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Weltenstaub

von

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Kapitel 1: Es ist unmöglich


 

Ihr ganzes Leben lang hatte man Siofra gesagt, dass sie ungeschickt war, dass sie sich besser aus wichtigen Dingen heraushalten sollte, dass sie beiseite treten sollte, damit andere die Aufgabe zu einem Ende bringen könnten.

Aber man hatte ihr nie gesagt, dass sie eines Tages in einer eigenartigen Welt landen würde, und vor allem war ihr nie erklärt worden, wie sie von dort wieder fortkäme.

So stand sie nun an diesem Ort, unter einem orange-farbenen Himmel, dessen Farbe wirkte als liefe sie aus und tropfe langsam herab. Der Boden bewegte sich sacht auf und ab, was es ihr erschwerte, vernünftig zu laufen, ohne dabei zu fallen. Am Wegesrand wuchsen Pflanzen, die sie noch nie zuvor gesehen hatte; zwischen den roten Blüten waren verzerrte Münder zu sehen, sie murmelten unverständliche Dinge, lachten, als Siofra an ihnen vorbeilief, und sie war überzeugt, dass sie hinter ihr die Köpfe zusammensteckten, um über sie zu reden. Doch immer wenn sie über die Schulter sah, standen sie vollkommen unbeteiligt da und plapperten munter vor sich her. Die vereinzelten Bäume waren pechschwarz, ohne Blätter, nur nackte Äste, die sich dem Himmel entgegenstreckten, als flehten sie ein höheres Wesen vergeblich um Rettung an.

Die Gebäude – jedenfalls nahm Siofra an, dass es sich darum handelte, denn sie standen so säuberlich aufgereiht wie Häuser in der Realität es taten – besaßen Ähnlichkeit mit Trapez-Bandschnecken, um sich gewundene Muscheln, die hier in die Höhe ragten. Es gab keine Fenster, auch keine Türen, aber Siofra hätte dort ohnehin nicht um Hilfe gebeten. Zu groß war die Furcht vor dem, was eine solche Behausung wohl bewohnen dürfte.

Nachdem sie an einigen dieser Häuser vorbeigekommen war, entdeckte sie Sonnenblumen, deren gelbe Blüten jeweils ein riesiges glubschendes Auge umgaben. Sie beobachteten Siofra bei jedem Schritt, folgten ihrer Position selbst als sie an ihnen vorübergelaufen war. Dutzende Schauer fuhren ihren Rücken hinunter, ließen sie frieren, obwohl die Temperatur dieser Welt nicht wirklich kalt war.

Hinter sorgsam gestutzten Hecken, die nicht an diesen Ort passen wollten, murmelten und lachten die Blumen von zuvor – jedenfalls glaubte sie, es handelte sich um dieselbe Art, weil sie sich gleich anhörten, nachzusehen kam ihr nicht in den Sinn; es war bereits klar, dass diese Pflanzen ihr nicht assistieren würden, sie nach Hause zu bekommen, also war es eine gruselige Zeitverschwendung.

Wie war sie nur an diesen Ort geraten? Sie war die Straße entlanggelaufen, wie so oft. Und dann … dann war da dieser Kristall gewesen. An mehr erinnerte sie sich nicht mehr. Hatte sie ihn berührt? War sie in eine Verzerrung gelaufen?

Sie seufzte schwer. Offenbar hatte ihre Familie recht behalten und sie war mal wieder unvorsichtig gewesen. Wenn sie hier herauskäme, dürfte sie ihnen nichts davon erzählen, sonst sähen sie darin nur einen Grund, sie zu Hause einzusperren. Je länger sie hier unterwegs war, vorbei an den endlosen Reihen der eigenartigen Gebäude, war sie sich aber nicht mehr sicher, ob sie überhaupt jemals entkommen könnte.

War es jemandem schon einmal gelungen? Sie las selten die Zeitung oder hörte sich die Nachrichten an, deswegen wusste sie nicht einmal, ob sie nicht vielleicht die erste Person war, die dumm genug gewesen war, in eine Verzerrung hineinzustolpern. Zuzutrauen wäre es ihr jedenfalls.

Plötzlich tippte etwas auf ihren Kopf.

Siofra stieß einen Schrei aus. Sie fuhr herum, nur um noch einmal zu schreien, als etwas ruckartig ihr Haar zurückzog. »Lass mich los! Lass mich los!«

Hektisch fuchtelte sie mit ihren Händen an ihren Strähnen, um diese loszubekommen, schien es damit aber nur schlimmer zu machen. Inzwischen war ihre dunkelblonde Mähne derart verfangen, dass nur noch eine Schere ihr helfen könnte, glaubte sie.

Als ihr die Fruchtlosigkeit ihres Unterfangens bewusst wurde, ließ sie ihre Hände wieder sinken und kniff die Augen zusammen. »Dann mach es bitte schnell.«

Was auch immer das Wesen mit ihr vorhaben mochte, solange es nur schnell vorbei war, dürfte es hoffentlich nicht zu schlimm für sie werden.

Nichts geschah.

Sie wartete mit flachem Atem, unsicher, ängstlich. Wollte der andere sie nur leiden lassen? Genoss er ihre wachsende Nervosität? Labte er sich daran?

Immer noch nichts.

Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sie die Augen wieder. Sie erwartete, einen missgestalteten Dämon zu sehen, etwas, das direkt aus dem Albtraum eines Horrorfans stammen dürfte – aber da war nichts. Nur ein kleiner schwarzer Baum, dessen Äste auf den Weg hinausragten, und genau darin hatte sich ihr Haar verfangen, wie das Netz einer verwirrten Spinne.

Siofra atmete aus. Für einen kurzen Moment war sie überzeugt gewesen, hier ihr Ende zu finden. Aber sie war nicht einmal in Gefahr gewesen – zumindest nicht ausgehend von diesem Baum.

Sie sah sich um, so sehr ihr noch immer verheddertes Haar es zuließ. In der Nähe war nichts, was nach ihrem Leben trachten könnte. An den Fenstern der Häuser – Siofra war sich plötzlich unsicher, ob sie schon immer da gewesen waren und sie diese nur übersehen hatte – standen klecksförmige Schatten, deren leuchtenden runde Augen immer wieder blinzelten. Sie wirkten nicht gefährlich, doch Siofra wollte auch nicht darauf warten, zu sehen, ob sie sich irrte.

Mit zitternden Händen begann sie, ihr Haar zu befreien. Ohne die Panik von zuvor gelang es ihr wesentlich besser, so dass sie innerhalb kürzester Zeit wieder frei war. Kaum war das geschehen setzte sie ihren Weg mit eiligen Schritten fort. Die Blumen lachten.

Sie war unsicher, ob diese Wesen intelligent genug waren, dass man sich vor ihnen für diesen Auftritt schämen müsste. Andererseits war sie auch der Meinung, dass es nicht weiter verwunderlich war, dass man sich in dieser Gegend erschreckte; für sie war hier alles unheimlich.

Endlich gelangte sie an eine Abzweigung. Der Weg geradeaus führte weiter an Reihen von Häusern entlang, die sich bis zum Horizont zu erstrecken schienen. Links war es genau dasselbe. Nur rechts deutete sich eine Änderung an: nach etwa hundert Metern öffnete die Straße sich zu einem großen Platz, und dort glaubte sie Bewegungen wahrnehmen zu können. Genau wie in der normalen Welt.

Vielleicht, so hoffte sie, gab es dort Hilfe. Schließlich war nicht ganz ausgeschlossen, dass die Bewohner der Häuser bösartig waren – und falls doch, dann endete dieser Albtraum bald, wenn sie Glück hatte. Endlich Gewissheit zu bekommen, am besten von jemandem, der nicht wie ein Klecks aussah, wäre außerdem wesentlich besser, als furchtsam und unwissend durch diese Gegend zu stolpern.

Mit hastigen Schritten lief sie in Richtung des Platzes. Je näher sie ihm kam, desto deutlicher wurde eine Melodie, die dort spielte. Obwohl sie der Meinung war, dass Melodie diesen Geräuschen zu sehr schmeichelte. Es war eine Kakophonie an Tönen, wie gequälte Geigensaiten, stampfende Maschinen und quietschende Türangeln. Siofra zog die Stirn kraus. Es war angenehm, nicht mehr nur Stille zu erleben, doch warum gerade dieser Krach?

Nur noch wenige Meter von ihrem Ziel entfernt, wurde ihr bewusst, dass es hier keine Hilfe gab. Die Bewegungen stammten von mehreren Gestalten, Ballerina-Tänzerinnen mit schmutzigen Kleidern – aber ohne Köpfe. Dieser Makel schien sie allerdings nicht zu stören. Sie drehten sich auf den Zehenspitzen um die eigene Achse, sprangen elegant in perfekter Synchronisation, und das alles gelang ihnen sogar in diesem eigenartigen Takt.

Siofra stand unbeachtet von ihnen am Rand des kreisrunden Platzes, und beobachtete dieses eigenartige Schauspiel schweigend. Die Atmosphäre an diesem Ort war anders, sie erzeugte eine Gänsehaut auf Siofras Armen und riet ihr, die Tanzenden nicht durch Geräusche oder anderes zu stören. Auf die Idee wäre sie aber ohnehin nicht gekommen, denn kopflose Tänzerinnen machten ihr noch mehr Angst als die Kleckse in den Häusern.

Die Musik, so erkannte sie beim Umsehen, stammte von einem Grammofon, das nur auf den ersten Blick normal erschien; auf den zweiten entdeckte sie blaue Beine, die in absurd große Füße übergingen.

Sie schlang die Arme um sich, als ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken fuhr. Ihr einziger Wunsch war es, nach Hause zu kommen, warum fand sie dafür keinen Weg?

Um den Platz herum standen Häuser, keine Trapez-Bandschnecken, sondern hässliche Metallblöcke, auf denen grün glühende Linien verliefen. Ein dadurch wanderndes Licht intensivierte das Glühen immer wieder für kurze Zeit, wie ein Puls, der durch sie fuhr. Allerdings erkannte sie keinerlei Muster in diesen Streifen.

Zwei Straßen gingen von dem Platz ab, sie könnte also immer noch einer von dieser folgen. Aber welcher? Sie erkannte keinerlei Hinweise in der Entfernung, die ihr einen Anhaltspunkt geben konnten, schon gar nicht von diesem Ort aus. Wenn sie einen dieser Blöcke erklimmen könnte, dann wäre sie vielleicht in der Lage gewesen, mehr zu sehen. Doch es sah nicht danach aus, als gäbe es einen einfachen Weg, hinauf zu kommen. Sich von den Tänzerinnen abwendend, näherte Siofra sich dem ihr nächsten Block, um ihn genauer zu betrachten und ihre Hand darüber zu streichen. Die Wand war vollkommen glatt, keinerlei Erhebung oder Riss war feststellbar, also war anstrengendes Klettern auch nicht möglich – nicht, dass sie das überhaupt geschafft hätte.

Die Musik verstummte abrupt.

Eiswasser füllte Siofras Inneres. War sie entdeckt worden? Würde man sie nun zerfetzen, fressen, oder was immer diese Wesen hier mit Eindringlingen und Störenfrieden taten?

Langsam drehte sie sich um, nur um zu sehen, dass die Tänzerinnen allesamt in ihrem Bewegungen eingefroren waren. Es war schwer zu sagen, aber dennoch glaubte sie nicht, dass sie in ihre Richtung sahen; das ließ sie zumindest wieder ein wenig aufatmen – bis eine Sirene kreischte.

Siofra schrie erschrocken auf und schlug sich die Hände auf die Ohren. Dennoch fuhr ihr das schrille Dröhnen in den Körper, ließ all ihre Knochen in einem unheiligen Takt vibrieren. Sogar ihre Augen schienen davon betroffen zu sein, alles um sie herum schien zu beben, was es ihr erschwerte, wirklich nachzuverfolgen, was noch geschah. Die zuvor grünen Linien glühten plötzlich in einem roten Licht, der Puls darin beschleunigte sich.

Als wäre die Sirene noch nicht genug Warnung, fuhr es ihr durch den Kopf.

Für die Tänzerinnen war es jedenfalls genug: Unaufgeregt tänzelten und sprangen sie davon, gemeinsam mit dem Grammofon, dessen watschelnder Gang wesentlich uneleganter war. Siofra überlegte, ihnen zu folgen, doch die Furcht vor diesen eigenartigen Wesen und die immer noch kreischende Sirene hielt sie davon ab. Vor was auch immer diese Gestalten flohen, konnte genauso gut ihre Rettung darstellen. Dann war sie am besten beraten, einfach hier zu warten, bis die Hilfe bei ihr ankam.

Doch wieder einmal wurde ihr bewusst, dass sie sich in dieser Welt auf nichts verlassen durfte.

Unter dem Dröhnen wurde plötzlich auch ein schreckliches Brüllen hörbar. Im nächsten Moment stieß die Sirene einen kläglichen Ton aus, dann erstarb sie vollkommen. Siofra nahm die noch immer zitternden Hände von ihren Ohren, ihr gesamter Körper vibrierte nach wie vor. Aufzuatmen konnte sie sich allerdings nicht erlauben, denn die Ursache des Brüllens musste immer noch in der Nähe sein. Sie sah sich um, entdeckte jedoch nichts – als plötzlich etwas mit einem lauten Knall auf dem Platz landete. Steinsplitter wurden in alle Richtungen katapultiert, in einem Reflex hob Siofra die Arme, um ihr Gesicht zu schützen.

»Das darf nicht wahr sein«, flüsterte sie, als ihre Augen auf das fielen, was nun vor ihr stand.

Es war eine Gestalt mit dem Kopf eines Stiers; die Hörner ließen sie unwillkürlich darüber nachdenken, wie es sich anfühlen musste, wenn er einen damit erst einmal aufspießte. Der starke Nacken ging in einen menschlichen Körper über, der mit Flammen bedeckt war.

Als es Siofra entdeckte, sie mit rot-glühenden Augen anstarrte, schlug ihr Herz so schnell, dass sie das Blut in ihren Ohren rauschen hörte. Das Wesen stieß ein wildes Brüllen aus – und rannte auf sie zu!

Der Boden bebte unter den Schritten, das Feuer loderte noch heller. Für den Bruchteil einer Sekunde malte sie sich aus, wie schmerzhaft es sein mochte, damit in Kontakt zu kommen.

Nein, das kann ich nicht zulassen!

Dann kam wieder Leben in ihren Körper. Sie wirbelte herum und rannte davon, zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war. Das Stampfen hinter ihr kam schnell näher, der wackelnde Boden erschwerte es ihr, aufrecht zu bleiben. Hitze zehrte an ihr, verlangte danach, sie zu verschlingen. Schweiß tropfte in ihre Augen, brannte darin und verschlechterte ihre Sicht. Aber sie musste nichts sehen, es kam nur darauf an, dass sie rannte, obwohl ihre Beine aufgeben wollten.

Weiter! Oh Gott, bitte, ich kann hier nicht sterben!

Sie wusste, dass das alles vergebens war. Egal, wie lang sie rannte oder wie schnell, ihr Verfolger würde sie jeden Moment einholen, sie verbrennen, zerreißen, fressen.

Die Hitze war nun direkt hinter ihr, das Monster schnaubte, fast schien es ihr belustigt, als genieße er diese kleine Jagd. Anders als sie.

Ich schaffe das nicht. Es ist unmöglich.

Ihre Beine, die derartige Anstrengungen nicht gewohnt waren, wollten bereits unter ihr wegknicken, sie einfach fallen lassen, um damit ihr Leben zu beenden.

Ich will hier nicht sterben.

Doch wie so oft im Leben ging es nicht so, wie Siofra es wollte. Ihr Fuß gab unter ihr nach, sie fiel der Länge nach zu Boden. Adrenalin verdrängte jeden Schmerz, den sie fühlen konnte. Sie richtete sich mit ihren Armen auf, doch ihre Beine brachen sofort weg.

Von den Umständen besiegt, blieb sie also auf dem Boden sitzen, sie wandte sich lediglich dem flammenden Minotaurus zu. Sie wollte nicht tapfer sein, lediglich wissen, was ihr Schicksal war.

Das war es wohl.

Vor ihrem inneren Auge blitzten Bilder ihrer Familie auf; ihrer Mutter, die ihr den Kopf tätschelte, um sie zu beruhigen, ihr Vater, der kopfschüttelnd mit den Augen rollte, weil sie sich wieder einmal dabei verletzt hatte, sich etwas zu essen zu kochen, eine ganze Riege von Cousins und Cousinnen, die sie stumm verurteilten, für ihre Unfähigkeit, ihre Dummheit, ihre fehlenden Talente, während sie Siofra dabei mit einem schmalen Lächeln bedachten.

Und dennoch wünschte sie sich nichts sehnlicher, als all diese Personen wiederzusehen. Alles wäre in diesem Moment besser, als zu beobachten, wie dieses Monster ihr immer näherkam. Doch der Blick aus den roten Augen des Minotaurus machte es ihr unmöglich, den eigenen abzuwenden.

So nah vor ihr, dass er ihre Haarspitzen ansengte, hielt er wieder inne. Er stieß erneut ein Schnauben aus, und diesmal war sie überzeugt: er war amüsiert. Für ihn war diese Jagd nur ein kleiner Spaß gewesen – und nun streckte er die brennende Hand nach ihr aus.

Sie murmelte unzusammenhängende Bitten vor sich hin, schickte Stoßgebete an alle ihr bekannten Götter, aber die Flammen kamen näher, erhitzten ihr Gesicht so sehr, dass sie glaubte, ihre Haut schäle sich ab.

Es gab keine Gnade. Es war vorbei.

In stummer Resignation schloss sie die Augen, bat innerlich nur noch darum, dass sie schnell ohnmächtig werden würde, um nicht leiden zu müssen.

Ein Knall zerfetzte die Stille, der Minotaurus schrie auf, voller Schmerz, aber auch mit einem Zorn, der sie erzittern ließ. Die Hitze ließ ein wenig nach, so dass sie sich traute, sich wieder umzusehen.

Das Monster war zurückgewichen, eines seiner Augen war fort, an seiner Stelle prangte nun ein blutendes Loch. Dieser Umstand erfüllte es – für Siofra verständlicherweise – mit Zorn, immer wieder wurden die Flammen um seinen Körper so stark, dass sie sich kurzzeitig blau färbten.

Aber was war geschehen? Sie wagte nicht einmal, zu glauben, dass dies eine Hilfe für sie sein könnte, denn beim letzten Mal war nach diesem Gedanken nur der Minotaurus aufgetaucht.

Wahrscheinlich ist es also nur ein anderes Monster, das mich fressen will.

Deswegen versuchte sie nicht einmal, sich wieder aufzurichten und zu rennen, die Hoffnung würde sie nur erneut enttäuschen, noch härter als zuvor.

Der Minotaurus fixierte einen Punkt jenseits von ihr, brüllte und beugte sich vor, um loszustürmen – dann ein weiterer Knall. Etwas zerfetzte eines der Ohren des Monsters, das vor schmerzhaftem Zorn schrie.

»Oh Mann«, sagte jemand mit monotoner Stimme hinter ihr. »Ich habe noch nie jemanden erlebt, der so wenig überleben wollte wie du.«

Es war die erste menschliche Kommunikation, abseits von ihr, seit sie hier war!

Siofra wandte den Kopf und entdeckte einen ihr unbekannten Mann, dessen gelangweilte Miene nicht das war, was sie in dieser Welt erwartet hätte. Er schulterte locker ein silbernes, verziertes Gewehr, und musterte sie von oben herab. Sie konnte ihn nur fassungslos anstarren, nachdem sie gerade noch geglaubt hatte, sterben zu müssen.

Wortlos legte er mit der Waffe an, feuerte einen Schuss ab, worauf das Monster noch einmal schrie, dann lehnte er es erneut an seine Schulter, dabei unterbrach er nicht ein Mal ihren Blickkontakt. Die von ihm ausgehende Ruhe und Gelassenheit griff auf sie über, so dass sie sich vollkommen sicher fühlte und nicht einmal mehr zur einstigen Gefahrenquelle sehen musste. Davon eingelullt stellte sie einfach die erste Frage, die ihr in den Sinn kam: »Bist du mein Schutzengel?«

Er hob eine Augenbraue. »Das ist das erste Mal, dass irgendwer mich für einen Engel hält.«

»Aber-«

Mit einer abwehrenden Handbewegung brachte er sie abrupt zum Schweigen. »Deswegen unterhalte ich mich nicht mit den Geretteten.«

Als er noch einmal anlegte, gab er direkt zwei Schüsse ab. Siofra sah auch diesmal nicht nach, aber den Schreien nach, hatte er beide Male getroffen.

Seufzend blickte er zur Seite, zu den Trapez-Bandschnecken-Gebäuden. »Hey! Hörst du nicht?! Eigentlich sollte das dein dämlicher Auftritt sein!«

War noch jemand hier? Sie folgte seinem Blick, entdeckte aber niemanden, nicht einmal mehr die Klecks-Wesen, was aber kein Kunststück war, denn die Fenster waren auch wieder verschwunden.

Da nichts geschah, und sie nicht verstand, worauf der Mann eigentlich wartete, wollte sie ihn gerade danach fragen – als plötzlich ein auf das Haus gerichteter Lichtkegel erschien. Ein weiterer Mann stand dort, in einem dunklen Mantel und schwarzen Haaren, er hatte die Hände in die Hüften gestemmt und blickte auf sie herab.

Siofras Retter seufzte. »Jetzt geht’s wieder los.«

Der Mann auf dem Haus räusperte sich, ehe er zu sprechen begann: »Einen Menschen in diese Welt zu entführen ist unverzeihlich! Diesen Menschen dann auch noch umbringen zu wollen, ist eine Tat, die ich nicht einfach vergeben kann!«

Ihr Retter rollte mit den Augen, doch der andere kümmerte sich darum nicht, sondern deutete mit dem Finger auf den brennenden Minotaurus. »Deshalb werde ich dich bestrafen, so wahr mein Name Kieran Lane ist!«
 



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