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For the Snow will Surely Melt

Hatori x Tohru | Arisa x Saki
von

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Über Gefühle und Geständnisse.


 

9

Es war spät, aber die Rastlosigkeit wollte Hatori nicht zur Ruhe kommen lassen. Nur eine kleine Lampe brannte noch in seinen Räumlichkeiten, die nur wenig Licht spendete. Dieses und Hatoris Vertrautheit mit jedem Winkel des Sohma-Anwesens erlaubte es ihm, selbst bei dieser Dunkelheit noch problemlos den Tee aufzusetzen, bis er eine dampfende Tasse in der Hand hielt.

Aber auch diese konnte seinen Gedanken keinen Einhalt gebieten. So viel war schiefgelaufen, eigentlich sogar alles. Wie hatte Hatori, der immerhin der Erwachsenere in der Situation gewesen war, es nur so weit kommen lassen? Er hatte falsch reagiert. Schon damals, als Yuki ihn um den Gefallen gebeten hatte, weiterhin ein Auge auf Tohru Honda zu haben und sicherzugehen, dass es ihr gut ging und sie glücklich war, hätte Hatori ablehnen sollen. Damals hatte er sich von seiner Schuld leiten lassen, aber über die Zeit hinweg war seine Schuld nur tiefer und schwerer geworden und Hatori gleichermaßen unvorsichtig.

Ein Klopfen durchbrach die eiserne Stille. Hatoris Blick wanderte zur Tür hinüber. Um diese späte Uhrzeit verlangte man nur nach ihm, wenn etwas mit Akito nicht stimmte. Vorsichtig stellte Hatori seine Tasse ab, bevor er zur Tür ging und diese aufschob, um sich mit einem breiten, furchtbar nervtötenden Grinsen konfrontiert zu sehen.

Hatori verdrehte die Augen. „Was willst du hier, Shigure?“

„Bittest du mich nicht mal herein, Haa-san?“, flötete dieser, ehe er sich auf seine merkwürdig elegante Art und Weise an Hatori durch den Türspalt drängte. „Du bist furchtbar unhöflich, mein Lieber.“

Hatori warf einen Blick in den dunklen Flur, doch keine Bediensteten und auch sonst niemand aus der Sohma-Familie schien in der Nähe zu sein. Wortlos schloss Hatori die Tür, bevor er zu seinem Tee zurückkehrte, ehe dieser kalt werden konnte.

„Du warst bei Akito“, erklärte Hatori seinen unerwarteten Aufenthalt im Haupthaus der Sohmas.

„Und du warst heute äußerst lange fort“, antwortete Shigure, als er sich zu Hatori umdrehte, nach dem er sich lange und interessiert in dem kleinen Sitzraum umgesehen hatte, den er nach all den Jahren bereits in und auswendig kennen musste.

Shigure suchte nach etwas, wurde Hatori bewusst. Vielleicht waren es auch seine äußerst merkwürdigen, verräterischen Worte, da Shigure zwar ein Meister der Manipulation sein konnte, aber trotzdem äußerst durchschaubar für ihn war.

Hatori sah zu der Stelle hinüber, in die Shigure als letztes geschielt hatte, und betrachtete das eingewickelte Buch, welches Hatori seit seiner Rückkehr zum Anwesen noch nicht geöffnet hatte. Es war fast ein Wunder, dass es bei den letzten Ereignissen weder in den Schnee noch in Tohru Hondas Badewanne gefallen war.

„Du hast dafür gesorgt, dass man mir von dem kleinen Buchladen erzählt“, mutmaßte Hatori und bereute es, dass es ihm so viel Zeit gekostet hatte, um Shigures Pläne zu erkennen und zu durchschauen. „Du wusstest also, dass Honda-san nun in der Bäckerei arbeitet“, schlussfolgerte Hatori weiter. „Wusstest du auch, dass sie mich aus Versehen dort gesehen hat oder hast du gehofft, dass sie mich sehen würde, wenn ich auf dem Weg zum Buchladen bin?“

Im Nachhinein erschien ihm das sogar logisch, denn schließlich war es auch Akane-san gewesen, die ihn während ihrer Erzählungen von der entdeckten Buchhandlung darauf aufmerksam gemacht hatte, dass der Laden am Abend weniger besucht wurde und Hatori genügend Ruhe hätte, um sich dort umzusehen. Wenn er sich direkt daran erinnerte, hatte sie sogar eine ungefähre Uhrzeit genannt, an die sich Hatori gehalten hatte.

Hatori hob die Hand vor die Augen, da er seine eigene Dummheit kaum glauben konnte. Er hätte gleich wissen sollen, dass da mehr dahintersteckte. „Wie hast du Akane-san dazu bekommen, dein albernes Spiel mitzuspielen?“ Erwartet hätte Hatori dies von der jungen Frau jedenfalls nicht. Sie war ihm stets wie eine ruhige, zurückhaltende und besonnene Dame vorgekommen, die ihren Arbeiten hier im Sohma-Anwesen mit Bedacht nachkam. „Hast du sie mit irgendetwas erpresst?“

Shigure stieß ein raues Lachen aus, das halb amüsiert und halb ertappt klang. „Du denkst wirklich immer nur das Schlechteste über mich. Womit sollte ich die arme, unschuldige Akane-chan bitte erpressen?“

Hatori ließ die Hand sinken. „Stimmt. Es wäre viel wahrscheinlicher, dass sie etwas gegen dich in der Hand hätte.“ Nicht, dass Akane je auf die Idee käme, dies gegen Shigure zu verwenden. Die meisten Bediensteten hier schwiegen viel eher, weil sie wussten, was ihnen blühte, wenn all die kleinen Geheimnisse der Sohmas das Tageslicht erblicken würden. Zudem hatte nicht jeder das Privileg im Inneren zu arbeiten, auch wenn Hatori selbst es nicht unbedingt für ein Privileg hielt.

„Und, wie ist es gelaufen?“, erkundigte sich Shigure, die Hände in den weiten Ärmel seines Gewands versteckt. Er nahm auf dem schmalen Sofa Platz, während Hatori an Ort und Stelle verweilte und ihn anschaute.

„Möchtest du Akito unbedingt so sehr verärgert?“, fragte Hatori, ehe er einen Schluck von dem Tee nahm, der eigentlich beruhigend auf ihn wirken sollte, doch bei dieser Gesellschaft unmöglich seine Wirkung zeigen konnte.

Shigure lächelte. „Ich möchte niemanden verärgern. Ganz sicher auch nicht Akito, aber ich gebe zu, dass es mir selbst jetzt schwerfällt, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind.“

„Und deswegen möchtest du Honda-san benutzen. Schon wieder“, fasste Hatori zusammen.

„Benutzen ist ein hässliches Wort, Haa-san“, meinte Shigure und lehnte sich nach hinten. „Aber findest du nicht auch, dass sie Anrecht auf ihre Erinnerungen hat? Auf die Wahrheit?“

Nun hob sich doch eine von Hatoris Augenbrauen. „Willst du noch immer so sehr den Fluch brechen, dass du es in Kauf nehmen würdest, Honda-sans Leben noch einmal so durcheinander zu bringen?“

Shigure zuckte achtlos mit den Schultern. „Ich sehe das viel eher so, dass unser aller Leben etwas besser und hoffnungsvoller gewesen wäre, wenn Tohru an ihm teilgenommen hat. Ich glaube sogar, dass das auch für dich gilt.“

Hatori brauchte ihn nicht anzusehen, um Shigures neugierigen Blick auf seiner Person zu spüren. Doch trotz seiner unnützen Witzeleien, seiner oftmals faulen Art und seiner ständigen Manipulationen fand man in Shigures Worten auch oft ein Körnchen Wahrheit. Zumindest tat man es, wenn man ihm genau zuhörte und sich selbst gut kannte, denn Shigure hatte nicht unrecht.

Er konnte problemlos an all die Begegnungen mit Tohru Honda zurückdenken. Sie war wie ein unerwarteter Sonnenstrahl durch ihren grauen Himmel gebrochen. Gerade Yuki und Kyo waren in ihrer Gesellschaft aufgeblüht und hatten zu sich selbst gefunden, während Momji durch ihren Einfluss erwachsener geworden war. Selbst nachdem Hatori ihre Erinnerungen gelöscht hatte, war ihr Einfluss ihnen erhalten geblieben. Tohru Honda hatte bereits ihre Welt verändert und das hatte Akito nicht mehr rückgängig machen können.

Zunächst war es als Bestrafung von Akito gedacht, die Kinder mit den Erinnerungen an etwas, an jemanden, den sie nicht haben konnten, leben zu lassen, aber es hatte sich in etwas anderes verwandelt. In etwas Positives, wofür Hatori auch heute noch dankbar war.

„Du hast dich in Tohru verguckt“, spöttelte Shigure, als Hatori den Fehler machte, zu lange zu schweigen und Shigure seinen Gedanken und irrsinnigen Ideen zu überlassen.

„Wenn du damit andeuten möchtest, dass ich Gefühle für Honda-san entwickelt habe, irrst du dich“, meinte Hatori, spürte jedoch ein unangenehmes Stechen im Brustkorb, welches seinen Worten Lügen schimpfte.

Abermals lachte Shigure kehlig auf. „Du kannst vielleicht dir selbst etwas vormachen, aber nicht mir. Dafür kenne ich dich ein paar Jahre zu lange.“ Er stand auf, die Hände weiterhin in den Ärmeln verborgen, während sein Gesicht etwas Ernstes annahm. „Zwar mag ich kein Experte in gesunden Beziehungen sein, doch ich kann dir versichern, dass Honda-san keine Herzen bricht.“

„Nur Flüche?“, erkundigte sich Hatori ironisch.

„Sag mir nicht, dass du nicht immer noch gelegentlich daran denkst, wie es wohl damals gelaufen wäre, hätte Tohru den Fluch gebrochen“, spöttelte Shigure, ehe er sich verabschiedete und verschwand.

Hatori hörte das Schließen der Tür, saß aber noch eine lange Zeit auf dem Sessel, den Tee so lange in der Hand haltend, dass er bereits kalt war, als er ihn abermals an die Lippen setzte.

Hatte Shigure recht und er hatte tatsächlich für Tohru Honda Gefühle entwickelt? Er, der so viele Jahre älter als sie war?

Wichtiger war jedoch die Frage, ob dies auch geschehen wäre, wenn sie nicht gestern Abend auf der Straße nach ihm gerufen hätte und er in ihrer Badewanne gelandet wäre.

Der Gedanke daran erfüllte Hatori mit Scham, aber trotzdem konnte Hatori das Kribbeln in seiner Brust nicht ignorieren. Tohru hatte – ein weiteres Mal – sein peinliches Geheimnis herausgefunden und es ein weiteres Mal akzeptiert. Ebenso wie Kana es damals akzeptiert hatte. Das Gefühl, welches er in Honda-sans Gegenwart bekam, fühlte sich ähnlich an wie die Liebe, die er einst für Kana empfunden hatte, aber auch von Grund auf anders. Honda-san rief tiefes Vertrauen in ihm hervor, Zuneigung und eine Leichtigkeit, die er so nicht kannte.

Doch änderte das alles irgendetwas daran, dass es egoistisch von ihm war, zuzulassen, dass sie abermals dazu benutzt werden sollte, den Fluch zu brechen. Honda-san hatte sich ein Leben fern von ihnen aufgebaut. Sie war glücklich – und Hatori konnte nicht zulassen, dass man ihr abermals ihr Glück unter der Nase wegschnappte.
 


 

10

Das Konzentrieren fiel Tohru an diesem Abend schwer. Immer wieder merkte sie, wie ihre Gedanken fort von den Karotten wanderten, die sie gerade in schmale Scheibchen schnitt, um sie garen zu können. Das andere Gemüse war bereits geschnitten und im Topf, doch auch dies hatte mehr Zeit als erwartet benötigt. Es waren die Geschehnisse der vorigen Tage, ganz besonders die gestrigen, die Tohru noch immer beschäftigten.

Hatori hatte gesagt, dass es ein Fluch sei, der dafür gesorgt hatte, dass er sich in das niedliche, kleine Seepferdchen verwandelte. Diese Verwandlung schien ihm unangenehm gewesen zu sein. Viel wichtiger war jedoch, dass Tohru noch immer nicht richtig verstand, was die Verwandlung ausgelöst hatte. War sie es gewesen? War es der Zusammenstoß gewesen? Die daraus entstandene Umarmung?

Allein bei der Erinnerung daran, wie sich Hatoris Körper per gegen ihren angefühlt hatte, schlich sich die Hitze erneut in Tohrus Wangen. Im selben Moment rutschte das Messer ab und verfehlte das letzte Stück der Karotte, um stattdessen ihren Finger zu erwischen.

Tohru zog scharf die Luft ein, als sie zusah, wie Blut aus dem schmalen Schnitt in ihrer Haut hervorwallte. Hastig zog Tohru die Hand fort vom Brett, damit ihr Blut nicht auf das Gemüse tropfte.

„Oh nein...“ Verwirrt stand Tohru für einen Moment in der kleinen Küche, ehe sie sich hastig in alle möglichen Richtungen drehte. Sie brauchte ein Pflaster. Oder sollte sie es zuerst unter Wasser halten? Sollte sie ihre Schürze nehmen? Würde sie das Blut wieder herausbekommen? Das Handtuch... Sie sollte das Handtuch benutzen!

Tohru griff nach dem Küchenhandtuch, welches sie erst vorhin dort platziert hatte, und presste es gegen die Schnittwunde in ihrem Finger, die bei der Berührung unangenehm stach und brannte.

Tränen formten sich gegen ihren Willen in ihren Augenwinkeln. Sie war fürchterlich unvorsichtig gewesen. Tohru presste die Augenlider aufeinander und wischte sich die Tränen an dem Ärmel ihrer Bluse ab, während sie noch immer das Handtuch gegen ihren Finger drückte.

Ein helles Läuten hallte so urplötzlich durch die Wohnung, dass Tohru zusammenzuckte und beinahe das Handtuch fallen ließ. Gedankenlos trugen Tohrus Füße sie bereits zur Eingangstür.

Erst als sie umständlich die Tür öffnete, fragte sie sich, wer es wohl sein konnte. Ein Blick auf die Wanduhr verriet, dass Arisa und Saki noch auf Arbeit waren. Außerdem hatten sie stets ihre Wohnungsschlüssel dabei und mussten nur selten klingeln, um hineingelassen zu werden. Vielleicht war es der Postbote, der eine spezielle Lieferung für sie hatte. Hatte Arisa sich nicht ein paar neue Stiefel bestellt, die sie mit dem roten Lack an den Roten Schmetterling erinnert hatten?

Blinzelnd starrte Tohru zu der Person hinauf, die vor ihrer Tür stand und bei der es sich nicht um den Postboten handelte.

„Hatori-san...?“, entwich es Tohru.

Hatori trug seinen üblichen, schwarzen Wintermantel mit dem grauen Schal, der seinen Hals warmhielt. Nur Hatoris Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Etwas Intensives hatte sich in seinen Blick geschlichen, als er ihr Gesicht nach etwas abzusuchen schien.

„Darf ich reinkommen, Honda-san?“

Tohru öffnete weiter die Tür. „Natürlich. Wie unhöflich von mir. Bitte, kommen Sie herein, Hatori-san.“

Hatori trat ein und schloss die Tür hinter sich, als er das Handtuch in Tohrus Händen bemerkte. „Hast du dir wehgetan?“

Seinem Blick folgend, trat Tohru sogleich wieder der Schweiß auf die Stirn. „E-Es ist nichts Schlimmes. Nur... nur ein kleiner Schnitt. Ich... Ich war gerade dabei nach einem Pflaster zu suchen.“

„Wo bewahrt ihr euren Verbandskasten auf?“, fragte Hatori.

„Im Badezimmer. Im Schrank unter dem Waschbecken“, entrann es Tohru, schüttelte im selben Moment jedoch den Kopf. „Ich werde mich darum kümmern, Hatori-san. Bitte machen Sie sich keine Sorgen.“

Doch bevor Tohru ihren Satz beendet hatte, schlüpfte Hatori-san bereits aus seinen Schuhen und durchquerte die Wohnung.

Tohru eilte ihm hinterher. „Hatori-san...“ Aber er kannte sich bereits gut genug aus, um das Badezimmer sofort zu finden und ihr Bauch kribbelte vor Aufregung, als sie daran dachte, dass er gestern erst in ihrer Badewanne gesessen hatte.

Arisa und Saki hatten sie gestern beim Abendessen, nachdem sie Hatori verabschiedet hatte, noch ausgefragt, um wen es sich bei ihm handelte, woher sie einander kannten und was Hatori solange zusammen mit ihr im Badezimmer gemacht hatte. Besonders Arisa war den Wuttränen nahgewesen und selbst Tohrus wiederholten, tränenverschmierten Entschuldigungen darüber, dass sie nicht alle Fragen beantworten konnte, blieben erfolglos.

Am Ende hatte Tohru die gesamte Nacht wachgelegen, weil sie die Schuldgefühle, irgendetwas vor ihren zwei besten Freundinnen verheimlichen zu müssen, fast zerrissen hätten. Gleichzeitig brachte sie es aber nicht über das Herz, Hatoris Geheimnis mit jemanden zu teilen, denn sie hatte nur aus Versehen davon erfahren und irgendetwas in ihr sagte ihr, dass es wichtig war und mehr dahintersteckte.

„Setz dich, Honda-san“, wies Hatori-san sie mit einer knappen Handbewegung zur Toilette hinüber.

Brav nahm Tohru auf dem geschlossenen Deckel Platz, während Hatori den kleinen, dunkelblauen Verbandskasten heraussuchte. Schweigend öffnete er ihn und suchte einige Dinge heraus, bevor er vor Tohru auf die Knie ging. Sanft nahm er ihre Hand in seine und löste das Handtuch, welches Tohru gedankenlos und voller Aufregung um ihren Finger gewickelt hatte. Für einen Moment hatte sie sogar den Schmerz vergessen und wurde nur an ihn erinnert, als Hatori den Stoff löste und Luft an den schmalen Schnitt drang.

„Es ist nicht sonderlich tief“, kommentierte Hatori. „Es hat schon zu bluten aufgehört. Gut, dass du das Handtuch auf die Wunde gepresst hast.“ Er riss das Papier des Desinfektionstuch auf, holte es heraus, ehe er sachte dem Schnitt entlang tupfte. Tohru zuckte bei dem Stechen zurück, doch Hatori hielt ihre Hand fest.

„D-Danke, Hatori-san“, murmelte Tohru und musterte sein blasses Gesicht, das immer furchtbar ernst und fast ein wenig traurig wirkte. Sie schätzte ihn in den Dreißigern, doch er besaß weder Grüppchen noch Lachfalten, was Tohru instinktiv traurig stimmte.

Als hätte er ihren musternden Blick gespürt, sah er zu ihr auf, als er das Tuch beiseitelegte. „Du solltest besser aufpassen.“

Tohru lächelte, als ihr Herz einen Takt schneller schlug und es in ihrem Bauch vor Aufregung kribbelte. Obwohl Hatori von draußen kam, waren seine Hände angenehm warm, als er das Pflaster auftrug.

„Es ist jetzt schon das zweite Mal, dass Sie mir helfen. Sie besitzen gutes Timing, Hatori-san. Bleiben Sie fürs Abendessen?“ Ihm Abendessen zu kochen war schließlich das Mindeste, was Tohru für ihn tun konnte, obgleich ihre Frage auch Egoismus in sich trug, für den sie sich wahrscheinlich schämen sollte. Sicherlich hatte Hatori wichtigere Dinge zu tun, als mit ihr, Arisa und Saki zu essen, trotzdem hatte Tohru diese Frage nicht zurückhalten können. Immerhin hatte sie bereits angenommen, dass sie Hatori nicht mehr so schnell wiedersehen würde, dass er sie vielleicht sogar meiden würde. Sie wusste schließlich nicht einmal seinen Nachnamen oder wo er wohnte. Umso mehr freute es Tohru, dass er vorbeigekommen ist.

„Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre“, erwiderte Hatori jedoch und brachte Tohru mit seiner Antwort abermals zum Zusammenzucken.

„Oh.“

„Eigentlich bin ich gekommen, weil ich mit dir sprechen wollte, Honda-san“, gestand er und ließ von ihrer Hand ab, stand jedoch nicht auf. Er sah auf und suchte ihren Blick. „Es geht um gestern. Um das, was geschehen ist.“

Hatori Augenbrauen zogen sich zusammen, als er über seine Wortwahl nachdachte. Offensichtlich fiel ihm diese Unterhaltung schwer und es tat Tohru weh, ihn so zu sehen und der Grund für seine Frustration zu sein.

„Dieser Fluch muss eine schwere Bürde für Sie sein, Hatori-san“, wisperte Tohru und presste die Hand mit dem verletzten Finger, der nun ein rosafarbenes Pflaster trug, gegen ihren Brustkorb. „Ich verspreche, dass ich niemanden von Ihrem Geheimnis erzähle, aber... aber ich bereue nicht, was passiert ist.“ Abermals traten ihre die Tränen in den Augenwinkeln, weil sie all das, was sie in diesem Moment fühlte, unmöglich in Worten ausdrücken konnte, die Hatori erreichen würden – und der Gedanke, dass Hatori nicht verstand, war unerträglich.

„Ich... ich habe das Gefühl, dass Sie nicht viele Menschen haben, denen Sie sich anvertrauen und... und ich weiß, dass es egoistisch ist, aber ich wünsche mir, dass ich vielleicht eine Person werden könnte, mit denen Sie reden können, Hatori-san.“

Eine Träne rollte über ihre Wange und Tohru presste ihre Hände gegen ihre Augen, um weitere davon abzuhalten. Woher der Schmerz kam, der sie von innen zu zerreißen schien, konnte sie an dieser Stelle nicht festlegen. Er war verbunden mit der Traurigkeit, die sie manchmal in den merkwürdigsten Momenten zu überrollen schien und aus den Untiefen ihrer Seele zu kommen schien. „Es tut mir leid, Hatori-san“, murmelte Tohru. „Es tut mir leid.“

Finger schlangen sich um Tohrus Gelenke und zogen ihre Hände von ihrem Gesicht. „Es braucht dir nicht leid tun, Honda-san“, entwich es Hatori genauso leise. „Mir tut es leid.“

Tohru öffnete verwirrt die Augen, doch Hatori hatte den Blick gesenkt, bis schwarze Haarsträhnen ihr die Sicht auf sein Gesicht nahmen.

„Hatori-san?“

„Du hast nichts falsch gemacht“, sprach Hatori weiter und seine Hände rutschten von ihren Handgelenken zu ihren Fingern hinunter, bis es ihr vorkam, als hielt an ihnen wie an einem Anker fest. „Du hast noch nie etwas falschgemacht, Honda-san. Und du verdienst etwas Besseres. Das Beste.“

Hatori wirkte so unnahbar, aber trotzdem war er zu solcher Nettigkeit fähig und war bereits für solche Aufopferung. Wärme erfüllte Tohru mit einem Mal und ihre Mundwinkel hoben sich ein Stückchen.

„Aber, Hatori-san…“, begann Tohru und drehte ihre Hände in seine, bis ihre Handflächen einander berührten, „Wenn ich das Beste verdiene, dann verdienen Sie das aber auch.“ Sie wusste nicht, was es war, aber genauso schnell wie ein Blitz in einen Baum einschlug, erfasste sie diese Idee, dieser Entschluss und ihr Wunsch schlüpfte ungefragt über Tohrus Lippen: „Und wenn es einen Weg gibt, Ihren Fluch zu brechen, dann möchte ich ihn finden.“

Ein merkwürdiges Geräusch entwich Hatori-sans Kehle, welches sich nach einem fast lauslosen Schluchzen anhörte. Er senkte den Kopf so weit, dass seine Stirn gegen Tohrus Knie lehnte, während seine Finger aus ihren schlüpften.

Vorsichtig streckte Tohru die Hand nach ihm aus und strich über das schwarze Haar, das sich fürchterlich weich anfühlte. Sie hoffte inständig, dass er verstand, dass er sich ihr anvertrauen und sich bei ihr fallenlassen konnte, weil es manchmal genau das war, was ein Mensch brauchte. Ihre Finger tauchten in das schwarze Haar, als sie ihn streichelte, während Hatori um seine Fassung rang.

„Ich kann dir nicht zurückgeben, was ich dir genommen habe“, murmelte Hatori irgendwann, hob jedoch nicht den Kopf und entzog sich auch nicht ihrer Berührung. „Aber ich kann dir auch nicht noch mehr nehmen. Ich möchte es nicht. Das ist auch egoistisch von mir.“

Tohru verstand nicht, wovon Hatori da sprach, wusste aber, dass es von Bedeutung war. Vorsichtig rutschte sie vom Toilettendeckel, bis sie neben Hatori-san auf dem Boden kniete.

Ihre Blicke suchten und fanden einander.

Tohru lächelte. „Ich bin froh, dass Sie auch etwas egoistisch sind.“

Hatori lehnte sich vor, bis sich seine Stirn sanft gegen ihre lehnte. Noch immer sah er sie an, während Tohrus Wangen sich hitzig anfühlten. Nach einigen Momenten drehte er den Kopf zur Seite und überbrückte auch den letzten Abstand, um seinen Mund tastend gegen ihren zu pressen. Tohru schmeckte Salz auf seinen Lippen und das Herz zog sich ihr in der Brust zusammen. Sie schlang die Arme um seinen Hals, um an ihm festzuhalten, doch da fielen seine Kleider bereits zu Boden und er wälzte sich als Seepferdchen aus seinem Hemd hervor.

Panisch schnappte Tohru nach Luft. „Es... Es tut mir so leid, Hatori-san!“ Sie hob ihn vorsichtig in ihre Arme und stolperte zur Badewanne hinüber, um Wasser einzulassen. „Es tut mir so, so leid, Hatori-san!“

Doch als sie Hatori in das Wasser setzte, meinte sie von den Zügen des Seepferdchens eher Resignation als Traurigkeit abzulesen. Tohru lehnte sich über den Rand der Badewanne und ließ ihre Hand in das Wasser eintauchen. „Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen, Hatori-san, aber ich finde Sie sehen wirklich schön in dieser Form aus.“ Obwohl Tohru sicher war, dass Seepferdchen nicht erröten konnten, meinte sie zu sehen, wie er sich etwas verfärbte und Tohru konnte das Lächeln nicht unterdrücken.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: Swanlady
2020-05-31T16:33:00+00:00 31.05.2020 18:33
… schon vorbei? :( Ich hätte die Geschichte noch ewig weiterlesen können. XD Da ich nicht weiß, was hier jetzt der Spoiler war, den ich noch nicht kenne und was deine künstlerische Freiheit, kann ich dazu nichts sagen, aber ich mochte den Abschluss sehr. :D Angefangen mit Shigure, den du so gut geschrieben hast, der Hatoris Gefühle im Handumdrehen durchschaut, bis hin zur unheimlich traurigen, aber auch hoffnungsvollen Szene zwischen Tohru und Hatori. ;o; Man hat richtig gemerkt, wie er mit sich selbst gekämpft hat und es war so unglaublich niedlich, wie Tohru sich unbedingt um ihn kümmern möchte. Hachja *-*
Es ist ein relativ offenes Ende und ich mag es, dass Tohru nicht auf magische Weise ihre Erinnerungen zurückbekommt – es ist perfekt so, weil es trotzdem eine Zukunftsperspektive für die beiden gibt. <3


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