Zum Inhalt der Seite

Von Hoffnung und Verrat

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 5

„Es ist so wunderschön hier, Eivor!“, rief Eysa in den Wind, während sie den Hügel zum Aussichtsturm hinauf ritten.

Sie hatte ihre Arme fest um Eivors Körper geschlungen, da sie noch nie zuvor auf einem Pferd gesessen hatte und dieses Gefühl ihr etwas Unbehagen bereitete.
 

Eivor selbst genoss den Tag bereits jetzt. Sie mochte nichts lieber als an einem sonnigen Tag auf ihrem Pferd zu sitzen, den warmen Wind in ihrem Gesicht zu spüren und die weiten Felder Mercias zu erkunden.

Fernab der Raubzüge und des Alltags in der Siedlung konnte sie in diesen Momenten sie selbst sein.

Sie musste niemandem gefallen, niemandem Rechenschaft ablegen und stand nicht unter der Beobachtung aufmerksamer Augen, die jede Kleinigkeit erfassten.

Hier war sie frei.
 

Sie waren angekommen.

Eivor stieg von ihrem Pferd und schloss die Augen, während sie die angenehm warme, frische Luft tief in ihre Lungen sog.

Der Abstand zur Siedlung tat ihr heute besonders gut.

Hier hatte sie endlich genug Zeit, um über die Zukunft nachzudenken. Und darüber, wie es wohl mit Eysa weiter gehen würde.

Denn hauptsächlich dazu diente dieser kleine Ausflug heute.

Eivor öffnete die Augen und lies ihren Blick über die Felder schweifen.

Niemand war zu sehen.

Genau, wie sie es wollte.

Auch der Strohhaufen, den sie vor längerer Zeit gemeinsam mit Petra als Zielscheibe hier aufgehäuft hatte, lag noch da. Er war etwas eingefallen, aber für den Anfang sollte es wohl reichen.

Eivor war bereit, ihren Bogen hervor zu holen, als sie ein leises Räuspern aus Richtung ihres Pferdes wahrnahm.

Sie drehte sich um und sah Eysa, die ihre Hände in ihre Hüften gestemmt hatte und Eivor erwartungsvoll ansah.
 

„Glaubst du, ich komme hier allein runter, wenn ich nicht mal allein rauf gekommen bin?“, fragte sie und begann, verzweifelt über sich selbst zu lachen.

Eivor begann zu grinsen und entschied sich, Eysa vorerst nicht zu helfen, sondern ihr einfach zuzusehen, wie sie versuchte, vom Pferd zu steigen.

Ihre Hände hatten sich mittlerweile fest an den Sattel geklammert und sie blickte abwechselnd nach links und rechts, um zu sehen, auf welcher Seite sie besser absteigen konnte.

Während sie das tat, wurde sie immer unsicherer. Schließlich gab sie auf.
 

„Eivor, bitte... du musst mir helfen, ich schaffe das nicht.“

Eysa kreischte kurz auf, als das Pferd einen Schritt zur Seite machte.
 

Belustigt trat Eivor einen Schritt vor und verschränkte die Arme vor der Brust.
 

„Wenn du mit Pfeil und Bogen umgehen willst, dann sollte das vom Pferd Steigen dir keine große Mühe bereiten, Eysa.“

Kurz wartete sie noch, dann hob Eivor Eysa sanft von ihrem Pferd herunter und brachte sie auf sicheren Boden.

Eysa keuchte angestrengt, während sie sich ins Gras fallen lies und Eivor gewitzt vorwurfsvoll ansah.
 

„Ich hätte tot sein können“, protestierte sie grinsend.

„Glaub mir, wenn du so weiter machst, wird Odin sich noch sehr lange gedulden, bevor er dich zu sich holt“, scherzte Eivor zurück und setzte sich zu ihr herunter.
 

Es viel ihr zunehmend schwerer, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, als sie Eysa so da liegen sah. Ihr Haar, ihr Gesicht, einfach alles an ihr gefiel Eivor. Doch sie musste sich zusammen reißen. Deswegen waren sie nicht her gekommen.

Ein Moment der Stille trat ein.

Eivor versuchte, ihre Gedanken zu verdrängen, indem sie ihren Blick erneut über die grünen Felder schweifen ließ.

Und Eysa... sie blickte nachdenklich gen Himmel. Ihre Augen verfolgten Synin, die hoch über ihnen ihre Kreise zog.
 

„Eivor?“ Eysa erhob die Stimme.

„Was ist?“, brachte Eivor zurück und sah herunter zu ihr.
 

„Was letzte Nacht passiert ist... ich wollte dich nicht überrumpeln. Du sahst nur so traurig aus und ich... ich wollte dich etwas aufmuntern.“

Eivor senkte den Blick und lächelte kaum merklich. Sie hatte irgendwie darauf gehofft, dass Eysa die letzte Nacht noch einmal ansprechen würde, auch wenn sie wusste, dass sie dafür nicht hergekommen waren.

Eysa setzte sich auf und blickte Eivor erwartungsvoll an.
 

„Ist schon gut“, gab diese zurück und sah ihr direkt in die Augen.

„Ich habe es sehr genossen. Ich hoffe, du auch?“
 

Eysa lächelte verlegen und nickte stumm.

Und wieder war er da, dieser Moment, in dem Eivor diese Schwäche fühlte. Die Art, wie Eysa ihr in die Augen sah... wie sie sie anlächelte... es war alles, wo nach sie sich sehnte.

Doch nicht jetzt.

Nicht hier. Sie musste sich jetzt endlich zusammen reißen.

Eivor schüttelte wieder einmal den Kopf, um ihre Gedanken loszuwerden.

Dann stand sie auf, rieb sich kurz die Hände und griff nach ihrem Bogen.

Eysa wirkte etwas enttäuscht darüber, dass Eivor einfach so aufgestanden war, wo sie doch gerade kurz davor waren, sich wieder näher zu kommen.

Doch sie tat es ihr gleich und stand auf. Sie konnte es ihr nicht verübeln, schließlich kannten sie sich noch immer nicht besonders gut.
 

Eivor zog einen Pfeil aus ihrem Köcher und drehte sich so zu Eysa, dass diese jeden Handgriff gut beobachten konnte.
 

„Sieh mir zu. Du legst den Pfeil an... hebst den Arm und visierst das Ziel an. Siehst du, wie ich ihn halte? Der Arm, der den Bogen hält, ist immer ganz ausgestreckt. Das ist wichtig, damit du die richtige Balance findest und ihn fest im Griff hast. Jetzt hältst du den Pfeil, legst ihn vorne an und ziehst ihn mit der Sehne zu deinem Gesicht, in etwa auf Höhe der Wange... siehst du? Dann suchst du dein Ziel, visierst an und...“
 

Der Pfeil traf genau die Mitte des Strohhaufens.

Eysa hatte geahnt, dass Eivor eine gute Schützin war. Dennoch staunte sie nicht schlecht als sie sah, wie präzise der Schuss wirklich gewesen war.

Eivor reichte Eysa den Bogen.
 

„Jetzt du. Mach es genau so, wie ich es dir gesagt habe.“

Eysa nahm den Bogen an sich. Es gefiel ihr, dass Eivor ihr trotz der jüngsten Ereignisse in der Siedlung ihre Waffen anvertraute. Hier konnte sie in Ruhe üben, ohne gestört zu werden.

Eivor reichte ihr einen Pfeil und trat einige Schritte zurück, während sie genau beobachtete, wie Eysa sich anstellte.
 

Der Schuss war gut. Zu gut, für Eivors Geschmack. Valka hatte Recht. Sie schoss wohl nicht zum ersten Mal. Dennoch musste sie sicher gehen, dass es kein Zufallstreffer war.
 

„Nochmal!“, rief sie Eysa zu und gab ihr den nächsten Pfeil.

Auch dieser Schuss ging beinahe in die Mitte. Und auch die folgenden Schüsse verfehlten nie ihr Ziel.

Eivor verschränkte die Arme vor der Brust und sah Eysa fragend an.
 

„Du bist gut. Wer hat dir das beigebracht?“

„Hm... ich habe mir als Kind immer selbst Bögen, wenn man sie so nennen mochte gebaut. Aus einfachen Stöcken mit Pferdehaar. Sie waren nichts besonderes, aber es reichte, um ein wenig zu üben.“

Eivor stutzte.

„Darf ich fragen, wozu du üben wolltest?“

„Ich wollte immer eine große Kriegerin werden, wie du, Eivor. Aber meine Eltern erlaubten es nicht. Deshalb musste ich es vor ihnen verstecken. Hätten sie es erlaubt, hätte ich jetzt bei ihnen sein und ihnen helfen können, gegen Gorm und seine Krieger zu bestehen. So zwangen sie mich zur Flucht, weil sie Angst um mich hatten. Ich hätte kämpfen können.“ Eysa senkte den Kopf.
 

„Selbst der größte Krieger kann nicht allein gegen ein ganzes Heer bestehen. Deine Eltern wollten dich in Sicherheit wissen. Danke ihnen dafür, anstatt sie deshalb zu tadeln.“

Fast tat es Eivor leid, dass sie gefragt hatte. Doch genau deswegen war sie hier.
 

„Außerdem... wenn ich das sagen darf... hast du gut ausgeprägte Muskeln. Du scheinst doch mehr geübt zu haben, als du durftest.“

Eivor zwinkerte Eysa lächelnd zu, während sie beide sich ins Gras setzten.
 

„Habe ich, ja. Ich nahm mir nachts häufig die Axt meines Vaters und ging weit raus in den Wald, damit mich niemand hörte. Ich schlug manchmal ganze Bäume nieder, nur, um nicht aus der Form zu kommen. Vater wunderte sich oft, warum seine Axt bloß immer so stumpf war, obwohl er so selten damit arbeitete.“

Eivor lachte. Eine ähnliche Geschichte hatte sie auch auf Lager. Doch sie wollte Eysa nicht ins Wort fallen.
 

„Ich wollte damals unbedingt eine Kriegerin werden. Doch fehlten mir die Gegner, um mich auf den Nahkampf vorzubereiten. Wir hatten nicht viele Kinder in meinem Alter in unserem Dorf und die die wir hatten, waren den ganzen Tag mit ihren Eltern auf dem Hof beschäftigt und hatten nicht den Mut, sich mit anderen zu messen. Ich wusste nicht, wie ich weiter machen sollte, also gab ich es irgendwann auf und, naja... die Bäume mussten herhalten. Auch, wenn sie sich selten wehrten.“

Eysa lächelte ironisch, während sie mit einer Haarsträhne spielte, die ihr ins Gesicht gefallen war.

Eivor saß schweigend da und musterte Eysa.

Eigentlich war sie hergekommen, um mehr über das immer noch fremde Mädchen in Erfahrung zu bringen. Dass sie ihr nun mehr oder weniger einen Wunsch erfüllte, indem sie sie den Umgang mit Waffen lehrte, hatte sie nicht gedacht.
 

„Ich hoffe, es geht deinen Eltern gut, Eysa“, flüsterte Eivor vorsichtig.

Eysa nickte dankend. Dann trafen sich ihre Blicke erneut.
 

„Was ist mit dir, Eivor? Wo sind deine Eltern?“
 

„Sie leben nicht mehr.“ Eivor senkte den Kopf.

Erschrocken griff Eysa ihren Arm.
 

„Das tut mir leid, ich wollte nicht...“, stammelte sie befangen, doch Eivor winkte ab.
 

„Ist schon gut. Es ist lange her. Ich habe mich damit abgefunden.“
 

Eysa presste ihren Kopf gegen Eivors Schulter.

Schweigend saßen sie da und es kam Eivor so vor, als würden sie sich beide gegenseitig bemitleiden. Normalerweise war das nicht ihre übliche Art, doch sie merkte erneut, dass in Eysas Gegenwart etwas anders war.

Sie hatte das Gefühl, ihr alles sagen zu können. Besonders jetzt, da Eysa ihr ebenfalls offen von ihrem Leben in Vinland erzählt hatte.

Fast war es so, als hätten sie eine ähnliche Vergangenheit gehabt. Nur, dass Eivor sich das Kämpfen früh aneignen musste. Sie hatte dort keine Wahl gehabt.
 

Eysa grub ihre Finger in den Stoff, der Eivors Oberarm bedeckte, während sie sich noch näher an sie schmiegte.

„Eivor?“, flüsterte sie leise.

„Ich mag dich... .“
 

„Ich... mag dich auch“, gab Eivor vorsichtig zurück.

Beide sahen sich in die Augen.

Wieder kamen kurze Zweifel in Eivor hoch, ob es das Richtige war, was sie tat.

Doch sie war es leid, sich immer wieder mit ihren Gedanken auseinander zu setzen.
 

Sie sah so viel Leidenschaft in Eysas blauen Augen, dass sie sich einfach nicht zurück halten konnte.

Und als sich kurz darauf ihre Lippen trafen, waren jegliche Zweifel dahin.

Eivor legte sanft ihre Hände um Eysas Hüften. Sie wollte sie spüren.

Ihre Wärme, ihre Nähe.

„Eivor...“

„Sag nichts... ich will dich, Eysa...“
 

„Ich will dich auch... Eivor.“
 

Eysa stieß Eivor vorsichtig auf den Rücken und vergrub beide Hände in ihren Haaren, während sie begannen, sich innig zu küssen.
 

+++



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück