahre, längst in ihn verliebt hatte.
 

Nach einiger Zeit lösten wir uns wieder voneinander, Sascha rieb sich mit dem Handballen über die Augen und ich sah den Mann vor mir einfach nur lächelnd an.
 

„Was ist?“, fragte dieser irritiert, als er meinen Blick bemerkte.
 

„Schon gut.“, wank ich jedoch ab.
 

„Aaron ich... ich weiß nicht, wie es weitergehen wird. Gib mir bitte Zeit. Das ist alles so neu und... ich weiß einfach nicht, ob ich das mit uns kann.“
 

„Ich weiß und es ist okay. Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Es wäre nur schön, wenn wir zumindest wieder Freunde werden würden. Ich will dich nicht noch einmal verlieren!“
 

„Ich denke, das kriegen wir hin. Danke, Aaron. Danke, dass du mich nicht aufgegeben hast!“ Erneut flossen Tränen, während er die Distanz zwischen uns überbrückte und mir einen scheuen Kuss auf die Lippen hauchte.
 

Sascha und ich haben seit dem Zeitpunkt immer öfter wieder geredet, etwas unternommen oder auch einfach mal nur bei mir Zuhause einen Film geschaut. Dabei ließ ich ihm den Raum und die Zeit, die er brauchte. Irgendwann lehnte er sich bei mir an, während wir auf meinem alten Kinderbett saßen und eine Actionkomödie sahen. Ich lächelte, sah jedoch weiterhin auf die Mattscheibe und blieb stumm, da ich ihn nicht verschrecken wollte. Nur meinen Arm bewegte ich und legte ihn ihm um die Schultern.

Seit dem Abend wurden auch seine körperlichen Annäherungen immer mehr und einige Tage vor dem Abschlussball, küsste er mich zum ersten Mal, seit unserer Aussprache. Ich freute mich und beschloss, dass es der beste Tag meines Lebens sei, als mein Gegenüber das ganze noch um einiges toppte: „Aaron, ich... ich weiß, dass ich nicht immer einfach bin... und ich weiß auch, dass ich dich sehr verletzt habe. Die körperlichen Verletzungen sind zwar nicht mehr da, aber ich schätze, dass seelisch noch einige Wunden tief und offen sind. Das werde ich auch nie wieder gutmachen können.“
 

„Ähm... Sascha...“
 

„Lass mich bitte ausreden. Bitte! Ich... ich will mich eigentlich nur noch einmal bei dir bedanken. Ohne deinen Sturkopf wäre ich wohl irgendwann durchgedreht. Na ja, ich... willst du... also... würdest du mit mir auf den Ball gehen?“, stotterte er gegen Ende nervös und wurde knallrot im Gesicht.
 

„Versteh mich bitte nicht falsch, mein Großer. Aber... bist du dir wirklich sicher, dass du das willst? Das ist eine offizielle Veranstaltung mit über tausend Leuten inklusive deiner Familie und sobald wir zusammen den Saal betreten, werden wir im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit stehen.“
 

„Darüber habe ich mir in den letzten Tagen auch schon immer wieder einen Kopf gemacht. Aber... ich will das, wenn du dabei bist. Und ich will noch viel mehr. Ich will mit dir zusammen sein, mit dir Händchen haltend durch die Stadt laufen, mit dir picknicken, mit dir zusammenziehen...“, sprudelte es nur so aus ihm heraus.
 

„Stopp, stopp, stopp! Sascha, hol Luft!“, lachte ich und nahm ihn in den Arm. Dann ging ich auf die Zehenspitzen und hauchte ein „Ja, ich will!“ gegen seine Lippen, bevor ich ihn in einen tiefen Kuss zog.
 

——
 

Der Tag war unser Start in eine gemeinsame Zukunft und inzwischen waren wir fast zehn Jahre zusammen.

Mein Partner hatte recht. Wäre ich ihm nicht dauernd hinterher gelaufen, obwohl er mich entweder komplett ignoriert hatte oder mich teilweise sogar körperlich angegangen war, wären wir heute nicht da, wo wir jetzt waren.
 

„Na komm, lass uns heim fahren. Die Tiere müssen versorgt werden.“ Ich strich ihm sanft über den Rücken, gab ihm noch einen Kuss und schob ihn sanft zum Auto. „Soll ich fahren?“
 

Ich erhielt daraufhin ein stummes Nicken, gefolgt vom gereichten Autoschlüssel, als Antwort.

Er hatte sich sein damaliges Verhalten mir gegenüber bis heute nicht verziehen, das wusste ich. Nur ging er inzwischen anders damit um. Meistens waren die Schuldgefühle tief vergraben, doch Momente, wie der zwischen Marcus und Henning brachten all das wieder an die Oberfläche. Es würde uns beide Kraft kosten, die Vergangenheit wieder zu begraben, auch das wusste ich. Doch auch dieses Mal würden wir das durchstehen.
 

Wir kümmerten uns schweigend um alle Arbeiten.
 

Abends bekam ich dann doch noch einen Anruf von Marcus. Stotternd gestand er, dass er und der Doc eigentlich seit einem Jahr zusammen wären, er aber Angst hätte. Er habe kaum Freunde, da er sich sehr schwer täte, jemanden anzusprechen, und seine Eltern seien sehr konservativ. Andererseits liebe er Henning. Marcus gestand auch, dass Henning ihm bisher in allen Situationen den Rücken gestärkt und ihn nie zu etwas gedrängt habe. Da seine Eltern jedoch ein Foto von einem befreundeten lesbischen Pärchen bei ihm gefunden und ihm deswegen die Hölle heiß gemacht hatten, wurde seine Angst zu groß. Deshalb, und um Henning zu schützen, habe er die Beziehung beendet. Nach der Ansage meines Freundes hatten die zwei sich noch lange unterhalten und einiges angesprochen. Doch sie waren sich noch nicht sicher, wie es weitergehen solle. Henning hatte jedoch durchgesetzt, dass er Marcus trotzdem besuchen kommen würde. Außerdem erklärte er auch, warum er Parker bei mir gelassen hatte, statt seine Eltern zu bitten: der Hund knurrte die beiden jedes Mal an und hatte schon einmal nach Marcus‘ Vater geschnappt. Daher beruhte die Abneigung scheinbar auf Gegenseitigkeit.
 

»Da hatte Sascha wohl den richtigen Riecher.«, grinste ich in mich hinein, nachdem ich aufgelegt hatte und kuschelte mich zu meinem Freund ins Bett.
 


 

Am nächsten Morgen kam mir, während ich die Karre mit dem letzten Mist belud, jedoch ein Gedanke, der uns allen etwas Aufmunterung verschaffen könnte.
 

„Schatz...“, rief ich Richtung Futterkammer. „Ich hab eine Idee und müsste gleich nochmal in die Stadt. Allerdings bräuchte ich deine Hilfe.“
 

„Was heckst du denn jetzt schon wieder aus?“, rief es von dort zurück.
 

„Komm erst mal her, dann erkläre ich es dir. So quer durch den Stall bin ich nachher heiser.“, bat ich, während ich vier Scheiben Heu und Stroh in der letzten Box verteilte, das Werkzeug beiseite und die Karre daneben stellte.
 

Kurz darauf stand er mit der Futterkarre neben mir und es wurde unruhig in den Boxen. Also schnappten wir uns zunächst beide einen Eimer und verteilten die aufgeweichten Brötchen auf alle Boxen.

Es kehrte wieder Ruhe ein und so erzählte ich ihm von meinem Plan. Skeptisch sah er mich an: „Bist du sicher, dass das klappt?“
 

Ich schüttelte den Kopf. Nein, sicher war ich mir nicht, aber einen Versuch war es wert.
 

Wir wuschen uns die Hände, riefen die Hunde, die im Stall herumtobten und gingen anschließend in die Küche um selbst zu frühstücken.
 

Während die beiden Vierbeiner in einträchtiger Harmonie schmatzend ihre Näpfe leerten, saßen wir zusammen und machten uns Gedanken zur Umsetzung meines Plans.
 

„Also so ein kleiner Minibaum muss schon sein. Und wir holen für jeden eine Kleinigkeit zum auspacken. Musik darf auch nicht fehlen. Haben wir nich irgendwo in der Halle die Soundbar liegen?“
 

„Ja, die müsste im Reiterstübchen sein. Ich schau gleich mal. Plätzchen und Lebkuchen müssen auch unbedingt mit.“
 

„Stimmt. Haben wir noch welche von den selbst gebackenen von deiner Mum? Oder hast du olle Naschkatze schon alles aufgefuttert?“, zwinkerte ich.
 

„Na hör mal, so verfressen bin ich nun auch wieder nicht!“, antwortete er schmollend und verschränkte die Arme. „Das waren 5 kg, falls ich dich daran erinnern darf. Da würden wir wohl im Januar noch was von haben, wenn wir nicht so viel an die Anderen verteilen würden.“
 

„Ist ja gut. War ja nicht so gemeint.“, beschwichtigte ich. „Was schenken wir den beiden eigentlich?“
 

„Gute Frage. Lass uns am Besten einfach mal durch die Geschäfte stöbern. Etwas Zeit haben wir ja. Wie bekommen wir Henning eigentlich zur richtigen Zeit in Marcus‘ Zimmer?“
 

„Wir ru... oh... stimmt, wir haben seine Nummer ja gar nicht...“ Jetzt war guter Rat teuer.
 

„Warte mal, ich glaub, ich hab da eine Idee. Gib mir mal Marcus‘ Nummer.“
 

Ich reichte ihm mein Handy und Sascha tippte ab. Dann wählte er und ich lauschte, gespannt was ihm eingefallen war.
 

„Marcus? Sascha hier... Nein, alles gut. Ich wollte nur fragen, ob Henning vielleicht Parker für zwei Stunden nehmen könnte... Hmhmm... Na ja, wir bekommen Besuch von meinen Eltern und die bringen ihre zwei Hunde mit. Boston versteht sich mit den beiden aber ich möchte es nicht darauf anlegen, dass es mit Parker anders laufen könnte... Okay, ich frag ihn. Kannst du mir seine Nummer schicken? ... Super, danke.“
 

Auf Parker als Ausrede wäre ich nicht gekommen. Dafür bekam er von mir ein ‚Daumen hoch’ gezeigt.
 

Kurz nachdem er aufgelegt hatte, piepte sein Handy und zeigte so den Eingang einer Nachricht an. Hennings Nummer.
 

„Weihen wir ihn in unseren Plan ein?“, sah ich meinen Freund zweifelnd an.
 

„Ich denke, das macht am meisten Sinn. So kann er sich noch Gedanken machen, was er Marcus sagen will.“
 

„Okay. Rufst du ihn an?“
 

Sascha nickte und wählte zeitgleich. Als der angerufene abhob, fasste mein Freund den Plan kurz zusammen, gab Gegenargumente zu scheinbaren Zweifeln des Anderen und konnte ihn letztendlich doch überzeugen.
 

Anschließend brachten wir die Hunde wieder in den Stall, machten uns auf den Weg in die Stadt, durchstöberten die Geschäfte, kauften ein kleines Plastikbäumchen mit Lichterkette und Schmuck und packten auch den Rest zusammen.

Als alles gepackt und im Auto verstaut war, fütterten wir noch einmal alle Vierbeiner und machten uns anschließend auf den Weg zum Krankenhaus. Fast pünktlich trafen wir ein und sahen Henning bereits an der Eingangstür warten.
 

„Hallo Henning. Ich hoffe du wartest noch nicht allzu lange?“, begrüßte ich ihn schwer bepackt.
 

„Hallo ihr zwei. Nein, ich bin auch gerade erst gekommen. Ich hoffe nur, das geht gut...“ Mit einem halben Lächeln nahm Henning mir einen Karton ab.
 

„Wird schon werden. Na kommt, lasst uns hoch gehen.“ Aufmunternd klopfte Sascha dem Arzt auf die Schulter.

An der Zimmertür wurde dann auch ich nervös und war mir plötzlich nicht mehr so sicher, ob mein Plan eine gute Idee gewesen war. Ich schluckte einmal kräftig, riss mich zusammen und drückte nach einem kurzen Klopfen die Klinke nach unten.

Auf in den Kampf.
 

„Fröhlich Weihnachten!“, rief ich Marcus schon beim Öffnen der Tür euphorisch entgegen und betrat das Zimmer.

Die beiden Anderen folgten, wobei der Doc sich im Hintergrund hielt.
 

„Was macht ihr denn hier? Ich dachte, deine Eltern sind zu Besuch, Sascha?“
 

„Na ja, das war eine kleine Notlüge um an seine Handynummer zu kommen, ohne dass du Verdacht schöpfst.“ Mit diesen Worten schob er Henning in Richtung des Patienten.
 

„Henning...“, hauchte dieser.
 

„Hallo Marcus...“
 

„Wir dachten uns, wir feiern zusammen. Weihnachten im Krankenhaus ist schon blöd genug, aber ohne Besuch ist es noch beschissener!“, versuchte ich die einsetzende Stille mit einer Erklärung zu umschiffen, während ich bereits dabei war, die kleine Plastiktanne aufzustellen.
 

„Ihr seid doch verrückt!“
 

„Nee, nicht WIR. War alles Aarons Plan. Wenn dann ist ER verrückt!“, korrigierte Sascha lachend, während er die Plätzchendose öffnete und auf den Nachttisch stellte.
 

Auch Henning machte sich nützlich und schuf durch ein- und ausschalten verschiedener Lampen eine halbwegs heimelige Atmosphäre. Zudem holte er noch einen dritten Stuhl ins Zimmer.

Als dann alles ausgepackt und aufgebaut war, setzten wir uns zunächst in Ruhe hin und betrachteten die Umgestaltung des Zimmers.
 

„Wow...“, flüsterte Marcus irgendwann ehrfürchtig. „Soviel Mühe hat sich noch nie jemand für mich gemacht.“ Plötzlich hörten wir ihn leise schluchzten.
 

„Marcus... Bitte wein doch nicht...“ Henning setzte sich auf die Bettkante und zog ihn in seine Arme. „Sch... Ist ja gut...“
 

Stumm saßen Sascha und ich daneben. Ich lehnte mich leicht gegen meinen Freund und er legte seine Arme, so gut es eben auf den Stühlen ging, um mich.
 

Plötzlich öffnete sich die Tür. Unsere Köpfe ruckten praktisch zeitgleich herum und blickten den beiden Personen entgegen, die das Zimmer betraten.
 

„Was ist denn hier los?“, polterte der Mann sofort los, als er uns vier sah.
 

Ich blickte mich zu Marcus um, da ich wissen wollte, ob er die beiden kannte. Diesem war alle Farbe aus dem Gesicht gewichen. Scheinbar kannte er sie also tatsächlich.
 

„Vater... Mutter...“, hauchte er erstickt und riss die Augen auf. Er sah aus wie ein verschrecktes Reh im Scheinwerferlicht eines Autos.
 

»Na das kann ja heiter werden...«, dachte ich noch, als der Mittsechziger auch schon weiter tobte.
 

„Raus hier, ihr Perversen! Ihr dreht meinen Sohn nicht um! Das ist ja widerlich! Verschwindet, bevor ich mich vergesse!“, brüllte er quer durch das Zimmer und eilte mit strammem Schritt auf das Bett seines Sohnes zu.
 

Plötzlich sprang Sascha auf und stellte sich ihm in den Weg. Irritiert von dieser scheinbar unerwarteten Barriere, blieb Herr Santino stehen, verschränkte, genau wie der Blonde, seine Arme vor der Brust und sah diesen abschätzig an.
 

„Was willst du, Schwuchtel? Du glaubst doch nicht im Ernst, dass du mir etwas entgegenzusetzen hast?“
 

„Zum Einen: Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich Ihnen erlaubt habe, mich zu duzen. Zum Anderen: Ich denke schon, dass Sie nicht einfach so an mir vorbei kommen würden. Aber dies ist ein Krankenhaus und daher werde ich mich sicherlich nicht mit Ihnen prügeln. Des Weiteren muss ich mich weder von Ihnen beleidigen lassen, noch haben Sie das Recht uns dieses Zimmers zu verweisen.“
 

Da sich währenddessen Frau Santino ebenfalls auf das Krankenbett zubewegte, stand auch ich auf und stellte mich nun zwischen sie und ihren Sohn. Henning hielt derweil Marcus weiterhin schützend im Arm.
 

„Marcus, jetzt sag doch auch mal was!“, keifte Frau Santino. „Du kannst dich doch nicht so anfassen lassen! Haben die drei dir gedroht oder dir etwas angetan? Marcus!“
 

Der angesprochene reagierte jedoch gar nicht. Start vor Schreck starrte er durch uns hindurch, auf einen imaginären Punkt, und nahm seine Umwelt gar nicht mehr wahr.
 

„Christel, ruf den Sicherheitsdienst. Die sollen diese drei Subjekte des Hauses verweisen! Soetwas hat hör nichts zu suchen!“, knurrte der Mann und seine Frau verließ eilig das Zimmer. „Und du, Mistgeburt, gehst mir jetzt aus dem Weg!“ Kaum hatte er den Satz beendet, schlug er mit der Faust zu. Sascha hatte keine Chance zu reagieren und ging wie ein nasser Sack zu Boden. Ich fühlte die Farbe aus meinem Gesicht weichen und sank neben meinem Freund auf die Knie. Vorsichtig hob ich seinen Kopf auf meinen Schoß, während Herr Santino einfach über ihn hinweg stieg und zum Bett ging. Dass er Henning grob an den Haaren von Marcus wegzog, zu Boden schubste und Marcus eine knallte, bekam ich gar nicht mehr mit. Auch dass genau in dem Moment der Sicherheitsdienst den Raum betrat, nahm ich nicht wahr. Meine Sinne und Gedanken waren gerade ausschließlich auf den bewusstlosen Mann fixiert.
 

Erst, als mich jemand an der Schulter berührte, fand ich in die Realität zurück.
 

Henning hielt mir ein Taschentuch entgegen: „Hier, das kannst du gebrauchen. Trockne dir mal dein Gesicht, putz die Nase und lass meine Kollegen mal zu Sascha.“

Sanft zog er mich zur Seite auf die nun dorthin verschobenen Stühle, sodass die beiden anwesenden Ärzte sich um meinen Freund kümmern und auf das leere Bett im Zimmer legen konnten.
 

Ich ließ mir von dem Anderen erzählen, was in der Zwischenzeit passiert war, doch brauchte ich eine Weile um es auch tatsächlich zu begreifen: „Als die Sicherheitskräfte den Schlag gesehen hatten, gingen sie sofort dazwischen, riefen die Polizei dazu und haben Marcus‘ Eltern Hausverbot erteilt. Das Problem ist nur, dass Marcus noch bei ihnen wohnt und gerade am verzweifeln ist. Er hatte die ganze Zeit recht. Durch mich hat er praktisch Alles verloren...“

Nun fing auch der junge Arzt an, bitterlich zu schluchzen.

Noch immer mit meinen Gefühlen und Gedanken um Sascha und das Geschehene beschäftigt, wusste ich darauf nichts zu erwidern.
 

Dann regte Sascha sich plötzlich mit einem Stöhnen, öffnete blinzelnd seine Augen und ich musste mich zusammenreißen, nicht direkt aufzuspringen und zu ihm zu laufen.

Einer der beiden Ärzte kam keine Minute später auch schon zu uns herüber und gab Entwarnung. Sascha könne ruhig wieder nach Hause, solle sich jedoch noch schonen, kein Auto fahren und in den nächsten 24 Stunden nicht alleine bleiben. Mir fiel in dem Moment gefühlt eine ganze Gebirgskette vom Herzen und ich umarmte Henning stürmisch. Dieser lächelte mich jedoch nur schief an.
 

„Hey... das mit Marcus bekommen wir schon hin. Erst mal muss er eh noch hier bleiben und danach findet sich der richtige Platz für ihn. Im Notfall kommt er halt erst einmal zu uns. Wir haben genug Platz. Und der Rest lässt sich auch irgendwie regeln.“, startete ich einen Aufmunterungsversuch.
 

Ein stummes, aber weiterhin bedrücktes Nicken war die Antwort.
 

Gerade als die Ärzte das Zimmer verließen, betrat ein weinender und an Krücken humpelnder Marcus, mit einem Coolpack für seine gerötete und geschwollene Wange in der Hand, das Zimmer - gefolgt von zwei uniformierten Beamten der hiesigen Polizei.

Erwartungsvoll sahen Henning und ich ihm entgegen. Was würde er tun? Was würde er sagen? Wie würde er auf jeden Einzelnen von uns reagieren?

Ich fürchtete fast, dass er uns aus dem Zimmer schmeißen und mit uns nichts mehr zu tun haben wollen würde. Aus Hennings Blick konnte ich dieselbe Sorge lesen.
 

Marcus‘ erster Blick ging zu Sascha, vergewisserte sich scheinbar, dass er okay war.

Dann glitt seine Aufmerksamkeit zu uns. Ausdruckslos sahen mich seine Augen an. Nichts in seinem Blick verriet seine Gedanken oder Gefühle.

Langsam humpelte er zu uns herüber, blieb direkt zwischen uns stehen, sah mich noch einmal kurz an, bevor er sich, ohne ein Wort, mit gesenktem Blick, dem Anderen zuwand.

Keiner sagte ein Wort. Es war so still, als hätte die Welt den Atem angehalten.

Als hätten sie sich abgesprochen, sah Marcus seinem Gegenüber in die Augen, während dieser im selben Moment die Arme ausbreitete. Keine Sekunde später sackte Marcus kraftlos in sich zusammen und Henning fing ihn auf, hielt ihn fest und trug ihn zum Bett.
 

Das Räuspern eines Polizisten machte uns darauf aufmerksam, dass die ganze Prozedur noch nicht vorüber war. Da Sascha gerade erst aufgewacht war und Henning sich um Marcus kümmerte, war ich der Nächste, der zum Verlauf befragt wurde. Ich versuchte bei meiner Aussage so sachlich wie möglich zu bleiben und teilte den beiden Polizisten das mit, was ich selbst mitbekommen hatte.

Nach einigen Rückfragen und meiner Unterschrift unter dem Schriftprotokoll, war ich dann entlassen und wurde zurück ins Krankenzimmer begleitet, damit sie zunächst von Henning und anschließend auch von Sascha noch eine Aussage erhielten.

Erst danach kehrte wieder Ruhe ein. Keiner von uns wusste, welche die richtigen Worte waren, doch wollten wir Marcus momentan unter keinen Umständen alleine lassen und so saßen wir einfach stumm zusammen. Henning Saß bei Marcus auf der Bettkante und ich bei Sascha.
 

„Danke.“, kam es nach einer Weile leise und kraftlos von Marcus.
 

„Schon gut, Marcus. Mir tut es nur leid, dass deine Eltern so reagiert haben. Als du am Telefon davon gesprochen hattest, hatte ich es mir nicht so schlimm vorgestellt.“, gestand ich.
 

Erneut entstand bedrücktes Schweigen. Irgendwann hielt Sascha es scheinbar nicht mehr aus: „So, genug jetzt mit Trübsal blasen. Wir haben noch nichtmal die Geschenke ausgepackt. Das machen wir jetzt. Und dann werden Kekse gegessen. Die sind schließlich mit Schokolade und Schokolade macht bekanntlich glücklich. Schatz, verteilst du die Päckchen?“
 

Ich nickte und lächelte ihn dankbar an.

Dann machte ich mich daran, die Päcken zu verteilen, wobei mir auffiel, dass einige dabei lagen, die ich nicht kannte. Da aber überall Namensschilder angebracht waren, war das kein Problem. Ich gab jedem seine Päckchen und dann fingen wir nacheinander an, sie zu öffnen. Als erstes war Marcus an der Reihe. Ihm hatten wir einen dicken Schal, passend zu seinen Handschuhen, besorgt. Außerdem war auch eine neue Leine für Parker und ein selbstgeschriebener Gutschein für Reitstunden dabei. Das dritte Päckchen kannte ich nicht. Es schien von Henning zu sein und ich war gespannt, was er ihm schenkte. Zum Vorschein kam ein Fotoalbum und als der Beschenkte es öffnete, befanden sich bereits ein paar Fotos von ihm und dem Arzt darin. Zwischen den letzten bestückten Seiten befand sich noch ein Brief, welchen er stumm las. Nach den ersten Zeilen liefen bei ihm bereits die Tränen.

Später erzählte Marcus mir, dass Henning all seine Gefühle für ihn in diesem Brief niedergeschrieben hatte und ihn um eine weitere Chance gebeten hatte, da er ihre Beziehung nicht aufgeben wolle.
 

„Marcus, du musst mir jetzt keine Antwort darauf geben. Die Situation hat sich für dich inzwischen komplett geändert. Ich bin nicht böse drum, wenn du erst mal Zeit brauchst.“, versuchte Henning einzulenken, doch Marcus schüttelte, noch immer weinend, den Kopf. Dann robbte er zu Henning und ließ sich in den Arm nehmen, bevor er entgegnete: „Das Geschenk ist wunderschön, vielen Dank. Es ist lieb gemeint, dass du mir Zeit geben möchtest, aber völlig unnötig. Das Verhalten meiner Eltern hat mir klar gemacht, was wichtig in meinem Leben ist und das seid ihr und Parker. Wenn du mich also immer noch willst, würde ich mein blödes Trennungsgequatsche gerne vergessen.“
 

Henning drückte den Kleineren noch einen deut fester an sich: „Ich liebe dich und wir schaffen das. Zusammen schaffen wir alles!“
 

Scheinbar war mein Plan für den heutigen Abend doch aufgegangen, auch wenn der unschöne Zwischenfall nicht hätte sein brauchen.
 

Dann war Henning an der Reihe. Da wir ihn bisher immer nur kurz und im Arztkittel gesehen hatten, war es uns echt schwer gefallen, etwas zu finden und hatten uns letztendlich für zwei Kinogutscheine entschieden.
 

Beiden bedankten sich herzlich bei uns: „Jungs, danke! Aber das hätte doch nicht sein müssen.“
 

„Solange sie euch gefallen, war es das wert.“, grinste ich.
 

Dann packte Sascha seine Geschenke aus. Auch hier war eins dabei, das ich nicht kannte. Von mir bekam er, wie jedes Jahr, sein Lieblingsparfum und das neue Album seiner Lieblingsband. Dann war das mir unbekannte Päckchen dran. Als er es auspackte, erschien eine neue, dunkelblaue Reithose unter dem Papier.
 

„Henning, woher wusstest du... Du bist doch verrückt!“
 

„Ich wusste es nicht, aber ich hab mich beraten lassen.“, kratzte er sich verlegen am Kopf. „Sollte sie nicht passen, kannst du sie aber noch umtauschen.“
 

„Die ist klasse, aber das war doch viel zu teuer.“
 

„Ach, so teuer war sie jetzt auch nicht. Das geht schon in Ordnung.“
 

„Danke!“
 

Der blonde war überwältigt. Henning hatte wirklich den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich wusste, dass mein Freund schon öfter eine neue Reithose kaufen wollte, da an seine alten langsam die Nähte am Lederbesatz aufgingen oder der Stoff einfach durchgescheuert war. Bisher hatte er es jedoch immer wieder verschoben, weil wir einfach über jeden Euro gründlich nachdenken mussten, bevor wir ihn ausgaben.
 

Zum Schluss blieben noch meine Geschenke. Zunächst packte ich die Geschenke von Sascha aus: ein neues Buch und eine Tasse mit meiner Lieblingsschokolade innen und mit einem Foto von Picasso auf der Oberfläche abgedruckt.
 

„Danke Schatz.“, gab ich ihm einen Kuss.
 

„Na ja, da ich deine alte Tasse zerdeppert habe, dachte ich mir, dass du dich bestimmt über eine neue freuen würdest.“, lächelte er.
 

Ich nickte begeistert und machte mich dann an Hennings Päckchen. Es war schwerer als die anderen beiden und irgendwie unförmig. Als ich es öffnete sah ich erstmal nur blau. Verwundert öffnete ich auch die letzten Klebestreifen und dann erkannte ich es: es war ein Halfter inklusive gleichfarbigem Führstrick.
 

„Henning, was...“
 

„Marcus hatte mir Picasso beschrieben, als wir uns am Tag seiner Einlieferung unterhalten hatten. Da ich euch noch nicht so gut kenne, war das erste, das mir eingefallen war, etwas für dein Pferd.“
 

„Das ist... Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“
 

„Gefällt es dir?“
 

„Ja! Die Farbe passt super zu ihm und du hast sogar die richtige Größe ausgesucht.“
 

„Das freut mich.“, lächelte der Doc mir entgegen, bevor er sich zu Marcus drehte. „Marcus, ich hab da noch etwas, das ich dir geben möchte.“
 

Verwundert sah dieser seinen Freund an, der bereits in seiner Hosentasche kramte.
 

„Mach die Augen zu und streck deine Hand aus.“, forderte der Doc den Anderen auf. Dieser reagierte wie gewünscht und bekam einen kleinen Gegenstand in die Hand gelegt.
 

„Was ist das?“
 

„Mach die Augen auf.“
 

„Ein Schlüssel?“
 

„Ja, mein Wohnungsschlüssel. Da ich aber nicht wusste, wie du auf meinen Brief reagieren würdest, habe ich ihn nicht dazu gelegt. Eigentlich war er dafür gedacht, dass du dich immer bei mir zurückziehen kannst, wenn es bei deinen Eltern unerträglich wird. Die Situation ist jetzt aber anders, daher würde ich mich freuen... na ja... wenn... wenn du und Parker bei mir einziehen würdet...“
 

„Henning... ich... meinst du das ernst?“
 

Dieser nickte, traute sich jedoch nicht, den Anderen anzusehen. Marcus sah ungläubig zwischen dem Schlüssel und seinem Freund hin und her, während er immer wieder ansetzte, etwas zu sagen, scheinbar aber keine Worte fand. Als er auch ein viertes Mal den Mund wieder schloss, ohne einen Ton hervorgebracht zu haben, warf er seine Arme einfach um Hennings Hals und drückte sich fest an ihn. Nach einigen Schrecksekunden lächelte dieser und vergrub seine Nase am Hals seines Freundes.
 

„Dürfen wir noch etwas hinzufügen?“, machte ich kurz darauf wieder auf uns aufmerksam. „Wenn ihr mal eine Auszeit braucht, vom Aufeinander hocken, dann kommt einfach vorbei. Ihr drei seid immer willkommen, auch gerne mal für ein paar Tage.“
 

„Da hat er recht und wenn mein Schatz ja sagt, wäre es mir eine Ehre, wenn ihr unsere Trauzeugen werden würdet.“
 

„Ja, mir a... Moment mal, Sascha, wenn sie WAS?“, schreckte ich auf, als ich realisierte, was er da gerade gesagt hatte.
 

„Schatz, ich weiß, es ist kein Candle-Light-Dinner mit roten Rosen und romantischer Musik, aber ich finde den Augenblick gerade dennoch perfekt.“ Sascha ruckte sich auf dem Bett zurecht, nahm meine Hand und sah mir in die Augen. „Wir kennen uns bereits dreizehn Jahre und sind schon fast zehn Jahre zusammen. Es waren nicht immer nur gute Zeiten, denn gerade am Anfang sind wir beide durch die Hölle gegangen. Leider oftmals wegen mir. Trotzdem hast du immer an uns geglaubt und nie aufgegeben. Wir haben alle Hochs und Tiefs bisher überstanden und werden es auch weiterhin. Daran glaube ich fest. Deshalb möchte ich dich fragen, ob du mein Mann werden willst?“
 

Ich schlug fassungs- und sprachlos die Hände vor dem Mund zusammen. Die Tränen konnte ich nicht mehr aufhalten.

Dann brachte ich ein Nicken zustande und Sascha steckte mir einen Ring aus Weißgold an den Finger, bevor ich ihn in einen innigen Kuss zog.
 

Das war wirklich das außergewöhnlichste und schönste Weihnachten meines Lebens.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Montespinneratz
2020-08-04T21:00:49+00:00 04.08.2020 23:00
Himmel ist die Geschichte süß^^ tut mir leid mehr fällt mir nicht ein^^ sie ist einfach süß.
Antwort von:  Jo88
05.08.2020 20:48
Danke dir 😊


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