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Im Himmel ist der Teufel los

Apokalypse Reloaded
von

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Wein und Wahrheiten

Normalerweise besaß Samael wirklich eine Engelsgeduld. Nun ja, er selbst war ja auch ein Engel und da waren eine lange Ausdauer, Duldsamkeit und unerschütterlicher Wille quasi genetisch veranlagt. Doch die kurze Zeit mit Uriel hatte genügt, um ihn beinahe in einen Wutanfall zu treiben. Alles schien wie verhext zu sein und selbst die kleinen Dinge, die er diesem Jammerlappen auftrug, schienen schief zu gehen. Nicht nur, dass Uriel dumm genug war, um sich bei seinem Diebstahl erwischen zu lassen. Er hatte auch noch den falschen Engel erschlagen und dann zu guter Letzt sogar die Leiche verbummelt. Und das Intelligenteste, was diesem Kerl einfiel war, den einzigen blinden Engel im gesamten Himmel darum zu bitten, ihm bei der Suche nach besagter Leiche zu helfen. Wenn Samael es nicht besser wüsste, wäre er wirklich davon ausgegangen, dass pure Absicht dahintersteckte und Uriel es nur darauf abgesehen hatte, ihn zur Weißglut zu treiben. Doch traurigerweise war dem nicht so. Der Kerl war von Natur aus eine wandelnde Katastrophe und hatte ihm mehr Arbeit gemacht als er eigentlich wert war. Wie in Gottes Namen konnte man überhaupt so dämlich sein und selbst einen Mord derart vermasseln? Selbst er hätte das besser hingekriegt und er brauchte nicht einmal Augen dafür.

Sein verbittertes Zähneknirschen war so laut, dass es selbst Luzifer hörte und besorgt kam dieser aus seinem Versteck hervor als er merkte, wie gereizt sein Liebhaber gerade war. „Was ist los? Ist irgendetwas schiefgelaufen?“

„Was schiefgelaufen ist?“ wiederholte Samael und schlug mit der Faust gegen die Wand, um wenigstens ein bisschen Dampf ablassen zu können. „Frag mich lieber, was denn nicht schiefgelaufen ist. Deine Leute haben es nicht hingekriegt, Malachiel und Metatron auf der Erde festzuhalten, dein Kopfgeld auf diesen Dämonenbengel hat keine Wirkung gezeigt, Uriel hat den falschen Engel erschlagen und jetzt ist die Leiche weg.“

„Wie jetzt die Leiche ist weg?“ fragte Luzifer ungläubig. „Wie in Satans Namen kann man denn bitteschön eine Leiche verlieren?“

„Das frage ich mich auch gerade“, rief der Todesengel sauer und knirschte so laut mit den Zähnen, dass es an ein Wunder grenzte, dass man es nicht bis in die hintersten Ecken des himmlischen Königreichs gehört hatte. „Und dann soll ich ihm dabei helfen, nach besagter Leiche zu suchen. Inzwischen komme ich mir vor wie im Zirkus. So viele Jahre habe ich auf den perfekten Plan hingearbeitet und nun ist alles hinfällig, nur weil Uriel zu dumm für die einfachste Aufgabe ist. Da baut man auf die Dummheit und Inkompetenz der Allgemeinheit und dann scheitert der Komplott an der Dummheit und Inkompetenz der eigenen Handlanger…“

Luzifer konnte diesen Ärger durchaus nachfühlen. Wie viele gefallene Engel waren erst aufsässig geworden, weil sie die Schnauze voll von der Inkompetenz des himmlischen Personals hatten? Und wie oft ärgerte er sich selbst über die Unfähigkeit seiner eigenen Leute im Kellergeschoss der Welt? Zugegeben, er hatte nicht sonderlich viel von Samaels Plan gehalten. Im Groben klang er zwar ganz gut, aber seiner Meinung nach waren da einfach zu viele Extraschritte drin gewesen und überhaupt war er einfach zu kompliziert. Da war es eben abzusehen, dass alles hinfällig wurde, wenn auch nur eine winzige Sache schief ging. Es war zwar schön und gut, dass sein Plan darauf baute, dass seine Gegenspieler inkompetent und leicht zu manipulieren waren. Nur leider hatte Samael dabei offensichtlich vergessen, seinen eigenen Plan narrensicher zu machen.

Er sprach dies aber nicht direkt aus, denn er hatte keine Lust, sich zu streiten und wenn Samael so gereizt war, sollte man lieber nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen. Stattdessen begann er zu überlegen, wie sie jetzt am besten vorgehen sollten, um doch noch ans Ziel zu gelangen. Auch wenn nicht alles optimal verlaufen war, hatte es zumindest teilweise geklappt. Michael war wegen Mordes verhaftet worden und Gabriel hatte ihn verraten, Raphael war Geschichte und wenn sich herausstellte, dass Michael nicht der Mörder war, würde Uriel für alles belangt werden. „Wie wäre es, wenn ich ein wenig die Lage beobachten gehe? Vielleicht findet sich ja irgendwo die passende Gelegenheit, um noch ein bisschen Ärger zu machen, damit wir in die nächste Phase übergehen können. Oder ich könnte versuchen, nach Raphael zu suchen. Wenn er wider Erwarten doch noch überlebt haben sollte, muss er sich irgendwo versteckt halten. So eine schwere Verletzung kann selbst er nicht so ohne weiteres heilen.“

An dem Punkt war durchaus etwas dran. Zwar bezweifelte Samael, dass der himmlische Heiler einen Schwertstoß in die Brust überlebt haben konnte, aber andererseits musste er Uriels allgemeine Unfähigkeit gegenhalten. Da war es tatsächlich nicht so unwahrscheinlich, dass Raphael durch irgendeine göttliche Fügung überlebt haben könnte.

Ging man davon aus, dass er noch am Leben war, stellte sich die Frage, wohin er verschwunden war und warum. Er hätte genauso gut eine der unzähligen Wachen oder vorbeilaufenden Engel alarmieren können. Vielleicht war er ja bereits zu der Schlussfolgerung gekommen, dass Uriel für jemanden arbeitete und war deshalb geflüchtet, damit er sich nicht noch weiter in Gefahr brachte. Dummerweise konnte er sich sowohl im Himmel als auch auf der Erde aufhalten und ihn aufzuspüren bedeutete somit, die Nadel im Heuhaufen zu suchen. „Es macht keinen Sinn, unnötig Zeit und Aufwand darauf zu verschwenden, nach ihm zu suchen“, erklärte Samael schließlich und beruhigte sich wieder ein wenig. Wenn er sich zu sehr in seine Wut hineinsteigerte, würde das auch nichts bei seinen Eroberungsplänen nützen. „Er könnte überall sein und wenn er lebt, wird er sich nicht zeigen, bevor er sich nicht vollständig von seiner Verletzung erholt hat. Wir konzentrieren uns auf den nächsten Angriff. Wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege, wird Metatron damit beschäftigt sein, das Fegefeuer-Projekt in die Schlussphase einzuleiten. Du wartest einen passenden Moment ab, um ihn aus dem Weg zu schaffen. Mach es am besten dann, wenn er alleine ist. Er ist zwar mächtig, aber kein ausgebildeter Kämpfer. Ich werde mich um Malachiel kümmern. Wenn wir die beiden erledigt haben, hat der Himmel niemanden mehr, der das Kommando angibt und das Chaos nutzen wir dann, um den Angriff auf das Heiligtum zu starten.“

Mit dieser Entscheidung war Luzifer mehr als zufrieden. Wenigstens war der neue Plan nicht so unnötig kompliziert und fehleranfällig wie der alte. „Kannst dich auf mich verlassen“, versprach er, verwandelte sich daraufhin in eine kleine Fliege und machte sich dann unbemerkt auf den Weg.
 

Malachiel brauchte nicht lange um herauszufinden, wohin Gabriel nach Michaels Verhaftung verschwunden war. Wie sich nämlich schnell herausstellte, war der zweite Erzengel kurz nach Michaels Verhaftung in den vierten Himmel Machonon aufgebrochen, um dort seine Sorgen zu vergessen. Und welcher Ort war dafür besser geeignet als die Partymeile New Jerusalem, die unter manchen Menschen in Eden auch als „Veganerhölle“ bekannt war. Der Grund dafür war, dass es in der Stadt außer Kneipen fast ausschließlich nur Steakhäuser und Grillbuden gab. Überall wo man hinsah, entdeckte man Neonschilder, die Namen trugen wie „Abels Grillparadies“, „Aarons BBQ Tempel“ oder „Jakobs Schlemmerhütte“. Die einzige Alternative bot die Restaurantkette „Simons Fischbude“, die aber nicht ganz so gut lief. Malachiel konnte sich noch grob an „Nadabs & Abihus Steakpalast“ erinnern, aber der Laden war leider inzwischen vom himmlischen Ordnungsamt aufgrund diverser Hygienemängel geschlossen worden.

Der Grund warum es überhaupt so viele Grillbuden und –restaurants gab war schlicht und ergreifend der Leidenschaft Gottes geschuldet. Schon seit der Vertreibung der ersten Menschen aus dem Paradies hatte er eine große Schwäche für Barbecue gehabt und auch kein sonderlich großes Geheimnis daraus gemacht. Und weil die Menschen nicht auf den Kopf gefallen waren und eins und eins zusammenzählen konnten, hatten sie regelmäßig Grillfeste veranstaltet um den Herrn milde zu stimmen. Denn ein gut gelaunter Gott ließ sich leichter zu ein paar Wundern bewegen, die das harte Leben der Leute etwas erleichterten. Und da Gott ein Feinschmecker war, hatte der Levitikus besonders großen Wert auf eine detaillierte Anleitung für die perfekte Grillzeremonie gelegt. Damals war Veganismus noch nicht sonderlich im Trend gewesen und verbranntes Gemüse roch bei weitem nicht so gut wie ein saftiges Steak. Als die Menschen aber damit begannen, ihre Ernährung umzustellen und Brandopfer allmählich aus der Mode kamen, ließ Gott stattdessen unzählige Restaurants in Machonon eröffnen, um seiner Leidenschaft weiter frönen zu können.

Malachiel konnte es dem Herrn schlecht verübeln, dass dieser ein so leidenschaftlicher Barbecue-Gourmet war. Allein beim Geruch, der ihm aus den Imbissbuden und Restaurants um die Nase wehte, bekam er ordentlich Appetit und ihm lief das Wasser im Munde zusammen. Er hätte nichts gegen ein leckeres T-Bone-Steak oder ein paar ordentlich marinierte Hühnerschenkel gehabt, vielleicht sogar ein paar Lammspieße. Aber das musste erst mal warten, denn er hatte Wichtigeres zu tun und er durfte Metatron nicht hängen lassen. Vielleicht fand er ja nach der ganzen Sache genug Zeit, um sich ein paar Leckereien zu gönnen. Für gewöhnlich bestand seine Diät auf der Erde fast ausschließlich nur aus Äpfeln, da durfte man sich auch mal eine kleine kulinarische Sünde durchaus erlauben.

Nach kurzem Suchen fand er Gabriel in der „Kana Enoteca“, einer einst sehr beliebten und ziemlich gut laufenden Vinothek, die Jesus einst gegründet hatte nachdem er in den Himmel zurückgekehrt war. Wenn Jesus von etwas Ahnung hatte (abgesehen von seinem eigentlichen Beruf als Zimmermann), dann war es die Kunst, Wasser in Wein zu verwandeln. Und das konnte er wie kein anderer. Nachdem er aber den Himmel verlassen und den Laden aufgegeben hatte, war dieser zu einer schlichten Kneipe verkommen, in der nicht nur erlesene Weine, sondern auch andere Spirituosen serviert wurden. Und die waren bei weitem nicht so qualitativ wie das, was Jesus seinen Gästen serviert hatte.

In einer dunklen Ecke saß Gabriel und wäre die Beleuchtung besser gewesen, hätte man ihn bei dem blassen Gesicht für ein Gespenst halten können. Er bot ein recht jämmerliches Bild und wirkte nicht sonderlich glücklich. Ob der Alkoholkonsum daher rührte, dass der himmlische Botschafter den Schock zu verdauen versuchte oder eher seine Schuldgefühle ertränken wollte, würde sich noch herausstellen. Insgeheim zweifelte Malachiel daran, dass Gabriel wirklich so abgebrüht war und sich aktiv an dieser Mordgeschichte beteiligt hatte. Selbst bei all den Streitigkeiten zwischen ihm und Michael wäre Gabriel sicher nicht gehässig genug, um jemanden umzubringen und den Mord seinem unliebsamen Kollegen in die Schuhe zu schieben. Ebenso glaubte er auch nicht, dass der zweite Erzengel überhaupt von dem Mord gewusst hatte. Also war er entweder in eine Falle getappt oder es war alles nur ein richtig dummer Zufall.

Wenn sich Malachiel zumindest bei einer Sache sicher war, dann war es die, dass Gabriel trotzdem irgendwie in der ganzen Geschichte mit drin hing. Entweder hatte er gelogen um seinen unliebsamen Kollegen loszuwerden, oder er hatte die Wahrheit gesagt und war dazu gebracht worden, Michael ans Messer zu liefern. Was es auch sein mochte, er würde es schon noch herausfinden. Es war ja nicht unbedingt schwer, einen Engel zum Singen zu bringen, wenn man wusste, welche Knöpfe man drücken musste.
 

Ohne sich etwas zu bestellen, setzte sich Malachiel zu dem kreidebleichen Erzengel, der sich mit etwas nervöser Hand ein Glas einschenkte. Als dieser aber bemerkte, wer sich da zu ihm setzte, wich seine Nervosität und stattdessen verdüsterte sich seine Miene. „Was willst du?“ fragte Gabriel in einem etwas barschen Ton. „Ich habe gerade keine Lust für deine Spielchen!“

„Ich wollte nur mal nach dem Rechten sehen“, erwiderte Malachiel unbeeindruckt und lehnte sich lässig zurück. „Hab gehört, was passiert ist und dachte mir, wir sollten das zusammen feiern. Jetzt da diese Flachzange verhaftet wurde, ist der Job als Verteidiger wieder frei. Endlich eine Sorge weniger, um die wir uns kümmern müssen. Immerhin hat Michael mit seiner Unfähigkeit genug unschuldige Seelen in die Verdammnis geschickt. Da wird’s mal Zeit, dass er mal seine eigene Medizin zu schlucken kriegt.“

Gabriel sagte nichts dazu, sondern starrte auf sein Weinglas, ohne es wirklich anzurühren. Man sah ihm an, dass sein Verlangen stark war, doch er konnte sich nicht dazu bringen, sich zu besaufen. Jemand, der die Leute gut durchschauen konnte so wie Malachiel, konnte schnell erkennen, dass den Erzengel Schuldgefühle plagten und es ihn davon abhielt, einfach zu trinken und alles zu vergessen. Aber woher kamen die Schuldgefühle? Genau diese Frage war entscheidend. „Ich fand’s schon beim ersten Meeting ironisch, dass Michi ausgerechnet auf Samaels Seite steht. Hat mich auch immer gewundert, wie zum Geier der überhaupt an den Job gekommen ist. Mal im Ernst: hat er die richtigen Leute bestochen oder sich vielleicht sogar hochgebumst?“

„Keine Ahnung“, erwiderte Gabriel nur, schaute Malachiel aber nicht in die Augen. Er hatte überhaupt keine Lust dazu, mit irgendjemandem zu reden, traute sich aber auch nicht, es laut auszusprechen. Vielleicht weil er Sorge hatte, dass man ihm auf die Schliche kommen könnte? „Ich habe sowieso das Gefühl, ihn überhaupt nicht mehr zu kennen. Er hat sich so verändert, dass ich inzwischen überhaupt nicht mehr weiß, wer er ist.“

„Da ist er nicht der Einzige. Ihr alle seid gleichermaßen völlig verkommen, dass selbst mein Schüler sofort gesehen hat, dass Ihr auf dem besten Weg seid, gefallene Engel zu werden.“

Nun sah Gabriel ihn direkt an und seine Augen weiteten sich. Erst wirkte er erschrocken darüber, doch dann übermannte ihn die Wut und er schlug mit der Faust auf den Tisch. „Ich bin nicht derjenige, der unschuldige Menschen in die Hölle geschickt hat. Immerzu habe ich diesen Bastard gerettet und mich schützend vor ihm gestellt und alles für ihn abgefangen. Aber hat das je einer zur Kenntnis genommen? Nur weil mir das Wohl von Menschen mehr am Herzen liegt als diese völlig veralteten Gesetze, unterstellt man mir gleich, ich würde mich wie Luzifer oder Satan aufführen!“

Doch davon ließ sich Malachiel nicht beirren. Sie beide wussten, dass dies nicht das eigentliche Problem war, aber das wollte der gute Gabriel halt nicht wahrhaben. Es war Zeit, dass man ihm mal den Spiegel vorhielt und die Augen öffnete. „Ja, ja. Immer sind alle anderen schuld und du bist immer das Opfer. Schon kapiert. So haben sich die zwei Dämonen-Azubis auch aufgeführt, die ich vor meiner Abreise getroffen habe. Genau die gleiche scheinheilige Attitüde und Opfermentalität. Echt Mann… ist das so eine Art neuer Trend oder so?“

„Ich führe mich nicht wie ein Opfer auf und hör auf, mich mit irgendwelchen Dämonen zu vergleichen“, protestierte Gabriel lautstark und wurde so langsam richtig wütend. Aber genau darauf spekulierte Malachiel. Er hatte ihn genau an der richtigen Stelle getroffen und musste ihn nur noch ein bisschen weiterbearbeiten. Der zweite Erzengel merkte nicht einmal, dass er geschickt ausgehorcht wurde, sondern redete sich immer weiter in Rage. „Alles was ich wollte war bloß, dass er einfach mal anerkennt was ich für ihn tue und dass er endlich mit dieser Nummer aufhört. Ständig hält er einem vor, dass die Gesetze das Wichtigste seien und kümmert sich dabei überhaupt nicht um die Gefühle anderer!“

„Schon mal über eine Paar-Therapie nachgedacht?“

„Wir sind kein Paar!“ erwiderte Gabriel wütend und schlug erneut mit der Faust auf den Tisch um seine Klarstellung zu untermauern. Der Halb-Engel zeigte sich ein wenig erstaunt und meinte überrascht „Klingt für mich aber eher nach zwei Eheleuten in der Beziehungskrise.“

Da das wohl ein rotes Tuch war, beschloss Malachiel, das Thema lieber erst mal nicht mehr anzusprechen und stattdessen wieder zur Sache zu kommen. „Naja… in Zukunft brauchst du dir da ja keine Gedanken mehr drum zu machen. Du hast es ihm ja wirklich gezeigt, indem du ihn angeschwärzt hast. Und bald brauchst du dich nie wieder über ihn zu ärgern. Dann hat sich das Thema Michael eh erledigt.“

Augenblicklich wich die Wut aus Gabriels Miene und stattdessen wirkte er nun geschockt und irritiert. Er war wohl davon ausgegangen, dass es bloß bei einem Besserungsseminar und einer Degradierung für Michael bleiben würde. Doch so leicht wollte Malachiel ihn nicht davonkommen lassen und ließ nun seine dämonische Seite spielen, um seinen Gegenüber ein wenig in Panik zu versetzen. Er schaute sich kurz nach links und rechts um als wolle er sichergehen, dass sein kleines Geheimnis nicht die große Runde machte und beugte sich dann zu Gabriel vor um ihm etwas zuzuflüstern. „Sag bloß, du hast es noch nicht gewusst. Engel, die ihresgleichen töten, werden nicht in die Hölle verbannt. Sie werden durch Dämonenfeuer hingerichtet um ein Exempel zu statuieren. Sobald Michael also für schuldig befunden wird, wird er geröstet wie eine Hexe auf dem Scheiterhaufen.“
 

Zugegeben, das mit dem Dämonenfeuer war absoluter Quatsch, den er da erzählte. Nie und nimmer hätte Metatron sich zu so einer drastischen Methode hinreißen lassen und die Idee über diese Hinrichtung hatte sich Malachiel aus einer Serie geklaut, die er letztens zusammen mit Nazir angeschaut hatte. Aber manchmal musste man die Wahrheit ein bisschen verbiegen, damit man ans Ziel gelangte. Außerdem war er nicht umsonst zur Hälfte Dämon. Da war die eine oder andere Unanständigkeit durchaus vertretbar, solange sie einem guten Zweck diente. Gabriel war zunächst skeptisch und wollte es gar nicht glauben. „Das… das würde Gott niemals tun…“, erwiderte er zögerlich, war selbst nicht so ganz von seinen eigenen Worten überzeugt. Malachiel legte deshalb noch eine Schippe drauf, beugte sich noch weiter vor und flüsterte „Was glaubst du wohl, woher ich das weiß?“

Nun wurde dem zweiten Erzengel wirklich angst und bange. Er hatte zunächst noch gehofft, dass es bei einer Schulung in der Besserungsanstalt oder schlimmstenfalls bei einer Höllenverbannung bleiben würde. Doch dass stattdessen die endgültige Vernichtung Michaels drohte und er Mitschuld daran trug, war selbst für ihn zu viel. Ihm entgleisten nun völlig die Gesichtszüge, als ihm so langsam das ganze Ausmaß seines Handelns bewusst wurde. „Das… das kann er doch nicht tun“, brachte er entsetzt hervor. „Michael ist… er ist doch kein Schwerverbrecher.“

„Ist er nicht?“ wunderte sich Malachiel. „Du hast doch gesagt, dass er es Raphael heimzahlen wollte.“

„Ja, habe ich“, gab der zweite Erzengel sofort zu. „Aber er wird doch nicht gleich…“

„Du hast ihm einen Mord zugetraut!“ unterbrach ihn der Halb-Engel und nagelte ihn weiter fest. „Du warst so überzeugt davon, dass er ein Mörder ist, dass du ihn bei der nächstbesten Gelegenheit direkt ans Messer geliefert hast. Oder hat dich bloß der Gedanke in Versuchung geführt, dass du einen unliebsamen Kontrahenten aus den Weg schaffen kannst? Damit würden immerhin unzählige Menschen vor der Verdammnis bewahrt werden, aber gleichzeitig schützt du damit auch Raphaels eigentlichen Mörder. Und sobald das ans Tageslicht kommt, sieht es für dich echt übel aus, mein Lieber.“

Nun begann Gabriel das ganze Ausmaß seiner Tat bewusst zu werden und seine Unterlippe begann zu zittern. Seine Augen starrten apathisch ins Leere als er realisierte, wie schändlich sein Verhalten war. Er war so überzeugt davon gewesen, dass sein Vergehen dem Wohl der Menschheit diente und hatte dabei nicht nur Michael, sondern auch sich selbst verraten. Und nun musste er langsam erkennen, dass das bloß naives Wunschdenken war. Im schlimmsten Fall würde Michael vernichtet werden und wenn sein falsches Spiel ans Licht kam, würde ihm vermutlich das Gleiche drohen. Immerhin war jemand durch seine Entscheidung gestorben.

Malachiel brauchte nicht noch eine Schippe draufzulegen. Er konnte es genau an Gabriels Gesicht ablesen, dass diese Geschichte um Michaels bevorstehende Hinrichtung ihre Wirkung nicht verfehlt hatte. „Zu dumm, dass wir keinerlei Indizien dafür haben, wer der echte Mörder sein könnte“, meinte der Halb-Seraph ganz beiläufig. „Aber nach aktuellem Stand sieht die Beweislage mehr als eindeutig aus.“

„Michael würde so etwas nicht tun“, beharrte Gabriel mit deutlichem Nachdruck. „Ich weiß nicht, wer es auf Raphael abgesehen haben könnte, aber so wie ich diesen Gauner kenne, hat der sich so einige Feinde gemacht. Wenn ich wüsste, wer so weit gehen würde, ihn tatsächlich umzubringen, hätte ich es längst gesagt.“

„Verstehe“, murmelte Malachiel und beließ es dabei. Eines stand jedenfalls fest: Gabriel war kein Lügner. Er hatte tatsächlich keine Ahnung, wer hinter dem Mord steckte und hatte höchstwahrscheinlich aus reinem Affekt heraus seinen Kollegen angeschwärzt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihn jemand angestiftet hatte, Michael in den Rücken zu fallen, war relativ gering. Außerdem war er nicht dumm genug um ausgerechnet auf jemanden wie Samael zu hören. Gabriel war einer der wenigen Engel im Himmel, die das wahre Wesen dieses hasserfüllten Todesengels kannten und ihm nicht über den Weg trauten. Entweder hatte Luzifer dazwischengefunkt und Gabriel einen Floh ins Ohr gesetzt oder der Erzengel war von selbst auf den Gedanken gekommen. Nun, er hatte seinen Job erledigt und jetzt galt es abzuwarten, was Gabriel als nächstes tun würde. So wie er ihn einschätzte, würde dieser es nie im Leben zulassen, dass Michael hingerichtet wurde. Dazu hing er einfach zu sehr an ihm und vor allem würde er es nicht mit seinem eigenen Gewissen vereinbaren können. Gabriel mochte so einiges sein, aber er war ganz gewiss kein Kameradenschwein. Im besten Fall würde er alles tun um Michael zu entlasten und ihm aus der Patsche zu helfen, so wie er es immer tat.

„Na dann…“, sagte der Halb-Engel schließlich und erhob sich von seinem Platz. „Ich geh mir jetzt was zu essen holen. Dieser penetrante Grillgeruch da draußen hat mich total hungrig gemacht. Tja… dann bis demnächst, Gabi. Und sauf nicht zu viel, immerhin musst du ja noch nach Hause fliegen!“

Damit ließ er Gabriel alleine, der weiter still an seinem Platz saß, ins Leere starrte und immer noch nicht sein Glas Wein angerührt hatte. Unzählige Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf, die er erst einmal für sich sortieren musste um sich wieder halbwegs zu fangen. Um den Prozess etwas zu beschleunigen, fluchte er leise „Ach zum Teufel…“, griff nach dem Glas und leerte es in wenigen Zügen. Noch bevor der Alkohol seine Wirkung gänzlich entfalten konnte, stand Gabriel auf, atmete noch einmal tief durch um sich zu sammeln und verließ die Kana Enoteca um schnellstmöglich nach Mathey zu gelangen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel hat mir echt Spaß gemacht, vor allem die vielen Anspielungen. Brandopfer spielen im Alten Testament eine ziemlich wichtige Rolle und irgendwann hab ich mal rein zufällig im Internet einen Kommentar gelesen, dass Gott kein Veganer sein konnte weil er den Geruch von gebratenem Fleisch liebt und offensichtlich Grillenthusiast war. Diese Idee fand ich einfach klasse und so hat meine Version im Himmel eine ganze Reihe von Grillbuden gekriegt, die alle nach biblischen Figuren benannt sind. Den Scherz mit Nadab und Abihu konnte ich mir nicht verkneifen, weil sie nur deshalb bekannt geworden sind, weil sie dieses Brandopfer-Ritual vergeigt haben und Gott so beleidigt war, dass er sie gleich gekillt hat. Simons Fischrestaurant ist eine Anlehnung an den Apostel Petrus, der eigentlich als Simon hieß und genauso wie sein Bruder Fischer war.
Die Kana Enoteca ist eine Anspielung auf die Hochzeit in Kana, bei der Jesus Wasser in Wein verwandelt hat. Wenn man’s so bedenkt, ist das die geilste Geschäftsidee die man haben kann und sogar ein guter Werbespruch. Jesus hätte sich damit dumm und dämlich verdienen können aber stattdessen hat er einen anderen Karrierezweig gewählt. Na hoffentlich hat der Gute es auch nicht bereut ;-) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Charly89
2020-12-11T15:39:06+00:00 11.12.2020 16:39
XD
Zum Thema Grillen muss ich ja nichts mehr sagen, hast du schon sehr schön im Nachwort beschrieben

Sehr schön, wie Luzifer auch der Meinung ist, dass der Plan von Anfang an zu kompliziert war XD

Ich bin echt gespannt, was du dir mit der Leiche überlegt hast :3


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