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Zwischen uns und dem Horizont

Yamato/Tenzou und Kakashi
von

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Worte

Kapitel 2

 

 
 

Der Satz hallte in meinem Kopf wie ein Echo zwischen einer Schlucht. Es lebte. Als hätte es seinem Schicksal getrotzt, gegen all die Lieblosigkeit und Gewalt ein Zeichen gesetzt. Es lebte. Ein Sieg über Orochimaru Machenschaften wäre es gewesen, würden wir nicht in einer Welt voller Leid existieren. Es lebte. Was hatte es gewonnen? Außer ein Leben voller Schmerz und Entbehrung. Es lebte.

Ich hievte meinen Körper hoch, wankte zum Fenster und griff nach dem Rahmen, um mich abzustützen, als könnte er mir den Halt zurückgeben, den ich innerlich verlor.

»Das ändert nichts an der Mission«, sagte ich und balancierte an einer Lüge entlang. »Es ist ein Experiment Orochimarus.«

›Warum wurden manche Geschöpfe in Liebe geboren?‹

›Und andere lieblos in die Welt geworfen?‹

Kakashi lehnte sich zurück an den Baumstamm, ließ ein Bein vom Ast hängen und seinen Blick zum Sternenhimmel wandern, als stünden dort Tatsachen, für die ich blind war. Der Mond malte einen silbernen Glanz über sein Haar und das Gesicht und die Maske und verschleierte die Narben des Tages unter seinem glänzenden Schein.

»Das sagt viel über Orochimaru aus, aber wenig über den Jungen«, raunte er und ich schnaubte. Als würde es unabhängig von Orochimarus Intentionen existieren. Es war kein Kind, das lieblos in die Welt geworfen wurde. Es war mit den Gedanken erschaffen worden, jemandem zu dienen. Wofür? Das galt es auf der Mission zu spezifizieren. Es war ein Werkzeug und diese Tatsache formte seine Existenz bis in die letzte Zelle. Wozu? Das war das Geheimnis, das sich zu wenige Personen trauten zu entschleiern.

»Ich fürchte, das sehen die Dorfältesten anders. Es wird niemals hier als gewöhnlicher Mensch angesehen werden. Es wird immer eine missratene Kreatur bleiben.«

»Siehst du dich so?«

Ich strauchelte. Wäre ich gelaufen, ich wäre gestolpert und mit voller Geschwindigkeit auf mein Gesicht geprallt, aber so stand ich am Fenster und presste die Lippen aufeinander. Kakashi schaute mich an und ich wünschte mir, sein Blick würde sich in der Dunkelheit auflösen.

»Es geht nicht darum, wie ich mich sehe.«

Er sagte nichts und in dem Schweigen zwischen uns hallte sein Widerspruch. Trotz der Stille dröhnte mir das, was er hätte sagen können in den Ohren. Immer wieder schaffte er es, seine Ansicht ohne Worte auszudrücken. Über den Ast schlenderte er zu meinem Fenster, stützte sich mit beiden Ellenbogen auf das Fensterbrett und seufzte.

»Diese Mission tut dir nicht gut.«

Sein Arm lag gerade so weit von meiner Hand entfernt, dass wir uns nicht berührten, doch seine Nähe bohrte sich in mein Bewusstsein und verdrängte die Leere in meinem Inneren. Als flutete sein Dasein mein eigenes. Ich fürchtete die Augenblicke danach.

»Das ist auch nicht ihr Zweck«, murrte ich. »Wir gehen ja nicht auf einen Wellnesstrip.«

»So wie du aussiehst, würde dir das aber guttun.«

Ich verdrehte die Augen und wollte ihm mein Kopfkissen ins Gesicht hauen. Aber dafür war ich zu erschöpft. Nicht einmal davon angefangen, dass er wahrscheinlich recht hatte.

Die Wahrheit war, jeder Auftrag verschlang ein Stück des eigenen Selbst, zerstörte ein Teil des Puzzles der Persönlichkeit. Irgendwann blieb nichts mehr übrig und wenn ich starb, würde niemand mein wahres Ich betrauern. Doch das war in Ordnung, denn so war mein Weg des Ninja.
 

»Vergiss meine Namen, wenn ich sterbe«, flüsterte ich.

Weil ich keine Bürde sein wollte, wenn ich tot war. Nicht der Grund, dass Kakashi am Denkmal stand. Ein ANBU sollte keine Trauernden hinterlassen. Das war eine hohe Priorität. Niemand sollte die Anwesenheit eines ANBU zu seiner Lebzeit wahrnehmen, niemand sollte seine Abwesenheit bemerken.

Wenn Kakashi der Themensprung irritierte, dann ließ er es sich nicht anmerken. Im Gegenteil. Ich verließ mich stets darauf, dass er eine Antwort heraushaute.

»Du glaubst echt, du würdest vor mir sterben?«

»Ich glaube, der Einzige, der die meisten meiner Namen kennt, bist du.«

Es war simpler, im Schatten zu leben, zu krepieren und keine Verantwortung für Hinterbliebene zu schultern. Das erleichterte die Mission. Selbst, wenn es bedeutete, allmählich zu einem Niemand zu verschwimmen. Nichts war so wichtig wie dieser Auftrag. 

»Kinder verschwinden aus Dörfern und es ist wahrscheinlicher, dass jemand aus dem ANBU-Team genau wie sie nicht zurückkommt, als dass wir die Mission erfüllen. Wir holen Orochimaru ein, aber das macht ihn gefährlicher.«

Seine Hand berührte nicht die meinige, denn zwischen uns lagen gut zwanzig Zentimeter, zwei Posten, zwei Vergangenheiten und eine Mission.

»Vielleicht solltest du wirklich nicht gehen.«

Ich starrte ihn an, aber er schaute nicht zurück, und als ich seinem Blick folgte, wanderte er über meine ANBU-Uniform, die ich achtlos auf den Boden geworfen hatte.

»Wenn du mich unbedingt davon abhalten willst, dann verbiete es mir doch.«

Die Müdigkeit schlich sich zwischen meine Worte, aber auch die Sturheit, die mich die Kraft zusammenkratzen ließ, immer weiter zu kämpfen. Bis ich irgendwann nicht zurückkommen würde. Er seufzte.

»Ich werde es dir nicht verbieten«, raunte er und fuhr sich durch sein Haar, was es chaotischer abstehen ließ. Ich hätte geschmunzelt, wären meine Mundwinkel nicht durch unser Gesprächsthema versteinert.

»Ich muss das tun«, flüsterte ich.

Dieser Auftrag war bedeutungsvoller als alles andere in meinem Leben, selbstverständlich wichtiger als ich selbst, aber sogar bedeutsamer als er. 

»Ich weiß.«

Die Worte strichen über mich wie eine warme Brise und ich wünschte mir, diese zwanzig Zentimeter zwischen uns könnten in einer Bewegung überwunden werden. Doch wir hingen in unseren Posten, in unseren Vergangenheiten und Missionen fest und schafften es nicht, eine Handbreite weit auszubrechen.

 »Ich will nur gerne, dass du dich einmal so siehst, wie ich dich sehe.«

Ich starrte ihn irritiert an.

»Ist das eine Zeile aus einem dieser Schundhefte?«

»Dadurch wird es nicht weniger wahr«, erwiderte er mit einem Zwinkern und verschwand mit einem Pfuff.

Die Augenblicke danach pressten die Luft aus meiner Lunge, als würde ich erst jetzt bemerken, wie lange ich unter Wasser getaucht war, um Atem ringend. Diese Momente nach ihm. So sehr mich seine Präsenz umspülte, so stark breitete sich ein Vakuum ohne ihn aus, in dem die gefährliche Möglichkeit entstand, mein Ziel in Frage zu stellen. Es gab nichts außer der Mission im Leben eines ANBU. Diesen Gedanken hämmerte ich in meinen Kopf. Dieses Mantra hielt mich aufrecht. Wenn ich diese Gewissheit losließ, würde alles um mich herum wie ein Puzzle auseinanderfallen.

›Ich lebe dieses Dasein, damit andere es nicht müssen.‹

›Ich bin eine Stütze des Dorfes, auf der das Wohl der Menschen steht.‹

Ich stolperte in das Bett und presste das Gesicht ins Kissen, doch die Bilder von ihm tanzten in meinen Gedanken.

 

 

 

Der Geruch von Morgentau schwebte in der Luft, als ich an unserem Treffpunkt am Rande von Konoha Ausschau hielt. Der Sonnenaufgang malte Orange und Pink über den Horizont und das Zwitschern der Vögel würde dem Anfang unseres Auftrags eine unangebracht sorgfreie Hintergrundmusik verleihen. Ich hockte im Baum und wartete nicht auf ihn. Ich erwartete nicht, dass er sich verabschiedete, weil es meine letzte Mission sein könnte, denn jede konnte die letzte sein. Mit dieser Möglichkeit lebte ein ANBU. Er war der Hokage und sein Terminkalender berstend voll. Natürlich maß ich mir da nicht an –

»Du hättest ausschlafen sollen. Dein Gesicht sieht furchtbar aus.«

Seine Stimme spülte alle Gedanken davon. Für einen Moment badete ich in seiner Gegenwart und ließ seine Intonation der Wörter über mich fließen wie eine warme Dusche, dann drehte ich mich zu ihm.

»Ja, leider hat mich ein komischer Typ wachgehalten und – hey! Du kannst mein Gesicht gar nicht sehen!«

Ich rückte meine Maske zurecht, obwohl sie perfekt saß, stand in voller ANBU-Montur zwischen den Ästen und musterte ihn aus schmalen Augen. Er zuckte mit den Schultern und grinste. In seinem Blick spiegelte sich sein Lächeln.

»Brichst du gerade das Protokoll? Oder was ist aus Sechster und Hokage-sama geworden?«, säuselte er.

»Die Mission startet erst in einer Viertelstunde. Bis dahin bist du Kakashi, der nervigste Teamkamerad in meiner gesamten Karriere.«

»Hauptsache ein Superlativ.«
 

Am liebsten hätte ich ihn vom Baum geschubst, aber die Strafe des Exils oder die Versetzung aus den ANBU mit der Begründung ›stieß den ehrwürdigen Hokage vom Ast‹ schien mir dann doch zu unehrenhaft.

Auf seinem Haar malten die Farben des Sonnenaufgangs orangene und lila Strähnen. Ich hätte die Finger ausstrecken und sie berühren können. Das Exil wurde bei dem Gedanken attraktiver. Den Kopf schüttelnd zwang ich meinen Blick in die Ferne und tat so, als würde ich mich mental auf die Mission vorbereiten und nicht die Farbnuancen in seinem Haar zählen. Vielleicht brauchte ich wirklich einen Wellnesstrip. Am besten ganz weit weg.

Schiefer Gesang zog mich aus meinem Unbehagen und ich seufzte, als ich einen blonden Schopf zwischen dem Gebüsch hüpfen sah. Naruto trampelte über den Pfad und sang aus voller Brust und neben jedem Ton. Seine ANBU-Maske trug er wie einen Hut und seine Uniform hing lässig um seine Schulter. Er machte den Eindruck, sich auf einen Schulausflug zu begeben.

»Hoffen wir mal, er kündigt sich so nicht Orochimaru an«, murmelte Kakashi und ich schnaufte.

»In diese Wette würde ich nicht einsteigen.«

Naruto war einer der lustigsten, aufopferungsbereitesten, stursten, mutigsten und loyalsten Menschen, die mir in meinem bisherigen Leben begegnet waren und er war der schlechteste ANBU, den Konoha je gesehen hatte.

»Ich wünsche dir viel – Spaß«, flüsterte Kakashi mit einem Ausdruck in den Augen, der wohl weniger auf Vergnügen als auf eine sichere Rückkehr drang. Vielleicht erhoffte ich mir aber auch nur zu sehr, ihm möge an mir so viel liegen, dass er seine stoische Fassade abstreifte. Dass ich nicht nur sein Werkzeug war. Er drückte mir ein gefaltetes Papier in die Finger, was mich stutzen ließ, und ich öffnete den Mund. Aber er lehnte sich nur vor, tippte mir gegen meine ANBU-Maske, grinste schief und verschwand in einer Dunstwolke.

Zurückblieben das Gefühl von Leere und das Blatt in meiner Hand.
 

»Yamato-taichou!«, rief Naruto aufgeregt, entdeckte mich endlich zwischen den Baumkronen und ich verdrehte innerlich die Augen, musste aber gegen jedes Protokoll lächeln. Er würde nie begreifen, dass eine Tarnung mittels Codenamen und Masken nur so gut war, wie das Schweigen darüber. Und ich hoffte, er würde stets an der Individualität, die er jeder Person damit zugestand, festhalten. Für Naruto und Hinata und ganz Konoha klammerte ich mich an den Wunsch, die Obersten würden dieses Experiment ›Naruto in der ANBU‹ möglichst bald für beendet erklären. Nicht jeden tapferen Ninja mussten sie in die Emotionslosigkeit zwingen, in die Resignation zwängen und dann als Helden begraben.

»Heute fangen wir Orochimaru!«, sagte er, als würde er es mir versprechen, und streckte mir seinen Daumen entgegen. In der Rolle des Teamführers hätte ich ihn verwarnen müssen, priorisierte Informationen auszublabbern, aber als Mensch mit Zweifeln, suhlte ich mich in Narutos Optimismus.

Sai tauchte neben uns aus dem Nichts auf und begrüßte mit seinem Schweigen, nickte lediglich, als würden wir uns nicht gleich aufmachen und unsere Leben einander anvertrauen. Diese Minuten vor einer Mission lagen mir besonders schwer im Bauch; die Ungewissheit, was uns erwartete, und das Adrenalin noch zu niedrig, um den reinen Überlebensinstinkt walten zu lassen. Bis jetzt waren wir Menschen, die Ängste und Zweifel und Sehnsüchte hegten, aber in wenigen Augenblicken waren wir Werkzeuge ohne das Recht auf eigene Gefühle.

Das Papier knisterte in meinen Fingern, zog mich zurück in eine alternative Realität, was hätte sein können, wäre ich nicht auf einer Mission, die mich immer weiter von ihm entfernte. Ich entfaltete es und begriff, es war eine Seite aus einem Buch. Unterstrichen waren wenige Sätze.

Mit einem Seufzen schlang er seine Arme um sie. 

»Ich bin es nicht. Ich bin nur ein Straßenmädchen ohne Vergangenheit und Zukunft.«

»Meine Liebste, meine Liebste! Deine Worte schmerzen tief in meiner Brust, wo deine liebliche Wärme die Leere verjagt. Wie siehst du aus deinem Blick dich selbst? Ich will nur gerne, dass du dich einmal so siehst, wie ich dich sehe.«

»Was ist das? Eine geheime Botschaft?«, fragte Naruto und drückte seinen Kopf zwischen mich und die ausgerissene Buchseite. Doch bevor er etwas las, faltete ich das Papier und steckte es in die Hosentasche. Meine Gedanken klebten an der Ecke der Seite, wo Kakashi mit seiner krakeligen Schrift Worte hinterlassen hatten, die mich zum Wanken brachten.

»Wenn es so wäre, dann würde er sie dir nicht mitteilen«, erwiderte Sai nonchalant.

Worte, die mich in ein Loch stürzten. 

»Natürlich würde er das!«

»Dann wäre es wohl kaum eine geheime Botschaft.«

Und wieder heraus hievten.

Mit einer Bewegung zog ich Naruto seine Maske auf und rückte sie zurecht, obwohl sich in meinem Inneren alles dagegen sträubte, ihn in diese Rolle zu drücken. Sais Uniform saß perfekt und ich wünschte mir, sie würde es nicht. Ich betrachtete die beiden, als müsste ich diese Momente in mir speichern, weil sie sonst verloren gingen. Diese Augenblicke vor einer Mission, von der niemand wusste, ob wir wiederkämen, ob wir uns selbst noch erkennen würden, wenn wir wieder hier stünden, weil nach jedem Auftrag, ein Stück des eigenen Selbst fehlte.

›Bitte lass sie zurückkommen.‹

›Bitte lass sie sie selbst bleiben.‹

›Bitte lass diese Mission nicht unsere letzte sein.‹

Ich klammerte mich noch einige Sekunden an Kakashis geschriebene Worte, wie ein Seil, das meine Gedankenwelt hier festband, und riss mich dann von ihnen los. Das Papier schien sich durch die Hosentasche zu brennen, wo diese Zusage stand wie ein Schwur.

›Ich werde keinen einzigen deiner Namen vergessen. Besser du kommst zurück.‹



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  rokugatsu-go
2021-05-09T13:48:59+00:00 09.05.2021 15:48
Nachdem ich das erste Kapitel stellenweise arg niederschmetternd fand, weil Yamato anscheind komplett in Depressionen versunken ist, stimmt mich das zweite etwas hoffnungsvoller. Mir gefällt, wie Kakashi versucht, sich um Yamato zu kümmern, ohne sich zu sehr aufzudrängen und du lässt ihn dabei IC rüberkommen. Der ganze Teil mit der Buchseite ist eine schöne Idee und - ah~, besonders der letzte Satz <3.
Gut, dass du hier erklärst, was Naruto in der Anbu verloren hat (nämlich gar nix), das hat mich nämlich im ersten Kapitel sehr verwirrt zurückgelassen. Das düstere Setting weckt auf jeden Fall Interesse und es lässt ebenso noch offen, in welche Richtung die FF sich wohl entwickeln mag.
Von:  Leledezember
2021-04-10T17:38:02+00:00 10.04.2021 19:38
Hey,

Ich finde die Story bisher echt gut und würde mich freuen wenn es noch mehr davon geben würde:)
natürlich nur wenn du auch zeit zu schreiben hast und natürlich die Ideen dazu.
Ich hab jedoch noch eine Frage an dich.
Vertonst du immer noch deine Fanfics? Ich habe deine Frage im Forum gelesen wo du Vorleser gesucht hast, und falls du da noch aktiv bist würde ich mich gerne dafür bereitstellen :)

alles liebe, deine Lele


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