Titel: Der Frühling
Autorin: Luinaldawen
Genre: Drama, Darkfic (mehr oder weniger)
Inhalt: Wenn dir das Wichtigste im Leben von einem Moment auf den Nächsten genommen wird, bringst du die Kraft auf, weiterzuleben?
Bemerkungen: Ich habe diese Geschichte eigentlich für einen Wettbewerb geschrieben, aber leider nicht gewonnen... Schade, aber ich werde sie euch trotzdem zumuten und hoffe, dass ihr mir per Kommentar schreibt, was ihr davon haltet.
Und... Personen und Handlung sind frei erfunden, jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist nicht beabsichtigt.
~*~*~*Der Frühling*~*~*~
Es ist Frühling.
Ich hasse den Frühling.
Denn vor genau einem Jahr habe ich die Person verloren, die ich am meisten von allen liebte.
Die mir gezeigt hat, dass ich zu diesem Gefühl überhaupt fähig bin.
Die mir den Glauben an die Liebe erst wiedergegeben hat.
Nach der Scheidung meiner Eltern... wo eine Welt für mich zusammengebrochen ist... die ganzen Jahre lang hatten meine Eltern mir eine heile Welt vorgespielt.
Hatte ich geglaubt...
Der Typ, der mich nur nach Strich und Faden verarscht hat...
Liebe existiert nicht.
Dachte ich bis vor wenigen Jahren noch...
Jetzt weiß ich es besser...
Dank dir.
Jan...
Ich weiß noch ganz genau, wo ich dich kennen gelernt habe.
Auf einer schlichten Holzbank.
Sie steht am Rand einer kleinen Lichtung in einem Wäldchen, einem beliebten Ausflugsziel.
Aber nur wenige kennen diesen Ort.
Hier war es immer ruhig... mein Lieblingsplatz...
Es war vor zweieinhalb Jahren, also im Herbst.
Ich hatte mir eine Decke mitgenommen, damit ich in dem doch schon recht kalten Wind nicht friere, während ich mein Lieblingsbuch lese. Ich hatte mich in die uralte blaue Decke eingewickelt und schmökerte in einem Fantasyroman. Die habe ich schon immer geliebt, bis heute...
Ich war gerade an einer besonders spannenden Stelle angekommen, als du plötzlich auftauchtest.
Einer dieser Mountainbiker, die den lieben langen Tag nichts anderes tun, als durch die Wälder zu fahren, und deren Schönheit dennoch ganz übersehen.
So dachte ich damals...
Ich wusste lange nicht warum, aber Jan ließ seine Freunde alleine weiterfahren und setzte sich zu mir. Sagte nichts, saß einfach nur da.
Damals war mir das nur Recht, ich wollte mein Buch weiterlesen.
Aber es war angenehm, jemanden dabei zu haben...
Er blieb, bis die Dämmerung eintrat und ich gehen musste. Meine Mutter mochte es nicht, wenn ich im Dunkeln noch im Wald unterwegs war...
Ein "Tschüß" war alles, was er sagte.
Zwei Tage später kam ich wieder her.
Er ebenfalls.
Wieder saßen wir schweigend da. Ich las und er sah einfach nur ins Leere... und gelegentlich zu mir, wenn er dachte, ich merke es nicht.
So ging das eine Weile weiter, bis er mich schließlich fragte, was ich da so spannendes lese. Ich sagte es ihm und er lachte. Ob ich denn nicht ein wenig zu alt für solche Geschichten wäre.
Ich antwortete, dass dieses Buch sicher nichts für Kinder wäre. Man könne Fantasy nicht mit Märchen gleichsetzten. Er bat mich, ihm aus dem Buch vorzulesen.
Da der Inhalt sehr komplex war, begann ich von vorne, obwohl ich schon fast durch war.
Ab dem Tag trafen wir uns täglich.
Noch immer wussten wir nichts von dem anderen, nur das offensichtliche.
Ich: der Bücherwurm. Er: der Sportfreak.
Es hätte nicht gegensätzlicher sein können.
Ich kann nicht erklären, wie es passiert ist... plötzlich, nein nicht plötzlich aber irgendwie... hatte ich mich in ihn verliebt.
Aber ich hatte so lange in dem Glauben gelebt, dass Liebe nichts als eine schöne Illusion ist... seit der Scheidung meiner Eltern, als ich sechs war um genau zu sein.
Und die gescheiterte Beziehung hat es nicht unbedingt besser gemacht...
Oh, ich wollte es ihm sagen, aber ich hatte Angst, solche Angst, dass er nicht so fühlt wie ich.
Obwohl er seine Leidenschaft, das Mountainbiking, für mich vernachlässigte... ich war so dumm damals.
Durch diese Dummheit hätte ich ihn fast an eine andere verloren.
Es war schon Winter, da sah ich ihn in der Stadt. Mit einem anderen Mädchen. Viel hübscher als ich, eine langhaarige Blondine. Ich hatte - und habe bis heute - kurze, braune Haare.
Die Jungen in meiner Klasse hatten sich nie viel aus mir gemacht, deshalb hatte ich in der Hinsicht wenig Selbstbewusstsein.
Also folgte die wohl typische Reaktion, ich rannte zu meiner besten Freundin, um mich bei ihr auszuheulen.
Nie hätte ich damit gerechnet, dass sie mich anfahren würde, doch gefälligst etwas zu tun. Ich höre ihre Worte heute noch. Die Worte, für die ich ihr immer so unendlich dankbar sein werde: "Vom Heulen wird es auch nix besser! Wenn du ihn wirklich liebst, raff dich gefälligst auf, und kämpfe um ihn! Sonst wirst du es dein ganzes Leben lang bereuen!!!"
Das waren die Worte, die mich aufrüttelten. Oh ja, ich liebte ihn. Mehr als alles andere.
Also fasste ich einen Plan.
Ich hatte lange Gitarre gespielt und sang auch mal ganz gerne. Also holte ich meine alte Gitarre aus der Ecke und begann zu üben. Ich hatte so viel verlernt... aber es klappte. Ich musste ja nur ein Lied hinkriegen, ohne mich vor allen zu blamieren.
Zusammen mit meiner besten Freundin Nadja suchte ich es aus. Ein Liebeslied von der schlimmsten Sorte.
An Weihnachten klingelte ich an seiner Wohnungstür und spielte es. Nur für ihn.
Seit dem waren wir zusammen.
Er hat mir gezeigt, wie schön das Leben sein kann.
Bisher hatte ich mich immer von den anderen, hatte mich in großen Menschenmengen unwohl gefühlt, ohne zu merken, wie einsam ich eigentlich war.
Aber ich habe gelernt zu leben. Wirklich zu leben, mit meinem ganzen Herzen, meiner ganzen Seele.
Nach dem Abitur wollte ich studieren und mit ihm in eine Wohnung ziehen.
Aber darüber machten wir uns keine großen Gedanken.
Und dann... schlug das Schicksal zu.
Im Mai, letztes Jahr.
Ich hatte gerade meine letzte Abiturprüfung mit Erfolg hinter mich gebracht und das wollten wir feiern.
Es war ein Unfall, niemand weiß genau, wie es passierte.
Der Bus in dem Jan und ich saßen, um zu einem Fußballspiel zu fahren kam von der Fahrbahn ab.
Es gab vier Tote. Jan war einer von ihnen. Ich kann nicht genau erklären, was passiert ist. Ich war müde, Jan auch. Das war kein Wunder, denn wir sind sehr früh losgefahren. Ich hatte meinen Kopf an seine Schulter gelehnt und döste vor mich hin.
Plötzlich durchfuhr ein Ruck den ganzen Bus, einige schrieen.
Als ich aufsehen wollte drückte Jan mich fast grob runter und beugte sich über mich. Ich wollte ihn anschreien, was denn in ihn gefahren sei, dann gab es einen weiteren, größeren Ruck.
Der Bus kippte.
Unaufhaltsam.
Die Schreie wurden lauter, panisch. Ich werde sie nie vergessen können.
Nur von Jan hörte nur eines: "Bleib unten!" Er sagte es leise. Vollkommen ruhig.
Ich war zu geschockt um auch nur irgendwas zu tun.
Dann schien der ganze Bus auseinanderzubrechen und ich wurde ohnmächtig.
Ich war nur wenige Sekunden bewusstlos gewesen, als ich wieder aufwachte. Zumindest vermute ich das, denn an unserer Situation hatte sich nicht viel geändert.
Oder... doch. Sie war schlimmer geworden.
Etwas lag schwer auf mir.
Jan.
Er hat versucht, mich zu beschützen und wurde dabei schwer verletzt.
Zu schwer.
Der Notarzt konnte nichts mehr tun, nur seinen Tod feststellen.
Während ich fast unverletzt geblieben bin.
Dank ihm.
Er hatte sich geopfert, damit ich leben kann.
Seine letzten Worte werde ich nie vergessen können. Nie.
"Weißt du, warum ich mich damals zu dir gesetzt habe? Weil du so verloren aussahst. Und so wunderschön, mitten in dem Herbstwald. Versprich mir, dass du weiterleben wirst. Richtig leben..."
Dann hatte er die Augen geschlossen. Für immer.
Ich weiß nicht, wie ich die folgenden Wochen und Monate überstanden habe.
Ich fiel in ein tiefes, bodenloses Loch.
Schloss mich nur in meinem Zimmer ein, wollte niemanden sehen.
Nadja versuchte mich zu trösten aber ich stieß sie zurück.
Ich habe Jan so wahnsinnig geliebt und das er wegen mir gestorben ist, war für mich unerträglich.
So oft wünschte ich mir, nicht auf Nadja gehört zu haben, als sie mir die Standpauke hielt, die ihn und mich letztlich zusammengebracht hat.
Denn dann würde er noch leben.
So oft wünschte ich mir, auch tot zu sein.
Denn dann wäre ich bei ihm und würde meiner Familie und meinen Freunden nicht solche Sorgen bereiten.
Oh ja, ich wusste, was ich ihnen mit meiner Abweisung alles antat. Und ich hasste mich dafür aber ich konnte einfach nicht anders, ich konnte es nicht.
Und irgendwie... wollte ich es auch gar nicht.
Mir war alles egal geworden.
Wieder war es Nadja, die mich wachrüttelte.
Natürlich wusste sie von Jans letztem Wunsch. Ich hatte es ihr unter Tränen erzählt.
Seitdem hatte ich kein einziges Mal mehr geweint... ich hatte Angst, dass wenn ich es zuließe würde ich nie mehr damit aufhören können.
Eines Abends schleppte Nadja mich in unsere Lieblingspizzeria.
Sie hatte schon immer eine Leidenschaft für dramatische Auftritte. Aber ich glaube diesmal war es einfach, weil ich in einem Restaurant nicht einfach abhauen würde, ich hätte viel zu viel Angst, mich vor allen zu blamieren.
Ja, an so was habe ich trotzdem noch gedacht. Eigentlich lächerlich.
Und während ich in meinem Essen rumstocherte musste ich mir von meiner allerbesten Freundin anhören, wie egoistisch ich doch sei.
Jan habe sein Leben nicht geopfert, damit ich in Depressionen und Selbstmitleid versinke.
Sie sagte noch mehr, aber das habe ich gar nicht mehr wahrgenommen. Sie hatte ja so Recht.
Ich hätte doch genauso gehandelt... wenn ich sein Leben hätte retten können indem ich meines opfere hätte ich es getan, in dem Bewusstsein, dass er für uns beide weiterlebt. Und ich hatte ihn verraten indem ich das nicht würdigte.
Etwas in mir brach.
Alle Tränen, die ich bis dahin nicht weinen konnte brachen mit aller Macht hervor.
Diesmal war es mir völlig egal, was alle anderen dachten.
Ich weinte und konnte und konnte gar nicht mehr aufhören.
Bis ich in Nadjas Armen zusammenbrach.
Heute weiß ich, dass sie mir wohl das Leben gerettet hat. Es hätte nicht mehr viel gefehlt und ich wäre ihm in den Tod gefolgt.
Jetzt weiß ich, dass sein Opfer nicht umsonst gewesen sein darf.
Ich muss seinen letzten Wunsch erfüllen.
Ich musste weiterleben.
Mit diesem Vorsatz im Hinterkopf schaffte ich es endlich die Hilfe von Außen anzunehmen, die man mir anbot.
Traf mich mit Freunden, redete viel mit meinen Eltern und natürlich auch mit Nadja.
Und langsam, langsam kam ich darüber hinweg.
Ich fühlte mich nicht mehr schuldig am Leben zu sein, während er tot ist... zumindest zum größten Teil. Ganz werde ich diese Schuld wohl nie loswerden.
Aber die Lethargie, die von mir Besitz ergriffen hatte schwand.
Ich war wieder fähig zu handeln.
Mit einem halben Jahr Verspätung begann mein Medizinstudium. Es war schon immer mein großer Traum gewesen, Ärztin zu werden.
Jan wusste es. Und er hat mir Mut gemacht, wenn ich an mir selbst zweifelte.
Aber eins habe ich bis heute nicht geschafft.
Wieder zu meinem alten Lieblingsplatz zu gehen.
Jetzt tue ich es.
Mit einem Buch unter dem Arm.
Der Fortsetzung, von dem Roman, mit dem alles angefangen hat.
Auf der Lichtung blühen Blumen.
Nichts Besonderes.
Gänseblümchen.
Löwenzahn.
Aber für mich sind sie das Schönste, was ich seit langem gesehen habe.
Als ob Jan ein Geschenk für mich zurückgelassen hat, wenn ich wieder hier herkomme.
Der Frühling ist ein Neuanfang für die Natur.
Und... vielleicht auch für mich.
~*~*~Ende~*~*~