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Im Himmel ist der Teufel los

Apokalypse Reloaded
von

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Was sich liebt, das hasst sich(?)

Das Meeting hatte Gabriel genauso genervt und gestresst wie den Rest seiner Kollegen. Um sich wenigstens ein bisschen nach dieser hitzigen Diskussion aufzumuntern, beschloss er kurzfristig, nach Shehaqim zu gehen und in Eden nach dem Rechten zu sehen. Also machte er sich ohne große Umwege direkt auf den Weg nach oben, nicht ahnend was zwischen Raphael und Uriel passieren würde. Während die meisten Engel in den vierten Himmel gingen, um dort etwas Spaß zu haben, wusste sich jemand wie Gabriel ganz anders zu amüsieren. Er hielt nicht viel davon, sich zu betrinken und Party zu machen als gäbe es keinen Morgen mehr. Stattdessen hatte er ganz andere Prioritäten. Er hatte sich seinen Beruf quasi zur Berufung gemacht und lebte voll und ganz für seine Schützlinge, die er selbst nach deren Ableben weiterhin besuchte.

Da Gabriel schon immer ein besonderes Feingefühl für Menschen hatte, war er mit dem Schutz von Kindern und Ungeborenen betraut worden. Er hatte Kinder schon immer geliebt und wann immer er Zeit fand, verbrachte er am liebsten Zeit mit ihnen. Ganz gleich ob es darum ging, Spiele mit ihnen zu spielen oder sie zu trösten, er war so oft für sie da wie es ihm möglich war und er hatte sich ihnen voll und ganz verschrieben. Da war es ihm völlig egal, wenn ihn Idioten wie Michael als „Kindermädchen“ bezeichneten und sich darüber lustig machten. Wenigstens zeigte er weitaus mehr Nächstenliebe als diese arroganten Arschlöcher. Außerdem war dieser Besuch auch eine perfekte Gelegenheit, um mal ein bisschen Frust bei seinen Untergebenen abzulassen. Da er nämlich nicht rund um die Uhr in Eden sein konnte und der Schutz sämtlicher Kinder auf der Welt für einen einzigen Engel nicht machbar war, hatte er dafür nämlich Untergebene. Unter seinem Kommando stand ein ganzes Heer von Schutzengeln, die zwar nicht gegen Michaels Kriegsengel ankamen, aber trotzdem sehr kompetent in ihrem Job waren. Sie waren loyal, hart arbeitend und einfühlsam und Gabriel konnte sich stets darauf verlassen, dass sie ihre Arbeit so erledigten wie er es haben wollte. Er selbst hatte über all die Jahrhunderte und Jahrtausende unzählige Reformen durchgeboxt und persönlich dafür Sorge getragen, dass die abberufenen Kinder nicht von irgendwelchen Todesengeln geholt wurden, die nicht das nötige Feingefühl für den Job besaßen. Er hatte es lieber, wenn er möglichst viel Kontrolle über all diese Entscheidungen hatte.

Er war äußerst leidenschaftlich wenn es um seine Berufung ging und hätte sich mit jedem angelegt, der es gewagt hätte, seinen Schützlingen etwas anzutun. Auf diese Tatsache war er besonders stolz und er konnte mit Fug und Recht behaupten, dass die Kinder ihn dafür liebten. Als er Shehaqim erreichte, hörte er bereits den Lärm im Hauptquartier der himmlischen Wache und fragte sich, warum diese Barbaren ständig ihre Kriegssimulationen neben dem Garten Eden durchführen mussten, wo die Menschen in Frieden die Ewigkeit verbrachten. Das war nicht nur Ruhestörung, sondern auch noch ziemlich geschmacklos. Aber von einer Bande rüpelhafter Kriegsengel, die viel Muskeln und wenig Hirn hatten, konnte man keine Rücksichtnahme erwarten. Am Tor grüßte er die beiden Cherubim, die für den Wachdienst eingeteilt worden waren und betrat das Paradies.

Obwohl der Garten Eden von außen relativ klein wirkte, war er in Wahrheit gewaltig und seine Grenzen zu erfassen war selbst für Engel nur schwer möglich. Dieses Paradies besaß die besondere Kraft, die Herzenswünsche seiner Bewohner zu erfüllen und damit alle irdischen Sorgen hinter sich zu lassen. Was früher mal lediglich ein riesiger Zoo war wo Gott seine Schöpfungen zur Belustigung eingepfercht hatte, war nun vergleichbar mit der Matrix. Nur halt mit dem Unterschied, dass es in diesem Fall keine Maschinen gab und die Menschen kein organischer Batterieersatz waren. Traurigerweise hatte der Himmel bis heute keine funktionierende Elektrizität und damit nicht einmal W-LAN. Zwar hatte es schon einige Anträge gegeben, aber die waren irgendwo im Bermuda-Dreieck der Himmelsbürokratie verschwunden und nie wieder zurückgekehrt.
 

Nachdem er eine Weile umhergestreift war und mit großer Zufriedenheit die glücklichen Gesichter seiner Schützlinge sah, kam ihm ein Schutzengel entgegen, der als einer der Oberaufseher innerhalb des Paradieses zuständig war. Zarastiel war von allen am längsten in Gabriels Diensten und beide verband schon ein freundschaftliches Verhältnis. Er hatte immer ein offenes Ohr für seinen Vorgesetzten, wenn dieser sich mal wieder über den Bürokratiewahnsinn oder das Verhalten seiner Kollegen auslassen wollte. „Hallo Gabriel, wie ist das Meeting gelaufen?“ erkundigte sich der Schutzengel und grüßte ihn mit einem fröhlichen Lächeln. „Gib es schon etwas Neues?“

„Kann man so sagen“, seufzte der zweite Erzengel und dachte mit eher gemischten Gefühlen daran zurück. „So wie es aussieht, wird das Fegefeuer wieder in Gang gebracht, sodass die unschuldigen Menschen doch noch in den Himmel kommen können. Malachiel soll sich darum kümmern und wie es aussieht, wird auch das Regelwerk an die Vorschriften aus dem Neuen Testament angepasst.“

„Das ist doch großartig“, rief der Schutzengel begeistert und klatschte aufgeregt in die Hände. In Momenten wie diesen beneidete Gabriel den unschuldigen und naiven Enthusiasmus seiner Untergebenen. Sie besaßen von Natur aus große Zuversicht und viel Optimismus, aber vor allem plagten sie sich nicht mit Sorgen herum. Sie waren einfach gestrickt, was es leichter machte, ihnen Anweisungen zu erteilen. Andererseits fühlte sich Gabriel in manchen Momenten relativ alleine mit all seinen Sorgen.

„Ja das schon, aber der ganze Ärger hätte von Anfang an nicht sein müssen, wenn die Verwaltung das Regelwerk mal hin und wieder geprüft hätte. Ganz zu schweigen davon, dass Michael es nicht mal hingekriegt hat, einfach mal vernünftig nachzudenken!“ wetterte Gabriel frustriert und stapfte mit dem Fuß auf den Boden. „Er hat überhaupt keine Vorstellung davon, wie viele Kinder jeden Tag weinend zu mir kommen und fragen, warum ihre Eltern in der Hölle sind, obwohl sie keine schlechten Menschen sind. Er interessiert sich doch nur für sich selbst und alles andere ist ihm völlig egal.“

Um ein wenig Dampf abzulassen, spazierte Gabriel ein wenig umher und Zarastiel folgte ihm. Er ließ seinen Blick über das Paradies schweifen und beobachtete die Menschen, die glücklich und zufrieden hier lebten. Manche von ihnen waren schon seit ewigen Zeiten hier während andere wiederum ihres Glücks irgendwann überdrüssig wurden und entschieden, noch mal wiedergeboren zu werden. Gabriel hatte hier schon so einiges erlebt, auch großen Kummer. Er hatte die weinenden Kinder gesehen, die ihre Familien vermissten und wussten, dass diese in die Hölle geschickt worden waren. So viel Schmerz hatte Michael mit seiner Leichtfertigkeit verursacht und er sah es nicht einmal. Er wollte es nicht einmal sehen und das war einfach unverzeihlich. „Jedes Mal, wenn ich seine Visage sehe, kommt mir direkt der Kotzreiz“, knurrte der himmlische Botschafter verbittert und knirschte dabei mit den Zähnen. „Hält sich hier für den Helden und hat dabei fast die nächste Apokalypse raufbeschworen.“

„Oh Mann, zwischen euch scheint es immer noch ziemlich zu knallen, was?“ meinte Zarastiel. „Ich dachte, ihr habt euch mal ziemlich gut verstanden und seid ziemlich dicke miteinander gewesen. Oder irre ich mich da?“

„Zeiten ändern sich, genauso wie der Charakter“, seufzte Gabriel. Es stimmte schon, dass er und Michael früher ein unzertrennliches Duo waren, weil ihre Dynamik so perfekt war. Er war immer derjenige, der die Feinde in Schach hielt und Rückendeckung gab, während Michael den entscheidenden Schlag ausführte. Das waren noch Zeiten gewesen, wo er über die kleinen Charakterschwächen seines Kollegen hinwegsehen konnte. Aber mit der Zeit war Michael immer arroganter geworden und hatte sich irgendwann nichts mehr sagen lassen. Stattdessen begann er jeden herumzukommandieren und war selbst absolut kritikunfähig und beratungsresistent. Mit der Zeit war es Gabriel immer schwerer gefallen, ihn in Schutz zu nehmen und er selbst begann sich zu fragen, warum immer Michael den ganzen Ruhm für sich beanspruchte. „Wie oft habe ich diesem Blödmann aus der Patsche geholfen und ihn vor dem sicheren Tod bewahrt und musste selbst dabei viel einstecken? Hat er es mir ein einziges Mal gedankt oder mir mal ein bisschen Wertschätzung entgegengebracht? Nein, er tut stattdessen so als wäre alles selbstverständlich weil das meine Aufgabe ist, ihm den Arsch zu retten!“

„Und warum lässt du ihn nicht einfach auflaufen?“ fragte Zarastiel spitzfündig. „Wenn du ihm jedes Mal zur Hilfe eilst, wenn er in der Klemme steckt, geht er doch davon aus, dass du das immer so machen wirst. Warum rettest du ihn überhaupt, wenn er es dir sowieso nicht dankt?“

„Würde ich ja selber gerne wissen“, rief Gabriel wütend und kickte einen herumliegenden Stein von sich. Es ärgerte ihn ja selbst, dass er anscheinend nicht in der Lage war, einfach mal konsequent zu sein und Michael seinem Schicksal zu überlassen. Dabei hatte es dieser Kerl doch mehr als verdient, dass er mal eine gehörige Breitseite bekam. Nein, stattdessen zofften sie sich beide immer wieder und es lief trotzdem jedes Mal darauf hinaus, dass er zur Stelle war, wenn Michael in Gefahr war. Er verstand selbst nicht, warum er sich so schwer damit tat. Vielleicht weil sein Pflichtbewusstsein stärker war als sein persönlicher Stolz. „Stell dir nur mal vor, der Kerl wäre endlich weg vom Fenster. Dann hätten wir einen wesentlich kompetenteren Verteidiger und wir hätten weitaus weniger auseinandergerissene Familien im Paradies. Ganz zu schweigen davon, dass ich wenigstens sein dämliches Grinsen nicht mehr sehen muss…“

Hieraufhin blieb Zarastiel stehen und schaute seinen Vorgesetzten etwas skeptisch an. „Also das ist vielleicht doch etwas harsch, oder? Klar sind Beziehungskrisen unschön, aber gleich an so etwas zu denken, ist doch etwas morbide.“
 

Nun blieb auch Gabriel abrupt stehen und brauchte einen Moment um diese Worte zu verarbeiten. So ganz konnte er es auch nicht glauben und dachte zuerst, sich bloß verhört zu haben. Vielleicht hatte sich Zarastiel auch nur unglücklich ausgedrückt oder versucht, einen kleinen Scherz zu machen. Dennoch hatte es ihn tief erschüttert und zudem noch ziemlich verstört. „Wie bitte was?“ fragte er, nachdem er sich halbwegs vom ersten Schock erholt hatte. Nun war auch sein Untergebener etwas verwirrt und meinte „Na ihr beide seid doch in einer Beziehung, oder etwa nicht?“

Nun entgleisten dem Erzengel endgültig die Gesichtszüge und er starrte den irritierten Schutzengel fassungslos an. „Wie um alles in der Welt kommst du darauf?!“ platzte es aus ihm heraus. Etwas unsicher zuckte Zarastiel mit den Schultern und antwortete „Naja, diese ewige Streiterei zwischen euch sieht halt aus, als hättet ihr sexuelle Spannungen und so. Außerdem jammerst du doch die ganze Zeit herum, dass er dich kaum beachtet und nie zu schätzen weiß, was du für ihn tust. Das klang für uns halt danach, als hättet ihr was am Laufen.“

„Was meinst du mit uns?“ fragte Gabriel nach, fürchtete sich aber jetzt schon vor der Antwort. „Wer denkt sonst noch, dass wir irgendwas am Laufen haben? Und wieso glaubst du allen Ernstes, ich würde etwas mit jemandem anfangen wollen, der mich ständig dermaßen zur Weißglut treibt?“

„Naja…“ murmelte Zarastiel etwas unsicher und verschränkte die Arme, wobei er ein wenig nervös zur Seite schaute. „Ehrlich gesagt kenne ich keinen Engel, der nicht denkt, dass ihr zwei ein Paar seid. Manche haben sogar Wetten am Laufen ob eure ständigen Streitereien bloße Meinungsverschiedenheiten oder sogar eine Art Rollenspiel bei euch sind.“

Gabriel fehlten die Worte und insgeheim hoffte er immer noch, dass das alles bloß ein selten dämlicher Scherz war. Er brauchte einen Moment, bevor er überhaupt Worte dafür fand, was ihm da gerade offenbart wurde. „Wer kommt denn bitteschön auf so eine Schwachsinnsidee?“ rief er aufgebracht. „Was für eine Logik ist das denn, eine Beziehung zwischen zwei Leuten zu vermuten, die sich nicht mal ausstehen können?!“

„Naja… vermutlich sexuelle Spannung oder so“, vermutete Zarastiel und zuckte unsicher mit den Schultern. „Die Menschen sind da besonders versessen darauf. Aber du musst schon zugeben, dass es echt merkwürdig ist, dass du dich ständig über Michael beschwerst und trotzdem jedes Mal da bist, um ihm den Hals zu retten. Jophiel und Azrael haben schon gemeint, ihr zwei solltet euch endlich mal ein Zimmer nehmen, anstatt die ganze Zeit eine mexikanische 80er-Jahre-Telenovela abzuziehen. Israfil und Jerahmeel haben auch schon drum gewettet, wann ihr zwei euch endlich scheiden lasst, weil ihr euch wie ein altes Ehepaar benehmt.“

Das war nun endgültig zu viel und dem zweiten Erzengel platzte bei diesen Worten der Kragen. Als hätte er nicht schon genug Ärger am Hals, musste er auch noch erfahren, dass sämtliche Engel im Himmel offenbar hinter seinem Rücken lästerten und allen Ernstes glaubten, er hätte Gefühle für so einen Hornochsen. Vor allem da Zarastiel vergaß, mit wem er hier gerade eigentlich sprach. Wütend packte er seinen Untergebenen am Kragen und schaute ihn finster an. „Eher wird die Hölle zufrieren, als dass ich diesen ignoranten, aufgeblasenen und selbstsüchtigen…“

Weiter kam er mit seinen Ausführungen nicht, als plötzlich ein Speer dicht an seinem Ohr vorbeiflog, sich seinen Weg durch den Stamm eines Baumes schnitt und dann endlich durch eine dicke Eiche abgebremst wurde. Sofort ließ Gabriel Zarastiel los, sah den Speer und schaute sich sofort nach dem Besitzer dieser Waffe um, damit er diesem Engel gehörig einen Einlauf verpassen konnte.
 

Das Schicksal hatte es an diesem Tag wirklich nicht gut gemeint, denn es war ausgerechnet Michael, der den Speer geworfen hatte. „Sorry, der gehört mir!“ rief dieser ihnen zu als er auf sie zuflog. Nun war es um Gabriel geschehen und er verlor das letzte bisschen Selbstbeherrschung, das er sich bis dahin noch bewahrt hatte. „Sag mal, geht’s noch?“ rief er ihm wütend zu und streckte angriffslustig die Faust in die Luft. „Könnt ihr eure verdammten Kriegssimulationen nicht woanders abhalten? Ständig werden meine Schutzengel beinahe von euren Waffen getroffen weil keiner von euch halbwegs vernünftig zielen kann. Selbst ein Blindfisch wie Samael zielt besser!“

„Jetzt krieg dich mal nicht so ein“, gab Michael genervt zurück und flog einfach an den beiden Engeln vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. „Das Hauptquartier ist nun mal direkt nebenan, da kann ich auch nichts dran machen.“

„Nichts dran machen?“ wiederholte Gabriel, stapfte auf seinen Kollegen zu und packte ihn grob an der Schulter. „Das hier ist das Paradies und kein Übungsplatz für eure Trainingskämpfe. Die Menschen sollen hier in Frieden die Ewigkeit verbringen und das geht leider nicht, wenn hier ständig Speere, Schwerter und weiß Gott noch was für Waffen durch die Luft fliegen. Das hier ist das Paradies und kein Übungsplatz für eure Kriegsmanöver.“

„Na und? Die sind doch schon tot. Ist ja nicht so, als würde es sie großartig umbringen oder so.“

Genau das war es, was Gabriel jedes Mal so aufregte. Er verstand einfach nicht, wie ausgerechnet jemand, der so unsensibel und uneinsichtig war, der Verteidiger der Menschen sein sollte. Das war einfach nicht fair! Hatte er überhaupt eine Vorstellung davon, wie viel Leid er den Menschen mit seiner Inkompetenz und seiner Sturheit angetan hatte?

In seiner Wut und Ratlosigkeit wusste Gabriel nicht anders zu reagieren. Doch als statt eines Faustschlags eine schallende Ohrfeige folgte, war selbst er für einen Moment genauso verwirrt wie Michael. So etwas war doch eigentlich nicht seine Art. Aber der zweite Erzengel hatte in diesem Moment einfach keine Lust dazu, wieder diese übliche Streiterei zu führen, die eh nur wieder in einer sinnlosen Prügelei endete. Das hier war weitaus persönlicher. Tränen sammelten sich in seinen Augenwinkeln und er musste sich wirklich zusammenreißen, um nicht noch völlig die Fassung zu verlieren. „Hörst du dich eigentlich selbst reden?“ fragte er und sah Michael direkt in die Augen. Der erste Erzengel realisierte nun, dass dies nicht das übliche Herumgezicke von Gabriel war. Nein, das hier war wirklich ernst und obwohl er sich keiner Schuld bewusst sein wollte, verriet ihm sein Gefühl, dass er deutlich zu weit gegangen war. „Hast du eine Ahnung davon, wie viele Familien wegen dieser dämlichen Gesetze auseinandergerissen wurden? Kannst du dir vorstellen, wie viele aufgelöste Kinder ich trösten musste, weil sie mit ansehen mussten, wie ihre Eltern zur Hölle geschickt wurden? Wie kannst du so etwas nur unterstützen? Wo sind denn da bitte Güte, Vergebung, Nächstenliebe und Gerechtigkeit, wenn die Mutter eines kleinen Jungen nicht in den Himmel durfte, nur weil sie keinen Mann an ihrer Seite hatte? Sie haben alle schon genug Leid durch diese unmenschlichen Gesetze durchmachen müssen. Sollen sie jetzt auch noch miterleben, wie der Garten Eden zu einem Kriegsschauplatz verkommt?“

Gabriel bebte am ganzen Körper und Tränen rannen seine Wangen hinunter. Er rechnete damit, dass Michael sich über ihn lustig machen und ihn als Mädchen oder Heulsuse bezeichnen würde. Es hätte ihn nicht einmal überrascht, wenn sein Kollege ihn sogar noch auslachte und ihm unter die Nase rieb, dass er genau aus diesen Gründen immer die Nummer zwei bleiben würde. Doch es kam keine solche Reaktion. Stattdessen geschah etwas, womit er im Leben nicht gerechnet hätte. Michael senkte den Blick, atmete geräuschvoll aus und erwiderte nichts darauf. Konnte es etwa wirklich sein, dass er endlich mal auf andere hörte? „Okay, hab verstanden. Ich werde mit den Jungs reden.“

Das kam jetzt ziemlich überraschend und auch Zarastiel, der das von der Seitenlinie aus beobachtete, war sprachlos und konnte nicht glauben, was er da hörte. Der stolze Erzengel Michael gab klein bei und hörte zur Abwechslung mal auf jemanden? Wie war das denn möglich? Was war passiert, dass er plötzlich diesen Geisteswandel hatte? Gabriel konnte es genauso wenig fassen und war zunächst überzeugt, dass Michael bloß versuchen wollte, ihn irgendwie abzuwürgen und dass er es nicht im Geringsten ernst meinte. Doch seine Miene hatte nicht diesen sonst so überheblichen und abschätzigen Ausdruck.

Verwirrt starrte Gabriel ihn an und begriff nicht, was hier gerade vor sich ging. Geschah das hier gerade wirklich? „Ist… ist das dein Ernst?“ fragte er, so als könne er dem Braten nicht trauen. Etwas genervt seufzte Michael und zog seinen Speer wieder aus dem Baumstamm heraus. „Es nervt mich bloß, meine Waffen ständig wieder in diesem Garten suchen zu müssen. Dauert sowieso verdammt ewig, sie alle wiederzufinden“, erwiderte der erste Erzengel und versuchte desinteressiert und herablassend zu klingen, aber nach dieser Reaktion war es klar, dass dieses Verhalten gespielt war. „Außerdem kann man sich dein Geflenne echt nicht geben.“

„Kannst mich auch kreuzweise“, gab Gabriel trocken zurück, verzichtete aber ausnahmsweise mal auf eine saftige Provokation. Er ärgerte sich, dass er so emotional geworden war und damit Schwäche gezeigt hatte. So etwas war eigentlich nicht seine Art, aber vielleicht lagen seine Nerven einfach nur blank. „Aber mal ernsthaft, Michael: warum siehst du nicht, wie viele Probleme dieses veraltete Regelsystem verursacht? Oder ist es dir wirklich so egal, dass es dich völlig kalt lässt, wenn du Erwachsene vor den Augen ihrer Kinder in die Hölle schickst? Ich verstehe das einfach nicht!“

„Es ist mir nicht egal“, erwiderte der erste Erzengel gereizt und schaute seinem Kollegen direkt in die Augen. „Und ich muss mir so etwas von dir nicht anhören. Im Gegensatz zu dir kenne ich meine Pflichten und führe mich nicht wie ein gefallener Engel auf!“

Damit war die Diskussion für den ersten Erzengel beendet und er wandte sich zum Gehen. Gabriel, der das nicht so einfach auf sich beruhen lassen wollte, wollte ihm nachlaufen und den nächsten Streit vom Zaun brechen. Doch zum Glück ging Zarastiel dazwischen und versuchte ein wenig die Wogen zu glätten. „Hey, ihr beide gebt alles für euren Job und das ist wirklich bewundernswert. Wie wäre es, wenn wir das Kriegsbeil vorerst mal begraben und uns zusammensetzen und bei einer Tasse Tee ganz ruhig und zivilisiert miteinander sprechen? Vielleicht könnt ihr zwei eure Meinungsverschiedenheit ohne Blutvergießen klären.“

„Danke fürs Angebot, aber ich verzichte“, winkte Michael ab. „Ich bin nachher erst mal bei Raphael. Dieser verdammte Aasgeier hat mich schamlos abgezockt, nachdem du mir die verdammten Kronjuwelen zerschmettert hast, Gabi. Und wenn ich mit ihm erst mal fertig bin, wirst du für diese Demütigung büßen!“

Etwas überrascht hob Gabriel eine Augenbraue, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass die Kopfnuss derart gesessen hatte. Insgeheim ärgerte er sich auch, dass er nicht lange genug geblieben war um sich Michaels gedemütigten Anblick in aller Ruhe auf sich wirken zu lassen. Allein die Vorstellung, den sonst so stolzen und unerschütterlichen Kriegsengel in erbärmlichster Art und Weise auf dem Boden kauernd zu sehen, war wirklich eine Versuchung wert. „Kannst dir jederzeit einen Nachschlag holen, wenn du willst. Mal schauen, ob Raphael den nächsten Hodenbruch überhaupt noch geflickt kriegen wird.“
 

Kaum war Michael verschwunden, atmete Gabriel geräuschvoll aus und verdrehte genervt die Augen. „Gott, wie ich diesen Kerl hasse…“, stöhnte er laut und ließ sich auf einen mit Moos bewachsenen Stein nieder. Zarastiel bevorzugte es hingegen lieber zu stehen. Der Schutzengel verschränkte die Arme und schaute seinen Boss etwas skeptisch an. „Dafür bist du aber gerade ganz schön rot im Gesicht geworden.“

„Bin ich überhaupt nicht!“ protestierte der göttliche Botschafter lautstark und schlug mit der Faust auf die moosbedeckte Oberfläche des Steinbrockens. „Und wenn du dir noch mal so eine Frechheit erlaubst, dann schiebst du Sonderschichten im Außendienst! Dann darfst du die nächsten 10 Jahre in Detroit verbringen.“

Damit war der Schutzengel sofort ruhig und wagte lieber nicht, sein Glück noch weiter zu riskieren. Er wusste, dass Gabriel nicht unbedingt zu jenen Engeln gehörte, die leere Drohungen verlauten ließen. Dennoch fand er es mehr als merkwürdig, was da eigentlich zwischen den beiden Erzengeln ablief. Auf der einen Seite lagen sie sich ständig in den Haaren und erweckten den Anschein, als würden sie sich am liebsten gegenseitig umbringen wollen. Aber dann geschahen wieder solche Szenen, wo es für einen kurzen Augenblick so aussah, als würden sie sich endlich wieder vertragen oder zumindest Sympathie für den anderen hegen. Aus den beiden wurde man echt nicht schlau. Es war ihm sowieso ein Rätsel, was die beiden überhaupt dazu geritten hatte, diesen Streit erst anzufangen. Lange Zeit war er wirklich davon ausgegangen, dass es so ein Ding zwischen ihnen war und es in Wahrheit gar nicht mal so ernst gemeint war. Immerhin waren sie lange Zeit unzertrennlich gewesen und hatten sich bloß zum Spaß gegenseitig geneckt. Aber jetzt war es zu einem regelrechten Zickenkrieg ausgeartet. Schön anzusehen war es jedenfalls nicht. Eines Tages war Michael plötzlich total abgehoben und hielt sich für den großen Retter des Himmels und Gabriel fühlte sich davon jedes Mal derart auf den Schlips getreten.

Wohin das noch alles führen würde… Die Erzengel waren mal eine unschlagbare Einheit gewesen und jetzt verbrachten sie fast jeden Tag damit, sich gegenseitig fertig zu machen. Ob das wohl mit dem Job zusammenhing? Tja, das kam aber auch davon, dass Gott keine Therapeuten und Streitschlichter im Himmel haben wollte. Zum Glück war er selbst nur ein einfacher Schutzengel und musste sich diese peinliche Keilerei nicht tagein tagaus mit ansehen. Stattdessen würde er sich einfach damit begnügen, zusammen mit seinen Kollegen zu tratschen und sich zu wundern, worauf es letzten Endes hinauslief. Er hatte nämlich eine Wette mit Jerahmeel, Jophiel und Azrael am Laufen und hatte so einiges darauf gewettet, dass der Streit zwischen Michael und Gabriel derart eskalieren würde, dass sie von Gott noch strafversetzt wurden. Andererseits waren Sex oder Scheidung natürlich auch eine interessante Option, die für einiges an Gesprächsstoff sorgen würde.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hat mal wieder ein bisschen gedauert, weil ich kurz vor meinem Urlaub echt verdammt viel zu tun hatte. Hoffentlich wird das nächste Kapitel etwas flotter von der Hand gehen Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Charly89
2020-11-05T19:23:15+00:00 05.11.2020 20:23
Ich musste so lachen XD
Aber, ich verstehe die Engel. So von außen betrachtet könnte man schon auf den Gedanken kommen, das da was läuft, zwischen den beiden ^-^

> Was früher mal lediglich ein riesiger Zoo war wo Gott seine Schöpfungen zur Belustigung eingepfercht hatte, war nun vergleichbar mit der Matrix

Bester Satz ever *-*
XD
Antwort von:  Sky-
05.11.2020 21:25
Ja das ist ein ziemlich beliebtes Shipping, weil sich Gegensätze ja bekanntlich anziehen. Passiert mir auch ab und zu mal XD

Hehe, für diesen Satz komme ich definitiv in die Hölle. Aber vielleicht habe ich dann die Chance, Stephen Hawking dabei zu sehen, wie er das höllische Rollstuhl Formel 1 Rennen mit Raketenantrieb gewinnt😆


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