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Drachenseele

Das Herz einer Priesterin
von

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*~Koriya~*

"Wenn du dich mit dem Teufel einlässt, verändert sich nicht der Teufel, der Teufel verändert dich…"- Unbekannt
 

Kapitel 8 - Koriya

-Besessenheit-
 

*Zu was ist ein von Angst und Hass getriebenes Wesen in seinem Wahn fähig? Wie weit, und zu welchen Taten, können sie es antreiben?

Verleihen diese Empfindungen ihm die nötige Kraft, um fortzubestehen und sich zu behaupten? Oder ist dies nur eine trügende Illusion - eine, aus der es kein Entrinnen mehr gibt?*
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

"Sind deine Wunden gut verheilt?"

Es dauerte eine Weile, bis sie selbst wahrnahm, dass sie ihre Frage soeben laut gestellt hatte. Die Priesterin blinzelte, fragte sich, wie er wohl darauf reagieren würde, als er sie unterbrach.

"Sind sie."

Ein leichtes Lächeln huschte über ihre Lippen, ließ sie für einen Augenblick das schlechte Gefühl völlig in den Hintergrund drängen und vergessen. Darüber, dass seine Antwort so knapp ausgefallen war, sah sie hinweg.

"Das freut mich für dich."

Unbewusst schaute sie auf, in seine Richtung, bemerkte, dass er ihr zumindest die Seite zuwandte und ihr nicht - wie sonst so oft - den Rücken kehrte. Das silbrige Mondlicht betonte seine neutral erscheinenden Züge und hob das graue Mandala auf seiner Stirn hervor; seine Augen reflektierten einen Teil des Lichts wie die eines Tieres.

"Deswegen bist du nicht hier."

Beinahe fühlte sie sich durch seine nüchterne Feststellung ertappt, aber ihr Verhalten war wohl sehr offensichtlich gewesen und Flúgar war anscheinend gut darin, die ehrlichen Absichten zu erkennen; genau wie sie die wahren Beweggründe der Menschen, die ihre Dienste in Anspruch nahmen, sah.

"Du hast Recht, das ist nicht der Grund."

Midoriko drehte sich um und trat einige Schritte zurück, um den Dämon besser anschauen zu können, da er diesmal zumindest den Anschein machte, als wollte er sie sehen, wenn sie mit ihm sprach.

"Irgendetwas stimmt nicht, aber ich weiß nicht, was es ist..."

Beiläufig zog sie eine Strähne ihres langen, pechschwarzen Haares vor, spielte nervös daran herum, suchte nach der passenden Formulierung der Worte, die ihr mühselig über die Lippen kamen. Wieder blickte sie nach oben, musterte seinen abwartenden Ausdruck.

"Ich bin sicher, du weiß, was hier vor sich geht."

Sie sandte ihm einen erwartungsvollen Blick zu, hoffte, er würde verstehen, dass sie die Gewissheit brauchte, die er längst besaß. Flúgar drehte den Kopf zur Seite, beobachtete den Horizont.

"Sicher weiß ich das."
 

Schon seit einigen Stunden spürte ich ihre Präsenz, aber erst seit kurzem hatte ich ihre Witterung aufgenommen; es überraschte mich nicht, dass keiner der Wachhunde anschlug, es roch so stark nach Vieh, verbranntem Holz und Mensch hier im Dorf, dass dazwischen selbst für mich wenig auszumachen war, diese Vielzahl an Gerüchen war dermaßen hinderlich, aber die Menschen mit ihren abgestumpften Sinnen nahmen es ohnehin nicht wahr.

Die fremden Youkai - Sálarsvipur - waren dabei sich zu organisieren und eine Formation zu bilden, die das Dorf wie ein undurchdringliches Netz umgab und es fluchtweglos einkesselte. Niemand würde ihnen entkommen, ihre Koordination untereinander war ausgesprochen präzise; ungewöhnlich für Dämonen, die grundsätzlich die Körper anderer Lebewesen besetzten, um sie für ihre Zwecke zu benutzen. Der Wind trug mir den Geruch ihrer diesmalig gewählten Wirte zu... Wölfe.

Die stupiden Dörfler ahnten nicht einmal etwas von der drohenden Gefahr, sie waren nicht einmal fähig zu erkennen, dass sich das Klangmuster des Heulens der Wölfe in den umliegenden Wäldern ganz plötzlich drastisch verzerrt hatte.

Sie würden nicht mehr lange abwarten, die Gunst und Deckung der Nacht würden sie sich nicht entgehen lassen und zu ihrem Vorteil nutzen, um die Siedlung mit möglichst wenig Risiko angreifen zu können. Es war damit zu rechnen, dass dieses Dorf im Morgengrauen mitsamt all seiner Bewohner vollständig vernichtet war.

Mich störte dieser Gedanke keineswegs, ich würde sie nicht an ihrem Vorhaben hindern; es war immerhin nicht mein Problem und es gab keinen Grund sich in diesen Konflikt einzumischen. Die Menschen sollten zusehen, wie sie alleine damit klarkamen, schließlich waren sie selbst schuld, dass die Youkai sie so abgrundtief verachteten.

Die Vorhut des Rudels streunte bereits auf den Anhöhen der Talränder umher, kundschaftete die aktuellen Umstände genau aus, machten sich ein Bild von der gegenwärtigen Lage; die tieferliegende Ebene war eine perfekte Begebenheit für sie, in diesem Krater fiel es umso einfacher die Menschen zusammenzutreiben und sie in Kooperation mit den anderen Rudelmitgliedern zu hetzen, um den Geruch ihrer Angst und die panischen Schreie zu genießen, nur um sie letztendlich genüsslich in Stücke zu reißen. Diese Dämonen waren machtlos gegen ihre banalen Instinkte, gegen die Blutgier, die sie zuweilen beherrschte und der Hass aus Menschen verwandelte ihren trüben Blick in vollkommene Blindheit. Und wen jemand wusste, dass blinde Aggressionen zu rein gar nichts führten, dann war ich es.

Die Priesterin sah mich flehend an, in ihren Augen spiegelte sich die tiefe Ungewissheit, in der sie ihr vorausahnendes, aber grobes Gefühl zurückließ. Ich konnte ihre Nervosität bereits riechen, es würde wohl nicht mehr lange dauern, bis die Angst, die sie noch im Zaum zu halten wusste, durchschlagen und ihr die Vernunft rauben würde. Verzweiflung begann ihre Züge zu prägen, ihr fehlte für diese Situation der Ausweg; ersuchte sie etwa bei mir Hilfe? Wie kam sie nur auf die Idee, dass es mich überhaupt interessierte, wie sie empfand? Oder wusste sie schlichtweg, dass ich die Antwort parat hatte, nach der sie so fieberhaft strebte?

Anscheinend suchte sie Halt in ihrer Verlorenheit bei mir... wie töricht... aber warum? Was veranlasste sie nur dazu? Wieso hielt sie sich nicht an ihr menschliches Umfeld?

Die Unsicherheit verfolgte mich schon mein ganzes Leben lang und ich verabscheute es, so machtlos gegen eine simple Empfindung zu sein; ich erinnerte mich zurück an unser erstes Aufeinandertreffen im Lager der Dämonenjäger. Damals war ich vollkommen hilflos gewesen, zu keiner Gegenwehr fähig... sie hatte mich verschont, aus ihrem freien Willen heraus, ihre Beweggründe spielten keine Rolle. Meine Schuld bestand weiterhin, und es war mehr als das.

In den Augen bestimmter Personen, beispielsweise meines Vaters, hätte mein Tod mehr bedeutet, als nur den Verlust eines weiteren ClanMitgliedes oder seines Sohnes, viel mehr. Seine Pläne für die Zukunft und den Fortbestand des Clans wären stark gefährdet gewesen und das Wohl des Clans stand über allem.

Ich hielt ein Seufzen zurück, lenkte meinen Blick wieder auf die Hügel am Rande des Tals; es wurden beständig mehr und sie fingen an, die Maschen ihres Netzes zuzuziehen.

"Kannst du es denn nicht hören?"

In stiller Erwartung der korrekten Antwort beobachtete ich sie aus den Augenwinkeln.

"Huh?"

Außer diesem von Überraschung zeugenden Laut entgegnete sie mir zunächst nichts, sie schwieg in ihrer Nachdenklichkeit, wirkte für einige Momente teilnahmslos; als jedoch die Wölfe ein weiteres Mal ihre nunmehr dämonischen Stimmen in einem disharmonischen Einklang miteinander erhoben und somit die täuschende Stille der Nacht durchrissen, straffte sich ihre Körperhaltung. Sie fasste den Horizont in ihr Sichtfeld.

Ihre Züge wurden alsbald von der bösen Vorahnung, die gerade in ihr am Aufkeimen war, überschattet, ließen sie matt und gewissermaßen ungläubig erscheinen.

"Wölfe...? Aber..."

Atemlos und ohne richtige Betonung formten ihre Lippen jene Worte; die Tatsache trieb Verwirrung in ihr hoch, der unverzüglich darauf folgende, hilflose Blick galt einzig mir. Ich sah sie längst nicht mehr an, vermied jeglichen Augenkontakt, die starke Ausdruckskraft von Emotionen, besonders in den Augen von Menschen, war etwas, das ich einfach nicht ertrug, nicht mehr...

In diesen Momenten schloss sich die Formation der Youkai und sie bezogen ihre finalen Positionen auf dem ringsherum erhöht liegenden Talrand; das Heulen verklang, die Ebene verfiel in eine trügende, verhängnisvolle Stille. Der Miko stockte der Atem, sie schien nun endlich zu begreifen, was es mit den Wölfen auf sich hatte; ohne noch eine Sekunde der für sie und alle anderen Menschen verbleibenden, lebenswichtigen Zeit zu verschwenden, ergriff sie die Initiative, machte aus dem Stand auf dem Absatz kehrt und eilte fluchtartig davon, merklich von Hektik und Angst getrieben.

Für mich blieb es gleich, was genau geschehen würde, der Verlauf des Gefechts interessierte mich ebenso wenig wie dessen Ausgang; bloß eines behielt ich mir vor: die von Youkai besessenen Wölfe sollten die Dörfler haben und sie töten, es war einerlei, was sie mit ihnen anstellten, jedoch die junge Priesterin würden sie nicht anrühren, ansonsten würde es für sie noch finsterer aussehen, als für ihre Opfer...
 

In meiner Hast schaffte ich es in aller Knappheit den verbleibenden Zeitraum zu nutzen, um das Dorf in Aufruhr zu versetzen, noch bevor die Wölfe die Behausungen erreichten und ihren Angriff starteten.

Mir selbst fehlte für jegliche Präparation auf einen Kampf die nötige Zeit, ich fand keine Sekunde um auch nur darüber nachzudenken, Schwert und Rüstung aus Hinoes Hütte zu holen. Somit stand ich ihnen so gut wie schutzlos gegenüber. Viele Möglichkeiten blieben für mich nicht offen stehen, ich blickte dem Gefecht wahrhaftig mit einer gewissen Furcht entgegen. Ohnehin kämpfte ich nicht bevorzugt, aber ich hatte keine Wahl, es verblieb kein weiterer Augenblick mehr zum Nachdenken...

Unzählige, rot glühende Augenpaare durchbrachen die tiefe Schwärze der Finsternis, kamen beständig näher, erschienen mal hier, mal dort, nur um augenblicklich wieder zu verschwinden und urplötzlich an einer anderen Stelle aufzutauchen; das bedrohliche Knurren schien von überall, aus jeder erdenklichen Richtung, zu kommen.

Holz barst, splitterte, die Wölfe brachen von allen Seiten geräuschvoll durch die dürftigen Umzäunungen, die sonst als Schutz gegen wilde Tiere dienten, stoben im vollen Tempo weiter vorwärts, stur geradeaus, durch die Gassen der Siedlung, rittlings auf die zur Auseinandersetzung bereiten Menschen zu.

Ohne weiteres Zögern fielen sie gnadenlos über die aussichtslos unterlegenen Dorfleute her, schlugen ihre Fänge unbarmherzig ins Fleisch ihrer mittellosen Opfer, brachten sie mit Leichtigkeit durch Einsatz ihrer Körpermasse zu Boden und rissen sie wortwörtlich mit wenigen Bissen in Stücke. Ihre Bösartigkeit und Aggressivität erschien grenzenlos, unermüdlich, so unnatürlich . Die Dörfler hatten keine Möglichkeit, gegen solch eine offensichtliche Übermacht anzukommen; aus so etwas waren sie nicht vorbereitet gewesen.

Es waren unzählige Wölfe, wesentlich mehr als es in einem gewöhnlichen, groß angesiedelten Rudel und sie waren riesig, einem Ochsen an Schulterhöhe gleich, an Stärke und Schnelligkeit jedem anderen Wolf weit überlegen.
 

Ganz gleich wie es nach außen schien, ich hatte furchtbare Angst, in meinem Kopf hallten die Todessschreie der Menschen wider, denen die Wölfe in meiner unmittelbaren Nähe die Kehle durchbissen oder den Rumpf erbarmungslos zerfetzten, an ihren schlaffen Gliedern zerrten.

Ich war wie gelähmt, ich konnte nichts tun, vor meinen Augen lief alles in seiner Bewegung verlangsamt ab, die todbringenden Angriffe der skrupellosen Bestien und ihr blutbenetzten, weit aufgerissenen Mäuler, die Menschen, die von ihnen angefallen wurden und vergeblich um ihr Leben kämpften.

Verzweiflung und eine schreckliche Panik begannen um sich zu greifen, die Leute zu befallen, sie blindlings in ihr Verderben zu treiben.

Auch ich spürte diese so unglaublich menschlichen Empfindungen an meinem klaren Verstand nagen, aber um keinen Preis durfte ich die Besinnung verlieren, niemals... ich musste meine Haltung wahren und die beklemmende Lähmung abschütteln, die meinen Körper beherrschte, gefangen hielt. Ich gebot dem Zittern meines Leibes Einhalt, sammelte meine Konzentration, es gab nur eine Chance, diese verbleibende Possibilität musste ich nutzen.

Indem ich die Seelen der Youkai läuterte, konnte ich Kakougen No Kyou und die noch lebenden Bewohner retten, das Mindeste, was ich tun konnte, war mit all meiner Kraft einen Versuch zu unternehmen.

Ich spürte Kanekos Aura ganz in der Nähe, die Präsenz ihrer transformierten Form, auch sie kämpfte für den Fortbestand der Siedlung, eine Aufgabe konnte schlichtweg nicht in Frage kommen.

Meine Entschlossenheit siegte über Zweifel und Angst, ich fand meine innere Ruhe und die notwendige, vollkommene Konzentration, für einige Augenblicke verschwanden die Eindrücke meiner Umgebung, um mich herum wurde es still. Stärker denn je spürte ich die herbeigerufene Energie in mir aufwallen, deutlich fühlte ich meine eigene Macht, die nun im Überfluss strömte und auszubrechen versuchte. Mir wurde bewusst, dass ich mit besonderen Kräften im Bunde sein musste, die mich sicherlich auch befähigten bei falschem Umgang oder gar Missbrauch, große, irreparable Schäden anzurichten. Es brauchte nicht nur meine Überzeugung und meinen Willen, sondern auch mein Herz um die völlige Kontrolle darüber zu erlangen.

Nun näherten sie sich mir, und das rasch, aber ich verspürte keine Furcht, ich setzte mein Vertrauen in meine Fähigkeiten, ich würde es schaffen, ich wusste es einfach. Mit nichts als Bestimmtheit und absoluter Sicherheit versetzte ich meinen Ausdruck, nachdem ich die Augen geöffnet hatte und mein Ziel gefasst, in aller Ruhe abwartete, bis die Wölfe zu ihrem letzten, todverheißenden Sprung ansetzten.

Genau in dem Moment, in dem die Pfoten ihrer Hinterläufe den Boden verließen, in dieser Sekunde ließ ich der aufgestauten Energie ihren freien Lauf, setzte sie auf das an, was sich mir nun als schwarze, knäuelförmige Energieansammlung präsentierte: die Seele der Wölfe, die meinen Augen nicht weiter verborgen blieb.

Mit der Separation, dem eigentlichen Entzug, verlor sich die Schwärze, wandelte sich in eine eigenständige, mit langen Tentakeln versehene energetische Masse, die unter dem Druck meiner nun weiß erscheinenden Kraft allmählich verging, förmlich darin zerfiel. Diese Wölfe waren keine Youkai, sie waren von irgendetwas besessen gewesen und bloß aus diesem Grund hatten sie angegriffen. Denn sonst waren es scheue Tiere, die den Menschen stark mieden und auch nur selten weit außerhalb weidendes Vieh rissen.

Ich atmete auf, erleichtert. Aufmerksam beobachtete ich, wie die Wölfe wieder ihren ursprünglichen Zustand annahmen, deutlich erkennbar an Größe verloren, als plötzlich ein heftiger Stoß in die linke Seite mich sofort von den Beinen holte und mit einer Wucht zu Boden riss, die mir beim Aufprall jegliche Luft aus den Lungen trieb. Präzise vermochte ich es nicht zu sagen, aber fast gleichzeitig jagte ein ziehender Schmerz durch meine Nervenbahnen, der seinen Ursprung eindeutig in der Gegend um Schulter und Hals hatte; der heiße Atem eines Lebewesens strich gleichmäßig über meine Haut, blanke Zähne bohrten sich unnachgiebig immer tiefer in mein Fleisch.

In diesem Moment dachte ich nicht mehr, es war aus, entgültig... ich schloss die Augen, innerlich resignierte ich...

Mit einem Mal verschwand das fremdartige Gefühl sowie der schmerzhafte Druck auf meiner Brust und an meiner Schulter; ich hörte einen durch Mark und Bein ziehenden, schrillen Aufschrei zu meiner Rechten, den man unter keinen Umständen einem Menschen hätte zuordnen können und parallel dazu das lautstarke Bersten von massivem Holz.

Benommen richtete ich mich mühevoll auf, wandte meinen leicht verschwommenen Blick instinktiv nach links...

"Flúgar...?"

Die Kraftlosigkeit machte meinen Körper lahm, ich gab einen gequälten Laut von mir, als ich versuchte, mein Gewicht auf meine Arme zu stützen; ich unterließ es, tastete anstatt dessen, mit einer ahnenden Schwere in der Magengegend belastet, meine linke Schulter ab und wurde schnell davon überzeugt, dass meine Prognose mitten ins Schwarze traf: einer dieser Wölfe war mir unbemerkt nahe gekommen und hatte mich angefallen, seine Fänge in meiner Schulter vergraben und mich beinahe getötet.

Erleichtert atmete ich aus, schloss die Augen, um mich herum drehte sich alles, mir war schwindelig und eine gewisse Übelkeit setzte mir mit ihren ständigen Intensitätsschwankungen unbarmherzig zu. Welch ein aufmerksames Mitgift...

Unnachgiebig wehrte ich mich gegen die so verführerisch und greifbar nahe wie nie erscheinende Bewusstlosigkeit, schüttelte ihre schwarzen Arme, die sie verlangend nach mir ausstreckte, mich sanft einlullten, ab und versuchte inständig, einen klaren Kopf zu bewahren.

Die Situation war nach wie vor angespannt, vermutlich sogar stärker als zuvor, denn nun hatte sich Flúgar gezeigt, wohl nicht gewollt, aber deutlich und offen wahrnehmbar für jede Person, die noch am Leben war. Im Stillen prognostizierte ich, was mir unvermeidbar erschien: sie würden den Versuch unternehmen, ihn zu töten.

Ob Flúgar von sich aus eine feindliche Gesinnung offenbaren würde, wusste ich nicht mit Sicherheit zu sagen, ich hoffte es nicht...
 

Die junge Miko lag keuchend auf dem Rücken, die Augen geschlossen, um ihr Bewusstsein ringend. Der Geruch ihres Blutes hing in der Luft, stieg Flúgar in die Nase; er beobachtete sie aus den Augenwinkeln, während er die Wölfe auf Distanz hielt. Es bedurfte nicht mehr als einem eiskalten Blick und dem abgrundtiefen, grollenden Laut, den Midoriko nur allzu gut von ihm kannte, um den Youkai Einhalt zu gebieten; verwirrt blieben sie auf Abstand, knurrten bedrohlich, fletschten die Zähne, ließen ab und zu ein unschlüssiges, verärgertes Bellen verlauten, näherten sich aber keinen Schritt.

Merklich verunsichert trippelten die aggressiven Bestien, von Unruhe gepackt, im Kreis, tigerten ziellos auf und ab, hin und her, inspizierten den leblosen Leib ihres toten Artgenossen, bevor sie sich wieder umwandten und Flúgars Gestalt musterten, ihn abzuschätzen versuchten.

Es entsprach nicht dessen Absicht, ihnen durch eine bloße Drohung zu befehlen, diesen Ort zu verlassen und ihm nie wieder unter die Augen zu treten. Nein, keineswegs. Mit dem Versuch einer ihrer Gleichgesinnten, der Miko auf hinterhältige, feige Weise das Leben zu rauben, hatten sie ihr eigenes Unglück selbst heraufbeschworen und ihr Todesurteil praktisch signiert. Flúgar sah sich bloß als ausführender Henker; und der kannte keine Gnade - nicht in einer existenten Form - er würde sie töten, und zwar alle, ausnahmslos; das Rudel war bedingungslos und entgültig dem Untergang geweiht.

Ohne Eile schritt er langsam, gelassen mochte man es nennen, auf die monströsen Ungetüme zu, die einstmals Wölfe gewesen waren, aufgeregt hechelten und sofort vor ihm zurückzuweichen begannen, sich eng aneinander drängten; lautlos verharrten sie, starrten ihn mit ihren roten Augen an, folgten jeder einzelnen seiner gemächlich verbleibenden Bewegungen. Die Warnung ihres Instinktes kam zu spät, sie hätten seine mächtige Präsenz niemals übersehen dürfen, denn im Rang hohe Dämonen wie er duldeten unter keinen Umständen so niedere Kreaturen wie sie.

Die Panik griff als Kurzschlussreaktion auf die Erkenntnis unmittelbar über, veranlasste sie zu im selben Moment ihre massigen Leiber herumzureißen und hastig kehrt zu machen, in die entgegengesetzte Richtung blindlings zu flüchten, ungeachtet jedes Hindernisses, das sich unweigerlich auftat.

In diesem Augenblick wurden Flúgars Züge so finster wie der Himmel in jener Nacht; keinen Wimpernschlag nach der überstürzten Kehrt der Wölfe riss er seine rechte, mit scharfen Klauen bewährte, Hand in die Höhe, ließ sie - für das Auge eines Menschen unerfassbar - durch die Luft schnellen, womit er eine druckwellenartige Sturmböe erzeugte, deren rapide Geschwindigkeit und offensichtliche Schärfe den Großteil der fliehenden Meute sofort einholte und buchstäblich in Stücke riss.

Dem bescheidenen Rest setzte er mit einem einzigen, gewaltigen Satz nach, mit dem er sich vor sie brachte, sich ihnen mitten in den Weg stellte und die Prozedur von gerade eben wiederholte, den Wind in unsichtbare, aber messerscharfe, todbringende Klingen verwandelte, die unaufhaltsam durcheinander wirbelten und jeden Widerstand in Bruchteilen von Sekunden zerfetzten.

Erschrocken und gleichermaßen entsetzt, ungläubig fixierten die Menschen den vermeintlichen Dämon mit ihren weit aufgerissenen, von Furcht erfüllten Augen, unfähig, sofort auf das eben Geschehene zu reagieren.

Es war die alte Hinoe, die sich zuerst wieder einigermaßen fasste, einen Pfeil aus dem Köcher auf ihrem Rücken zog und damit die Sehne ihres Bogens spannte; sie zielte unverhohlen auf Flúgar.

Dann entließ sie den Pfeil aus dem wahrenden Griff ihrer Finger, seine Flugbahn schien den sich unmittelbar anbahnenden Treffer zu garantieren; aber nicht einer der überlebenden Dorfbewohner konnte sagen, ob der Pfeil nun getroffen oder sei Ziel verfehlt hatte, das Auftreffen blieb im Unklaren und wurde von der Dunkelheit der herrschenden Nacht förmlich geschluckt. Denn die Silhouette des Dämons war mit einem Mal wie feiner Nebel abgezogen, wie vom Winde verweht, einfach so aus dem Sichtfeld verschwunden, schier in Luft aufgelöst ...
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

[Anm.]

Sálarsvipur - Seelengeißeln
 

***>>> Kapitel 9:

>"Als die Nacht weicht, und die Sonne die düsteren Schatten vertreibt, kehrt schlussendlich Ruhe ein; die erschöpften Menschen gedenken ihrer Toten, und in dieser misslichen Situation zeigt jeder sein wahres Gesicht..."

Tilviljun



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Lizard
2005-10-20T20:45:39+00:00 20.10.2005 22:45
Hui, also dieser Wolfsangriff, der hatte es echt in sich. Schon der Anfang, als du aus Flugars Sicht beschreibst, was sich anbahnt... woah, das gab richtige Gänsehaut-Stimmung. Diese Salarsvipur, wie muss man die sich eigentlich vorstellen? Besetzen andere Körper... Hmmm, ist das so was wie (ah wie hieß das Vieh noch mal auf deutsch?) die Totentanzkrähe (Ich hoffe, du weißt, was ich meine?)?
Der Überfall war jedenfalls sehr atmosphärisch und spannend gestaltet.
Und die Charaktere alle wieder toll beschrieben.
Tja, und diese Perspektivenwechsel sind immer sehr gut gestaltet und irgendwie sehr intensiv und gefühlsbetont. Man kann in diese Welt richtig versinken.
Zum weiterhin immer noch bewundernswerten, malerischen Schreibstil muss ich ja wahrscheinlich nichts mehr sagen. Ich kann nur sagen, schreib weiter so, ist wirklich grandios. Ich komme mir jedes Mal so vor als würde ich in den Sog eines Gedichtes gezogen.
Einfach schön!
Verständlich war ansonsten auch alles und der Sprachrythmus bzw. der Fortlauf der Story entwickelt sich auch sehr flüssig.
Habe nichts dran auszusetzen. Weiter so.
Von:  Mondvogel
2005-10-16T07:32:48+00:00 16.10.2005 09:32
Diese riesigen Wölfe waren ja wirklich unheimlich... Interessant, dass sie von jemandem bessesen waren, das ich auch mal was anderes.
Ich fand es so schön, dass Flúgar Midoriko geholfen hat.^^ Sicher wolte er seine Schuld begleichen, aber ich glaube er war auch ein bisschen beunruhigt, als er Midorikos Blut gerochen hat, was?
Und dann an so einer Stelle aufzuhören! Hat der Pfeil sein Ziel getroffen?
Das werde ich wohl erst im nächsten Kapitel erwahren. Bis dahin nochmal ein großes Lob an dich.
Von:  Hotepneith
2005-10-15T08:46:55+00:00 15.10.2005 10:46
Was für eine Nacht...
Schöne Beschreibungen der Gefühle, wie immer. Ich fürchte, ich wiederhole mich.
Eigentlich sollten dioe Dorfbewohner Flugar in gewisser Weise dankbar sien, aber ich fürchte, das sieht nicht so aus.

Mal sehen, wie du weiter es beschreibst.

bye

hotep
Von:  shippi
2005-10-15T05:56:58+00:00 15.10.2005 07:56
Wow, erste.^^
Danke für die ENS!^^ Ich kann bloß sagen: super!!!
Die FF ist echt klasse. Schreibstil und Story, alles toll. Also, schnell weiterschreiben!^^
Bye shippi


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