Zum Inhalt der Seite

Four Soulmates in an Other World

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die Preisverleihung

„Die Sanduhren erinnern nicht bloß an die schnelle Flucht der Zeit, sondern auch zugleich an den Staub, in welchen wir einst verfallen werden.“

Georg Christoph Lichtenberg

 

 

♥♦♣♠

 

 

 

Das schlechte Gewissen lies Dominique nicht los. Sie hätte nicht in Noés Tagebuch blicken sollen. Das war falsch, ganz falsch.

Aber wie sie ihn jetzt so ansah, wie er auf dem Sitz im Zug lümmelnd, sorglos einen Chip nach dem anderen in seinen Mund schob; würde wohl nichts Gutes dabei herauskommen, wenn sie ihre Missetat gestand.

 

Und davon abgesehen wog schwerer als die Tatsache, dass sie in seinem Tagebuch gelesen hatte, der Inhalt den sie darin gefunden hatte.

 

Wann immer man einen Text las, so konnte man sich vor dem inneren Auge vorstellen was dieser bildlich beinhaltete.

Aber diesmal war das anders gewesen. Viel mehr hatte Dominique das Gefühl gehabt die Filmaufnahme einer verblassten Erinnerung gesehen zu haben. Alles hatte sich so real angefühlt, als hätte sie miterlebt, was Noé da aufgeschrieben hatte.

Als sie danach blindlings aus seinem Zimmer gestürmt und nach Hause geeilt war, ließen die Bilder in ihrem Kopf sie einfach nicht los. Nächtelang träumte sie davon, bis sich ihr Kopf schließlich eigene Szenarien ausdachte.

 

Bilder wie sie ihren Bruder Louis, den sie durch die Scheidung ihrer Eltern ohnehin immer selten gesehen hatte, noch ein zweites Mal verlor. Aber diesmal nicht durch eine Krankheit, sondern einen „Fluch“. Bilder wie sie auf einem Riesenrad stand, Noé beobachtend, wie er verzweifelt versuchte sie zu retten… und noch viele andere Situationen mehr, die ihr gleichzeitig vertraut und fremd vorkamen. Geschichten von Vampiren, magischen Gegenständen und seltsamen kleinen Robotern.

 

 

Aber das alles schien jetzt unwichtig, angesichts dieser friedlichen Situation. Hier gab es keine „Vampire“. Hier gab es nur sie und Noé und eine friedliche Fahrt im Zug…

 

Naja, nicht ganz…

 

Ihr Blick schwanke giftig zur anderen Sitzbank. Ihnen gegenüber saß immer noch dieser nervige Gnom. Wieso mussten sie denn unbedingt mit Vanitas zusammen zu dieser Preisverleihung fahren?

 

Ihr Blick wurde wieder weicher, als sie neben Vanitas schaute. Immerhin war ihre liebe Jeanne auch hier. Das machte das Ganze noch etwas erträglicher.

 

 

Aber, wieso eigentlich…?

 

 

Dominique selbst war als Noés Begleitung hier. Soweit so gut. Aber wieso war Jeanne mitgekommen? Dass Vanitas sie gefragt hatte, konnte Dominique sich noch vorstellen, aber wieso zum Teufel hatte Jeanne dazu ‚ja‘ gesagt? Wollte sie Vanitas nicht eigentlich loswerden?

 

Jetzt wo Dominique darüber nachdachte…

Nach ihrem falschen Date hatte Jeanne sich nicht ein einziges Mal über Vanitas beschwert. Erst dachte Dominique ihre Freundin hatte es endlich geschafft den nervigen Verehrer abzuwimmeln, aber wie es schien...

 

Hatte das Date etwa genau das Gegenteil bewirkt? Mochte Jeanne diesen Dreikäsehoch jetzt etwa doch?

Das konnte nicht wahr sein. Sie musste das unbedingt verhindern. Bevor Vanitas Jeanne verletzte.

 

 

„Hey, Jeanne.“, begann Dominique zögerlich. „Willst du nicht vielleicht mal mit Noé den Sitzplatz tauschen? Dir wird noch schlecht, wenn du die ganze Zeit rückwärts fährst. Vor allem beim Lesen und mit dem süßen Getränk...“, versuchte sie möglichst einleuchtend zu erklären.

 

Jeanne, die auf ihrem Strohhalm herumkauend auf ihr E-Book geschaut hatte, sah nun verwundert auf. Ihr war nicht schlecht.

 

„Keine Sorge. Mir geht es gut. Der Bubble Tea, den sie am Bahnhof hatten ist auch gar nicht mal so süß.“, sie reichte den Becher herüber zu Vanitas. „Der schmeckt vielleicht sogar dir. Probier‘ mal.“

 

Dominiques Augen wurden immer größer, als sie beobachtete, wie Vanitas ohne von seiner Minikonsole aufzublicken den Becher in die Hand nahm und nur mit einem „Hm?“ kommentierend den Strohhalm zu seinen Lippen führte.

 

 

Es dauerte eine Sekunde bis Vanitas scheinbar geschockt wieder vom Strohhalm zurückwich und knallrot anlief; als sei ihm gerade klar geworden, dass er einen indirekten Kuss bekommen hatte. Jeanne, die den Becher wieder zurücknahm kicherte nur vergnügt.

 

Was zum Teufel ging hier vor? Seit wann war Vanitas so verlegen in Jeannes Gegenwart? Was hatte Dominique verpasst? Es sah aus, als hätten sich die Rollen vertauscht und zu allem Überfluss schien Noé das ganze nicht mal zu bemerken oder es kümmerte ihn nicht, während er seine Chips essend in einem Reiseführer herumblätterte und ab und an die vorüberziehende Landschaft bewunderte.

 

Sie war eindeutig im falschen Film.

 

 

 

In Lille angekommen tummelten sich bereits Massen an Menschen um das ausgewiesene Veranstaltungsgebäude. Genug um einen ganzen Konzertsaal zu füllen. Staunend sah Dominique sich in der bunten Menschenmenge um und vergaß dabei fast auf Noé zu achten. Ohne sie und den Gnom hätte Noé sich sicher hier schon drei Mal verlaufen.

 

Etwa nach einer halben Stunde wurden sie unter Vorlage eines Onlinetickets hereingelassen. Der riesige Saal, in den man sie führte, füllte sich stetig. Gab es in Frankreich wirklich so viele halbwegs erfolgreiche Streamer? Offenbar hatte sie diesbezüglich völlig hinter dem Mond gelebt. Oder war auch normales Publikum eingeladen?

 

 

In der Mitte des Saals war neben einer Bühne eine riesige Leinwand aufgebaut. Vermutlich würde man dort die Trailer und den Gastgeber zu sehen bekommen.

 

Noé war total unruhig vor Begeisterung und wippte neben Dominique aufgeregt auf und ab.

„Alter, komm mal wieder runter.“, lies Vanitas neben ihm scheinbar genervt verlauten.  Jeanne, die von Noés Gezappel völlig unbeeindruckt war, sah nur staunend in die Saalmitte und knabberte dabei an einem Schokoriegel.

 

 

Mit einem Mal wurde es dunkel im Raum, Musik schallte aus den Lautsprechern an der Decke.

 

„Willkommen zu den diesjährigen Y-Tube-Awards…“, konnte man die Stimme des Gastgebers in der Menge widerhallen hören. „Es freut mich, dass sie so zahlreich erschienen sind. Wir von Germain Cooperation begrüßen Sie in aller Herzlichkeit…“

Je länger Dominique dem Sprecher zuhörte, desto mehr stutzte sie. Diese Stimme kam ihr so bekannt vor. Unmöglich…

 

 

Die Scheinwerfer erhellten die Bühne vor der Leinwand und gaben die Sicht auf einen Mann frei, dessen Anblick sowohl Dominique, als auch Noé aus der Fassung brachte.

 

War das… Dominiques Großvater dort unten auf der Bühne?

 

 

 

 

Nachdem der Gastgeber der Veranstaltung eine längere Rede gehalten hatte, mehrere Trailer der Teilnehmer gezeigt wurden (darunter auch die von Vanitas und Noé) und ein paar bekanntere Gesichter auf die Bühne gebeten wurden, gab es eine kurze Pause.

 

Der weiche Teppichboden der Lobby deutete schon dunkle Spuren an, so oft wie Dominique bereits im Kreis gelaufen war. Irgendwie war sie nervös.

 

 

„Was meinst du damit, der Veranstalter ist ‚euer Großvater‘?“, fragte Jeanne verwirrt, als sie es nicht mehr ertragen konnte, Dominique Löcher in die Luft starren zu sehen.

 

„Er ist Domis Großvater und mein Adoptivvater.“, korrigierte Noé sie sanft, ehe er die Erklärung anfügte, die er selbst nicht ganz zu verstehen schien: „Und ganz offenbar ist er der Veranstalter dieses ganzen Events.“

 

„Was soll das heißen ‚ganz offenbar‘? Wollt ihr zwei mir weismachen, dass ihr davon nichts wusstet?!“, meckerte Vanitas mit verschränkten Armen. Er schien sich auf einmal sehr unwohl an diesem Ort zu fühlen.

 

Seufzend ließ Dominique sich schließlich auf eine der Sitzbänke fallen. „Genau! Wir wussten es nicht. Aber um ehrlich zu sein, würde das zu ihm passen. Die Familie de Sade war schon immer sehr exzentrisch. Es würde mich nicht wundern, wenn er uns damit überraschen wollte. Es ist sicher auch kein Zufall, dass ich hier bin. Er hat sicher gewusst, dass Noé mich mitnehmen würde.“

 

 

„Aber sagt mal…“

 

Die Augen der kleinen Gruppe richteten sich plötzlich auf Jeanne, die das Wort ergriffen hatte und zweifelnd zu Boden sah.

„Habt ihr nicht auch so ein komisches beklemmendes Gefühl, seit wir hier sind…? So als ob…“

 

Es dauerte nicht lange, bis Vanitas ihren Satz beendete: „So als ob wir hergelockt wurden?“

 

Seine Stimme war leise.

 

Die Annahme schien geradezu absurd, aber irgendwie traute sich niemand zu widersprechen.

Es war nur ein Gefühl. Völlig irrational dazu, doch irgendwie schienen es alle vier stumm zu teilen.

Ihre Blicke trafen sich.

 

Keiner hatte mit dem anderen über die nächtlichen Träume gesprochen, oder über die Déjà-vus, nicht über die Tagebucheinträge und auch nicht über das Gefühl sich schon ewig zu kennen und doch schien es gerade jetzt in diesem Moment als würden alle das gleiche fühlen und denken.

 

 

‚Habt ihr etwa auch…?‘

 

Noé konnte den Satz nicht einmal beginnen, der ihm gerade ebenfalls durch den Kopf schoss, als über die Lautsprecher das Signal zum Pausenende läutete.

 

 

Als die vier sich setzten warfen sie einander erneut forschende Blicke zu, ehe Dominiques Großvater wieder auf der Bühne zu sprechen begann.

 

„Bevor ich die Gewinner des heutigen Abends aufrufe, möchten ihr Ihnen noch ein Filmprojekt vorstellen, welches mir besonders am Herzen liegt. Unser Werbefilm für den neuen Pariser Vergnügungspark ‚Bien Chatou‘ entführt Sie in Zusammenarbeit mit den Machern von „Vampires of Astermite“ in eine magische Welt aus Fantasy- und Steampunk-Elementen. Sie werden wie verzaubert sein…“

 

Noé überkam eine Gänsehaut, als der Saal erneut abgedunkelt wurde. Irgendwas stimmte hier nicht.

 

Der Film, der nun abgespielt wurde zeigte vier junge Menschen, die aus irgendeinem Grund ihm und seinen Freunden ähnlich sahen.

Es waren Schauspieler, ganz klar, aber… diese Kleidung… Es war die gleiche Kleidung die in seinen Träumen vorkam. Einer der beiden Männer im Film trug sogar diesen riesigen Ohrring mit der Sanduhr und… Was hatte sich sein einstiger ‚Lehrmeister‘ dabei gedacht? Nein, woher wusste er…?

 

Noés sah zum Bühnenrand, wo Dominiques Großvater immer noch stand und plötzlich trafen sich ihre Blicke. Das Grinsen im Gesicht seines Adoptivvaters sah so gespenstisch aus. Noés Herz begann zu rasen. Er hatte Angst. Woher…? Woher…?

 

 

Ein ersticktes Geräusch, lies Noé aufhorchen und zur Seite sehen. Vanitas war in seinem Stuhl zusammengesunken und hielt sich mit weit aufgerissenen Augen die Hand vor den Mund. War ihm schlecht?

 

Erst jetzt sah Noé, dass auch Jeanne wie vom Donner gerührt nach vorn starrte und auch Domi sah so geschockt und ängstlich aus. Was hatte das zu bedeuten? War er nicht der Einzige mit Alpträumen?

 

 

„Ich bitte nun die Gewinner der ersten Kategorie auf die Bühne.“

 

Ah, der Film war bereits zu Ende. Noé atmete durch, aber das beklemmende Gefühl wollte einfach nicht verschwinden.

Nach und nach wurden weitere Gewinner aufgerufen, aber es passierte nichts Schlimmes.

 

„Kommen wir zur letzten Kategorie.“ Die Spannung im Raum schien zu steigen. „In der Kategorie ‚Newcomer‘ haben gewonnen… ‚V‘ und ‚Noé‘!“

 

Ein neuer Applaus ging durch das Publikum. Wie? Damit waren doch Vanitas und er gemeint, oder nicht?

 

 

Dominique sah den beiden Jungs besorgt nach, als sie etwas unbeholfen zur Bühne wankten. Es war wohl besser nicht zu viel Aufsehen zu erregen. Ihr Großvater hatte sich sicher etwas bei all dem gedacht und dieser Film… Das war sicher alles nur Zufall.

 

Wie um sich selbst zu bestätigen warf sie Jeanne ein aufmunterndes Lächeln zu, die ebenfalls aus irgendeinem Grund besorgt zu sein schien.

 

 

Es war merkwürdig für Noé seinem Adoptivvater so wieder zu begegnen. Sie hatten sich durch das Studium seit Monaten nicht gesehen und nun trat er ihm gegenüber wie ein Fremder, mit einer riesigen Show im Nacken.

 

Nachdem Vanitas und Noé ihre Preise entgegengenommen hatten, schüttelte sein Vater Noé schließlich die Hand.

„Die Teilnehmer der verschiedenen Kategorien bekommen jeweils ein einzelnes Treffen. Ihr beide seid die letzten. Seid bitte pünktlich und bringt eure beiden reizenden Begleitungen mit.“

 

Noé konnte nur wie gebannt nicken. Hatte sein Vater bereits gesehen, dass Domi und Jeanne mit ihnen gekommen waren? Wie in Trance verließen er und Vanitas die Bühne wieder.

 

Was mochte sein Vater vorhaben? Sie kannten einander doch privat. Wozu ein offizielles Treffen? Hatte er tatsächlich vor Vanitas und ihn zu fördern?

 

 

So in Gedanken versunken fiel Noé kaum auf, wie Dominique ihm entgegen gelaufen kam. Erst als er ihre Arme um sich spürte, versuchte er sie sanft anzulächeln. Ein Lächeln, dass sofort erstarb als er ihren ängstlichen Gesichtsausdruck sah.

 

 

„Noé… Ich muss dir was sagen...“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück