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Champ Stories 2

Band 2: Ralia
von
Koautor:  Flordelis

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Du weißt ja, heute ist Vollmond

In den letzten Tagen war Raelene gegenüber Ralia zurückhaltend geblieben, um sie nicht zu bedrängen. Vorerst wollte sie ihnen beiden die nötige Zeit geben, sich aneinander zu gewöhnen. Sich neu kennenzulernen. Immerhin hatte Ralia lange nur auf der Ranch gelebt.

So etwas sollte nie wieder vorkommen, bei keinem ihrer Pokémon, sonst entfremdete sie sich am Ende auch noch von den anderen.

Solange Raelene stets einen gewissen Abstand zu ihrem Glurak einhielt, entstanden keine nennenswerte Probleme. Leider hatte Ralia aber keinerlei Interesse daran, sich wenigstens mit den anderen Pokémon anzufreunden, sondern wies vehement alle ab. Als wollte sie unbedingt alleine sein, doch sie sah nie wirklich glücklich dabei aus. Vielleicht besserte sich das noch in den nächsten Tagen.

Schließlich war endlich der Zeitpunkt gekommen, für den Raelene Gorgasonn von der Ranch abgeholt hatte. Heute Nacht war Vollmond. Eine willkommene Abwechslung für alle, aber hoffentlich auch eine angenehme Ablenkung von der Anspannung, mit der Ralia immerzu jeden abwies.

Daher saßen Delion und Raelene in dieser Sekunde auf seinem Glurak und begaben sich zu dem Ort, wo das Ereignis stattfinden würde. Im Moment flogen sie über den südlichen Teil der Naturzone hinweg und näherten sich der Wachturmruine, von dort aus musste Raelene Glurak erklären, in welche Richtung er weiterfliegen müsste.

„Siehst du den großen Berg da hinten?“, fragte sie Glurak. „Der, wo auch die Züge nach Engine City durchfahren. Dort müssen wir hin, zu einer Stelle weiter oben auf dem Berg. Flieg aber erst mal näher ran.“

Bestimmt hörte Glurak nicht einfach auf jeden, der nicht Delion war. Warum sollte er? Deshalb freute es Raelene umso mehr, dass Glurak ihren Anweisungen ohne Widerworte folgte und den Berg ansteuerte, statt noch auf die Zustimmung seines Trainers zu warten. Da sie Delions Freundin war schien er automatisch davon auszugehen, dass sie nichts Schlimmes plante und er ihr vertrauen konnte. Im Notfall wäre ohnehin auch noch Delion anwesend, der den Kurs korrigieren könnte, was er in diesem Fall aber nicht tat.

Je näher sie dem Berg kamen, desto mehr lehnte Raelene sich vor, damit sie besser Ausschau halten konnte. Schnell entdeckte sie die Stelle, zu der sie fliegen mussten: Eine übersichtliche gerade Fläche, beinahe vollständig bedeckt von einem Hain. Ein kleiner Teich lag versteckt zwischen den Bäumen, was man nur von ihrer erhöhten Position aus gut erkennen konnte.

Diese Fläche befand sich weit genug oben, so dass der Lärm von den Zügen, die regelmäßig unten durch den Berg fuhren, kaum dort ankam. Außerdem lag der Ort zum Teil versteckt in einer Einbuchtung, weshalb er leicht zu übersehen war, sofern man nicht gezielt danach suchte.

„Da ist unser Ziel~“, verkündete Raelene, und deutete zu einem Punkt außerhalb des Hains.

Von Glurak folgte ein verstehendes Brummen. Vermutlich konnte er außer dem Hain sonst nichts Interessantes in der Nähe entdecken und hatte sich aus diesem Grund schon gedacht, dass sie dort hin wollte. Nach Raelenes Bestätigung setzte er zum Sinkflug und kurz danach zur Landung an. Viel vorsichtiger als sonst, sicher um besser darauf achten zu können, nicht aus Versehen einen Baum mit seinem Schweif oder seinen Flügeln zu treffen.

Ohne Probleme gelang es Glurak auf dem Boden neben dem Hain zu landen, wofür Delion ihn lobte und zufrieden gegen seinen Hals klopfte. Anschließend stieg er zusammen mit Raelene ab, die Glurak dankbar zunickte.

Die Gegend an sich wirkte etwas karg, trotz der Bäume, und es gab mehr Unkraut als alles andere. Auf den ersten Blick waren nicht mal wilde Pokémon zu sehen, denn die meisten versteckten sich garantiert in den Felsspalten oder in den kleinen Höhlen im Berg. Dafür war es angenehm ruhig, wenn nicht gerade ein sanftes Rauschen aus der Ferne an die Züge unter ihnen erinnerte.

Delion ließ den Blick ein wenig schweifen. Ihm war anzusehen, dass er von der Schlichtheit dieses Ortes ein bisschen überrascht war, aber wirklich zu stören schien ihn das nicht. Demnach hatte er wohl sowieso nicht mit irgendeiner schicken Kulisse gerechnet.

„Ich weiß, es sieht nicht sehr spannend aus hier“, entschuldigte Raelene sich trotzdem. „Aber wenn es gleich dunkel wird, ändert sich das schnell.“

„Ich bin schon gespannt.“ Unsicher sah Delion sie an. „Müssen wir uns irgendwie verstecken?“

Da er, nach eigener Aussage, zuvor noch nie so einem Event beigewohnt hatte, konnte er natürlich nicht wissen wie genau er sich verhalten musste.

Kopfschüttelnd holte Raelene Gorgasonns Pokéball hervor und ließ sie nach draußen, während sie ihm antwortete. „Es reicht, wenn wir respektvoll Abstand halten. Gorgasonn wird den anderen mitteilen, dass wir keine Gefahr sind. Oft reicht das, damit wir bleiben und zusehen können.“

Nio meinte mal zu ihr, die Geister-Pokémon würden es ihnen deutlich zu verstehen geben, sollten sie doch unerwünscht sein. Laut ihm blieben sie aber meistens recht friedlich, solange man ein gutes Herz besaß. Auf einen Menschen mit einem bösen Wesen reagierten wilde Geister-Pokémon nämlich angeblich ... in unschöner Weise gereizt.

Bei Delion sollte es auf jeden Fall keine Probleme geben. Und Raelene hatte schon öfter den Gorgasonns zusehen dürfen, also betrachteten die Pokémon sie zumindest nicht als böse oder störend.

„Na, freust du dich schon?“, hakte sie bei Gorgasonn nach. Raelene ließ es sich nicht nehmen, ihr Pokémon liebevoll zu umarmen, wovon Gorgasonn sie mit besorgten Lauten abzuhalten versuchte. „Nur ein bisschen. Ich komme eh kaum noch dazu, seit du Endynalos kennengelernt hast.“

„Keine Sorge“, sagte Delion beruhigend zu Gorgasonn, „ich bin ja hier und kann auf sie aufpassen, wenn sie zu schwach wird.“

Tatsächlich schien Gorgasonn erleichtert zu sein, wenn Raelene ihren hohen Laut, den sie dankend an Delion richtete, korrekt deutete. Dabei gab es wirklich keinen Grund zur Sorge. Sobald das Schauspiel losging und sie nur als Gäste anwesend waren, könnte Raelene sich in der Zwischenzeit nebenbei in Ruhe erholen. Also dürfte es keine Probleme geben, auch nicht auf dem Heimflug.

Aber selbst wenn, es war durchaus auch für Raelene beruhigend, zu wissen, dass Delion hier war und sie festhalten würde. Ihr könnte gar nichts passieren.

„Siehst du? Also alles gut~.“ Wohlig seufzend rieb Raelene ihre Wange an Gorgasonns Gesicht, dem Kern innerhalb ihres Ektoplasmas. „Diesmal kann ich also auch nicht nochmal vom Berg fallen, so wie das eine Mal.“

Schlagartig löste sich die Erleichterung von Gorgasonn in Luft auf und sie war doch wieder sichtlich besorgt.

Genau wie Delion, der auf einmal etwas blass wirkte. „Du ... bist mal vom Berg gefallen?“

Da dieses Ereignis schon lange her war, und sie überlebt hatte, erzählte Raelene ihm die Geschichte ziemlich gelassen: „Ja, das war was! An dem Tag hab ich zu viel Energie an Gorgasonn verloren, weil ich sie umarmt habe. Als dann das große Ereignis losging, wollte ich näher ran. Aber mir war so schwindelig, dass ich den Abhang hier runtergefallen bin. Einige Geister Pokémon haben mich aber aufgefangen und zurück nach oben gebracht. Ist also alles gut ausgegangen~.“

Hilfesuchend lenkte Gorgasonn den Blick zu Delion, als wollte sie ihn stumm anflehen, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht noch einmal passieren konnte. Obwohl sie beide noch keine wirklich feste Bindung zueinander hatten aufbauen können, nickte er ihr daraufhin voller Verständnis zu. Danach lenkte er seine Aufmerksamkeit zurück zu Raelene und setzte dieses ernste Gesicht auf, mit dem er sie damals manchmal getadelt hatte. Instinktiv zog sie den Kopf ein, als er den Mund öffnete, doch er hielt inne. Anstelle einer Predigt stieß Delion nur einen leisen Seufzer aus.

„Ja, es ist alles gut ausgegangen“, kommentierte er zögerlich.

Anscheinend dachte er, dass es inzwischen viel zu spät dafür war, ihr wegen dieses Unfalls noch Vorwürfe zu machen. Also konnte Raelene sich wieder entspannen.

„Aber zukünftig achten wir da ein bisschen mehr darauf, okay?“, bat Delion sie. „So etwas darf nie wieder passieren.“

In seinem Gesicht stand geschrieben, wie froh er darüber war, dass sie überhaupt noch lebte. Erst in diesem Moment wurde Raelene bewusst, etwas zu sorglos von ihrem Sturz gesprochen zu haben. Gorgasonn hatte zwar von Natur aus immerzu einen traurigen Ausdruck, doch auch ihr Blick zu Delion gerade eben hatte Bände gesprochen. Und seine Mimik genau jetzt tat das ebenso.

Möglicherweise rührte Ralias Wut ihr gegenüber daher, weil Raelene so unvorsichtig war und ständig drohte sich zu verletzen. Für ein Pokémon musste das nervenaufreibend und auf Dauer unerträglich sein.

Raelene ließ von Gorgasonn ab und schwankte aufgrund des Energieverlustes ein wenig. Als Stütze hielt Delion sie kurz an der Schulter fest.

Schuldbewusst senkte sie den Kopf. „Ja, ich werde besser aufpassen.“

„Gut.“ Seine Sorge wurde von Entschlossenheit abgelöst. „Ich bin ja jetzt da, also werde ich auch auf dich aufpassen.“

„Danke“, murmelte sie gerührt.

Gerade, als Raelene dachte, dass sie ihm besser niemals von all ihren Unfällen während ihrer Arena-Challenge erzählen sollte, merkte Delion an, diese Geschichten dringend mal hören zu wollen. Eventuell müsse er einige Änderungen vornehmen, je nachdem wo genau sie sich überall verletzt hatte oder gestürzt war. Warum wollte er das so detailliert wissen? Was für Änderungen? Dabei hatte Raelene ihn eigentlich nicht erneut schocken wollen, aber wenn er darauf bestand, käme sie wohl nicht drumherum.

Allerdings gab es für heute schon – glücklicherweise – andere Pläne.

„Ach, ich hatte überlegt, dass wir Endynalos auch zuschauen lassen sollten“, schlug Raelene vor, womit sie geschickt das Thema wechselte. Sie hob den Kopf wieder und grinste zuversichtlich. „Das gefällt ihm bestimmt. Falls sich die Geister-Pokémon gestört fühlen, können wir ihn immer noch wieder in den Ball zurückschicken.“

Endynalos hatte während seines Lebens in Galar noch nicht so viele schöne Erinnerungen sammeln können, da wäre es also gut, ihn das bei jeder Gelegenheit nachholen zu lassen – in diesem Fall könnten Delion und er diese erste Erfahrung sogar teilen.

An dem Themenwechsel störte Delion sich nicht nicht, sondern ging direkt darauf ein: „Gute Idee. Endynalos interessiert sich garantiert dafür.“

„Schwieriger könnte es eher mit Ralia werden ...“

„Meinst du?“ Nachdenklich schloss Delion die Augen und verschränkte die Arme. „Ich denke, Ralia wird nicht negativ auffallen. Du sagtest doch, ihr gefällt dieses Ritual auch.“

„Oh ja, als Glumanda war sie ganz verrückt danach~.“ Diese Erinnerung brachte Raelene zum Lächeln. „Sie war schon einige Male nicht mehr dabei. Hoffentlich freut sie sich.“

Prüfend warf Raelene einen Blick in den Himmel und bemerkte, dass bereits die Dämmerung anbrach.

„Bald tauchen die ersten Pokémon hier auf.“ Raelene griff nach Ralias Pokéball. „Bis der Vollmond da ist, dauert es aber noch ein Weilchen. Wir können es uns ja schon mal gemütlich machen.“

„Dafür bin ich auch.“

Während Raelene den Pokéball von Ralia noch gedankenverloren betrachtete, warf Delion den von Endynalos derweil bereits in die Luft, um ihn freizulassen. Sofort hüpfte Gorgasonn Endynalos entgegen und fing – so freudig wie es einem Pokémon von ihrer Art eben möglich war – an, ihm zu erzählen, weswegen sie hier waren. Eigentlich hatten sie mit ihren Pokémon schon im Vorfeld darüber gesprochen, was für einen Ausflug sie planten, aber Gorgasonn konnte es bestimmt noch besser erklären.

Außerdem war Gorgasonn gerne in der Nähe von Endynalos, also wollte Raelene sie nicht davon abhalten. Da er über eine Menge Energie verfügte, konnte Gorgasonn bei ihm sein, ohne sich darüber zu sorgen, dass sie ihn zu sehr schwächen könnte. Für Raelene war es daher verständlich, warum Gorgasonn schon nach wenigen Tagen so sehr an ihm hing. Und Endynalos gefiel diese Aufmerksamkeit bislang ganz gut.

Während Gorgasonn sich also mit Endynalos beschäftigte, ließ Raelene auch Ralia nach draußen. Wie üblich knurrte ihr Glurak erst mal angespannt und sah sich um, bereit, jeden in die Flucht zu schlagen, falls es nötig sein sollte. Obwohl alle anderen vollkommen entspannt waren, änderte sich nichts an Ralias Verhalten. Sie schien stets irgendeine Gefahr in der Nähe zu erwarten.

„Wir waren schon mal hier, erinnerst du dich?“, sprach Raelene sie ruhig an, wofür sie direkt einen finsteren Blick von Ralia wegstecken musste. „Du weißt ja, heute ist Vollmond. Denk dran, Geister-Pokémon sind sehr sensibel, also lass uns heute besonders friedlich bleiben.“

Statt genervt zu reagieren, riss Ralia sich erstaunlich schnell zusammen und wandte sich nur kommentarlos ab, um sich schon mal einen Platz zu suchen, wo sie sich die nächsten Stunden in Ruhe hinlegen könnte. Eine gute Reaktion.

Das fand auch Delion, der Ralia mit seinem Blick folgte. „Sieht so aus, als wäre sie einverstanden.“

Beruhigt nickte Raelene ihm zu. Also dürfte es keine Probleme geben, sie könnten diesem Spektakel unbesorgt beiwohnen. Zwei Gluraks und ein legendäres Pokémon auf einmal waren als Zuschauer zuvor zwar sicher noch nie bei diesem Ereignis anwesend, aber sie wollte daran glauben, dass alles gut ausgehen würde.

So langsam wuchs auch Delions Aufregung merklich. Da sogar Ralia so bereitwillig Ruhe gab, musste ihn das erst recht neugierig gemacht haben. Noch blieb ihnen aber nichts anderes übrig, als zu warten – was ihm mit jeder Sekunde ein wenig schwerer zu fallen schien. Irgendwie fragte Raelene sich, ob er als junger Challenger damals ähnlich aufgeregt gewesen war, während er das erste Mal die Region erkundete.

Eine Ablenkung könnte das Warten an dieser Stelle etwas erleichtern, darum bat Raelene Delion darum, ihr ein wenig bei den Vorbereitungen zur Hand zu gehen. Dafür nahm sie Glurak das Gepäck ab, das er wieder für sie festgehalten hatte. Dank ihm musste sie ihren Rucksack schon lange nicht mehr selbst schleppen, was das Reisen sehr viel angenehmer machte. Und Glurak bekam dafür immer besonders große Portionen beim Essen.

Raelene hatte eine der Picknickdecken eingepackt, die ausgebreitet werden musste. Ein kleines Feuer benötigten sie ebenfalls, auch wenn es dank dem Vollmond in dieser Nacht nicht stockdunkel wäre, doch schon für die Wärme sollten sie nicht darauf verzichten. Außerdem wollte sie nicht nochmal aus Versehen zu nahe an den Abhang kommen, wobei etwas mehr Licht sich als hilfreich erweisen dürfte.

In Ruhe bereiteten sie alles vor und durch diese Beschäftigung verflog die Zeit wesentlich schneller. Nach einer Weile war die Sonne fast nicht mehr zu sehen, der Mond eroberte sich inzwischen seinen Platz am Himmel. Gespannt hielt Raelene schon nach den ersten Geister-Pokémon Ausschau und entdeckte bald tatsächlich welche, gerade als sie noch etwas Holz in das Feuer warf.

„Sie kommen“, flüsterte sie Delion zu und nickte Richtung Abhang. „Schau~.“

Weil er sich vor lauter Spannung mit so viel Schwung umdrehte, hätte er beinahe das Holz fallengelassen, das er als Vorrat neben dem Lagerfeuer stapelte, gewann sein Gleichgewicht jedoch rechtzeitig zurück. Schnell, aber vorsichtig, legte er alles ab und starrte danach gespannt zu der Stelle, zu der Raelene gedeutet hatte.

Mehrere Driftlons schwebten gemächlich zu ihnen empor. An den Enden ihrer dünnen Arme, die vielmehr an Fäden erinnerten, hingen jeweils ein Gorgasonn oder Corasonn. Weil diese beiden Pokémon so gut wie nichts wogen, konnten die Driftlons sie problemlos tragen und oben am Berg vorsichtig neben dem Hain absetzen. Nach und nach. Die Gorgasonns schmiegten sich mit ihren Kernen ganz dicht an den Rest ihrer unteren Schale und zogen auch ihr Ektoplasma zusammen, womit sie es den hilfsbereiten Driftlons noch leichter machten sie zu tragen.

Obwohl Raelene das schon öfter gesehen hatte, fand sie es jedes Mal faszinierend, wie wilde Pokémon sich zusammentaten, um so etwas zu ermöglichen. Delion ging es offensichtlich genauso, denn er beobachtete das Ganze erstaunt und blinzelte irgendwann mehrmals, weil er wohl seinen eigenen Augen nicht traute. Der Anblick blieb aber derselbe.

„Wow“, hauchte er, sicher weil er niemanden stören wollte und Raelene vorhin auch nur geflüstert hatte. „Was ist das denn?“

„Toll, oder?“ Raelene sprach selbst weiter mit gedämpfter Stimme, auch wenn sie am liebsten ihre Begeisterung viel deutlicher gemacht hätte. „Nio hat mir erklärt, dass besonders Geister-Pokémon den Gorgasonns bei Vollmond gerne zuschauen, deshalb helfen sie ihnen.“

Ihr eigenes Gorgasonn kam den anderen bereits eilig entgegen, um sie zu begrüßen und ihnen zu erklären, dass sie sich wegen Delion und Raelene keine Sorgen machen mussten. Einige der wilden Pokémon blickten nämlich hin und wieder nervös in ihre Richtung. Nachdem Gorgasonn mit ihnen gesprochen hatte, entspannten sie sich aber schnell.

Auch im Hain wurde es allmählich lebhaft. Hinter einigen Baumstämmen bewegte sich etwas, mindestens ein Paragoni, das schüchtern von seiner sicheren Position aus alles beobachtete. Auffälliger waren eine Hand voll Nebulaks, die plötzlich aus dem Hain hervorkamen und zwischen den Driftlons umher schwirrten.

Delions Blick wanderte ununterbrochen hin und her, sicherlich darum bemüht, nichts von den Eindrücken zu verpassen. Seine Mimik und Körpersprache dagegen waren überraschend neutral. Falls er versuchte, seine Begeisterung nicht zu sehr zur Schau zu tragen, mit dem Ziel, keines der Pokémon doch noch zu verscheuchen, war er besser darin als Raelene bei ihrem ersten Mal. Einzig seine Augen verrieten ihn, denn sie leuchteten so hell wie die eines Kindes, das an Weihnachten Geschenke auspackte – oder vielmehr wie ein Trainer, der seinen allerersten Pokémon-Kampf bestritt.

Er ist so süß, schwärmte Raelene innerlich.

Gemeinsam setzten Delion und sie sich auf die Decke, neben dem Lagerfeuer. Während sie die Pokémon schweigend beobachteten, verging erneut einiges an Zeit. Angeregt unterhielten sich die wilden Geister-Pokémon und Raelenes Gorgasonn miteinander, bis sie sich irgendwann alle ordentlich in einer Linie nahe am Abhang sammelten, den Blick zum Vollmond gerichtet. Als sie anschließend begannen allesamt mit ihren hohen Stimmen ein melodisches Lied zu singen, wusste Raelene, dass ihr Ritual nun anfing.

Rasch blickte sie noch einmal prüfend zu Endynalos, Glurak und Ralia. Letztere verfolgte das Geschehen ebenfalls aufmerksam und gespannt, weshalb sie sich nicht mal an dem Nebulak störte, das mit albernen Grimassen um sie herum tänzelte. Also konnte Raelene beruhigt wieder zu den Gorgasonns schauen und lehnte sich gemütlich bei Delion an. Automatisch legte er einen Arm um sie, ohne den Blick von den Pokémon zu nehmen.

Nach einer Weile fing das Ektoplasma der Gorgasonns langsam an magisch zu glühen. Es sah ein bisschen so aus, als würde dieses Licht aus unzähligen kleinen Sternen bestehen, von denen der Kern der Gorgasonns, der nun selbst einem Vollmond ähnelte, gänzlich eingehüllt wurde.

Fasziniert und gleichermaßen verwirrt lehnte Delion sich etwas vor.

Was war dieses Glühen?

Und woher kam das?

Und was würde nun geschehen?

Hätte er das vorher im Pokédex nachlesen können?

All diese Fragen schossen ihm vermutlich gerade durch den Kopf. In Raelenes Augen war es gut, dass er völlig unvorbereitet hierher gekommen war, statt sich über dieses Ritual im Vorfeld zu informieren. Auf die Weise konnte er sich überraschen lassen.

Plötzlich vermehrte sich das Ektoplasma eines Gorgasonns und wuchs zu einer Art kleinen Baum heran. Nun wurden auch die anderen Geister-Pokémon von Aufregung erfasst, zumindest die Driftlons und Nebulaks schwebten hastig auf und ab. Kurze Zeit später schoss das Gorgasonn einige der Äste des leuchtenden Ektoplasmas in die Luft, Richtung Vollmond.

Die Geschosse explodierten lautlos am Himmel, wie ein Feuerwerk, und die Sterne regneten daraufhin langsam hinab. Auf einmal schien der Vollmond etwas heller zu leuchten als zuvor, wodurch die einzelnen Partikel noch kraftvoller glitzerten.

Erneut hauchte Delion ein „Wow“ vor sich hin. Zu schade, dass er sich nicht selbst sehen konnte, denn in seinen ohnehin schon leuchtenden Augen lag nun auch noch ein Glitzern, bei dem es sich nicht einfach nur um eine Reflektion dessen handelte, was er soeben sah.

Fragend blickte er zu Raelene. „Was ist das? Warum tun die Gorgasonns das?“

Anscheinend gab Delion es nun auf, seine Aufregung zu verbergen. Sein strahlendes Gesicht sagte ihr, wie sehr er darauf hoffte, dass sie wirklich eine Erklärung parat hätte. Es war schön, Delion so zu sehen. Er wirkte wieder ein bisschen wie der Junge, der damals immer fröhlich mit Hop und allen Nachbarskindern gespielt hatte.

„Man ist sich leider nicht ganz sicher“, antwortete Raelene nachdenklich. „Bisher gibt es nur Vermutungen. Entweder kommunizieren sie auf diese Weise oder sie entladen sich. Wenn man kein eigenes Gorgasonn hat ist es wohl ziemlich schwer, als Mensch dabei sein zu können. Darum ist die Erforschung dieses Rituals nicht so leicht.“

Im Hintergrund versuchten die Driftlons und die Nebulaks wie besessen einige der herabfallenden Partikel mit dem Mund zu fangen. Ein anderes Gorgasonn machte sich derweil bereit, die nächsten Geschosse abzufeuern, und ließ ebenfalls das Ektoplasma zu einem Baum heranwachsen.

Delion atmete ein wenig aus, immer noch so aufgeregt wie ein kleines Kind. „Das ist total interessant. Und schön. Ich bin so froh, dass wir hier sein können.“

„Ich wusste doch, dass dir das gefallen wird~.“

Deshalb war es wirklich eine gute Entscheidung gewesen, Delion dieses Ereignis nicht schon zu beschreiben. In der Vorstellung wäre es wirklich nicht so beeindruckend.

Wieder zerplatzte ein abgeschossener Zweig aus Ektoplasma am Himmel. Verspielt schwebten die Geister-Pokémon in der Luft zwischen den glitzernden Partikeln herum und stießen nun selbst einige melodische Rufe aus. Das Paragoni hatte sich inzwischen auch aus dem Hain hinaus getraut, um das Feuerwerk besser bewundern zu können.

„Das machen sie jetzt eine Weile, bis jeder dran war“, erklärte Raelene. Glücklich schmiegte sie sich noch dichter an Delion. „Ich bin gespannt, wie mein Gorgasonn diesmal abschneidet. Ich glaube nämlich, je näher sie am Mond dran ist, bevor ein Korallenarm dann so auseinander platzt, desto besser.“

„Das klingt schon fast wie ein Wettbewerb.“

Womöglich sahen die Gorgasonns es auch als einen, auf freundlicher Basis, denn bislang war keiner von ihnen besonders ambitioniert oder wollte einen anderen übertreffen.

„Bestimmt schafft dein Gorgasonn es am weitesten“, sagte Delion überzeugt.

„Gut möglich~.“

Ein Gorgasonn nach dem anderen vollführte das Ritual, bis das von Raelene an der Reihe war. Endlich. Gespannt lehnte sich diesmal Raelene etwas vor, weil sie keine Kleinigkeit verpassen wollte. Schiefgehen konnte eigentlich nichts, aber trotzdem wünschte sie ihrer Kleinen im Geiste viel Glück.

Aber schon als das Ektoplasma ihres Gorgasonns ebenfalls zu einem Baum heranwuchs, war etwas anders. Raelene glaubte, einige violette und magentafarbene Funken in dem Glühen erkennen zu können. Als anschließend der erste Ast weit gen Himmel sauste, hielt Raelene kurz den Atem an. Kaum explodierte das Geschoss, zuckten haufenweise farbige Partikel durch die Luft. Mehr als bei allen anderen.

Überrascht hielten die Geister-Pokémon inne, auch die Gorgasonns und Corasonns verstummten, während sie das bunte Feuerwerk anstarrten. Sogar das Paragoni kam noch näher an den Abhang und blickte mit großen Augen nach oben.

Unruhig lehnte Raelene sich wieder näher zu Delion. „Also ... das ist vorher noch nie passiert.“

Sofort sah er zu Endynalos hinüber, der den Kopf neigte. In Delion erwachte direkt ein Verdacht, den er sogleich mit Raelene teilte, um zu wissen, was sie darüber dachte: Gorgasonn hatte in der letzten Zeit viel Nähe zu Endynalos gesucht, weil es ihn nicht störte, mit ihrem Ektoplasma in Berührung zu kommen. Ob das also Energie von Endynalos gewesen war?

Das könnte möglich sein.

Also hatte Raelene sich diese violetten und magentafarbenen Funken doch nicht nur eingebildet. Hoffentlich bekam Gorgasonn nun keine Probleme, weil sie unbewusst Energie von Endynalos nutzte. Zu Raelenes Erleichterung brachen die Geister-Pokémon aber auf einmal in pure Euphorie aus.

Alle wandten sich ihrem Gorgasonn zu und sprachen bewundernd mit ihr. Ihre Artgenossen hüpften sogar allesamt abwechselnd vor Freude. Wurde sie gerade beglückwünscht? Auf jeden Fall schien Gorgasonns Darbietung sehr gut angekommen zu sein, weshalb sie nochmal einige ihrer Korallenarme in den Himmel schoss. Die Driftlons und Nebulaks tanzten überschwänglich zwischen dem bunten Feuerwerk herum.

„Anscheinend freuen sich alle.“ Lächelnd wandte Raelene sich kurz Endynalos zu. „Das ist auch dir zu verdanken. Gut gemacht~.“

Endynalos gab ein etwas verlegenes Brummen von sich. Offensichtlich war er es nicht gewohnt, dass er gelobt wurde. Aber woher auch? Bislang hatten das nicht einmal Delion oder Raelene wirklich getan. Umso schöner, dass es endlich dazu gekommen war. Besonders unter solchen Umständen. Mit dem, was sie da gerade bei Gorgasonn beobachtet hatten und wie begeistert auch die anderen Pokémon davon waren.

Raelene freute sich, dass Endynalos wieder so eine positive Erfahrung machen konnte. Sie glaubte, noch ein anderes, weniger positives Brummen zu hören, und lenkte den Blick instinktiv zu Ralia. Wie üblich wandte diese sich auf der Stelle ab und starrte stur zu den Gorgasonns. Darum tat Raelene das auch wieder.

Es verging einiges an Zeit, in der weitere glitzernde Partikel den Himmel schmückten. Alle anwesenden Pokémon genossen das Schauspiel, indem sie entweder nur verzaubert zusahen oder durch die Luft tanzten. Die Stimmung war friedlich und jeder war von diesem Ereignis vollkommen eingenommen.

Irgendwann hatte aber schließlich auch das letzte Gorgasonn sein Ektoplasma abgefeuert. Angeregt unterhielten die Geister-Pokémon sich danach miteinander.

„Schon wieder vorbei.“ Raelene seufzte leise. „Schade.“

„Das war viel zu schnell vorbei“, schloss Delion sich ihr an. „Aber es war wirklich schön.“

Ehe Raelene darauf etwas sagen konnte, näherte sich ihnen ein Nebulak, das sich von den anderen abgesetzt hatte, und schwirrte um sie herum.

Delion folgte ihm mit seinem Blick. „Na? Möchtest du etwas?“

Nebulak kicherte amüsiert, als fände es die Frage besonders witzig. Direkt am Anschluss sauste es so dicht an Delions Gesicht vorbei, dass es die Kappe, die er gerade trug, mit dem Mund schnappen und damit weiterfliegen konnte. Mit seiner Beute zog das Nebulak einige Kreise in ihrer Nähe.

Lächelnd schüttelte Delion den Kopf. „Wirklich, Nebulak?“

Instinktiv griff Raelene nach ihrer eigenen Kappe, die sie von ihm geschenkt bekommen hatte, um sie festzuhalten. „Entweder will es nur spielen oder uns ärgern.“

„Ich hoffe ja, es will nur spielen, denn ich will meine Kappe gerne wiederhaben. Ohne meine Pokémon auf es hetzen zu müssen.“ Mit dem Daumen deutete er in Nebulaks Richtung, während er Raelene amüsiert ansah. „Also sollte ich ihm besser folgen. Kommst du mit?“

Kaum hatte Delion das gefragt, flog Nebulak mit der Kappe über den Abhang hinweg und grinste sie frech an. Dorthin könnten sie ihm nicht so einfach folgen. Nicht ohne in die Tiefe zu stürzen.

„Okay, es will uns also doch nur ärgern“, schloss Raelene daraus. „Ah, warte. Ich hab 'ne Idee.“

Widerwillig ließ sie ihre Kappe los und verließ Delions Seite. Zügig kroch sie ein kleines Stück zur Seite, näher zu ihrem Rucksack. Neben der Decke und weiteren Kleinigkeiten, die sie darin transportierte, gab es darin auch noch etwas anderes, das ihnen weiterhelfen könnte. Wenige Sekunden später zog sie einen kleinen Beutel heraus, den sie Delion reichte.

„Hier sind Beeren drin. Vielleicht findet Nebulak die besser als deine Kappe~.“

Dankbar nahm Delion ihr den Beutel ab und stand auf. „Ich versuche es einfach mal.“

Er öffnete ihn, zog ein paar Beeren heraus und trat einige Schritte in Nebulaks Richtung, dem er seine Hand entgegen hielt. „Hey~. Schau mal, ich hab was viel Besseres für dich~. Das kannst du sogar essen~.“

Tatsächlich wirkte Nebulak neugierig, konnte sich jedoch noch nicht entscheiden ob es sein Spielchen lieber weitertreiben oder nachgeben sollte, um an die Beeren heranzukommen. Diese stammten aus den Kronen-Schneelanden und einige davon wuchsen nicht in dieser Gegend. Aus dem Grund hoffte Raelene, dass diese Beeren doch interessanter waren als die Kappe.

Zumindest die anderen Geister-Pokémon waren sofort ganz wild auf das Essen, denn die restlichen Nebulaks umkreisten Delion bereits und auch die Driftlons schwebten bettelnd vor ihm auf und ab. Dadurch bekam auch das eine Nebulak sichtlich Lust auf die Beeren und versuchte sich Delion zu nähern, doch die ganzen Driftlons waren ihm im Weg.

Delion erkannte Nebulaks Dilemma sofort. Deswegen nahm er einige Beeren, zeigte diese lächelnd den Driftlons – und warf sie dann in einige Entfernung. „Na los, holt sie euch~!“

So flink hatte Raelene Driftlons noch nie davonfliegen sehen. Normalerweise bewegten sie sich stets gemächlich, weshalb sie dachte, diese Pokémon könnten gar nicht schneller sein. Als der Weg somit frei war, näherte sich Nebulak Delion eilig und setzte ihm die Kappe wieder auf, sicher nur um den Mund für die Beeren frei zu haben.

„Danke, Nebulak~.“ Zufrieden nahm Delion weitere Beeren aus dem Beutel und hielt sie dem Nebulak hin. „Hier, das ist für dich. Nimm dir ruhig so viele du willst.“

Nebulak stieß einen freudigen Ruf aus und begann zu fressen. Beeren waren offenbar wirklich bei allen Pokémon beliebt. Nun stand auch Raelene auf und ging einige Schritte auf Delion zu – vorsichtshalber hielt sie wieder ihre eigene Kappe mit einer Hand fest auf dem Kopf fest.

„Nächstes Mal sollten wir wohl keine Kopfbedeckungen tragen, die man uns klauen könnte, um uns ärgern.“

„Das habe ich auch schon gedacht“, stimmte Delion ihr zu.

„Und ich sollte nächstes Mal bedenken, dass du zum Pokémon-Magnet wirst, wenn ich dir Beeren gebe.“

Schmunzelnd sah Raelene zu den anderen Pokémon, die auch noch alle etwas von dem Essen haben wollten. Delion wurde nämlich umringt von den Gorgasonns und Corasonns, die ihn allesamt erwartungsvoll anstarrten, aber ansonsten geduldig abwarteten – war irgendwie süß war. Wegen diesem Ansturm hatte Raelene ein paar Schritte entfernt stehenbleiben müssen und kam gar nicht erst an Delion heran.

All die traurigen Augenpaare der Gorgasonns und Corasonns trafen Delion scheinbar genau ins Herz. Gerührt erwiderte er ihre Blicke.

„Das ist schon okay“, versicherte er Raelene, worauf er herzlich lachte. „Sie haben sich alle etwas verdient.“

Vorsichtig kniete er sich hin, um besser auf Augenhöhe mit ihnen zu sein. „Also nehmt euch ruhig alle was.“

Lächelnd beobachtete Raelene Delion dabei, wie er liebevoll die Pokémon fütterte. Er wirkte dabei so gelassen und gelöst. Auch dieses strahlende Gesicht, als er das Ritual der Gorgasonns beobachtet hatte, erfüllte sie selbst mit Glück. Genau so wollte sie ihn gerne noch viel öfter sehen. Dieser Ausflug hatte sich wirklich mehr als gelohnt.



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