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Insomnia

"You can't fix me."
von

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TWENTY-FIVE

TWENTY-FIVE

 

Heute war ein Tag, in der Maron am liebsten gar nicht aufstehen wollte. Obwohl-…

Eigentlich war jeder Tag so.

Der Wecker klingelte. Müde kuschelte sie sich an Chiaki’s warmen Körper an. Sie konnte spüren, wie er Probleme hatte seinen Arm aus der Decke rauszubekommen. Irritiert zog sie ihre Brauen zusammen, öffnete träge ihre Augen und rief sich anschließend in Erinnerung, dass sie beide auf der Bettdecke eingeschlafen waren und Chiaki sie zusammen, wie ein Burrito, eingewickelt hatte.

Verschlafen setzte Maron sich auf, schauderte etwas als der Deckenkokon sich löste und die kühle Zimmerluft auf ihre nackte Haut traf. Chiaki setzte sich ebenfalls auf und machte den Wecker aus. Kurz stand er auf, schlüpfte unter die Decke und legte sich wieder hin. Mit geschlossenen Augen strich er sich eine Hand über das Gesicht.

Seufzend stand Maron auf, hielt sich leicht zitternd beide Arme vor den Oberkörper. Sie sah, dass Chiaki seine Augen geschlossen hielt und sich etwas zur Seite drehte, ihr dabei den Rücken zukehrte. Entweder war er zu müde oder er wollte ihr in gewisser Weise Privatsphäre geben - sie war sich nicht sicher.

Sie nahm sich ihre Haarnadel vom Nachttisch und suchte nach ihrem Pullover. Es dauert nicht lange, bis sie es fand und es sich schnell überzog. Anschließend ging sie mit ihrer Tasche ins Bad, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, um etwas munter zu werden. Grob kämmte sie sich mit ihren Fingern durch die Haare. Sie kehrte in sein Zimmer zurück, zog sich Jacke und Schuhe an und packte ihre Tasche ein.

Maron drehte sich zu Chiaki um, der noch immer im Bett lag und sie mit einem herzzerbrechenden, trostlosen Ausdruck im Gesicht ansah. Sie schenkte ihm ein beruhigendes, sorgloses Lächeln. Wollte nicht, dass er sich wegen den Ereignissen der gestrigen Nacht fertig machte.

Er lächelte traurig zurück und winkte sie zu sich rüber.

Sie ging auf ihn zu und stieg, ohne zu zögern, aufs Bett. Chiaki setzte sich auf und anders als sonst, machte er die Nachttischlampe an, erhellte das dunkle Zimmer in dessen sanftem Licht. Maron musste gegen die plötzliche Helligkeit stark blinzeln. Er kniff sich ebenfalls die Augen zusammen, lehnte sich im nächsten Moment zu ihr hin und drückte ihr einen kleinen, sanften Kuss auf die Wange.

Für einige Sekunden verweilten seine Lippen darauf. Sie konnte seinen warmen Atem auf ihrer Haut spüren. Automatisch erhöhte sich ihr Puls.

Nach einer Weile zog er sich zurück und sank wieder ins Bett runter. Sein Gesichtsausdruck wurde noch trauriger und seine Augen blickten trostlos in ihre.

Ihr Herz zog sich zusammen. Sie musste ihn wissen lassen, dass sie sich nicht von ihm abwenden wird, egal was er dachte und fühlte.

Maron beugte sich langsam zu ihm runter. Seine traurigen, braunen Augen ließen keinen Moment von ihr ab als sie mit einer Hand ihm liebevoll über die Wange strich und mit der anderen Hand nach seinem Ring unter der Decke tastete. Sie fischte es heraus, gab dem Ring und seiner Wange einen zarten Kuss. Chiaki rührte sich derweil nicht.

Mit ihren Lippen strich sie über seine Haut und stoppt an seinem Ohr. „Nichts könnte mich dazu bringen dich weniger zu lieben“, flüsterte Maron ihm zu, ließ den Ring los und stieg vom Bett runter. Sie warf ihm einen letzten liebevollen Blick zu.

Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert. Wenn überhaupt, wirkte er noch nachdenklicher. Noch deprimierter.

Maron stieß einen schweren Seufzer aus, sah betreten zur Tür und wünschte sich, dass sie mehr Zeit hätten. Dass sie den ganzen Tag bei ihm bleiben könnte.

Aber sie musste gehen. Resigniert drehte Maron sich um und lief durch die Tür nach draußen, ließ Chiaki in seinem Zimmer allein.

 

Nach allem was letzte Nacht geschehen war, fühlte sich zu Hause der Tag heute so ungewöhnlich normal und sorglos an. Es war merkwürdig.

Miyako wachte früh auf und machte mit Maron zusammen ein fettes Weihnachtsfrühstück.

Es war Maron’s erstes Weihnachten ohne ihre Mutter. Gleichzeitig war es auch ihr erstes Weihnachten mit ihrem Vater und den Toudaijis. Dies minderte den inneren Schmerz. Ihre Mutter fehlte ihr sehr.

Das Frühstück verlief ziemlich entspannt ab. Am Nachmittag kamen Yamato und Natsuki, um den Mädels Geschenke vorbeizubringen. Während Miyako mit beiden abhing, hatte Maron sich in die Küche zurückgezogen. Sie hatte keine Lust auf deren Gesellschaft, räumte auf und bereitete auch langsam alles für das Abendessen vor.

Takumi und Sakura bestanden darauf, dass sie die Küche mal in Ruhe lassen soll, aber Maron blieb stur. Sie war müde, hatte letzte Nacht nicht viel Schlaf bekommen, da sie und Chiaki recht lange wach waren. Aber sie musste sich beschäftigt halten, musste ihre Gedanken ein wenig von letzter Nacht ablenken.

Über den Tag klingelte immer mal die Tür und Freunde und Bekannte kamen vorbei, um Weihnachtsgrüße auszusprechen oder Geschenke vorbei zu bringen. Maron konnte immer nur fremde Stimmen kurz hören, war aber ganz in ihrem Element vertieft. Eventuell konnte sie auch mal Shinji und Dr. Nagoya hören, was ihre Gedanken automatisch zu Chiaki lenkte und ihr Herz zog sich wieder für einen Moment zusammen.

Die ganze Woche über hatte Maron versucht ihrem Vater in gewisser Weise anzudeuten, dass er die Nagoyas zum Weihnachtsdinner einladen sollte. Er verneinte, als sie wie beiläufig mal danach fragte.

Weshalb sie letzten endlich ein nettes Weihnachtsessen zu viert unter der Familie hatten. Angesichts bestimmter Umstände war es jetzt vielleicht besser so.

Danach wurden Geschenke ausgetauscht.

Maron bekam von Sakura und Miyako schöne Kleider, bei denen sie sich nicht sicher war, ob sie sie jemals tragen würde. Nichtsdestotrotz bedankte sich herzlichst bei ihnen. Takumi hatte ihr ein eBook-Reader geschenkt, worüber sie sich sehr gefreut hatte.

Den Rest des Abends verbrachte sie mit Miyako in deren Zimmer, rieben sich zusammen die vollgestopften Bäuche und schworen sich für eine Woche nichts mehr zu essen.

Nachdem alle endlich ins Bett gegangen waren und schliefen, packte Maron wie gewohnt ihre Sachen ein und ging zu den Nachbarn rüber. Sie war nervös Chiaki wieder zu sehen und hoffte innerlich, dass seine Stimmung sich seit heute Morgen etwas gebessert hatte.

Leise klopfte sie an der Balkontür, schüttelte sich vor Kälte. Es war stark am Schneien und ein eiskalter Windhauch wehte vorbei.

Die Tür öffnete sich und ihr gefiel nicht, was sie sah.

Chiaki stand in schwarzer Jeans und einem schwarzen, langärmligen Shirt vor ihr, die Haare standen noch wilder ab als sonst, als hätte er den ganzen Tag damit verbracht seine Finger durch ihnen zu fahren.

Was sie hart traf, waren seine Augen.

Sie wirkten genauso niedergeschlagen und leer wie vorher, als er ihren Blick erwiderte.

Ihr Magen verkrampfte sich. Maron wusste, dass er immer noch deprimiert wegen gestern war. Sie wollte ihn fragen, ob sie irgendwas tun konnte, um es besser zu machen.

Aber ein Blick von ihm sagte ihr, dass Fragen es nur schlimmer machen würden, weshalb sie wortlos in sein Zimmer reinging.

Chiaki schloss hinter sich die Tür und schob ihr die Kapuze runter. Gespannt sah Maron zu ihm auf, fragte sich, ob er sie immer noch küssen würde.

Er lächelte sie an. Es war nicht sein typisches, schiefes Lächeln.

Dieses Lächeln war so voller Trostlosigkeit, es brach ihr das Herz.

Langsam beugte er sich zu ihr runter und legte sachte seine Lippen auf ihre. Instinktiv intensivierte sie den Kuss etwas, merkte aber sofort, dass es von seiner Seite an Gefühl fehlte.

Auch wenn er ihr sachte über die Wange strich, fühlte sich der Kuss traurig leer an. Und als er sich von ihr löste, konnte sie spüren wie ihre Augen anfingen zu brennen. Dennoch wollte Maron sich den Schmerz und die Enttäuschung nicht anmerken lassen, blickte mit einer ruhigen Miene zu ihm auf.

Sie verstand, dass er ernsthafte Probleme hatte, die er versuchte von selbst zu lösen - konnte es in seinen Augen sehen.

Und es gab nichts was sie tun konnte als abzuwarten, dass er mit seinen Gefühlen irgendwie und irgendwann im Einklang war.

Sie hatte volles Verständnis dafür... und dennoch tat es irgendwie weh.

Schwer schluckend drehte Maron sich von Chiaki weg, packte ihren Rucksack aus und ging zu ihrem gewohnten Platz auf dem Sofa. Schweigend sah sie ihm beim Essen zu. Er sah kein einziges Mal zu ihr auf.

Nach einigen Minuten hielt sie die Stille nicht aus, versuchte mit ihm ein harmloses Gespräch aufzubauen. „Wie war dein Tag?“, fragte sie zaghaft.

„…Nichts Besonderes“, murmelte er geistesabwesend, ohne ihren Blickkontakt zu erwidern, sagte nichts mehr weiter und es wurde wieder still zwischen ihnen.

Seufzend senkte Maron geknickt ihren Kopf, versuchte ihn nicht weiter zu bedrängen. Es war ziemlich ungewohnt ihn so schweigsam zu sehen.

Als wäre er in seiner eigenen, kleinen Blase gefangen - versunken in seinen eigenen Gedanken.

Gedankenverloren blickten seine Augen in die Ferne, versuchten irgendwas zu sehen, was es nicht gab.

Nach dem Chiaki fertig mit essen war, gingen die beiden auch direkt ins Bett. Sie schlüpften unter die Decke, das Licht ging aus und er nahm sie vorsichtig in die Arme, küsste sanft ihre Haare.

Seine Umarmung war nicht so fest wie sonst, als traute er sich nicht sie zu berühren. Maron legte ihre Arme um ihn, drückte ihn fest an sich. Resigniert strich sie ihm durch die Haare, lauschte seinem ruhigen Atemrhythmus und nach einige Zeit waren beide eingeschlafen.

 

Die Tage seit Weihnachten vergingen.

Die winterlichen Temperaturen sanken teilweise bis unter null Grad Celsius.

Aber nicht nur draußen würde es kälter…

Chiaki distanzierte sich noch mehr von ihr.

Die gefühlvollen Küsse an der Tür waren kaum mehr vorhanden. Jegliche Form von Zuneigung wurde von seiner Seite eingestellt. Der trostlose Ausdruck in seinen Augen blieb unverändert. Es war als wäre das Feuer in seinem Inneren erloschen.

Sie sprachen kaum ein Wort mehr miteinander.

Maron versuchte ihm die nötige Zeit und den nötigen Abstand zu geben, die er brauchte. Saß schweigend auf der Couch, versuchte zu lesen und warf ihm immer mal besorgte Blicke zu. Blicke, die Chiaki nie erwiderte. Und sogar mied.

Er war vollkommen in sich gekehrt.

Es zerriss sie förmlich. Er war ihr so nah und doch so fern.

Wo bist du nur, Chiaki?, ging es ihr immer und immer wieder durch den Kopf, wünschte sich innerlich, dass er wieder zu ihr zurückkam.

In einer Nacht konnte Maron das Schweigen nicht ertragen, musste ihn fragen was los war. Murmelnd antwortete Chiaki ihr nur, dass es ihm gut ginge und lächelte sie halb an.

Am liebsten wollte sie auf ihn zu springen, ihn kräftig rütteln und ihm sagen, wie bescheuert er sich verhielt und dass er sie wieder richtig küssen sollte. Dass er sie wieder richtig in seine Arme nehmen sollte. Dass er wieder zu ihr zurückkehren sollte.

Aber sie hielt sich zurück.

Ihm noch in irgendeiner Weise Druck auszuüben, würde nichts besser machen. Wenn überhaupt, könnten jegliche Bemühungen ihrerseits alles nur noch schlimmer machen. Auf keinen Fall wollte sie noch mehr Wunden öffnen, als sie schon getan hatte.

Nichtsdestotrotz konnte Maron ihre Bitterkeit schwer runterschrauben.

Seine Umarmungen im Bett waren auch nahezu lachhaft. Die Distanz zwischen ihnen wirkte sich auch auf den Schlaf aus. Zumindest bei ihr.

Die Albträume kehrten zwar nicht zurück, aber sie konnte dessen Präsenz und diese innere Unruhe im Schlaf spüren, wodurch sie mit diesem vertrauten Gefühl von Furcht und Angst am nächsten Morgen immer aufwachte. Wie ein dunkler Schatten lauerten die Albträume auf ihr.

Sie wollte, dass Chiaki sie festhielt und dass die Träume von ihr fernblieben. Doch stattdessen bekam sie nur minimale Streicheleien und kleine, federleichte Küsse.

Die Sehnsucht nach ihm war groß.

Maron verbrachte selbst viel Zeit mit Nachdenken und bereute das ganze Weihnachtsgeschenk-Fiasko zutiefst. Sie hasste es, dass sie überhaupt Reue darüber verspürte. Dass sie es bereute ihm ihr Herz -ihre Liebe- geschenkt zu haben.

Miyako bemerkte ihre bedrückte Stimmung, fragte immer wieder was los war, worauf Maron jedes Mal nur mit den Schultern zuckte. Sie war frustriert darüber, dass sie ihre Freundin noch nicht mal um Rat fragen konnte.

Sie darf schließlich nichts über uns wissen, ging es ihr bitter durch den Kopf. Falls es noch sowas wie ein „uns“ gab.
 

***

Er versuchte es.

Er versuchte angestrengt dieses Gefühl zu verspüren. Diese Liebe für sie zu verspüren, nach der er dringend suchte. Welche sie dringend verdiente.

Aber es war nicht da.

Chiaki wollte sie von sich stoßen und sie fragen, wieso sie ihn verdammt nochmal nicht hasste. Er begriff es einfach nicht.

Maron’s Liebe zu ihm war vollkommen bedingungslos. Es machte alles nur noch schlimmer.

Er wollte es mehr als alles andere auf der Welt. Diese Liebe für sie verflucht nochmal zu empfinden und es ihr zeigen.

Aber jedes Mal, wenn er ihr die Tür öffnete und sie ansah, fühlte er sich noch leerer.

Weil es nicht zu finden war.

Weil er es nicht spüren konnte.

Weshalb Chiaki sich die letzten Tage und Nächte von ihr distanzierte. Und er hasste sich dafür.

Er hasste sich jede Sekunde dafür, dass Maron ihn mit diesen traurigen, verletzten Augen anblickte.

Er hasste sich dafür, dass er ihr immer noch weh tat. Dass er mit seiner Unfähigkeit sie zu lieben, weh tat.

Es war nicht fair ihr gegenüber.

Nach Weihnachten konnte Chiaki ihr nicht mal in die Augen blicken. Mied ihren Blickkontakt immer, konnte den Schmerz in ihren großen braunen Augen einfach nicht ertragen.

Es fraß ihn innerlich förmlich aus.

Wenn Maron morgens ging, blieb Chiaki für den Großteil des Tages im Bett. Mag für den einen oder anderen erbärmlich klingen.

Aber er suchte.

Suchte verzweifelt nach etwas, wovor er Angst hatte es nie zu finden.

Die Tage verbrachte er eingebunkert in seinem Zimmer, grübelte viel nach, versuchte sich irgendwie im Klaren darüber zu werden.

Er konnte Freundschaft für sie empfinden. Loyalität, Treue, Fürsorge, Zuneigung… Sogar Lust.

Aber es war, als wäre es nahezu unmöglich für ihn diese andere Ebene an Emotionen zu erreichen.

Nicht nur für Maron. Sondern für überhaupt jemanden.

Und je mehr Chiaki darüber nachdachte, desto beschissener fühlte er sich.

Er sollte Kaiki lieben. Er war schließlich sein Vater. Hatte ihn in seine Obhut genommen und sich um ihn gesorgt, als er glaubte niemanden mehr zu haben.

Er wusste, dass Kaiki ihn genauso bedingungslos liebte, wie Maron und dass sein Vater zu ihm hielt, trotz all der Scheiße, die er mit ihm durchmachen musste.

Sein Vater hatte seine Liebe genauso verdient, wie sein Mädchen.

Und selbst für ihn war sie nicht da. Selbst nach sieben verdammten Jahren nicht.

Da war Respekt und Loyalität und Fürsorge und sogar so etwas wie vorbildlicher Bewunderung Kaiki gegenüber.

Aber keine Liebe.

Dennoch erschien es Chiaki als schwachsinnig, dass er es überhaupt nicht fühlen konnte. Er war schließlich ein Mensch. Hatte ein Herz und eine Seele… irgendwo musste es doch sein!

Allein die Vorstellung, dass er es gar nicht empfinden konnte, verstärkte in ihm nur den Wunsch es empfinden zu wollen.

Er fühlte sich wie ein Freak. Leer und hohl.

Chiaki konnte sehen, dass Maron ihm helfen und beistehen wollte. Konnte es in ihren Blicken sehen.

Aber das war eine Sache, worin sie ihm nicht helfen konnte.

Anders als bei den Albträumen und der Schlaflosigkeit, waren sie beide in Sache Liebe nicht gleich.

Während sie so viel davon hatte, mangelte es ihm deutlich daran.

Es hing daher alles an ihm.

Während sie ihre Liebe für ihn fühlen konnte, es zeigen konnte und ihn mit einem Blick allein zum Lächeln bringen könnte - konnte er nichts davon für sie tun.

Weshalb er sich noch mehr von ihr zurückzog. Er war zwar anwesend, aber gleichzeitig auch nicht.

Und mit jedem vergangenen Tag fühlte er sich noch verlorener, noch hoffnungsloser als vorher.

Er hasste sich für das, was er Maron antat. Sie schenkte ihm immer dieses falsche, gekünstelte und zugleich starke Lächeln, um ihren Schmerz zu verbergen. Der sich trotz allen in ihren Augen widerspiegelte.

Und zum allerersten Mal wünschte Chiaki sich, dass sie sich ihre Kapuze überzog, um den Schmerz vor ihm zu verstecken.

Denn diesen Schmerz konnte er ihr leider nicht nehmen.

 

Es war der letzte Tag des Jahres. Silvester.

An dem Morgen hatten sie kurz über einen alternativen Plan diskutiert, wie Maron am besten in der Nacht hierhin kommen konnte.

Ihre Väter sowie ein paar Leute aus der Nachbarschaft veranstalteten eine Silvesterfeier in der kleinen Parkanlage. Es wird auf einer großen Wiese gegrillt und Feuerwerke gezündet. Das machten sie jedes Jahr.

Und da überall Menschen anwesend sein werden, konnte man unmöglich unbeobachtet die Wand hochklettern.

Chiaki hatte mit dem Gedanken gespielt seinem Mädchen in der Nacht einfach abzusagen. Aber eventuell stellte er fest, dass er keine Lust hatte allein und müde das neue Jahr einzuläuten.

Weshalb er sich dafür entschied, dass sie durch die Vordertür kommen soll. Jeder würde auf der Feier anderweitig beschäftigt sein, da konnte sie problemlos einfach reinspazieren.

Den Plan gab er Maron auch wieder, sprach dabei in einer monotonen Stimme. Behielt nach wie vor seine Distanz von ihr ein.

Sie stimmte ohne große Einwände zu und war anschließend durch die Tür verschwunden.

Wie die letzten Tage auch, verbrachte Chiaki den Silvestertag allein in seinem Zimmer. Mag sein, dass er sich wie ein emotionaler Trottel verhielt, aber er konnte sich einfach nicht helfen.

Er wollte sich zusammenreißen und versuchen für sie da sein. Mehr für sie zu sein.

Wahrscheinlich setzte er sich selbst einfach zu sehr unter Druck und anstatt danach zu suchen, würde das Gefühl vielleicht zu ihm kommen. Vielleicht würde die Erleuchtung wie aus dem Nichts kommen.

Wie wenn man sich angestrengt an etwas erinnern will und es einfach nicht geht – bis es schließlich von selbst wiederkommt, wenn man aufhörte daran zu denken.

Nur hatte ihn diese Hoffnungslosigkeit in der ganzen Situation so weit heruntergezogen, dass es durchaus schwer war wieder auf zu finden.

Manchmal fragte er sich, ob es irgendwelche Medikamente gab, die ihm aushelfen könnten. Die ihm dazu verhalfen dieses Gefühl zu spüren. Wenn ja, dann würde er keine Sekunde warten und sie nehmen – nur um sein Mädchen das zu zeigen, was sie verdient hat und sie wieder Lächeln zu sehen.

 

Die Nacht brach an und Chiaki konnte von seinem Balkon aus schon Stimmen und Gelächter sowie laute Musik aus dem Park hören. All die gute Laune der Menschen draußen war echt zum Kotzen.

Er machte das Licht aus, als die ersten Feuerwerkskörper abgeschossen wurden und ließ das bunte Licht sein Zimmer erleuchten.

Gegen elf Uhr dreißig zog Chiaki sich seine Jacke und Straßenschuhe an und ging nach draußen, lief den vertrauten Weg über den Hinterhof Richtung Parkanlage.

Einerseits wollte er mit seinem Erscheinen Kaiki einen Gefallen tun (der unbedingt wollte, dass alle dabei waren) und andererseits wollte er einen kurzen Blick auf Maron’s Lächeln erhaschen, wenn sie sich das Feuerwerk anschaute.

Im Park ging er still seufzend an ihre gemeinsame Picknickbank vorbei und begab sich zu der offenen Wiese, die hinter ein paar Bäumen einige Meter entfernt war und auf der die Feier stattfand. Elektronische Fackeln waren auf der Fläche verteilt, um die Dunkelheit zu erhellen.

Die Wiese war voller Menschen, die unbeschwert lachten, tranken, aßen, sich unterhielten. Sein Blick fiel auf Kaiki, der am Grill stand und sich mit Frau Anzai angeregt unterhielt. Zusammen verteilten sie Essen und Getränke. Chiaki kannte sie nur flüchtig aus der Nachbarschaft und wenn er sich nicht irrte war sie auch Ärztin.

Alle waren mit der Feier beschäftigt. Niemand schenkte ihm groß Beachtung, als er sich auf einem leeren Klappstuhl hinsetzte, welche am nächsten zum Fluss und am weitesten von der Masse entfernt war.

Es war arschkalt. Zitternd vergrub Chiaki seine Hände in die Jackentaschen, streckte die langen Beine aus und starrte ausdruckslos auf den Fluss. Das Feuerwerk beleuchtete gelegentlich die Wiese und die bunten Farben werden auch im Wasser reflektiert.

Er begann sich allmählich umzuschauen, wollte sehen, ob sein Mädchen auch schon da war.

Er fand ihren Vater am anderen Ende der Wiese, der einen Arm um Sakura gelegt hatte und sich lächelnd mit ihr unterhielt. Einige Meter weiter sah er Yamato und Miyako, die mal wieder aneinanderklebten.

Sie sahen so glücklich und verliebt aus, was ihn noch bitterer machte, als er schon war. Ein bisschen war Chiaki auch neidisch auf seinen Freund.

Er beobachtete, wie erfreut Miyako in Yamato’s Armen lachte, verspielt mit ihm tanzte und wie liebevoll dieser sie anblickte.

Der Neid wuchs. Während Yamato seine Freundin zum Lächeln bringen und lieben konnte… konnte er es nicht!

Chiaki wandte seinen Blick mürrisch von ihnen ab und blickte sich weiter um. Keinen Moment später entdeckte er Shinji und Natsuki auf der anderen Seite der Wiese. Die beiden sahen genauso glücklich und verliebt aus.

Und je mehr er sich umschaute, desto mehr Pärchen entdeckte er auf der Wiese und wie sie vor Glück und Liebe protzten. Und je mehr er davon sah, desto frustrierter und verbitterter wurde er.

Er versuchte sich die Bitterkeit wegzuschlucken und suchte weiter nach Maron. Auf dem ersten Blick sah er sie nicht und vermutete, dass sie vielleicht zu Hause geblieben war, was ihn mehr als enttäuscht hätte. Mädchen standen doch auf Feuerwerke, oder nicht?

Aber dann fand Chiaki sie endlich, um die fünf Meter von ihm entfernt. Sie wirkte angespannt und zitterte etwas vor Kälte. Ähnlich wie er stand Maron so weit weg von der Menge wie möglich, hielt sich in der Dunkelheit bedeckt.

Er starrte von seinem Platz aus zu ihr rüber. Sie hatte ihre große Kapuze über den Kopf gezogen, sodass ihr Gesicht kaum zu sehen war. Gelegentlich hob Maron ihren Kopf, schaute zum Himmel hoch und sah sich das Feuerwerk an, welches ihr Gesicht in verschiedenen Farben erleuchtete. Sie sah so wunderschön aus.

Während er Maron in der Dunkelheit beobachtet, spürte Chiaki ein seltsames und starkes Gefühl in seinem Inneren, wie eine Art Ziehen und Zerren.

Dieser Drang zu ihr hinzugehen und bei ihr zu sein, war plötzlich so groß, seine Beine zuckten.

Irgendwie war es merkwürdig, dass er plötzlich so reagierte. Schließlich hatte er sie schon so oft in der Ferne beobachtet. Aber immer gemieden.

Mit leichter Neugier beobachtete er sie weiter.

 

Noch drei Minuten bis Mitternacht.

 

Maron vergrub ihre Hände in ihre Manteltasche, blickte runter und schabte etwas mit den Füßen auf dem beschneiten Boden. Niemand schien ihre Anwesenheit in der Dunkelheit zu bemerken.

Chiaki starrte sie eindringlich an, wollte, dass sie seinen Blick erwiderte, sodass er ihr in die Augen schauen konnte. Wollte sehen, ob das Feuerwerk sie glücklich machte.

Im nächsten Moment schnellte Maron’s Kopf hoch und sie sah zu ihm rüber, ihre Augen trafen auf seine.

Sie wirkte überrascht. War wahrscheinlich erstaunt darüber, dass er sich dazu geniert hatte hier rauszukommen, um sich in der Kälte das Feuerwerk anzusehen.

Gegen seine Erwartungen sah sie nicht glücklich aus.

 

Noch zwei Minuten bis Mitternacht.

 

Maron brach den Blickkontakt ab und sah sich unbeholfen um, als sich noch mehr Paare in der Menge zusammentaten. Jeder schien jemanden zu haben, um das neue Jahr mit einem Neujahrskuss zu starten.

Niedergeschlagen ließ sie ihren Kopf hängen und das Zerren in seiner Brust wurde noch stärker.

Chiaki konnte nicht anders, musste einfach zu ihr.

Er könnte versuchen sich damit zu rechtfertigen, dass er schlicht und einfach wollte, dass Maron einen Neujahrskuss bekam, wie jeder andere auch. Wahrscheinlich wollte er auch einen.

Aber das wäre eine Lüge.

Die Wahrheit war, dass dieses zerrende Gefühl ihn so stark zu ihr zog, es war nicht mehr auszuhalten.

Ob Kuss oder nicht, er musste zu ihr.

 

Noch eine Minute bis Mitternacht.

 

Chiaki sprang von seinem Stuhl auf und sprintete im Schutz der Dunkelheit zu Maron hinüber.

Sie sah ihn nicht kommen, aber er wusste, dass sie ihn spüren konnte. Dieses elektrisierende Kribbeln.

Als er sie erreicht hatte, griff er nach ihrem Arm und zog sie zu sich in die Dunkelheit. Sie wirbelte herum und sah ihn mit großen Augen an, aber er hatte keine Zeit für Erklärungen.

Er hielt ihren Arm fest und zog sie von der Wiese weg, lief gezielt an den Bäumen vorbei Richtung Picknickbänke.

Wortlos folgte sie ihm.

Kaum hatten sie die Bänke erreicht, drehte Chiaki sich um und drückte Maron gegen den nächstgelegenen Baum, der sie beide vor den Blicken der Masse verbarg.

Kurz schaute er nach, um festzustellen ob sie gesehen wurden. Aber alle schienen mit dem Countdown beschäftigt zu sein.

 

Noch dreißig Sekunden.

 

Chiaki war durch das Sprinten, dem Adrenalinrausch und dem Verstecken ziemlich außer Atem. Sein Herz schlug doppelt so schnell gegen seine Brust, er dachte es würde zerspringen.

Er blickte zu seinem Mädchen runter, die gegen den Baum gepresst vor ihm stand und ihn mit großen Augen erschrocken sowie verwirrt anstarrte.

Er ging einen Schritt auf Maron zu, drückte sich an sie und schob ihr die Kapuze runter. Das Zerren in seinem Inneren ließ mit ihrer Nähe nach.

Er stieß einen tiefen Atemzug aus und lächelte sein Mädchen an. Sein erstes richtiges Lächeln seit Tagen.

Noch immer war sie sichtlich verwirrt.

 

Noch zwanzig Sekunden.

 

Chiaki nahm ihr Gesicht in beide Hände.

Leute begannen lautstark runterzuzählen, als er sein Gesicht zu ihr herablehnte. Seine Stirn mit ihrer berührte.

Ihre Lippen waren nur Millimeter voneinander entfernt.

Verständnis breitete sich endlich in ihrem Gesicht aus und ein Lächeln brach durch. Sie lächelte ihn mit diesem großen, strahlenden Lächeln an, welches ihr Gesicht aufleuchten ließ. Gott, er hatte dieses Lächeln vermisst!

 

Noch fünfzehn Sekunden.

 

Sie war so verdammt schön. Sie strahlte ihn mit ihrer Schönheit förmlich an.

Ihre Augen glänzten vor Glück und Erleichterung und sprudelten vor bedingungsloser Liebe zu ihm.

Er konnte sehen, wie sie damit kämpfte sich zurückzuhalten, um ihn nicht auf der Stelle zu küssen.

Er lächelte nur gegen ihre Lippen. Konnte einfach nicht anders, wenn sie so lächelte.

Für ihn.

Wegen ihn.

 

Noch zehn Sekunden.

 

Er umfasste ihr Gesicht etwas fester, strich mit beiden Daumen über ihre Wangen, verwirrte seine Finger in ihre Haare hinter den Ohren.

Konnte die letzten Sekunden kaum noch abwarten, wollte ihre Lippen nehmen und sie besinnungslos küssen, um das Zerren in seiner Brust zu lindern.

 

Als der Countdown schließlich null traf, legte er seine Lippen fest auf ihre, bemühte sich nicht mal um einen sanften Kuss.

Er küsste sie fordernd und hart, gewährte sich mit seiner Zunge direkt Einlass, während das Bedürfnis ihr so nah wie möglich zu sein, ihn völlig überwältigte. Und sie erwiderte den Kuss mit einem Enthusiasmus, welcher ihn schwach um die Knie machte. Er presste ihre Körper fest gegeneinander.

Ihre Finger fanden sich direkt in seinen Haaren wieder, krallten sich an ihnen fest, zogen sein Gesicht näher zu sich heran, um den Kuss zu intensivieren und zu vertiefen. Ihre Zunge passierten seine Lippen und traf auf seine. Seine Atmung beschleunigte sich und er presste seinen Körper noch enger an ihren. Seine Lippen bewegten sich gierig und hektisch auf ihre.

Er küsste sie mit gewaltiger Desperation, als wäre er drauf und dran für sie zu sterben.

Als hätte er seit Tagen, Wochen, Monate nichts zu essen bekommen. Der Heißhunger nach ihr war unersättlich.

„Maron…“, hauchte er unter Küssen, seine Atmung war gehetzt und unregelmäßig. „Meine Maron…“

Die lauten Feuerwerksexplosionen waren im Hintergrund zu vernehmen.

Aber er konnte nichts anderes hören oder fühlen außer sein Mädchen.

Sie war so nah an ihn gepresst, er konnte spüren, wie der Ring um seinen Hals sich in seine Brust abdrückte. Sie hingegen war zwischen ihm und Baum eingeklemmt, wahrscheinlich drückte er ihr die Luft weg. Aber selbst, wenn er sich etwas zurückziehen wollte, zog sie ihn wieder zu sich, neigte ihren Kopf und vertiefte den Kuss noch mehr.

Sein Kopf war benebelt von Lust und dem Verlangen nah bei ihr zu sein. Aber da war auch noch was anderes...

Er konnte es nicht zuordnen. Wie ein Funken, der sich entfacht hatte und mit gewaltiger Intensität sich in ihm ausbreitete. Dieses Gefühl war so neu und befremdlich und so intensiv… sowas derartiges hatte er noch nie gespürt.

Er wusste nicht, was für einen Namen er diesem Gefühl geben sollte. Er konnte nicht einschätzen, ob es der Liebe, nach der er verzweifelt gesucht hatte, nahekam.

Aber er wusste, dass es auf einer komplett neuen Ebene für ihn war. Eine Ebene, die über einfache Fürsorge, Freundschaft, Zuneigung und sogar Lust hinausging. Und er genoss jede Sekunde davon, schwelgte förmlich in diesem neuen Gefühl.

Das machte er auch in den Kuss deutlich. Und hoffte, dass sie es auch spüren konnte… was auch immer es war.

Und er betete darum, dass es gut genug für sie war.

Sein Kuss wurde zusammen mit diesem befremdlichen Gefühl immer fordernder, intensiver, leidenschaftlicher und sie seufzte atemlos in seinen Mund.

Sie rangen beide nach Luft, keuchten inmitten von Küssen, wollten dennoch ihre Lippen nicht voneinander lösen.

Die Angst überkam ihn, dass dieses neue Gefühl nachlassen wird, wenn er aufhörte und dass er es nie wieder fühlen könnte.

Allerdings brauchte er dringend Luft, weshalb er widerwillig seine Lippen von ihren nahm und angestrengt die kalte Winterluft ein- und ausatmete.

Unterdessen küsste sein Mädchen ihn weiter, verteilte heiße Küsse auf seiner Kieferpartie. Er spürte, wie ihre Lippen seinen Hals und Nacken herabfuhren. Ihre Berührungen brannten wie Feuer auf seiner Haut.

Und das Gefühl war immer noch da.

Atemlos musste Chiaki erleichtert auflachen und hielt Maron fest. Womöglich dachte sie, dass er nun komplett den Verstand verloren hat, aber sie hörte nicht auf seinen Hals zu liebkosen.

Unter Küssen wanderte sie zu seinem Gesicht hoch, strich mit ihren Lippen über sein Kinn, seine Wangen, bedeckte jeden Millimeter mit kleinen Küssen.

Nachdem er wieder atmen konnte, nahm er ihr Gesicht in beide Hände und verteilte darauf kleine Küsse, gab ihr all die Küsse zurück.

Sie lächelte immer noch ihr strahlendes Lächeln. Er lächelte zurück, war froh drum sie wieder glücklich zu sehen.

Und dass er mit diesem neuen Gefühl ihr dieses Lächeln -sein Lächeln- auf ihr wunderschönes Gesicht zaubern konnte.

Nach einer Weile legte Chiaki seine Arme um ihre schmale Taille und drückte sie an sich. Maron lachte einmal atemlos auf und erwiderte die Umarmung innig, schlang ihre Arme fest um ihn. Er legte sein Gesicht auf ihrer Schulter hab, sodass seine Lippen auf der warmen Haut ihres Nackens ruhten und lächelte voller Freude.

Es war zweifellos der glücklichste Moment seines gesamten Lebens.



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