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Cupid

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5 Tage

Gerne würde ich dieses lästige Vorwort unterlassen, aber ich muss noch einige Dinge vorweg klären, bevor ich hier meine unglaublich tolle (Achtung, bitte nicht über die Ironie stolpern) Fanfiction veröffentlichen kann.

1. Ich verdiene hiermit nichts und habe keine Rechte an den armen Charakteren, die ich für die Auslebung meiner kranken Phantasie missbrauche.

2. Wer den Film "Hitch" gesehen hat, wird mir später sicherlich vorwerfen wollen, ich habe Ideen aus dem Konzept geklaut. Dem ist aber nicht so. Wüsste ich nicht ganz genau, dass ich mit dem Schreiben dieser Geschichte begann, als der Film noch gar nicht in den Kinos lief, dann würde ich mich mir garantiert auch einen Vorwurf machen (bin ja bekanntlich ein ganz, ganz krummer Finger) - so aber wundere ich mich nur über die Zufälle, die mir immer wieder gerne Fallstricke legen. Glauben muss mir keiner, aber es ist die Wahrheit.
 

So... Gleich ist dieses dümmliche Selbstgespräch meiner vorüber, keine Angst ihr Ausflüchte meiner Imagination, die ich euch liebevoll "Leser" nenne (Onkel Phil, mein Psychiater, ist der Meinung, dass es ganz heilsam ist, sich selbst einzureden, die ganze, weite Welt habe einem noch nicht den Rücken zugekehrt).

Anlass dieser Geschichte ist der Geburtstag meines aller-aller-allerbesten Kumpels Deepdream (,der sich für diese Bezeichnung und den sich erhärtenden Verdacht, mich zu kennen, jetzt wohl sicher in Grund und Boden schämen wird) , der mal wieder ein weiteres Jahr auf dem rheumageplagten Rücken und weitere Falten mit sich tragen muss... Au, ey! Nich' schlagen.....

So ist sie mein Geschenk an ihn, und wer mir Morddrohungen zusenden will, warum ich immer noch nicht mit meinen erbärmlichen schriftstellerischen Versuchen aufgehört habe, der wendet sich bitte zuerst an den hiermit offiziellen Besitzer, dem dies alles hier gewidmet ist.
 


 


 

Nur ein einziges Mal, für einen einzigen Moment... möchte ich vergessen, möchte ich dich lieben, möchte leben.

Wie nur? Wie soll ich dich nur wieder aus meiner Umarmung entfliehen lassen, nachdem ich einmal deinen Körper so nah an dem meinen gespürt habe? Wie kann ich dich nur loslassen, wenn die Erinnerung des Gefühls deiner liebkosenden Berührungen mein Herz vor Sehnsucht zerreißen wird? Wie kann ich ohne dich weiter leben - mit deinem Lachen, deinem Duft, deiner Wärme in meiner Erinnerung?

Denn vergessen kann ich dich nicht. Wie könnte ich das?

Dein Atem ist der meine geworden. Deinen Wunsch zu erfüllen ist nun mein höchstes Ziel.

Dein Lächeln zu sehen mein Untergang.

Denn du gehörst mir nicht. Dein Herz blickt in die Ferne, sieht mich nicht. Nie wirst du mich als das sehen können, was ich wirklich bin.

Aber das ist in Ordnung. Alles... ist in Ordnung, so lange ich dich nur neben mir weiß, so lange du mir mit deiner Präsenz Rückhalt gibst. Lange war ich blind, wollte nicht das sehen, was mein Herz schon längst wusste.

Nun ist's zu spät... An deiner Hand hast du ein kleines Kind geführt, ihm deine Welt gezeigt, um es an eine schroffe Klippe zu bringen. An den Ort, an dem der junge Vogel zum ersten Male seine Schwingen ausbreiten muss, um entweder in die dunkle Tiefe zu stürzen, oder in den hohen Lüften zu segeln.

Geblendet ließ ich mir von dir die Federn aus Seidenpapier basteln und anstecken - stets nach dem Unerreichbaren, den naiven Träumen aus Kindertagen, greifend.

Zu spät ist's nun. Verzweifelt, verängstigt schlage ich mit meinen Flügeln, da du mich zum letzten Anlauf vor dem großen Sprung treibst. Nicht der Sprung oder der Fall ist es, vor dem ich mich fürchte - deine zarten, mich leitenden Hände werden mich nicht fallen lassen.

Nein, vielmehr ist es die Furcht davor, dass ich die Kluft, die mich als letztes Hindernis von dem, was ich einst glaubte, besitzen zu wollen, trennt, überwinden könnte.

Wie könnte ich dich einfach zurück lassen?
 

Washberry productions ashamedly presents...
 

Cupid
 

Laut schlug sein Herz, trieb Adrenalin in Energie spendenden Schüben durch seinen Organismus. Unangenehm fühlte er seinen Herzschlag mit jeder Gefäßweitung seiner Halsschlagader unter seiner Haut pochen. Das Rauschen seines Blutes in seinen Ohren und sein heftiges, unregelmäßiges Keuchen waren das einzige, was er in der engen, dunklen Gasse hören konnte. Nur ein schmaler Spalt zwischen zwei heruntergekommenen Häusern, in den er über Müll stolpernd hineingetaumelt war, bot ihm Schutz. Schutz vor dem Grauen, welches ihn verfolgte und durch halb Nerima trieb.

Die Dinge standen schlecht... Sehr, seeehr schlecht. Fast schon konnte er jenes süßliche, seiner feinen Nase unerträgliche Parfum riechen, beinahe das Flattern der zu kurz geratenen Faltenröcke im Winde hören....

Achtlos fiel sein Wanderrucksack mit einem ungesund klingenden Geräusch zu Boden - doch zur Zeit konnte er einfach nicht die Energie aufbringen, sich um sein Gepäck zu sorgen.

Erschöpft ließ er sich an der feuchten Mauer neben den unappetitlichen Resten einer McDonalds Mahlzeit zu Boden gleiten, schloss seine Augen und lehnte seinen Kopf an die Wand, die ihm auch gleichzeitig als Rückenstütze diente. Die kühle Luft strich eisig über sein erhitztes Gesicht, als sie sich in einem pfeifenden, leise heulenden Wind in der Gasse zwischen den beiden Häusern fing. Unwirsch wischte er sich mit einer fahrigen Handbewegung den kalten Schweiß von der Stirn.

Frustriert registrierte er die durch die Feuchtigkeit des Textils deutlich erhöhte Anschmiegsamkeit seines einfachen Baumwollhemdes, die ihm vor allem im Rückenbereich unangenehm auffiel.

Nachdenklich öffnete er die Augen und fuhr sich mit der linken Hand flüchtig durch die langen Strähnen schwarzen Haares, die ihm teilweise die Sicht nahmen. Ein erfolglose Geste, wie sich nur wenige Momente später herausstellte - als ob nie der Versuch bestanden hätte, die vom Wind zerzauste Frisur ein wenig zu bändigen, fielen die Strähnen zurück auf ihren ursprünglichen Platz.

Doch fiel dem jungen Mann dies nicht auf. Seine Gedanken waren weder bei einem unausweichlich bevorstehenden, unvermeidbaren Friseurbesuch, noch bei der eventuellen Nutzung von Haarklammern oder eines Haarbandes angekommen. Stattdessen spielten sich in seinem Kopf noch einmal die Geschehnisse des vorangegangenen Nachmittags ab. Schaudernd betrachtete er in seiner Erinnerung noch einmal die Szenen, welche ihn sicherlich noch Wochen und Monate nach diesem ereignisreichen Tag in Form von Alpträumen heimsuchen würden...

Und dabei wollte er nur mal wieder... alte Bekanntschaften auffrischen. Das war doch schon alles! Wer hätte denn gedacht, dass Nerima innerhalb von einem Jahr vollkommen außer Rand und Band geraten würde?!!

Er hatte Nerima eigentlich immer sehr gemocht. Nicht nur, dass es der beschauliche Wohnort seiner heimlichen, jedoch ewig währenden Liebe war. Nein nein. Dieser friedliche, stille Vorort, der ein ruhiges Rentnerleben, ein behütetes Kinderheim oder eine einfache, zufriedene Existenz versprach, erinnerte ihn auch ein wenig an sein eigenes Zuhause. An das Zuhause, welches er schon lange, lange Zeit nicht mehr gesehen hatte.

Aber jene Bilder, welche ihm unzählige, kalte Schauer über den Rücken jagten, die passten einfach nicht zu dem Nerima, welches er gewohnt war.

Erste Anzeichen, dass etwas ganz und gar nicht in diesem Vorort stimmen konnte, ignorierte er einfach großzügig. Was war schon falsch daran, um sich herum nur ekelhaft glückliche, widerwärtig zufriedene Menschen zu sehen? Gut, zugegeben: Jeden Menschen, der ihm begegnete, mit einem unnatürlich breiten Lächeln, welches nach erstem Eindruck Beweis einer schon ungesunden Endorphinmenge oder heiter stimmender Drogen war, zu sehen, war schon irgendwie gruselig. Oder zu bemerken, dass jeder Mensch in irgendeiner Form mit einem anderen Menschen körperlich verbunden war - in welcher Form auch immer.

Als er dann in der Straßenbahn saß, um alten Freunden einen Besuch abzustatten, da wurde es ihm schon ein wenig mulmig. Nicht nur ist es ein wenig verwirrend, fast ausschließlich von heftig turtelnden Paaren umgeben zu sein. Etwas anderes verstörte ihn weitaus schlimmer.

Ihm gegenüber saßen die einzigen Ausnahmen jener "Paarnorm". Scheinbar unschuldig saßen sie dort - drei kleine Mädchen im Kindergartenalter, die es sich auf der Bank, vor der er mangels Sitzplatz stand, bequem gemacht hatten. Mit ihren für seine Größenverhältnisse viel zu kurz geratenen Beinchen wippten sie vor und zurück auf ihren Sitzen - die eine mit einem Lutscher im winzigen Patschehändchen, die nächste mit einem Mobiltelefon und die dritte mit einem handlichen Spiegel, in dem sie ihr Make-up überprüfte.

Jetzt, wo er darüber nachdachte, waren sie alle "geschminkt", wenn man es so nennen durfte. Sicherlich würde er ebenso aussehen, wenn er die verschiedensten Farbtöne Wandfarbe aus dem nächstgelegenen Baumarkt kaufen und sich mit Kamikazegeschrei auf eben jene alles andere als wehrlose Farbe stürzen würde. Das Resultat wäre wohl ähnlich. Jedoch kamen ihm Zweifel, ob er mit regenbogenfarben schillernden Augendeckeln ebenso abstoßend aussähe. Vielleicht brächten die verlängerten, mit Litern an Maskara beschwerten künstlichen Wimpern etwas Abwechslung in sein doch recht maskulines Gesicht...

Eine weitere Gemeinsamkeit der drei: Sie trugen Miniröcke. Sehr, sehr kurze Miniröcke. Zu kurz. Auch waren sie sich modisch gesehen in mehreren Dingen einig: Unnatürlich wirkende Korkenzieherlocken fielen fettig glänzend über die schmächtigen Schultern, und hätte nicht jede der winzigen Handtäschchen, welche jede der drei Grazien in ihrer linken Hand lässig hielt, in unterschiedlich schrillen Signaltonfarben gestrahlt, so wäre es sicherlich zu einigen Verwechslungen gekommen. Unbewusst stellte er sich der Frage, was die jungen Damen - denn Kinder waren das beleibe nicht, oh nein - damit ausdrücken wollten. Im Tierreich steht ja jede vorkommende Fellfarbe etc. für eine bestimmte Mitteilung.

Übertrug man diese Farbschemen auf die drei göttlichen Geschöpfe vor ihm, so konnte man einiges über diese herausfinden... So tarnte sich zum Beispiel Lady Lutscher, um mit ihrer Umgebung zu verschmelzen und um für ihre natürlichen Feinde unsichtbar zu werden. Den Farben nach zu urteilen war also Fräulein Handy giftig und Missie Mirror paarungsbereit.

Interessant. Trotzdem wandte er seinen Blick ab und studierte noch einmal flüchtig mit errötenden Wangen seine Umgebung. Manches Paar hielt nur schüchtern Hände und war für die restliche Welt unerreichbar... Manches andere jedoch ließ keinen Zweifel daran, dass sie gegen Kannibalismus eigentlich nichts einzuwenden hatten.

Allmählich beschlich ihn jedoch ein ungutes Gefüh;, eine ein furchtbar verheißendes Schicksal verkündende Vorahnung ließ ihn erbeben- und außerdem hatte er Hunger.

Er fühlte sich beobachtet... und definitiv unwohl. Da neben dem Busfahrer, der mit dem am Fenster vorbeigleitenden Stoppschild flirtete, und den drei Lolitas vor ihm jeder mit anderen Dingen beschäftigt war - dies verriet ihm schon allein die aus schmatzenden Lauten bestehende Geräuschkulisse -, musste das Trio ihn wohl in Augenschein nehmen.

Um diese These zu überprüfen, riskierte er einen kurzen Blick - und gefror vor Entsetzen.

Drei kleine Mädchen - Kindergartenalter. Eine mit Lutscher. Putzig. Eine mit Handy. Niedlich. Eine mit Spiegel. Wie. Süüüß.

Was sie jedoch taten, war mehr als nur ein bisschen schockierend. Allein schon die Art und Weise, in der Lady Lutscher mit ihrer Süßigkeit umging, oder Missie Mirror suggestiv ihren Rock noch ein klein wenig anhob, ließ keinen Zweifel daran, wie unschuldig sie doch allesamt waren.

Solche "Kleinigkeiten", die normalerweise nur einen trockenen Würgereiz hervorrufen, könnte man ja rein theoretisch ignorieren. Doch verunsicherten und verängstigten ihn diese leidenschaftlichen, hungrigen Blicke zu sehr, um noch lange Zeit die Straßenbahn als Transportmittel zu nutzen. Hinzu kam, dass sich die wandernden Hände eines Fräulein Handy's sich als sehr überzeugend herausstellten, und so sprang er mit einem weiten Satz getrieben von Ekel an der nächsten Haltestelle ab - erleichtert, dem Grauen entfliehen zu können.

Womit er nicht rechnete, war, dass die drei kleinen Mädchen ihm folgen würden.

Bald jagten sie ihn die Straßen rauf und runter - in ihrer Gier nach Frischfleisch nicht zu ermüden. Zu dieser Jagd gesellten sich auch bald noch einige andere Jäger hinzu... Jäger, die ihm ab und an bedrohlich nahe kamen. So zum Beispiel nutze eine ältere Dame mit geiferndem Gebiss den Vorteil ihres gut geölten, Kurven eng schneidenden Vierpunktrollators, um ihm eindeutig näher auf die Pelle zu rücken, als ihm lieb war.

Schnell schüttelte er den Kopf. Solche Momente vergaß man am besten schnell wieder. Doch wenn dies "nur" die einzige Merkwürdigkeit gewesen wäre! Selbstverständlich kann wohl nichts schlimmer oder merkwürdiger sein, als von einem Haufen Kleinkindern und Rentnerinnen verfolgt zu werden, doch während er japsend und keuchend durch die Straßen wetzte, da fiel ihm eine Sache auf...

Alles um ihn herum leuchtete und glimmte in einem umwerfenden Pink. Je mehr er in eine bestimmte Richtung rannte, desto greller, auffallender und abstoßender wurde es. In einer Welt aus allen wohl existierenden Rottönen verflossen die Farben in seinen Augenwinkeln zu einem Brechreiz erregenden Rosa/Pink/Rosé... Was auch immer für eine vermaledeite Farbe! Es war auf jeden Fall furchtbar... Ein kurzer Blick nach links, ein gehetzter nach rechts - selbst die Häuserwände schienen in diesen Farben gestrichen zu sein.

Natürlich konnte er keine Einzelheiten erkennen... Wie auch? Wie, wenn man von umherfliegender Damenunterwäsche (anno 1900) und deren Besitzerinnen fliehen muss?

Ein dröhnendes Geräusch ließ ihn aufmerken und zum strahlend blauen Himmel blicken - das Geräusch von wirbelnden Rotorenblättern ist schwer zu verwechseln. Und ja, tatsächlich! Ein Hubschrauber zeigte sich kurz am Himmelsfenster seines Versteckes...

Aber was für ein Hubschrauber trägt unter sich ein leuchtend pinkes Plakatband, noch dazu mit tiefdunklen Herzen darauf?! Mühsam entzifferte er mit zu Schlitzen verengten Augen die edel geschnörkelte Schrift, die in unschuldigem Weiß auf dem größten Herz prangte: "Cupid - Your perfect match!".

Seine Pupillen weiteten sich.

Hatte das Grauen in Pink denn gar kein Ende?!!

Aus der Hubschrauberkabine ergoss sich ein Regen aus roten Konfettiherzen und Flugblättern, die ihrem Namen alle Ehre machten und fröhlich zur Erde segelten.

Neugierig, auf eine Erklärung für all jene Seltsamkeiten hoffend, sprang er auf, um einen der Flyer aus der Luft zu fischen. Bei seinem hektischen Aufspringen missachtete er jedoch, dass sich seine Füße in einem aufgerissenen Müllsack verfangen hatten und schlug der Länge nach hin. Das Letzte, was er sah, bevor sich ein sanftes Pink über seine Augen senkte, war eine aufgeweichte Packung vergammelter "ChickenDings".

Grummelnd packte er viel gröber als denn nötig gewesen wäre das nach Rosen duftende Flugblatt und lauschte zufrieden dem ärgerlichen Rascheln des Papiers, als es in seiner Faust zerknittert wurde.

Nun, da jener farblich betörende Schleier von seinen Augen verschwunden war, konnte er auch endlich wieder seine Umgebung einwandfrei erkennen. Verwundert starrte er, während er sich aufsetzte, eine Plastiktüte an, welche munter hinter weiteren Abfällen einer sogenannten MocDonalgs-Fressorgie an einem fehl am Platze wirkenden Scheibenwischer hing und im pfeifenden Gassenwind flatterte. Was war denn das? Seine Augen machten westliche Schriftzeichen aus... "A L D I".

Seltsam.

Dann jedoch erinnerte er sich des Plakats in seiner immer noch fest geballten Faust und entfaltete, nach einem letzten, misstrauischen Blick in Richtung Lidl-Konkurren, das Stück fröhlich, herzig pink schimmernden Papiers. Konfus runzelte er seine Stirn und ließ seine Augen an belebenden Rottönen und von symbolischer Liebe überquellenden Herzen weiden.

"Cupid - Your perfect match!", stand dort wieder. Doch ließen sich keine erklärenden Worte finden, was "Cupid" denn überhaupt war. Dort standen nur solche Sätze wie "Immer noch Single? Schluss damit!" oder "Lass uns dir deinen Traummann schenken!". Eine Hotline, viele Herzchen und... weiter nichts.

Kopfschüttelnd stand er auf und säuberte seine Kleidung notdürftig von dem gröbsten Dreck. Schließlich musste er einigermaßen präsentabel aussehen, wenn er seinen Bekannten vor die Augen trat, nicht wahr?

Mit größter Vorsicht lugte er um den Vorsprung der Häuserwände, die ihm sein Versteck ermöglichten und hielt nach möglichen Verfolgerrinnen Ausschau. Die Luft war rein... Doch konnte er nun wirklich erkennen, warum ihm seine Umgebung während seiner Flucht aus den Augenwinkeln so... pink erschien.

Fassungslos starrte er mit unattraktiv offen stehendem Mund die Häuserfassaden an. Das Haus ihm gegenüber: Babyrosa gestrichen. Mit einer flammendroten Herzbordüre darauf. Das Haus daneben: Rosé mit verträumten, herzförmigen Tupfern. So weit das Auge zu blicken vermochte: Symbole der Liebe, überall. Alles, was die Farbpalette als warm und positiv gefühlsbetont zu bieten hat.

Schlendernde Paare, eng aneinander geschmiegt; wohin man auch sah merkwürdige Plakate von ein und derselben Firma: Cupid.

Verunsichert wagte er sich noch einmal in den Quell Plauschig-Flauschiger Gefühle - in die Straßen Nerimas und vermied jeden grauenvollen Gedanken daran, wie wohl das Ziel seiner Reise nach seiner verhältnismäßig langen Abwesenheit aussehen würde.

Wohin musste er noch einmal gleich?

Frustriert ließ er die Karte sinken, die er kurioserweise falsch herum hielt, und entschied sich dafür, einen der Passanten bzw. ein Pärchen, welches nicht voll und ganz mit einander beschäftigt war, nach dem rechten Weg zu fragen. Dies gestaltete sich nicht wirklich einfach, doch fand er nach einigem Suchen einen alten, griesgrämig drein schauenden Zeitungsverkäufer, dessen Gesicht sich bei einem allein umherziehenden Wesen schlagartig aufhellte.
 

Das kurzzeitige, recht heftige Erbeben der Helikopterkabine und das Abebben der Motorengeräusche ließ vermuten, dass der Landevorgang abgeschlossen war. Ein Handzeichen des Piloten bestätigte ihre Vermutung, und so setzte sie mit einem unhörbaren Seufzen ihre Kopfhörer ab. Ihren Assistenten ignorierend, welcher schon ausgestiegen und gerade damit beschäftigt war, einen Fußtritt (diese kleinen Höckerchen meine ich, keinen echten...obwohl die Vorstellung an sich auch ganz amüsant ist......) für sie zu arrangieren, damit der Höhenunterschied zwischen Kabine und Boden bzw. Hochhausdach nicht allzu gravierend für ihre zarten Füße in teuren Designerschuhen war, sprang sie leichtfüßig ab und kam lässig neben ihrem sprachlosen Assistenten auf.

Zusammenhangloses Zeug stotternd reichte er ihr mit zittrigen Händen ihre Aktentasche, nach der sie mit entschlossener und selbstsicherer Geste einer fordernd ausgestreckten Hand verlangt hatte.

Erneut seufzte sie und strich sich durch ihre kurzen, im Sonnenlicht glänzenden Haare zurück, welche durch den künstlichen Wind der Rotorenblätter ein wenig zersauselt wurden. Ihr Assistent hingegen schien mit solchen Dingen wie Wind in Verbindung mit seiner Frisur keinerlei Probleme zu haben - seine zurückgegelten Haare wirkten wie fettig glänzendende Gebilde aus Beton.

Die Stadt, die in gleißendem Sonnenschein an Farbe einzubüßen und zu verblassen schien, verdunkelte sich um einige Nuancen, als die spezial angefertigte Sonnenbrille mit Superentspiegelung auf der wohlgeformten, edlen Nase Platz fand. Des Assistenten unterwürfige Bemühungen, mit schmeichelhaften Kommentaren oder kleinen, nicht wirklich lustigen Witzen seine Chefin bei Laune zu halten, wurden großzügig missachtet. Doch lässt man sich von der "kalten Schulter" einfach abweisen? Mitnichten! So folgte er kriecherisch jedem der selbstbewusst weit ausholenden Schritte wohlgeformter, langer Beine in leichten Dreiviertelhosen und zierlicher Füße in betont weiblichen Lackschuhen mit niedrigen Absätzen, die den dazugehörigen Körper zielstrebig zu einem Treppenabgang am südlich gelegenen Ende des Daches trugen. Was blieb ihm auch anderes übrig?

Im Treppenhaus angekommen bot er noch einmal seine Dienste als Taschenträger an und komplimentierte einer weiteren "genialen Geschäftsidee" seiner Auftraggeberin. Eine Antwort bekam er nicht - doch wertete er die Art, in welcher das Objekt seiner ungeteilten Aufmerksamkeit und Bewunderung ihren leichten, edel mit gemischten Blautönen bemalten Seidenschal nach dem Anstürmen des Windes richtete, sehr positiv. Gelangweilt, doch nicht aggressiv. Bezaubernd!

Nicht lange mussten sie den unprofessionell wirkenden Etagenwechsel per Treppe nutzen, da schon im nächsten Stock des Hochhauses ein Fahrstuhl erreichbar war. Die kurze Fahrt im Aufzug verlief ruhig - nur das Gebrabbel ihres Sekretärs, welcher sich mit dem Titel "Assistent" rühmte und doch eher herablassend als "Tippse" bezeichnet werden konnte, riss sie mit entnervender Hartnäckigkeit aus ihren geistigen Sphären, in denen weder Sekretäre, noch ungemütliche Lackschuhe existierten.

Ihre Augen verengten sich zu kühl glitzernden Schlitzen, während sie sich bemüht ruhig gab und als Aggressionsbewältigungsprogramm den weichen, samtroten Teppichboden der Fahrstuhlkabine mit ihren hitzigen Blicken, die eigentlich ihrem Sekretär gelten sollten, taxierte. Zufrieden stellte sie sich vor, welch giftige Dämpfe das zischende Material von sich geben würde, würde man es mit dem neuen Flamenwerfer von Pyr-O erst auf mittlerer Flammstufe vollständig austrocknen und auf Stufe 3 zu Asche verbrennen.

Wer richtete einen Fahrstuhl so geschmacklos ein?! Marmor nachempfundene Wände. Eine Bordüre aus leichtem Katzengold. Überall teure Schnörkel und edle Dekoration.

Wie protzig. Und teuer.
 

Ein verkrampftes Lächeln bot der alte Zeitungsverkäufer ihm, als er sich strahlend noch einmal umdrehte, um ihm für seine Hilfe zu danken, und freudig in die Richtung lief, die genau die falsche war.

Noch einen Moment sah ihm der alte Mann verdutzt hinterher und senkte seinen Arm, der immer noch in die entgegengesetzte, korrekte Richtung wies, bevor er sich seinen tatsächlichen Pflichten besann und ein Mobiltelefon aus einer der vielen Taschen seiner alten, abgenutzten Jacke aus Vorkriegszeiten hervorkramte. Eines der hochmodernen, teuren Sorte.
 

Das dezente, klingelnde Geräusch der sich öffnenden Aufzugtüren wurde mit einem schweren Seufzer der Erleichterung begrüßt, und nie sah man wohl eine junge, gut gekleidete Geschäftsfrau in unbequemen Schuhen nach einem langen Arbeitstag so geschmeidig vor ihrem persönlichen Sklaven aus einem Fahrstuhl flüchten.

Die schnellen Schritte ihres Handlangers hallten gewichtig hinter ihr, als sich auf dem Weg zu den Glastüren, welche den Aus- und Eingang des Bürogebäudes bildeten, eine Gasse zwischen den Menschen im Eingangsbereich für sie bildete. Bewundernde, ehrfürchtige Blicke wandelten sich in milde Belustigung und Spott, als sie von der Respekt gebietenden Figur der jungen Dame auf deren treues Schoßhündchen fielen. Der "Canide" jedoch verwechselte Hohn mit Achtung und fühlte sich mächtig stolz, wie er so im Fahrwasser seiner Herrin mit erhobenem Kopf und geschwellter Brust folgte.

Energisch und überschwänglich wie ein Kind, welches nach einem langen Tage in der Schule endlich den Heimweg antreten darf, stieß sie die breitflügeligen Glastüren auf und trat ein in hellen Sonnenschein, in das Straßenleben Nerimas. Nur kurz genoss sie hinter ihren dunkel getönten Gläsern mit geschlossenen Augen die warmen Strahlen der Sommersonne auf ihrem Gesicht, auf dem sanft, wie der Wind über die Dächer Nerimas streicht, ein Lächeln spielte.

Schon wandte sie sich der nachtschwarzen, klimatisierten Limousine zu und wollte ihrem Sekretär, der die Tür weit und einladend höflich für sie offen hielt, mit ihrem Einsteigen in das edle Gefährt für seine Geste danken, als sie die Melodie eines alten japanischen Kinderliedes inne halten ließ.

Milde überrascht zog sie ein Handy aus der Innentasche ihres leichten, beigen Leinenjackets - im übrigen perfekt zu ihrem restlichen Outfit passend - und nutzte eine schnelle, lässige Bewegung ihres Handgelenkes, um ihre portable Telekommunikationsmöglichkeit aufklappen zu lassen. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich nur geringfügig, während sie der hektischen, nervösen Stimme am anderen Ende der Leitung wortlos zuhörte. Nur einmal fragte sie knapp, jedoch überlegen selbstbewusst "Wo?" und verabschiedete sich mit einer sich durch ihre monotone Stimmlage bedeutungslos klingenden Höflichkeitsfloskel.

Das Mobiltelefon schloss sie wieder und verwahrte es mit beinahe zögerlichen Bewegungen an seinem ursprünglichen Platz. Dann jedoch verflog jede nachdenkliche Regung auf ihrem Gesicht und machte Entschlossenheit Platz, als sich ihre Gedanken dem Wesen widmeten, welches sie nun erwartungsvoll mit einem leicht dümmlichen Gesichtsausdruck anstarrte.

Wie eine zweite Sonne strahlte sie, als ein zuckersüßes Lächeln auf ihren Zügen ausbrach. Sie fixierte ihn mit ihren Augen, sah ihn zum ersten Male direkt an und trieb ihm mit nur einem einzigen Blick das Blut ins schüchtern verstört wirkende Gesicht. "Steigen Sie doch ruhig schon mal ein und lassen sich nach Hause bringen, ja, Herr...?"

"Fujukan-" wollte er hilfsbereit ergänzen, wurde jedoch von der melodischen, herzerwärmenden Stimme seiner Chefin unterbrochen.

"Genau! Fujifilm. Oder war es Kodak? Ist ja auch egal. Lassen Sie sich ruhig von dem netten Chauffeur dorthin bringen, wo auch immer Sie wohnen."

Dieses schwärmende, verliebte und bewundernde Lächeln auf seiner schleimigen Visage war ja nicht auszuhalten!

"D-d-danke Frau-"

"Ach übrigens...." Hatte er geglaubt, sie könnte nicht göttlicher, nicht zauberhafter Aussehen? Ihr Lächeln nahm eine spielerische, verführerische Seite an, und seine Stimme hätte ihm wohl den Dienst versagt, hätte er denn überhaupt Worte in seinem Zustand närrischer Ekstase gefunden.

"Sie sind gefeuert."

Nicht lange gönnte sie sich den Ausdruck purer Fassungslosigkeit in seinen Augen und den amüsanten Anblick seiner hängenden Kinnlade, da sie sich sogleich geschäftig umwandte und auf in die Stadtmitte machte.

Hätte sie sich noch einmal umgedreht, so hätte sie ihren ehemaligen Assistenten noch eine ganze Weile bewundern können, wie er ungläubig auf den Punkt stierte, auf dem sie Augenblicke zuvor gestanden hatte. So jedoch glitt ihr Körper geschmeidig durch die Massen an Paaren, die die Bürgersteige mit ihren verträumten, wirklichkeitsfremden Augen und ihrem verliebten Turteln blockierten.

Ein weiteres Mal zog sie ihr Mobiltelefon hervor und drückte eilig eine Tastenkombination. Zufrieden lächelte sie, als eine weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung die Dienste der Firma "Cupid" versprach und freundlich mit den Worten "Was kann ich für Sie tun?" endete.

"Hi, ich bin's." Die Antwort ließ sie erneut lächeln. "Jaja, alles in Ordnung. Ich rufe aus zwei Gründen an: Sage meinem Anwalt Bescheid, er solle den Architekten, Innenausstatter, oder wer auch immer für die abscheuliche Dekoration des Lifts 3 im Bürokomplex 12 verantwortlich ist, auf Schadensersatz verklagen. ... Warum? Das erzähle ich dir heute Abend. ... Ja, heute Abend. Erinnerst du dich noch an unsere kleine Wette? Such dir schon mal ein nettes Restaurant aus. ... Ok, ok. Ist gut. Dann bis später, ja? Ich muss Schluss machen. Eben hat unser zuverlässiger Scout in Abschnitt 7 ein noch unmarkiertes Objekt gefunden. ... Jup, bin auf dem Weg. Bye."

Ohne Zwischenfälle und Störungen gelangte sie in das wirtschaftliche Zentrum Nerimas. Hier reihten sich Modeboutiquen, Innendekorläden und kleine, gemütliche Cafés aneinander. Die Stühle an den kleinen Tischen im sonnigen, warmen Schein waren fast vollständig besetzt. Bewusst setzte sie sich an einen Tisch eines der Cafés, die weniger Zulauf hatten und wartete.
 

Verwirrt drehte er sich einmal um seine eigene Achse und stolperte orientierungslos in die nächstbeste Passage. Diese Zeitungsverkäufer! Wissend tun, und doch keinen Plan davon haben, wo's lang geht!

Seine Pupillen weiteten sich erst, verengten sich dann jedoch aufgrund des beträchtlichen Lichteinfalls. Vor ihm tat sich eine Art Einkaufsmeile auf, die eigenartigerweise noch halbwegs normal zu sein schien.

So normal, wie das "moderne" Nerima wohl sein konnte.

Zwar blendete das empfindliche Auge kein kleines Universum aus pinken Galaxien der Scheußlichkeit, doch sah man auch hier nur Paare herumgeistern.

Vorsichtig, seit seiner Straßenbahnfahrt größere Menschenansammlungen meidend, führten ihn zaghaft seine Schritte die sonnenverwöhnte Passage entlang.

Blick nach links - keine kleinen Kinder oder Rentnerinnen, nur Paare.

Blick nach rechts - keine kleinen Kinder oder Rentnerinnen, nur Paare und in einem Korbstuhl eine einsame, verlassene, verzaubernd schöne, junge Frau mit Sonnenbrille, die ihn über die Ränder ihrer getönten Gläser hinweg mit ihren Blicken musterte.

Erleichtert ging er einige Schritte weiter, blieb dann jedoch wie angewurzelt stehen, als die Erkenntnis ihn mit einem harten Schlag traf.

Kalter Schweiß trat auf seine Stirn. Mental bereitete er sich darauf vor, all seinen männlichen Stolz zu vergessen und wie ein kleines Mädchen kreischend die Flucht zu ergreifen. Eines hatte er an diesem Nachmittag wirklich gelernt: In Nerima bringen Singles, vor allem Frauen! (ja, er hatte auch eine... solche Begegnung mit einem Mann, doch er beschloss resolut, diese aus seinem Gedächtnis zu streichen) nur Ärger.

Sie kam näher. Er konnte es fühlen. Seine Nackenhaare stellten sich in Vorwarnung auf eine drohende Gefahr auf, sein Brustkorb hob und senkte sich schnell, unregelmäßig.

"Na, wen haben wir denn da?" Beim Klang ihrer Stimme versagten seine lebenserhaltenden und -rettenden Mechanismen wie Fluchtinstinkt und das Zusammenrollen in einen festen Ball aus Stacheln - hatte er überhaupt welche?.

"Wenn das nicht Ryoga Hibiki ist..." Ein Lächeln lag in ihrer Stimme. Allzu deutlich konnte er es hören. Ein süßes, gefährliches Lächeln.

War es der leicht raue Klang ihrer melodischen Stimme, so berauschend und tödlich wie eine Überdosis Schokoladenkekse, oder war es das unbestimmte Gefühl, die Person, welcher jene himmelsgleiche Stimme gehörte, zu kennen, das ihn dazu veranlasste, sich mit hochrotem Kopf umzuwenden, anstatt auf seinen gesunden Menschenverstand zu hören und die Beine in die Hand zu nehmen?

Zwei Ströme in ihm kämpften um die Oberhand. Eine Stimme in seinem Kopf schrie "Lauf!! Lauf, Mary, lauf! Lauf nach Hause zu den grünen Wiesen, vergiss deine Allergie gegen alle Sträucher und Gräser, die da so lustig vor sich hinwuchern und stirb an deinem Heuschnupfen!!". Seine Hormone und die natürliche Schwäche des Mannes, der Sünde und der Versuchung, sprich, einem weiblichen Wesen, einfach nicht widerstehen zu können, sprachen eine ganz andere Sprache.

So ging er einen Kompromiss ein: Nach seinem taktischen Wendemanöver blamierte er sich einfach bis auf die Knochen. Er starrte jene Erscheinung vor sich einfach nur geraume Zeit an und sagte gar nichts.

Was hätte er sonst tun sollen? Clever, wie er war, entschied er sich aus den zwei ihm gegebenen Möglichkeiten für die schwachsinnige Nummer 3. Entweder laufen oder sich auf den Rücken rollen und den Bauch kraulen lassen - beide Optionen reizten ihn nicht sonderlich.

Wieder fiel sein Rucksack plump, unbeachtet zu Boden.
 

Mit gemischten Gefühlen musterte sie den jungen Mann keine zwei Meter vor ihr. Nachdem er sich tranceartig zu ihr umgewandt hatte, rührte er sich einfach nicht mehr. Seit geschlagenen 5 Minuten wartete sie bereits auf eine Antwort - zur Hölle! irgendeine Reaktion wäre auch akzeptabel gewesen.

Sie versuchte noch einmal, den scheinbar geistig schwer verwirrten Jungen aus dem Lalaland zurückzuholen.

"Ryoga? Ich schätze mal, dass du meine Schwester besuchen möchtest. Soll ich dich hinbringen? Ich wollte meine Familie ohnehin heute besuchen."

Und dann geschah etwas, was sie nie geglaubt hätte, jemals in ihrem Leben zu empfinden. Eine milde Art des Schrecks, die sich unter gewissen Umständen wie globale Erwärmung oder Kürzungen der staatlichen Zuschüsse und Förderungen zu einer waschechten Panikreaktion ausgeweitet hätte. Ok... Die Erde taumelt zwar auf eine klimatische Katastrophe zu, doch die Gelder fließen immer noch im Staate Japan.

Sie empfand doch tatsächlich ein wenig Angst, als sich dieses weit entfernte Lächeln auf seinen verträumten Zügen ausbreitete. Das Lächeln eines Besessenen.

Irrte sie sich, oder glitzerte dort ein Fangzahn in der Nachmittagssonne...?

Augenblick. Das Lächeln eines Besessenen? Die Erkenntnis dämmerte - natürlich!

Singles hatten ein schweres Leben in der "Stadt der Liebe", Nerima. Ganz unterschiedlich reagierten die meisten auf die Tatsache, wahrscheinlich die einzigen, einsamen Seelen in einer Welt voller Paare zu sein. Manche verfielen in Apathie und Depressionen... Andere stürzten sich auf alles und jeden, so lang es nur halbwegs feminin aussah.

Es wurde sogar schon einmal berichtet, dass sich einige verzweifelte Männer auf wehrlose Mülltonnen und Kaffeeautomaten stürzten... Traurige Schicksale.

Ihr Herz quoll beinahe über vor Mitleid.

Man bemerke die Ironie.

Dieses Exemplar vor ihr jedoch, Ryoga Hibiki... Er reagierte ungewöhnlich. Er..... Zeigte sich einfach nur von seiner dämlichsten und trotteligsten Seite, begegnete er einem offensichtlich weiblichen, alleinstehenden Wesen.

Um ihre These zu überprüfen, fehlte ihr nur noch ein Beweis, welcher die Reaktion auf zwei bestimmte Fragen sein würde... Folgte er ihr daraufhin wie ein verlorener, anhänglicher Welpe, so war er tatsächlich "unmarkiert".

"Ryoga... Möchtest du zu mir nach Hause kommen? Darf ich dich auf einen Kaffee einladen...?"
 

Ryoga Hibiki war wirklich... Ungewöhnlich. So schaffte er es, sie, Nabiki Tendo, ein zweites Mal in einer Viertelstunde zu überraschen: Anstatt zu flüchten oder ihr verträumt hinterher zu laufen...

...fiel er einfach mit hochrotem Kopf in Ohnmacht.
 

...
 

Einen bunt gemischten Cocktail aus Stimmen vernahm er, als er langsam wieder zu sich kam. Besorgte Stimmen...

"Was ist nur passiert, Nabiki?"

"Ach... Es war wohl alles ein wenig zu viel für ihn, Kasumi."

"Ranma, damit hast du doch bestimmt was zu tun!!" ... weibliche Stimmen. War er im Himmel??

"Hey!! Was soll ich jetzt schon wieder damit zu tun haben?!!" Oh nein. Er musste sich geirrt haben. Sein Erzfeind konnte einfach nicht in den selben Himmel kommen wie er selbst. Das wäre dann schon eher eine Hölle.

"Kinder, Kinder! Jetzt beruhigt euch doch!" Diese Stimmen... Sie kamen ihm sehr bekannt vor....

Und auch das unverständliche Gequake eines fettleibigen, verfressenen Pandas war ihm auf seltsame Art und Weise vertraut. Woher er wusste, dass diese ungewöhnlichen Laute zu einem fettleibigen, verfressenen Panda gehörten, das war ihm dann doch wieder ein Rätsel.

"Was sollen wir nur mit ihm machen?"

"Ihn aufwecken."

"Und wie das bitte, Nabiki?!!"

Eine dunkle Vorahnung erfüllte ihn - eine, welche er in dem Moment bestätigt sah, in dem er das teuflische Lächeln in einer bestimmten Stimme hörte.

"Ganz einfach! Ein bisschen Wasser schadet nichts!"

Instinktiv reagierte er. Blitzschnell richtete er sich mit weit aufgerissenen Augen auf und versetzte dem Eimer mit einem gut bemessenen Handkantenschlag eine 180° Drehung, sodass die "Senderin" des eiskalten Wasserschwalls nun auch zur Empfängern wurde.
 

Stille herrschte.

Die versammelte Familie Tendo und zwei verdutzte Saotomes saßen sprachlos um ihn herum und starrten ihn an. Er hingegen konnte seinen Blick nicht von der Erscheinung keine zwei Meter vor ihm reißen.

Eine von oben bis unten durchnässte Göttin, deren Oberteil so himmlisch wie eine zweite Haut anliegen mochte und... deren Blicke, könnten sie töten, ihn sicherlich schon auf hundertfache, qualvolle Weise umgebracht hätten. Außerdem zuckte sie so komisch...

Dann jedoch brach sie in schallendes Gelächter aus, was nun ihr wiederum die Aufmerksamkeit und Blicke der ganzen Mannschaft einbrachte.

Zwischen glockenhellen Lachsalven brachte sie nur mühsam ihre nächsten Worte heraus.

"Ich seh' jetzt bestimmt nicht besser aus... Aber du guckst wie 'ne Kuh wenn's donnert, Ryoga!"

Röte legte sich wie ein Schleier über seine Wangen, als auch der Rest der Familie zu lachen anfing.

Strahlend drückte ihm Kasumi eine Tasse heißen Tees in die Hand und wollte gerade anfangen, Nabiki zu bemuttern und sie ins Badezimmer für ein heißes Bad zu bugsieren, als diese der Uhrzeit gewahr wurde.

Sich den vom Lachen schmerzenden Bauch reibend verabschiedete sie sich schnell, nachdem sie ihr Haar kurz mit einem Handtuch notdürftig trocken gemacht und ihre Kleidung gewechselt hatte.

Mit den Worten, sie müsste sich ohnehin noch für ein Abendessen mit einer gewissen "Saki", wer auch immer das sein mochte, fertig machen.

Missbilligend, trotzdem immer noch liebevoll lächelnd hörte sich Kasumi die zusammengefasste Geschichte einer weiteren, verlorenen Wette Nabikis an und ermahnte sie mit einem leisen Lachen in ihrer warmen Stimme, nicht mehr so oft mit diesem gewitzten Mädchen zu wetten.

Doch Nabiki widersprach vehement: Ein einziges Mal wollte sie eine Wette gegen Saki gewinnen! Selbst darüber hatte sie eine Wette abgeschlossen... Saki war fest davon überzeugt, jede Wette gegen Nabiki Tendo halten und gewinnen zu können.

Nabiki hielt kräftig dagegen.

Wetteinsatz: Ein Abendessen.

Kurz darauf war sie verschwunden - den Eindruck eines lebhaften Frühlingssturmes hinterlassend und in vollkommenem Kontrast zu ihrem Büroimage stehend.

Ryoga schob die warme Tasse in seinen Händen hin und her, und lauschte verschüchtert Akanes Stimme. Zumindest versuchte er es... Eher verfolgte er gebannt die Bewegungen ihrer Lippen oder erfreute sich an den Glanze ihres seidigen, nachtschwarzen Haares.

Ranma war nach zwei Minuten kein Störenfried mehr für Ryoga - nachdem Akane ihn mit einem gezielten Hammerschlag wegen "unpassender Bemerkungen" à la "Ryoga, du kleines, verruchtes Ferkel" außer Gefecht gesetzt hatte.

So konnte er sie nun in ihrer ganzen Pracht bewundern, und mit erhitzten, glühenden Wangen ihre Aufmerksamkeit voll und ganz für sich beanspruchen.

Bald jedoch kam Akane, die ihn über die Dinge, welche sich in seiner Abwesenheit veränderten, auf den neusten Stand setzte, auf ein Thema, welches dann doch noch sein Interesse zu wecken wusste.

"Cupid". Der Grund für ein rosafarbenes Nerima. Der Name, dem man einfach nicht ausweichen konnte - überall las man ihn, überall hörte man von ihm. Der Grund für all die glücklichen, zufriedenen Paare, die nicht mehr voneinander lassen konnten. Der Name eines ganzen Imperiums, welches die Liebe zum Geschäft gemacht hatte.

Besitz und Arbeit ihrer Schwester.

Darf man vorstellen? Nabiki Tendo. Firmenchefin der größten Partneragentur Asiens und, nach Akanes Angaben, durch Expansion inoffizielle Stadthalterin Tokios.

Die mit ihren zarten 19 Jahren erfolgreichste Geschäftsfrau Japans - die Frau, die er, der unbedeutende Ryoga Hibiki, noch Momente zuvor mit eiskaltem Wasser übergossen hatte.

Er. war. so. ein. Trottel.

Lange gestattete er sich jedoch nicht, sich für seine außergewöhnliche Dummheit zu gratulieren. Viel interessanter war es doch, der Essenz des großen Himmelschores, der Stimme seiner Angebeteten, verzückt zu lauschen und die bemerkenswerten Informationen über Cupid für späteren Nutzen in seinem Gedächtnis zu verwahren. Irgendetwas sagte ihm, dass er noch einige Zeit lang mit Cupid etwas zu tun haben würde...

Aber je länger er dem melodischsten aller Singvögel Nerimas gespannt zuhörte, desto mehr fesselte ihn die Geschichte über Cupid - vom Anfang bis zum momentanen Stand.

Sein Zustand ließ sich wohl nur mit Faszination und ehrfürchtigem Staunen beschreiben, als er im Schneidersitz mit wissbegierig leuchtenden Augen vor seinem großen Schwarm saß.

Akane berichtete, wie es sich zutrug, dass Cupid die Welt der Einwohner Nerimas und eines Großteils von Tokio beeinflusste und bestimmte.

Kurz bevor Nabiki Tendo ihren Abschluss an der Furinkan-Oberschule machte, deuteten sich mit der Zeit seltsame Änderungen in ihrem Verhalten an. Zuerst war man angenehm erstaunt über anfängliche Fröhlichkeit, Lebhaftigkeit und diese Wärme, die von ihr ausging.

Doch mit dem Verstreichen einiger Wochen veränderte sie sich. Immer stiller, bitterer und, ja - wütender wurde sie. Immer öfters fand man sie in ihrem Zimmer vor - alleine, über einige Arbeiten gebeugt, deren Nutzen man nicht verstand.

Als sie eines Tages weinend ins Haus, die Treppe hinauf und in ihr Zimmer stürzte, da wusste man mit Sicherheit, dass sich etwas bedeutungsvolles im Leben der Nabiki Tendo zugetragen hatte. Ihre Zimmertür war den ganzen Tag über verschlossen, und sehr besorgt wartete man den nächsten Morgen ab...

Dieser bereitete jedoch eine weitere Überraschung: Eine augenscheinlich gesunde, selbstbewusste Nabiki mit entschlossener Mine und wütenden, kalt glänzenden Augen.

An diesem Tag begann sie, sich ihre Anhänger zu sammeln und das Projekt C, wie es anfänglich noch genannt wurde, in die Tat umzusetzen. Nun verstand die Familie Tendo erst die Bedeutung der Entwürfe und Arbeiten, über denen sich die mittlere Tochter des Hauses des nachts anstatt zu Schlafen die Augen verdorben hatte.

Lange sollte es dauern, bis sie sich der vollen Tragweite des Projekt C's bewusst wurden.

Nachdem Nabiki ihren Abschluss mit Glanznoten im Bereich Wirtschaft und erstaunlicherweise auch Psychologie absolvierte, und die ersten Einladungen zu Preisverleihungen von Wirtschaftsjugendpreisen etc. mit stetig steigender Wichtigkeit und Ansehen folgten, da dämmerte den Tendos, dass die kleine Nabiki erwachsen geworden war.

Den Durchbruch schaffte die Firma verhältnismäßig schnell mit der cleveren Geschäftsidee, für die Cupid vor allem bekannt wurde. Natürlich erschloss man unter dem Regiment der jungen Chefin still und heimlich weitere Marktgebiete und nutze Lücken aus, doch...

Das "Original", das Haupteinkommen von Cupid, war "Cupid- Your perfect match!".

Eine Partnervermittlung.

Voller Begeisterung und Familienstolz schilderte Akane, wie ihre Schwester jeder Frau ihren Traummann fand und somit nicht nur ziemlich reich wurde, sondern auch viele Menschen glücklich machte.

Frau musste nur wissen, was sie wollte und was sie in einem Mann zu finden gedachte, eine Art Test absolvieren, und schon wurde ihr der perfekte Mann wie auf einem Silbertablett präsentiert.

Ranma gab ein Grunzen von sich und zog somit kurzeitig die Blicke der beiden auf sich.

Nachdenklich verfolgten Ryogas Augen den Speichelfluss seines immer noch ohnmächtigen, über dem niedrigen Tisch zusammen gesunkenen Erzrivalen, nachdem Akane geendet hatte.

"Akane... b-bist du auch schon einmal dort hin gegangen?"

Fragend sah sie ihn liebenswürdig an und forderte ihn still dazu auf, sich präziser auszudrücken.

"N-n-nun... ähm, ha-hast du di-diesen Test schon einmal gemacht?"

Errötend sah seine Angebetete zur Seite, wobei sie ihren sabbernden Verlobten kurz mit einem schüchternen Blick streifte.

"N-nein... Wofür auch? Paps und Herr Saotome werden diese Verlobung doch ohnehin nicht auflösen..."

Irrte er sich, oder wirkte sie nicht unbedingt sonderlich betrübt über diesen Fakt? Für seinen Geschmack nicht betrübt genug.

Wollte sie etwa Ranma heiraten? Diesen taktlosen Idioten?!! Er musste es wissen! Erst, wenn er sie sagen hören würde, dass das vergangene Jahr voll des harten Trainings und der Verlust seines geliebten Stirnbandes umsonst gewesen war, würde er Ruhe geben!

"Akane...? W-w-willst du Ranma denn heiraten?"

Er konnte es nicht fassen. Hier saß er, und führte schon so etwas ähnliches wie eine Unterhaltung mit seiner geliebten Akane! Und er war weder in Ohnmacht gefallen, noch hatte er einen kompletten Volltrottel aus sich gemacht!

Na gut... Zugegeben: Sie spielte zumeist Alleinunterhalter und er mimte den Zuhörer, der schüchtern zu Boden starrte... Aber jeder kleine Fortschritt ist ein voller Erfolg!! Und nun hatte er sie auch schon so persönliche Sachen gefragt........ Ohne einen Herzinfarkt zu bekommen! Gott war wohl an diesem heiligen Tage gnädig mit ihm...

"I-ich... Nein! Was denkst du denn Ryoga! Ich und DEN hirnlosen Blödmann dort heiraten?! Das wäre ja noch schöner!!" Wie wundervoll niedlich sie erröten und sich verzweifelt verteidigen konnte! Stimmt... Was dachte er eigentlich?? Das war offensichtliche Abneigung! Warum sonst sollte die Frage sie so unangenehm berühren?

Und das, was dort in ihrem Blick lag, als sie dem offensichtlich schon ein wenig früher aus seiner Ohnmacht erwachten Ranma, der nun mit einer trotzigen, ein wenig verletzten Mine aus dem Zimmer unter einem gemurmelten "Ich geh' trainieren!" marschierte, lange nachsah, das waren keine Schuldgefühle, kein schlechtes Gewissen - das war nur ein weiterer Ausdruck ihrer offensichtlichen Abneigung Ranma gegenüber...

Also gab es noch Hoffnung für ihn! Und was, wenn Nabiki und ihre Firma herausfinden würden, wer wirklich der richtige für Akane war? Den, den sie einfach noch nicht gesehen hatte, da sie es sich - nobel wie sie war - wegen der ansonsten ruinierten Familienehre nicht gestattet hatte, zu sehen...

Der, der sie bis zu seinem Tode lieben würde.

Der, der sie als das sah, was sie wirklich war.

Der, der sein Leben für sie geben würde.

Der, der sie achtete und sie beschützen würde.

Das war seine, Ryoga Hibikis, Chance!

"Akane... Dann wäre das doch die Gelegenheit, deinem Vater zu beweisen, dass Ranma nicht der Richtige für dich ist!"

Das war kein gequältes, beschämtes Lächeln auf ihrem Gesicht. Das war eines der Dankbarkeit, dass er ihr diesen Weg wies.

Sie zögerte nicht um Ranmas Willen, sondern aus Angst vor der Reaktion ihres Vaters.

"Ich weiß ja nicht..."

"Akane! Dein Vater liebt dich doch! Er will doch nur, dass du glücklich bist! So hast du den Beweis dafür, dass du mit Ranma nicht glücklich werden kannst!" Sie antwortete nicht, senkte nur den Blick.

Dies sah er als Zeichen, fortzufahren.

"Sieh mal... Ihr seid bald volljährig. Es ist nicht mehr viel Zeit, ihn zu überzeugen. Außer natürlich, du möchtest Ranma heiraten...?"

Vertraue auf Akane Tendos Stolz - und du setzt nie auf ein falsches Pferd. Ihre Augen schimmerten vor Hoffnung, und ihre Stimme schwankte nicht vor stummem, unterdrücktem Schluchzen, sondern vor einem Lachen der Erleichterung.

"D-du hast Recht Ryoga... Morgen gehe ich zu Nabiki."

Doch warum konnte er nicht mit ihr glücklich sein? Bei ihrem Anblick, wurde sein Herz so schwer...
 

...
 

Drei mal war er bisher bereits schon gegen unverantwortlich platzierte Straßenlaternen gelaufen, die bei der kleinsten Unachtsamkeit in seinen Weg zu springen drohten, und konnte sich immer noch nicht an ihrem Anblick satt sehen. Diese Grazie! Dieser wiegende, ein klein wenig watschelnde, dafür aber umso niedlichere Gang! Sein Zuckerentchen! Sein durststillendes Wasser in der Wüste, sein...

Ganz gleich, wie verstörend es war, um sich herum nur Paare und einen Hauch von Pink zu sehen - bei dem Gedanken an ihre belebenden, ihre sein Wesen in hungriges Feuer tauchenden Präsenz an seiner Seite ließ ihn all jene Grausamkeiten der Firmengruppe "C" vergessen.

Nur mit halbem Ohr hörte er auf die stolzen Ausführungen der atemberaubenden Schönheit neben sich darüber, wie ihre Schwester langsam aber sicher diesen und jenen Markt übernommen hatte und in welchen Feldern und Marktbereichen sie sich demnächst einsetzen wollte. Wie könnte er sich auf Verkaufs- und Umsatzzahlen konzentrieren, bei deren Höhe ihm allein schon schwindelig wurde, wenn er der holprigen, originellen und einzigartigen Satzmelodie seine Seele opfern wollte, als sie die Daten rezitierte, welche ihr einmal in einem klug aussehenden Wirtschaftsmagazin über den Weg gelaufen waren?

So süß ihre Stimme, so weich ihre Lippen, so voll ihre Haar, so -

"Ryoga, pass auf!"

So schmerzhaft der Zusammenstoß mit Straßenlaterne Nummer 4.

Sie drehte sich munter im Kreise, die Welt vor seinen Augen, als er desorientiert einen Moment auf dem Pflaster lag. Und sie war so pink, so pink!

"Ryoga...?"

Verträumt in einer Vision von Pink, Amor und vielen Herzchen gefangen war er erst ein wenig verwundert, als sich die zierliche Hand in sein Blickfeld schob und sich ihm anbot, ergriffen zu werden. Neugierig griff er zu, wartete ab, was passierte und ließ sich hochziehen.

Die Welt kippte wieder in ihr ursprüngliches Gleichgewicht, behielt jedoch diesen fiesen Pinkschimmer. Verwirrt legte er den Kopf schief und betrachtete, unsicher auf seinen Beinen wie die Gräser der mongolischen Steppe im Sommerwind langsam, wie in einem Traum hin- und herwankend, ein besonders großes, flammendes Herzsymbol, welches von einem Pfeil durchbohrt auf der Häuserwand prangte, die sich ihm gegenüber befand.

Welch interessante Idee, ein Haus zu gestalten. Wenn Ranma endlich aus dem Weg war, seine geliebte Akane von den grausamen Fesseln ihrer Verlobung befreit würde, dann würden sie beide auch in ein solches Haus ziehen. In ein kleines, gemütliches Haus auf dem Lande, wo sie von keinem Ranma, keinem Kuno, von niemandem behelligt werden würden - nur umgeben von den bunten Sommerwiesen, den Lauten der Natur und den Düften des Jasmins, den er neben den Hauseingang pflanzen würde, wenn sein Erbe, ein kräftiger, junger Bursche geboren würde...

"Ryoga...?"

Er sah sich nach der leisen Stimme um und fand... Eine Göttin. Einen Engel. Ein errötendes Mädchen, welches verlegen zaghaft an der Hand zog, die er mit beiden Händen in festem, unnachgiebigen Griff über seinem Herzen umschlossen hielt.

Wow. Information overload.

Erst ließ er ihre Hand los. Dann schoss ihm das Blut in den Kopf. Und dann...

Wurde er ohnmächtig.
 

"Ryoga...!"

Fassungslos sah sie zu, wie der schüchterne Junge rückwärts umkippte - mit hochrotem Kopf, dem verträumten, wirklichkeitsfremden Lächeln eines geistesgestörten, psychopathischen Serienkillers und dem dumpfen Geräusch seines mittelschweren Körpers auf gut gefugtem, meisterlich vom Straßenbauamt verlegtem Pflaster.

Sie war so perplex, dass sie ihn nicht von seinem sicherlich schmerzhaften Fall hatte bewahren können.

Ehrlich verwirrt beugte sie sich zu ihm herunter und überprüfte seine Lebenszeichen. Atmung: okay, wenn auch ein wenig flach. Herzschlag - ein wenig zu schnell, aber kräftig.

Was war nur mit ihm los? So ein Dussel!
 

Was gibt es Schöneres, als aufzuwachen und in die Augen eines Engels zu sehen?

Genau das fragte er sich, als er wieder zu sich kam. Wie wundervoll ihr nachtschwarzes, kurzes Haar, welches seidig ihr Gesicht umspielte und umrahmte! Wie unschuldig und liebevoll dieser Ausdruck von Sorge und Verwirrung in ihren großen, glänzenden Augen!

Zugegeben... Das Szenario war nicht ganz perfekt. Der Boden unter ihm war zu hart und die vielen Schuhe, die in seiner peripheren Sicht vorbeimarschierten und -schlenderten störten etwas...

Aber wie anmutig sie sich über ihn beugte! Und wie schön anzusehen die Bewegungen ihrer Lippen waren, als sie ihn bei seinem Namen rief!
 

...
 

Erleichtert seufzte Akane, als sie endlich mit ihrem Begleiter auf einem großen, kreisrunden Platz angekommen war, in dessen Mitte ein Springbrunnen mit in der Sonne glitzerndem Wasser faszinierende Bilder in die Luft zeichnete. Die Tortur würde bald ein Ende haben!

Man durfte sie nicht falsch verstehen: Sie konnte Ryoga Hibiki wirklich gut leiden - auch wenn er sie stets auf's Neue mit seinen seltsamen Verhaltensweisen verblüffte.

Doch was zu viel war, war einfach zu viel! Nach seinem letzten Ohnmachtsanfall, der im Vergleich zu seinen drei vorigen verhältnismäßig unspektakulär endete und letzten Endes nur drei weitere Passanten und einen sabbernden Blindenhund in die Angelegenheit verwickelte, fiel er wortwörtlich noch 4 weiteren Straßenlaternen und einem leuchtend roten Briefkasten zum Opfer. Selbst Kasumi würde nach solch einem ereignisreichen "Ausflug" ungeduldig werden!

Was Ranma jetzt wohl tun mochte...?

Sie hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen ihm gegenüber. Aus Angst vor seiner Reaktion hatte sie ihm verschwiegen, wohin sie und Ryoga gingen. Wie Feiglinge hatten sie sich aus dem Haus geschlichen, als er noch, nach seiner morgendlichen Trainingseinheit, die am Frühstückstisch begann und mit den mittlerweile verstörten Goldfischen im Gartenteich endete, im Bad war und sich wohl einen Schwall brühend heißen Wassers gönnte.

Natürlich war sie ihm gegenüber keine Rechenschaft schuldig! Sie konnte schließlich machen, was sie wollte! Er sagte ja selbst immer, ihm seien ihre Beschäftigungen und Unternehmungen vollkommen egal...

Und trotzdem... An ihr nagte jenes undeutbare Gefühl. Mittlerweile, als sie den verklärten Blicken Ryogas auswich, der ihr wie ein verlorener, hilfloser Welpe überall hin folgte, und für einen kurzen Moment die Geschäftsleute beobachtete, die ihre Mittagspause auf den Bänken genossen, die den Platz umgaben, fragte sie sich, ob es wirklich eine so gute Idee war, Ryogas Vorschlag zuzustimmen.

Sie wollte einfach nicht das große Gebäude betreten, dessen beeindruckend gewaltige Glasfassade im Sonnenlicht glitzerte und funkelte und welches durch ein im Wind wehendes, hoch oben im 10. Stock angebrachtes Banner enormen Ausmaßes weithin sichtbar als "C", die Kurzform für "Cupid", ausgewiesen wurde.

In ihrem Inneren zitterte, bebte sie. Selbstverständlich wollte sie nicht mehr länger mit Ranma verlobt sein! Wer wollte das schon?! An Shampoo und Ukyo, die sich heimlich an die Firma ihrer Schwester gewandt und dadurch ihr wirkliches Glück gefunden hatten, konnte man doch hervorragend sehen, was für ein Trottel Ranma wirklich war! Wenn sich schon seine größten, leidenschaftlichsten Verehrerinnen von ihm abwandten...!

Doch bedeutete das Betreten dieses einschüchternden Gebäudes einen großen Schritt für sie, Akane. Und sie war sich noch nicht sicher, ob sie für ihn bereit war. Ihre Freundinnen, nein - so ziemlich jeder, den sie kannte, ihre Familienmitglieder einmal ausgeschlossen, die von Nabiki nicht als Klienten aufgenommen wurden, hatte durch Cupid den "Partner für's Leben", den wahren Traumpartner gefunden.

Auch sie wollte endlich ihr Glück finden! Aber sie hatte solche Angst... Angst vor dem fremden Mann und auch Furcht vor der Reaktion ihres Verlobten - selbst, wenn sie sich dies nicht eingestehen wollte. Ihr Leben ging diesen verdammten Macho absolut nichts an! Und doch... Aus einem ihr unerklärlichen Grund wollte sie nicht, dass er von dieser Aktion, der sie nun jetzt, vor Cupids Hauptgebäude, nicht mehr entfliehen konnte, je etwas erfuhr.

Schwer schluckend musterte sie nervös die imposante Konstruktion aus Glas, Stahl und Beton. So oft sie auch von ihrer Schwester besser gesagt ihren Geschäften im Fernsehen, in der Werbung und auf den Straßen sah - immer wieder wurde sie einfach durch die schiere Größe des Bürogebäudes an die Bedeutsamkeit und Macht ihrer Schwester erinnert.

Kaum vorstellbar, dass eine 19-jährige, noch dazu ihre Schwester, mit der sie vor einigen Jahren noch verstecken gespielt hatte, ein solches Imperium aufgebaut hatte, das einen so gewaltigen Einfluss auf das tägliche Leben jedes Einwohners von Nerima, bald wohl auch ganz Tokios hatte, dass ein Leben ohne das "C" im Namen der Geschäfte, Einkaufsboutiquen und Läden, ohne das herzförmige Konfetti und ohne die pinkfarbenen Häuser einfach undenkbar geworden war.

Jedoch half alles nichts. Sie waren schon zu weit gekommen, um jetzt noch einen Rückzieher zu machen.

"Komm, Ryoga."

Einige Schritte weit ging sie, bevor sie sich nach dem unbeweglichen Ryoga umwandte, der scheinbar vergessen hatte, wie man seine Beine benutzte. Anstatt ihr zu folgen begnügte er sich damit, sie mit diesem merkwürdigen Blick zu verschlingen.

Sie schauderte. Nur nicht die Angst anmerken lassen...!

Seufzend schleppte sie ihn am Arm in das Gebäude, quer durch die Eingangshalle und zu einem der fünf Aufzüge hin, die sie nur wenige Momente später in die höchste Etage, die Chefetage, transportieren sollte. Warum nur hatte sie ihn überhaupt mitgenommen?! Bis jetzt hatte er sich noch nicht als sonderlich... praktische Reisebegleitung erwiesen.

Eher noch war er recht hinderlich - und zugegeben vielleicht auch ein wenig peinlich.

Dachte sie nur an die glucksenden Sicherheitsmänner zurück, die sie als Schwester der Chefin ohne weiteres passieren ließen und sich scheinbar köstlich über den recht... passiven Ryoga zu amüsieren schienen, der sich protestlos überall hinschleifen ließ.

Lange dauerte die Aufzugsfahrt glücklicherweise nicht - Akane war sich nicht ganz im Klaren darüber, welch unüberlegte Taten sie möglicherweise verübt hätte, hätte sie sich noch länger in der entnervenden Stille der Aufzugskabine ungewollt mit der Aufarbeitung der bereits verstrichenen Augenblicke konfrontiert gesehen. Bald schon begrüßte sie die typische Büroluft: Druckerfarbe, Toner, Kopierpapier. In Kombination mit der klassischen Geräuschkulisse - das Tippen auf einem Keyboard und das leise Rattern der Klimaanlage - hatte diese stets den aufregenden Geschmack der großen, weiten Welt für Akane.

Eine wirklich merkwürdige Faszination ergriff sie ein jedes Mal, wenn sie den Aufzug verließ und in das Büro der Sekretärin ihrer Schwester trat. Hier, und auch circa 15 Stockwerke unter ihr, wurde schwer gearbeitet und so gesehen die Geschicke Nerimas gelenkt. Eine elektrisierende Vorstellung!

Das Gesicht, welches ihnen höflich, freundlich, jedoch mit kühler Distanz entgegen- und von einem Flachbildschirm aufblickte, war anders, als jenes, welches sie mit dem der eigentlichen Sekretärin ihrer Schwester in Verbindung brachte. Natürlich! Nabiki hatte beiläufig erwähnt, dass Maya in Mutterschutz gegangen und der vorläufige Ersatz unbefriedigend war, sodass man sich kurzfristig um eine neue "Assistentin" bemühen musste.

Freundlich lächelnd grüßte sie die junge Dame, die ebenso freundlich das Lächeln erwiderte.

"Wie kann ich Ihnen helfen?"

Unsicher blickte sie kurz zu Ryoga zurück, der nach erstem Eindruck offensichtlich großen Gefallen an ihrem unteren Rückenbereich gefunden hatte. Von ihm konnte sie wohl keine Unterstützung erwarten...

"Ich würde gerne meine Schwester sprechen. Mein Name ist Akane Tendo."
 

...
 

"Akane? Gehst du bitte zu meiner Sekretärin und lässt dir den Fragebogen geben? Die junge Dame wird dir sicherlich gerne weiter helfen."

Akane nickte und wandte sich zum Gehen. Automatisch schickte er sich dazu an, ihr zu folgen, als Nabiki Tendos Stimme ihn zurückhielt.

"Ryoga... Möchtest du einen Tee? Akane muss den Bogen alleine und isoliert ausfüllen... Möchtest du so lange hier warten?"

Leise schloss sich die Tür hinter Akanes stillem Wesen, und langsam wurde ihm bewusst, dass ihm so eben ein Befehl erteilt wurde - ein Befehl, dem er zu folgen hatte. Ob er wollte, oder nicht.

Nie fühlte er sich kleiner, wehrloser, schwächlicher, als in diesem einen Moment, in dem er nun vor ihr, dem "Engel der Liebe" in ihrem Designeroutfit stand und wie ein Fisch bei einer der Koiauktionen von Okinawa von ihren gefährlich ruhigen Augen gemustert wurde.

Errötend gedachte er der vorabendlichen Szene... ihres durchnässten Oberteiles.... und ihres lebensfrohen Lachens, welches ihm nun ihrer regungslosen, kühl wirkenden Person direkt gegenüber stehend wie ein schemenhafter Traum erschien.

Die Gegensätze zwischen ihnen beiden könnten nicht krasser - peinlicher für ihn sein.

Sie, in ihren teuren Kleidern, mit ihren perfekt manikürten, gepflegten Händen in ihrem mächtig Eindruck schindenden Chefsessel aus einer Art Leder (Kunststoff, Leute. Lebt vegan ;P) sitzend, war kühl, lässig und gleichzeitig sprungbereit wie ein Raubtier auf der Lauer. Akanes Worte "erfolgreichste Geschäftsfrau Japans" geisterten ihm ungewollt durch den Kopf.

Er hingegen...

Errötend richtete er seine Augen von ihrem makellosen Gesicht auf seine eigene... Erscheinung.

Pennerlook. Zerfranselte Stoffhose, die ihre besten Zeiten schon lange hinter sich hatte. Ein über die Jahre - verbracht mit hartem Training, sodass man keine Zeit fand, ein neues zu kaufen - knapper und enger gewordenes, verblichenes Hemd.

Taktvoll ließ sie sich nichts von dem anmerken, was zweifellos in ihrem Kopf vorgehen musste.

Für diesen unschön gefärbten Zierfisch ließe sich wohl kein guter Preis erzielen.

"Schön, dich wieder in der Gegend zu sehen, Ryoga."

Schwer schluckend sah er auf, als er ihre seidig glatte Stimme hörte - und wurde sogleich von einem Paar emotionsloser, tiefbrauner Augen gefangen gehalten. Seltsamerweise hatte er das Gefühl, als hätte sie diesen Satz nicht ernst gemeint. Lag es möglicherweise daran, dass es ihren Worten an jeglichem Enthusiasmus ihre Betonung betreffend mangelte?

"H-hallo Nabiki." Warum stotterte er?! Wie erbärmlich... Er könnte Ranma - zumindest rein theoretisch gesehen - eiskalt fertig machen... Und sie war nur eine Frau!

Aber irgendwie fürchtete er sich vor dieser Person hinter dem wuchtigen Schreibtisch, auf dem akribisch geordnete Notizen, Formulare und wichtig aussehende Papiere lagen. Alles war nur der große Sessel schuld. Wirklich Eindruck schindend.

Der bedrohlich dunkle Sessel gab ihr ihre ganze Macht. Nichts weiter. Nicht ihre ungewöhnlich düster glitzernden Augen oder ihr Rock, der ein gutes Stück die langen, wohlgeformten Beine aufwärts seitlich geschlitzt war. Nicht schlampig - nur einen Vorgeschmack darauf gebend, was sich hinter dem leichten Stück Stoff verbergen mochte.

Er erwog es für angebrachter, seinen Blick an dem Ausblick hinter dem "Sessel der Macht" und hinter den streifenfrei, von Meisterputzfrauenhandschuhen sauber gestreichelten Fensterscheiben weiden zu lassen.

Der Nachmittag über dem kleinen, geschäftigen Vorort Nerima von diesem hohen Standpunkt aus war einfach faszinierend.

Ebenso wie der Anblick ihrer nachdenklich zusammengezogenen Augenbrauen und ihres nun schneidend kalten, harten Blickes. Nur flüchtig registrierte er den Schauer, der ihm langsam den Rücken hinunterkroch.

"Ryoga... Was für eine Freude! Du bist wieder in der Stadt. Und du gehst direkt sogar richtig ran, nicht wahr?"

Verdattert starrte er sie wie einen unansehnlich kränklich gelben Eidotter an.
 

Nur geschulter Disziplin und ihrem Meistertitel im autogenen Training war es wohl zu verdanken, dass sie nicht laut und entnervt aufseufzte. Der "verlorene Junge" war tatsächlich sehr... langsam im Kopf.

Fast schon leuchtete dieses große Fragezeichen auf seinem Gesicht.
 

Irgendetwas an seiner noch nicht erfolgten Reaktion schien sie ein wenig verärgert zu haben, denn nun hatte ihre Stimme diesen gelangweilten Unterton abgelegt und präsentierte ihm die blanke Schneide ihrer messergleichen Worte.

"Stell dich nicht dumm. Du weißt genau was ich meine. Erst schläfst du als kleines, putziges Ferkel in ihrem Bett, und nun kommst du mit so einer miesen Nummer."
 

Ihre Worte drangen zu ihm durch... Das spürte sie nicht nur, das sah sie auch. Die Kinnlade fiel, und fiel, und fiel und fiel.

"D-du wusstest...?"
 

"Natürlich wusste ich es, du Idiot!" - unterbrach sie ihn unwirsch. Unwillkürlich zuckte er zusammen - Nabiki Tendo = bissig. Und tollwütig.

"Wie beschränkt muss man sein, um DAS nicht heraus zu finden?!"

"A-aber Akane-"

"Akane ist naiv. Mein geliebtes Schwesterherz denkt doch nicht im Traum daran, dass du, der liebenswerte, schüchterne Ryoga, ihr so etwas kränkendes, im Endeffekt demütigendes und beschämendes antun würdest."
 

Das saß. Und wie!

Hach. Es gab doch wirklich nichts Schöneres, als die kleinen, sadistischen Freuden des bösen Klumpen konzentrierter Boshaftigkeit, auch bekannt als "Herz", zu befriedigen. Der beste Weg, nach einem laaangen Arbeitstag einfach abzuschalten, die vom Bösen besessene Seele baumeln zu lassen und nebenbei ein oder zwei Leben minderbemittelter, unterentwickelter Männer zu ruinieren.

Schock! Scharrte der schwer Getroffene mit der leidenden Mine etwa mit dem Fuß auf ihrem unbezahlbar teuren Fußbodenbelag?!!

Okay, es war nur eine billige Imitation, die man aus Kostengründen und Geizigkeit bevorzugt hatte, aber trotzdem!!
 

"Ich, ähm..."

"Ja, du ähm. Und jetzt dachtest du wohl, du tust Akane einen Gefallen, in dem du sie hierher schleppst und ihr ihren Traummann hervorzauberst, nicht wahr? Und wer ist wohl der perfekte Mann für sie? Natürlich du, Ryoga. Wer sonst." Spott. Nichts weiter. Spott, welcher sein Gesicht vor Scham brennen ließ.
 

Sie war zu hart. Das wusste sie. Aber wie konnte sie sich nur gegen dieses Verlangen in ihr wehren?! Herz, klopfe nicht so wild vor leidenschaftlicher Freude an seinem unsagbaren Leid und seiner Pein... HA!! Ertappt! Er errötete! Er hatte wohl wirklich geglaubt, die Ergebnisse von Akanes Test würden ihn als perfekten Partner hinstellen? Magenta, Zinnober, KAMINROT!

Strike.

Außerdem gab es dort ja noch eine andere Kleinigkeit, welcher man sich annehmen musste. Nicht nur die persönlichen Gelüste nach den Qualen der geliebten Mitmenschen...
 

"Also tatsächlich. Du glaubst, du bist perfekt für sie, nicht wahr?" Ein niedliches Lächeln, welches sich nur für wenige Sekunden zeigte, sich dann jedoch in eine zornige Grimasse verzog. "Was denkst du, wer du bist?!"

Schüchtern, mit ihrer Lautstärke und ihrem beleidigenden, anklagenden Ton zunehmend trotziger, sah er auf und ihr entgegen. Kalte Wut verbarg sich hinter ihrem nun wieder einmal ausdruckslosen Gesicht, das spürte er.

"Da versuche ich die ganze Zeit, sie vor diesem Unsinn hier zu schützen, und da kommst du Volltrottel daher und schleppst sie hier herein! Ist dir denn nicht klar, was du mit deinen Aktionen hier anrichten könntest?!"

Er stutze. Sie bezeichnete ihr eigenes Unternehmen als "Unsinn", vor welchem sie ihre Schwester "schützen" wollte?
 

Sie spürte den Anflug einer Migräne. Naaa toll. Sie hatte ja bald Feierabend. Perrrfekt. Mal wieder den restlichen Abend im dunklen, stillen Kämmerlein verbringen, die Welt und vor allem ihre genetisch veranlagte Migräneanfälligkeit verfluchen und die Freizeit nicht mal genießen können.

Nicht, dass sie ihre Freizeit mit etwas anderem als ihren Geschäftunterlagen genoss. Somit bestand folglich beispielsweise auch nicht viel Unterschied zwischen dem Wochenende und den Werktagen.

Es war ihr jedoch einfach unerträglich, wenn sie ihre Arbeit nicht effizient und perfekt wie immer mühelos erledigen konnte!

Dieser Typ machte sie noch wahnsinnig. Die scharfe Kritik an ihm hatte er gar nicht mehr wahrgenommen. Die Räder in seinem unterbelichteten Gehirn, oder der dürftigen Entschuldigung eines solchen, drehten und klickten leise.

Typisch Mann. Registriert nur Signalwörter. Wie ihr sein entrückter Blick verriet, dachte er gerade heftig nach. Oder versuchte es, so gut, wie es einem männlichen Wesen eben gelingen mochte.

"Unsinn... Schützen?" Hui. Zwei Wörter. Nicht klug, nicht besonders kompliziert oder mit vielen Silben... Aber zumindest wusste sie nun, welche Schlüsselwörter seine Aufmerksamkeit gefesselt hatten. Aaaaaaaalso: Erklären.

Bitteschön.

"Ryoga..." Verwirrung schwappte wie Wellen von ihm ausgehend über sie weg. Was eine zuckersüße Stimme doch bewirken kann! Seine volle Aufmerksamkeit war ihr nun gewiss.

"Was ist der Werbespruch meiner Firma?" Keine Antwort. "Cupid - Your perfect match! Was denkst du, was wir hier tun?"

Wie das Gesicht eines Kleinkindes am Weihnachtsabend leuchtete das seine nun auf. Er schien in seinem Gedächtnis auf Information gestoßen zu sein.

"Ich weiß! Akane erzählte mir davon. Auch wenn ich nicht weiß, was an Schlamm so toll sein soll... Naja. Sie sagte, man, äh, ich meine als Mädchen, oder eben als Frau ähm... Ja, die müssen sich hier anmelden und dann sucht ihr ihnen den perfekten Freund aus."
 

Warum machte sie ihn nur so nervös?! Er verhielt sich wohl wie der letzte Depp...

"Schlamm...?"

Und vor allem diese eine, fragend nach oben verzogene Augenbraue! Die, und der "Sessel der Macht" gaben ihm den Rest! Von diesem Moment würde er sie für alle Zeiten Finchen nennen. Finchen, die Augenbraue des Untergangs.

"Nun... Was auch immer. Soll ich dir mal ein Geheimnis verraten, Ryoga?"

Er war so verwirrt, dass er noch nicht mal mehr wusste, ob er dieses ominöse Geheimnis überhaupt hören wollte.

Zaghaft nickte er.
 

Wie ein wissbegieriger Wackeldackel auf Drogen, der unbedingt einen neuen Trick lernen und als Belohnung ein weißes Näschen haben will, nickte er und gefährdete nebenbei seine Halswirbel bei dem leidenschaftlichen Versuch, ihr seine Zustimmung mitzuteilen.

"So etwas wie "den perfekten Freund"... So etwas gibt es gar nicht."

Oooohweh. Ihren freien, entspannten Abend konnte sie getrost vergessen. Woran erkannte sie es? An seinem ungläubigen Starren? Daran, dass er seit geschlagenen drei Minuten ihre weiblichen Vorzüge studierte und noch nicht vor Scham zusammengebrochen war, somit also mit seinen Gedanken die Sphären der Realität verlassen hatte?

Die Sau.

Diagnose: Information overload.

Wie gewöhnlich schaltete in solchen Situationen - die natürlich nur Männern passieren, da Frauen ja bekanntlichermaßen mit allem fertig werden - das Spatzengehirn auf Autopilot, was im Klartext heißt: Verleugne deine Instinkte nicht, du wildes, männliches Tier, und gehorche deinen Urtrieben.

Bespanne das vor Wut köchelnde, junge Fräulein mit den unangenehmen Schuhen, den kratzigen Markenetiketten und -logos an den Innenseiten der unverschämt teuren Klamotten einfach mal und schau mal, ob du vor der Mittagspause noch drei Zähne und deine Fähigkeit zur Fortpflanzung verlierst.

"Häää?"

Maxalt. Aspirin. Delgesic. Was auch immer, egal! Alles, was die Pharmaindustrie so hergibt. Oder einfach einen kräftigen Strick mit bereits geknüpfter Schlinge.

Herrgott. Erhöre die Gebete der Wesen, denen du, wenn schon nicht solch widerwärtige Behaarung und einst einen überdimensionalen Zahnstocher, genannt Speer zum Jagen ebenso behaarter Mammuts, dann zumindest Verstand geschenkt hast: Lass Hirn vom Himmel fallen.

"Was sagte sie dir noch über uns?"
 

Der Sessel der Macht und die Augenbraue des Untergangs... Eine furchtbare Kombination, fürwahr!

Warum musste diese Ziege ihn auch nur so verunsichern?!
 

"Naja... Sie meinte, nun..... Sie sagte nichts genaues, nur, dass ihr jeder Frau den perfekten Partner beschafft......"

Gänzlich verwirrt, hilfesuchend wandten sich seine Augen endlich einmal von ihrem Ausschnitt ab und blickten sie verschüchtert an.

Wie. Herzallerliebst.
 

"Sieh mal Ryoga... Man sagt, unser Geschäft ist die Liebe. Aber... Das alles, was du hier siehst..."

Mit einer ausholenden Geste wies sie ungeduldig auf die Vorentwürfe einer weiteren Campagne und auf die rosa in der ersten Frühlingssonne schimmernde Stadt in ihrem Rücken.

"Das ist nichts anderes, als Geldschinderei. Es ist schon richtig... Wir geben all diesen verzweifelten Frauen das, was sie sich wünschen. Aber oft ist das, was wir uns wünschen, nicht wirklich das, was wir wollen. Hier, in diesem Computer vor mir, und im Keller unter diesem für die Verhältnisse meines geliebten Geburtsortes Nerima gewaltigen Bürokomplex, ist ein gewaltiges Archiv. Tausende, Abertausende von Ordnern und Karteien. In ihnen ist fast jeder Einwohner Nerimas vermerkt und in bestimmte Sektionen eingeteilt.

Wenn Akane nun ihren Fragebogen, der unter Insidern als Wunschliste bekannt ist, ausgefüllt hat, dann ist darauf all das zu finden, was sie glaubt, in einem Mann zu suchen. Von Aussehen, über Charaktereigenschaften bis hin zu kleinen Macken, welche sie als niedlich und wünschenswert betrachtet. Einfach alles.

Die Daten werden ausgewertet und in diesen Computer hier eingegeben. Und dann suchen wir in unseren Akten, welcher Mann auf ihre Beschreibung zutrifft. Und weißt du, was unsere Suchkriterien sind?"

Er schwieg. Was sollte er auch sagen?

Bitterkeit lag deutlich in ihrer Stimme, als sie fortfuhr.

"Das Aussehen. Alle Sektionen, in welche die Akten unserer Klienten sortiert sind, sind nach äußerlichen Kriterien und Merkmalen sortiert. Denn das Aussehen ist letztendlich das einzige, was wir nicht ändern können, was wir nicht den Wünschen unserer Auftraggeberinnen anpassen können. Finden wir einen Mann, der Akanes Wünsche für das Äußere ihres Zukünftigen anspricht, dann beginnen wir mit der Umformung. Aus jedem Penner aus den dreckigsten Gossen der Unterstadt können wir einen Gentleman machen. Wir vermitteln keine Paare - wir brechen den Willen von Männern und machen aus ihnen eine perfekte Marionette. Das, was jedes dieser dummen Dinger haben möchte. Ob charmant, ob witzig, ob dunkel und mysteriös, knallhart oder liebenswert - all das können wir aus dem ungeschliffenen, sozusagen wertlosen Rohmaterial schaffen."

Fassungslosigkeit und Schock lähmten seinen Körper, seine Gedanken. Nur Entsetzen vermochte noch den süßen Wahn, in den sein Verstand gefallen war, zu beschreiben. Mit einem Mal glaubte er, einem Monster gegenüber zu stehen.

Leise, ruhig, nach ihrem emotionalen Ausbruch erschöpft klang ihre Frage in seinen Gedanken nach - noch lange Zeit, nachdem er zu einem späteren Zeitpunkt das geräumige Büro verlassen hatte.

"Willst du das wirklich, Ryoga? Willst du als jemand geliebt werden, der du gar nicht bist?"
 

Er antwortete nicht. Und sie erwartete erst gar keine Antwort.
 

"Und was ist mit meiner Schwester? Willst du ihr so etwas antun?"

"Wieso "ihr etwas antun"? Wenn sie dadurch glücklich wird, dann tue ich ihr doch damit einen Gefallen!"

Warum nur reizte ihn mit einem Male alles in diesem gottverdammten Raum? Dieser entnervende Sessel, diese übergroßen, exotischen Zimmerpflanzen... Dieses nachsichtige Lächeln und ihr perlengleiches Lachen, als sie ihr Haupt sanft von einer Seite auf die andere in dezenten, gemäßigten Bewegungen wiegte.

"Ryoga... Sei doch nicht naiv. Ich wünsche meiner Schwester nur das Beste - was auch genau der Grund dafür ist, sie vor meinem kleinen Unternehmen zu schützen. Sie soll ihr wahres Glück finden bzw. endlich einmal schätzen lernen - nicht so etwas billiges wie dies hier."
 

Wortlos starrte er sie an und schien immer noch nicht begreifen zu wollen, was sie eigentlich sagen wollte. Armer Junge.
 

"Was meinst du mit "ihr Glück endlich schätzen lernen"?"

Seltsam. Irgendetwas in ihm sagte ihm, dass er die Antwort nicht wirklich wissen wollte.

"Ist das denn so schwer zu verstehen?"

Trotzig wich er ihren Blicken aus und konzentrierte sich auf den über ihren Köpfen hängenden Deckenventilator. Eine Umdrehung, zwei, drei....

"Akane ist eines jener bemitleidenswerten Menschenkinder, die die Liebe selbst dann nicht erkennen würden, würde sie ihnen im übertragenen Sinne einen Faustschlag versetzen. Aber es ist so offensichtlich! Für jeden - außer für sie und ihren trotteligen Verlobten. Man sieht es an jenen Blicken, die sie nur ihm alleine schenkt. Tse. Man kann ihre Gefühle für ihn sogar hören! Beim bloßen Gedanken an ihn schweifen ihre Gedanken ab, und ohne es auch nur zu ahnen, beginnt sie, von ihm zu schwärmen."

Unsicher lenkte er seinen Blick wieder scheu auf ihre ruhige Figur und betrachtete mit gemischten Gefühlen jenes kleine, ehrliche Lächeln, das sich beim Studieren eines jener gerahmten Bilder, welche neben einer modernen Schreibtischlampe auf dem Schreibtisch Platz fanden, auf ihre Lippen schlich.

"Dieses Bild hier ist eines meiner liebsten. Sieh es dir einmal an."

Nur zögernd wollten seine Füße gehorchen - sie schienen die Unlust ihres Besitzers, jenes Bild zu betrachten, offensichtlich zu teilen.

Als seine Blicke letztendlich auf der ihm entgegengehaltenen Photographie lagen, da erfüllte ihn eine unbeschreibliche, unerklärliche Wut. Die Quelle des ihn blendenden Zornes war ihm unbekannt - er wollte sie nicht kennen.

"Das ist doch nicht dein Ernst, oder?!"

Ein gläserner Briefbeschwerer, der zu Bruch ging.

"Das"

Ihr mitleidiges Lächeln.

"ist"

Seine Hände - immer noch nach Dingen tastend, die zu einem Ventil seines Ärgers werden konnten.

"nicht"

Das Geräusch des berstenden Glases.

"dein"

Sein zitternder Körper, stoßweise atmend, vom plötzlichen, emotionalen Ausbruch ausgelaugt, sich schwer mit beiden Armen auf die glatt polierte, im fernen Sonnenlicht glänzende Oberfläche ihres Schreibtisches stützend.

"Ernst..."

Ihre sanfte Hand, auf seinem Rücken, ihre beruhigende Präsenz an seiner Seite, als seine Stimme brach.

Alles so surreal, unwirklich.

"Es... tut weh, nicht geliebt zu werden, ich weiß. Aber das ist eine Lektion, die du lernen musst. In solchen Dingen wie der Liebe darf man nicht egoistisch sein. Sie liebt ihn, auch, wenn sie es nicht wahr haben möchte. Füge dir nicht weiter Schmerzen zu - lasse es. Noch weiß sie nicht, wie du für sie zu empfinden glaubst. Wenn sie es weiß...

Werdet ihr beide verletzt sein. Wenn du sie wirklich magst, dann gönne ihr ihr Glück. Versuche sie nicht mit irgendwelchen Illusionen zu täuschen, die schlussendlich drei Menschen das Leben kaputt machen.

Ihre Gefühle zueinander sind in dieser Welt, die ich geschaffen habe, das einzig wahre. Denke nicht an das, was dich glücklich machen könnte. Wenn du sie tatsächlich magst, dann dränge sie nicht in eine Falle, aus der sie nicht mehr heraus kommt."

Seine Kehle schmerzte, seine Stimme klang rau, als er ihr leise widersprach.

"Er liebt sie nicht. Er verdient ihre Liebe nicht. Er verdient sie nicht. Ständig verletzt, beleidigt, betrügt und belügt er sie. Das kann einfach keine Liebe sein. Du weißt nicht, wie oft sie wegen ihm schon nachts weinte! Du weißt nichts von dem, was sie wegen ihm schon durchmachen musste!

Und schau dir das Bild doch einmal genau an! Er erwürgt sie! Sie- sie will es nicht..."

Fast schon mütterlich nahm sie ihm das Bild aus seinen zitternden Händen und betrachtete es lange, eingehend.

"Ryoga. Sei ein einziges Mal ehrlich zu dir und versuche nicht länger, dir selber etwas einzureden. Das ist wahre Schwäche! Ganz gleich, wie viele Gegner du schon glorreich besiegt hast - du wirst immer ein Verlierer sein, wenn du nicht aus deiner kleinen Traumwelt aufwachen möchtest. Du möchtest ihr Lächeln, ihre leuchtenden Augen, seine unbewusst liebevolle Umarmung einfach nicht sehen - du Feigling verschließt deine Augen vor der Wahrheit!

Die Realität tut weh - aber du kannst dich nicht ewig vor ihr verstecken. Sie sieht in dir nur einen Freund - finde dich damit ab. Das, was sie wirklich glücklich macht - Ranma - das kannst du ihr nicht bieten. Du bist Ryoga Hibiki, nicht Ranma Saotome."

Lange Zeit war es still in dem großräumigen Büro. Nur die vom Deckenventilator verursachten Geräusche und die leise im künstlichen Wind raschelnden Blätter der Zimmerpflanzen belebten die Kulisse.

Staub glitzerte träge umhertreibend in der Sonne, ebenso wie die Glassplitter zu seinen Füßen.

"E-es tut mir Leid, dass ich dieses Glasding dort kaputt gemacht habe. Ich weiß nicht, was über mich kam."

Sie lachte nur leicht, die angespannte Stimmung auflockernd.

"Ach, dieses "Glasding" konnte ich sowieso noch nie leiden. Es war ein Geschenk eines ausländischen Vertreters - sah teuer aus und erzielte Wirkung auf Bürobesucher. So etwas hätte ich mir ohnehin nicht angeschafft. Viel zu teuer!"

Sie schenkte ihm ein freundliches Lächeln, welches er dankbar erwiderte.

Dann jedoch wurde sie wieder ernst.

"Ich weiß, wie schwer es sein muss, solche Dinge zu hören. Aber es ist besser, wenn du euch drei vor diesen Schmerzen schützt. Für deine Wut musst du dich nicht entschuldigen. Sie ist nur natürlich... Ich habe deine inneren, unbewussten Ängste nur ausgesprochen und somit das getan, wovor du dich die ganze Zeit gedrückt hast - dich damit konfrontiert. Also vergiss es. Nicht der Rede wert."

Wieder lächelte sie ihn an, doch dieses Mal fand er nicht die Kraft, ihre Freundlichkeit zu erwidern. Kraftlos wandte er seinen Blick ab und versuchte zu verhindern, dass sie das verräterische Glitzern in seinen Augen sah. Sein Blick schwamm, und seine Kehle brannte...

Dann jedoch wurde sein Körper mit einem Schwall eiskalten Wassers übergossen. Während er sich noch darüber wunderte, woher dieses Wasser herkam, schien seine ganze Welt zu wachsen. Mit einem Male lag er in seinen Kleidern verstrickt. Wehrlos. Schutzlos dem Feind ausgeliefert.

Nachdem er sich aus seinen übergroßen Klamotten mühsam herausgewühlt hatte, wollte er ärgerlich rufen, was der Unsinn denn sollte, bekam jedoch nur ein wenig gefährlich wirkendes "Quieeequiiieeeee!!" heraus.

Naaaa toll.

Wie er diese kleinen Beinchen, die langen Schlackerohren und den Mangel an seinen nützlichen, menschlichen Händen doch hasste! Wie er dieses uuuultraniedliche Aussehen und sein erbärmliches Gequieke doch verabscheute!!

Böse sah er zu der Person auf, die gerade den aus dem Nichts hervorgezauberten, nun leeren Eimer wieder im Nichts hinter ihrem Rücken verschwinden ließ und nun Anstalten machte, ihn mit hintergründigem Lächeln von seinen Kleidern aufzulesen.

Zornig quiekte er ihr einige wirklich unfreundliche Beleidigungen zu und hasste mit jedem weiteren Quieklaut, der sich aus seiner Kehle befreite, seine Fluchform mehr. Gegen einen Löwen oder einen furchteinflößenden Tiger als Verwandlung hätte er ja noch nicht mal soooo viel einzuwenden...

Aber warum nur ein hilfloses, niedlich aussehendes kleines schwarzes Ferkel mit anbetungswürdigen Öhrchen?!!!

Seine Versuche, sie über seine Meinung von ihr zu informieren, verfehlten ihre bösartige Wirkung völlig. Statt ihn beleidigt in Ruhe zu lassen, hob sie ihn mit einem leisen Lachen unter seinem Protestgequieke hoch und verwahrte ihn und seine Kleider in einer ihrer Schreibtischschubladen.

Perplex ließ er sich zwischen einem Stapel Kopierpapier und beißend riechender Druckerfarbe verstauen. Was bitte sollte das denn?!!

Dann jedoch hörte er zwei weibliche Stimmen. Nabiki und... Akane!!!

Mit voller Ferkelkraft warf er sich gegen die Wand, hinter der er seine Freiheit witterte.

Dummerweise schien es exakt die falsche gewesen zu sein. Außer, dass ihm nun die Nase weh tat und das Gespräch der beiden Damen außerhalb des Schreibtisches kurzzeitig abgebrochen war, hatte diese Kamiferkelaktion nicht wirklich viel gebracht.

"Was war das denn?"

Entzückt richteten sich automatisch seine feinen Ferkelohren nach den himmlischen Klängen ihrer Stimme aus.

"Keine Angst, das ist nur mein neues Faxgerät."

"Dein neues Faxgerät...?"

"Ja, das neuste auf dem Markt. Mit Laserdrucker und starkem Vibrationsalarm. Eine Spezialanfertigung und direkt in den Tisch integriert. Ist das nicht toll?"

Sofern es einem Ferkel möglich ist, knurrte P-chan. Zwar hörte es sich alles andere als bedrohlich und bösartig an, aber für's Protokoll soll vermerkt sein, dass das brandgefährliche, keine 20cm Stockmaß messende Killerferkelchen bei seinem putzigen Gequieke alles andere als freundliche Absichten hatte. Grrrrrrrr... Nabikis falsches Lächeln konnte man selbst durch billiges, dafür jedoch qualitativ hochwertiges Mahagoniimitat hindurch aus ihrer Stimme heraus hören.

"Ach so! Na dann..."

Akane... war wirklich leichtgläubig. Vielleicht auch ein klein wenig naiv und zu vertrauensvoll für ihr eigenes Wohl - bei einer solchen Schwester.

"Wo ist eigentlich Ryoga?"

Ja, wo war er nur? Vielleicht beantwortete die Pig-napperin ja endlich auch mal die Frage, die ihn schon die ganze Zeit neben der elementaren Frage, welcher Inhaltsstoff der Druckerfarbe diesen Niesreiz in seinem empfindlichen Näschen weckte, beschäftigte.

"Aaach, er sagte, er müsse noch etwas erledigen. Aber sag... Wie war der Test, hat er dir Spaß gemacht?" Wie konnte man nur so verlogen sein?!!

Die arme Akane... Ihre eigene Schwester log ihr direkt ins Gesicht. Aber seine scharfsinnige Akane würde diesen billigen Versuch, sie vom Thema abzulenken, sofort durchschauen und zu seiner Rettung eilen! Ja, das würde sie!

"Es geht so... Aber einige Fragen waren wirklich merkwürdig!-" Eines seiner Öhrchen fiel enttäuscht herab. Also war sie wohl doch nicht ganz so scharfsinnig, wie er geglaubt hatte... Auf ewig würde er in dieser kleinen Folterkammer gefangen sitzen - ihrer engelsgleichen Stimme lauschend und stets von jenem unerträglichen Niesreiz geplagt.

"Fr-fragen, über die ich mir wirklich noch nie Gedanken gemacht habe!" Oh... Sein kleines Täubchen war wohl tatsächlich überrascht!

Dies schürte die Neugier in ihm, welche Fragen seine Geliebte so sehr aus dem Konzept gebracht hatten, dass sie nun schon so süß zu stottern anfing...

Seine Foltermeisterin schien diese Neugier mit ihm zu teilen.

"Welche Fragen waren das denn?" Oh weh... Irgendetwas an ihrem verspielten, schelmischen Ton verriet ihm, dass sie schon in etwa wusste, was diese Fragen so außergewöhnlich machten.

"N-n-nun ja... Was hat... du weißt schon... D-die Größe mit der Partnerfindung zu tun...?"

Starr vor Schock bemerkte er nicht, wie Dampf aus seinen Ohren zischte. Dank der gnädigen Ohnmacht, die augenblicklich über ihn hereinbrach, verpasste er die nächsten Worte Nabikis... Nur noch ihr vergnügtes Lachen begleitete ihn in die samtschwarze Umarmung der Bewusstlosigkeit.
 

"Akane! Aber das ist doch ganz klar! Nicht jede Frau möchte zu ihrem Partner aufsehen müssen! Manche mögen es lieber, auch körperlich auf ihren Freund, und nicht nur geistig, herabzusehen. Das stärkt das Selbstbewusstsein! Außerdem kann man ihm dann viel leichter die Haare verwuscheln!"

Schüchtern sah ihre Schwester sie an und bedankte sich für den schwesterliche Aufklärung.

"Nun... Darüber habe ich mir wirklich noch keine Gedanken gemacht... Du weißt schon, der Ranma ist ohnehin größer als ich... von daher... Nicht, dass ich den Trottel heiraten wollte! D-du weißt schon..."

Lächelnd nickte sie nur verständnisvoll. Ihr armes, neues Faxgerät. Gegen so einen "Trottel" hatte es keine Chance.

Kurz darauf verabschiedete sich ihre Schwester und ging ihrer Wege. Noch bevor sie sich dem nun ausgefüllten Fragebogen widmete, den es nun auszuwerten galt, nahm sie das ohnmächtige Ferkel und dessen Kleidung aus ihrer Schublade. Beides legte sie auf ihren Schreibtisch und bestellte bei ihrer Sekretärin eine Kanne heißes Wasser.

Während sie auf ihre Sekretärin mit dem Wasser wartete, überflog sie mit ihren Augen flüchtig Akanes Antworten.

Wie typisch. Fragen nach dem Äußeren ließen eine Typbeschreibung entstehen, die perfekt auf Ranma Saotome passte. Die Charakterfragen jedoch wurden, wie erwartet, so beantwortet, dass die Beschreibung überhaupt nicht mehr auf den jungen Verlobten zutraf.

Nichts anderes hatte sie erwartet. Aus Frust hatte Akane all die Macken Ranmas als verabscheuungswürdig etc. eingestuft. Doch andere Fragen, die nicht nach Kritik an Ranma schrieen, verrieten sie und ihren eigentlichen Wunsch danach, ihr restliches Leben mit diesem "Trottel" zu verbringen, durch die Art der gegebenen Antworten.

So zum Beispiel die Frage nach der Augenfarbe...

Was erwartete man da für eine Antwort? Nun, so in der Richtung braun, schwarz, grün oder blau, nicht wahr?

Nicht jedoch: "Ein tiefes, die Seele zu verschlingen scheinendes Meerblau an sonnigen Tagen, das jedoch in einem Sturm aus Gefühlen zu einem Eismeer gefrieren kann..."

Oder die Frage nach kleinen Macken?

"Ich finde es attraktiv, wenn Männer, nachdem sie einen siegreichen Kampf ums Essen mit einem fettleibigen Panda ausgefochten haben, ihren extraklebrigen Reis mit einem animalischen, gierigen Grunzen herunterschlingen."

Unwillkürlich schauderte sie. Schon sehr, sehr merkwürdige Antworten hatte sie schon an dieser Stelle zu lesen bekommen...

Und in diesem Moment wollte sie alles andere, als sich an erschreckende Geständnisse perverser Neigungen mancher Frauen zu erinnern.

Voll des Dankes für die Unterbrechung ihrer verstörenden Gedanken, antwortete sie frohen Herzens dem Klopfen an ihrer Bürotür. Schüchtern lächelnd trat ihre neue Sekretärin ein und trug einen dampfenden Kessel heißen Wassers mit sich.

Mit einem beruhigenden, strahlenden Lächeln wurde sie begrüßt, um die offensichtliche Anspannung von ihr zu nehmen - warum war sie nur so verängstigt? Nun gut... Ihr letzter Sekretär hatte sich nicht einmal drei Tage behaupten können...

Aber er war schließlich ein Mann!

Gedankenverloren stellte sie den Kessel neben dem ohnmächtigen, auf den eigenen Kleidern gebetteten Ferkel auf ihren Schreibtisch - das Zentrum ihrer Macht, welches sich klassisch vor dem Instrument ihrer Macht, ihrem Chefsessel, postiert gut machte.

Ruhig ließ sie ihren Blick über die schillernd pinke Stadt wandern, nachdem sie mit leisen Schritten zur gläsernen Rückfront ihres Büros gegangen war.

Sie wusste, dass fast jedes Haus, jede freie Oberfläche mit irgendwelchen Werbeplakaten oder Symbolen ihrer Firma tapeziert, dekoriert war. Der Verstand der Menschen war bereits infiziert. 94% der Stadt unter ihrem Einfluss, ihrer Kontrolle. Doch empfand sie weder Freude, noch Stolz.

Vielmehr war es bittere Genugtuung, welche sie bewegte. Wie simpel Menschen doch sein konnten.

Hinter sich hörte sie, wie das Ferkel langsam zu sich kam und sich seiner Umgebung wieder gewahr wurde.

Doch achtete sie vorerst nicht auf die Geräusche fließenden Wassers oder seine ungeschickten Versuche, sich die Kleidung über die noch feuchte Haut zu streifen.

Vielmehr beschäftigte sie eine bestimmte Aussage ihrer Dinnerverabredung am Vorabend.

Dass sie die Präsenz ihres Sekretärs nicht länger als eine Woche, bzw. drei Tage ertragen konnte, war doch noch lange kein Zeichen für... Wie hatte sie sich noch einmal ausgedrückt?

Mit gerunzelter Stirn erinnerte sie sich an das luxuriöse Flair des teuren Nobelrestaurants und an die unangenehm aufdringlichen Blicke, welche sie mit ihrem rückenfreien Cocktailkleid auf sich zog. Auch an den spaßenden Ton ihrer Angestellten erinnerte sie sich noch gut...

Wieder einmal hatte sie eine ihrer vielen Wetten verloren. Und wieder einmal schuldete sie ihrer 1. Assistentin, Saki Tokhara, einer alten Schulkollegin, ein Abendessen. Dieses Mal hatte die clevere junge Frau sie mit der provokanten Feststellung, sie, Nabiki Tendo, wäre unfähig, eine Beziehung zu einem Mann eine ganze, verdammt lange!, Woche lang einzugehen, direkt in eine Wette gelockt. Noch nicht mal die geschäftliche Beziehung einer Chefin zu ihrem Sekretär könne sie so lange durchhalten.

Eine Nabiki Tendo lässt so etwas natürlich nicht auf sich sitzen. Überheblich, leichtsinnig, ließ sie sich auf eine erneute Wette ein.

Wetteinsatz: Ein Abendessen.

Bedingung: Eine Woche lang einen Mann für einen längeren Zeitraum als eine Viertelstunde in unmittelbarer Nähe ertragen.

Rückblickend war es eine ziemlich riskante und zugegeben: ziemlich dumme Wette. Wie gelang es Saki-chan nur immer, sie in solche Fallen, in die sie ihr eigener Stolz letztendlich reintrieb, zu locken?

Sachte schüttelte sie ihren Kopf und erinnerte sich an das amüsierte Lachen ihrer alten Schulfreundin, die die große Nummer 2 in der Firma Cupid war. Die 1 war natürlich immer noch sie selbst.

,Die Diagnose: Nabiki Tendo, du bist einfach beziehungsunfähig. Sieh es ein'

Na danke auch. Was sagte das denn schon aus, dass sie nur knapp drei Tage durchhielt?! Der Typ war einfach nur widerlich. Schleimig. Und hatte die Tendenz, ihr ihren letzten Nerv zu rauben. Wer hätte ihn dann nicht rausgeworfen?

Nachdenklich stimmte sie jedoch Sakis darauf folgendes Angebot. Sie war sich durchaus bewusst, wie es um die sexuellen Neigungen ihrer alten Schulfreundin bestellt war, welche sie letztendlich auch zur Nummer 2 machten, aber...

Wie konnte man es ausdrücken? Sie wusste einfach nichts mit Flirtversuchen anzufangen.

"Du kannst ja immer noch einen Neuanfang mit jemandem des anderen Ufers versuchen... Vergiss die Männer. Denk einfach nur daran, was dieser verdammte Idiot dir angetan hat. Sie sind alle gleich. Einer wie der andere."

Oh ja, sie wusste es. Und trotzdem wollte sie die dumme Hoffnung nicht aufgeben, dass irgendwo in Honolulu oder in Chile ein Mann sei, der anders war.

Sie seufzte leise. Saki hatte keinen Hehl daraus gemacht, nicht einmal zu verbergen versucht, dass sie nichts dagegen einzuwenden hätte, selbst dieser "Neuanfang" zu sein.
 

Hastig hatte er sich umgezogen und jedes Geräusch vermieden - ihre abgelenkte Aufmerksamkeit war ihm nur recht. Hätte sie sich nur Augenblicke zuvor umgedreht....

Nein, daran wollte er nicht denken.

Unsicher, was er nun tun sollte, beobachtete er sie gedankenverloren, bis ihre wieder einmal ausdruckslose Stimme ihn wieder in die Realität zurückrief.

"Fertig?"

Er nickte, wurde sich jedoch schnell klar darüber, dass sie seine Bestätigung nicht sehen konnte und gab ein äußerst informatives "Mhhmh. " Von sich.

Dann fiel ihm wieder ein, warum er sich in erster Linie überhaupt wieder zurückverwandeln musste.

Bevor er jedoch die Gelegenheit dazu bekam, sich wortstark bei ihr wegen ihres unverschämten Handelns zu beschweren, sprach sie ihn an und lenkte sein Interesse auf andere Bahnen.

"Ich wollte, dass du dir Akanes Testergebnisse ansiehst. Sie liegen dort auf meinem Schreibtisch."

Gespannt griff er aufgeregt nach den raschelnden Bögen Papier und wertete die Daten flüchtig durch. So sehr war er in seiner Tätigkeit gefangen, dass er nicht bemerkte, wie Nabiki wieder auf ihrem Sessel Platz nahm und seine Reaktionen eingehend musterte, folglich also auch mit schwindender Hoffnung sein immer breiter werdendes, siegreiches Grinsen bemerkte.

Auf der letzten Seite angekommen blickte er strahlend auf und direkt in die kühl kalkulierenden Augen der allmächtigen Chefin Cupids.

Finchen, die Augenbraue des Untergangs, hob sich forschend.

"Ha! Da hast du den Beweis! Akane kann Ranma gar nicht lieben! Hör dir das an! "Ich kann Männer nicht ausstehen, die ihren Partnerinnen nicht den verdienten Respekt entgegen bringen, sie ständig beleidigen und sich von ihren anderen Verlobten füttern lassen!" Das ist der Beweis! Sie liebt ihn nicht!"
 

Auf sein erleichtertes, nun unbeschwertes Lachen antwortete sie nur mit einem hintergründigen, spöttischen Lächeln, welches er in seinem Übermut nicht registrierte. Wie einfältig! Aber was konnte man anderes erwarten? Schließlich auch nur einer dieser verblendeten, ignoranten Männer, die allein mit oberflächlichem Glanz zufrieden sind.

"Bist du dir da so sicher, Ryoga? Hm?"

Vollkommen entrüstet starrte er sie an und fuchtelte mit dem Fragebogen wild gestikulierend vor ihrem Gesicht herum.

"Aber Nabiki! Du hast doch den Test gelesen! Hier schreibt sie ausdrücklich, dass sie solche Männer wie Ranma hasst! Die Dinge, in denen Ranma hoffnungslos versagt... In denen bin ich ein Meister! Hier, der Beweis! "Ich finde es eigentlich ganz niedlich, wenn er schüchtern ist. Ich kann es nicht ausstehen, wenn er ständig mit seinen tollen Taten und Errungenschaften prahlt!!"-" Glückliches, leichtherziges Lachen hinderte ihn für einen Moment daran, fortzufahren. "Ich kann ja noch nicht mal zwei Sätze mit ihr wechseln, ohne zu stottern oder vor Schüchternheit knallrot zu werden!"

"Also? Was bringt dich das nun weiter?"

Einen Moment lang stutzte er, ob ihrer scheinbaren Ahnungslosigkeit und ihres ihn verwirrenden Unverständnisses.

"Was mich das weiter bringt? Nabiki! Das heißt, ich habe eine Chance bei ihr!"

Zweifelnd legte sie ihren Kopf schief und musterte ihn.

"Nun ja, ich weiß ja nicht..."

"I-ich bräuchte zwar deine Hilfe... Aber ich wette, dass ich es mit dieser schaffen kann, Akanes Herz zu erobern!"

Ha! Darauf hatte sie fast schon gewartet.

"Du wettest also, ja, Ryoga? Na gut. Die Wette halte ich."

Und wieder glubschte er mit sich öffnendem und schließendem Mund, wie ein auf einer Sandbank gestrandeter Fisch.

"Sagen wir... Um ein Abendessen. Eine halbe Woche lang absolvierst du einen Crashkurs, und ich verschaff dir am Ende dieser Woche ein Date mit deiner Traumfrau. Wie wär's?"
 

Dieses hinterhältige, zufriedene Grinsen einer Katze, welche gerade eine ganz besonders fette Maus verspeist hat, gefiel ihm in Kombination mit ihren sadistisch glitzernden Augen ganz und gar nicht. Die Sache hatte garantiert einen Haken.
 

"N-nur eine halbe Woche??"

"Was denn Ryoga? Bist du nun doch nicht so überzeugt? Keine Angst... Ich bin ja fair zu dir. Du darfst auch die professionelle Hilfe meiner Angestellten nutzen... Und das gratis!"

"I-ich will wenn schon deine Hilfe! Du bist die Gründerin von Cupid! Du hast auch die meiste Erfahrung."
 

Tief seufzte sie und verzog unwillig ihr Gesicht, als sie einen Terminplaner hervorkramte.

"Sieben Uhr abends habe ich für gewöhnlich Schluss... Wie wäre es danach? Hättest du dann Zeit?"

Erfreut nickte er eifrig. Was sollte er schon großartig um diese Uhrzeit sonst tun? Er war arbeitslos! Er hatte niemandem, mit dem er sich sonst hätte treffen können! Und selbst wenn er jemanden hätte, dann würde er sich..

Sein Hochgefühl sank drastisch.

Dann würde er sich garantiert verlaufen und erst nach Monaten am vereinbarten Treffpunkt ankommen.

Wenn überhaupt.
 

Schizophren. Das war es, was ihr durch den Kopf ging, als sie ihn beobachtete. Seine leuchtenden Augen wie die eines Kindes am Vorweihnachtsabend dimmten beträchtlich - nun sah' sie einen deprimierten, frisch gefeuerten Anwalt in der Midlifecrisis.

Sollte sie Menschlichkeit beweisen und ganz vorsichtig fragen, was ihn bedrückte...?

Sorgen brauchte sie sich keine mehr darüber zu machen, da ihr Gesprächspartner von sich aus seine Probleme zu erläutern anfing.

"Da gibt es allerdings ein kleines... nunja, ein ziemlich großes Problem......."
 

Unsicher brach er ab und sah flüchtig zu ihr auf. Finchen war fragend wieder auf Reisen gen Himmel....

"Und das wäre...?"

"Mein O-orientierungssinn..." Unterwürfig die Augen und kratzte sich verlegen am Nacken.

Jetzt konnte nur noch Gott ihm helfen... oder Nabiki Tendo.

"Ich erinnere mich... Ja, stimmt. Nicht umsonst wurdest du damals der "verlorene Junge" genannt." Amüsiert lachte sie, wurde dann jedoch sogleich wieder ernst.

"In der Tat. Das ist ein großes Problem... Aber da bietet sich eine Lösung an."
 

Schi-zo-phren. Nach seiner abgrundtiefen Verzuweiflung strahlte nun er wie eine 1460W Birne... Jaja, die Aussicht auf eine Lösung ist immer wie ein Rettungsreifen für Nichtschwimmer bei Schiffbruch oder ein Tempopäckchen in einer landesweiten Grippeepidemie.

Allerdings würde diese Lösung sehr... kostenträchtig werden.

"Gehst du wirklich die Wette ein? Habe ich dein Wort? So etwas biete ich dir nämlich nicht einfach so an. Geld wirft man normalerweise nicht allzu gern aus dem Fenster..."

Aufrichtig, ernst nickte er.

Sie seufzte.

"Gut... Cupid versucht, sich den Immobilienzweig unseres Geschäftes zu sichern. Zu diesem Zweck kauften wir einige Apartmentkomplexe und Neubauten auf, statten sie aus und vermieten sie für horrende Summen.... Wir versuchten auch, die perfekten Wohnungen für Behinderte zu kreieren. Unter anderem auch für Blinde... Du weißt sicherlich, dass sich Behinderte, denen ein Sinn fehlt, der für uns selbstverständlich ist, anders in ihrer Umgebung zurechtfinden, als wir. Blinde konzentrieren sich meist auf Geräusche und Gerüche. Zieht ein Blinder nun in so eine Wohnung, dann kann er sich zuerst nicht orientieren. Alles ist ihm fremd.

Wir haben ein einfaches Prinzip entwickelt, wie sich so jemand durch seine Wohnung bewegen und alles erst einmal ergründen kann, bis er sich eingewöhnt hat. Ich denke, dass dieses System auch für dich recht nützlich wäre..."

"Du gibst mir eine Wohnung für Blinde?"

Konnte er seine Empörung nicht einmal unterdrücken?
 

"Ryoga Hibiki! Du kannst froh sein, wenn ich dir überhaupt helfe! Diese Lösung kostet Geld, welches ich auch anders möglicherweise sehr viel erfolgsversprechender als in dich investieren kann. Ist das so weit verstanden...?!"

Von ihrem scharfen Ton eingeschüchtert nickte er.

"Außerdem solltest du Blinden gegenüber mehr Respekt entgegen bringen. Von deiner Art des Redens her lässt sich schließen, dass du noch nie einem begegnet bist oder mit ihm gesprochen hast!"

Er senkte seinen Kopf. Wie konnte sie es nur schaffen, dass er sich mit einem Male so schuldig und beschämt fühlte??

In ruhigerem Tomfall fuhr sie nun fort, seine gedrückte Stimmung vollkommen ignorierend.

"Das System wird dir vor Ort erklärt. In dieser Woche wirst du dich so lange in deiner Wohnung aufhalten, bis einer meiner Angestellten dich abholt und zu mir bringt. Für die Lebensmittelversorgung wird gesorgt. Noch irgendwelche Fragen?"

Wie ein kleines Kind, dass nur Momente zuvor von seiner Mutter gerügt wurde, schüttelte er kleinlaut den Kopf. So schlecht war der Vergleich eigentlich nicht... Einziger Unterschied: Sie war nicht seine Mutter.

Seine Mutter hätte ihm jetzt schon längst einen Versöhnungskeks angeboten.

Nur am Rande verfolgte er mit, wie Nabiki einen kurzen Telefonanruf tätigte.

"Jetzt hätten wir dafür gesorgt, dass du pünktlich zu unseren Treffen erscheinen kannst..."

Schweigend nickte er und sagte selbst dann nichts, als ein groß gewachsener Mann mit Sonnenbrille, dunklem Anzug und Chauffeursmütze auf Wunsch Nabikis eintrat. Der Mann mit recht dunkel getönter Haut wurde ihm von Nabiki als ihr persönlicher Chauffeur vorgestellt, der ihn zu ihren Treffen immer abholen würde.

Verlegen nickte er dem ihn kritisch musternden Mann als Gruß zu und wagte keinen Protest, als Nabiki ihn mit der Ermahnung, am Abend des nächsten Tages pünktlich um sieben Uhr fertig zu sein, aus ihrem Büro entließ, um nicht den Eindruck erwecken zu wollen, er sei undankbar.

Als er noch einen letzten Blick zurückwarf, bevor sich die Tür schloss, sah er, wie sich die junge Geschäftsfrau bereits wieder ihrem Telefon zuwendete.
 

"Saki?... Ja, ich bin's. ... Du erinnerst dich an das unmarkierte Objekt von gestern?... Genau. Der kleine Freund meiner Schwester. Beide sind eben hier aufgetaucht, damit Akane ihren Wunschzettel ausfüllt... Ich war schon ganz schön sauer, das stimmt. Aber hör zu, warum ich eigentlich anrufe: Wir haben doch noch immer diese eine Wette am Laufen, bei der ich nur eine einzige Wette gewinnen muss, damit du mir ein feines Abendessen spendierst, nicht wahr?... Gut. Ende Woche darfst du dafür zahlen, dass ich mir auf deine Kosten den Bauch voll schlage. ... Und ob ich diese Wette gewinnen werde! Es ist zu einfach..."
 

Neugierig stand er hinter dem breitschultrigen Chauffeur, der, den Anweisungen seiner Chefin folgend, seinem neuen Fahrgast die "Funktionsweise" des Blindenapartments erklärte. Durch die ganze Wohnung war ein Seil straff gespannt, welches in jedes einzelne Zimmer führte. An diesem Seil war eine kompliziert aussehende Gerätschaft und an jener ein Gürtel angebracht.

Geduldig wiederholte der Fahrer noch einmal die Schritte, die Ryoga tun musste, um sich in seiner neuen Wohnung zurecht zu finden. Der Junge, der ständig in der tiefsten Wildnis umher irrte, hatte wirklich nicht viel technisches Verständnis entwickeln können.

Der Gürtel wurde um Ryogas Taille geschnallt. Nun musste er nur klar und deutlich das Zimmer nennen, in das er wollte - beispielsweise "Küche", und das bereits erwähnte Gerät, welches auf Stimmsignale reagierte, sendete ein weiteres Signal an einen Motor, der die Seilkonstruktion bewegte. Der Motor zog am Seil und somit auch am daran befestigten Gürtel so lange, bis die Person im gewünschten Zimmer angekommen war.

Ryoga war begeistert! Wenigstens in seiner Wohnung konnte er sich somit nicht mehr verirren. Auch, wenn es ihm ein wenig peinlich war, zur Orientierung auf solche Technik zurückgreifen und vertrauen zu müssen, so war er doch stolz, eine eigene Wohnung zu besitzen, in der er sich auch irgendwie würde zurechtfinden können.

Glücklich verabschiedete er sich von dem höflichen Fahrer und ging später voller Zuversicht und Vorfreude auf den nächsten Tag ins Bett.
 


 


 

Tag 1 - Lektion 1: Was du willst, zählt nicht. Lektion 2: Vertraue der allwissenden Meisterin. Lektion 3: ... Lasse ein orientierungsloses Meerschweinchen nie in einem Einkaufszentrum alleine.
 

"C - 4all" - Das größte Einkaufszentrum Nerimas. Von Straßenkleidern bis exklusiver Abendgarderobe, von Sportartikeln bis Hightech - hier konnte das konsumfreudige Herz alles bekommen, was es begehrte. Man sollte meinen, dass hier für jeden Geschmack das Richtige zu finden ist. Ist es auch normalerweise. Nur sehr, sehr selten zogen Kunden unzufrieden von dannen. Und wenn, dann verschwanden sie auf unerklärliche Weise spurlos und wurden nie wieder gesehen.

Aber das ist eine andere Geschichte...

Nun. "C- 4all", das bedeutet die Freiheit des Käufers, das bedeutet Lebensfreude, Glück und Lebenslust. Die geheiligten Hallen mit ihrer angenehmen Atmosphäre, dem unvergleichlichen Angebot, der ausgesprochenen Kundenfreundlichkeit und den fairen Preisen enttäuschten für gewöhnlich niemanden.

Für gewöhnlich.

Doch was wäre die Welt für ein langweiliger, trister Ort, wenn in ihr nicht solch ungewöhnliche Menschen wie Ryoga Hibiki lebten?

Das wäre eine Welt ohne Migräne, ohne Leid und Frustration - da war sich Nabiki Tendo sicher, nachdem sie eine geschlagene Stunde mit bereits erwähntem Teilzeitferkel "einkaufte".

"Einkaufen" konnte man es jedoch kaum nennen, was beide dort taten. Viel mehr sah es so aus, als würde Nabiki ein Nervenkollaps bevorstehen und Ryoga sich einfach für nichts entscheiden können. Teamwork! Drei zuverlässige Verkäuferinnen bemühten sich fleißig, der "Göttin der Liebe" geschmackvolle, "stylische" Outfits zu präsentieren. Nabiki wählte einige Kombinationen aus, Ryoga probierte diese an und... war mit keinem zufrieden.

An jedem Kleidungsartikel fand er etwas auszusetzen - hier war der Schnitt nicht gut, dort fehlte ein wenig Farbe, und von dem furchtbaren Stoff wollte er gar nicht erst anfangen!

Alles in allem eine sehr nervenaufreibende Erfahrung für eine gewisse Geschäftsfrau, die eigentlich bis zu jenem Abend geglaubt hatte, stets beherrscht und kühl mit allem fertig zu werden. Sie war abgehärtet, das, was man im modernen Sinne mit "tough" bezeichnet...

Ryoga Hibiki jedoch trieb sie an den Rand der Verzweiflung.
 

Irgendwie stand ihr jene leichte Zornesröte im Gesicht und das unheilverkündende Glitzern in ihren Augen. Auch, wenn dieser Anblick für gewöhnlich einen qualvollen, laaangen Tod versprach, so machten diese deutlichen Anzeichen gefährlich strapazierter Nerven sie in seinen Augen sehr viel menschlicher. Lebensbedrohlich - aber immerhin menschlich!

"Ryogaaa..." Er konnte sich einfach nicht entscheiden, was ihm mehr Angst einflößte: Ihr Knurren oder ihre Hände, die sich langsam zuckend öffneten und krampfhaft wieder schlossen, so, als ob sie sich in ihren Gedanken genüsslich ausmalte, wie sie seinen Erstickungstod durch einen genau abgestimmten, berechneten Rhythmus der würgenden Handlungen ihrer Hände um seinen Hals so lang wie möglich heraus zögerte.

Vermutlich tat sie auch genau letzteres.

"Aber es, es... Es kratzt so!"

Oooh weh. Das war nicht gut. Selbst in seinen Ohren hörte er sich wie ein kleines, jammerndes Kind an.

Da war es wieder! Das Zucken der Augenbraue des Untergangs!
 

Voller mürrischer Genugtuung erhielt sie einen weiteren Beweis für ihre These, dass der Mann an sich rein instinktiv handelt. Der Stolz und die Ehre eines Mannes?!

Romantische Begriffe, von einer realitätsfremden Drogenabhängigen im Mittelalter geprägt, deren verzweifeltes Frauenherz einfach nicht mit der ernüchternden Tatsache, dass frau sich für den Rest ihres Lebens an ein dem allgemeinen, stinkenden Tier recht ähnliches Wesen anketten musste, fertig wurde und klar kam. Schließlich ist es ja wissenschaftlich erwiesen, dass Menschen sich in einer Art Schutzhaltung in Zeiten ärgster Not eine private Traumwelt erschaffen, um der fürchterlichen Realität zu entkommen.

Die Realität: Ein Ehemann.

Das dürfte als Erklärung genügen...

Nun, der Beweis für ihre These?

Unterwürfig duckte er sich unter ihrem strafenden Blick hinweg, der darauf abzielte, ihn bei lebendigem Leibe zu schmoren. Nur ein Seufzen entrang sich seiner Kehle, als er die neue Kleiderwahl von seiner persönlichen Sklaventreiberin annahm und mit hängenden Schultern in die Umkleidekabine zurück schlich.

Instinktiv tat er alles, um sein Leben möglichst lange behalten zu dürfen, was hieß: Sich ihrem Willen gefügig zu beugen, brav und artig nur das zu machen, was ihr gefiel.

Wer war auf die fixe Idee gekommen, Frauen seien diejenigen Vertreter des homo sapiens, die wählerisch waren und nicht wussten, was sie wollten?

Sicherlich ein Mann. Nur, weil er das komplexe Wesen einer Frau nicht verstehen kann, da es zweifelsohne seinen Horizont übersteigt und er schlicht und ergreifend damit überfordert ist, es zu erfassen, reduziert er die höhere Intelligenz auf solch typisch männliche, eben einfach gestrickte Verhaltensweisen wie "sich-einen-Bierbauch-ansaufen" oder in diesem Fall: Konsumsucht und die Unfähigkeit, sich zu entscheiden.

Bevor sie sich jedoch weiter den gedanklichen Ausgeburten ihrer Männerverachtung widmen konnte, öffnete sich der schwere Vorhang aus kitschig tiefrotem Satin und gab die Sicht auf ihr Opfer frei.

Zufrieden begegnete ihr Blick erst einem Paar Sneakers, dann einer kunstvoll gebleichten, modern geschnittenen Jeans, einem simpel gehaltenen, weißen Oberteil und letztendlich... seinem Gesicht, welches so verzweifelt und hilflos wirkte, dass es beinahe so aussah, als würde der Besitzer im nächsten Moment schon in Tränen ausbrechen.

"N-n-nabiki..."

Bei seinem klagvollen Ton vergrub sie entnervt ihr Gesicht in ihren Händen.

Wenn es ein Mensch auf diesem gottverdammten Planeten schaffte, sie aus ihrer berühmt berüchtigten Ruhe zu bringen, dann musste es einfach Ryoga Hibiki sein.

"Nabiki...?"

"Such du dir was aus. Lass mich einfach hier sitzen, die Ungerechtigkeit der Welt verfluchen, in Selbstmitleid zerfließen und meinen Freitod in allen wundervollen Einzelheiten planen, ja?" Hinter ihren Händen verzog sie das Gesicht. Das hatte sich so leidvoll und kläglich angehört, dass man es schon fast mit einem Wimmern vergleichen konnte.

Aber Nabiki Tendo wimmerte nicht!
 

Errötend zog er sich leise zwischen die unzählbar vielen Kleiderständer zurück und versuchte, ihr vollkommen ausgelaugtes Wimmern aus seinem Kopf zu verbannen. Sicherlich hatte sie schon einen langen Arbeitstag hinter sich... und er machte dann auch noch eine solche Szene.......

Wieder einmal meldete sich sein schlechtes Gewissen zurück. Aber was sollte er denn machen?! Diese Kleider waren einfach...!

Sie kratzten, andere waren zu weich und angenehm auf der Haut (also ungeeignet für das harte Training in den unwirtlichen Weiten der Welt, in die er sich des öfteren verlief), andere sahen schon von weitem so aus, als würden sie beißen. Außerdem dieser Schnitt, und diese grässlichen Farben! Hier zu weit, dort zu eng und immer diese gewöhnlichen Farbtöne... Die trug doch jeder!

Kopfschüttelnd beklagte er sich im Stillen über den Verlust der Individualität, als er zum ersten Mal, seitdem er mit zu Boden gesenktem Blick geschlagen seinen Rückzug vom Schlachtfeld der Nabiki Tendo antrat. Diese eintönig weißen, besonders langweiligen und uninteressanten Fliesen waren einfach so anziehend!

Doch was seinem unschuldigen, unverdorbenen Blick begegnete als er letztendlich doch einmal aufblickte, das war... Einfach zu viel, für den armen, schüchternen Jungen.

Spitze. Dünne, transparente Stoffe und... Happosai, der einen großen Sack voller Waren an der unweit gelegenen Kasse mit einer Kreditkarte bezahlte.

Seine Augen weiteten sich bei dem, was ihnen begegneten. Keine 10 Meter von ihm entfernt beobachtete er verstört, wie zwei junge, weibliche Wesen einem übergewichtigen Waschbären, der gerade damit beschäftigt war, sich selbst an einem frei herumhängenden Kleiderbügel zu erhängen, einen... e-e-einen... einen BH zu präsentieren und seine Vorzüge lauthals zu diskutieren. Mit Snoopy als geschmacklosem Motiv direkt unterhalb des rechten Trägers aufgedruckt. Die verzweifelte Pelzkugel justierte den provisorischen Strick aus einem Büstenhalter mit Blümchenmuster, indem er die Trägerweite des Trägers, der ihm schlaff um den Hals lag, verkürzte. Zumindest versuchte er es. Mit den ungeschickten Pfoten klappte es nicht so, wie er wollte, was an dem frustrierten Quieken erkennbar war.

Ein Zupfen an seinem Hemd ließ ihn nach unten sehen, direkt... in die großen, flehenden Augen von Happosai, nur, um einen Moment später verstört mit ansehen zu müssen, wie der kleine Wicht sich in salzige Krokodilstränen auflöste.

"R-r-ryogaaaa!! Bitte verrate den anderen nicht, d-d-dass ich hier war! DasGeschäftläuftinletzterZeitschlecht,undichwerdeimmerälter... Aber die anderen dürfen doch nicht wissen, dass ich nutzlos geworden bin! Hilf mir, meinen Stolz zu behalten, ich flehe dich a-ha-haaan!!! Hier, nimm' diesen Schatz als Bestechung!"

Damit war er verschwunden und ließ einen desorientierten Ryoga zurück, der die Welt nicht mehr verstand.

Mit einem Slip in der einen Hand, mit Damenparfum in der Nase und verloren in den unendlichen Weiten der Damenunterbekleidung voller "Schätze", die ihn schon beim bloßen Gedanken erröten ließen.

Ein Räuspern hinter ihm veranlasste ihn dazu, sich mit versteinertem, blutleeren Gesicht umzudrehen. Schon im nächsten Moment verdammte er sich dafür, nie die praktische Kampftechnik des "vor-Scham-im-Boden-versinkens" bei Meister Schüchtern-bis-zum-geht-nicht-mehr gelernt zu haben.

Am liebsten wäre er gestorben.

Neben einem verkrampften, aufgesetzten, säuerlichen Lächeln und dem gefährlichen Zucken einer mit Bedacht gezupften Augenbraue wurde er mit den Worten "Kann ich Ihnen helfen, mein Herr?" von einer der stets höflichen Verkäuferinnen begrüßt.

Seine Knie waren ganz schwach, und er war sich sicher, dass er in den nächsten zwei Millisekunden mit Nasenbluten ohnmächtig zusammenbrechen würde.

Doch bevor er der vor Empörung zu leuchten scheinenden Verkäuferin antworten konnte, lenkte ein hektischer Lärm hinter ihm die Aufmerksamkeit der jungen, entnervten Dame ab.

Schnell wandte er sich um, als wütende Schreie einem glücklichen "Muuuuuuuuiiiiek!!" folgten und die entsetzte Verkäuferin um ihn herum auf jene zwei weiblichen Wesen zu lief, welche sich bis vor kurzem noch für einen Snoopy-Büstenhalter begeisterten, nun jedoch in einem Wust aus Spitzenunterwäsche und Kleiderbügeln verstrickt kampfunfähig auf dem Rücken lagen und wie Maikäfer strampelnd der bereits beschriebenen, nun muiekend aus dem Laden flüchtenden Pelzkugel hinterher riefen, sie solle "gefälligst stehen bleiben und sich dem Schicksal stellen".

Perplex sah er dem panischen Tier nach, dann wieder zu den zwei Damen plus Verkäuferin hin, die sich nun bemühten, das Durcheinander wieder in Ordnung zu bringen. Von ihnen würde er sicherlich keine Hilfe mehr bekommen, die Herrenbekleidung wieder zu finden...

Also stürzte er sich todesmutig in das Kaufgetümmel, auf der Suche nach Kleidung, die angenehm zu tragen, Akane gefallen... und von Nabiki gebilligt werden würde. Eine schwierige Aufgabe, fürwahr!

Doch Kameraden, frohen Mutes und leichten Herzens voller Kampfeslust wollen wir uns den tödlichen Klingen gnadenloser Feinde entgegen stellen! En garde, ihr niederträcht'gen Kleidungsstücke!

Den Kopf stolz nach oben gereckt marschierte er siegesgewissen Schrittes in die Richtung, in der seiner Meinung nach bereits feige Hemden und hinterlistige Beinkleider vor dem nahenden Sturm, dem fürchterlichen Wüten Ryoga Hibikis, zitterten. Dass er dabei geradewegs über einige an dieser Stelle zensierten Beate Uhse Auslagen in die Sportabteilung hineinstolperte und die allgemeine Kleiderabteilung weit, weit hinter sich ließ, wollen wir vorerst einmal unbeachtet lassen.

Ein langer Kampf würde ihm bevor stehen - doch würde er sich nicht ergeben. Es gibt Dinge im Leben eines Mannes, denen er sich einfach gewachsen zeigen muss. Kratziger Stoff? Zu enge Schnitte? Unpassende Farben? Pah! Mit so etwas wird ein echter Mann - auch, wenn er ein halbes Ferkel ist - spielend fertig!

Dann jedoch blieb er wie angewurzelt stehen. Neben ihm ein Sortiment Reitgerten und austauschbarer Steigbügel, hinter ihm die trendige Sommerkollektion Skibrillen, und vor sich...

Der perfekte Stoff. Der perfekte Schnitt. Die perfekten Farben.

Zittern, ja, das taten sie - seine Hände. Vor Freude, nach einem langen, harten Seegefecht, welches viele Opfer fand - Gott möge den armen Seelen der räudigen Schiffshunde gedenken - so streckte er seine Hände bebend vor Glück und Stolz nach dem Lande aus, nach der Erfüllung, nach dem Ende seiner Suche.
 

Wo war dieses nichtsnutzige Ferkel nur?!

Gereizt tappte sie, die Göttin der Liebe, vor Wut schäumend mit ihren leichten, halb offenen Schuhen auf dem täuschend echt wirkenden Marmorimitat, welches als Bodenbelag diente. Frustration und kaum verhohlener Ärger brachten ihre Augen gefährlich zum Glitzern.

'Ganz ruhig bleiben. Gaaaaanz ruhig bleiben. Einatmen - und wieder ausatmen. Stelle dir den Wind in den Bergen vor. Das Fließen eines seichten, ruhigen Flusses. Das beruhigende Rauschen des Meeres. Oder male dir in den prächtigsten Farben aus, wie du das Leben dieses armen, nichtsahnenden Verkäufers keine 10 m vor dir zu Hölle machen könntest... Erfreue dich an deinem sadistischen Wesen und deiner bösartigen Natur!'

Um Fassung bemüht wurde ihre Atmung wieder flacher, ruhiger. Sie wusste nicht, wie er es immer wieder schaffte. Bisher hatte es nur ein kleiner, lebensfroher, giftgrüner Salamander, der sich einfach nicht dazu erweichen lassen wollte, mit ihr "Vorgartenrodung für Fortgeschrittene" zu spielen, derart gereizt und zur Weißglut getrieben. Sie konnte es einfach nicht verstehen!

Nun... Objektiv betrachtet, war ihr auch noch nie jemand begegnet, der so... so.... Schlicht und ergreifend entnervend, frustrierend war. Naiv war er. Nicht besonders helle und begreifend, wollte man sich auf anderen Gebieten als Kampfsport bewegen.

Obwohl dieser Teil an ihm, diese Unschuld des Geistes, ab und an wirklich niedlich war... Er glaubte immer noch an das Gute im Menschen und dachte in so unschuldigen Bahnen, dass selbst sie, die Sadistin schlechthin, es nicht über ihr in Niedertracht verkümmertes Herz brachte, ihm seine Illusionen einer heilen Welt, in der es immer noch solche Dinge wie "Liebe" und "Glück" gab, zu nehmen.

Dann war da aber noch das Problem seiner Orientierung. Beziehungsweise der Mangel an einer solchen. Mal ehrlich: Wie geht das?! Wie kann man sich in einem perfekt ausgeschilderten Laden so doll verirren?! Nachdem sie es aufgegeben hatte, im Selbstmitleid zu ertrinken und sich noch einmal ihrem ahnungslosen Schützling, der dringend ihrer Hilfe bedurfte, annehmen wollte... Da war er aus der Kleiderabteilung bereits entschwunden.

Im Blumenlädchen und in der Spielzeugabteilung hatte man ihn nicht gesehen.

Die erste, bereits etwas abgekühlte, trotz allem jedoch immer noch heiße Spur fand sie im sogenannten "Dessousparadies". Zuerst musste sie sich zwar perplex einigen Fragen bezüglich eines entlaufenen Waschbären stellen, konnte dann jedoch nach einem orientierungslosen, wenn verwirrt und verunsichert zwar putzig, dennoch dümmlich aussehenden, jungen Mann fragen.

Die von der etwas pikiert wirkenden Verkäuferin angebotene Information war spärlich - ein schwarzhaariger Typ in zerschlissenen Kleidern mit einem Slip der Marke Beedees in der Hand, der, nach seiner Gesichtsfarbe und enormen Augengröße zu schließen, einen allergischen Schock erlitten hatte.

Das war eindeutig Ryoga. Aber wo war er nun?

In einem Laden mit zwielichtiger Kundschaft - den sie im übrigen nie wieder betreten wollte - informierte man sie über verschwundene Auslagestücke.

Nachdenklich ging sie in der Eingangshalle auf und ab, ohne den eben erwähnten Verkäufer zu beachten, der sie schüchtern beobachtete.

Wo war sie noch nicht gewesen? Der Portier hatte ihr versichert, dass das verlorene Ferkel das Gebäude noch nicht verlassen hatte. Auch von ungewöhnlichen Vorfällen hatte er über den Funk des Sicherheitspersonals nichts gehört - außer von dem missglückten Selbstmordversuch eines Waschbären.

Also musste Ryoga noch hier irgendwo herumgeistern...

Gerade, als der junge Verkäufer Mut gefasst hatte, sie anzusprechen und nach ihrer Telefonnummer zu fragen, fiel ihr die Abteilung ein, die sie bisher noch nicht durchkämmt hatte: Sportkleidung und -accessoires.

Ungutes schwante ihr, als sie der für sie als Nichtsportlerin Grauen erweckenden Dinge, die in solchen Läden für gewöhnlich lauern, gedachte.

Einen traurigen Verkäufer, der sich gerade unsicher auf sie zu bewegen wollte, zurücklassend marschierte sie mit weit ausholenden, selbstbewussten Schritten in Richtung des von einem unguten Gefühl in ihrer Magengegend vorausgesagten Todes durch Schock mit anschließendem Herzinfarkt.

Doch wer sind wir, die wir uns beklagen?! Sterbliche, auf dem Feldzug der Götter! Furchtlos wir uns unserem Schicksal, und sei es denn der Tod, entgegen stellen. Auf, auf Kameraden! Mag dies' Abenteu'r auch das letzte sein, so wollen wir es mit Mut und Ehr' bestreiten!

Auf in die Sportabteilung. Jucheee.

Nur mit einer Expression des absoluten Horrors konnte wohl Nabikis Reaktion beschrieben werden, als sie todesmutig einen Blick hinter das Regal, gefüllt mit Pressluftflaschen aller Größen, warf. Das... D-das konnte einfach nicht Ryoga sein. Neeein!!
 

Erstaunt drehte er sich um und fand eine kreidebleiche, ein wenig aufgelöst wirkende Nabiki Tendo, deren flackernder Blick unstet auf seinem Outfit lag.

War ihre Begeisterung so stark, dass sie in Ohnmacht zu fallen drohte? Ihr Stand sah bei dem heftigen Schwanken ihres Körpers nicht sonderlich stabil aus...

Er selbst war zwar auch über Qualität, Design und so viel Geschmack erstaunt und konnte sein Glück kaum fassen, über solch eine Rarität gestolpert zu sein, aber sie übertrieb doch ein wenig...
 

Dieser eine Moment genügte, um Nabiki Tendo dazu zu bringen, sich selbst dafür zu verfluchen, im Religionsunterricht nicht richtig aufgepasst zu haben, als sie Weltreligionen und Glaubensrichtungen besprochen hatten...

So hätte sie in diesem einen Moment sicherlich weitaus mehr Gottheiten und Schutzgeister um deren allmächtigen Beistand und deren höchst willkommene Unterstützung bitten, anflehen können.

Kraftlos sah sie ihn an und beglückwünschte sich selbst zu einer bereits gewonnenen Wette. Ging er, ihr Wettgegner, so zu einem Date mit ihrer Schwester, dann hatte er verloren, bevor sie den Wein bestellten.

Kleiner Tipp: Neopren-Taucheranzug, Netzhemd, Pferdegeschirr als Halsdekor und mit einem Slip verzierter Schnorchel als interessanter Ohrschmuck ergeben ein schlechtes, nein, ein ganz furchtbares Gesamtbild.

Glücklich, endlich das "Passende" gefunden zu haben, sah er sie mit begeistert funkelnden Augen an.

"Hallo Nabiki! Sieh mal! Ist das nicht toll?!"

"Hallo Ryoga... Nein, danke. Ich habe genug gesehen."
 

Er runzelte die Stirn und sah sie verwirrt an. Wenn man ihren verzweifelten Ton hörte und ihr blasses Gesicht sah, dann konnte man sie bestenfalls mit "besorgniserregend" beschreiben...

"Ist dir nicht gut?"

Ein verkrampftes Lächeln erhellte für kurze Zeit ihre Züge und blendete ihn.

"Nein, nein. Alles in Ordnung." Ein Räuspern. "Sag mal Ryoga... Wie wäre es, wenn du noch einmal mit mir zu den Herrenmoden kommst? Ich bin mir sicher, dass wir dort etwas für dich finden können, das... wie soll ich sagen? Nicht ganz so... ungewöhnlich ist, ja?"

Ohne ihm eine Chance zum antworten gönnen zu wollen, wirbelte sie herum und eilte auf den Ausgang des Shops zu.
 

"Sollen wir das hier nicht mitnehmen?" War das wirklich echte Enttäuschung in seiner Stimme??

Warum nur straften sie die Götter mit so einem schweren Fall? Oder war dies eine Prüfung des Himmels...?

Eigentlich könnte sie ihn den ganzen Kram kaufen lassen... Ihre Schwester wäre tatsächlich für immer vor ihm gerettet, sie selbst hätte mit Leichtigkeit ihre Wette gewonnen.......

Nachdenklich drehte sie sich noch einmal um und sah zurück auf den verlorenen Jungen. Glänzende Trense. Engmaschiges, schwarzes Netz um seinen Oberkörper geschlungen. Slip, der im Wind der Klimaanlage wehte.

Schaudernd wandte sie sich wieder um und rief über ihre Schulter zu der traurigen, lebendigen Modesünde, dass Akane sicher von dem Outfit begeistert wäre, sie jedoch nach etwas anderem für's erste Treffen suchten.

Jedes faire Mittel würde sie skrupellos nutzen, um eine Wette zu gewinnen... Aber kam erst einmal heraus, dass sie, die "Göttin der Liebe", so einen unprofessionellen Job an diesem schon bemitleidenswert hoffnungslosen Fall geleistet hatte, dann konnte sie Cupid dicht machen. Wer gäbe sich schon freiwillig vertrauensvoll in die Hände einer Person, die ein solches Ungetüm von Mann auf ein unschuldiges, armes Mädchen losließ?? Das wäre wohl das, was Fachmänner Rufselbstmord nannten.
 

...
 

Die gereizten Nerven nach der Geräuschkulisse eines großen Einkaufszentrums wie C-4all angenehm entlastend, beruhigend, begegnete ihr die Stille ihres Apartments, als sie nach einem langen, anstrengenden Tag und einer Shoppingtour mit keinem geringeren als Ryoga Hibiki ihr Heim betrat.

Mit einem leisen Klicken fiel die Tür hinter ihrem Rücken ins Schloss. Die Aktentasche folgte bald den Designerschuhen auf ihrem Weg in eine dunkle Ecke, die sie, Nabiki Tendo, vorerst nicht mehr ins Licht tauchen und aufsuchen wollte.

Müde seufzte sie und lauschte ihrem eigenen Echo. Das Ticken einer antiken, wertvollen Standuhr mit Blattgoldziffern und edler Gestaltung war der einzige Laut neben ihrer ruhigen Atmung, welcher ihre immer noch von den Geräuschen einkaufender Paare und den Menschen wie Verkehrsmitteln auf den Straßen belasteten Ohren erreichte.

Das Lachen der Stadt drang nicht bis zum 14. und gleichzeitig obersten Stock des exklusivsten Apartmentgebäudes Nerimas hoch, und so konnte sie sich der entspannenden Ruhe der Einsamkeit erfreuen.

Langsam, sich bewusst Zeit lassend, schlüpfte sie in ihre warmen, weichen Pantoffel, ließ sich ihre Weste von den Schultern gleiten und betrat, sich den verspannten Nacken massierend, ihre geräumige Küche, um sich einen Tee zu zubereiten.

In der Zeit, die das Teewasser zum Kochen brauchte, zog sie sich bequemere Kleidung an und schloss ihren Laptop an das lokale Stromnetzwerk an. Zwar war sie nun offiziell von ihrer Arbeit erlöst... Doch nicht wissend, was sie in ihrer freien Zeit tun sollte, nutzte sie jene sinnvoll, indem sie die anfallenden Aufträge des nächsten Tages durchging, die Firmenkonten überprüfte und den Tag zusammenfassend in einer Art privatem Firmentagebuch verarbeitete.

Ab und an vergnügte sie sich die Zeit damit, die Arbeitskraft ihrer Mitarbeiter zu überprüfen oder neue Expansionspläne zur stückweisen Eroberung Tokios zu entwickeln...

Sich selbst würde Nabiki Tendo nicht als "Workaholic" oder dergleichen bezeichnen. Workaholic - das klang so abwertend!

Viel eher sah sie sich als einer der wenigen Menschen, die ihre Arbeit wirklich ernst nahmen und ihr mit Eifer, Ehrgeiz und Leidenschaft nachgingen.

Außerdem... Sie konnte nicht wirklich sagen, dass ihre Arbeit ihr in dem Sinn Spaß machte - sie konnte sich lustigere oder aufregendere Dinge vorstellen. Doch für sie gab es nichts befriedigenderes, als ihre Aufgaben zu ihrer eigenen Zufriedenheit zu erfüllen. Sie selbst war ihr eigener Chef, hatte niemandem sonst etwas zu beweisen, außer sich selbst. Sie war sich selbst ihr größter Kritiker.

Etwas fehlerfrei zu erledigen, gewinnbringende Geschäfte abzuschließen und die Erfolge an den Kontoständen zu erkennen... Das war ihre Version eines gelungenen Tages. Es war nicht so, als würde sie ihr erwirtschaftetes Geld nur für eigenen Luxus verwenden. Zugegeben: Die Miete ihrer Wohnung und die Einrichtung dieser war nicht unbedingt billig gewesen.

Ein Pfeifen weckte sie aus ihren Gedanken und ließ sie zu dem altmodischen Kessel aufblicken, der munter auf ihrem Herd pfiff. Beileibe war dies nicht die modernste und schnellste Art, Wasser zu kochen... Aber sie hatte eine Schwäche für solche Dinge. Deckenventilatoren waren eine ähnliche Angelegenheit. In diesen amerikanischen Mafiafilmen, die sie als kleines Mädchen Popcorn mampfend im örtlichen Kino gesehen hatte, besaß jeder Pate, der etwas auf sich hielt, einen solchen Deckenventilator. Für Nabiki hatten diese Ventilatoren einen unbestimmten Zauber. Die Filmproduktionen waren billig, die Dialoge schlecht und die Handlung eigentlich immer die selbe gewesen... Und doch wollte sie so wie sie sein - wie "die Bossa", gefühlskalt, über allem stehend. Mächtig.

Es war lachhaft! Jedes normale Mädchen träumte davon, irgendwann einmal Prinzessin zu werden und hatte ihre liebevolle Mutter, die besser als jede andere Kuchen backen konnte, als Vorbild...

Und sie eiferte Gangsterbossen nach.

Naja... Für's Protokoll: Der Herr Verteidiger hat das Wort. "Euer Ehren, die Angeklagte hatte keine Mutter."

Das Kino wurde längst von der Cupid Company geschluckt - nun liefen dort nur noch schmalzige Liebesromanzen; Gehirnwäsche im großen Stil. Die amerikanischen Produzenten hatten mehr Geld. Und aus dem kleinen Mädchen von damals, das nichts lieber mochte, als mit dem Vater in den ersten Werbeminuten eine Popcornschlacht zu veranstalten, ist eine verbitterte, junge Rentnerin im Arbeitsmarkt Gefühle geworden.

Was für ein Leben.

Mit der wärmenden Tasse Tee in ihren Händen stellte sie sich vor ihr großes Panoramafenster und sah hinaus auf das nächtliche Nerima. In der Ferne konnte sie die Lichter der Tokioter Wolkenkratzer sehen, und unter ihr pulsierte das Nachtleben Nerimas.

Nein... Sie arbeitete nicht nur für den Luxus. Dieser Ausblick, der der eigentliche Grund für den Kauf dieses überteuerten Apartments war, war der einzige Luxus gewesen, den sie sich mit ihrem Geld je gegönnt hatte.

Den Rest ihres erstaunlichen Vermögens investierte sie in ihr Geschäft... oder sparte es.

Sparen brachte nicht nur nette Zinsen... Sie hob dieses Geld auch für andere Zwecke auf.

Man würde es wohl nicht glauben, hörte man es. Aber Nabiki Tendo legte ihr Geld am liebsten in Geschenken oder wohltätigen Einrichtungen an. Selbstverständlich wusste das niemand außer ihr selbst - und lieber hätte sie sich die Zunge abgebissen, als dies irgend einer Menschenseele anzuvertrauen. Das ruiniert den Eindruck einer eiskalten Geschäftsfrau!

Sie musste lächeln.

Dann wäre ja der Deckenventilator in ihrem Büro umsonst gewesen! Natürlich nicht umsonst im Sinne von gratis... Oh nein, es kostete schon eine nette Stange Geld, einen echten Mafiadeckenventilator über die japanischen Grenzen zu schmuggeln! Jedoch verfehlte er seine Wirkung, wüsste der Bürobesucher um ihre "wohlwollende Ader". Mafiaboss und großherziger Spender passt irgendwie nicht zusammen.

Diese Aussicht! Fasziniert starrte sie hinab in die Welt der Nacht, in die Welt der Schatten. Schon als kleines Mädchen wollte sie immer an der Hand ihres Vaters auf die höchsten Attraktionen im Vergnügungspark. Höhenangst war ihr fremd.

Bitter, freudlos lächelte sie, als sie eine kurze Psychoanalyse an sich selbst durchführte und zu dem Schluss kam, dass sie einen mittelschweren Vaterkomplex hatte.

Mit resoluter Entschlossenheit wandte sie dem Zauber der nächtlichen Stadt den Rücken zu und begab sich an ihren Laptop.

Die Arbeit wartete: Bericht über Ryoga Hibikis Fortschritte - oder besser: Rückschritte.
 

Viel Potential: Natürlich gutes Aussehen; ihm darf jedoch unter keinen Umständen die Aufgabe anvertraut werden, etwas nach seinem Geschmack zu kaufen <- Mangel an Geschmack.

Gut bemuskelt.

Schusselig.

Fähigkeit, sich in Stresssituationen zu artikulieren - unbefriedigend.

Konversationstalent = 0.

Ergo: Viel Arbeit.
 

Nein. Nabiki Tendo würde sich nicht als Workaholic bezeichnen - sie wusste nur nichts besseres mit ihrer Freizeit anzufangen. Was sollte man denn sonst tun, als arbeiten? Relaxen? Zu langweilig. Zu unnütz. Ausgehen?

Bei dem Gedanken kämpften zwei Dränge in ihr. Lachen und Weinen.

Sie entschied sich für's Lachen.
 


 

Tag 2 - Lektion 4: Wecker sind eine nützliche Erfindung. Lektion 5: Vertraue keinem Mann, der mit einer Schere umgehen kann. Lektion 6: Ein gefrorener Rachen ist gut, um die hohen Künste des Smalltalks zu lernen, junger Padawan.
 

Geduldig betätigte sie noch einmal die Klingel und wartete darauf, dass der Besitzer des Apartments die Tür öffnete.

Zuerst rührte sich nichts, und schon befürchtete die junge Dame, der Bewohner der Wohnung hinter der marineblauen Tür wäre nicht mit seiner kleinen "Orientierungshilfe" zurecht gekommen und in den Weiten seiner 5 Zimmer verloren gegangen. Dann jedoch hörte man die gedämpften Geräusche eines Motors. Kurz darauf öffnete sich die Tür vor ihr und dort stand...

Jemand, der sie aus verschlafenen Augen musterte und offensichtlich glücklicherweise nicht so ganz wusste, was er tat. Jemand, der - Gott sei Dank - wohl noch nicht wach genug war, um seine Umgebung und ihre Reaktion auf sein Erscheinen zu registrieren.

Noch während sie sich einen kurzen Blick auf seine beeindruckende Bauchmuskulatur gestattete, pries sie ihre Entscheidung, ihren Chauffeur im Wagen warten zu lassen und sich alleine zu Ryoga Hibikis Wohnung zu bewegen, um den jungen Mann abzuholen.

Hätte sie Maurice, dem Chauffeur, erlaubt, sie zu begleiten, so hätte dieser miterlebt, wie seine Chefin zum ersten Male in ihrer einjährigen Geschäftsbeziehung leicht errötete.

Eine peinlich berührte Nabiki Tendo zu sehen, das war tatsächlich etwas ganz besonderes.

Jedoch hielt ihr Schock nicht lange genug an, um dem jungen Mann realisieren zu lassen, dass er a) nur sehr, sehr dürftig bekleidet war und b) sie nun seine Oberarmmuskulatur eingehender als nötig studierte.

"Ryoga..."

"Hmmmm?" Gegen ihren Willen musste sie lächeln. Sollte sie wirklich so grausam sein, und ihn derart auflaufen lassen...?

Nun... Eigentlich hatte sie keine Skrupel diesbezüglich. Sie war sich vollkommen sicher, dass sie seine Scham sehr genießen würde... Doch zögerte sie aus anderen Gründen. So verdarb sie sich ihre Chance, absolut legal den niedlich verschlafenen Ryoga zu bespannen. Wieder einmal fragte sie sich, warum sie nicht einfach lesbisch wurde. Lesben waren um so vieles vernünftiger! Sie schätzten die intelligente Hälfte der Menschheit - legten also Wert auf einen interessanten Gesprächspartner, der von seinem Wortschatz und Vokabular weitaus mehr drauf hatte als "Hää?", "Bier" und "Fußball".

Sie selbst wunderte sich, warum sie es so niedlich fand, dass er halb im Stehen vor ihr schlief, und fragte sich, was sie eigentlich an den Bewegungen seines Kehlkopfes oder an der Art, wie ihm einzelne Haarsträhnen in seine verträumten Augen fielen oder an dem bläulich-schwarzen Schimmer seiner unteren Gesichtshälfte so attraktiv erachtete.

"Hatten wir nicht abgemacht, dass du um 7 startklar sein solltest, damit wir direkt aufbrechen könnten?"

"Hmmmmmm?" Sein Gesicht verzog sich verwirrt, und er legte den Kopf schief.

"Ryoga, wach auf. Es ist Mittwoch, der 13.04. , 19:13 Uhr. Du stehst halb nackt nur in mit niedlichen Hundewelpen bedruckten Shorts vor deiner, wenn du Glück hast, zukünftigen Schwägerin."

Einen Moment lang zeigte er keine Reaktion. Dann jedoch ging alles recht schnell.

Seine Augen weiteten sich, die Durchblutung der hautnahen Blutgefäße seines Gesichtes nahm drastisch zu, er schrie erschrocken auf und die Tür fiel mit einem lauten Knall vor ihr ins Schloss.

Nun stand sie also da. Vor einer verschlossenen Tür, lächelnd den Kopf schüttelnd.

Das versprach ein amüsanter Abend zu werden!
 

...
 

Um 19:18 fuhr Maurice seine zwei Fahrgäste zu einem erlesenen Friseur- und Wellnesssalon namens "C- your perfect style", der auf einem aushängenden Werbeplakat Künste versprach, die aus jedem hässlichen Entlein einen unvergleichlich schönen Schwan machten, und mit denen man seine große Liebe überraschen und erfreuen konnte.

Zwischen seinen schweigsamen Passagieren auf der Rückbank des edlen Oldtimers war eine Menge Platz. Im Rückspiegel sah Maurice das amüsierte Lächeln seiner Chefin und ihre entspannte Haltung auf der einen Seite... Auf der anderen Seite den merkwürdigen jungen Mann vom Abend des Vortages, der sich verkrampft, panisch und mit stets präsentem Rotschleier auf den Wangen gegen seine Autowand presste.

So fröhlich hatte er seinen Boss schon lange nicht mehr gesehen! Er vermutete, dass das Leid des armen, mitleiderregenden jungen Mannes für die Freude des Fräulein Tendos verantwortlich war.

Etwas anderes brachte ihr neben erfolgreichen Geschäften keinen solchen Spaß.

"Maurice? Sei doch bitte so nett und hol' uns in zwei Stunden, also gegen 21.00 Uhr wieder hier ab, ja?"

Leicht lächelnd nickte er. Gerne hätte er ihr eine freundlichere Reaktion angeboten, die seinen Gefühlen eher als jenes distanzierte, höfliche Lächeln entsprach, doch konnte er seine strenge und harte Ausbildung, die ihn zu der qualifizierten Arbeitskraft machte, die er nun einmal war, nicht einfach vergessen.

So fuhr er davon und das letzte, was er sah für 2 Stunde und 10 Minuten von seiner Auftraggeberin und deren Begleiter sah, war das Bild, welches sein Rückspiegel für ihn einfing: Eine heiter lächelnde Nabiki Tendo, die selbstbewusst die Türen zu "C- your perfect style" aufstieß und ein unsicherer, junger Mann, der offensichtlich nichts mit sich anfangen konnte und so von einer in ungeduldiger Eile für ihre Verhältnisse rabiat vorgehenden Nabiki Tendo an der Hand in den Laden gezogen wurde.
 

Könnten die Blutgefäße seiner Wangen noch mehr Blut transportieren, als sie es zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon taten, so war er sich sicher, hätte sein Gesicht in einem noch dunkleren Rotton geglüht, als sie seine Hand ergriff.

Eigentlich wollte er ja wütend sein - schon so ein unschuldiger Hautkontakt mit irgendeinem, wildfremden, femininen Wesen konnte ihn dermaßen aus der Fassung bringen! - doch konnte er seine Konzentration nicht genug sammeln, um sich selbst in seinen Gedanken zu verfluchen.

So stolperte er ungeschickt hinter der jungen Frau die flachen Stufen hoch und befand sich wenige Augenblicke später in... in einem Urwald?!

Perplex sah er sich mit weiten Augen in seiner Umgebung um.

Neben einer ob seiner Verwunderung zufriedenen Nabiki Tendo und zahlreichen Pflanzen, die dem Laden tropisches Leben und eine relativ hohe, zugleich sehr angenehme, Luftfeuchtigkeit schenkten, überraschten ihn der gleiche, exklusive Marmorboden wie in dem Einkaufszentrum "C- 4all", ebenso wie ein mit orientalischen Sitzkissen und Ornamenten in sattem Rot, sandfarbenem Beige, Gold, Gelb und einem Hauch von Orange verzierter Aufenthaltsbereich.

Er schluckte trocken. Wow. Schon wollte er einen kurzen Blick durch das Türglas der Ladentür zurückwerfen, um sich zu vergewissern, dass sie sich immer noch in Nerima und nicht in irgendeinem Tropenpalast befanden, doch da hatte sich das Buschwerk hinter ihrem Rücken schon wieder geschlossen.

Das helle Läuten kleiner Glöckchen über der nun nur noch vage erahnbaren Ladentür wurde von den typischen Geräuschen des Regenwaldes abgelöst und dort drüben...
 

Amüsiert lächelte sie, als sie ihren Schüler flüchtig aus den Augenwinkeln musterte und seine offensichtliche Begeisterung für das Werk des Innenausstatters bemerkte.

Dann jedoch hörte sie eine bekannte Stimme einer von den Türglöckchen über die Ankunft von Kunden informierten Person, die sich hinter einem ausladenden, gesund grünem Gewächs näherte.

"Es tut mir Leid, doch wir nehmen um diese Uhrzeit keine Kunden mehr an! Kommen sie doch bitte morgen wieder, ja?"

"Ich weiß, dass ihr niemanden mehr annehmt. Gerade aus diesem Grund kommen wir ja auch jetzt!"

Die Blätter raschelten heftig, als sich die äußerst gepflegt wirkende Frau mittleren Alters mit modern zurecht gemachten Haaren und zeitgemäßer Kleidung eilig durch den "Busch" kämpfte, nachdem sie die Stimme der Kundin erkannt hatte.

"Fräulein Tendo! Was für eine Freude, Sie hier zu sehen! Und das sage ich nicht nur, weil ich auf Ihrer Gehaltsliste stehe!"

Sie lachte, als sie der übereifrigen, strahlenden "Verkäuferin" die Hand reichte.

"Das weiß ich doch, Raye! Ich freue mich auch, mich wieder eurer Obhut anvertrauen zu dürfen!"

"Aber warum haben Sie denn nicht vorher angerufen? Dann hätten wir dafür gesorgt, dass der Laden Ihnen ganz alleine zu Ihrer Verfügung steht! Zur Zeit ist noch eine letzte Kundin bei Charly in Behandlung..."

Lächelnd schüttelte sie gutgelaunt ihren Kopf.

"Nein, nein. Macht euch wegen uns beiden hier keine Umstände. Außerdem benötige ich heute nicht die Dienste unseres geliebten Nagelgurus." Eine fein gezupfte Augenbraue hob sich fragend und ein von Lipgloss im hellen Licht der kleinen, strategisch günstig platzierten Strahler glitzernder Mundwinkel folgte der Bewegung.

"Mein Begleiter-" eine bedachtlose Geste wies auf den jungen Mann, der hinter einem mit Wachsschutzschicht glänzenden, breiten Blatt den quakenden Laubfrosch suchte "und ich gedenken ohnehin, eure wertvolle Zeit heute ein wenig länger in Anspruch zu nehmen. Selbstverständlich werden eure Mühen und eure Überstunden ausreichend entlohnt..."

Nur ein freundliches Lächeln als Antwort und ein verständnisvolles Augenzwinkern. Gut, sehr gut.

Sie wusste ganz genau, wen sie aus welchen Gründen als Personal einstellte. Und in diesem Gebiet zahlte sich Sorgfalt wirklich aus! Die Summe der Umsätze von "C- 4 all" und "C- your perfect style" reichte beinahe an den Jahresumsatz von "Cupid - your perfect match!" heran - was eine ganze Menge war, wenn man es so plump und ordinär formulieren durfte.

Beide Augenpaare ruhten für einen kurzen Moment auf dem ein wenig verwirrt und enttäuscht wirkenden Ryoga, der weder einen Laubfrosch, noch den mit seinen Flügelschlägen brummenden Kolibri hinter bereits erwähntem Blatt gefunden hatte.

"Die Lautsprecher sind übrigens hervorragend getarnt und platziert. Wie man sieht-" - an dieser Stelle erlaubte sie sich ein süffisantes Grinsen - "erzielen sie den gewünschten Regenwaldeffekt. Wie lässt es sich in einer solchen Atmosphäre arbeiten?"

"Ganz gut, Fräulein Tendo. Ihre Idee war genial! Zwar geht einem der Südandenkolibri nach einer Weile auf die Nerven, doch beweist die Statistik, dass nicht nur die Geräuschkulisse, sondern auch die räumliche Gestaltung durchaus geschäftsfördernd sind."

Wieder teilte man ein wissendes Lächeln. Jaja... Nabiki Tendo wusste ganz genau, wem sie mit ihrem Geld den Unterhalt finanzierte.

"Was können wir denn heute für Sie tun?"

"Für mich nicht viel - das übliche. Eine kleine Nackenmassage... Aber mein Freund dort drüben braucht eine Typberatung, einen neuen Haarschnitt... Das volle Programm. Eine Rundumerneuerung wäre vielleicht ratsam... Hier ist die Wunschliste des Mädchens, für den der junge Herr dort drüben bestimmt ist. Mary wäre, denke ich, perfekt für diese Aufgabe....

Sagen wir's mal so: Er braucht spezielle Zuwendung, wenn du verstehst, was ich meine...?"

Ein strahlendes Lächeln später, und man war sich einig: "Mary" sollte die Aufgabe übernehmen, aus Ryoga Hibiki Akane Tendos Traumprinzen zu machen.
 

Zu Ryogas Schrecken zeigte sich "Mary", auch bekannt als Marius (man spreche bitte das u wie ein elendig lang gezogenes "ü" aus - also wie Lestats "Papa" in "Die Königin der Verdammten"), nicht nur sehr fürsorglich, charmant und anhänglich - sondern auch als sehr, sehr einsam.

Von seiner persönlichen Sklaventreiberin ab und an durch einige, strategisch ausgerichtete Spiegel hindurch beobachtet musste er sich den neusten Klatsch und Tratsch Nerimas anhören...

Ebenso wie er Flirtversuche von dem überaus weiblichen, überaus talentierten und überaus aufdringlichen Friseur mit kleinen blonden Strähnen im welligen, bis in die Haarwurzel kräftigen, dunkelbraunen, voluminösen, gut gepflegten und umsorgten Haar über sich ergehen lassen musste, so hatte er auch zu ertragen, dass besagter Friseur augenscheinlich westlicher Abstammung, seine pink lackierten Fingernägel leidenschaftlich bei der Haarwäsche in seinen Skalp grub und dabei in eine wilde Sinfonie aus animalischem Stöhnen und unglaublich attraktivem Grunzen ausbrach.

Jetzt, da sich Komplimente über seine schlanke Taille und seine durchtrainierten Oberschenkel, wie seine emotionsgeladenen, hungrigen Augen über ihn ergossen, und jetzt, da er Nabiki Tendos verschmitzten, frechen Blick durch einen der unzähligen Spiegel auf sich wusste, die sich im Übrigen eine entspannende Massage gönnte, während er Höllenqualen unter den modeorientierten, feinen Händen Mary's litt - in diesem Moment fiel es ihm unheimlich schwer, a) Nabiki nicht zu hassen, b) den seltenen Südandenkolibri nicht komplett auszurotten und c) Akane einfach auf altmodische Art und Weise zu erobern: Sie einfach wie einen plumpen Reissack über seine Schulter zu werfen und in die mongolische Steppe zu verschleppen.

"...Rrrrr, und so einen kräftigen, starrrken Hals!...."

Zur Hölle damit! Er wollte nur noch nach Hause! Akane, sein Honigschnäuzelchen hin oder her - so eine Demütigung hielt kein biologisch "gerade Gepolter" in seinem Kopf aus!

"Lass mich deinen Pony schneiden, du wilder Hengst, du!"

Schon wollte er zu einem Widerspruch ansetzen, als ihm einen Augenblick später vor Schock die Worte fehlten.

Das. konnte. einfach. nicht. wahr. sein!

Mary hatte anscheinend beschlossen, sich ohne Erlaubnis auf seinem Schoß nieder zu lassen, um "besseren Zugang" zu haben. Auf den Pony versteht sich.

Fassungslos starrte er auf den schön geschwungenen Aufdruck eines eng anliegenden Tops mit eingearbeitetem, irgendwie nutzlosem BH und dezenten Rüschen, die den Ausschnitt nett dekorierten: "Hard to handle".

'Herr, Gott, balle deine mächtige Faust, sende Blitze oder Autobusse - aber hol' mich hier raus!'
 

Amüsiert lachte sie leise über den Ausdruck puren Grauens auf seinen Zügen. Der arme! Paralysiert saß er dort, zu Eis gefroren im Strom der Zeit.

Scharf atmete sie aus, als ihre Nackenmuskulatur von erfahrenen, starken, öligen Händen bearbeitet wurde. Den Schmerz wie eine Wohltat begrüßend, schloss sie genüsslich ihre Augen und konzentrierte sich auf ihre langsam schwindenden Verspannungen. Der arme, fürwahr!

Aber mit Mary war er gut aufgehoben. Der junge Liebhaber von Louis Vuitton und Gucci war ein Genie, ging es um Hairstyling und das generelles Erscheinungsbild - und Nabiki war froh, das junge Talent vor einem Schwulenclub mit verschmiertem Maskara und geröteten, verheulten Augen schluchzend aufgegriffen und schließlich entdeckt zu haben. Mary hatte damals eine schwere Zeit durchgemacht - sein Exfreund hatte ihn mit all seinen Sachen eines Tages einfach rausgeworfen. An jenem Abend im Club hatte er den Mistkerl zur Rede stellen wollen - nur, um ihn mit einem "Flittchen" zu erwischen, die das Konzept einer angeregten Konversation für andere Tätigkeiten aufgegeben hatten. So war es ein leichtes, Mary für das Konzept von Cupid zu begeistern und ihn schließlich zu verpflichten.

Gebrochene Herzen waren so leicht zu manipulieren!

Leise stöhnte sie auf, als der Druck auf den Muskeln zwischen ihren Schulterblättern kurz abnahm, um einen Moment darauf an 10facher Stärke zu gewinnen. Auch andere Hände in diesem Laden waren sehr talentiert.

Dachte sie da nur an den athletischen, durchtrainierten Körper, der ihre Muskeln so eingehend bearbeitete... Sie wollte sich gar nicht vorstellen, welche Kraft sich hinter der beeindruckenden Bodybuilderfigur verbarg... und welche Schäden sie, die Kraft, anrichten könnte.

"Gut so?" Beim Klang der hellen, melodischen Stimme über sich nickte sie lächelnd. Kisu-chan war wirklich einzigartig. Nicht nur ihr von langen Trainingseinheiten im Freien gebleichtes, hellblondes Haar und der reine Muskelberg, den sie ihren Körper nannte, waren für eine Japanerin ungewöhnlich. Dank ihrer außergewöhnlichen Stimme hatte sie, Nabiki, anfänglich extreme Schwierigkeiten, die ausgebildete Masseuse anzuwerben, da ein namhafter Chor einer Londoner Komposition ebenfalls Interesse an der 32-jährigen hatte und von der zukünftigen C-Angestellten einfach nicht die Griffel lassen wollte. Erst, nachdem aus anonymer Quelle einige brisante Informationen über kleine Mängel in der Buchführung der Stiftungen, die den Chor finanzierten, an die zuständigen Finanzbehörden gelangten, ließ der Andrang ein wenig nach.

"Perfekt, Kisu-chan."

Doch glücklicherweise besaß auch Kisuna Hatoija eine von ungesund verlaufenen Liebschaften getrübte Vergangenheit.

"Sie sollten wirklich nicht so viel arbeiten, Tendo-san. Sie sind vollkommen verspannt!"

Sie lachte leise, gut gelaunt.

"Ich muss doch dafür sorgen, dass viele junge Frauen ihren Traumprinzen finden. Nicht jede küsst gerne lange Frösche, wenn du verstehst, was ich meine."

Kisuna schwieg, doch konnte Nabiki ihre Reaktion im gegenüber liegenden Spiegel beobachten. Für einen Moment wirkte sie traurig, dann lächelte sie entschlossen, fast grimmig und nickte.

Jep. Kisu-chan verstand. Nicht noch mehr arme Mädchen sollten das gleiche Schicksal erleiden, welches ihr widerfahren war.

Wohlig seufzend, die ihren Muskeln entgegengebrachte Aufmerksamkeit genießend, schloss sie die Augen, nur, um sie von Ryogas erschrockenem Quieken einen Moment später aufgeschreckt wieder zu öffnen.

Ein kurzer Blick in den Spiegel, der ihr gestattete, Marys Arbeit an ihrem Schützling zu bewundern, sagte ihr, dass es Zeit war, "C- your perfect style" zu verlassen und das nächste Krankenhaus aufzusuchen. Ein ratloser, vollkommen überraschter Marius sah auf sein ohnmächtig in sich zusammen gesunkenes Opfer herab und stieß ihn sanft, zärtlich mit einer pinken Haarklammer an, um eine Reaktion zu provozieren.

Geschwind setzte sie sich von ihrer liegenden Position auf und zog sich schnell wieder an. Noch während sie von der Liege und einer verblüfften Kisuna zu Ryoga und Mary eilte, stellte sie trocken fest, dass sie einen neuen persönlichen Rekord im "Kleider-perfekt-wie-immer-so-schnell-wie-möglich-faltenfrei-anziehen-ohne-danach-wie-ein-Penner-auszusehen" aufstellte und ihre alte Bestzeit um 3 Sekunden verbesserte.
 

"Tendo-san, ich weiß wirklich nicht, was mit ihm passiert ist! Auf einmal verdrehte er die Augen und verlor das Bewusstsein!"

"Das ist schon in Ordnung... Das passiert ihm öfters. Er ist solch intensive Aufmerksamkeit nicht gewöhnt."

Mary lachte erleichtert und sah aufmerksam, interessiert und neugierig seiner Chefin zu, die versuchte, sein Opfer wieder in die Welt der aktiv Lebenden zurückzubringen.

Ryoga Hibiki - Was für ein Mann!! Rrrr....
 

...
 

"Das kannst du vergessen Nabiki Tendo! Nie im Leben gehe ich noch ein einziges Mal in diesen verdammten Laden!"

Auf gefährlichem Eis bewegte er sich, das war ihm durchaus bewusst. Allein die Art, wie ihre Augen ihn hart, unbeweglich, mitleidlos fixierten und sich ihr rechter Mundwinkel - spontan auf Waldemar getauft - freudlos, distanziert, und herablassend hob, verhieß nichts Gutes. Doch sollte er sich darum kümmern?!! Gegen seinen Willen hatte sie ihn in diese Hölle gezerrt und dem niederträchtigen Teufel serviert! Verdammt nochmal! Es war sein Recht, wütend zu sein, einen Zwergenaufstand zu proben und so laut zu schreien, dass einige umherpickende Tauben verschreckt aufstoben und er selbst die Passantenpaare mit seiner Lautstärke und leidenschaftlichen Wut aus ihrer Trance zu bringen vermochte!

"Eigentlich hatte ich dich in der Annahme, du würdest zu deiner rechten Gesinnung zurückfinden, an die frische Luft gebracht... Ich hatte nicht vorgehabt, mich vor aller Welt mit deinem kindischen Benehmen und deinem divengleichen Auftreten lächerlich zu machen. Aber was soll es. Scheinbar geht's dir wirklich wieder besser - schreien kannst du ja wieder. Und mit was für einer erstaunlichen Lautstärke du es schaffst, uns zum Gespött der Leute zu machen! Fein gemacht."

Oooooh weh. Das war ganz und gar nicht gut. Auch wenn ihre Stimme ruhig und unterhaltsam klang, so versprach ihr Blick tausend qualvolle Tode.

Möglicherweise sollte er sich die Sache mit dem "Recht auf Wut" noch einmal gründlich überlegen... Immerhin stand er vor einer der einflussreichsten Personen Nerimas, mit der man es sich nicht unbedingt verscherzen sollte. Außerdem war da noch der Fakt, dass sich ihre sonst so blassen Wangen in ihrer stillen Rage zu einem alarmierend emotionalen Zart-rosé färbten und sie mit ihrer maltraitierten Aktentasche, deren Trageschlaufe von ihren Händen so fest umschlossen wurden, dass die Knöchel weiß hervortraten, so aussah, als würde ihr ein Mord vor Zeugen keine Gewissensbisse bereiten.

Verstimmt war sie. Ernsthaft verstimmt.

Als sie ein weiteres Mal zu Sprechen ansetzte, erinnerten ihre Worte ihn eher an das wütende Fauchen einer ungehaltenen Wildkatze.

"Ich hoffe du weißt, dass ich das alles hier nicht nur zum Vergnügen mache. Dein Apartment, deine Kleidung und jetzt dieser nette Besuch hier kosten eine schöne Menge Geld. Geld, dass du nicht hast und mir auch nicht zurückzahlen kannst. Du warst derjenige, der mich förmlich anbettelte, ihm zu helfen. Du bist derjenige, der fest davon überzeugt ist, ohne mein Schwesterchen nicht mehr leben zu können. Du bist derjenige, der mit mir eine Wette eingegangen ist. Eigentlich sollte mir das hier nur recht sein. Du hast zwar das perfekte Outfit, den perfekten Haarschnitt und siehst umwerfend aus - aber so wie du dich verhältst, hast du schon verloren. Es gehört mehr dazu, als nur ein schönes Lächeln zu haben. Eine gewonnene Wette! Schön. Aber für mich ist das kein Sieg. Ich möchte einen Kampf! Du Schwächling bist nur pausenlos am jammern, bietest mir nicht die geringste Spannung. Das ist mir die Zeit, die Mühe und das Geld, das ich in dich bereits gesteckt habe, einfach nicht wert!

Ich muss mir hier nicht ein Bein ausreißen, nur, damit du meine Schwester möglicherweise noch unglücklich machst. Mich geht der ganze Unsinn von wegen deiner 'unsterblichen Liebe' ja noch nicht einmal etwas an!"

Bebend vor Zorn nahm sie einen unsteten Atemzug, nur, um dann in leiserer Stimme weiter zu sprechen.

"Versteh mich recht: Drei, vier Tage sind verdammt wenig Zeit. Den anderen wird weitaus mehr gegönnt. Doch weißt du - selbst ich bin ab und an müde. Und nachdem ich heute schon einen langen, anstrengenden Arbeitstag hinter mir habe, kann ich echt auf dein Genörgel verzichten. Geld, oder eine sonstige Entschädigung verlange ich ja noch nicht mal.

Wenn du aber meine Hilfe wirklich willst, dann zeige wenigstens Dankbarkeit!"
 

In seiner eingeschüchterten Verfassung brachte er nur noch mit Mühe ein kleinlautes Nicken hervor. Lautlos seufzte sie und gestattete sich einige lange, kontrollierte Atemzüge, um sich selbst zu beruhigen. Warum nur? Warum nur brachte er sie dermaßen aus ihrer lang geübten, unumstößlichen Fassung? Sie hatte in früheren Zeiten, als sie ihre Aufträge allesamt noch eigenhändig bearbeitete, schon sehr viel schwierigere Arbeit geleistet und wurde schon mehrmals mit nervenaufreibenden, weitaus bedrohlicheren Problemen konfrontiert, die sie kühl, distanziert und letztendlich erfolgreich löste.

Warum sie sich nun so gehen ließ, verstand sie selber nicht.

Fast schon tat er ihr Leid, als er mit geröteten Wangen und zu Boden gesenktem Haupt geschlagen vor ihr stand.

Irgendwie konnte sie ihn ja verstehen... Sicherlich hatte er in seinem jungen Leben, welches er meistens irgendwo in der Wildnis verbracht haben musste, noch nie wirklich eine solche Bekanntschaft mit einem so energischen, forschen Mann wie Marius gemacht, der sich offensichtlich sehr für ihn interessierte. Himmel! Der arme Junge fiel bei einem unschuldigen Blick ihrer Schwester fast in Ohnmacht!

Dann so stürmisch von einem Homosexuellen, mit dem er wahrscheinlich nicht recht umzugehen wusste, angebaggert zu werden, musste ein wenig viel für den schüchternen, sonst so stillen Kerl gewesen sein.

Die Typberatung konnte wohl an diesem Abend abgeschrieben werden. Wenigstens hatte Mary noch an Ryogas Haaren arbeiten können! An jenen hatte er wahre Wunder vollbracht...

"Nimm's nicht so schwer. Haare beeinflussen den Gesamteindruck maßgeblich! Mary ist da nur das kleinere Übel! Stelle dir vor, wie Akane bei eurem ersten Date reagiert hätte, hätte sie einen solchen Mopp ungeregelten Haares vor sich gesehen!"

Unsicher, jedoch dankbar für den milderen Ton, den sie nun anschlug, sah er auf und blinzelte schüchtern gegen das Licht der Sonne an, welches ihr warm auf den Rücken schien.
 

Ein freundliches, unbeschwertes Lächeln später, und der schwer Gebeutelte konnte vorerst erleichtert aufatmen. Mit Nabiki Tendo wusste man nie, woran man genau war.

Anscheinend hatte sie in nächster Zeit nicht vor, ihn noch einmal in den Urwald des Schreckens zu zerren, denn sie überprüfte an der dezenten, schlicht gehaltenen dennoch eleganten Armbanduhr, welche sich um ihr zierliches Handgelenk wand, die Uhrzeit und meinte, man hätte noch eine gute Stunde, bis Maurice den Wagen vorfahren würde.

"Was möchtest du denn gerne in der Zwischenzeit machen?"

Aus seinen dunklen Augen sah er sie verlegen an und zuckte wortlos sachte mit den Schultern. Gespielt schockiert, empört sah sie ihn an.

"Du weißt nicht, was du mit einer so gutaussehenden, jungen Frau machen möchtest?" Hastig senkte er seinen Blick zu Boden und wollte schon zu einer stotternden Antwort ansetzen...

"Ryoga Hibiki, das verletzt mich sehr! Bin ich denn so langweilig, so uninteressant, dass du wirklich keine Ahnung hast??" ...als sie ihn mit einer weiteren, neckischen Äußerung nervös, angstvoll auffahren ließ.

Beinahe schon hysterisch in seinem Bemühen, sich selbst zu erklären und zu verhindern, dass sie sich tatsächlich gekränkt fühlte, versuchte er verzweifelt, einen halbwegs zusammenhängenden Satz zu formulieren... Unterbrach seinen kläglichen Versuch jedoch, als er ihre verdächtig schelmisch glitzernden Augen und ihr vor unterdrücktem Lachen bebenden Schultern registrierte.

Lange hielt Nabiki den Anblick eines sprachlosen Ryogas, der stumm den Mund immer wieder öffnete und schloss, so, als ob er etwas sagen wollte, jedoch entweder nicht die Worte oder die Stimme fand, und so gab sie dem Drang nach und gestattete sich ein äußerst diabolisches Lachen - was sich in seinen Ohren eher wie eine interessante Mischung aus amüsiertem Kichern und sorglosem, leichtem Lachen anhörte.

Bevor er seiner offensichtlichen Entrüstung Luft machen konnte, wischte sie sich eine Lachträne aus dem linken Augenwinkel, drehte sich einmal beschwingt um die eigene Achse, sodass ihr moderat langer, anthrazit farbener Faltenrock elegant wehte, und schenkte ihm ein freches Grinsen.

Nun fehlten ihm tatsächlich die Worte. Zum ersten Male seit ihrer geschäftlichen Zusammenarbeit fand er in ihren lebhaft funkelnden Augen das zauberhafte Geschöpf wieder, welches ihm am Abend seiner Ankunft im Hause Tendo noch wie eine surreale, traumgleiche Erscheinung vorgekommen war. Es war nicht ihr durchaus schön anzusehender Körper, der ihn sich diesen Moment wie einen Schatz aufheben ließ - ihre Schwester war schließlich auch eine unvergleichliche Schönheit!

Was ihn so faszinierte war jenes plötzliche Leben in ihrem sonst so kalten Blick und diese besondere Art der Intelligenz, die Nabiki Tendo so einzigartig machte.

Mit einem geheimnisvollen, warmen Lächeln beugte sie sich ein wenig vor und raunte ihm mit einem Zwinkern in den Augen zu, dass sie eine Idee habe.

Wieder spürte er, wie die bekannte und verhasste Hitze von seinem Nacken in sein Gesicht kroch, schluckte trocken und versuchte unsicher seine Frage zu formulieren.

"U-u-und was ist d-das für eine Idee?"

Voll verspielter Entrüstung sah sie ihn anklagend ob seines offensichtlich mangelnden Unverständnisses an.

"Eis-Essen natürlich!"

Baff starrte er die junge Frau an, die sich zwei Meter vor ihm um eine ernste Mine bemühte.

"Eis-Essen...?"

Ohne auf sein leises, erschrockenes Quieken zu achten hakte sie sich bei ihm ein und zog ihn sanft, aber bestimmt mit sich.

"Ja genau, Eis-Essen!"

Seltsam. Auf diese Frau konnte er sich einfach keinen Reim bilden. Sie war ein Rätsel - ein sehr verwirrendes Rätsel. Aber überrascht stellte er fest, dass ihm das nichts ausmachte. Ja... Als sie scheinbar direkt in den Sonnenschein hinein spazierten, er sich protestlos von ihr mitziehen ließ und ihrem munteren Geplapper zuhörte, fühlte er sich zum ersten Male seit langer Zeit zufrieden und spürte die Rastlosigkeit, die ihm keinen Frieden gönnte, langsam aus seinem Körper weichen.

Und vielleicht war es ja auch einmal ganz erholsam, sich treiben oder besser: Von sanfter Hand geführt leiten zu lassen.

So begegnete er der gefräßigen Bestellung seiner Begleiterin von 20 Eisbällchen und zwei Löffeln nur mit milder Belustigung, als sie schließlich in den bequemen Korbsesseln unter einem großen Sonnenschirm im letzten Licht des Tages saßen.

Lächelnd verfolgte er ihren ausschweifenden Reden, hörte ihr jedoch nicht wirklich zu, wie sie dort über Gott und die Welt plauderte. Er konzentrierte sich viel eher auf den weichen, wohltuenden Klang ihrer Stimme und die rötlichen Lichtreflexe, die das goldene Abendlicht der langsam, gemächlich untergehenden Sonne in ihr Haar zauberte.

Dann kam die Bedienung breit lächelnd mit ihrer Bestellung an, und Ryogas Augen schienen an Größe um mindestens das Doppelte zuzunehmen, als er einer Tatsache gewahr wurde, die ihm vorher nicht klar gewesen war: Diese Riesenportion würden sie beide sich teilen.

Sein Herz schlug laut in seinen Augen, als er errötend schüchtern aufblickte und eine Nabiki Tendo sah, die angriffslustig ihren Löffel erhoben hatte - bereit, die Schlacht mit der Eiscrème aufzunehmen.

Das war ja fast schon wie in einem...

"Erde an Ryoga!"

Kurz zuckte er unmerklich zusammen, als er registrierte, dass sein Gegenüber wohl schon seit längerem geduldig lächelnd seine Aufmerksamkeit suchte.

"J-ja?"

"Möchtest du nicht zulangen? Sonst bekomme ich noch ein ganz schlechtes Gewissen, dass ich diese Kalorienbombe ganz allein verdrückt habe!"

Hastig griff er nach seinem Löffel und schaufelte nervös, eilig ein paar Löffel köstlicher Eiscrème in seinen Mund, ohne genau zu wissen, welche Eissorte des "Überraschungsmixes" er denn überhaupt erwischt hatte. Nach wenigen Minuten hatte er sich jedoch glücklicherweise bald wieder unter Kontrolle und ging mit gemäßigterem Tempo daran, die enorme Eisportion zu vernichten.

"Keine Angst... Das hier ist kein Date. Nicht, wenn du es nicht als solches sehen möchtest. Betrachte es einfach als Testlauf und Übung."

Bei dem Klang ihrer relativ leisen, trotzdem klar verständlichen Stimme sah er peinlich berührt auf, fing jedoch ihren Blick nicht ein, der auf einem Erdbeereisbällchen, welches von seiner Größe her beurteilt eher schon ein ausgewachsener Ball war, ruhte. Er fühlte sich ertappt.

Bevor er jedoch näher nachfragen konnte, schlug ihre Stimmung scheinbar ein weiteres Mal um, und so wetteiferte sie mit der Sonne um das strahlendere Lächeln, als sie ihn fragte, wie er seine Verabredung mit ihrer Schwester gestalten wollte.

Dies wiederum war ein Punkt, der ihn nicht nur in große Unsicherheit, sondern auch Verlegenheit stürzte. Sein Herz schlug alleine bei dem Gedanken, sein allerliebstes Zuckerwürfelchen, der Traum seiner schlaflosen Nächte, die Erfüllung all seiner Träume und Wünsche, könnte schon in zwei Tagen so vor ihm sitzen, ihn aufmerksam ansehen und für einen einzigen Moment in der Ewigkeit eines Augenaufschlages den sehen, der er wirklich war - und ihm eine Chance geben, der zu sein, der er war. Möglicherweise würde sie, sein größtes Verlangen, seine brennendste Sehnsucht, bald auf eben jenem Platz vor ihm sitzen und ihm den gleichen Blick der Offenheit schenken, den ihm ihre Schwester nun zudachte.

Doch was sollte er nur tun?! Ein Gedanke an sein Butterblümchen, und er vergaß komplett wo er war, wer er war und was er überhaupt sagen wollte. Verzweiflung trieb ihm die Angst in die Knochen - wie konnte er sich seiner Geliebten als der charmante, selbstbewusste junge Mann präsentieren, der er so gerne in ihren Augen sein wollte, wenn er wohl noch nicht einmal eine formale Begrüßung auf die Reihe bekommen würde - so, wie er seinen nervlichen Zustand einschätzte, würde er wohl bei dem kleinsten, zaghaften Blick in Ohnmacht fallen.

"I-i-ich weiß noch nicht..."

Ein mitfühlendes, verständnisvolles Lächeln begegnete seiner ehrlichen Antwort.

"Das ist doch kein Grund zum Verzweifeln, Ryoga!" Ach, nein?

"Sieh mal, dafür bin ich ja jetzt da! Um dir zu helfen! Du musst mir aber auch versprechen, dir Mühe zu geben!"

Ein kleines Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, auf welchem der ein wenig auffrischende Wind sich angenehm kühl anfühlte. Vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung... Nabiki Tendo, die Göttin der Liebe, würde ihm sicherlich helfen können - so, wie sie schon ganz Nerima geholfen hatte.

"Akane schrieb auf ihrem Wunschzettel, sie fände es, ich zitiere: "ganz süß, wenn er ein bisschen schüchtern ist". Das heißt, es ist vollkommen in Ordnung, wenn du nicht solche Machosprüche drauf hast wie Ranma oder nicht ganz so schlagfertig bist. Allerdings dürfen deine... sagen wir einmal, Hemmungen, nicht ins Extreme ausarten. Schüchtern ist süß - verklemmt wirkt eher entmutigend und demoralisierend. Akane vertraut nicht wirklich in das Prinzip meiner Firma - dafür habe ich bereits in früheren Zeiten gesorgt, damit sie erst gar nicht auf die Idee kam, bei mir anzutanzen, wenn Ranma mal wieder irgendeinen Unsinn anstellte. Von daher kann jeder kleine Misserfolg ihren Glauben, den ich ihr heute Abend aufzubauen versuche, die Sache schon zum Scheitern bringen."

Beunruhigt, nervös schluckte er eine große, kalte Portion Pfefferminzeis, konnte sich jedoch der angenehmen Frische nicht erfreuen.

"Keine Angst! Das schaffen wir schon. Ich bringe dir die Grundlagen bei - und mit ein bisschen Smalltalk und einer angenehmen Atmosphäre verliere ich meine Wette.

Dann fangen wir einmal an... Besonders wichtig ist die Atmosphäre. Sie muss Gemütlichkeit versprechen, Akane jedoch nicht das Gefühl geben, eingeengt zu sein. So muss auch eure Unterhaltung sein: Frei und unbeschwert!

Zahnhygiene ist besonders wichtig! Ein strahlendes Lächeln macht einen guten Eindruck, lockert die Stimmung, lindert die Nervosität des Gegenübers; frischer Atem gestaltet die Unterhaltung gleich viel angenehmer."

Belustigt lachte sie, als der Löffel, den ihr Gegenüber zu seinem Mund führen wollte, in maßlosem Erstaunen mitten in der Luft verharrte.

Noch eine Menge Arbeit würden sie vor sich haben - dessen war sich Ryoga sicher. Doch als er seiner Lehrerin aufmerksam zuhörte, die Informationen geradezu absorbierte und versuchte, sich alles genau einzuprägen, fürchtete er sich nicht mehr vor ihr, sondern wollte ihre Hilfe ernsthaft bemüht nutzen, um durch sie zu lernen und zu dem zu werden, was Akane sich wünschte.

Einige Zeit lang saßen sie noch da, löffelten die Familienportion Eis zu Ende und machten sich in gemäßigtem, gemütlichem Schritttempo und gebadet im pinken Schimmer, in welchem die Hauswände glühten, wieder auf den Weg zu "C- your perfect style", wo Maurice schon auf sie wartete.
 

Verstohlen blickte Maurice in den Rückspiegel, während er an einer roten Ampel hielt. Das, was er dort sah, sollte ihn vielleicht verwundern - tat es aber nicht.

Der nun modern gestylte Schwarzhaarige drängte sich nicht mehr verschämt in eine Ecke, sondern schien nun in der ungeteilten Aufmerksamkeit seiner freundlich lächelnden Chefin regelrecht aufzublühen. Nie wollte sein Mundwerk still sein, und Atem schien der enthusiastische junge Mann auch nicht mehr zu benötigen.

Sein Boss hatte es wohl wieder einmal geschafft. Der arme Kerl, der ihr noch nicht einmal direkt in die Augen sehen konnte, ohne am Rande der Ohnmacht zu wandern, bombardierte sie nun förmlich mit wissbegierigen Fragen, auf die sie geduldig Antworten gab.

Schon öfters hatte er sich gefragt, wie sie diese kleinen "Wunder" wohl zustande brachte - und bis jetzt hatte er noch keine zufriedenstellende Antwort auf dieses seltsame Rätsel gefunden. Die Wandlung, die in den "Patienten" geschah, welche sie persönlich behandelte - was in der letzten Zeit immer seltener geschah, da sie sich mit der großangelegten Expansion beschäftige und ihren Angestellten somit weitgehend das Feld überlassen musste - , konnte er sich nur mit ihrer besonderen Menschenkenntnis und ihrer außergewöhnlichen Persönlichkeit erklären... Wer sonst zeigte ~solche~ Charaktereigenschaften? Ab und an kam ihm der Gedanke, bei einer schizophrenen Sadistin angestellt zu sein - aber selbst wenn dem so war, so wurde ihre "kleine Macke" mit Erfolg belohnt.

Nicht lange dauerte es, und abermals hielt er - dieses Mal nicht vor einer Ampel sondern am Ziel angekommen. So, wie es denn seine Pflicht als edel, elegant anzuschauendes Eigentum seiner Chefin war, bemühte er sich um korrekte Haltung, als er den Bekannten seiner Geldgeberin, welcher sich dank seiner vielen, noch ungeklärten Fragen kaum von jener lösen wollte, zu seinem Apartment eskortierte. Ihm war schleierhaft, warum der merkwürdige Junge immer zu seiner Wohnung gebracht oder persönlich von dieser abgeholt werden musste. Konnte er denn seinen Weg nicht alleine finden...?

Nachdem sich die marineblaue Tür mit dem Ziffernschild 23 hinter dem vor Elan und Tatendrang Glühende geschlossen hatte, machte er sich auf den Rückweg und ließ sich - selbstverständlich mit Form, Anmut und Klasse - erschöpft in den Fahrersitz fallen. Urlaub auf den Bahamas mit seiner jungen Verlobten... Das wäre genau das, was er jetzt dringend nötig hatte.

"Wohin nun, Miss?"

Er liebte ja seinen Job... aber Abwechslung wäre auch einmal schön....

"Zum Tendo-Dojo."

Wort- und regungslos gehorchte er, bemerkte jedoch nicht den berechnenden Blick, welcher ihn streifte, als er voller Sehnsucht an die warme Umarmung seiner Verlobten dachte.

Als er sie, wie verlangt vor den alten Toren des Tendo-Dojos, ablieferte und fragte, wann er sie wieder abholen kommen sollte, erhielt er nur ein gelangweiltes "Ach, fahr nach Hause zu deiner Verlobten. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird... Wenn ich wieder zurück möchte, hole ich mir ein Taxi." als Antwort, und sein halbherziger Protest, er könne selbstverständlich auf sie warten und sie später wieder "einsammeln", stieß auf taube Ohren.

Kurz, bevor sie demonstrativ entschieden die Tür hinter sich zuwarf, meinte sie nur noch "Ich hol' mir später ein Taxi... Sag deiner Hikari einen schönen Gruß von mir, ja?". Dann herrschte Stille im Oldtimer.

Er konnte sein Glück nicht fassen! Sie hatte ihm den Abend offiziell frei gegeben!! Das hieß, nicht mehr auf Abruf bereit sein und.. Er konnte sogar mit seiner geliebten Hikari ins Kino oder Essen gehen, oder... Die vielen Möglichkeiten, die ihm nun offen standen, waren einfach traumhaft!

So machte er sich frohen, leichten Herzens beschwingt auf den Heimweg - voller Vorfreude auf die Reaktion seines geliebten Herzblattes.
 

Sie schüttelte leicht den Kopf, als sie dem scheinbar überglücklichen Maurice nachsah, bis er um die nächste Biegung verschwunden war, bevor sie ein liebevolles, warmes Lächeln auf ihr Gesicht zauberte und gegen das alte, raue Holz des Tores pochte.

Schritte auf knirschendem Kies ließen sie inne halten. Noch circa fünf Meter mussten sie von der Person auf der anderen Seite trennen - und nachdem sie an den ihr so vertrauten Geräuschen erkannte, welche Person ihr nur Augenblicke später die Pforten öffnen sollte, zwang sie einen besonders herzlichen Ausdruck auf ihre Mine.

Akane galt dieser nette Familienbesuch schließlich hauptsächlich!

Schon wurde einer der alten Flügel knarrend aufgestoßen und gab die Sicht auf ihre jüngere Schwester frei, auf deren Gesicht bei ihrem Anblick die unterschiedlichsten Emotionen um die beherrschende Macht kämpften.

Freude, die Schwester zu sehen - aber auch Angst und Unsicherheit. Angst davor, was die späte Besucherin der alten Hallen für Nachrichten mit sich bringen würde, Unsicherheit, wie man auf jene reagieren sollte. Glücklich, erfreut?

Und wie würde Ranma wohl handeln, erfuhr er erst von ihren Taten? Obwohl das Wort "Taten" sich schon wieder so negativ anhörte - und sie hatte doch nichts falsch gemacht!

"Hallo Nabiki! Schön, dass du hier bist! Komm doch rein und iss mit uns! Kasumi deckt gerade den Tisch!"

Anscheinend hatte sie sich dazu durchgerungen, ein freundliches Gesicht zu zeigen. Nicht übel für den Anfang. Ihr kleines Schwesterchen lernte so langsam immer mehr neue Tricks dazu, um ihre Regungen zu verbergen.

Nicht schlecht - aber auch nicht gut genug, um sie, die Meisterin des spannendsten aller Gesellschaftsspiele im wörtlichsten aller Sinne, zu täuschen. Wie ein Buch konnte sie ihre geliebte Schwester lesen - und was sie sah, brachte ihr Gewissheit: Ryoga würde es sehr schwer haben. Selbst wenn er noch einmal Akanes Schwachstelle - ihren Stolz - ausnützen könnte, so würde er noch einige Hürden nehmen müssen, bis er Ranmas Platz in Akanes Herzen, so gut es ihm eben möglich sein mochte, einnehmen könnte. Denn selbst wenn sich der kleine Sturkopf nicht ihre offensichtlichen Gefühle für den ungezogenen, frechen Macho eingestehen wollte - vergessen würde sie ihn wohl nie.

Erfreut nickte sie für die Einladung dankend, und ging für einen kurzen Moment schweigend neben dem nervös wirkenden Mädchen mit den blauschwarzen Haaren und den rehbraunen Augen, welche schon so vielen jungen Männern den Kopf verdreht hatten, her. Dann jedoch setzte sie zu sprechen an und erläuterte der ungewöhnlich blassen Schwester die Gründe für ihr unangekündigtes Erscheinen.

"Ich bin gekommen, um dir deine Ergebnisse mitzuteilen... Natürlich hätte ich das auch am Telefon mit dir besprechen können, aber so ist es mir lieber, weißt du."

Zufrieden registrierte sie aus den Augenwinkeln, wie die Jüngere einen kleinen Moment, für untrainierte Augen nicht wahrnehmbar, unmerklich in ihren Schritten zögerte, dann jedoch mit einem schnelleren Tempo auf das Haupthaus zuhielt.

Sie konnte es an ihrem nun ausdruckslosen Gesicht sehen, konnte es an dem veränderten Schritttempo auf dem knirschenden Kies hören: Akane hatte Angst.

Lächelnd ließ sie sich ein wenig zurückfallen und nahm sich Zeit, die aufgehenden Blüten an der uralten, knorrigen Zierkirsche zu betrachten, welche direkt neben dem Eingangsbereich des Haupthauses gepflanzt war. Frische Knospen, junge Blüten...

Als Akane schon im Hausinneren verschwunden war, um Nabikis Ankunft zu melden, gestattete sie sich, einen Moment inne zu halten, und die zarten Farben zu bewundern.

Ihre Mutter hatte diesen Baum sehr geliebt. Ihre liebste Erinnerung an sie, welche sie wie einen Schatz hütete, war ein Bild aus ihren jungen Jahren. Unter eben jenem blühenden Kirschbaum, neben einem strahlenden Soun Tendo, der sein Glück mit seiner jungen Frau und einer gerade einmal zwei Jahre alten Kasumi kaum fassen konnte, hinter einer niedlich lächelnden, erste Zähne präsentierenden Kasumi, der man einen albernen Hut aufgesetzt hatte, stand sie... Ihre Mutter. So wunderschön, so anmutig.....

Ihr sanfter, liebevoller Blick und eine vor lebendiger Farbe leuchtende Kirschblüte in ihrem Haar - so stellte sie sich ihre Mutter am liebsten vor. Nicht an Schläuche und Maschinen angeschlossen. Mit rosigfrischer Komplexion und lebhaftem Lächeln. Nicht schwach und farblos.

"Hallo Nabiki! Möchtest du nicht herein kommen?"

Aus ihren Gedanken aufwachend sah sie zu einer freundlich lächelnden, sie jedoch besorgt musternden Kasumi auf, welche in der Haustüre stand.

Müde erwiderte sie das Lächeln und folgte ihrer älteren Schwester ins Haus.

Na wunderbar. Nicht nur hatte sie einen ausgeprägten Vaterkomplex, oh nein - auch der Mutter hing sie wohl gerne, viel zu gerne in nostalgischen Gedanken nach.

Während dem Essen warf sie ab und an unauffällige, verstohlene Blicke in Akanes Richtung und beobachtete die langzeitliche Wirkung ihrer Worte.

Amüsiert lächelte sie in ihren Reis hinein, als Akane einen beinahe angstvollen, nervösen Blick in Ranmas Richtung riskierte und offensichtlich von dem Anblick einer dünn geschnittenen Radieschenscheibe auf der Nase ihres Verlobten, welche zweifellos beim regelmäßigen Essenskampf mit seinem Vater durch die Luft gesegelt war und einen passenden Landeplatz gefunden hatte (Anm.: Auch wenn die Vorstellung durchaus interessant ist: Nicht die Nase, sondern das Radieschen flog...) , verzaubert und in eine Art Bann geschlagen wurde.

Das war ja wirklich goldig. Zuck-er-süß. Niedlich.

Fast schon konnte sie sich die verzückten Gedanken im hübschen Kopf ihrer kleinen Schwester vorstellen...

'Wie süß er doch mit diesem feuchten, in seinen elfengleichen Zügen ästhetisch wirkend geschnittenen, Gemüsescheibchen aussieht...!!'. Als Akane dann auch noch errötend den Kopf abwandte und mit glasigen Augen verträumt ihr eingelegtes Gemüse, bis auf das dekorative Radieschenscheibchen, versteht sich, unter ihren Essstäbchen zu Mousse verarbeitete. Weit, weit entfernt waren ihre Gedanken, als die Essstäbchen beinahe schon andächtig das so zerbrechliche Gemüsescheibchen zart, sanft erst liebkosten, nur um es dann wie einen Schatz hochzuhalten - sie, Akanes Gedanken, waren wohl in einer jener interessant schwachsinnigen Welten, in denen nicht nur Kuno sich outete und mit Happosai durchbrannte, sondern auch Akane und Ranma händchenhaltend auf gesunden, prächtig blühenden Wildwiesen umherhopsen, verliebt der Sonne, dem lieben Baum und den sich fleißig vermehrenden, zur Größe eines ausgewachsenen Bullterriers mutierten Wald-und Wiesenmeerschweinchen einen "Guten Tag" wünschen und lustige Lieder miteinander singen konnten. Eine jener Welten, in denen nichts unmöglich schien - und in denen das Radieschen so köstlich auf seiner von Sommersprossen übersäten Nase im warmen Sonnenschein funkelte und glitzerte, Ranma-kun ein luftiges Sommerkleid und einen groooßen Strohhut mit überdimensionaler Sonnenblume und pinkem Schleifchen trug, und sie selbst, Akane, die Tagträumende, endlich einmal ihre mit Eisenkappen verstärkten Springerstiefel anziehen konnte, jene in die Schule anzuziehen Kasumi ihr immer krampfhaft lächelnd verboten hatte...

Misstrauisch musterte sie ihre ach so unschuldige, kleine Schwester näher - besser gesagt deren heftige Blutversorgung des Kopfes.

Oder Akanes Gedanken waren in einer jener Welten gefangen, in denen neben Lack, Leder und Peitschen auch noch mit Plüsch besetzte Handschellen existierten...

Nachdenklich runzelte sie die Stirn. Wie passte da denn noch ein Radieschen in den Tagtraum?

Andererseits wollte sie auch nicht ganz so genau darüber nachdenken - sie wollte nicht ihren letzten Rest Respekt vor ihrem süßen, niedlichen, unschuldigen Schwesterchen verlieren...

Das abklingende Schnaufen und Hecheln des hyperventilierenden Pandas ihr gegenüber signalisierte, dass das Essen für beendet erklärt wurde. Die Tischgesellschaft löste sich recht schnell auf: Ranma machte sich verärgert zum Dojo und Aggressionsbewältigungstraining auf - anscheinend hatte er in der alles entscheidenden Schlacht selbst das geheiligte Radieschen verloren -, ihr Vater und Genma verabschiedeten sich für eine Runde Go - fair wie immer -, Happosai war glücklicherweise immer noch auf "Raubzug", und Akane schlich sich mit hängenden Schultern die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf.

Schon wollte sie ihr nachgehen und ihr die 'erfreuliche' Nachricht überbringen, als sie von einem leichten Druck auf ihrem Oberarm zurückgehalten wurde. Verwundert fiel ihr Blick auf die Hand ihrer älteren Schwester.

"Nabiki, Liebes... Hilfst du mir ein wenig mit dem Abwasch?"

Nabiki konnte anhand des Blickes, den ihr Kasumi schenkte, erkennen, dass es in dieser Angelegenheit nicht nur um den Abwasch ging. Zögernd folgte sie ihr - nicht sicher, ob sie sich auf den 'Abwasch' mit der Älteren freuen konnte.

Zuerst arbeitete man still zusammen - kein Wort fiel, und wäre es nicht um das leise Klirren des Geschirrs und Bestecks gewesen, so hätte man ein exzellentes Beispiel für "absolute Ruhe" gefunden. Dann jedoch begann Kasumi...

Und schon der ernste, besorgte Ton, mit welchem sie sprach, ließ Nabiki erkennen, dass dieser 'Abwasch' ihr tatsächlich nicht sonderlich liegen würde.

"Nabiki... Möchtest du mir nicht etwas sagen?"

"Ich weiß nicht, was du meinst." Ein hitziger Blick zur fleißigen, vernachlässigten Spülmaschine, dann zu den ernsten Augen ihrer Schwester. Das Lächeln fehlte.

"Nabiki."

Frustriert warf sie das feuchte Handtuch auf den Tresen.

"Schon gut, schon gut. Meinst du, es gefällt mir, dass der Idiot Akane zu mir in mein Büro geschleppt hat? Ja, glaubst du das?"

Keine Antwort.

"Sieh mal - was hätte ich denn machen sollen?!"

"Du hättest sie nicht in dein Archiv eintragen sollen."

"Das habe ich nicht getan!"

Nun wurde es selbst ihrer stets gelassenen Schwester ein wenig zu ärgerlich - und nicht viele Menschen kannten sie ohne ihr Lächeln, ohne ihre sanfte Stimme, mit zorngerötetem Gesicht und wirren Strähnen, die sich aus ihrer normalerweise bombensicheren Frisur lösten.

"Und warum bist du dann heute Abend hier?! Du besuchst uns nie ohne Grund! Halte mich nicht für dumm, Nabiki Tendo! Ich weiß, welches Spiel du spielst!"

"Achja, welches denn?! Ich will nur, dass Akane glücklich wird! Wenn das Date schief geht - was soll's! Dann geht's vielleicht endlich in ihren Dickschädel rein, dass man sein Glück manchmal gar nicht suchen, sondern einfach nur die Augen aufmachen muss! Und wenn's klappt? Wenn er wirklich der Richtige ist? Dann haben wir beide wenigstens eine glückliche Schwester!"

"Als ob du dich groß um unser Glück scheren würdest! Dir ist doch diese Familie komplett egal! "

"Erzähl du mir nicht, dass ihr mir egal währt!"

"Weißt du noch, Nabiki? An Mutters Grab haben wir beide uns etwas geschworen. Wir kümmern uns um diese Familie! Wir beide wollten dafür sorgen, dass wir alle zusammen glücklich sein können. Aber scheinbar halte nur ich mich an unser gegenseitiges Versprechen! Du besuchst uns nie, deine Karriere geht vor, du lässt uns alle im Stich und kommst deinen Pflichten nicht nach! Ich habe meine Zukunft aufgegeben und meine eigenen Wünsche immer zurückgestellt!"

"Ach ja?! Nur du kümmerst dich um alles? Na, wer zahlt denn die ganzen Rechnungen, weil der geheiligte Dojo nichts abwirft und Vater einfach nicht seinen Traum von der eigenen Kampfschule aufgeben und in ein kleineres Haus ziehen will? Wem ist zu danken, dass die ganze Anlage hier noch steht und nicht für ein Bürogebäude abgerissen wurde?"

Wieder keine Antwort. Nur ein wütendes Funkeln in den Augen, welche denen ihrer Mutter so furchtbar ähnelten.

"Nicht jeder kann die ganze Mannschaft mit umgebundener Kochschürze, einem liebevollen Lächeln und einem bereits gekochten Essen erwarten! Nicht jeder-"

Ein Klatschen hallte in der Küche wieder. Geschockt, ängstlich sah Kasumi erst auf ihre immer noch erhobene Hand, dann auf das von der Wucht des Schlages zur Seite geworfenen Haupt ihrer Schwester.

Nabiki sah ihr nicht mehr in ihre still um Verzeihung flehenden Augen und hörte auch nicht auf ihre beinahe bettelnde Stimme, als sie sie bat, noch einmal die Küche zu betreten. Freudlos lächelnd berührte sie mit ihrer leicht zitternden Hand kurz ihre schmerzende Wange, bevor sie in ihre Schuhe schlüpfte und die Tür öffnete.

"Nabiki, es tut mir Leid..." Ja, so hörte sie sich tatsächlich an. Dennoch drehte Nabiki sich nicht um, richtete sich stattdessen nur gerade auf und meinte knapp "Akane soll mich später noch einmal anrufen."

Dann fiel die Tür hinter ihr ins Schloss und trennte sie von der beschämten, von den eigenen Handlungen erschütterten Kasumi, dem fetten Panda, ihrem Vater, der ahnungslosen Akane und dem immer noch vor Zorn rauchenden Ranma.

Sie drehte sich auch dann nicht mehr um, um einen letzten Blick auf das in Dunkelheit gehüllte Familienerbe zu erhaschen, als das alte Tor bereits hinter ihr knarrte und sich mit einem dumpfen Aufprall einen Augenblick später schloss.

Ein Drink - das war es, was sie brauchte. Und Musik. Laute Musik, um den eigenen Gedanken nicht mehr 'lauschen' zu müssen.

Vergessen, verdrängen.

Sie lockerte ihren Kragen, öffnete die ersten zwei Hemdsknöpfe und atmete tief durch, bevor sie sich in Bewegung setzte. Ein recht langer Weg würde ihr bevorstehen... Bis zum nächsten Taxistand war es noch ein gutes Stück zu Fuß an frischer Nachtluft - um sich eines zu bestellen, dazu fehlte ihr ihr Mobiltelefon, welches friedlich in ihrer, in der Aufregung und emotionalen Verwirrung im Hause Tendo zurückgelassenen, Aktentasche ruhte und fröhlich den Akku aufbrauchte.

Unwirsch beschleunigte sie ihre Schritte, als sich die Welt vor ihren Augen in verschwommene Bilder und brennend heiße Tränenschleier aufzulösen drohte. Bald würde sie wieder "zu Hause", in ihrem Apartment sein, sich eine ungesunde Menge Kalorien in Form verboten schmackhafter Schokolade gönnen, sich einen kräftigen Drink genehmigen und, nachdem sie sich in ihr bequemes, warmes Bett gelegt hatte, den Tag einfach vergessen.

'Nicht weinen, Nabiki. Ein Drink, ein Drink... Nicht weinen... Die Rettung!!'

Vor ihr war, als sie um eine Straßenbiegung bog, eine altertümlich anmutende Telefonzelle aufgetaucht. Eine Telefonzelle, die bei näherer Inspektion sogar funktionierte und einen Anruf beim erstbesten Taxiunternehmen gestattete!

Nachdem die schläfrige, maulige Stimme des diensthabenden, armen Studenten, der sich sein Taschengeld mit langweiligen Nachtschichten am Telefontischchen verdiente, mit dem Versprechen, einen Wagen an die angegebene Adresse zu senden - sie nannte einfach die Hausnummer des Einfamilienhauses, vor dem ihre "Rettung" platziert war -, aus der Hörmuschel verschwunden war und ein sich schnell wiederholender Signalton anzeigte, dass die Verbindung beendet war, legte sie tief seufzend den Hörer. Jene überwältigende, berauschende, traurige Wut, die sie eben noch kopflos ohne ihre Aktentasche aus dem Haus ihrer Familie hatte stürzen lassen, hatte sich verflüchtigt, und so fühlte Nabiki eine alles verschlingende Leere in sich aufsteigen.

Immer wieder sah sie das Gesicht ihrer wütenden Schwester vor sich. Und nun, nachdem sie voller Entsetzen das erkannt hatte, was schon lange in Kasumis Blick geschrieben, nein, mit loderndem Feuer eingebrannt worden war, verstand sie den Grund für die Ohrfeige, für das Misstrauen und die sich dahinter verborgen befindende Abneigung ihrer, Nabikis, Karriere und ihrem Beruf gegenüber.

Neid.

Neid, und nichts anderes.

Einen kurzen Moment lang schloss sie ihre Augen, lächelte freudlos und lehnte sich gegen die Rückwand der Telefonzelle.

'Tja... Der Preis für ein Lächeln und ein Mittagessen, für den immer freundlichen und liebevollen Mutterersatz ist eben hoch, Kasumi. Es ist wirklich unfair, nicht wahr? Du musst Hausmütterchen spielen, während ich mich damit vergnügen darf, den Haushalt zu finanzieren.'

Das Lächeln zerfiel in eine ausdruckslose, wächsern erstarrte, unbewegliche Maske sorgfältig zur Schau gestellter Gleichgültigkeit, als sie die Zelle verließ und bald darauf, nachdem ein Taxi, welches freilich seine besten Tage schon gesehen hatte, neben ihr anhielt.

Selbst den üblichen Feilschkampf um den Fahrkostenpreis mit dem Fahrer vergaß sie an jenem Abend - viel zu sehr war sie auf ihr Mantra konzentriert.

'Ein Drink, vergessen, ein Drink...'
 

Nabiki Tendos Notizen an diesem Abend:

Gewaltige Fortschritte -> Deadline könnte eingehalten werden.

Aussehen - bedarf keiner weiteren Änderungen

Umgang/Verhalten - Akzeptabel, muss ein wenig aufpoliert werden

Feinabstimmung - wird in Angriff genommen
 


 


 

Tag 3 - Lektion 7: Italienische Tomatensauce kann sehr angriffslustig sein.
 

Maurice erlaubte sich ein kurzes Lächeln, als nach dem Läuten an der marineblauen Tür mit dem Ziffernschild 23 und fünf Minuten geduldigen Wartens endlich die Geräusche des mittelstarken Motors einsetzten, den er in seinen Gedanken spaßeshalber als die "treibende Kraft" hinter dem jungen Mann, der in dem Blindenapartment wohnte, bezeichnete. Wirklich ein seltsamer Vogel. Zuerst schüchtern, von der großen Welt verschreckt, war er an dem ersten Abend ihrer Bekanntschaft sehr zurückhaltend gewesen. Am zweiten Abend, nachdem seine Chefin den mittlerweile störrischen Jungen und einige Einkaufstaschen aus "C- 4 all" mit triumphierendem, leicht verbissen wirkenden Lächeln herausgeschleift hatte, mochte er wie ein Kleinkind, welches man gegen seinen Willen in den Kindergarten zu den bösen, anderen Kindern, die ihm immer sein Frühstück klauten, schickte, aus Protest geschwiegen und sich vom Fräulein Tendo abgewendet haben.

Nach dem augenscheinlich prägenden Vorabend jedoch war die clevere Geschäftsfrau wohl auf den Weg gestoßen, auf welchem man etwas bei dem nun fast schon extrovertiert wirkenden Schwarzhaarigen wahrlich etwas erreichen konnte.

Aus dem schüchternen Landjungen in der großen Stadt und dem verzogenen Kleinkind hatte Tendo-san einen charmanten, charismatischen Mann gemacht.

Sollte er sich noch erstaunt zeigen? Immerhin sollte er solche Wunder ja schon von seiner Geld- und Arbeitgeberin gewohnt sein...

Schließlich war sie die "Göttin der Liebe", und trug ihren Namen nicht von ungefähr.

Trotz allem jedoch war es immer wieder faszinierend zu sehen, was sie alles erreichen konnte. Himmel und Hölle! Selbst aus ihm, dem verstockten Chauffeur, hatte sie das gemacht, was sich seine Hikari unter einem Traummann vorstellte. Mit seiner Ausbildung und seiner Erfahrung hätte er sich theoretisch in die Dienste irgendeiner alten Adelsfamilie begeben können. Dort hätte man ihm vielleicht ein noch großzügigeres Gehalt bezahlt, als er es jetzt schon erhielt...

Geld war ihm in dieser Angelegenheit allerdings gleich. Aus Dankbarkeit dafür, dass sie, die "Göttin der Liebe", ihn mit seiner geliebten Hikari zusammenbrachte, arbeitete er nun als privater Chauffeur.

Als sich die Tür vor ihm öffnete, straffte er sogleich seine Haltung und versuchte, jenes dämliche Lächeln von seinem Gesicht zu verbannen, welches sich ihm beim Gedanken an seine feengleiche Verlobte aufdrängte.

"Guten Abend, mein Herr."

"Guten Abend, Maurice!"

Er wirkte ein wenig enttäuscht, dass die Chefin ihn nicht persönlich an seiner Haustür abholte...

"Wenn Sie mir bitte folgen würden...?"

Schweigend machten sie sich auf den Weg zum Wagen, bis er schließlich beschloss, die Stille zu brechen.

"Fräulein Tendo wartet auf Sie am Ziel unseres Ausfluges. Sie trug mir auf, Ihnen nicht unser Ziel zu verraten, doch sollte ich Ihnen ergänzend sagen, dass Sie sich auf eine Überraschung freuen sollten."

Ein wenig dumm kam er sich dabei vor, als er die Nachrichten übermittelte, ohne zu wissen, worum es überhaupt ging. Selbstverständlich wusste er nicht, was genau diese Überraschung sein sollte... Doch nachdem er am Vorabend die hingebungsvolle Aufmerksamkeit im Blick seines Fahrgastes sah, die er der Liebesgöttin entgegenbrachte und mit welcher er die Bewegungen ihrer Lippen verfolgt hatte, wollte er es auch nicht ganz so genau wissen. Das Privatleben des Arbeitgebers ist nur so lange interessant, bis dieser das Kündigungsschreiben aufsetzt.

Also, Leitsatz des Chauffeurs/Kammerdieners: Diskret im Hintergrund und die Schnüffelnase aus den Angelegenheiten der Obrigkeit heraus halten.

Als er dann aber sah, wie die Enttäuschung in Vorfreude wechselte und die gebeugte Haltung sich in eine aufrechte, erwartungsvolle wandelte, da freute er sich mit dem Jungen.

Die Fahrt verlief recht ruhig und unspektakulär - sah man einmal von den drei turtelnden Paaren ab, die einfach so sehr miteinander beschäftigt waren, dass sie keine Augen mehr für den Straßenverkehr entbehren konnten. Was im Klartext heißt: Sie stolperten einfach verliebt auf die Straße, ohne nach herannahenden Fahrzeugen Ausschau zu halten und verhielten sich alles in allem zusammenfassend somit wie liebestolle Lemminge.

Maurice schauderte bei dem Wort Lemming. Ja... neben den drei Pärchen war da auch noch ein übergewichtiger Waschbär auf der Straße gewesen. Mitten auf der Fahrbahn lag er, mit einem ruhigen, friedlichen Gesichtsausdruck, sofern man das bei einem Waschbären sagen konnte. Die Pfoten waren wie in einem Gebet verschränkt und lagen auf der Brust gefaltet - kurz gesagt sah das selbstmörderische Tier aus, als ob es auf dem Totenbette liegen würde. Um seinen Hals hatte es sich ein pinkes Handtäschchen gehängt, auf dem mit wütender Hand - ähm, Pfotenschrift geschrieben stand "Ich will nicht mehr!".

Eine Vollbremsung, einen wütenden Waschbär und zwei glücklich quiekende Teenager, die plötzlich aus dem Nichts erschienen waren, später waren sie wieder auf dem Weg. Ihm war immer noch ein wenig unwohl zumute, als er sich an die Unterhaltung des seltsamen Trios erinnerte, welches sich zielsicher auf den Weg in die nächstgelegene Einkaufsstraße machte...

"Was machst du denn auch für Dinger, du dummer Waschbär! Wir wollten doch noch in diese neue Boutique gehen!!"

"..."

"Hey, aber was ist, wenn die wieder den Laden dicht machen und uns wie beim letzten Mal mit einschließen?"

"Ha! Ich habe vorgesorgt! Mein BH ist essbar und mein Slip leuchtet im Dunkeln! Wir können uns also gaaanz viel Zeit lassen! Ist das nicht toll?!! Waschbär, sag doch auch mal was."

"..."

"Guck mal wie begeistert er ist!!"

Erleichtert atmete er auf, als sie endlich vor dem hoch in den Himmel hinaufragenden Apartmentgebäude hielten, dessen gläsernes Dach spitz wie eine Pyramide vom quadratischen Fundament aus zulief und im Abendlicht funkelte.

"Wenn Sie mir bitte folgen würden...?"

Der Junge nickte und folgte ihm in den obersten Stock, musterte auf dem Weg dorthin staunend die ungewöhnliche Innengestaltung.

Maurice lächelte still, als er die verwunderten Blicke des attraktiven Jünglings bemerkte.

Um vom Erdgeschoss aus in die oberen Stockwerke zu gelangen, hatten sich die Architekten recht ungewöhnliche Konstruktionen einfallen lassen:

In der Eingangshalle begann nicht nur eine freischwebende Treppe, die sich in einem unregelmäßig geschwungenen Bogen von Etage zu Etage wand. Ein gläserner Fahrstuhl in der Form eines Zylinders befand sich in der Mitte des quadratischen Raumes und fuhr in seinem gläsernen Schacht durch die Decken hindurch.
 

Ryoga war fasziniert. Von der gläsernen Kabine des Fahrstuhles aus verfolgten seine Augen die schlangenhaften Bewegungen der Treppe, die sich in weiten, großzügigen Bewegungen zum ersten Stockwerk schlängelte. Dann jedoch erwartete ihn eine weitere Überraschung.

Nachdem man die Eingangshalle unter sich zurückgelassen hatte, fuhr man durch Decke eins und an der "Haltestelle" für die Bewohner des ersten Apartments im ersten Stock vorbei. Dies jedoch war nicht das wirklich Erstaunliche an ihrer Fahrt. Auch die Farbspiele, die das letzte Tageslicht mit dem Glas der fernen Dachpyramide spielte und ihnen auf ihrem Weg der Glasspitze und dem Himmel entgegen zeigte, ließen ihn nicht wie einen Schuljunge auf einem Exkursionstrip neugierig herumblicken - obwohl auch sie wunderschön waren und der Anblick der sich stetig nähernden, weit in den Himmel ragenden Glasspitze ihm für einen kurzen Moment den Atem raubte.

Die Architekten verstanden es wirklich, gelangweilten "Passagieren" Entertainment zu bieten! Blickte man aus der transparenten Kabine, so sah man in dem runden Schacht auf dem Weg zum nächsten Stockwerk Bilder und Abbildungen berühmter Kunstwerke. Jedes Stockwerk zeigte an den Wänden des Schachtes die großen Künste einer bestimmten Kunstepoche - von der Renaissance bis zur Klassik.

Ryoga verstand zwar nicht viel von Kunst, da er sich viel lieber mit dem wenig intellektuellen Kampfsport befasst hatte, aber er war trotzdem begeistert. Ein feiner Happen Rokoko mit nur einer einzigen 360° Drehung des Körpers!

So kam es, dass ihm am Ende der kurzen Fahrt an der letzten Haltestelle recht schwindelig war und er sich erst fassen und sein Gleichgewicht wieder finden musste, während Maurice, der Schweigsame, wie ihn Ryoga im Stillen nannte, auf einer Art Tastatur neben dem Wahlpult des Aufzuges eine mehrstellige Nummer eingab.

Aus einem versteckten Lautsprecher tönte erst ein kurzes Knacken, dann jedoch Nabiki Tendos Stimme.

"Ja bitte?"

Verwundert sah er auf. Wo war sie nur?

Die Antwort auf seine ein wenig dumme Frage erhielt er, nachdem Maurice sie beide angemeldet hatte und sich die Türen des Fahrstuhles und die dahinter liegende Apartmenttür der Wohnung eines gewissen Fräulein Tendos öffnete. Vor ihm stand sie nun... Allerdings sah sie ein wenig anders aus, als er es erwartet hätte.

Statt der formalen, stilvollen Kleidung und der eiskalten Geschäftsfrau fand er nun eine junge, warm und einladend lächelnde Frau vor, die Businesssuit gegen Homewear eingetauscht hatte.

"Hallo Ryoga! Maurice, vielen Dank!"

Maurice nickte und trat einen Schritt zurück.

Ryoga hingegen hatte einige Schwierigkeiten damit, seine Bewegungen zu koordinieren. Zuerst musste er sich dazu zwingen, seinen leicht offen stehenden Mund zu schließen und das dümmliche Grinsen von seiner sicherlich ein wenig verzerrt wirkenden Visage zu entfernen.

Nachdem er dies erfolgreich geschafft hatte, galt es nur noch, seinen Atem wieder zu finden und ihrer einladenden Geste in ihre Wohnung zu folgen. Dass Maurice ihnen nicht nachkam, sondern mit dem Aufzug wieder auf Kulturreise ins Erdgeschoss ging, registrierte er schon nicht mehr. Viel zu beschäftigt absorbierte er gierig die ersten Eindrücke der geschmackvoll und vor allem teuer eingerichteten Wohnung. In solchem Luxus kam er sich ein wenig schäbig vor - auch wenn seine Gastgeberin bei ihrem gemeinsamen Einkaufstrip beharrlich darauf bestanden hatte, seine Garderobe von Landstreicher auf Exklusiv-Lover umzustellen.

Wer wirklich aus dem Rahmen fiel war jedoch die Besitzerin der Wohnung selbst. Ganz anders, als er sie sich in ihrer häuslichen Umgebung vorgestellt hätte. Neben der alten, verblichenen Jeans, der man die unteren Hosenbeine franselig abgetrennt hatte und ihrem weiten, bequemen T-shirt stellte er etwas fest, was er nie an ihr zu sehen geglaubt hätte: Weiße, plauschige Kaninchenpantoffeln.

Nachdenklich runzelte er die Stirn, als er der Figur mit der lebhaft pulsierenden Aura hinterher sah, die durch einen Rundgang in einem Nebenzimmer verschwand. Es war schon richtig, dass sich diese Nabiki von der über allem stehenden Geschäftsfrau, die ihm in den letzten zwei Tagen ein Intensivtraining in Sachen Dating und "geliebtem-Zuckerwürfelchen-den-Hof-machen" gegeben hatte, deutlich unterschied. Bis auf das offenherzige Lächeln, welches sie ihm in einem Moment der Unachtsamkeit während ihrer Eisfressorgie geschenkt hatte, schienen dieses Geschöpf und die Besitzerin des Sessels der Macht und Finchen, der Augenbraue des Untergangs, gänzlich verschieden.

Nun erinnerte die Art, wie sie sich kleidete, ihn wieder an das 18-jährige, clevere, listige und auf ihre eigene Weise schelmische Mädchen, das er von dem damaligen Nerima, welches mehr als nur ein Jahr von dem derzeitigen entfernt wirkte, noch in Erinnerung hatte. Jetzt wusste er also endlich, wo der freche Geldfuchs geblieben war.

"Ryoga, wo bleibst du denn?" , hallte es aus dem Nebenzimmer - und erst in jenem Augenblick wurde ihm bewusst, dass er sich, seitdem er die Wohnung betreten hatte, noch keinen Zentimeter von der Stelle gerührt hatte.

Rasch zog er seine Schuhe sowie seine dünne Stoffjacke aus und sah sich erfolglos nach Gast-Hausschuhen um. Nabiki Tendo empfing wohl nicht oft Besuch...

So eilte er barfuß in das Zimmer, in welchem er sie vermutete. Verwundert stellte er fest, dass er in ihrem Schlafzimmer gelandet war.

Keine Nabiki. Vielleicht war sie ja hinter dem ihm gegenüberliegenden Tür zu finden?

Nein, dort auch nicht. Das Badezimmer. So probierte er auch in diesem und dem nächsten Zimmer die ihm beim Betreten des Raumes nächste Tür aus und fühlte sich bald wie auf einem Karussell.

Als er schon resignieren und um Hilfe rufen wollte, hatte er bei der letzten Tür Glück. Hinter ihr befand sich nicht nur die Hausherrin, sondern auch noch eine modern eingerichtete Küche.

"Ah, da bist du ja!" Er nickte und gab einen zustimmenden Laut von sich.

Durch die geöffnete Tür auf der anderen Seite des Raumes konnte er wieder den Eingangsbereich und seine Jacke an einem der geschwungenen Garderobehaken erkennen.

Warum nur kam er sich so veralbert vor?

"Fang!"

Ihm wurde schwarz, besser gesagt weiß vor Augen. Perplex zog er das gefaltete Stück Stoff von seinem Gesicht, welches sich bei näherer Inspektion als eine mit Gänsen, die Margareten in ihren Schnäbeln trugen, bedruckte Kochschürze herausstellte.

Verwundert drehte er sich mit fragendem Blick zu der frech grinsenden Nabiki um, die ihn belustigt ansah.

"Habe ich schon erwähnt, dass wir beide heute Abend gemeinsam unser Abendessen kochen werden?"

Irgendwie, aber auch nur irgendwie hatte er das Gefühl, dass dieser Abend recht... ereignisreich werden würde.

Dass er mit dieser Vermutung goldrichtig lag, versteht sich von selbst, bedenkt man, dass der gutaussehende Herr einen Schneebesen mit den Arbeitsmaterialien des Straßendienstes in Verbindung brachte.
 

...
 

Nabiki Tendo amüsierte sich köstlich! Auch wenn sie ihre Belustigung teuer mit einer Keramikschüssel und zwei Salattellern bezahlte.

Doch bereute sie es nicht, die Pläne des Abends, ihm Tischmanieren in einem feinen Restaurant durch Beobachtung der anderen Gäste zu lehren, geändert zu haben und ihn stattdessen auf eine mögliche Beziehung mit ihrer Schwester zumindest in diesem einen, überlebenswichtigen Bereich gut vorzubereiten. So konnte sie ihr Schwesterlein unter Umständen, sollte die Verabredung tatsächlich erfolgreich verlaufen und sie ihre Wette verlieren, davor bewahren, das eigene Essen zu sich nehmen zu müssen.

Es war ihr immer wieder ein Rätsel, wie einfaches Wasser und Reis unter den untalentierten Händen Akanes zu toxischen Mordwerkzeugen werden konnten.

Ihren Kopf der abschweifenden Gedanken klärend schüttelte sie eben jenen kurz und konzentrierte sich auf ihre Arbeit: Einen einfachen, bunten Salat zuzubereiten und Ryoga, der ihr, während das Wasser auf dem Herd zu kochen begann, dabei half, das Gemüse zu zerkleinern, daran zu hindern, sich irgendwelche Gliedmaßen zu amputieren.

Sie würde die Atmosphäre nicht unbedingt als entspannt beschreiben - schließlich galt für Ryoga anfänglich immerhin noch akute Lebensgefahr! - , doch seine Nervosität verflüchtigte sich mit der Zeit, den zwei Salattellern und drei anständig zerfetzten Tomaten. Bald schon ließen sich erste Fortschritte feststellen, und Nabikis anfängliche Befürchtung, der schüchterne Kampfsportler sei ein ebenso hoffnungsloser Fall wie ihr Schwesterchen Akane in Sachen Kochkunst, bestätigte sich nicht - wofür die 19-jährige allen ihr bekannten Gottheiten dankte.

Ob jedoch auch Winnie Puh und Schnappi ihre "Dankesgebete" erhören konnten, war fraglich, da beide bekanntlich auf ihrer Epiphanietour schwer beschäftigt mit Autogrammstunden und Liveauftritten waren.

Als man dann jedoch die Nudeln abschreckte und sich dazu anschickte, die Tomatensauce italienischer Art zuzubereiten, gab es einige kleine Probleme, die erste Anzeichen einer mittleren Katastrophe sein sollten.

Zuerst zeigten sich die Zutaten recht widerspenstig, und selbst Nabiki, die mit dem Kochen an und für sich vertraut war, wurde vor einige Schwierigkeiten und Probleme gestellt.

Sollte Tomatensauce wirklich... nunja, eine violette Farbgebung zeigen und nach totem Fisch riechen?

Sie bezweifelte es stark, doch konnte sie sich auf diese Merkwürdigkeiten keinen Reim machen. Es war wie verhext!

Als man jedoch den letzten Schritt bis zu einer fertigen Sauce gehen wollte - das Hinzufügen einer original italienischen Gewürzmischung einer mexikanischen Firma, auf deren Etikett kleingedruckt "made in china" geschrieben stand - entwickelte die Sauce ein unheilvolles Eigenleben. Zuerst stiegen bedrohliche Blasen eines grünen Gases aus den Tiefen der unansehnlichen Pampe hervor - doch beide Meisterköche dachten sich vorerst nichts dabei.

Als Nabiki dann mit der Gewürzmischung drohte, beschloss die unappetitliche Flüssigkeit, sich zu wehren.

Zuerst war die Welt erfüllt vom gleißenden Lichte, das verschlang Himmel, Erd' und jed' Lachen der Menschheit. Dann die Welt wurd' gestürzt in Dunkelheit und mit mittlerweile wässrig roter Tomatensauce besprenkelt.

Erst dann, nachdem sich die klebrige Substanz abenteuerlustig auf die nähere Umgebung - die zwei Meisterköche und die Kücheneinrichtung - stürzte, bequemte sich der Schall, seinen Beitrag zur Explosion mit einem krachenden Knallen, dem Zorn Kami-samas donnergrollender Faust nicht unähnlich, beizusteuern.

Da standen sie also. Ryoga mit beidseitigem, temporären Tinitus, großen, erschrockenen Augen und immer noch erhobenem Rührlöffel in der Hand, von oben bis unten mit der niederträchtigen Sauce vollgespritzt. Nabiki sah mit ihrer kalkweißen Haut und unter dem stark zu ihrer Blässe kontrastierenden, roten Saucefleck auf ihrer Nase ebenfalls milde überrascht aus.

Sekunden verstrichen, in denen nichts geschah.

Ryoga spürte, wie etwas Klebriges, feuchtes und warmes seine Wange hinunter gen Erde kroch. Nabiki sah ihn an...

Und simultan brachen beide in unkontrollierbares Gelächter aus. Wirklich komisch war an ihrer ruinierten Kleidung und der Küche, die einem Schlachtfeld glich, auf dem sehr, sehr viel Blut vergossen wurde, beileibe nichts...

Doch könnte man ihr minutenlanges Lachen wohl auf mehrere Faktoren zurückführen: Die Nachwirkungen des Schocks, die leise Verzweiflung angesichts der "Blutlachen", die es zu bereinigen galt, Globalisierung, Treibhauseffekt, Ozonlöcher und natürlich: Die angriffslustige Sauce.

Vom Lachen erschöpft stellte Nabiki die Gewürzmischung achtlos auf die Ablage, wischte sich die Lachtränen aus den Augen und half dann einem Ryoga, der sich immer noch irre glucksend den Bauch hielt, zu einem Küchenstuhl, bevor sie neben ihm Platz nahm. Schweigen kehrte ein, als sie gemeinsam das Ausmaß der "Rache der Jedi-Pampe" in Augenschein nahmen. Ein widerwärtiges, auf eine sonderbare Weise gedehntes Platschen zäher, dickflüssiger Flüssigkeit auf strahlend weiße, glänzende Kacheln entlockte beider Kehlen ein tiefes, resignierendes Seufzen.

"Ryoga?" Ein aufmerksames Grummeln folgte, während er niedergeschlagen mit trüben Augen einen Tropfen gereizter Sauce auf dem Tisch musterte - das Kinn schwermütig in eine Handfläche gestützt. Mit der anderen Hand näherte er sich verdrossen dem Klecks, um ihn wegzuwischen, musste jedoch erfolglos kapitulieren.

Der Tropfen flüchtete.

Über den Tisch, an dem sie saßen, versteht sich.

"Wie wäre es, wenn du dir eine einfache Sauce aus dem Kochbuch aussuchst und zubereitest, während ich die Sauerei hier weg mache?"

"A-aber ich habe so etwas doch noch nie gemacht!"

"Es ist ganz einfach: Du tust ganz genau das, was in der Anleitung steht, in Ordnung?"

Er sah zweifelnd aus... Aber sie wusste genau, was ihn anspornen konnte.

"Du musst es doch üben! Akanes Traummann muss einfach kochen können. So stand es zwar nicht explizit auf ihrer Wunschliste, aber es könnte letzten Endes ihre Entscheidung stark beeinträchtigen - denk' dran! Ranma kann nicht kochen!"

Ein freundliches Lächeln schenkte sie ihm... wunderte sich innerlich jedoch ein wenig über seine Reaktion. Statt verbissener Entschlossenheit brachte er ihr nur ein undeutbares Schulterzucken entgegen.

Verlor er letzten Endes seinen Kampfeswillen...?

"Du wirst doch jetzt nicht etwa das Handtuch werfen, Ryoga Hibiki?! Nicht jetzt, nachdem ich so viel Zeit, Nerven und Geduld in dich investiert habe! Du weißt ja hoffentlich, dass du unsere kleine Wette in dem Moment verlierst, in dem du aufgibst, oder?"

Darauf hoffend, ihn ein wenig motivieren zu können, lachte sie leicht, überspielte damit ihre nachdenkliche Verwunderung.

Ihr Plan, ihn zu einer positiven Antwort zu animieren, glückte nur teilweise.

Seltsam leer und begeisterungsarm wirkte sein Lächeln, als er nickte, sich an die Arbeit machte und auf spätere Versuche, ihn in ein unbefangenes Gespräch zu verwickeln, reagierte er nur mit knappen Sätzen und zeigte sich recht wortkarg.

So ungewohnt es für sie selbst auch war, sich dies einzugestehen: Sie war ehrlich erstaunt. Erstaunt über die Tatsache, dass er ihr, der bis dato unfehlbaren, über alles und jedem stehenden Menschenkennerin, ein Rätsel war. Natürlich verließ die "Männer in Ausbildung" mit der Zeit ihr anfänglicher Elan, sodass auf frühen Eifer oft erst eine Phase der Mut- und Hoffnungslosigkeit folgte, die dann die letzte Etappe des aktiven Lernens einleitete. Das war durchaus normal und auch statistisch nachzuweisen...

Aber etwas in ihr gab ihr zu verstehen, dass der verlorene Junge sich in dieser Hinsicht ein wenig von all den anderen unterschied. Nun war nur noch die Frage, worin der kleine Unterschied lag...

Von ihrer Tätigkeit, die letzten Reste des störrischen Abendessens durch die Küche zu jagen, sah sie einen Moment auf und warf dem konzentriert arbeitenden Ryoga einen unauffälligen Blick zu. Still arbeitete er, fuhr sich mit einer flüchtigen Bewegung durch den unregelmäßig, franselig geschnittenen Pony, der ihm einseitig die Sicht behinderte. Was nur war anders an ihm?

Dann allerdings musste sie wieder der bereits wieder revoltierenden Sauce ihre volle Aufmerksamkeit entgegen bringen. Endlich hatte sie es geschafft: Sie hatte das Wild in die Enge bzw. in die Ecke getrieben und wartete auf den günstigsten Moment, um mit dem Wischmopp gnadenlos zuzuschlagen.
 

Perplex sah er von dem Kochtopf auf, aus dem bereits köstlich riechende Dämpfe empor stiegen, und zu der jungen Dame, bewaffnet mit einem gefährlich zuckenden Wischmopp, der ein Eigenleben zu führen schien, hinüber.

Erschreckend war am ehesten das bösartige Quieken, welches aus dem Mopp drang.

Doch als er ein ungesundes Platschen und Nabikis Fluchen hörte, wandte er sich wieder gedankenverloren seinem zweiten Kochversuch zu.

"Aaaargh! Hab' ich dich!!"

Ein Krachen, ein zorniges Quieken und eine triumphierende, in roter Pampe marinierte Nabiki später war auch schon das "schnelle Gericht" aus dem "Zwergenkochbuch", das er in Nabikis Küchenschrank fand, fertig zubereitet.
 

Neugierig beugte sie sich über seine Schulter und genoss den Duft einer sicherlich wohl schmeckenden Sauce, der den Hunger nach der Quarpoggelodyssee - Quarpoggel, so nannte sie ihr neues, zufrieden in einem dunklen Eckchen schnurrendes Haustier - schnell wieder weckte.

Doch bevor sie jenen sättigen konnte, musste sie sich wohl erst einmal umziehen...

Ryogas Schaden war relativ begrenzt und noch tolerierbar - sie jedoch hatte nach ihrer Schlacht mit Quarpoggel dringend einen Outfitwechsel nötig. Also trug sie dem wieder einmal ein wenig unsicher wirkenden Ryoga auf, den Salat und die mittlerweile etwas erkalteten Nudeln ebenso wie die friedliche Sauce des zweiten Kochversuches anzurichten, während sie selbst in eine bequeme Jeans und ein weites, altes T-shirt schlüpfte.

Wie sehr sie doch "Homewear" liebte!
 

...
 

Der Moment der Wahrheit war gekommen. Gleich würde sie den ersten Bissen zu sich nehmen...

Den Salat hatten sie erfolgreich hinter sich gebracht, und mit jedem Moment, der tickend von der Küchenuhr verschlungen wurde, fühlte er sich angespannter und nervöser. Wie würde ihr sein Essen schmecken...?

Nun war es so weit... sie drehte die ersten Nudeln auf ihrer Gabel. Zeit ließ sie sich, das musste er sagen - aber Herrgott, war man denn hier in einer Slowmotion-Sequenz gefangen?!

Wie nervenaufreibend langsam sie die Gabel zum Mund führte und...

Er musste sich ablenken. Sonst würde er wahnsinnig werden.

Akane. Sein Butterblümchen. Sein Apfelpfannekuchen. Sein Sahneklecks. Sein...

Ohhhh weh. Sie schluckte.

U-u-und... Und gab einen verzückten Laut von sich?? Er war sich sicher, genau in diesem einen Augenblick in eine Paralleldimension gefallen zu sein. Gleich würde Legolas auftauchen und wieder einen seiner mordsphilosophischen Sprüche ablassen, so von wegen "Mich dünkt, des wird heut' en Ha-mm-er-tach. Die Sonne geht voll blutrot auf, ey. Echt dufte.". Dann würden Frodo und Aragorn gestehen, dass sie schon seit längerem ein intimes Verhältnis pflegen - obwohl sie gar nicht gefragt wurden - und Sam würde endlich in die "Gewerkschaft der von Beutlins gebeutelten Hausmädchen" eintreten. Dann fehlte ja nur noch so'n Superbonsai, der allen Leuten nicht nur die Blumenliebe ans Herz legte, sondern auch noch total verpeilt verkündete, Gandalf würde leben. Ja klar! Als ob der alte Knacker noch mal aus seiner stylischen Gruft rauskraxeln könnte... Da lachen ja die Orks!

Er war so in seine Argumentation vertieft, die eindeutig belegte, dass er einen Hörschaden hatte und Nabiki Tendo sich einfach nicht zufrieden angehört haben konnte, dass er beinahe den Satz seines Gegenübers nicht gehört hätte.

"Das ist vorzüglich... "

Okay, hiermit war es dann offiziell: Er halluzinierte. Es war schlichtweg unmöglich, dass er seine Sache auf Anhieb gut gemacht hatte!

So sollte ihn dann doch noch milde Kritik treffen.

"Echt gut! Aber noch nicht gut genug. Mir persönlich schmeckt es sehr gut, auch wenn vielleicht ein wenig Salz fehlt... Aber Akane mag lieber einen würzigeren Geschmack. Es muss perfekt sein. Du darfst nicht aufgeben - du musst so lange üben, bis du perfekt bist. Vergiss nicht - niemand möchte beispielsweise ein Pferd kaufen, dass nur drei Beine hat. Von einem Pferd erwartet man, dass es vier Beine hat.

Es kommt nicht darauf an, ob dir etwas schmeckt, oder ob du denkst, etwas sei gut so, wie es ist. Es zählt ganz allein, wie sie darüber denkt. Nur wenn du ihre Erwartungen erfüllst und ihren Wünschen weitgehend entgegen kommst, dann bist du perfekt für sie."
 

Einen Moment lang sah sie ihn an und beobachtete seine Reaktion. Anhand seiner hängenden Schultern und seinem traurigen, ausweichenden Blick konnte sie erkennen, dass er ein wenig enttäuscht war. Innerlich seufzte sie, fuhr dann jedoch fort.

"Wir von Cupid werden dafür bezahlt, jungen Frauen den perfekten Mann hübsch verpackt auf einem silbernen Tablett als Geschenk zu servieren. Glaube mir: Es gibt keinen perfekten Menschen. Ich helfe dir nur in Akanes Augen perfekt zu erscheinen und das darzustellen, was sie glaubt, zu suchen. Also übe daheim immer fleißig!"

Er nickte nur und begann ebenfalls mit seiner Mahlzeit.
 

"Ryoga?"

Ohne es wirklich zu wollen, sah er auf und in ihr lächelndes Gesicht.

"Das ist wirklich lecker! Danke."

Er konnte der Wirkung ihres Lächelns nicht widerstehen und sah sich hilflos dazu gezwungen, mit einer Mischung aus Stolz und Unbehagen ein wenig einfältig zurück zu grinsen.
 


 


 

Tag 4 - Lektion 8: Vergiss sie. Lektion 9: Was wir uns wünschen ist meist nicht das, was wir wirklich wollen.
 

Wieder begrüßte ihn das aristokratische Flair der edlen Boutique, als er aus der Umkleidekabine heraustrat, dieses Mal schlichter, dennoch wirkungsvoll gekleidet.

Der Laden im Einkaufszentrum "C- 4all", den sie durch eine Hintertür betraten, war leer - dank der späten Stunde, zu der er für gewöhnliche Kunden längst die Pforten geschlossen hatte und zu der er mit seinem Coach letzte Vorbereitungen für das Date am nächsten Tag mit seinem geliebten Honigküchlein traf. Schließlich sollte alles perfekt sein.

Misstrauisch, mit einem Male nervös dachte er an das für ihn fremde Gefühl der stilvollen Bügelfalten seiner schwarzen Stoffhose gegen seine Haut und an das strahlend weiße Hemd, welches nun seine durch dessen Schnitt breiter wirkenden Schultern umschmiegte.

Ein goldener Lichtreflex auf seidigem, hellbraunem Haar riss ihn aus seinen Gedanken und zwang ihn, aufzublicken.

Wie versteinert stand er nun da und starrte sie an.

Lange, schlanke Beine - bequem, trotzdem haltungsvoll, übereinander geschlagen, den Oberkörper gerade aufgerichtet saß sie da: Den Blick auf den Flachbildschirm ihres Laptops fixiert, welcher die Oberfläche eines kleinen, geschmackvollen Beistelltisches zierte. Der dahinterstehende, schwere Sessel mit Brokatüberzug hingegen wurde von der Schönheit eines Engels beehrt.

"Und w-wie ist das?"

Nur flüchtig sah sie ihn mit ihren Augen aus geschmolzener Schokolade an, musterte ihn kurz, richtete dann jedoch wieder ihren Blick auf ihren Laptop.

Zwischen dem Tippen ihrer schnellen, schlanken Finger auf der Tastatur und dem periodischen Klackern des Deckenventilators konnte er ihre melodische Stimme nur leise, trotz allem jedoch klar und deutlich hören.

"Kommt darauf an, wie du wirken möchtest. Zur Zeit noch nichtssagend."

Irgendetwas in ihm zog sich bei diesen Worten zusammen. Kalt wie Eis, gleichgültig, teilnahmslos war sie. Nichts erinnerte mehr an die fröhliche, junge Frau, die nur in der Umarmung ihrer Familie wirklich aufzublühen schien.

Das alles, was ihm so wichtig war... War für sie nur ein Geschäft. Er war für sie nur eine Anlagemöglichkeit. Kühl schenkte sie, die "Göttin der Liebe", jedem einsamen, verzweifelten Herz die Chance, glücklich zu sein.

Sie selbst jedoch blieb immer allein. Wie gerne würde er wissen, was sie zu diesem Menschen gemacht hatte, der nun vor ihm saß: All business - Geschäftsanzug, elegante, makellose Haltung. Tadellos, korrekt in allen Lebenslagen.

Verbittert.

Das ihn verzehrende Verlangen, sie kennen zu lernen, war ihm ungewohnt.

Für ihn war sie ein Buch mit sieben Siegeln - nicht eines hatte er brechen können. Der Gedanke, ihre komplexe Persönlichkeit nie ergründen zu können, nagte an ihm. Wer war sie wirklich? Warum suchte ausgerechnet sie, die auf den ersten Blick vollkommen gefühllos war, sich den Job des Liebesengels aus?

Doch würde er sich nie trauen können, sie solche Dinge zu fragen.

Er war ein Feigling.

Hatte keinen Mumm.

Nicht wirklich hatte er ihr zugehört. Unbewusst antwortete er, ohne über seine Antwort nachzudenken - nur vom Strom seiner verworrenen Emotionen geleitet.

Und wollte sich schon gleich im nächsten Moment dafür auf die Zunge beißen.

"Lässig, verführerisch. Leidenschaftlich. Ich möchte sie... für mich gewinnen."

Dies ließ sie, die Göttin der Liebe, nun doch aufblicken. Ihre delikaten Gesichtszüge nahmen eine nachdenkliche, berechnende Natur an. Eine Augenbraue fragend angehoben sah sie ihn aus ihren unergründlichen, dunklen Augen konzentriert an - eine einzelne Strähne weichen Haares aus dem Verbund losgelöst, von ihr unbeachtet in ihre Augen fallend.

Der bläuliche Schein auf ihrem Gesicht, vom Monitor des Laptops auf ihre helle, makellose Haut geworfen, legte einen Schleier der Unwirklichkeit über ihn. Die Worte waren ausgesprochen. Nicht mehr rückgängig zu machen.

Angespannt folgte er ihren geschmeidigen Bewegungen.

Nur mit Faszination ließ sich der tranceartige Zustand beschreiben, in den er gefallen war.

Verwirrt fuhr er sich mit der Zungenspitze über die plötzlich trockenen Lippen. Was war nur los mit ihm? Was war nur an der kreisenden, zarten, fast sanften Bewegung ihres Indexfingers auf dem Mouseboard des Laptops so vereinnahmend, dass er nicht anders konnte, als ihr bei ihren präzisen Befehlen an die Gerätschaft vor ihr zuzusehen?

Leicht und kühl würden sich diese Finger auf seiner erhitzten Haut anfühlen. Fast schon konnte er sie spüren... Diese Berührungen entlang der Sehnen und Muskeln seines Halses, die...

Erschrocken schüttelte er heftig seinen Kopf. Was dachte er nur da?! Fest schloss er seine Augen und massierte sich, verärgert über sich selbst, mit seiner rechten Hand die Nasenwurzel. Migräne im Anflug. Er konnte es fühlen.

Scharf sog er die Luft ein, als er ihre in der Tat kühlen Finger an seinem Hals spürte, perplex riss er seine Augen auf und sah - das Antlitz einer Göttin. Nur 20 cm von seinem eigenen Gesicht entfernt.

Unsicher flohen seine Augen zu ihrem Laptop. Der Laptop, der nun friedlich mit heruntergeklapptem Monitor auf seinem Mahagonitischchen ruhte.

Was ihn mehr besorgte, das wusste er nicht - sein unregelmäßiger, mit Sicherheit viel zu hoher Puls, oder ihre ungewohnte Nähe.

Hilflos gegen sein Verlangen, sich diesen Berührungen, wie die Liebkosung des wiedergeborenen Frühlingswindes, einfach hinzugeben und entgegen zu lehnen, schloss er seine Augen und sah den Weg ihrer Hände mit seinem inneren Auge. Seine Geduld strapazierend gedehnt, langsam, wie eine Katze, deren Beute wehrlos zu ihren Pfoten liegt, öffnete sie die obersten zwei Knöpfe seines Hemdes und schlug seinen Hemdkragen ungleichmäßig auf.

Ein wohliger, elektrisierender Schauer jagte ihm über seinen Körper, als er ihre mit einem Male trägen Hände seine Oberarme, seine Unterarme bis zu seinen Handgelenken herab streichen spürte.

Warum nur hatte er Schwierigkeiten, seinen Atem zu finden - jedes Mal, wenn der ihre über seine scheinbar glühende Haut geisterhaft streifte?

Hastig löste sie die Hemdknöpfe an seinen Handgelenken und schlug die Ärmel grob, unordentlich zurück. Seinen Körper dürstete es nach ihrer Umarmung, nach den Berührungen ihrer Hände, die so talentiert darin waren, ihm in der Einfachheit eines kurzen Hautkontaktes den Verstand zu rauben.

Nur ein einziges Mal dachte er an sie. An sie, deren Bild ihn auf seinen Reisen stets in seinem Herzen begleitete und Kraft spendete.

'Verzeih mir, Akane.'

Schmerz, die Sinne nur für den Bruchteil einer Sekunde klärender Schmerz, registrierte er nur beiläufig, als er sich auf die Unterlippe biss, um jeden Laut der Verzückung, des Genusses ihrer ihm gegönnten Aufmerksamkeit zu unterdrücken. Beiläufig aus eben jenem Grunde, der ihn und seine Gedanken in eine andere, weit entfernte Realität trugen: Ihr Atem warm, einladend auf seinem Gesicht, eine ihrer Hände seine Haare leidenschaftlich - ja, er fand einfach kein anderes Wort, um diese ihm vermittelten Regungen zu beschreiben - zerwühlte, während deren spielerische Schwester an seiner Taille entlang wanderte und ungeduldig, harsch sein Hemd einseitig aus seiner Hose zog.

Doch dann - hörte sie einfach auf.

Erstaunt öffnete er seine verklärten Augen und blickte direkt in ein schimmerndes, glänzendes Meer aus den unterschiedlichsten Emotionen. Unbewusst registrierte er, dass sie auf ihren Zehenspitzen stand, um mit seinem Gesicht auf einer Höhe zu sein, dass das letzte Licht des Tages nun vollständig verschwunden und von den Winden der Nacht geschluckt worden war.

Ihre Hände zogen sich von seinem Körper zurück. Sie wandte sich von ihm ab, ging mit steifen, zielsicheren Schritten auf ihren Laptop zu und begann, diesen sicher in ihrer Tragetasche zu verstauen.

War jenes Gefühl, welches ihn innerlich zu zerreißen drohte, Enttäuschung? Sehnsucht? Sehnsucht nach ihr?

Kälte umschloss sein Herz mit gnadenlosem Griff. Nach wem? Nach ihr, Nabiki? Oder nach ihr, Akane?

Und dann fühlte er sie. Scham.

Wie konnte er nur? Wie konnte er sich nur von ihr, von Nabiki, auf diese Art und Weise berühren lassen? Wenn er doch sie, seine süße, kleine Akane, liebte?

Dann stand sie, Nabiki, auf einmal wieder vor ihm und riss ihn mit ihrer Stimme aus seinen Gedanken.

"Wenn du schon meine sogenannte "professionelle Hilfe" so dringend vor deinem ersten Date mit meinem Schwesterherz benötigst, dann begutachte wenigstens mein Werk. So viele Spiegel sind hier - und du hast dich noch nicht einmal in einem einzigen bewundert. Lässig, verführerisch, leidenschaftlich. Gewinnend. So, wie du es wolltest. Jetzt bist du perfekt."

Etwas an ihrem Lächeln war falsch, aufgesetzt. Gezwungen. Auch ihr spaßender Ton klang alles andere als belustigt. In ihren Augen sah er etwas ganz anderes als Freude...

Ein Gefühl, so rein, so überwältigend traurig, dass es ihn in seinem ganzen Wesen erschütterte.

Das warme, gedämpfte Licht umarmte ihre noch nie so zerbrechlich wirkende, schutzbedürftige Figur wie ein fürsorglicher Liebhaber. Helle Lichtreflexe tauchten ihre seidig glatten Haare in goldenen Honig.

Wieder schämte er sich. Dieses Mal jedoch nicht für seine Untreue.

Sondern für seine Selbstsucht.

Was machte er sich Sorgen darum, was Akane von ihm denken könnte, sähe sie ihn in solchen Momenten mit anderen Frauen als ihr?

Jenes Wesen, der Engel, der ihm seine spärliche Freizeit schenkte, um ihn glücklich zu machen, litt. Und er, er...

Er dachte ununterbrochen nur an sich und an sein Glück.

Die Gründe für diese Emotionen in ihren Augen waren ihm vollkommen unbekannt, doch wollte er sie wissen. Er wollte ihr der Freund sein, der sie für ihn war. Er wollte ihr helfen. Er wollte sie wieder unbeschwert lachen sehen.

Er wollte sie wirklich kennen lernen.

Doch war er zu feige.

Er schwieg.

Schwieg, als er sich umdrehte und in einen der vielen Spiegel starrte.

Schwieg, als sie die Boutique verließen.

Schwieg, als sie ihm Glück für seine Verabredung am darauffolgenden Tag wünschte.

Schwieg, als sie Akane mit dem Titel "Liebe seines Lebens" bedachte.

Schwieg, als sie sich nach hundert Metern ihres Weges in Einsamkeit noch einmal umwandte und ihm freundschaftlich zuwinkte.

Schwieg, als eine einzelne, heiße Träne über seine Wange lief.
 

...
 

Angenehm kühl verwöhnte der smaragdgrüne Bettbezug ihre von ihrem leichten Top und ihren weiten Shorts unbedeckte, glühende Haut, als sie ausgestreckt auf ihrem Rücken lag und die Zimmerdecke ihres Apartmentschlafzimmers betrachtete.

Unstet fuhr sie sich mit ihrer Hand durch die noch vom ausgiebigen Baden in beinahe siedend heißem Wasser feuchten, kurzen Haare und seufzte.

Sie war ein Dummkopf.

Was ist wohl schlimmer? Es nie zu realisieren, oder es ganz genau zu wissen? Ignoranz kann ja so wundervoll sein...

Wieder einmal zeigte sich ihr unabstreitbares Talent darin, andere Menschen glücklich zu machen. Sie zu verändern, sie zu formen, bis sie perfekt sind.

Ryoga Hibiki war es. Perfekt. Perfekt, für ihre kleine Schwester. Ganz nach ihren Wünschen hatte sie diesen armen Jungen zu etwas gemacht, was er nicht war.

Das Auge, ja - dieses war zufrieden mit dem, was es im Spiegel sah. Ein Herzensbrecher, ein Romantiker. Ein Dichter und ein Bauarbeiter. Alles und nichts. Das Kind, mit welchem sie ihr bekanntes, verhasstes Puppentheater gespielt hatte.

In viele Kleider, Roben und Gewänder hatte sie ihn gehüllt.

Mit vielen Farben hatte sie sein Gesicht bemalt.

Doch ist das wirklich das, was sich die Menschen wünschen? Schönheit - vom Skalpell mit blutiger Tinte gezeichnet. Manieren - nichts als antrainierte Verhaltensmuster. Ein Charakter, wie ein Computer organisiert, fehlerfrei.

Ist das Liebe? Ist das Glück?

Besaßen sie keinen Stolz?! Sie, all jene Männer, denen sie ihre Seele nahm? In Gussformen ließen sie sich gießen, genossen Krawatten als Halsbänder und erstickten an ihnen. Sahen sie denn nicht, dass all ihr Glück, all die Liebe, nach denen sie sich so sehr sehnten - dass all das falsch war? Nichts weiter, als eine Illusion? Wie konnte man von jemandem geliebt werden, der einen nur dann akzeptiert, wenn man seinen Wünschen entspricht? Wenn man sich in die Gefangenschaft von Träumen perfekter Schatten begab? Wenn man sich selbst aufgab, sich selbst, den Menschen, der man tatsächlich war.

Wenn man die Vergangenheit leugnete, vergangenes Pech verdrängte, vergangenes Glück ehrlicher Freuden verachtete.

Wie hieß es noch? Für die Liebe muss man Opfer bringen. Doch ist solch ein großes Opfer wirklich das wert, was man im Gegenzug als sogenannte "Liebe" empfängt?

Warum fragten sie nicht? Warum weinten sie nicht? Warum schrieen sie nicht?

Warum sehnten sich nicht nach der Wirklichkeit?

Müde, seelisch erschöpft, schloss sie ihre Augen und presste ihre Handflächen sanft gegen die Bettdecke, auf der sie lag. Die glatte, seidige Textur verwöhnte ihre feinfühligen Fingerspitzen, gab ihnen den vergänglichen Kuss des sanften Frühlingshauches.

'Ryoga... Verzeih mir.'

Was hatte sie ihm nur angetan? Warum hatte sie sich nur auf dieses gefährliche Spiel eingelassen?

'Akane, Ranma... Verzeiht mir.'

Nicht nur hatte sie Ryoga zu dem gemacht, was sie in einem jener verdammten Spiegel gesehen hatte. Auch hatte sie das wahre, das echte, das wirkliche Glück ihrer geliebten Schwester in einer Welt voller Trugbilder riskiert. War es zu spät, um für Misserfolge zu beten? Um auf Fehler im perfekten System zu hoffen?

War sie denn die einzige, die hinter all den fragilen Gebilden aus Milchglas die Wahrheit erblickte?

Die einzige, die ewig allein bleiben würde?

Ein bitteres Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Die, welche die Träume aus Seifenlauge spann, würde wohl ewig einsam sein.

Ein Wispern. Zu leise, um gehört zu werden - zu laut, um ein Schatten der Imagination zu sein.

"Macht doch alle, was ihr wollt." Kraftlos rollte sie sich auf ihre Seite und zog die Knie nahe an ihren Körper.

"Denkt ihr, so werdet ihr glücklich? Wirklich glücklich?!" Nur gebrochene Silben klangen im stillen, leblosen Raum des Zimmers nach. Ungleichmäßig, ja, vollkommen ungeregelt, die Intonation der einzelnen Worte. Abwechselnd an- und abschwellende Lautstärke - golden ihre Tränen im Licht ihrer Nachtischlampe.

"Narren. Aber denkt ihr, mich würde es kümmern?! Es..."

Wo nur? Wo war nur die Leidenschaft hinter ihren Worten? Die Überzeugung, mit der sie jeden Geschäftspartner gefügig machte?

"... ist mir so egal. Ich bin glücklich. Alleine, einsam - aber glücklich. Ich brauche euch nicht."

Allein. Einsam. Glücklich?

Völlig unvorbereitet erschien ihr unerwartet sein Bild vor ihren Augen. Er, der ihr Versteck entdeckte, ohne es zu wissen. Wie töricht von ihr. Hatte sie geglaubt, er, der Ort, an dem sie ihr Herz begraben hatte, würde nie gefunden werden?

"Auch dich brauche ich nicht." Hilflos schloss sie ihre Augen, als die Quelle brennend heißer Tränen nicht versiegen mochte. Ihre in ihrer Bettdecke gekrallten Hände verstärkten kurzzeitig ihren Druck, sodass ein ungesundes Weiß über ihren Fingerknöcheln hervortrat, ließen dann jedoch abrupt los.

"Ich brauche niemanden."

Zerbrochen lag sie auf ihrem Bett, sich selbst für ihre Schwäche, für ihre Tränen hassend. Jeder Versuch, sich selbst einzureden, sie mache gerade eine emotionale, stressbedingte Phase durch, die in Kombination mit ihrem hormonellen Zyklus einen Zusammenbruch der sonst uneinnehmbaren Mauern verursachte, scheiterte.

Erinnerungen, Bilder vergangener Zeiten, stiegen in ihr auf. Doch wehrte sie sich dieses Mal nicht gegen sie - sie empfing sie mit offenen Augen und dem Blick verlorener Hoffnung.

Sein kritischer Blick. Seine Forderungen. Seine Wünsche. Seine widerwärtige Zufriedenheit, kam sie der Person, die er eigentlich an seiner Seite wissen wollte, einigermaßen nahe.

Ihr naives Glück. Ihre Schmerzen. Ihre Enttäuschung.

'Nabiki, warum hast du nicht ihr seidiges Haar? Warum nicht ihre süße Stimme? Warum nicht ihre unschuldigen Augen? Warum bist du nicht so, wie deine Schwester Nabiki? Warum kannst du nicht einmal so sein, wie sie... Wie...'

Was konnte sie dafür? Was konnte sie dafür, dass sie nicht so perfekt wie sie war?

Quälende Selbstverachtung riss ungeduldig an ihr - voller Vorfreude auf Tränen, voller Sehnsucht nach ihren Schreien. Wie konnte sie sich nur so weit dazu herablassen, für irgendeinen bedeutungslosen Mann jemand anderes sein zu wollen, als sie es war? Sie war nur sie selbst, Nabiki Tendo, niemand sonst...

Doch für ihr törichtes "Glück" hatte sie versucht, jemand anderes zu sein. Um seinen Ansprüchen zu genügen. Er war nur einer von vielen an ihrer Schule. Nichts besonderes. Vom Zufall auserkoren.

Einer von vielen. Einer der vielen, die sie liebten.

Verzweifelt hatte sie versucht, ihren Platz in seinem Herzen einzunehmen, ohne zu erkennen, somit nur zu einem unbefriedigenden Ersatz zu werden, der einfach nicht ans Original heran kam.

"Akane, Schwesterherz. Es sieht ja fast so aus, als ob jeder Mann, der mir in irgendeiner Weise etwas bedeutet, in deinem Netz gefangen ist. Vater. Kohanji und... ja, Ryoga. Immer warst du Vaters Liebling... Kohanjis Herz hast du, ohne es einmal zu wissen, aus meinen bebenden Händen gerissen. Und nun auch noch Ryoga... Was auch immer er mir bedeutet, es ist gleich. Ich brauche ihn nicht, um glücklich zu sein. Doch beantworte mir nur eine Frage, Schwesterchen. Nur eine einzige. Warum kann ich dich nicht dafür hassen? Warum kann ich dich nicht dafür hassen, mich für alle Zeit mit Einsamkeit zu strafen?"

So sehr sie auch flehte, bettelte... Sie erhielt keine Antwort. Nur Stille begegnete ihren Ohren, nur Leere ihren geröteten Augen, als sie mit verschwommenem, trüben Blick in ihrem Zimmer unbestimmt umhersah und ihre Aufmerksamkeit auf keine Besonderheit ihrer teuren Einrichtung fixierte.

Teuer, die Einrichtung. Speziell angefertigt, mit Bedacht von einem Innenarchitekten arrangiert.

Kalt, leer.

"Das ist also mein Leben. Dies hier mein Zuhause... und die Bruchstücke meines verloren geglaubten Herzens als Zeichen meines Liebeslebens."
 

...
 

Seine Augen öffneten sich langsam und weiteten sich, als er seiner Umgebung gewahr wurde. Er befand sich doch tatsächlich vor seiner Wohnung!

Vor der Wohnung, welche ihm Nabiki verschafft hatte.

Wie konnte das sein? Wie hatte er nur den Weg zu dem Ort gefunden, an den er tatsächlich gelangen wollte?

Aufgeregt blickte er sich noch einmal um und versicherte sich, dass er sich tatsächlich vor seiner Haustür befand.

Er... Er hatte es geschafft!! Einmal hatte er sich nicht verlaufen!!!!

Welch ein Freudentag!

Doch verwunderlich war es schon... irgendwie. Nicht nur, dass das Unmögliche geschah und er seinen Weg gefunden zu haben schien. Warum war er vor seiner Tür eingeschlafen? Und warum war das letzte, woran er sich erinnerte, das seltsamerweise sich unaufhaltsam nähernde Pflaster des Bürgersteiges?

Wie lange hatte er wohl geschlafen...?

Freudig erregt sprang er auf seine Füße und wollte sich gerade umwenden, um seine Tür aufzusperren, als ihm das Stück Papier auffiel, welches wohl auf seiner Brust gelegen hatte und mit seinem Aufstehen auf den Boden gefallen war.

Voller Neugier hob er den in der Mitte gefalteten Zettel auf, entfaltete ihn und richtete seine Augen auf die ordentlich geführten Striche der Schriftzeichen.

"Sehr geehrter Herr Hibiki...

Da ich Ihnen auf Auftrag des Fräulein Tendos hin folgte und Sie bewusstlos vor einer eingedellten Straßenlaterne liegend fand, hielt ich es für das Beste, Sie vor Ihrer Tür abzusetzen.

Da ich Ihren Türschlüssel nicht fand, musste ich Sie auf Ihrer Türmatte zurücklassen.

Einen schönen Abend noch."

Die Enttäuschung traf ihn. Hart. Also... hatte er es wieder nicht geschafft. Wieder einmal war er zu unfähig, um ohne fremde Hilfe an seinem Ziel anzukommen.

Er war so erbärmlich.

Er war wirklich ein verlorener Junge. Immer war er auf der Reise, auf der Suche - doch nie kam er an einem Ziel an.

So musste er auf solche Hilfsmittel jenen Seilzug, den er in diesem Moment mit seinem Körper über den Gürtel verband, vertrauen. Nicht die kleinsten Wegstrecken konnte er ohne Hilfe bewältigen.

Das Gefühl des Hungers ignorierend und Nabikis Rat, jeden Abend das Kochen an einfachen Gerichten zu üben, bewusst missachtend ließ er sich direkt ins Bad an der Küche vorbei weiter transportieren.

Einen Moment zögerte er, bevor er sich vor dem Waschbecken angelangt ausklinkte. Was, wenn dies, seine mangelnde Kocherfahrung, letztendlich der kleine Fehler war, der ihn seine glückliche Beziehung mit Akane kostete?

Wieder hörte er die Stimme der Person in seinem Kopf, die er in den letzten Tagen einfach nicht mehr vergessen konnte. Ständig begegnete er Dingen, die ihn an sie erinnerten.

"Das ist gut... Aber noch nicht gut genug. Mir schmeckt es sehr gut, auch wenn vielleicht ein wenig Salz fehlt... Es muss perfekt sein. Du darfst nicht aufgeben - du musst so lange üben, bis du perfekt bist. Vergiss nicht - niemand möchte beispielsweise ein Pferd kaufen, dass nur drei Beine hat. Von einem Pferd erwartet man, dass es vier Beine hat.

Es kommt nicht darauf an, ob dir etwas schmeckt, oder ob du denkst, etwas sei gut so, wie es ist. Es zählt ganz allein, wie sie darüber denkt. Nur wenn du ihre Erwartungen erfüllst und ihren Wünschen weitgehend entgegen kommst, dann bist du perfekt für sie. Wir von Cupid werden dafür bezahlt, jungen Frauen den perfekten Mann hübsch verpackt auf einem silbernen Tablett als Geschenk zu servieren. Glaube mir: Es gibt keinen perfekten Menschen. Ich helfe dir nur in Akanes Augen perfekt zu erscheinen und das darzustellen, was sie glaubt, zu suchen. Also übe daheim immer fleißig!"

Wütend, ohne den Grund seiner Wut zu verstehen, zog er die Augenbrauen zusammen und fixierte sein Spiegelbild mit einem düsteren Blick, während er nach der Zahnpaste griff. Und wenn schon! Wenn er nicht perfekt kochen konnte, dann musste die liebe kleine Akane eben nur ein 3-Sternemenü statt der üblichen 4 akzeptieren! An diesem Abend würde er sicherlich keinen Kochtopf mehr anrühren!

Fester als nötig schrubbte er sich regelrecht die Zähne und schnitt seinem scheinbar mit Tollwut infizierten Spiegelbild eine unansehnliche Grimasse. Wie war das noch?!

"Zahnhygiene ist besonders wichtig! Ein strahlendes Lächeln macht einen guten Eindruck, lockert die Stimmung, lindert die Nervosität des Gegenübers; frischer Atem gestaltet die Unterhaltung gleich viel angenehmer."

Ach? Er sollte sich in Zahnseide einwickeln und am laufenden Band TickTack's fressen?!

Ungeduldig spülte er seinen Mund aus, zerrte sein Hemd über seinen Kopf und feuerte es achtlos in eine Ecke des Badezimmers.

Sein hitziger Blick ruhte wieder auf seinem Spiegelbild, genauer gesagt musterte er seinen Oberkörper. Moderater Brustkorb, relativ schmale Taille, ausgeprägte Muskulatur.

Spöttisch lachte er und sah seinem Ebenbild in die zornig funkelnden, dunklen Augen, über denen lange, kunstvoll geschnittene Strähnen nun unordentlich hingen. Rau, dunkel klang seine Stimme, als seine Gedanken zu Akanes Fragebogen glitten.

"Soso, Akane. 'Sportlich bis durchtrainiert'?! Mal sehen, genügt das? Ja, nicht übel, ne? 'Meerblaue Augen', wie die wilde, unbezääähmbare See direkt vor'nem Kelpwald?! Sorry. Das kann ich dir nicht bieten."

Der Blickkontakt mit seinem Spiegelbild begann, sich durch weitere, herabfallende Strähnen schwarzen Haares zu erschweren. Frustriert erinnerte er sich der Tortur unter den perfekt manikürten Händen seiner 'Friseuse', als er sich mit einer bebenden Hand die Haare zurückstreichen wollte - mit Scham gedachte er seiner Hilflosigkeit.

Wo war die süße, kleine Akane gewesen, als er stumm nach Hilfe schrie, als "Mary" ihm näher kam, als ihm lieb war? Wo war sie, als er sich für sie in jene elenden Kleider gezwängt hatte? Wo war sie, als er ihretwillen kochen lernen wollte, und sich dabei so zum Narren vor ihrer Schwester gemacht hatte, dass ihm schon bei einer vagen Erinnerung an den gesprengten Kochtopf der Nacken vor Scham brannte und sich jener verhasste Rotschleier auf seine Wangen legte?

"Nimm's nicht so schwer. Haare beeinflussen den Gesamteindruck maßgeblich! Mary ist da nur das kleinere Übel! Stelle dir vor, wie Akane bei eurem ersten Date reagiert hätte, hätte sie einen solchen Mopp ungeregelten Haares vor sich gesehen!"

Ihm war ganz und gar nicht wohl, als er an den nächsten Tag und an sein bevorstehendes "Date" mit Akane dachte. Konnte er es vor einer halben Woche nicht abwarten, sich ihr von seiner besten Seite zu präsentieren und ihr zu beweisen, dass er der einzige Richtige für sie war, so sehnte er sich nun mehr Zeit herbei.

Wie sehr hatte er gehofft, das Treffen mit Nabiki würde ihn in seinem Glauben bestärken, würde ihm seine Zweifel und Ängste nehmen! Doch statt dessen hatte es ihn seiner Fähigkeit beraubt, sich selbst einzureden, seine Unlust, zum Treffen am darauffolgenden Tag zu erscheinen, sei die Folge von Nervosität und der Angst, etwas bei jener Verabredung "falsch" zu machen, also Akanes Ansprüchen nicht zu genügen.

Doch er wusste, dass die "Göttin der Liebe" an ihm ein kleines Wunder vollbracht hatte: Er war wohl perfekt für Akane Tendo. Jedem, fast jedem, Kriterium entsprach er, welches sie auf ihrer "Wunschliste" erwähnt hatte. Nichts hatte er zu befürchten.

Und dennoch... hatte er nicht die geringste Lust darauf, zu diesem Treffen zu gehen. Dachte er noch an seine ekstatische Vorfreude auf jene Momente, in denen die Aufmerksamkeit des schönsten Schmetterlings auf Gottes großer, leuchtend bunter Wiese ihm, und nur ihm allein gehörte, so konnte er jetzt nur noch müde lächeln.

Wieder hörte er ihre neckische Stimme in seinem Kopf, und sein freudloses Lächeln weitete sich, änderte sich, wurde zu einem aufrichtigen, ehrlichen Lächeln.

"Du wirst doch jetzt nicht etwa das Handtuch werfen, Ryoga Hibiki?! -

Ihr leichtes, fröhliches Lachen, ihr spielerischer Ton...

"- Nicht jetzt, nachdem ich so viel Zeit, Nerven und Geduld in dich investiert habe! Du weißt ja hoffentlich, dass du unsere kleine Wette in dem Moment verlierst, in dem du aufgibst, oder?"

Erschöpft, doch immer noch lächelnd, schloss er seine Augen und stellte sich noch einmal jene chaotische Szene in ihrer Küche vor. Überall Tomatensaucekleckse, ihre lachenden, strahlenden Augen und ihre spielerisch rügend erhobene Hand, die immer noch die italienische Gewürzmischung mit dem gewissen "Etwas" hielt.

Nein, aufgeben würde er nicht. Sicherlich war er... nur müde. Die ganze Aufregung des Tages forderte wohl ihren Tribut.

Natürlich freute er sich auf seine Verabredung! Seine erste, wirkliche Verabredung - und das mit seiner großen Liebe, mit dem hell leuchtenden Stern am dunklen Himmel der Hoffnungslosigkeit.

Auch, wenn es ihm ein wenig wohler war, sich vorzustellen, wie er Nabiki mit hängendem Kopf geschlagen ein Abendessen spendierte, als seiner heißgeliebten Flamme die ganze Zeit angespannt gegenüber zu sitzen.

Einen letzten Blick warf er auf sein Spiegelbild und verzog beim Anblick seiner braunen Augen sein Gesicht. Er war... Nicht perfekt. Sie wollte blaue Augen.

So wie die von Ranma.

Doch das war egal, hatte sie einmal gesagt. Es war gleich.

Ja... Es würde in Ordnung gehen. Sie, die Göttin der Liebe, hatte Ahnung von ihrem Metier. Immer würde sie wissen, was zu tun war. Ihr konnte er vertrauen und - so seltsam es auch war, sich dies einzugestehen - er tat dies bereits.

Und selbst wenn alles schief gehen würde... So schlimm war es auch wieder nicht, ihr ein Abendessen auszugeben.

Mit jenen Gedanken bettete er sein Haupt auf seinem weichen Kissen und atmete tief durch, roch den ihm nun so vertrauten Geruch der Wohnung, die seine Lehrerin ihm verschafft hatte. So ein weiches Bett, so eine schöne Wohnung...

So ein schönes Lächeln, sah man hinter ihre abweisende Maske. So eine fürsorgliche Natur, ließ sie das Büro verschlossen hinter sich.

So vieles hatte sie für ihn getan - und er hatte sich noch nicht einmal bei ihr dafür bedankt! Nach anfänglichen Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen hatte er gelernt, was es brauchte, um ein Gentleman zu sein. Smalltalk war eine Leichtigkeit für ihn - auch wenn er immer noch nicht wusste, wie das erstaunliche Fräulein Tendo das Wunder vollbrachte, aus dem schüchternen, introvertierten Jungen einen, so wie sie sagte, "charismatischen Entertainer" zu machen. Die Anfänge des Kochens hatte sie ihn gelehrt - und dank seinem neu gewonnenen, ihm unerklärlichen Selbstvertrauen glaubte er, mit etwas Übung ein ganz passabler Koch werden zu können.

Wenn er sich mit der französischen Küche erst angefreundet hatte, würde er sie einmal zu einem hausgemachten Essen einladen. Ja, er würde ihr beweisen, dass sie ihre Zeit, ihre Mühe und ihr Geld nicht sinnlos vergeudet hatte! Stolz würde er ihr die Früchte seiner Arbeit präsentieren!

Mit einem Lächeln auf dem Gesicht umarmte er den seligen Schlaf mit offenen Armen und vergaß für wenige Stunden seine Sorgen, seine Ängste.
 


 


 

Tag 5: Das Date
 

Nicht Luft schien sie gierig einzuatmen - Feuer brannte in ihren Lungen. Stoßweise ging ihr Atem und heftige Schmerzen, die sie als Seitenstechen identifizierte, plagten sie.

Was war noch einmal der Grund für den dämlichen Versuch, mit einem plötzlichen Anfall von Trainingswut und Sportlichkeit die eigene Kondition zu testen und wie eine Irre viel zu schnell für eine Nichtsportlerin wie sie durch den Park, der einen Block von ihrem Apartment entfernt einen kleinen Fleck Natur in einer Welt aus Asphalt und Beton bedeutete, zu laufen?

Mit einem Male hatte sie einen solchen Energieüberschuss empfunden, dass sie das Gefühl hatte, vor lauter angestauter, pulsierender Energie zu explodieren, verschaffte sie sich keine Möglichkeit, all ihre konfusen Gedanken und wirren Emotionen abzureagieren.

"Joggen", schien zu jenem Zeitpunkt eine hervorragende Idee: Sie wollte ohnehin ihr durch ihr letztes Schuljahr unterbrochenes Lauftraining wieder aufnehmen und ganz nebenbei einige Kalorien verbrennen, die ihr schon seit der letzten exzessiven Schokoorgie ein schlechtes Gewissen bereiteten. Außerdem sehnten sich ihre ausgetretenen Laufschuhe mal wieder nach ein wenig Bewegung und Auslauf....

Der eigentliche Grund aber, den sie sich nicht gerne eingestand, war der, dass ihr in ihrer Wohnung einfach alles ein wenig zu viel wurde. Ein Sonntag bedeutete kein Büro und keine Möglichkeit, sich selbst von verwirrend menschlichen Emotionen und Strömungen in ihrem Innern abzulenken. Selbst ihre liebste Freizeitbeschäftigung versprach keine Linderung des Gefühls der Bedrängung, der inneren Einengung, da es sie frustrierender Weise stets an einen jungen Kampfsportler erinnerte, der ungefähr zu diesem Zeitpunkt, an dem sie sich erschöpft auf eine Parkbank fallen ließ und keuchend nach Atem rang, einer Verabredung mit ihrer kleinen Schwester nachging.

Ärgerlich über das eigene, irrationale Verhalten, starrte sie auf ihre Turnschuhe herab, als ob die treuen Treter Schuld für die momentane, geistige Verwirrung wären. Warum nur war sie so furchtbar unkonzentriert? Sie konnte noch nicht einmal seine Daten analysieren und archivieren!

Schweißtropfen perlten kühlend über ihre erhitzte, glühende Haut und ließen sie aufstöhnen. Umwerfend sah sie bestimmt aus - verschwitzt, mit vom Wind zerwühlten Haaren und einer mehr als gesunden, rötlichen Gesichtsfärbung.

Sie war einfach nur nervös, das war alles. Lange schon hatte sie keine Aufträge mehr privat bearbeitet und war diese typische Anspannung einfach nicht mehr gewöhnt, die ja eigentlich aufgrund der erstaunlichen Erfolgsrate Cupids unnötig war. Und außerdem ging es schließlich um das Schicksal ihrer eigenen Schwester!

Ganz nebenbei war sie möglicherweise kurz davor, entweder zwei Wetten und zwei Abendessen zu gewinnen... oder jene zu verlieren.

Dabei wusste sie noch nicht einmal, ob sie Ryoga nun Glück wünschen sollte oder nicht! Einerseits würde er ihr sehr, sehr Leid tun, würde Akane ihn ablehnen. In den vergangenen Tagen hatte er sich zwar nicht konstant, später jedoch mit großem Eifer um Fortschritte bemüht und ihr bewiesen, dass er es durchaus wert war, Akanes Freund zu sein. Ryoga war ein feiner Kerl, das wusste sie nun - und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass die kleine Akane glücklich war.

Andererseits... Was ist Glück? Wäre es Glück für Akane, wenn sie mit einem netten Jungen wie Ryoga zusammen käme, oder wäre es ihr Glück, wenn sie ihrer offensichtliche, wirklichen Liebe Ranma endlich einmal eine Chance geben würde? Die Wetten, nun...

Diese waren eigentlich irrelevant.

Doch sie war es einfach Leid, für andere Menschen entscheiden zu müssen, was für sie Glück war, und was nicht! Niemand hatte sie darum gebeten, niemand bedankte sie bei ihr oder ahnte auch nur etwas von ihren Mühen.

Das Problem lag leider jedoch darin, dass all die dummen, törichten Menschen, die sich an Cupid wandten, selbst nicht wussten, was sie wirklich wollten, was ihnen unter Umständen wahres Glück und Zufriedenheit bescherte.
 

...
 

Eine durstige Fliege war auf ihrem vergessenen Löffel, der in ihrer Handfläche unbenutzt ruhte, gelandet und krabbelte einen Moment lang in dessen Kuhle herum, bis sie sich an ihrem Eisbecher, dessen Inhalt in der warmen Frühlingssonne längst den Aggregatszustand gewechselt hatte, gütlich tat. Sie schien es nicht einmal zu bemerken.

Mit gelangweilter Faszination realisierte er, dass an dem Gerücht etwas dran sein musste, dass Frauen theoretisch keinen Sauerstoff benötigten, solange sie ihrem ausgeprägten Kommunikationstrieb nachgehen konnten.

Ihr, wenn auch sehr hübsches, Mundwerk ruhte nicht einen Moment lang still. Selbstverständlich hatte er den Worten seiner strengen Lehrerin Glauben geschenkt, als diese ihm eröffnete, ein strahlendes Lächeln und einige warme, schmeichelnde Worte brächen das Eis, doch hätte er sich einen solchen Effekt nicht einmal in seinen kühnsten Träumen erhofft - was in seinem Falle einiges heißen mochte.

Anfänglich noch unsicher und schüchtern schien sie schnell aufzutauen und eine Verbundenheit zu ihm feststellen zu können. Doch seltsamerweise reagierte er anders auf diese ungewohnte Nähe zu ihr, als er es geglaubt und von sich erwartet hatte. Sie war ja ganz niedlich und all das, aber irgendwie...

Irgendwie raubte ihm ihr konstantes, pausenloses Geplapper ein wenig die Nerven. Natürlich war es unbeschreiblich wundervoll, ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu genießen und die Früchte der wahrlich harten Arbeit der letzten Tage reifen sehen zu können, jedoch konnte er nicht anders, als sich ein wenig zu langweilen.

Ranma, Ranma, Ranma. Das waren die einzigen, besser: Das einzige Thema, mit dem sich die süße, kleine Akane Tendo den ganzen Tag zu beschäftigen schien. Mal beschwerte sie sich über jenen furchtbaren Charakterzug seiner Herrlichkeit, mal erzählte sie eine Anekdote von einem seiner weiteren "Wasserspaßabenteuer".

Sicherlich war es ihm schon möglich, für bestimmte Dinge, die ihn normalerweise nicht im Ansatz interessiert hätten, seinem geliebten Hasenspätzchen zuliebe Begeisterung aufzubringen - allerdings nur für einen gewissen Zeitraum.

Und dieser war eindeutig überschritten. Immer öfters ertappte er seine Gedanken beim Abschweifen... und die Richtung, in welche sie tendierten, gefiel ihm ganz und gar nicht. Sollte er nicht jedem Wort ihres süßen Wesens andächtig lauschen und von ihrer Präsenz allein Herzrasen bekommen?

Seltsamerweise ging es seinem Herz ausgezeichnet. Und seltsamerweise kreisten seine Gedanken immer wieder sorgenvoll um eine Frage: Bedeutete der Beginn einer möglichen Liebesbeziehung das Ende seiner Geschäftsbeziehung mit Nabiki? Oder anders formuliert: Würde sich ihr Kontakt verlieren, wenn er nicht mehr auf ihre Hilfe angewiesen war? So nervenaufreibend die Trainingseinheiten anfänglich auch waren... Irgendwie hatte er begonnen, den Abendstunden entgegen zu fiebern. Wie und warum, das wusste er selbst nicht.

Keinen Zweifel hegte er daran, dass die jüngste der Tendoschwestern ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Auch wenn diese Erkenntnis noch so arrogant, selbstverliebt und selbstsicher klang... Man konnte es einfach nicht anders ausdrücken. Ein strahlendes Lächeln, besser gesagt ein Zähneblecken in Notwehr, und schon errötete sie wie ein naives, kleines Schulmädchen, geriet ins Stottern und fing sich erst, nachdem er seinen künstlichen Charme ein wenig herunter gedreht hatte.

Er hatte einen Entschluss gefasst.

"... und dann hat er..."

"Akane." Verzückt von seiner sanften, weichen Stimme schwieg sie.

"Verzeih mir, aber ich muss nun gehen. Es war sehr nett, dich kennen gelernt zu haben!"

Damit stand er auf, winkte ihr mit einer Hand nachlässig zu, drehte sich um und ging einfach.

"Halt! Warte! I-i-ich... Ich kenne doch noch nicht einmal deinen Namen! Bitte geh' nicht jetzt schon! Wenn ich irgendetwas falsch gemacht habe, dann..."

Achja richtig... Man hatte ihr seinen Namen nicht genannt. Wäre ja auch ein wenig unbehaglich gewesen, nicht wahr?

Sie schien doch tatsächlich traurig! Es tat ihm Leid, jawohl. Aber so war es für beide Parteien am Besten.

Einen kurzen Blick warf er über seine Schulter und sah, dass sie ihm mit verzweifeltem Gesichtsausdruck die wenigen Meter, die er vor ihrem Stoppruf zurückgelegt hatte, gefolgt war. Den unbenutzten Löffel klammerte sie unbewusst noch immer in ihrer rechten Hand.

"Mein Name ist unwichtig. Wichtig ist nur, dass du dein Glück findest. Mit Ranma."

Sprachlos ließ er sie zurück und ging. Je weiter er sich von ihr entfernte, desto mehr nahm er an Tempo zu. Als das Café, in dem sie saßen und den Frühling genossen hatten, außer Sichtweite geriet, lief er.

Wohin, das wusste er nicht.

Es war das Beste gewesen. Für alle Beteiligten.

Ranma war derjenige, dem ihr Herz gehörte. Doch war nicht diese Tatsache, die er stur, naiv und dumm früher nicht einsehen wollte, der Grund dafür, dass seine Schritte immer schneller, kraftvoller, wütender wurden.

Sollte er nun logischerweise Trauer, Schmerz, Enttäuschung und Verlust empfinden, so fühlte er sich eher noch erleichtert! Und das, obwohl er sich so viel Mühe gegeben, so lange auf eine Chance wie diese gewartet und so oft von ihrem nachtschwarzen Haar, ihrer süßen Stimme und ihren so wunderschönen Augen geträumt hatte.

Obwohl sie sich solche Mühe mit ihm gegeben hatte.

Stocksteif blieb er stehen und rang nach Fassung.

Sie, die da nun keine 20 Meter vor ihm entfernt auf einer Parkbank mit geschlossenen Augen saß.
 

"Es tut mir Leid."

Vollkommen perplex öffnete sie ihre Augen und wurde einem niedergeschlagen wirkenden Ryoga gewahr, der sich demütig vor ihr verbeugte.
 

"W-was?"

Als er aufsah, blickte er ihr direkt in ihre Augen und sah die unmaskierte Verwirrung in ihnen. Er konnte nicht anders - er musste einfach leicht lächeln.

Sie sah einfach... ein klein wenig niedlich aus, auch wenn er es niemals wagen würde, ihr dies zu gestehen. Ungeordnete Haare, zu weite Kleidung, gerötete Wangen und diese Verlorenheit, für die er die Schuld trug. Er hatte etwas getan, was in ihrem großen Plan nicht vorgesehen war, etwas, worauf sie nicht vorbereitet war.

So menschlich hatte er sie wohl selbst in ihrer Schulzeit nicht gesehen.

"Es tut mir Leid, dass du dir umsonst so viel Arbeit gemacht hast..." Seine Stimme verlor sich, nur, um mit neu gefasstem Mut klar den Rest seines Satzes hervorzubringen: "... ich habe die Wette verloren."

Ihr Blick wurde mitleidvoll. Sicherlich dachte sie, Akane hätte ihm einen Korb gegeben!

"Das tut mir ehrlich Leid für dich, Ryoga."

Und so klang sie auch. Ehrlich, aufrichtig.

"Nunja... Aber ich glaube, wir beide haben noch etwas zu erledigen."

Fragend hob sie eine Augenbraue, dieses Mal Finchens Schwester. Sein Lächeln weitete sich zu einem Grinsen, bevor er sich räusperte und gespielt ernst mit grabesrednertauglicher Mine sprach.

"Würden Sie mir die Ehre erweisen, meine ehrenhaften Wettschulden einzulösen?" Er verlor seine Ernsthaftigkeit und setzte nach: "Soll heißen: Würdest du dich gerne auf einen Hamburger und eine mittelgroße Cola einladen lassen? Zu mehr reicht mein Budget nicht, tut mir Leid..."

Einen Moment lang, in dem er schon fürchtete, sie würde ablehnen, studierte sie aufmerksam, forschend seine Gesichtszüge und... lächelte dann.

"Ja... Ich würde sehr gerne einen Hamburger mit dir essen."
 


 


 

Sooo... Das war es also. Und ich bin wirklich am verzweifeln. Ich wollte eine Geschichte schreiben, die zumindest in Ansätzen Niveau genug zeigt, um den Titel als "offizielles Geburtstagsgeschenk für den Meister der Dramatik" zu verdienen...

Naja, ich mach's besser kurz, bevor ich noch vor lauter Frustration zu heulen anfange und den Schund hier lösche.

Deepdream, es tut mir echt Leid. Anstatt dir eine Freude zu machen, habe ich hiermit wohl deinen Namen in den Dreck gezogen... Aber besser habe ich es leider nun einmal nicht hinbekommen *seufz*.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2005-04-23T20:32:38+00:00 23.04.2005 22:32
sag mal... BIST DU VERRÜCKT??? wie kann man SOWAS als SCHLECHT bezeichnen? das war eine wunderbare.. nein, unglaubliche.. nein, UNBESCHREIBLICHE FF!! ich liebe diesen Schreibstil (meiner is leider nicht in 10000 Jahren so gut) und die story. nicht nur, dass du eine dichte story voller überraschungen und mit anschaulichen gefühlen geschrieben hast, nein, du hast auch noch ein (sehr geschicktes) händchen für situationen und gedanken der einzelnen charaktere der geschichte. Humor und Sarkasmus sind super rübergebracht, alles passt 100%ig zusammen. meinen Respekt. ich würd sagen, dass is eine der wirklich allerbesten FFs, die ich jemals gelesen habe. und das sind ziemlich viele.
jeder einzelne satz stimmte, die emotionen habe ich nahezu miterlebt. tja, was soll ich noch sagen, ich bin hellauf begeistert! hast du noch mehr geschichten geschrieben? ich geh gleich mal gucken!
liebe grüße Aye-chan
Von: abgemeldet
2005-04-19T03:17:50+00:00 19.04.2005 05:17
Ich fand die Geschichte super und freue mich schon auf das nächste Kapitel.
Von:  Deepdream
2005-04-18T19:59:54+00:00 18.04.2005 21:59
Unglaublich, dermaßen hoffnungslos verliere ich mich nur allzu selten - Leider Gottes... - in einer belletristischen Komposition. Mein - Ach so kaltes - Herz pocht rhythmisch und auf meiner ewig kalten Mimik blüht ein breites Zähnefletschen - demzufolge ,etwas', das man als Lächeln definieren kann.
Grausame Schande über mich, der ich das autogene Training praktiziere.
Einem jeden Element und Reiz aus meiner Umwelt vermag ich stoischen Widerstand zu leisten, voller Resistenz sämtlichen Emotionsweckenden Einflüssen zu widerstehen, doch dann schreibst du eine gefühlsvolle, meisterhafte Erzählung nieder und alles verliert sich wieder.

Allein nur deine prosaistische Diktion, welche in jenem prächtigen Farbenspiel der Emotionen eifrig Anwendung fand, gehört sich mit dem Prädikat ,Besonders wertvoll' betitelt. Sämtliche Spektren großartiger schriftstellerischer Stilmittel wusstest du adäquat Umsetzung finden zu lassen und dies bis zum letzten, noch so geringen Quäntchen Satzbaus. Überhaupt impliziert eine jede Phrase emotionsgeladenes, von Fleiß getriebenes und überaus selbstkritisches Werken mit kontinuierlicher Bedachtsamkeit darauf, die phantastische Imagination des Lesers zu wecken. Sogar möchte ich wagen zu behaupten, dass so mancher aus Schweiß und Tränen gezeugter Satz durch ein flinkes Tippen auf die Löschen-Taste ein ungnädiges Ende fand, weil er deinem enormen Anspruch nicht zu genügen wusste. Vor allem aber bewundere ich die kontinuierliche Aufrechterhaltung Detailverliebten Qualitätsstandards - wobei du stets Unwichtiges von Relevantem scheinbar mühelos trennen konntest - welcher keineswegs eine Selbstverständlichkeit darstellt. Vielmehr eine Rarität sondergleichen, die es zu würdigen und ehren gilt. Eine jede Szene nahm vorstellbare Konturen an und manifestiere sich fast vor dem inneren Auge des Lesers, wobei sich stets durchdacht und zusammenhängend wirkte.
Entzückung ziert mein Gesicht kaum das sich meine Gedanken in der Erinnerung an den Lesegenuss verlieren...^^°

Die Thematik ließe sich lakonisch definiert als Prädikat: Interessant klassifizieren. Da es sich bei meiner - von banalen Trieben geleiteten - Wenigkeit jedoch eher weniger um einen Verfechter des Hemingway-Syndroms handelt, werde ich meine nervenaufreibende Suada beibehalten.
Angefangen mit einer Reflexion aus Ryogas subjektiver Perspektive über die bis dato erfolgten Ereignisse zur stimmungsvollen Adaption bis hin zum romantischen Finale findet sich der - Standardgemäße abenddämmerungsrote wird aus Kulanzgründen durch einen grellpinkfarbenen Faden ersetzt - Leitfaden der Geschichte in der scheinbar hoffnungslosen Affinität des ewig Orientierungslosen zu einem gewissen Machoweib.
Gerade der tragende Aspekt ein ansonsten eher frigides und gefühlsarmes Subjekt auszuwählen, verleiht deiner fabelhaften Geschichte ein unberechenbares Element. Somit treffen grundlegend zwei Welten aufeinander. Niedere, verklärte Naivität auf kühl kalkulierte Rationalität in geordneten Bahnen. Aus diesen beiden kontroversen Elementen eine tiefe Bindung zu schaffen, welche sich gradual aufbaut, dennoch die latente Grenze zwischen Kitsch und Nüchternheit zu wahren, stellte eine große Herausforderung dar, welcher du dich als würdig erwiesen hast. Erhebe dich junger Jedi und nehme die Macht entgegen. ;-)
Als ebenso interessant erwies sich Ryogas systematische Distanzierung zur - geheiligten - Person Akanes. Fand er in ihr zu anfänglichen Zeiten einen Segenquell gleich dem Heiligen Kelche, schwanden dergleichen Emotionen stetig und nahmen gegen Ende hin rapide ab. Dahingegen entwickelte sich eine auf Respekt und Vertrauen begründete Affinität zwischen den beiden Protagonisten dieser Erzählung. Taxierte er sie schätzungsweise 2/3 der Geschichte lang noch als habgierige, geizige und frigide Geldhexe - Anzeige? Rufschändung? ... Was zum Teufel...? ó.ò - offenbarte sie ihm peu à peu stetig mehr von sich, ließ seine neugierigen Augen hinter die Pokerface-Fassade gleiten und ihn die reelle Nabiki Tendo vorfinden.
Wirklich, ich muss mich vollauf beeindruckt präsentieren und deiner divergenten Person meine Kotau erweisen.

Ebenso gelang es dir in deiner - wie immer *smile* - ganz individuellen Weise einen graziösen Spagat - Schließlich favorisierst du ja Athletik, oder? *fg* - zwischen zwei essentiellen Komponenten der mondänen Literatur zu schlagen. Angedeutete, ergreifende und wunderschöne Romantik und im Gegenzug sarkastisches, intelligente, humoristisches Wirken on maß. Als Prestigeexemplar hierfür könnte man etwa die Küchenszene anführen, bestehend aus einer erbarmungslosen Jagd nach vitalen Saucenresten und einem gemeinsamen Abendmahl. Trotzdem hast du die diversen Stilmittel der beiden Kategorisierungen adäquat eingesetzt. So etwa befand sich der ,Prolog' deiner Erzählung in heiteren Lachanfällen - Akustische Mitwirkung des Lesers - gegen Finale hin jedoch trat melancholischromantische Stimmung auf, wobei sich letzteres Element auf Seite 29 in latente, dennoch markante Bahnen begab und somit einen offenen - verhältnismäßig - Schluss einläutete.

Ein weiterer und - nur - allzu häufig von mir angeführter Aspekt nennt sich die enorme mentale Tragweite der Charaktere. Anstatt die Protagonisten auf einem Handlungszentrierten Status und stagnierenden Verhaltensweisen zu zentrieren, wird ein realistisches Seelenleben konzipiert, das exakt auf die Manga/Anime-Person zugeschnitten ist. Ryogas tollpatische, manischdepressive und teils hoffnungslose Naivität und das metaphorische Klammern an jeden sporadischen Strohhalm. Dahingegen verbirgt Nabiki hinter ihrer kalten, neutralen Fassade beißende Trauer um ihre verstorbene Mutter, tiefe Zuneigung zu Soun, gewissermaßen Neid auf Akanes Charisma und ein unsichtbares Band zu einem gewissen Halbschwein. Weitgehend, so schien mir, identifiziert sich die - allseits beliebte - Autorin zu kleinen Teilen auch mit den Gedanken/Emotionen/etc. der Protagonisten und stellt aus diesem essentiellen Grunde auch vorwiegend deren Gedankengänge dar, oder? *smile* Womit ich nicht der Meinung bin, dass Ryogas Perspektive zu rar gesät worden wäre, dies ist - Herzliches Dankeschön.^^ - nicht der Fall, worüber ich reichlich erfreut bin. Er > ^o^ < sowieso.

[Lege ich deine geschundenen Nerven mit meiner Tirade blank? *deine hoffnungsvolle Affirmation ignoriert* Nicht? Dann ist es ja gut...]

Interessant fand ich es auch, dass sich die Autorin selbst in das Gefüge der Geschichte etablierte, wenn auch - relativ - unscheinbar. Nicht wahr, mein Waschbärchen. *fg* Man denke nur an exemplarische Szenen a la ,Geleitschutz zweier modebewusster Nervensägen mit einem massiven Faible für Cartoonfiguren, pinkfarbene Unterwäsche und - multidimensionale - Tragetäschchen im Handyformat. Trotzdem muss ich deinen amateurhaften Suizidversuch via Limosinnenmotorhaube-Küssen als durchaus rudimentär interpretieren. Tz, wo doch der 11. Stock eines imponierenden Wolkenkratzers um so vieles verlockender wirkt. Schäm dich... *g*

Zuletzt muss ich dennoch nochmals deinen prächtigen Sarkasmus loben.
>'offizielles Geburtstagsgeschenk für den Meister der Dramatik"<

Werte Mademoiselle, welch' Aussage gar trüb an Sinn ihr hier veräußert? Besinnet euch und erkennet euer gar übermächtig Talent, welch sich mir längst legte offen. Subordiniert, gewisslich mein' Wenigkeit ist. [Genug der lyrischen Demenz...]

Du weißt, dass deine Person besser schreibt. [Diffamation kann zu unangenehmen Reaktionen führen...]
Ich bin mir im Klaren darüber, dass du umso viel herrlicher und belletristischer formulierst, als ich es je könnte. [Absolute Affirmation...!]
Deine von Intellekt beseelte Leserschar erliegt dem Faktum, dass deine Kompetenz weit über der meinigen liegt. [Erflehe Zustimmung...]

Kapituliere bezüglich der erdrückenden, unwiderlegbaren Tatsache schlichtweg - und problemlos - besser zu schreiben als ich. Außerdem mich zum Meister der Dramatik zu deklarieren, dürfte den meisten - wahrhaftig - erfahrenen Kommentatoren wie bittere Süffisanz oder gar profane Blasphemie anmuten.

...

Summa summarum, eine phantastische Lektüre. Faszinationsaufbau kontinuierlich und von Anfang bis zum Schluss zu verzeichnen. Adaptierte Anwendung diverser literarischer Stilmittel. Interessante Thematik und tangierender Storyverlauf. Skurriles, dennoch akzeptables und schönes Pairing.

Nunmehr werde ich in wenigen Monaten meinen Part des Deals erfüllen. ;-) Doch wage ich arge Zweifel zu hegen jemals etwas derartig schönes konzipieren und niederschreiben zu können.^^° Dennoch werde ich mir - so wahr ich hier stehe, res. sitze - alle mir inne liegende Mühe und Geduld aufbieten dir zumindest ansatzweise eine solche Freunde bereiten zu können...

Die Zeit wird's zeigen...

Nun denn, eine angenehme Nachtruhe sei dir noch beschieden. Auf das verheißungsvolle Traumgebilde ihre Wege werden zu dir finden, um dich mit gar prächtig' Inspiration zu durchsickern. Nächtige gut, werte Mademoiselle.

Bye,

auf bald,

*Kotau* *Handkuss*

dein Deepi

P.S.: Auf Grund der momentanen abendlichen Stund' vermag ich keine konkrete Antwort mehr zu formulieren. Doch diesmal lautet meine Maxime nicht ,Mea culpa!', auf Grund des Faktums, dass ich regelrecht an den spiegelglatten Bildschirm meines PCs gebannt ward. Unfähig, gezwungen tatenlos deinen herrlichen Sätzen via Augenschein zu folgen und von der Faszination paralysiert. Außerdem wandest du exotische Begriffe an, deren Bedeutung sich meines begrenzten Wissensfundus entzog.^^°


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