Zum Inhalt der Seite

Sherlock Holmes

das unheilvolle Familienerbstück
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

vom Unfall zum Plan & Unsicherheiten bei Licht

Seichte Nebelschwaden zog sich ungehindert und unbemerkt von den Anwesenden durch den Regent’s Park, während dort an einem gewissen Ort ein Rettungsteam gerade dabei war, zwei Männer mit etwas Hilfe von oben aus einem, vor langer Zeit, still gelegten Brunnen zu befreien. Das Wetter spielte momentan verrückt, wechselte unruhig hin und her, während der sich dezent weiter ausbreitende Nebel die umliegende Gegend schon bald wieder unbehelligt wieder verlassen würde. Die rettende Strickleiter, welche man im Brunneninnern an der kalten, moosigen Steinwand herab gelassen hatte, wurde nach kürzester Zeit nun auch schon wieder aufgewickelt, nachdem Sherlock Holmes als Zweiter den Brunneneingang erreicht und hinaus gestiegen war. Etwas anstrengend und nicht ganz so problemlos war es gewesen, zu zweit, mit Handschellen aneinander gekettet, der Detektiv zusätzlich durch die Verletzungen an seinem linken Bein beeinträchtigt, dort rauf zu klettern. Doch Dank der Hände, die ihnen zur Verfügung gereicht wurden, schafften sie es schließlich mühevoll, konnten, oben angekommen, endlich wieder frei durch atmen. Die ganze Rettungsaktion blieb Gott sei Dank eher unspektakulär, war ohnehin keine große Sache, wurde problemlos schnell über die Bühne gebracht, ohne dabei unnötig die Aufmerksamkeit der Parkbesucher auf sich zu ziehen. Mit klitschnasser Kleidung, bis zum Himmel stinkend und komplett verdreckt stand das Ermittler-Duo schlussendlich entnervt dreinschauend und völlig fertig neben dem Eingang dieses verfluchten Brunnens.
 

Beide atmeten erleichtert aus wieder den saftig grünen, frischen Wiesenboden unter ihren halbtauben Füßen spüren konnten. Endlich wieder frei! Noch leicht vor Kälte zitternd und dementsprechend nicht gerade gesprächig standen sie, umringt von Lestrade, Donovan und dem restlichen Rettungsteam einfach da, während der Detective Inspector ihnen einen besorgten, seine Kollegin einen genervten Blick schenkte und wollten nun eigentlich einfach nur noch schnell weg von diesem Ort, zurück in ihrer Wohnung, Duschen! Ja, eine heiße Dusche und saubere Kleidung, das war es, was sich vor allem der Kleinere der beiden gerade sehnlichst wünschte, aber ihm war durchaus bewusst, dass sie mit einem neugierigen Lestrade vor sich hier mit Sicherheit erst dann weg kämen, wenn dieser keine ungeklärten Fragen mehr übrig hätte. Unterdessen hatte eben jener die beiden Ermittler erst prüfend von oben bis unten gemustert, kam jetzt schließlich die letzten paar Meter auf sie zu, besah sich mit schnellen Blick ihr verschmutztes Aussehen, bemerkte dabei auch sofort die Handschellen. Warum genau sie die trugen, wollte er allerdings lieber erst gar nicht wissen.
 

Was dem DI allerdings noch auffiel waren Sherlocks beiden Verletzungen und die darum gewickelten Stofffetzen. Der Blick des Grauhaarigen schweifte kurz zu dem Doktor, erkannte dessen fehlenden Hemdärmel unter der Jacke, verstand fast sofort den Zusammenhang. Musterte dann nochmals den großgewachsenen jungen Mann, welcher mal wieder keine Miene verzog. “Sherlock, diese Verletzungen sollte sich vielleicht noch schnell einer von den Rettungsmännern ansehen. Der wird sie dann gleich beha-” “Nicht nötig!”, wurde der Detective Inspector sofort mitten im Satz von der barschen Stimme Sherlocks unterbrochen. “Ich brauche keine Hilfe, habe schließlich meinen eigenen Arzt.” Der gelassene und leicht hochmütige Unterton des Lockenkopfs brachte Lestrade dazu etwas verwundert drein zu blicken sich dann aber geschlagen gebend zu nicken, dachte sich lieber nur seinen Teil, beließ es einfach dabei, zuckte sogar kurz mit den Schultern. Derweil musste John zugeben, dass ihn Sherlocks Aussage von eben, mehr als er es vielleicht wahr haben wollte, irgendwo berührte, für einen kurzen Augenblick wohltuend sprichwörtlich schweben ließ. Er fühlte sich durch die Worte des Detektivs seltsam beschwingt, wusste nicht so Recht wohin damit, weshalb er es einfach über sich ergehen ließ, dieses Gefühl der Anerkennung in sein Unterbewusstsein speicherte, dabei weiterhin stumm blieb.
 

“Na, da habt ihr ja ganz schön was hinter euch.”, meine Lestrade schließlich mit etwas mehr Nachdruck in der Stimme, absichtlich das Thema wechselnd, lächelte beide Männer halb mitfühlend und halb grinsend an, während er sie hilfsbereit von den Handschellen befreite. John antwortete ihm mit einem schwachen Schmunzeln, nickte nur, rieb sich dabei das rötliche, leicht aufgeschürfte Handgelenk, gleich nachdem die Handschelle entfernt worden war, stöhnte kurz erleichtert auf, atmete einmal die frische wohltuende Luft tief ein und war so verdammt dankbar dieses kühle Metall endlich wieder los zu sein. Sherlock hingegen verdrehte nur innerlich die Augen, sah sich zwischenzeitlich einmal schnell in der Gegend um und verzog stillschweigend den Mund. Seine linke Hand legte sich dabei auf sein rechtes Handgelenk, rieb ebenso etwas über den dort deutlich sichtbaren roten Abdruck der Handschelle, gab dabei allerdings keinen Laut von sich. Auch sonst wirkte der Detektiv momentan sehr tief in Gedanken versunken, beinahe ruhelos. Sie mussten hier weg - hallte es in seinem Kopf wider - endlich wieder zurück zur Baker Street. All diese Leute um sie herum, nervtötend wie eh und je. Musste Lestrade denn gleich so viele Menschen hierher schleppen? Ein paar Leute hätten schon gereicht. Und dann auch noch ausgerechnet Donovan.
 

Letztgenannte stand immer noch etwas abseits, sah hin und wieder stumm zu ihnen rüber, schüttelte ab und an, dabei unverständliche Worte vor sich hin brummend, den Kopf, nur um dann diesen wieder von ihnen weg zu drehen, als sei nichts gewesen. Wie es schien hatte der DI Donovan mehr genötigt als gefragt, sie als Mithilfe praktisch einfach hierher geschleppt. Weshalb sie wohl auch - aus ironischer Sicht gesehen - hier so begeistert und freudig mitwirkte. Dem Consulting Detective konnte es letzten Endes egal sein, woraufhin er schließlich dem Mann, welcher ihm gerade doch tatsächlich eine Schockdecke umlegen wollte, nur mürrisch anblickte und sich direkt und steif zu Lestrade umdrehte. “Das ist doch jetzt nicht sein Ernst.” Nachdem der DI begriffen hatte was Sherlock überhaupt meinte, bat er den netten Rettungsmann wieder zu gehen. Auch der Doktor verneinte dankend als man sich um ihn kümmern wollte, was Lestrade mal wieder nur seufzen ließ. Erhobenen Hauptes und mit gespielt freundlichem Unterton fing Sherlock schließlich an zu reden. “Ihre Anteilnahme und Sorge schätzen wir sehr, jedoch haben wir gerade ganz andere Probleme als solche Nebensächlichkeiten über uns ergehen zu lassen. Ich muss also nicht noch deutlicher werden um die Zeitverschwendung sowie den Wunsch meines Kollegen und auch mir, endlich diesen widerlichen Gestank loszuwerden, noch klarer auszudrücken, oder Lestrade?!”
 

Seine rhetorische Frage ließ den Detective Inspector resignierend und leicht genervt den Kopf schütteln. Er verstand es ja, aber musste Sherlock deshalb immer gleich so ausfallend werden, mit diesem ganz bestimmten Tonfall verbal auf einen eindreschen, anstatt nur ein einfaches ‘Danke‘ auszusprechen? Doch bevor Sherlock noch irgendeine andere unpassende Bemerkung machen konnte, mischte sich sein Kollege plötzlich ein, indem dieser einfach direkt vor den Größeren trat und dem DI ein schnelles und knappes Lächeln schenkte. “Was Sherlock damit sagen wollte, ‘Vielen Dank für die Rettung und wir hören noch voneinander.’ Man sieht sich.” Und schon zog John den überrascht schauenden Detektiv hinter sich her, welcher ihm sogleich unwillkürlich schmunzelnd und ohne Widerworte folgte. Prompt wurde Lestrade einfach verlassen, stand dort wie bestellt und nicht abgeholt, sah den beiden Männern stirnrunzelnd hinterher. “Aber wehe ich bekomme nicht in spätestens 24 Stunden ein paar Erklärungen, sonst werde ich euch persönlich von einem Sondereinsatzkommando beschatten lassen!” Die eher schwache Drohung ging, wie erwartet an Sherlock vorbei, weshalb dieser sich auch nur noch einmal kurz umdrehte, die Hand zum Abschied hob, ein, dem DI bestens bekanntes Grinsen im Gesicht. "Keine Sorge Lestrade, Sie bekommen schon noch was Sie wollen!" Mit diesen Worten wollte sich Holmes schon wieder umdrehen, als ihn plötzlich ein Geistesblitz zu durchfahren schien.
 

John bemerkte es sofort an seinem veränderten Gesichtsausdruck.
 

"Lestrade" Sherlocks Stimme klang jetzt ganz versöhnlich. Mit schnellen Schritten, rascher als man es ihm mit dem verletzten Bein vielleicht zugetraut hätte, stand er plötzlich wieder vor dem DI, lächelte diesen nun freundlich an: "mir ist aufgefallen, dass Sie so umsichtig waren, hier überall um den Brunnen herum einen Sichtschutz aufzustellen. Wer weiß denn davon, dass Sie uns beide lebend aus diesem stinkenden Loch gefischt haben?" Vorsichtig auf die versöhnliche Stimmung einsteigend und die Anerkennung für sein Handeln annehmend, antwortete Lestrade ebenso freundlich: "nur ich und das Team, das Sie hier sehen, also Donovan und die anderen Männer hier wissen momentan, dass Sie beide leben. Aber worauf wollen Sie mit der Frage genau hinaus?" Lestrade ist wohl doch nicht so blöd wie er gedacht hatte, schmunzelte Sherlock. John verstand nicht alles, aber er kapierte schnell, dass der Detektiv wohl schon einen neuen Plan in seinem hoch funktionellen Hirn ausgearbeitet hatte, scheinbar vor zu haben schien diesen Unfall zu ihrem Vorteil zu nutzen. Die Antwort des Detektivs bestätigte diesen Verdacht dann auch sogleich. "zum jetzigen Zeitpunkt unserer gemeinsamen Ermittlungen im Fall Brown/Clapton... " Der Lockenkopf näherte sich dem grauhaarigen, blickte ihn charmant und verschwörerisch an, bevor er sich noch weiter vorbeugte, dem Detektiv Inspektor etwas ins Ohr flüsterte.
 

Ein gewisser blonder Mann stand bewegungslos da, konnte mal wieder nur darüber staunen, wie Sherlock die Menschen um den Finger wickeln, mit den richtigen Worten, Blicken und Gesten für sich einnehmen konnte, selbst wenn er sie fünf Minuten zuvor noch beleidigt oder belehrt hatte. Lestrade hörte konzentriert zu, machte immer mal wieder "mhm" oder "aha" oder rief ein "meinen Sie?", worauf Sherlock dann nur nickte und flüsternd weitersprach. John war kurz angesäuert, weil er hier frierend warten musste, mal wieder nicht in Sherlocks Pläne eingeweiht wurde, zuckte dann aber nur mit den Schultern, dachte sich, dieser würde ihn zum passenden Zeitpunkt schon einweihen, beschloss dem Consulting Detektiv zu vertrauen, das hatte er schon immer getan, seit sie sich kannten und miteinander arbeiten. Der Jüngere hatte schon früh klargestellt, dass er seine eigenen Methoden habe, sich des Öfteren die Freiheit nahm, bestimmt Dinge so lange für sich zu behalten, wie er es für richtig hielt. Außerdem verstand der Ältere von beiden nach kurzem Nachdenken, dass Sherlock deshalb so vertraulich mit Lestrade sprach, um sich mit ihm versöhnlich zu stimmen, ihn dadurch besser für seinen Plan nutzen zu können. Dieser beendete gerade seine private Unterredung mit dem DI, kam mit einem für John sehr bekannten Funkeln in den Augen wieder zu ihm zurück. "Na kommen Sie John, unsere Mitfahrgelegenheit nach Hause zu einer heißen Dusche und frischer Kleidung wartet schon auf uns."
 

Der Veteran runzelte erneut die Stirn. Mitfahrgelegenheit? Konnten sie die paar Meter nach Hause denn nicht auch laufen? Aber wieder zuckte er nur mit den Schultern, schob Sherlocks Wunsch nach einer Fahrt nach Hause auf die doch recht großen Schmerzen, die dieser von den beiden Verletzungen haben musste. ER war ja auch ziemlich platt und froh, keinen Meter mehr als nötig laufen zu müssen. Schon fünf Minuten später fuhr ein Wagen mit abgedunkelten Scheiben, dessen Rücksitz mit einer Plane als Schutz vor dem Schmutz seiner Passagiere ausgelegt war, vor. Sherlock hob nochmals dankend die Hand an das Rettungsteam und auch John nickte allen dankend zu, dann stiegen die beiden Männer ein. Lestrade sprach gerade leise mit Donovan, der der Mund offen stand, erwiderte den Gruß und machte sich sogleich daran den auf die Schnelle ausgearbeiteten Plan in die Tat umzusetzen. Sherlock Holmes war vielleicht ein verrückter Kerl und seine Methoden zweifelsfrei unkonventionell, aber wenn es half den Fall aufzuklären, die Schuldigen hinter Gitter zu bringen, so wollte er dem Consulting Detektiv vertrauen, dass hatte er schließlich, wie er nur minimal widerwillig zugab, in der Vergangenheit ihrer Zusammenarbeit nie bereut. Der Wagen, in dem der ehemalige Militär Arzt und sein in Gedanken versunkener Kollege saßen, fuhr inzwischen aus dem Regent´s Park hinaus, steuerte die Baker Street 221B an.
 

Kein Wort war bisher zwischen ihnen gefallen, lud die ganze Stimmung und Atmosphäre um sie herum erneut ein, sich spannungsgeladen und Fragen aufkommen lassend anzufühlen. Solche, die ihnen - seit beide Männer ihr ‘Spielchen’ im Brunnen unterbrechen mussten - einfach nicht mehr aus den Kopf gingen, sie gedanklich noch mehr verwirrten, gefühlsmäßig einengten, die vorherigen „Klarheiten“ mit sofortiger Wirkung einfach über den Haufen rannten, überboten, allesamt überstimmten. Neue, noch frische Unsicherheiten, die sich, jetzt wo sie sich im Licht wieder gegenseitig deutlich sehen konnten, in ihnen breit machten, waren allerdings seltsam klarer als die zu Beginn. Schnell wurde ihnen nämlich beinahe gleichzeitig bewusst, dass alle Bedenken zusammen sie letztendlich doch immer nur wieder in eine ganz bestimmte Richtung führten, immer schneller, so dass sie jetzt so weit gekommen waren, keine Möglichkeit zum Luft holen mehr zu haben, sich keine Pause mehr gönnen konnten. Wie es schien kamen Holmes und Watson nun wohl definitiv nicht länger drum herum sich endlich mal mit diesem seit einer Woche bewussten Strudel aus Gefühlen, Verwirrung und unausgesprochenen Gedanken endlich einmal auseinander zu setzten. Er war wie eine Art Last, die sich unerbittlich in ihr Gehirn, Herz, ihren Körper eingeschlichen, dort festsetzte hatte und nun auch so lange zu bleiben gedachte, bis die beiden ein vernünftiges und klärendes Gespräch geführt hätten.
 

Ein Gespräch, dem sowohl der Consulting Detective als auch seinem Mitbewohner dem Veteran nun wohl wirklich nicht mehr länger aus dem Weg zu gehen vermochten. Viel zu deutlich war nun die Übermacht der eindeutigen Gefühlsregungen, die sie beide die vergangenen Tagen unvermeidlich durchlebt hatten, oder auch die aufgekommen Gedanken, die es immer noch zu verarbeiten galt. Quälend langsam sickerte ihnen ins Unterbewusstsein, dass theatralisches Davonlaufen und schwächliches Ignorieren genauso wenig brachte wie Gedankenaufräumaktionen und Selbstzweifel… All jene Dinge brachten den Meisterdetektiv und seinen Arzt nur dazu noch tiefer ins gedankliche, emotionale Chaos zu stürzen, die Überlegungen wie man am besten, vorzugsweise unbemerkt, wieder aus dieser ‘Angelegenheit’ rauskommen könnte praktisch unmöglich… Also was brachte das ganze Leugnen, Sträuben und Verdrängen jetzt letzten Endes überhaupt noch?… Was brachten all diese dümmlichen und nutzlosen Pläne, Überlegungen und Schutzmaßnahmen?… Es lag nicht mal unbedingt nur daran, dass sie keine pubertierenden Teenager mehr waren, beide dem männlichen Geschlecht angehörten – Nein - vielmehr sollten – Ja – mussten Sherlock und John sich nun wohl wirklich so langsam mal klar darüber werden WAS GENAU sie für den jeweils Anderen waren. Wie die Fragen hinter den Fragen lauteten. Was sie wirklich voneinander dachten und... selbstverständlich... über die wichtigste Frage,…
 

Was empfanden sie füreinander? … Oder vielmehr, waren da wirklich Gefühle im Spiel oder doch nur die, wenn auch sehr verspäteten, Hormone? Spürten sie vielleicht beide einfach nur einen ungewöhnlich ausgeprägten Drang nach (körperlicher) Nähe? War der Beweggrund am Ende also vielleicht tatsächlich schlichtweg Einsamkeit oder gar der reine, niedere, sehnsuchtsvollen Trieb einfach nur mit irgendeiner andere Person Geschlechtsverkehr vollziehen zu wollen?… Für John war nach letzter Nacht vollkommen klar, dass es das schon mal bei ihm definitiv nicht sein konnte, warum, hatte er dem weltweit einzigen Consulting Detektiv ja auch vorhin im Brunnen, in einem Anflug von Mut oder Wahnsinn, da war sich der ehemalige Militärarzt immer noch nicht so ganz sicher, in der Dunkelheit, mehr oder weniger freiwillig, vollständig gestanden, stotternd zugegeben, dass der Lockenkopf in dieser sein Denken vollkommen beherrscht und ihn danach reuevoll, Schuld behaftet zurück gelassen hatte. Er hatte einfach ganz „normalen“ Sex haben wollen – mit seiner Freundin – so wie das seiner Auffassung nach richtig hätte sein müssen, doch ‘normal’ war mittlerweile ein Wort, welches er, wenn er wirklich ehrlich zu sich selbst war, eigentlich schon vor längerer Zeit, genauer gesagt ab dem Zeitpunkt an dem er den Detektiv Sherlock Holmes kennen gelernt hatte, aus seinem Kopf gestrichen und verbannt hatte. Seitdem war in seinem Leben nichts mehr normal. Inzwischen war er sich sicher, dass Mycroft damals Recht gehabt hatte.
 

Ja, das Leben an der Seite des Jüngeren war wie im Krieg zu sein, forderte und förderte ihn zu gleich, gab ihm keine Möglichkeit, sich nicht weiter zu entwickeln, nicht jeden Tag ein kleines Stück mehr über sich hinaus zu wachsen und dabei seinen vorbestimmten Weg, so hatte er zumindest nach seiner Verletzung gedacht, verlassen zu können, das Ruder selbst in die Hand nehmen zu können. Deshalb gab er es auch letztendlich auf, sich über manche Dinge in seinem Alltag zu wundern, diese in Frage zu stellen, nahm sie einfach so hin und an. Warum auch nicht? Denn das Meiste von diesen Dingen ging, wie nicht anders zu erwarten, von seinem eigensinnigen Mitbewohner aus, der seine Spielchen, seine Art und Weise und seinen Charakter jedes Mal aufs Neue so stark zur Geltung brachte, dass Watson sich mehr und mehr daran gewöhnte. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war…. würde er diesen dynamischen, ab und an brachialen und genialen Consulting Detective vermissen… Hatte es auch deshalb nach ihrem ersten richtigen intimen Erlebnis nicht übers Herz gebracht aus der WG auszuziehen, ach wenn er das vielleicht gekonnt hätte. Aber anscheinend brauchte John ganz einfach solch ein Chaos. Es hielt ihn am Leben, brachte seine Sinne immer wieder aufs Neue zum vibrieren, machte ihn frischer, lebendiger und zum Punkt kommend einfach nur glücklich… zufrieden damit, etwas gefunden zu haben an was er sich halten konnte, ihn gleichzeitig mitzog, seinen Alltagstrott aufpuschte… Er brauchte… diesen Halt, diesen neu entdeckten Lebenswillen… er brauchte… Sherlock.
 

… Eben jener war zur gleichen Zeit damit beschäftigt, überhaupt erst einmal den Grund für seine experimentierfreudige Neugierde aus einem verworrenen Konter- und Antwortenhaufen herauszufiltern. Seine eigene ‘Brunnenverführungstaktik’ war zwar so zu sagen in die Hose gegangen, allerdings war dieses Erlebnis im wahrsten Sinne des Wortes trotzdem, letzten Endes, mehr als angenehm gewesen. Johns Geständnis hatte ihn zuerst vollkommen verwirrt, aber er hatte schnell entschieden, dass er es nutzen konnte, würde, denn, trotz allem, zu seinem eigenen Bedauern, war diese gewisse Sache damit leider noch lange nicht abgeschlossen, war, ganz im Gegenteil, nun wahrscheinlich noch komplexer geworden, zuvor. Nötig oder nicht, er konnte und wollte diese plötzliche Unterbrechung nicht einfach so hinnehmen, so sehr sich sein brillanter Verstand auch dagegen wehrte - er MUSSTE dieses Thema, diesen Plan, dieses sexuell anregende Experiment einfach weiter führen, am Besten zu Ende bringen, auch wenn er, weniger als je zuvor, seit dieses begonnen hatte, auch nur erahnen konnte, wie dieses Ende eigentlich aussehen sollte. Aber eine andere Option stand ihm nun definitiv gar nicht mehr zur Verfügung. Viel zu sehr war er schon in seinen Gefühlsstrudel aus Emotionen und neu entdeckten Wahrnehmungen verwickelt und gefangen, ohne Aussicht auf Freiheit und Ruhe, solange er diese eine verdammte Angelegenheit mit seinem kleineren Kollegen nicht endlich geklärt, aus der Welt geschafft hatte.
 

Diese heikle Situation, die doch nur allein aus einer einzigen Frage bestand - ….War er, der weltweit einzige selbsternannte Consulting Detektive, überzeugter Soziopath, körperlich und mental wirklich in der Lage dazu, mehr zu empfinden als nur Freundschaft?… Sein Geist wandelte in seinem Kopf von einer rettenden Antwort zur nächsten, ging dabei immer wieder von Neuem all mögliche Lösungswege durch, die ihm eventuell nützlich sein und weiter helfen könnten. … Doch auch das schien alles nur vergebene Liebesmüh zu sein. War es für ihn denn so schwer zwischen unkontrollierbarem Trieb und menschlichen Gefühlen zu unterscheiden? Wusste der Jüngere von beiden nicht einmal selbst, wonach er eigentlich genau suchte, nicht nur sein Körper sondern auch sein Geist verlange? Und das alles, dieser ganze aufwühlende Stress, nur wegen John allein. Nur wegen ihm zerbrach er sich fast schon verstörend den Kopf, machte sich um Dinge Gedanken, die er - bevor er den Arzt kennengelernt hatte - normalerweise nicht einmal aus tagelanger Langeweile heraus in sein Hirn hinein gelassen hätte. Allein die Funktion dafür wäre wahrscheinlich nicht einmal wirkungsvoll in die Gänge gekommen und gewollt hätte er so was schon dreimal nicht, hätte nie im Leben jemanden überhaupt erst so nahe an sich heran gelassen, in die Nähe seiner, anscheinend wirklich existierenden, bis dato für fest verschlossen gehaltenen, kleinen Kammer aus schwachen und nutzlosen Gefühlen.
 

Eine kleine dunkle Kammer, tief in seinem Innern. Eine Tatsache, die Sherlock selbst verwunderte und nicht gerade glücklich stimmte. Er sah es eher als lästigen Zeitverlust, ein Teil in ihm, der sich als menschlich entpuppte und ihn fast schon resignieren ließ. Beinahe enttäuscht war er über den Verlust seiner Unabhängigkeit, unzufrieden mit dem Wissen doch tatsächlich ein paar Gefühle zu besitzen, die er, so sehr er sich auch dazu zwang - nicht einmal für eine Sekunde abstellen oder umgehen konnte. Nur wegen diesem Doktor... Doch was war mit diesem innerlichen Trieb? Frisch angekurbelt und neu entfacht. Weshalb diese plötzliche Interesse an sexuellen Tätigkeiten? Was war nur um Himmels Willen mit seinem Körper los? Besonders ständig in der Nähe dieser einen gewissen Person, wohlgemerkt wenn er dieser Person sehr nahe kam, ob nun gewollt oder nicht. Es war doch, um ehrlich zu sein, schon lange kein plumpes Experiment mehr, darauf war Holmes inzwischen schon selbst gekommen, entwickelte sich in eine ganz andere Richtung, ein merkwürdiger, ungewohnter, neuer Weg, den er gezwungenermaßen beschreiten musste. Wie es nämlich aussah wusste sein Körper, ganz im Gegensatz zu seinem sonst so brillanten Verstand, offenbar sehr wohl, was er allen Anschein nach haben wollte. Die Frage war nur, war es letztendlich ernster als gedacht und so weit ausgereift, dass auch das Objekt dessen „Begierde“ mitmachen würde – freiwillig?
 

Schließlich war eine Sache klar und deutlich - Sherlock würde sein Tun fortsetzen, würde seinem Körper eine Chance geben, wenn auch ungern, denn seinem eigenen instinktgesteuerten Drang den Vorrang, seine Zustimmung zu geben, war mehr normalerweise ein Unding, schlichtweg eine Seltenheit für ihn. Und dennoch. Es konnte nur die Wahrheit sein, unerbittlich, unangenehm, für den Detektiv so schwer zu akzeptieren… Kaum zu glauben… aber wahr… Ein verstohlener Blick ging vorsichtig rauf zum Größeren, als John nach einiger Zeit endlich den Mut hatte wieder etwas Ordnung in ihr gemeinsames Kollegen- und Freundschaftsverhältnis zu bringen. Fragend besah er sich dazu zuerst einmal seinen Nebenmann, musterte für einen kurzen Augenblick dessen Gesichtszüge, blickte allerdings aber anschließend wieder, ohne einen geeigneten Einstieg gefunden zu haben, wieder nach vorne. Sollte er die Sache im Brunnen vorhin ansprechen? Sollte er eine Bemerkung zu seinem Geständnis machen, dieses gar widerrufen? Nein, jetzt im Nachhinein alles zu leugnen, einfach unter den Tisch zu kehren, war nicht nur falsch sondern auch noch albern. Es brachte im Endeffekt beiden nichts wenn sie schon wieder solch ein kindisches Verhalten an den Tag legen würden, unnötig nervenaufreibend noch dazu. Aber irgendetwas musste John doch sagen, konnte nicht so einfach weiter machen. Diese Szene im Brunnen war im Vergleich zu der in seinem Bett um einiges anderes gewesen, wenn nicht sogar viel intensiver. Wieso hatte er eigentlich nochmal den unbändigen Drang verspürt sich bei dem Anderen zu entschuldigen?
 

… Ach ja... weil er ein schlechtes Gewissen dem anderen gegenüber empfunden hatte.. sich schuldig gefühlt hatte... was für eine surreale Situation...
 

Und um dem ganzen Drama noch die Krone aufzusetzen, musste hier und jetzt noch einmal auf eben diese zwei Männer hingewiesen werden, welche - seit sie auf dem Grund des verdreckten alten Brunnens ihren stürmischen Kuss von einer zur nächsten Sekunde unterbrechen hatten müssen - bis zu diesem Moment, während sie hier beide gerade in dem, von der Klimaanlage angenehm warmen, Wageninneren saßen, durch die Straßen kutschiert wurden, ein kleines "Problemchen" mit sich rumschleppten. Dieses stellte sich noch immer als sehr beengend und leicht schmerzhaft heraus. Tatsächlich hatten sich Sherlock und John in der Finsternis jenes Brunnens offenbar gegenseitig so sehr aufgeheizt, dass sie letztendlich nun das Ergebnis mit sich herumtrugen, oder wohl eher ertragen mussten. Nicht gerade angenehm traf sie die Erkenntnis die sich direkt in ihrer Körpermitte, zwar nicht deutlich zu sehen aber dafür umso mehr fühlbar, abermals bemerkbar machte. Wie Bitteschön hatten sie es bloß geschafft ihre noch leichten Erektionen bis jetzt beizubehalten?
 

Weshalb war der Doktor innerlich immer noch so aufgewühlt, Sherlock so angespannt?… Vielleicht noch ein Grund, warum sie unbedingt wieder so schnell es ging nach Hause wollten? Um für sich allein das zu beenden, was sie zusammen begonnen hatten? … Wie sollte das bloß weitergehen, wenn sich solche Situationen wiederholten, Holmes und Watson ihre Selbstkontrolle so leicht verloren? … Einfach weitermachen oder einen Schlussstrich ziehen? Und Warum zum Teufel bestand ihre derzeitige Welt nur noch aus Fragen???….. So unbeholfen er sich auch gerade benahm, John musste diese Seite ablegen, wollte nun wenigstens überhaupt irgendein Gespräch anfangen, hier nicht weiter so stillschweigend und verschlossen neben seinem Kollegen sitzen. Das plötzliche Räuspern registrierte Sherlock erst gar nicht, hatte innerhalb der nächsten paar Sekunden jedoch das Gefühl, doch etwas gehört zu haben. Aufmerksam zuckten seine Augenbrauen kurz in die Höhe, sah dabei das erste Mal wieder zur Seite zu dem blonden Mann hinunter, welcher mit dem Blick nach vorne gerichtet, zur Frontscheibe hinausblickte.
 

Beide waren sich unbewusst im Stillen einig, dass zu aller erst etwas gegen Sherlocks Verletzungen und ihren Körpergeruch unternommen werden musste, nicht zu vergessen diese schweren nassen Klamotten, die ihnen noch an der Haut klebten, sich recht unangenehm anfühlten. Und endlich, nach nur wenigen Sekunden durchbrach des Arztes, anfangs noch kratzige, Stimme diese unangenehme, sich ausgebreitete Stille. “Also,… ich würde sagen, wenn wir wieder in unserer Wohnung sind, dass jeder von uns erst einmal duschen geht und ich Ihre zwei Verletzungen im Anschluss sofort verarzten werde. Die Lappen haben sich längst mit Ihrem Blut vollgesogen und ich möchte Ihnen eine Blutvergiftung ersparen." Erst jetzt fiel dem Detektiv auf, dass sein Bein inzwischen ganz taub, die Hemdärmel von Johns Hemd nicht mehr grau vom schmutzigen Wasser sondern dunkelbraun vom Blut waren, was Sherlock anfangs gar nicht so schlimm empfunden und deshalb auch zuerst nicht wirklich bewusst registiert hatte. Allein die Aktion von vorhin, angekettet diese dämliche Strickleiter hinaufzuklettern, war ein etwas komplizierter und nervtötender Akt gewesen. Er war innerlich beinahe froh, dass sie es, rein körperlich betrachtet, überhaupt noch geschafft hatten, allein wegen ihren unterkühlten Unterkörpern und dem allgemeinen, vor Kälte zitternden, Zustand ihrer Körper.
 

Doch was der Doktor gerade gemeint hatte, wenn auch, jetzt wieder im Licht der Realität angekommen, mit der üblichen sprachlichen Distanz, die dem Detektiv inzwischen zugegebenermaßen ziemlich auf den Zeiger ging, vor allem wegen dem ständigen Wechsel, war trotzdem wahrlich ein Segen für seine Ohren. Ausruhen. Einfach nur nach einer heißen Dusche auf seiner schönen Couch liegen und sich entspannen - wenigsten nur für eine kurze Zeit. Denn während sie beide hier saßen, bereitete Lestrade bereits alles vor. George und seine Kumpanen waren fürs Erste über alle Berge. Oder um es richtig zu formulieren - feige in ihr Versteck geflüchtet, weiterhin auf der armseligen Suche nach Noah Brown.
 

Ja, letztendlich kam das Ermittler-Duo sie nicht umhin, sich zu aller erst mal um sich selbst zu kümmern. Sherlocks Plan würde ihnen dazu wesentlich mehr Zeit geben, als John momentan noch ahnte, was Gott sei Dank keine Probleme darstellen sollte, da Noah, so vermutete der Detekitiv zumindest, vor seinen Häschern, momentan zumindest, sozusagen in Sicherheit sein sollte. Der Consulting Detektiv hatte seinen Plan soweit ausgearbeitet, dass, wenn Lestrade und sein Team ihn exakt umsetzen, eigentlich nichts schief gehen konnte. Nun aber musste diese fühlbare Anspannung zwischen ihnen beiden schleunigst erst mal verschwinden, woraufhin Sherlock auch zu dem Entschluss kam, vorerst keine Andeutungen und Worte wegen der Sache im Brunnen fallen zu lassen, erst einmal abwarten, sich an den Plan halten wollte, war sicherlich das Beste. Auf John's Vorschlag hin brauchte er eigentlich kaum etwas zu erwidern, denn es war natürlich längst sonnenklar, dass sie es so machen würden, wie der Doktor es gerade noch vorgeschlagen hatte, doch um nicht ganz so unhöflich zu erscheinen riss sich der Größere von beiden zusammen, entgegnete schließlich mit üblicher tiefer Stimme: “Ja, das wird wohl das Beste sein. Wir dürfen währenddessen allerdings nicht vergessen uns Gedanken über das Familienerbstück zu machen, da es George zwar letztendlich aufgegeben zu haben scheint danach zu suchen, es für uns jedoch noch von Bedeutung sein könnte. Wir dürfen nichts außer Acht lassen.” Dieses ‘wir’ ließ John aufhorchen und sogleich etwas entspannter werden. Er war innerlich froh, dass sich wenigstens in Hinsicht auf ihren derzeitigen Fall und allgemein auf ihre Arbeit nichts geändert zu haben schien.
 

Kaum war das also nun alles geklärt, erreichte der Wagen mit den beiden Männer auch schon die Baker Street, Hausnummer 221B. Der Polizist, welcher den Wagen steuerte, wand sich fragend zu Sherlock um: "Mrs. Hudson ist nicht Zuhause?" Sherlock schüttelte den Kopf "Sie ist bei ihrer Schwester, Detektiv Inspektor Lestrade hat die Adresse." Der Polizist nickte, fuhr rasch fort: "Geben Sie mir bitte den Schlüssel. Ich gehe rein, öffne alle Türen, schließe die Vorhänge und dann kommen Sie beide bitte schleunigst ins Haus, ohne Umwege, verstanden? Mein Kollege sichert die Straße, damit Sie beide auch sicher von niemandem gesehen werden. Lestrade hat geschrieben, dass Sie sich bei ihm melden sollen, wenn Sie soweit sind, packen Sie nur das Nötigste ein. " Sherlock und John nickten synchron, wobei der Kleinere von beiden allerdings (mal wieder) nur Flugzeugträger verstand, doch dieser ermahnt sich abermals, dem Größeren einfach zu vertrauen, konzentrierte sich deshalb voll und ganz auf die heiße Dusche, die er gleich genießen würde. Planmäßig im Wohnungsinneren angekommen, wurde dann auch gar nicht mehr lange gefackelt, sondern sofort entschieden, dass Sherlock als Erstes ins Badezimmer gehen sollte, der Doktor in der Zwischenzeit schon mal alles für seine Verarztung zurecht legen und vorbereiten würde.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  White-Orchidee
2023-12-16T21:21:34+00:00 16.12.2023 22:21
Jetzt wird es ernst 😱 jetzt wird London fallen! Ohne Mrs. Hudson geht die Welt unter 😨


Zurück