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Four Soulmates in an Other World

von

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Sein kleiner Bruder

„Man schließt die Augen der Toten behutsam; nicht minder behutsam muss man die Augen der Lebenden öffnen.“

-       Jean Cocteau

 

♥♦♣♠

 

 

Der feste Griff um das Papier in seiner Hand schwand, als Vanitas seinen Blick immer wieder über die gleichen Zeilen schweifen ließ. Das Zimmer in dem er sich befand, nahm er schon nicht mehr wahr. Eine kalte Glut sammelte sich in seine Brust, schnürte sie zusammen und breitete sich im Rest seine Körper aus. Er blinzelte als seine Sicht verschwamm... Er musste etwas überlesen haben.

 

 

„... müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir Ihnen das Sorgerecht für Mikhail derzeit nicht übertragen können...“

 

 

Seine Finger umklammerten das Papier wieder fester, brachten es zum knistern. Sein Kiefer spannte sich an und presste seine Zähne schmerzhaft aufeinander.

Derzeit? Was bedeutete das denn? Doch nur, dass sie ihm absolut nicht zutrauten sich um seinen kleinen Bruder zu kümmern. Oder lag es daran, dass er und Misha nicht blutsverwandt waren? Durften sie deshalb nicht zusammen sein?

Er schob das Papier beiseite und stützte sich mit beiden Ellenbogen auf seinen Schreibtisch, das Gesicht tief in den Händen vergrabend. Seine Finger krallten sich schmerzhaft in seinen Haaransatz.

 

 

Wieso war er so fertig? Es war doch von Anfang an klar gewesen, dass er Misha nicht einfach mitnehmen konnte. Vanitas war gerade einmal achtzehn Jahre alt, sein Studium war noch lange nicht beendet und er besaß nicht einmal eine eigene Wohnung, geschweige denn ein Zimmer für Misha. Wie war er überhaupt auf die Idee gekommen ihn jetzt schon zu sich holen zu wollen? Es gab absolut keine Chance ihn zu adoptieren. Also wieso...?

 

 

Weil er den Gedanken nicht mehr ertragen konnte seinen kleinen Bruder weiter ständig wechselnden Fremden anzuvertrauen.

Zumindest nannte er ihn immer noch seinen kleinen Bruder. Aber im Grunde waren sie nicht verwandt.

 

Seine Mutter hatte Vanitas bereits bei seiner Geburt verloren und sein völlig überforderter Vater zeigte die Liebe, die er trotz dessen für seinen Sohn empfand erst dann, als er Vanitas vor einem rasenden Auto rettete und dabei ums Leben kam.

Das war das erste und einzige Mal, dass Vanitas das Gefühl hatte von seinem Vater geliebt zu werden.

Vanitas... Was für ein grässlicher Name. Dieser Mann hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er seinen Sohn für den Tod seiner Frau verantwortlich machte.

 

 

Nach diesem Ereignis lebte Vanitas ein paar Jahre unter der Obhut der Kirche, bis sich das erste Mal jemand dazu entschied ihn zu adoptieren. Ein gewisser Doktor Moreau.

 

 

Mikhail (der von Anfang an nur „Misha“ genannt werden wollte) und er wurden etwa zur gleichen Zeit von dem Doktor aufgenommen und während Vanitas selbst ein eher zurückhaltender Junge war, hatte Misha ihn sofort ins Herz geschlossen und wich nicht mehr von der Seite seines „großen Bruders“.

Ein Fakt, der ihm noch das Leben retten würde, wie sich später herausstellte. Denn Moreau war alles andere als ein kinderlieber selbstloser Adoptivvater.

 

Er war ein Psychopath, der das damals instabile und korrupte Pflegesystem ausnutze, um Kinder zu misshandeln.

Ursprünglich war er Wissenschaftler im Bereich der Humangenetik gewesen. Doch nachdem ihm aufgrund unethischen Handelns die Lizenz entzogen und der Doktortitel aberkannt wurde, suchte Moreau sich einfach seine eigenen Forschungsobjekte.

Da seine kinderlose Tante Moreau mit einer großzügigen Erbschaft bedacht hatte, hatte dieser Verrückte Geld und Zeit genug sich seinen „Forschungen“ hinzugeben.

 

 

Vanitas schauderte, als er an diese Zeit zurück dachte. Reiche konnten sich wirklich alles erlauben.

 

 

Mehr als einmal wäre er fast gestorben, als Moreau ihn ohne Betäubung aufschnitt oder ihm abgelaufene Medikamente verabreichte. Mehr als einmal wäre Misha, der damals noch viel jünger war, wirklich tot gewesen, hätte Vanitas sich nicht dazu bereit erklärt die für ihn vorgesehenen Experimente zu übernehmen.

 

 

Vanitas krallte sich fester in sein Haar. Tränen brannten heiß hinter seinen geschlossenen Lidern, als er Review passieren ließ, was sie alles gemeinsam durchgemacht hatten.

 

Nachdem endlich jemand den Missbrauch der Kinder bemerkte, wurden Misha und Vanitas von einer Pflegefamilie in die die andere geschoben. Wenigstens hatte man davon abgesehen sie wieder zu trennen, nachdem sie einander so lieb gewonnen hatten.

 

 

Als Vanitas fünfzehn und Misha neun Jahre alt war, dachten sie endlich einen Ort zum bleiben gefunden zu haben. Eine echte Familie. Doch die Person, die sie beide aufgenommen hatte, Luna, wurde nach zwei Jahren schwer krank und verstarb.

Das war der Moment gewesen in dem Vanitas es nicht mehr aushielt. Er setzte alles daran sich frühzeitig für volljährig erklären zu lassen und ein eigenes Leben zu beginnen. Fest entschlossen Misha irgendwann nachzuholen.

Als Arzt würde er genug Geld verdienen um ihnen beiden ein gutes Leben ermöglichen zu können. Dafür arbeitete er jeden Tag hart. Er wollte es unbedingt schaffen. Genug Geld anhäufen, um Misha schnell aus allem dort raus zu holen. Aber wie?

 

 

Der Chef im Café hatte gedroht ihn raus zu werfen, da er ständig übermüdet zur Arbeit erschien; in letzter Zeit andauernd gequält von seltsamen Träumen.

 

Durch die niedrige Miete, die Noé von ihm nahm und die Einnahmen aus den Livestreams konnte Vanitas sich selbst und sein Studium locker finanzieren. Aber er brauchte mehr. Viel mehr, um...

 

 

Es klopfte.

 

 

„Geh weg, Noé!“, fauchte er, die Stimme bei weitem nicht so verärgert wie er es gerne gehabt hätte. Er wusste genau was sein Mitbewohner von ihm wollte, aber er hatte keine Lust zu reden. Dieser verwöhnte Bengel würde ihn ohnehin nicht verstehen. Seine Adoption war wie im Märchen verlaufen.

 

 

Besorgt betrachtete Noé die geschlossene Tür vor seinen Augen. Auch wenn Vanitas schon immer launisch war, sah es ihm nicht ähnlich sich tagelang nicht blicken zu lassen und soweit Noé es mitbekam, hatte der ohnehin schlanke Medizinstudent auch kaum etwas gegessen.

 

 

„Ich komme jetzt rein, Vanitas.“, bestand Noé und öffnete die Tür. Er konnte gerade noch einem Buch ausweichen, welches in seine Richtung flog.

„Ich hab' gesagt verschwinde!“, brüllte Vanitas ihn an, der sich inzwischen von seinem Schreibtischstuhl erhoben hatte und schon das nächste Buch in der Hand hielt.

So langsam reichte es Noé mit seinen Wutausbrüchen.

 

„Sag mal, hast du sie noch alle?!“, motzte er zurück und ging unbeeindruckt auf Vanitas zu, um ihm das zweite Buch aus der Hand zu reißen.

„Ich mache mir nur Sorgen um dich! Was ist denn eigentlich los mir dir? Ist es weil du Ärger auf Arbeit hast? Ich habe dir doch gesagt, du kannst eine Miete aussetzen. Das ist wirklich nicht -

 

 

„Sei still!“, fuhr Vanitas ihm über den Mund. „Versuch nicht mich mit deinen Vermutungen zum reden zu bringen!“

Wie aus dem Konzept gebracht, hielt Noé einen Moment inne. Ihm war als hätten sie so einen Streit schon einmal gehabt.

Vanitas nutze sein Zögern, um ihn weiter anzufahren. „So ein verwöhnter, reicher Naivling wie du versteht niemals, wie ich mich fühle! Ich hasse solche Typen wie dich! Bald bin ich sowieso wieder hier weg! Es ist alles deine Schuld, dass...!“

Er holte aus, um nach ihm zu schlagen, aber Noé schaffte es sein Handgelenk festzuhalten. Durch seine große Statur und die Tatsache, dass Noé im Gegensatz zu Vanitas genug schlief und aß, war er deutlich stärker, als der jüngere Mann vor ihm.

 

 

„Jetzt reicht es mir aber! Du versuchst nur deine Wut an mir auszulassen, weil dich irgendwas anderes beschäftigt! Aber ich weigere mich dein Sündenbock zu sein! Ich weigere mich so zu sein, wie du mich haben willst!“

 

 

Wie erstarrt blicke Vanitas ihn an. Noé schnaufte erleichtert aus. Er hätte nicht gedacht, Vanitas tatsächlich so schnell zum Innehalten zu bewegen. Der schwarzhaarige Junge Mann sah Noé an, als hätte er einen Geist gesehen. Die Augen schock-geweitet und ein Schauer durchlief seinen Körper.

Erst jetzt fiel Noé auf wie blutunterlaufen Vanitas' Augen waren. Es ging ihm aus irgendeinem Grund sehr schlecht.

Noé seufzt tief und ließ langsam Vanitas' Hand los. „Hör zu, du musst mir nicht genau sagen was passiert ist, aber lass mich versuchen dir zu helfen.“

Verunsichert sah Vanitas ihn an, ehe sein Blick peinlich berührt zur Seite glitt. „Du kannst mir nicht helfen....“, murmelte er.

Da war er wieder. Dieser Gesichtsausdruck, als hätte Vanitas irgendetwas wertvolles aufgegeben. Kurz trat Schweigen ein.

 

 

Vanitas verstand einfach nicht wieso Noé sich unbedingt mit ihm anfreunden wollte und es war ihm regelrecht zuwider, dass er selbst sich in seiner Nähe so wohl fühlte. Alle zwischenmenschlichen Beziehungen hatten ihn bisher nur enttäuscht. Er würde nicht jetzt damit anfangen sich ernsthaft auf jemanden einzulassen und ihm seine Probleme anvertrauen. Es war ihm ohnehin schon unangenehm, dass Noé ihm so viel anbot, ohne eine Gegenleistung dafür zu verlangen. Irgendwann würde er dafür etwas zurückfordern. Dessen war Vanitas sich sicher.

Alles auf dieser Welt hatte seinen Preis...

 

 

Erschrocken zuckte Vanitas zusammen, als eine Hand sich sanft auf seine Schulter legte. Sein Blick suchte den von Noé. Dieser sah ihm direkt in die Augen, ein mildes Lächeln auf den Lippen.

„Komm, ich habe uns was zu essen gemacht. Wenn du erst einmal was im Magen hast, kannst du besser nachdenken und dann finden wir vielleicht eine Lösung. Was auch immer dich beschäftigt.“, sagte Noé ehe er seine Hand wieder sinken lies.

 

 

Das Bedürfnis sich zu streiten war in Vanitas' Innerem wie verpufft. Trotzdem verbot es ihm sein Stolz einfach so auf Noés Hilfe einzugehen. Schmollend blickte er zur Seite. „Ach? Seit wann kannst du denn kochen? Sicher, dass du mich nicht vergiften willst?“

 

Er machte sich auf eine weitere Auseinandersetzung gefasst, aber als er wieder aufsah, war Noé längst an die Tür zurück gegangen.

„Kommst du jetzt? Das Essen wird noch kalt.“, sagte er in scheinbar gleichgültigem Tonfall und verließ das Zimmer bevor Vanitas ihm verdutzt folgte.

 

 

Wie schaffte es dieser naive Idiot bloß immer Vanitas so schnell wieder herunterzuholen? Sie kannten sich doch eigentlich kaum. Es war nicht so, als ob sie Freunde wären oder so etwas. Diese Wohngemeinschaft war nur eine zweckmäßige Beziehung.

 

Noé stellte das Essen auf den Tisch. „Hier. Das Rezept habe ich von meiner Großmutter. Lasse es dir schmecken.“

Nachdenklich betrachtete Vanitas die Suppe vor ihm, während er sich hinsetzte.

Ach ja, Noé hatte erwähnt, dass er vor seiner Adoption bei seinen Großeltern gelebt hatte. Er nickte nur.

 

 

Schweigend begannen beide zu essen. Es trat eine Stille ein, die seltsam vertraut und angenehm war. So als würden sie sich wortlos verstehen. Vermutlich sollte er sich bei Noé wenigstens bedanken... Gerade als Vanitas etwas sagen wollte, klingelte Noés Handy.

 

 

„Hallo, Domi. Was gibt es? … Was? … Äh, ja er ist hier. Moment.“

 

Verwirrt sah Vanitas ihn an, als Noé ihm das Handy reichte mit den Worten. „Jeanne ist dran.“

 

Er legte das Gerät an sein Ohr. „Hallo?“

 

Gespannt sah Noé zu ihm herüber.

 

 

„Was? Ein Date?“



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