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Insomnia

"You can't fix me."
von

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TWENTY-SIX

TWENTY-SIX

 

Die Erleichterung, die Maron verspürte war einfach überwältigend, als sie ihre Arme um Chiaki legte und ihn so fest an sich drückte, dass sie ihn vielleicht noch zu Tode erdrosselte. Sie konnte spüren, wie er gegen ihren Nacken lächelte.

Er kam zu ihr zurück.

Sie wusste nicht, was ihn aus dem Tief rausgebracht oder was das Ganze überhaupt herbeigeführt hatte...aber das Feuer in ihm war wieder zurück.

Und es brannte noch heller und stärker als je zuvor, sie konnte es in seinen Berührungen und Küssen spüren.

Maron entfernte sich von ihm und sah zu Chiaki auf. Er lächelte sie immer noch an. Ihn wieder Lächeln zu sehen machte sie glücklich.

Überglücklich. Es war als würde ihr Herz vor Freude explodieren.

Sie konnte in seinen Augen sehen, dass er sich weigerte sie loszulassen. Worauf sie kichern musste. Am liebsten wäre Maron für immer in seinen Armen bleiben, aber ihr Vater und/oder Miyako würden bestimmt nach ihr sehen wollen.

Sie drückte ihm einen letzten Kuss auf die Lippen und löste seine Arme um ihre Taille.

„Ich bin gleich wieder bei dir“, versprach sie ihm.

Chiaki blickte kurz zur Feier rüber, nickte und drehte sich anschließend um, ging damit zur Villa zurück, warf ihr dabei noch einen letzten sehnsüchtigen Blick zu.

Schließlich war er aus ihrem Blickfeld verschwunden und Maron kehrte zur Wiese zurück. Sie suchte ihren Vater auf und sagte ihm, dass sie müde war und zu Bett gehen würde. Ohne große Fragen nickte er einfach, das Gesicht leicht rot vom Alkohol.

Sakura kam mit einem „Frohes neues Jahr“ auf Maron zu, umarmte sie herzlich und drückte ihr ein Küsschen auf die Wange.

Verlegen lächelnd verabschiedete sie sich, wünschte beiden eine Gute Nacht und ging, wollte Chiaki nicht noch länger warten lassen.

Während sie über die Wiese lief, sah sie auf einer Seite Dr. Nagoya mit derselben Frau, mit der er schon den ganzen Abend verbracht hatte. Bevor Chiaki sie weggezerrt hatte, konnte sie noch beobachten, wie beide sich für den Neujahrskuss zusammengetan hatten.

Ihr Blick fiel einige Meter weiter auf Yamato, der Miyako gerade umarmte und mit ihr lachte. Für einen winzigen Augenblick trafen sich ihre Blicke und er schien sofort zu verstehen was los war, zwinkerte Maron grinsend zu.

Stunden zuvor, bevor sie zum Park rausgegangen war, hatte sie mit Yamato ein bisschen geredet und ihn gefragt, ob er Miyako ablenken würde - für den Fall, dass sie nach ihr suchen würde. Er hatte mit einem „Klar“ ganz einfach zugestimmt.

Erleichtert lächelte Maron in sich hinein.

Sie sah sich noch schnell nach Shinji und Natsuki um, die irgendwo auf der anderen Seite der Wiese waren. Shinji fand sie auch direkt, der noch ein paar Feuerwerkskörper abschoss und sich wie ein Kleinkind darüber amüsierte, während Natsuki gelangweilt zuschaute.

 

Maron verließ den Park, lief schnellen Schrittes zur Nagoya-Villa und schlich sich zum Vordereingang rein. Chiaki hatte ihr gesagt, dass sie einfach reinspazieren sollte - was sie auch tat.

Das Haus war so leer und hell. Anders als sie es bisher sonst gesehen hatte.

Maron rannte die Treppen zu Chiaki’s Zimmer hoch, wo sie wusste, dass er auf sie wartete.

Als sie seine Tür erreichte, ging sie, ohne zu klopfen rein, schwang sie weit auf. Er saß mitten auf seinem Bett und lächelte sie schief an.

Sein Lächeln zauberte ihr automatisch selbst ein Lächeln aufs Gesicht. Ihr hatte dieses Lächeln so sehr gefehlt.

Maron konnte sich kaum noch zurückhalten, als sie die Tür hinter sich abschloss und aufs Bett zugeschossen kam. Sie sprang auf Chiaki zu, warf sich förmlich in seine Arme und schmiss ihn mit voller Wucht um. Ein raues Lachen war von ihm zu hören, was ihr Herz höherschlagen ließ.

Chiaki schlang seine Arme um sie, vergrub sein Gesicht in ihre Haare und nahm einen tiefen Atemzug. Währenddessen begann sie wieder seinen Nacken zu küssen, war einfach nur glücklich.

Glücklich darüber, dass er sie wirklich festhielt. Und er schien wahrhaftig glücklich darüber zu sein, sie bei sich zu haben.

Er rollte sich mit ihr auf die Seite und rutschte zu den Kissen hoch. Tief seufzend lehnte er seine Stirn an ihrer an. Es klang nach einem erleichterten Seufzen.

Sie verstand nicht über was er erleichtert war, aber sie ging in ihren Gedanken auch nicht weiter darauf ein.

Chiaki hielt sie so fest in sein Armen, Maron hatte die Befürchtung, dass der Arm, auf dem sie lag, taub werden würde. Aber ihn schien das nicht zu kümmern.

Lächelnd streichelte sie ihm liebevoll durch die Haare. Sein warmer Atem kitzelte ihr Gesicht.

„Ich war ein ziemlicher Volltrottel“, wisperte er mit Reue in der Stimme, blickte ihr entschuldigend in die Augen.

Sie schüttelte den Kopf. „Spielt jetzt keine Rolle“, wisperte sie zurück und sah ihm tief in die Augen, versuchte ihm all die Liebe zu vermitteln, die sie für ihn hatte.

Jegliche Bitterkeit, die sich in den letzten Tagen in ihr angestaut hatte, hatte sich komplett aufgelöst.

Chiaki lächelte sie erleichtert an und bewegte seinen Kopf, um ihr einen zarten Kuss auf die Lippen zu drücken. Maron war zunächst etwas überrascht darüber, dass er sie überhaupt im Bett küsste - in Anbetracht dessen, dass sie vorher eine unausgesprochene Regel dagegen hatten. Nichtsdestotrotz erwiderte sie mit Freude den Kuss gefühlvoll.

Es war ein sanfter, sinnlicher Kuss.

Das komplette Gegenteil zu dem Neujahrskuss.

Aber diese Intensität in ihm war immer noch da. Sie konnte es in seiner festen Umarmung spüren und wie er in aller Ruhe seine Lippen auf ihren bewegte.

Sie schliefen in dieser Nacht nicht.

Fünf Stunden lang lagen sie da, Arm-in-Arm und immer wieder trafen ihre Lippen aufeinander. Setzten die sanften, langsamen Küsse fort.

Diese Sinnlichkeit und Sanftheit war auch was Schönes. Es war mal was anderes, nicht immer nach Luft ringen zu müssen.

Ein Dauergrinsen haftete auf ihrem Gesicht.

Normalerweise wurden seine Küsse von Lust und Verlangen angetrieben. Diese waren zwar immer noch da, aber etwas anderes mischte sich mit unter. Sie konnte es fühlen.

Maron konnte nicht einschätzen was es war, aber sie hieß es mit Freude willkommen.

 

Um halb sechs war es schließlich soweit, dass Maron allmählich nach Hause musste. Schweren Herzens wich sie von Chiaki zurück. Er öffnete seine Augen und blickte enttäuscht drein, worauf sie etwas schmunzeln musste.

Er wollte nicht, dass sie ging. Sie wollte auch nicht, dass sie ging.

Aber sie musste.

Maron drückte ihm einen letzten Kuss auf die Lippen und erhob sich vom Bett (und seinem Arm, welches garantiert schon taub war).

Da sie keine Tasche oder Pyjama mithatte, ging sie nur kurz ins Bad, um sich zu erleichtern und sich etwas Wasser ins Gesicht zu spritzen.

Chiaki lag wie immer noch im Bett, als Maron kurze Zeit später wiederkam und schaute sie eindringlich an. Sie schenkte ihm ein breites Grinsen zum Abschied, drehte sich anschließend um und steuerte auf die Tür zu.

Gerade als Maron ihre Hand auf die Klinke legen wollte, hörte sie wie Chiaki vom Bett aufsprang und zu ihr lief. In dem Moment, in der sie sich umdrehte, stand er schon direkt vor ihr, nahm ihr Gesicht in beide Hände und versiegelte ein weiteres Mal ihre Lippen miteinander.

Er presste sich an sie, küsste sie hart und gewährte sich mit seiner Zunge Einlass. Sie küsste ihn mit derselben Leidenschaft zurück, packte ihm am Kragen und zog ihn noch dichter zu sich heran.

Langsam presste er sie gegen die Wand neben der Balkontür. Wie zu ihrem Neujahrskuss waren ihre Körper so eng aneinandergedrückt, es war kaum noch Luft dazwischen. Seine Hände verfingen sich in ihren Haaren und seine Lippen bewegten sich heiß auf ihren. Seine Berührungen brannten wie Feuer, entfachten ein Feuerwerk in ihren Innerem.

Ihre Zungen spielten miteinander und ein ersticktes Wimmern entkam ihr. Ihre Hände fanden sich auf seinem Nacken wieder, hatten sich in seinen Haaren zu Fäusten geballt.

Er presste sie noch mehr gegen die Wand. Sie keuchte und seufzte atemlos in seinen Mund. Musste sich zusammenreißen, um nicht ihre Beine um seine Hüfte zu werfen. Dennoch wollte sie ihm so nah wie möglich sein und ihn an sich spüren.

Er stöhnte inmitten von Küssen, nahm eine Hand von ihren Haaren und legte sie auf die Hüfte, zog sie noch enger zu sich. Nicht mal ein Haar würde zwischen ihnen passen.

Nach einer Weile löste er seine rot geschwollenen Lippen von ihren, rang keuchend nach Luft. Auch sie versuchte ihre Atmung im Griff zu bekommen. Ihr Herz schlug so schnell, als wäre sie ein Marathon gelaufen.

Chiaki öffnete seine Augen und sah sie mit einem Ausdruck an, welcher mit Lust und etwas anderem gezeichnet war. Dieser neue, intensive Blick von ihm verursachte ihr ein warmes Gefühl in den Magen und ihr Herz klopfte laut auf.

„Frohes Neues“, hauchte er grinsend.

Maron kicherte leise. „In der Tat ein Frohes Neues.“
 

***

Es war ein verdammt guter Tag.

Nachdem Maron weg war, ging Chiaki kalt duschen. Er hatte die Abkühlung nötig.

Es war nicht leicht dieses Verlangen nach ihr unter Kontrolle zu behalten.

Bei jedem anderen Mädchen (vor Maron!), wäre er seinen Instinkten einfach nachgegangen. Aber sowas banales, respektloses wollte er seinem Mädchen nicht antun.

Sie verdiente mehr.

Sie verdiente es ordentlich geliebt zu werden.

Er wusste nicht, ob er derjenige war, der es sich erlauben konnte sie so zu lieben. Aber dieses neue, fremde Gefühl, mit welchem er sie die ganze Nacht überschüttete, gab ihm in gewisser Weise Hoffnung.

Chiaki verbrachte den Rest des Tages damit darauf zu warten, dass Maron zurückkam.

Das Zerren in seiner Brust war zwar irgendwie abgeschwächt, aber immer noch da. Dieses Bedürfnis sie bei sich haben und ihre Berührungen fühlen zu wollen, war nach wie vor noch präsent.

Gedankenverloren spielte er mit dem Ring um seinen Hals, schaute es sich intensiv an. Das tat er in den letzten Tagen oft.

Am liebsten wollte er ihn von seinem Hals nehmen und es auf die Weise tragen, wie es für zwei Menschen bestimmt war, die sich liebten. Aber er wusste nicht, ob er dieses Privileg dazu hatte.

Seufzend fuhr Chiaki sich frustriert durch die Haare. Er war wirklich ein hoffnungsloser Fall…

Er versuchte unten mit seinem Vater die Zeit Tod zu schlagen, aber dieser schien einen miesen Kater zu haben. Kaiki saß schlecht gelaunt in seinem Büro, versuchte sich den Kater nicht anmerken zu lassen.

Chiaki wollte ihm die Reste von Maron’s Anti-Kater-Tee geben, aber das hätte nur zu viel unnötigen Verdacht geschöpft, als ihm lieb war.

Shinji fand er zusammen mit Kagura im Wohnzimmer zocken. Für eine Weile schaute Chiaki den beiden Brüdern unauffällig zu, eher er wieder in sein Zimmer hochging. Letztendlich verbrachte er den Tag damit einige Schularbeiten zu erledigen und zu lernen, denn morgen würde der Alltagsstress wieder losgehen.

 

Als sein Mädchen um zehn endlich kam, war er schon ziemlich unruhig und sehr, sehr müde von der schlaflosen Silvesternacht.

Bevor sie ein zweites Mal klopfen konnte, Chiaki riss ihr schon die Tür auf und lächelte bei ihrem Anblick.

Maron’s braune Augen leuchteten ihn an und ein dickes, breites Grinsen zierte ihr hübsches Gesicht. Ihm fiel auf, dass sie wieder ihre Haare gemacht hatte, was sie seit Weihnachten nicht mehr getan hat. Und sie trug eine seiner Haarnadeln.

Er nahm ihre Hand und zog sie ungeduldig rein. Und noch bevor die Balkontür zufiel, zog er Maron zu sich heran und küsste sie.

Sie lächelte gegen seine Lippen und küsste ihn voller Freude zurück.

Eine Hand wanderte durch ihre welligen Strähnen und ein leises Seufzen entkam ihm. Das Zerren in seiner Brust war fast verflogen und wurde durch dieses neue, fremde Gefühl ersetzt.

Nach einigen Moment beendete Chiaki den Kuss und Maron begann routiniert ihren Rucksack auszupacken. Gerade als sie sich umdrehen und aufs Sofa zugehen wollen, griff er nach ihrem Arm.

„Setz du dich zu mir?“, fragte er in einem nahezu flehenden Ton, wollte sie unbedingt bei sich haben - wohlwissend, dass dieses Zerren unerträglich sein wird, wenn er sie die ganze Nacht lang am anderen Ende des Zimmers auf dem Sofa sehen müsste.

Maron strahlte ihn an und sie nickte einige Male bejahend.

Erleichtert ließ Chiaki sich auf seinem Bett nieder und nahm sich seine Essensbox. Währenddessen zog sein Mädchen sich Jacke und Schuhe aus und holte sich eines ihrer Bücher von seinem Regal. Sie setzte sich neben ihm hin und begann von ihrem Tag zu erzählen.

Nach einiger Zeit begann sie ihn über seinen Vater und Frau/Dr. Anzai auszufragen. Chiaki zuckte nur mit der Schulter, konnte ihr nicht viel darüber erzählen.

Seit er bei Kaiki lebte, hatte er ihn noch nie mit einer Frau zusammen gesehen, war seines Wissens nach auch vielmehr mit seinem Job verheiratet. Chiaki hatte sich bisher auch nie über dessen Liebesleben Gedanken gemacht. Wenn er so darüber nachdachte, so hatte sein Vater Dr. Anzai gelegentlich in ihren Gesprächen erwähnt. Er kannte sie zwar nicht so gut, aber sie war auf jeden Fall besser als irgendeine Krankenschwester, die über Kaiki herfielen.

Nachdem Chiaki mit Essen fertig war, bedankte er sich bei Maron mit einem sanften Kuss, strich ihr sachte eine wellige Strähne aus dem Gesicht. Er brachte alles von dem neuen, fremden Gefühl in den Kuss hinein, in welchem er immer noch schwelgte. Sie grinste ihn mit rosaroten Wangen süß an.

Beide waren ziemlich müde, weshalb sie sich Minuten später auch fürs Bett fertig machten. Kaum war das Licht aus, nahm Chiaki sein Mädchen in seine Arme und vergrub sein Gesicht in ihre Haare, sog ihren Duft tief ein. Leise seufzte er zufrieden aus, drückte ihr einen letzten, zarten Kuss auf den Kopf.

Er konnte spüren, wie Maron gegen seine Brust lächelte. Langsam strichen ihre Finger in einem angenehmen Rhythmus durch seine Haare. Chiaki umarmte sie innig und schlief Augenblicke später ein, umhüllt von diesem neuen, fremden Gefühl.

 

Als der Wecker losging, wollte er sie gar nicht loslassen. Weshalb Chiaki sich müde stöhnend mit Maron zusammen umdrehte, sodass sie auf ihm drauf lag. Während er den Wecker abstellte, kuschelte sie sich verschlafen an seine Brust.

Sie versuchte zu ihm aufzuschauen, aber all ihre Haare waren ihr im Weg. Was unglaublich süß war. Er kicherte träge und hob eine Hand, um ihre Haare vorsichtig wegzuschieben.

Ihre Blicke trafen sich und ein müdes, engelsgleiches Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. Was ihm direkt ein Lächeln aufs Gesicht zauberte.

Sie drückte sich von ihm ab, um aufzustehen. Seufzend fuhr Chiaki sich durch die Haare, sah Maron dabei zu, wie sie ihre Tasche nahm und ins Bad ging. Nach einigen Minuten kam sie wieder raus und begann ihre Sachen einzupacken.

Unterdessen rollte er aus dem Bett und stand auf. Normalerweise tat er das nicht, wenn sie ging, aber er wollte ihr einen richtigen Kuss zum Start des Tages geben.

Als sie sich umdrehte und ihn an der Tür warten sah, blinzelte sie ihn überrascht an. Konnte es wahrscheinlich nicht glauben, dass er zu dieser unchristlichen Stunde aufstehen konnte und funktionsfähig war.

Chiaki schenkte ihr sein schiefes Lächeln, als sie sich ihm näherte und lehnte sich an die Wand neben der Tür an. Als Maron schließlich vor ihm stand, umfasste er sachte ihr Gesicht und küsste sie auf den Mund. Ihre Augen blickten ihn glücklich an und dieses neue, fremde Gefühl wuchs in ihm nur noch mehr, berauschte ihn mittlerweile richtig.

Er strich noch kurz über ihre Wangenknochen und drückte ihr noch einen sanften Kuss auf die Wange. Wortlos öffnete er ihr anschließend die Tür und sah ihr dabei zu, wie sie raus ging.

Es war windig draußen und hatte zu regnen angefangen. Sein Gesicht verfinsterte sich bei der Vorstellung, dass sein Mädchen im kalten Regen draußen war. Doch sie kletterte unbekümmert die Wand runter und war aus seinem Blickfeld verschwunden.

 

Immer noch im Vollrausch von dem neuen, fremden Gefühl (und den Geschmack von Maron’s Lippen), fuhr Chiaki zur Schule.

Vorher holte er Yamato wie gewohnt ab. Als sein Freund in den Wagen einstieg, debattierte er mit sich selbst, ob er ihm von diesen neuen Gefühlen und Empfindungen erzählen soll.

Besser nicht, beschloss er letztlich, Sonst fangen wir noch an uns gegenseitig die Haare zu flechten, nachdem wir über unsere Gefühle geredet haben, dachte er sich augenrollend und schüttelte unmerklich den Kopf.

Als Chiaki in der Schule ankam und aus dem Wagen stieg, bemerkte er eine Sache, die er fast außer Acht gelassen hatte.

Maron stand mit gesenktem Kopf und in Gedanken versunken, allein auf dem Schulparkplatz, während Miyako zu Yamato rüberging und ihn stürmisch küssend begrüßte.

Das Zerren in seiner Brust schlug mit Gewalt auf ihn ein und schmerzte fast beim Anblick seines Mädchens allein im Regen stehend - mit dem Wissen, dass er nicht einfach zu ihr gehen konnte. Es war seltsam für ihn sowas Starkes zu empfinden.

Und wenn das schon so überwältigend war, wie intensiv wird wohl die Liebe dann sein?

Und wie zum Henker ging Maron mit sowas Heftigem um?

Seufzend zwang Chiaki sich dazu an ihr vorbeizugehen, während sie noch auf Miyako zu warten schien.

Plötzlich hob Maron ihren Kopf, hatte wahrscheinlich gespürt, dass er näher kam. Ihre Blicke trafen sich, als er sie passierte. Gegen seinen Willen zuckten seine Finger in ihre Richtung. In genau dem Moment zuckten auch ihre Finger.

Und sie streiften sich ganz leicht. Er konnte dieses elektrisierende Kribbeln auf seinen Fingerspitzen spüren.

Sie hatten sich berührt. Mitten auf dem Schulgelände, vor all ihren Mitschülern.

Nicht mit Absicht. Es war mehr eine unbewusste Reaktion gewesen von beiden.

Chiaki stoppte vor dem Eingang und drehte sich perplex zu ihr um. Er wusste selbst nicht, wieso er das tat. War sogar ein wenig geschockt von sich selbst.

Er sah, wie Maron sich mit Miyako und Yamato dem Schulgebäude näherte und konnte sehen, wie sie sich zwang nicht zu ihm nach vorne zu schauen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen fuhr er sich durch die Haare, versuchte sich zusammenzureißen und ging in die Klasse.

Den Großteil des Unterrichts konnte Chiaki sich nicht konzentrieren. Seine Gedankengänge schwenkten immer wieder zu dem braunhaarigen Mädchen neben ihm um. Es kostete ihn Unmengen an körperliche Anstrengung sich nicht zu ihr umzudrehen. Die Gefahr wäre zu groß, dass, sobald Chiaki sie ansah, er Maron nicht ignorieren konnte.

Vorher ging es, sie zu sehen und zu ignorieren.

Seit Silvester -seit diesem Zerren in seinem Inneren und diesem neuen, fremden Gefühl- konnte er das nicht mehr.

Eine Unterrichtsstunde verbrachte er auch damit im Handy sich durch das Internet zu klicken und Zusammenhänge zu ziehen, zwischen dem was über die Liebe beschrieben wird und dem was er neuerdings empfand. Aber das machte es noch verwirrender, als es schon war.

Darüber zu lesen und es zu fühlen waren zwei komplett unterschiedliche Paar Schuhe. Weshalb Chiaki seine Bemühungen aufgab.

Was auch immer er gerade fühlte, es machte sie glücklich. Da vermutete er, dass es nicht so wichtig war, wie diese Empfindung hieß und wie nah es der Liebe war. Es breitete seinem Mädchen ein Lächeln aufs Gesicht und das war die Hauptsache. Und er war froh darüber, dieses Etwas zu empfinden.

 

Als die Mittagspause anstand, entschied er sich dafür, sich nicht weiter darüber den Kopf zu zerbrechen und versuchte es einfach zu genießen.

In der Cafeteria steuerte Chiaki auf seinem Tisch zu und nahm auf seinem Stuhl Platz. Er holte sich seine Tüte Kekse aus der Tasche und blickte zu Maron’s Tisch rüber. Sie war noch nicht da.

Während er darauf wartete, dass sie kam, begann er seine Kekse zu essen.

Aus der Entfernung konnte er sie wenigstens beobachten, ohne dass es groß auffiel.

Es überraschte ihn Yamato in der Cafeteria zu sehen, schließlich hatte er in letzter Zeit seine Mittagspausen immer mit Miyako verbracht.

Der Braunhaarige setzte sich ihm gegenüber hin und holte sich ebenfalls eine Tüte Kekse raus, die Maron ihm gemacht hat.

Und aus unerfindlichen Gründen konnte Chiaki ein irrationales Fünkchen Eifersucht spüren, weil sein Freund von seinem Mädchen ebenfalls Kekse bekam.

Er sah Yamato an und hob eine Augenbraue. „Heute kein Trockensex im Abstellraum des Hausmeisters?“, fragte er.

Lachend schüttelte Yamato den Kopf. „Miyako wollte mit Maron zusammensitzen“, sagte er und schob sich einen Keks in den Mund. Chiaki verzog leicht das Gesicht, als er die ganzen Krümel runterfallen sah und aß kopfschüttelnd seine eigenen Kekse weiter. Er war froh darüber, dass Miyako sein Mädchen nicht im Stich ließ.

Er blickte weiterhin zur Tür, wartete darauf das sie kam.

Natsuki und Shinji saßen schon an deren Tisch und Miyako, die Yamato einen sehnsüchtigen Blick zuwarf, ließ sich gerade auf ihrem Platz nieder.

Chiaki verdrehte seine Augen.

Im nächsten Moment kam Maron endlich in die Cafeteria, das Gesicht völlig angespannt sowie auch ihre Körperhaltung. Während er sie beobachtet, verstärkte sich das Zerren in seiner Brust und er wollte am liebsten alles vergessen, was ihn davon abhielt zu ihr hinzugehen.

Sie setzte sich neben Miyako hin, begrüßte die anderen mit einem Nicken und suchte in ihrer Tasche nach ihrem Essen.

Er blickte sie eindringlich an, versuchte sie dazu zu bringen seinen Blickkontakt zu erwidern. Hatte zu Silvester schließlich funktioniert.

Als Maron ihr Essen und eBook herausgeholt hatte und sich aufsetzte, trafen sich für einige endloslange Sekunden ihre Blicke.

Sie starrte von ihrem Platz aus zu ihm rüber und er konnte sehen, wie ihre großen, braunen Augen aufleuchteten und voller Liebe waren.

Das neue, fremde Gefühl in ihm wuchs wieder. Und das Bedürfnis bei ihr zu sein war so große, seine Beine zuckten.

Chiaki musste sich fast an seinem Stuhl festkrallen, um nicht aufzuspringen und zu ihr zu gehen. Stattdessen versuchte er dieses neue Gefühl in seinen Blicken hineinzubringen und hoffte, dass sie in seinen Augen sehen konnte, dass er bei ihr sein wollte - selbst wenn sie es nicht konnten.

Und als würde Maron genau wissen, was in ihm vorging, zuckten ihre Mundwinkel zu einem wissenden Lächeln hoch. Anschließend brach sie den Blickkontakt hastig ab und wandte sich ihrem eBook zu.

In dem Moment nahm Chiaki wieder die Geräuschkulisse um ihn herum wahr. Ihm war nicht aufgefallen, dass er für die paar Sekunden die gesamte Cafeteria komplett ausgeblendet hatte.

Er atmete tief aus, wandte seinen Blick gezwungenermaßen von ihr ab und sah wieder zu Yamato.

Dieser saß mit großen Augen und halboffenen Mund vor ihm, einen angebissenen Keks in der Luft haltend. Krümel waren auf seiner unteren Gesichtshälfte verteilt.

Chiaki zog fragend eine Braue, verstand nicht was mit dem jetzt los war.

Doch anstatt auf seine stumme Frage zu antworten, drehte Yamato seinen Kopf langsam zum Tisch der anderen. Chiaki folgte seinen Blick und war überrascht, dass er sein Mädchen anstarrte.

Anschließend wandte Yamato sich wieder ihm zu. Erneut zog Chiaki eine Braue hoch, wollte endlich wissen, was bei ihm abging. Doch sein Freund sah noch einmal zu Maron rüber und dann wieder zurück zu ihm - und begann zu grinsen.

Irritiert zog Chiaki seine Brauen zusammen, fragte sich, ob Miyako ihm irgendwelche Gehirnzellen weggevögelt hat.

Yamato schüttelte kichernd den Kopf und sagte daraufhin die fünf Worte, die ihm den Boden unter den Füßen wegrissen: „Ist die Liebe nicht großartig?“

Mit blanker Miene starrte er ihn an, fragte sich, wie er zu dieser Schlussfolgerung kam.

„Was zum Teufel redest du da?“, fragte Chiaki in einem frustrierten Ton.

Yamato fasste sich lachend den Kopf. Chiaki wollte ihm nur zu gerne seine Wasserflasche an den Kopf schmeißen.

„Alter. Du hast so wirklich gar keine Ahnung, oder?“

Schnaubend rollte Chiaki die Augen und warf ihm einen scharfen Blick zu. Sag mir etwas, was ich noch nicht weiß, du Idiot!

Ihm war klar, dass er emotional zurückgeblieben war.

„Alter…“ Yamato sah ihn mit einem vielsagenden Ausdruck an. „Du liebst sie.“

Chiaki starrte ihn mit zusammengepressten Lippen skeptisch an. Die Vorstellung war zu schön…

„Und wie zum Teufel kommst du zu der Schlussfolgerung?“, fragte er, immer noch sichtlich frustriert.

Für einige lange Momente starrte Yamato ihn mit gekrauster Stirn an. Er legte seinen angebissenen Keks auf den Tisch ab, wischte mit einer Hand alle Krümel auf der Oberfläche weg und lehnte sich zu Chiaki nach vorne, die Ellenbögen auf dem Tisch abgestützt.

„Wie lange kennen wir uns schon?“, fragte er plötzlich.

Eine Frage mit einer Gegenfrage beantworten...typisch.

Chiaki fuhr sich mit einer Hand frustriert und genervt über das Gesicht.

„Fast fünf Jahre“, antwortete er ihm.

Yamato nickte bestätigend. „Und wie viele Male haben wir in den Mittagspausen schon zusammen gesessen?“

Chiaki rollte zur Antwort mit den Augen, fasste die Frage als rhetorische Frage auf.

Wieder nickte Yamato, seine Mundwinkel zuckten nach oben.

„Und wie viele Male hast du jemanden so angesehen, wie du sie angesehen hast?“, fragte er in einem allwissenden Ton.

Da Chiaki allerdings nicht so allwissend war, verstand er auch nicht die Zusammenhänge all dieser Fragen zu dessen vorigen Schlussfolgerung.

Maron war ihm näher als jeder andere. Genauso wie er ihr näher war als jeder andere. Natürlich würde er sie anders ansehen.

„Herr-verdammter-gott nochmal“, murmelte Yamato, als er bemerkte, wie schwer vom Begriff sein Gegenüber war. „Der Blick, Chiaki“, sagte er mit Nachdruck, fing auch langsam an genervt zu werden.

Er starrte ihn nur irritiert an. Was war damit?!

Sein Freund warf stöhnend den Kopf nach hinten, beide Hände vor das Gesicht haltend und Chiaki musste sich zusammenreißen, um ihm nicht doch noch die Wasserflasche an den Kopf zu schmeißen.

Was musste er die Sache auch so kryptisch kompliziert machen?!

Yamato atmete tief durch, bevor er sich wieder nach vorne lehnte und ihn mit einem ernsten Gesichtsausdruck anschaute.

„Den Blick, den du ihr eben zugeworfen hast - mit der du sie angesehen hast...“, fing er an, sprach so langsam als würde er mit einem Kleinkind reden. „Den würde ich überall wiedererkennen“, sagte er wieder in seinem allwissenden Ton, nahm eine selbstsichere Haltung ein.

„Das ist derselbe Blick, den Natsuki und Shinji sich zuwerfen. Miyako mir – ich ihr“, sprach er weiter und fing an zu grinsen. „Das ist derselbe Blick, den sie dir auch zuwirft. Derselbe Blick mit der sie dich ansieht.“

Chiaki runzelte die Stirn und sah zu seinem Mädchen rüber, die mit Essen und Lesen beschäftigt war.

„Mit Liebe“, vollendete Yamato, lehnte sich zurück und aß seinen Keks weiter, Krümel klebten ihm wieder im Gesicht.

Nachdenklich starrte Chiaki sie weiter an und fragte sich, ob dieses neue, fremde Gefühl wirklich Liebe letzten Endes war.

Ich liebe sie?

Yamato lachte spöttisch schnaubend auf. „Ja, man. Das habe ich gerade gesagt.“

Überrascht schnellte Chiaki seinen Blick zu ihm hin, hatte nicht realisiert, dass er diese drei Worte soeben laut ausgesprochen hatte.

Und nachdem er sie ausgesprochen hatte... fühlten sie sich nicht mal falsch an.

Sie fühlten sich richtig an.

Ich liebe Maron.

Dann kam die Realisation.

Sie überwältigte ihn so sehr, Chiaki wollte am liebsten darüber lachen und weinen und verdammt nochmal zu seinem Mädchen rüber rennen und sie küssen.

Weil er sie liebte.

Er liebte Maron wirklich!

Yamato blickte ihn mit einem amüsierten Gesichtsausdruck an, als bei der Erkenntnis ein idiotisches Lächeln sich auf seinem Gesicht ausbreitete. Mit einem Schlag wurde diese Realität ihm so richtig bewusst.

Diese neue Empfindung, die er die letzten zwei Tage verspürt hatte, hatte endlich einen Namen! Und er hatte sie die letzten zwei Tage mit seiner Liebe überschüttet.

Chiaki unterdrückte den Drang wie ein Irrer loszulachen, da Yamato sich sowieso schon über seine emotionale Dummheit amüsierte.

Und das Beste von allem war: Er konnte es kaum erwarten seinem Mädchen zu sagen, dass er sie zurückliebte.

Am liebsten wollte er jetzt -hier in der überfüllten Cafeteria- zu ihr rennen, ihr es sagen und ihr Gesicht sehen, wenn er es sagte.

Aber er wusste, dass dies nur die Euphorie über die ganze Sache war, die ihn so hibbelig machte. Wenn er es ihr zurücksagte, musste es privat und besonders sein.

Weshalb er sich auf die Zunge biss und seine Kekse mit einem trotteligen Dauergrinsen fertig aß.

Yamato lachte nur kopfschüttelnd. Chiaki ließ sich davon nicht beirren, war einfach zu gut gelaunt.

 

Nach der Mittagspause ging er in seine Klasse zurück, zehn Schritte hinter seinem Mädchen und funkelte jeden Mistkerl an, der ihr viel zu nahekam.

Chiaki konnte diese neue Empfindung -die Liebe- für sie noch deutlicher denn je spüren als er sich neben Maron hinsetzte - sowie auch diese Elektrizität zwischen ihnen.

Sie hatten jetzt Geschichte und heute wurde irgendein langweiliger Dokumentarfilm über das europäische Mittelalter gezeigt, was ihn Null interessierte.

Sobald Frau Pakkyaramao das Licht ausgemacht hatte und das Klassenzimmer für ein paar Augenblicke stockdunkel war, rückte Chiaki etwas zu Maron heran und nahm ihre Hand, hielt sie unter den Tischen versteckt und strich mit dem Daumen über ihre weiche Haut. Überrascht drehte sie sich zu ihm um, sah aber wieder zurück nach vorne als der Film anfing.

Ein kleines, unauffälliges Lächeln war auf ihrem Gesicht zu sehen, als er ihr einen Seitenblick zuwarf und spürte, wie sie seine Hand festdrückte.

Die gesamte Unterrichtsstunde lang hielten und streichelten sie sich gegenseitig die Hand. Chiaki hatte mehrfach solche Momente, wo er fast nachgab und es ihr auf der Stelle sagen wollte. Alles was er nur tun müsste, war sich zu ihr hinüberzulehnen und es ihr ins Ohr zu flüstern.

Aber er hielt sich zurück, wenn er daran dachte, wie viel besser es wäre, wenn sie allein waren. Er konnte ihr seine Liebe dann wirklich zeigen und sie bräuchte ihr Lächeln nicht zu verstecken und danach könnte er sie bis zur Besinnungslosigkeit küssen.

Als der Film zu Ende war, wollte er ihre Hand nicht loslassen, musste es aber als Frau Pakkyaramao das Licht wieder anmachte. Zögernd langsam ließen sie ihre Hände los.

Im nächsten Moment klingelte auch die Schulglocke und alle packten ihre Sachen, um nach Hause zu gehen. Chiaki ließ sich etwas Zeit, sodass er mit Maron noch zu den Wenigen gehört, die in Klassenzimmer übrigblieben. Er sah, wie sie zu Frau Pakkyaomao nach vorne ging und nach dem Lernstoff für die anstehenden Klausuren fragte. Den ganzen Tag schon hatte sie nach jeder Unterrichtseinheit die Lehrer nach dem Stoff gefragt, wollte womöglich sicher gehen, da sie knapp drei Wochen gefehlt hatte.

Gerne hätte er auf sein Mädchen gewartet und wäre mit ihr zusammen rausgegangen, aber das würde auffallen.

Notgedrungen verließ Chiaki das Klassenzimmer, warf Maron noch einen letzten unauffälligen Blick zu, die sich angeregt mit ihrer Lehrerin unterhielt. Er ging nach draußen zum Parkplatz, wo sich schon unzählige Schüler ansammelten und Heim fuhren. Er wartete wie gewohnt vor seinem Auto, den Blick auf das Schulgebäude gerichtet.

Während er wartete, brütete er sich im Kopf einen Plan aus, wie er ihr seine Liebe gestehen sollte. Wollte den Moment so perfekt wie möglich machen. Vielleicht sollte er es ihr nach einem Kuss sagen.

Oder vielleicht sollte er sie dafür zu den Picknickbänken rausbringen. Das klang nach einem guten Einfall. Dort hatte alles angefangen. Dort hatte er ihr vor zwei Tagen zum ersten Mal seine Gefühle gezeigt, auch wenn er zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass es sich um Liebe handelte.

Er fragte sich, ob man(n) Geschenke oder ähnliches für sowas besorgen musste. Er hatte keinen blassen Schimmer, war darin so richtig ahnungslos. Er konnte ein Mädchen womöglich auf verschiedenster Weise zum Kommen bringen, aber wenn es darum ging seinem Mädchen zu sagen, dass er sie liebte, war ihm das eine Nummer zu groß.

Seufzend strich Chiaki sich durch die Haare. Letztendlich war es wahrscheinlich egal wie er es ihr sagte, solange er es tat. Und es definitiv wird.

Ihm fiel auf, dass der Parkplatz fast leer war und Maron immer noch nicht rausgekommen war. Überhaupt war seit einer ungewöhnlich langen Weile niemand mehr rausgekommen.

Verwundert zog Chiaki die Brauen zusammen, blickte auf die Uhr.

Er stand schon seit über dreißig Minuten draußen?!

Hatte er sie vor lauter Grübeleien verpasst? Aber Miyako’s Wagen stand noch da….

 

Plötzlich öffnete sich die Eingangstür und jemand kam raus.

Yamato.

Fast hätte Chiaki vergessen, dass sein Freund auch noch nicht da war.

Ihre Blicke trafen sich und die Panik auf dessen Gesichtsausdruck schockte ihn.

Chiaki drückte sich von seinem Wagen ab, als er auf ihn zu gerannt kam. Unterschiedliche Szenarien gingen ihm durch den Kopf: Amokläufe, Dach war eingestürzt, Corona, ...

Als Yamato schließlich bei ihm war und sich schweratmend auf seine Knie abstützte, sah er mit einem gehetzten Ausdruck zu ihm hoch.

„Es ist Maron“, japste er.

Sofort wurden Chiaki’s Augen groß und die Panik seines Freundes übertrug sich auf ihn. „Was?!“

„Irgendein Arsch hatte ihr aus Versehen den Ellenbogen ins Gesicht gerammt“, erklärte Yamato so schnell es ging, rang angestrengt nach Luft.

Bevor Chiaki noch weitere Fragen stellen konnte, kamen zwei Autos mit quietschenden Reifen in den Parkplatz reingerast. Ohne richtig zu parken, stiegen Takumi und Sakura aus und rannten in die Schule.

„Der hatte sie so hart erwischt, sie blutet...“, sprach Yamato weiter und schnappte immer noch nach Luft, „Fuck man. Sie rastet völlig aus. Lässt sich von niemand anfassen. Nicht mal von Miyako. Und-“

Den Rest hörte Chiaki schon nicht mehr, war schon wie von der Pistole geschossen losgelaufen. Rannte so schnell die Beine ihn trugen, als würde sein Leben davon abhängen.

Er betete darum, dass sie okay war. Er wusste jedoch, dass sie es nicht sein wird.

Er streckte seinen Arm nach der Tür aus. Und als er sie gerade mal einen Spalt breit öffnete, wäre ihm fast das Herz stehen geblieben.

Schreie waren zu hören. Schreie, Gekreische und Schluchzen.

MARON!!

Chiaki schwang die Tür auf und sprintete rein, sah auch direkt die große Traube an Menschen, die sich mitten im Foyer angesammelt hatte. Ein paar schaulustige Schüler sowie ein paar Lehrer, die überforderte Gesichtsausdrücke trugen. Sie versuchten die Schüler wegzuschicken.

Maron’s qualvollen Schreie und Schluchzen waren in der ganzen Halle zu hören.

Sein Herz schmerzte mit jedem Schrei und brach bei jedem Schluchzer.

Er folgte ihrer von Schmerz gezeichneten Stimme, stoppte nicht als er die Masse erreicht hatte, lief ungehindert weiter, schob jeden beiseite, der ihm im Weg war.

Er musste sie sehen.

Frau Pakkyaramao versucht ihn aufzuhalten, rief ihm irgendwas entgegen, aber Chiaki hörte sie nicht. Konnte nichts hören außer die markerschütternden Schreie.

Er ignorierte seine Lehrerin, drängte sich weiter durch die Menge... und sah sie schließlich.

Das Blut gefror in seinen Adern. Ihr Anblick brachte ihn fast auf die Knie.

Maron lag eingerollt auf den Boden.

Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, welches von ihren Knien, Händen und Haaren verdeckt war.

Sie zitterte am ganzen Leib, bebte und schrie sich die Stimme aus dem Hals.

Das war kein normaler „Schräger, emotionaler Zusammenbruch“. Das war qualvoll und brutal.

Sakura war über sie gebeugt, das Gesicht hilflos und tränenüberströmt und versuchte auf sie einzusprechen. Sie reichte eine zitternde Hand nach ihr, wollte ihr beruhigend den Kopf streichen.

Was sie nicht hätte tun sollen.

Denn die Schreie und das Zittern und das Schluchzen wurde schlimmer.

Hastig zog Sakura ihre Hand wieder zurück, sah noch hilfloser aus als vorher und Panik breitete sich auf ihren Zügen aus. Takumi stand hinter ihr, die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung war ihm ins Gesicht geschrieben. Er griff in seine Tasche, holte sein Handy raus und begann zu telefonieren.

Miyako saß weinend neben ihrer Mutter, blickte genauso hoffnungslos drein. Yamato drängte sich durch die Masse durch und lief auf seine Freundin zu.

Chiaki’s Aufmerksamkeit war voll und ganz auf die zitterte Gestalt vor ihm gerichtet. Insbesondere auf das Blut unter ihrem Kopf.

Er schloss für einen Moment die Augen und nahm einen tiefen Atemzug, versuchte bei all den Schreien, die ihn erschaudern ließen und fast selbst zur Verzweiflung brachten, einen klaren Kopf zu bekommen.

Und er wusste, was er tun musste.

Maron würde sich nicht mal von Miyako und Sakura anfassen lassen. Aber er wettete darum, dass er es konnte.

Scheiß auf Geheimnisse.

Er würde sein eigenes Leben hergeben, um sie da rauszuholen.

Chiaki öffnete seine Augen und sah zu Yamato rüber, der auf dem Boden saß, Miyako tröstend in den Armen hielt und mit einem wissenden Blick zu ihm zurückschaute.

Er war froh, dass sein Freund Bescheid wusste. Denn er wird definitiv auf viel Widerstand treffen.

Entschlossen ging er auf sein Mädchen zu und blendete alle aus, die versuchten ihn aufzuhalten.

Langsam näherte er sich ihr, blickte vorsichtig zu Miyako rüber und hoffte, dass sie ihn nicht ansprang. Doch diese hatte ihr Gesicht weinend in Yamato’s Brust vergrab.

Sakura drehte sich mit einem verwirrten Ausdruck zu Chiaki um, erhob sich und sah ihn unschlüssig an.

Plötzlich drängte Takumi sich dazwischen, eine Hand immer noch das Handy am Ohr haltend und die andere Hand an Chiaki’s Schulter gepackt.

„Was hast du vor?“, fragte er, die Stimme so scharf wie ein Messer, ließ die Hand mit dem Handy sinken.

Chiaki riss seinen Blick von Maron los und blickte ihrem Vater in die Augen. „Ich kann ihr helfen“, sagte er, die Stimme ruhig und gefasst, obwohl seine geballten Hände vor Anspannung zitterten.

Takumi’s Augen verengten sich misstrauisch. „Wie kannst du ihr helfen?!“ Er hatte eine beschützende Haltung eingenommen.

„Bitte-“

„Niemand kann ihr helfen!“

Man konnte den Kummer und das Leid in seiner Stimme hören. Die Hilflosigkeit eines Vaters, der sein eigenes Kind nicht helfen konnte. Und dennoch war in seinen Augen zu sehen, dass er sie vor jeglichen Gefahren beschützend wird.

Chiaki konnte nicht anders als größten Respekt für ihn zu empfinden.

Und ein bisschen Angst, denn es war Takumi anzusehen, dass er ihn an Ort und Stelle töten würde, sollte er noch einen Schritt wagen.

„Ich kann“, erwiderte er mit fester Stimme und schüttelte dessen Hand ab. Sakura war beiseitegetreten, beobachtete alles mit einem besorgten Gesichtsausdruck. Aber Takumi dachte nicht dran ihn gehen zu lassen, hielt ihn von hinten am Arm fest. Chiaki ließ sich davon nicht beirren, näherte sich Maron trotzdem.

Und je näher er ihr kam, desto mehr konnte sie dieses elektrisierende Gefühl wohl spüren. Er wusste, dass sie es spüren konnte.

Denn sie wurde ein ganz kleines bisschen leiser.

Die meisten Leute bekamen die Veränderung in ihren Schreien nicht mit.

Aber Chiaki hörte es. Takumi auch, der für einen minimalen Moment perplex auf sie herabsah.

Chiaki riss sich von ihm los und kniete sich langsam zu seinem Mädchen runter.

Er drehte seinen Kopf langsam zu Takumi um, sah respektvoll zu ihm hoch, um ihm zu zeigen, warum er ihr helfen konnte.

Dass er die Lösung für das Problem war. Und dass er es schaffen konnte.

Er wandte sich wieder seinem Mädchen zu. Vorsichtig hob er seine Hand und legte sie ihr auf die Hand, die ihm auf dem Boden am Nächsten war.

Wahrscheinlich wollte Takumi ihn gerade umbringen. Denn Chiaki spürte, wie er ihn von hinten wieder an der Schulter packte, allerdings innehielt als Maron’s Schreie nachließen und in der nächsten Sekunde komplett aufhörten.

Nur noch ihr lautes Schluchzen war zu hören.

Chiaki sah zu ihr runter, strich ihr mit zitternden Händen beruhigend über die Hand. Er rückte näher zu ihr ran. Sie zitterte noch, aber nicht mehr so heftig wie vorher. Ihr Vater hatte ihn mittlerweile losgelassen.

Er ließ sich auf den Boden nieder, legte behutsam seine Arme um sie und zog sie zu sich auf den Schoss, sodass sie auf ihm saß. Sie weinte und bebte, aber er wusste, dass sie ihren Zusammenbruch überwinden konnte.

Eine Hand hatte sie vor das Gesicht gehalten, ebenso hingen ihre Haare wie ein Vorhang drüber.

„Sshh…Ich bin hier…“, flüsterte er so leise, dass nur sie es hören konnte.

Während er Maron mit einem Arm festhielt, strich Chiaki ihr mit der freien Hand die Haare aus dem Gesicht und senkte sachte ihre Hand, die nass von Tränen und Blut war.

Als er schließlich freie Sicht auf ihr Gesicht hatte, konnte er sehen, dass das Blut von ihrer Nase kam und ein Auge geschwollen war.

Wut kochte in ihm hoch. Ihm war es scheißegal, ob es ein Unfall war. Er wollte den Bastard, der verantwortlich dafür war, aufsuchen und ihm hart ins Gesicht treten.

Sanft strich er ihr über die Wange, versuchte sie dazu zu bringen ihre zugekniffenen Augen zu öffnen. Ihr Zittern ließ mit jedem verstrichenen Moment allmählich nach und sie öffnete langsam ihre Augen.

Ihre schönen, braunen Augen waren von Tränen verschleiert, aber sie konnte ihn sehen. Er blickte ihr mit all der Liebe, die er für sie hatte, in die Augen und strich ihr beruhigend durch die Haare. Glücklicherweise hörte sie auch auf zu zittern.

Chiaki lehnte sich zu Maron runter und drückte ihr einen sanften, liebevollen Kuss auf die Stirn.

Sie atmete ein und wieder aus, etwas zu schnell und schien zunächst auch etwas Probleme damit zu haben. Schnappte gleichzeitig japsend nach Luft, ihr Brustkorb hob sich hektisch auf und ab.

Aber sie konnte atmen.

Ihre Augen sahen zu ihm hoch, als er sich etwas aufsetzte und ihr wieder über die Wange strich. Er konnte sehen, dass sie mit jeder Sekunde langsam wieder zur Realität -zu ihm- zurückkehrte.

Er wusste nicht, was um ihn herum alles passierte, da er komplett auf sein Mädchen fokussiert war und ihr tief in die Augen blickte. Darauf hoffend, dass sie aus ihren Flashbacks und furchtbaren Erinnerungen rauskam.

Was sie Momente später auch schaffte.

Ihre Atmung regulierte sich auch allmählich.

Er hörte, wie sie hauchleise seinen Namen schluchzte. „Chi-…Chi-a-ki…“

Maron hob schwerfällig ihre Arme, legte sie ihm um den Nacken und umarmte ihn, nutzte ihre letzten Kraftreserven dafür.

Schwer atmend legte sie ihren Kopf auf seine Schulter ab, das Gesicht in seine Halsbeuge vergraben. Sachte strich Chiaki ihr über die Haare und streichelte ihr anschließend den Rücken auf und ab.

Er spürte, wie sie sich noch mehr beruhigte und jegliche Anspannung in ihrem Körper sich löste.

Er hielt ihre Taille fest und legte seinen anderen Arm unter ihre Beine, hob sie anschließend mit hoch als er aufstand. Ihre Arme hingen ihm schlaff um seinen Hals.

Ihr Gesicht verweilte in seiner Halsbeuge. Wahrscheinlich war Maron sich der Gesamtsituation bewusst und war zu beschämt allen ins Gesicht zu blicken.

Dafür musste er sich nun allen stellen. Schwer seufzend drehte Chiaki sich um.

Jeder im Foyer starrte ihn völlig schockiert an.

Jeder bis auf fünf Leute.

Takumi, Sakura und Miyako wirkten erleichtert, überwältigt und sichtlich verwirrt zugleich. Yamato lächelte neben Miyako mit einem wissenden Lächeln.

Chiaki war schockiert und überrascht darüber Kaiki neben Maron’s Vater stehen zu sehen. Und dann begann er zu realisieren, dass Takumi mit ihm am Handy wohl geredet haben muss. Worüber er froh war, denn Maron bräuchte mit Sicherheit ärztliche Hilfe.

Kaiki wirkte ebenfalls erleichtert und verwirrt. Aber da war noch etwas anderes in seinen Augen zu sehen.

Stolz.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  ItachiUchih4
2020-05-30T08:08:26+00:00 30.05.2020 10:08
Alter endlich!!!
Das wurde auch mal Zeit!
Ich hoffe du kannst etwas Kritik vertragen, aber das hat sich echt lange gezogen!!!! xD
War schon ne harte Tortur das zu lesen, aber das hat sich umso besser in diese Situation aufgebaut. Hab wirklich los gejubelt, als Chiaki sie berührte, aufhob usw. Und wie geschockt alle waren und wie überrascht! Geile Szene! Echt!
Und Kaiki - stolzer Blick! Ich glaube das hilft auch Chiaki. So eine gute Aktion und dann so angesehen zu werden, dass kann für Chiakis Seele eigentlich nur positiv sein, denn damit zeigt ihm jeder: Du wirst gebraucht von Leuten! Du bist nicht unwichtig! :)
Echt endlich kommt Fahrt in die Geschichte! :)

Grüße
Antwort von:  mairio
30.05.2020 10:19
ich weiß, dass war eine lange Tortur :D
wird auch ne lange Geschichte mit über 60 Kapitel eventuell xDD
mach doch auf weitere zukünftige lange Folter gefasst xD

LG :D
Antwort von:  mairio
30.05.2020 10:32
*dich
Von:  Alexiel91
2020-04-23T13:12:36+00:00 23.04.2020 15:12
Hallöchen mairio, die Geschichte ist so schön und mitreißend geschrieben, großes Lob an dieser Stelle. Ich habe sie förmlich in mich aufgesogen! Wirklich toll. Wünsche mir unbedingt mehr davon! Hoffe Maron geht es bald wieder besser und die Verletzung ist nicht ganz so schlimm. Aber bei ihrem Pfleger ist sie sicher bald wieder in Ordnung 😃
Antwort von:  mairio
23.04.2020 15:54
hallo :]

Danke nochmals, dass dir die Story gefällt!
Ich denke, man kann sich auf morgen wirklich freuen :D
die haben ein Arzt dabei, das wird schon ;)

LG
Antwort von:  Alexiel91
23.04.2020 17:32
na dann bin ich mal gespannt :-D


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