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Blaue Schneeflocken

Die Weihnachtslegende von zwei blauen Augen
von

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Blaue Schneeflocken 2

Blaue Schneeflocken 2
 

BS2 Kerle sind und bleiben Schweine...
 

Eine Schneeflocke. Und noch eine. Und da ist noch eine. Mann, ich hatte schon gedacht, es würde überhaupt nicht mehr anfangen zu schneien. Aber jetzt war es endlich so weit. Es war zwar arschkalt, aber das hielt mich nicht davon ab mich wie ein kleines, naives Kind über den ersten Schnee zu freuen. Es machte mich glücklich, zu sehen, wie die Schneeflocken vor meiner Nase auf und ab tanzten und wie sie mit der Nacht in wundervollem Einklang harmonierten. Und außerdem gaben mir die Schneeflocken auf einmal eine Erinnerung zurück. Eine Erinnerung, die ich aus der Tiefe meiner Seele heraus lachen hören konnte. Matts Augen. Diese tiefblauen Augen, bei denen man das Gefühl hatte, würde man zu lange hinein sehen, dass man sich darin verirrt. Genau ein Jahr war es her, seit ich von Matt den ersten Kuss geschenkt bekam. Die Erinnerung lies mich diesen süßen Geschmack auf meinen Lippen fühlen. So etwas konnte man nicht vergessen.

Ich ging gedankenverloren auf die andere Straßenseite. Ich wollte zu ihm gehen, ihm sein Weihnachtsgeschenk bringen. Die Vorfreude, über den Moment, wenn er sein Geschenk erhält lies mich kurz aufkichern. Ich hielt die Spannung kaum noch aus. Ich war ganz kurz davor. Noch ein paar Meter und ich stehe an seiner Haustür, reiche ihm das Geschenk. Er freut sich und bittet mich hinein. Meine romantischen Fantasien vergrößerten nur die Spannung, die sich in mir verbreitete und mich fast dazu zwang loszurennen. Aber das hätte keinen Sinn mehr gehabt, denn ich konnte seine Haustür schon erkennen. Juhu, endlich geschafft. Aber plötzlich öffnete sich die Tür, ich war noch etwa zwanzig Meter davon entfernt, und Matt trat heraus. Ich wollte schon losbrüllen "Hey, Matt, fröhliche Weihnachten!", und ihm um den Hals fallen, aber ganz unerwartet hielt ich inne. Ich fragte mich, was das sollte. Da vorn stand mein Märchenprinz und ich bewege mich keinen Zentimeter. Doch dann sah ich, wie ein anderes Mädchen hervortrat, dass zuvor von einem Gebüsch verdeckte wurde. Sie fuchtelte wild mit den Armen und kreischte etwas, aber ich war zu weit weg, um es zu verstehen. Aber das wäre auch unwichtig gewesen, denn was ich dann sah sprach Bände. Das Mädchen packte Matt an den Schultern, zog ihn zu sich heran und küsste ihn direkt auf die Lippen.

Auf die Lippen, die meine vorher schon berührten. Zuerst verstand ich gar nicht richtig, was da vor sich ging, aber dann kam es mit rasender Geschwindigkeit auf mich zu. Ein scharfer Messerstich bohrte sich tief in mein Herz und ich krümmte mich vor quälendem Schmerz. Ein Schmerz, der sich von meinem Herzen ausgehend in alle Teile meines Körpers verteilte. Ein Schmerz, der nicht auszuhalten war und von dem ich dachte, er würde mein Kopf zersprengen. Ein Schmerz, der mir ohne Gnade die Kehle zuschnürte und mir verweigerte auch nur einen Ton hervorzubringen. Ein Schmerz, der mit einem Mal alle Liebe von mir zu Matt tötete und nur ein riesiges Loch in meiner Seele übrig lies. Durch diesen Schmerz fing ich an zu taumeln. Ich schwankte von einer Seite auf die andere und je länger ich die Szene betrachtete, die sich vor mir bot, um so mehr spürte ich, wie die Kraft aus meinen Beinen schwand. Ich wollte meinen Kopf wegdrehen, meine Augen schließen, irgend etwas tun, damit ich das vor mir nicht mehr sehen musste. Aber der Schmerz lies mich die Kontrolle über die Motorik meines Körpers verlieren, als ob er wollte, dass ich das mit ansehe, sodass er größer und stärker werden konnte. Doch das mit dem wegsehen erübrigte sich, als meine Beine unter der ganzen Last nachgaben und ich vollkommen erschöpft nieder sank. Jetzt hatte ich zwar das Bild nicht mehr vor Augen, das änderte aber nichts an der Tatsache, die gerade geschehen war. Nämlich die, dass der Junge, den ich von ganzem Herzen liebte und für den ich so viel durchmachte, gerade einer anderen den absoluten Liebesbeweiß erbrachte.
 

Ich schätze, ich saß Stunden auf dem kalten Boden. Die beißende Kälte, die von ihm ausging, hätte wohl jeden anderen sofort aufstehen lassen, aber die Kälte, die mir Matt gerade entgegen brachte, obwohl er nichts gesagt hatte, mich nicht mal bemerkt hatte, war weitaus schlimmer. Etwas riss mich aus meinen Gedanken. Vor mir entdeckte ich einen kleinen kreisförmigen Fleck an dem der Schnee wohl geschmolzen ist. Dann tauchte plötzlich ein weiterer Fleck auf. Der Schnee verschwand an der Stelle sofort und bildete ein kleines Loch. Und da war der nächste Fleck. Geistesabwesend griff ich mir an mein Gesicht. Es war ganz nass. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie ich zu weinen angefangen hatte. Und wenn man nicht weiß, wann es anfängt, kann man es leider auch nicht verhindern.

"Holly!..." Ich hatte Angst aufzublicken und nach der Ursache des Rufes zu suchen, aber meine Reflexe waren schneller. Matt hatte mich entdeckt. Er drückte das Mädchen von sich weg und kam auf mich zugerannt.

Nein, dachte ich nur, bitte nicht! Er sollte nicht sehen, wie ich so jämmerlich auf dem Boden saß. Das wäre doch nur sein Triumph. Ich musste mich zusammenreißen, sonst ist er der Sieger und ich nur das kleine, naive Mädchen, dass sich in dieser Liebe falsche Hoffnungen gemacht hat. Ich richtete mich auf. Der quälende Schmerz und die Angst, gleich meinem Henker ins Gesicht sehen zu müssen machten mir das nicht gerade einfach. Es fühlte sich an, als müsste ich tausend Kilo stemmen. Endlich stand ich aufrecht. Matt hatte mich bereits erreicht. Ein paar Meter vor mir hielt er inne. Ich hatte noch nie bemerkt, wie groß Matt war. Sicher, er war schon etwa einen Kopf größer als ich, aber jetzt schien er mir irgend wie riesig. Oder, war ich nur so klein?

"Holly, das ist nicht so, wie du denkst..." Das war er. Das war der Standartsatz, mit dem sich solche Mistkerle immer versuchen, aus der Affäre zu ziehen. Es ist nicht so, wie ich denke. Wie soll es denn anders sein? Gleich wird er wohl sagen, dass er nur ein Theaterstück geprobt hat. Ha, ich lach mich tot.

"Es ist nur so, dass..."

"Halt's Maul!!!" Ich hatte lauter gesprochen, als ich das wollte und ich bemerkte natürlich sofort Matts entgeisterten Blick.

"Holly, du verstehst nicht..."

"Du sollst die Klappe halten!!!" Ich war wütend. "Du Schwein..." Ich war so wütend auf ihn. "Du verdammtes Schwein..." Ich fühlte mich stark. Die Wut, die größer wurde, als meine Angst lies mich stärker werden. Ich war stärker als er, ich hatte keine Probleme mich gegen ihn zu behaupten. "Was sollte der Scheiß denn jetzt?" Ich wurde immer größer. Je mehr meine Wut wuchs um so größer wurde ich. "Ist das nur, um mich fertig zu machen?"

Aber Matt schien trotzdem nicht locker zu lassen. Er streckte seine Hand aus und griff nach meinem Arm. Er drückte schon fast gewaltsam zu, als ob er mir damit sagen wollte, dass er immer noch stärker ist als ich und alle Karten in der Hand hält. Ich hätte nicht gedacht, dass er mich je so grob anfassen könnte, zumal seine Berührungen sonst immer einfühlsam und zärtlich waren. Ich entdeckte eine ganz andere Seite an ihm. Ich versuchte mich aus seinem harten Griff zu befreien.

"Holly, jetzt hör' mir endlich zu!" Sein Griff wurde immer fester und es schien mir unmöglich, ihm zu entkommen.

"Nein! Lass mich los! Ich hasse dich! ICH HASSE DICH!!!"
 

Ganz plötzlich wurde es still. Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Hatte ich gerade dem Menschen, den ich am meisten liebte gesagt, dass ich ihn hasse? Ist so etwas möglich?

Matt löste seinen Griff. Sein erschrockener Gesichtsausdruck wurde ernst. Jetzt bekam ich erstrecht Angst. So hatte er mich noch nie angesehen. Ein rätselhafter Blick, in dem sich seine Augen, seine sonst wunderschönen blauen Augen, mir in einem ganz anderen Licht präsentierten. Aber ich konnte, weiß Gott, nichts aus diesen Augen herauslesen. Sie waren so fremd.

"Matt, das war nicht..." Ich flüsterte fast. Ich war wieder ganz klein. So klein und stur und dumm, dass ich in ein Mauseloch gepasst hätte. Ich hasste mich, für das, was ich gerade gesagt hatte.

"Ich kann's nicht glauben, dass du..." Matt trat einen Schritt zurück. Seine tiefe Stimme zitterte etwas. "Dass du..." Er trat noch einen zurück. Jetzt stand er auf der Straße. "Dass du..." Er trat noch einen zurück. Oh Gott, er wusste nicht, was er tat. "DASS DU SO VERDAMMT..............!"

"MAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAATT!!!!!!!!............."
 

...to be continued...
 

Tja, Blaue Schneeflocken 2 hatte ich eigentlich etwas kürzer geplant, aber am Ende war's dann so viel, dass ich zwei Storys draus machen musste. Ich hab's am 11.11.02 beendet. Natürlich in der Schule, wo auch sonst...
 

Maya :D
 

BS2 ...auch wenn man für sie sterben würde
 

Was war denn jetzt los? Wieso ist alles dunkel? Ich konnte nichts sehen und nichts fühlen. Es war auf einmal alles schwarz. Als ob sich mein Körper von mir verabschiedet hätte. Plötzlich fühlte ich einen leichten Druck neben mir. Als hätte mich jemand kurz angestupst. Durch die Dunkelheit schien ein schwaches Licht. Ich versuchte mich umzudrehen, aber ohne Körper ging das schlecht. Doch das Licht tat selbst eine Aktion. Es verdichtete sich und nahm eine Form an. Die Konturen wurden immer deutlicher. Ich erkannte bereits Finger und Haare wieder. Nach ein paar Sekunden stand er dann vor mir. Aus irgend einem Grund schockierte mich das aber nicht im geringsten. Er hatte ein vollkommen neutrales Gesicht. Da war weder ein Funken Freude, noch Ärger. Aber seine Augen schienen mir fast tot. Leblos und anteilnahmslos starrte er mich an. Ich fragte mich nur noch was los war. Doch dann öffnete er seinen Mund. Ich hörte seine tiefe Stimme in der Dunkelheit hallen. Seine Worte, die er ganz langsam aussprach, formten sich in meinem Kopf zu einem Sinn.
 

"Was willst du denn hier?..."
 

Mit einem Mal raste die Kälte auf mich zu. Sie erreichte mich, packte mich und krallte sich an mir fest. Ich spürte plötzlich meinen ganzen Körper, wie er sich unter der Eiseskälte zu winden versuchte. Er wehrte sich dagegen, dass sie in ihn eindringt. Aber sie war stärker. Erbarmungslos fraß sie sich durch meine Haut in direktem Ziel auf mein Herz. Sie hatte es fast erreicht.

"Holly?" Gleich ist mein Herz erfroren.

"Holly, verdammt!" Gleich bin ich tot.

"Holly, wach auf!" Ich sterbe...

"Wach endlich auf!" Mit einem Ruck saß ich aufrecht im Bett. Ich atmete hastig einen tiefen Zug ein, als ob ich kurz davor gewesen wäre zu ersticken. Der Atemzug schien gar nicht mehr zu enden, bis aber dann das vollständige Volumen meiner Lungen ausgefüllt war und ich gezwungen war, wieder auszuatmen.

"Holly, meine Güte, hast du uns 'nen Schrecken eingejagt." Ich musste erstmal verstehen, wo ich war und wer da mit mir redete. Aber ich konnte gar nicht soviel Gedanken verarbeiten, wie ich Informationen bekam. Aber erstmal hübsch der Reihe nach. Also, wo war ich denn nun? Auf jeden Fall saß ich auf einem Bett, denn so weich und warm konnte die Straße, an die ich mich als letztes erinnerte, nicht sein. Ich blickte auf. Ich war in einem Zimmer. Da waren Stühle und ein Tisch und ein Schrank mit meinem Schulzeugs. Ach, Bing, jetzt erkannte ich mein Zimmer wieder.

"Hey, alles in Ordnung? Du hast ganz schön lange geschlafen." Von wegen geschlafen. Aber meine Schwester sah mich ganz besorgt an. Mir tat sie schon fast leid, wie sie da ganz allein in dem dunkeln Zimmer an meinem Bett kniete.

"Ja,... Ja ... Ich glaub' mir geht's gut..." Ich versuchte zu lächeln, damit Irene nicht mehr so ein besorgtes Gesicht machte. "Wie lange hab' ich denn geschlafen?"

"Ein paar Stunden. Der Krankenwagen hat dich angeschafft. Sie wollten dich eigentlich im Krankenhaus behalten. War aber nicht nötig, weil du nur einen kleinen Nervenzusammenbruch hattest." Ich konnte mich partu nicht daran erinnern.

"Naja, wenigstens geht's dir gut. Da sieht's mit Matt wohl etwas finsterer aus." Jetzt riss ich die Augen auf. Die Erinnerung kam mit einem Schlag zurück. Ich erinnerte mich an die Straße und an...

"Wie geht es ihm? Wo ist er jetzt?", fragte ich aufgebracht.

"Tja, er ist jetzt im Krankenhaus. Was genau mit ihm ist, weiß ich leider nicht. Aber ich lass dich jetzt erstmal allein. Dir scheint es ja wieder gut zu gehen." Ich merkte gar nicht mehr, wie Irene aus dem Zimmer ging. Ich war mit der Erinnerung zu sehr beschäftigt. Wie ich sagte, dass ich ihn hasse, wie er geistesabwesend auf die Straße rückte und wie er dann... ...von diesem Auto angefahren wurde. Ich erinnerte mich, wie er da lag und sich nicht mehr rührte. Es war meine Schuld. Ich habe das veranlasst. Oh mein Gott, wegen mir ist ihm das passiert. Es ist alles meine Schuld. Ich musste hier raus. Ich musste zu ihm. Ich konnte ihn jetzt nicht alleine lassen. Das wäre nur unfair.

Ich quälte mich aus dem Bett. Mein Körper war immer noch ganz schwach. Es fühlte sich an, als wäre die Gravitation zwanzig mal stärker als gewohnt. Vielen Dank auch, Isaac Newton. Wäre ihm jetzt der Apfel auf seine Birne gefallen, hätte das sicher weitaus mehr weh getan. Ungefähr so sehr, wie mir die Sorge um Matt weh tat und das furchtbare Gefühl, dass ich dafür verantwortlich war.

"Ich bin bald wieder zu Hause!", rief ich, während ich im Flur mir meinen Mantel schnappte. Ich war glücklicher Weise schnell genug und schon aus der Tür, bevor jemand blöde Fragen stellen konnte. Das wäre echt das Letzte, was ich brauchen könnte. Irgendjemand, dem ich erklären muss, dass ich wahrscheinlich am Tod meines besten und liebsten Freundes Schuld bin.
 

Ich erreichte die Straße. Die beißende Kälte stieß mir ins Gesicht und machte den Anblick der Schneeflocken, die vom dunklen Himmel fielen, vollkommen zu Nichte. Die Schneeflocken waren nicht mehr länger angenehm anzusehen, sondern wuselten nur noch auf nervende Weise vor meinem Gesicht herum und behinderten mich an meinem Voranschreiten.

Diese blöde Kuh. Was denkt die sich eigentlich? Die könnte ihn NIE so sehr lieben, wie ich es tat. Oder, liebe ich ihn gar nicht mehr? Eigentlich... Sie war es ja nicht, die ihm gesagt hat, dass sie ihn hasst. Sie war es nicht, die ihm weh getan hat. Und sie war es auch nicht, die ihn dazu brachte, auf die Straße zu gehen. Das war alles ich. Ich war hier die blöde Kuh. Was heißt, blöde Kuh? Ich bin ein Mega-Arsch. Was dachte ich mir überhaupt dabei? Die Kälte schien mir auf einmal noch unerträglicher, als eben noch. Verachtend und brutal drückte sie auf mich nieder und machte mir den Weg zum Krankenhaus, zu Matt, immer schwerer.
 

Nach etwa zwanzig Minuten unerträglichen Laufens durch den Schnee, kam ich am Krankenhaus an. Als ich hineinging schien es, als ob ich aus einer Zeitlupe in einen Zeitraffer gesprungen wäre. Hintereinander weg folgten meiner Aktionen. In Windeseile stand ich am Empfang, fragte das Fräulein nach dem Zimmer, in dem Matt lag. Vier Sekunden später stand ich am Ende des Treppenhaues des zweiten Stockes. Ab hier stoppte der Filmriss wieder ganz plötzlich und alles lief wieder in dem quälend langsamen Tempo.

Oh, mann, ich hatte mir gar nicht überlegt, was ich da machen sollte. Sollte ich mit ihm reden? Oder sollte ich einfach nur da stehen? Aber das hatte ja so gut wie keinen Sinn. Vielleicht sollte ich einfach mal schnell einen Blick reinwerfen und dann mich wieder verdünnisieren. Aber meine flüchtigen Gedanken wurden unterbrochen, als ich in den Gang bog in dem sich das Zimmer befand. Auf der Bank vor dem Zimmer saß jemand. Ein kleiner blonder Junge saß da. Den Kopf gesenkt und mit ein paar Tränen in seinen blauen Augen, kauerte er ein wenig zitternd auf der Bank und rührte sich nicht. Es war Matts kleiner Bruder. Langsam ging ich in seine Richtung.

"Hi, wie geht's?..." Ich flüsterte fast, aber es hallte in dem langen Gang so sehr, dass es klang, als hätte ich geschrien. Matts Bruder blickte zu mir auf. Erst jetzt erkannte ich, dass das keine paar Tränen in seinen Augen waren. Die pure Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. Seine Augen waren stumpf und trüb. Auf einmal biss mir die Schuld noch mehr ins Gewissen. Ich zuckte zusammen und hätte vor Schmerzen fast aufgeschrien. Aber hätte ich geschrien, hätte ich mich womöglich verraten. Verraten... Was für ein Wort. Als ob ich ein Schwerverbrecher wäre. Aber was unterschied mich denn noch großartig davon? Ich hatte immerhin den Bruder dieses zwölfjährigen Jungen auf dem Gewissen.

Oh, Gott, die Schuld wurde immer unerträglicher. Mir wurde jetzt das Ausmaß meiner Tat erst bewusst. Ich hatte nicht nur Matt weh getan, sonder auch seiner Familie, seinen Verwandten, seinen Freunden. Was hab' ich nur getan?!?

Auf einmal hörte ich ein kleines leises Schluchzen. Es zerriss mir das Herz und das wird wohl nicht die letzte Strafe sein, mit der ich zu rechnen hatte.

"Du...kannst...reingehen, wenn du willst. Mama und Papa sprechen nur noch mit dem Arzt." In dem Moment ging die Tür auf und der Arzt kam heraus, in Begleitung von einem Mann und einer Frau.

"...und muss ich ihnen leider mitteilen", hörte ich noch Satzfetzen des Arztes, "..., dass ihr Sohn im Koma liegt und nicht sicher ist, wann und ob er wieder aufwacht..."
 

Nein, Nein, lieber Gott, bitte nicht, lieber Gott. Das kann doch nicht sein. Im Koma? Matt liegt im Koma?

Eine gewaltige Flut an Schuldgefühlen, Verzweiflung, Angst und Hass auf mich selbst stürzte auf mich ein und begrub mich unter sich. Mit unglaublichem Druck zerquetschte mich die Last, die ich auf mir hielt. Was sollte ich denn jetzt nur machen?
 

Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich bereits allein im Gang stand. Ich kam mir noch nie so allein vor. Mir war kalt. Ich wollte gar nicht mehr in das Zimmer gehen. Ich fühlte mich so furchtbar elend. Aber mir wurde eines klar. Warum habe ich ihm nur gesagt, dass ich ihn hasse? Ich hasse ihn doch gar nicht. Das konnte ich überhaupt nicht. Ich würde jetzt niemals so sehr leiden, wenn ich ihn nicht von ganzem Herzen lieben würde.

Plötzlich erblickte ich am Ende des Ganges ein Fenster. Durch das Fenster hindurch sah ich die Schneeflocken. Ohne die Kälte erschienen die Schneeflocken nicht länger nervig, sondern wieder anmutig und harmonisch mit dem schwarzen Himmel. Sie tanzten wieder auf und ab und ich hätte schwören können, dass sie mir zulächelten. Als würden sie flüstern: "Nur Mut. Hab' keine Angst..." Mit zitternden Händen fasste ich also an die Türklinke und drückte die nach unten.
 

Ein leises Knarren hallte im Gang wider als ich eintrat. Im Zimmer hörte das Hallen abrupt auf. Es war ganz ruhig. Es war nicht diese Mörderstille, es war einfach nur ruhig. Dann vernahm ich ein monotones Piepsen. Ich suchte nach der Ursache und erblickte sie sofort. In dem einzigen Bett in diesem Zimmer lag er. Matt... Aber er sah gar nicht so aus, wie ich gedacht hatte. Das Zimmer bot eine leichte Atmosphäre in der Matt nur zu schlafen schien. Sein Atem war ruhig und regelmäßig und es machte fast der Eindruck, als ob er lächeln würde und flüsterte ...Nur Mut. Hab' keine Angst... Ich schritt auf das Bett zu, setzte mich darauf und umschloss seine Hand mit meiner. Ich versuchte meine Verzweiflung kurz zu vergessen, um das zu tun, was mir am sinnvollsten erschien.

"Matt? Matt?... Äh... Hi, ... Ich weiß leider nicht, ob du mich hören kannst, aber wenn ich das jetzt nicht tue, werde ich wohl nie mit reinem Gewissen vor meinen Schöpfer treten." Ich atmete tief ein. "Also, es tut mir leid. Was heißt, es tut mir leid? Es tut mir unendlich leid, was ich getan habe. Das war furchtbar bescheuert von mir und wenn du jetzt vielleicht nie wieder... ...für mich lächeln kannst, will ich nur, dass du weißt... Ich liebe dich. Matt, ich liebe dich mehr, als alles andere auf der Welt. Du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben und was du mir alles gegeben hast ist nicht in Worte zu fassen. Dass ich dir gesagt habe, ich würde dich hassen, kann ich natürlich nicht zurück nehmen, weil es in dem Moment die Wahrheit war. Dass du dieses Mädchen geküsst hast war nicht fair, aber dir zu sagen, dass ich dich hasse war auch nicht fairer." Ich fing an zu weinen. "Verdammt, ich wollte eigentlich nicht weinen. Ich wollte dir zeigen, dass ich stark bin. Aber es ist schwerer, als ich dachte. Aber mindestens das müsste dir beweisen, dass ich es nicht aushalten würde, wenn du nicht mehr bei mir bist. Matt, ich liebe dich und ich wüsste nicht, was ich mit mir anfangen sollte, wenn du nicht mehr da bist, wenn ich dich brauche." Ich wurde immer lauter.

"Matt, verdammt, ich bin für dich durch die Hölle gegangen und du schuldest mir noch eine Antwort. Ich will wissen, was mit diesem Mädchen ist. So viel bist du mir noch schuldig. Wo ist denn der coole, toughe Kerl, der niemals davon rennt? Also, lauf bloß jetzt nicht davon. Du hättest dir wirklich 'n beschissenen Moment ausgesucht. Also, wach endlich auf! Bitte,

WACH ENDLICH AUF!!!"

... ... ... ...

"Sind wir dann quit?..." Ich vernahm ein leises Flüstern. Mein Herz begann schneller zu schlagen und ich wünschte mir in dem Moment nichts sehnlicher, als das, was ich gerade zu hoffen vermochte. "Sag' schon. Sind wir dann quit?..." Ich sah, wie Matt schwach seine Lippen bewegte.

"Ja. Ja, natürlich sind wir dann quit. Was glaubst du denn?", antwortete ich ihm mit zitternder Stimme. Ich glaube, Matt konnte die Vibration meines heftigen Herzschlages bereits fühlen.

"Also, schön. Hier ist meine Erklärung. Das war nichts weiter, als ein total durchgeknallter Fan. Es hat an der Tür geläutet und ich dachte, du würdest davor stehen. Aber als ich die Tür öffnete schrie diese Verrückte 'Oh mein Gott, oh mein Gott, du bist mein Held.' Und bevor ich was erwidern konnte, hing sie schon an mir dran.

Holly, ich verspreche dir, und darauf kannst du für immer vertrauen,..." Jetzt öffnete er seine Augen. Diese zwei dunkelblauen Augen blicken mich freudig strahlend an, obwohl Matt nur ganz leicht lächelte. Ich beugte mich etwas zu ihm hinunter, weil ich sein Flüstern fast nicht mehr verstand. "... Ich liebe dich..."

... ... ... ...

"Du bist ja wahnsinnig, mir so einen Schrecken einzujagen."

"Aber für das hat es sich gelohnt...", hauchte er nur noch, stemmte sich etwas nach oben und drückte seine warmen Lippen wieder auf meine...

Genau, wie letztes Jahr...

Genau, wie letzte Weihnachten...
 

Tja, was soll ich sagen? Ich habe Weihnachten im Krankenhaus gefeiert. Ich blieb noch die ganze Nacht bei Matt. Sein Geschenk hat mir Irene vorbeigebracht, sodass ich es ihm dann doch noch überreichen konnte. Nach einer Woche war Matt schon wieder auf den Beinen. Und soll ich euch verraten, was er mir geschenkt hat? ... Ach, nee, ich sag's lieber nicht. Bätsch! Aber eins kann ich euch flüstern. Solche blauen Schneeflocken findet man im ganzen Universum nicht noch mal...
 

ENDE
 

Fertiggestellt am 13.11.02. So'n Mist. Ich hatte Blaue Schneeflocken eigentlich als halbseitige Kurzgeschichte geplant und nicht als Massendrama. Aber Halleluja ist jetzt der "zweite" Teil endlich fertig. Sollte da jetzt irgend was aus medizinischer Sicht nicht ganz hinhauen, bitte drüber wegsehen. So schlau bin ich auch wieder nicht...
 

Maya :D



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