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Einzelposting: Vampirmusicals hier und anderswo - Neuigkeiten zu Lestat


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Von:   abgemeldet 14.05.2006 22:39
Betreff: Vampirmusicals hier und anderswo - Neuig... [Antworten]
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Für alle die die Veränderungen mal schwarz auf weiß haben wollen hab ich hier mal einen Text rausgesucht. Zu finden ist es auf der Seite : www.musical-information.de/forum.htm

Der Artikel stammt aus der "Musicals" und ist geschrieben von Angela Reinhardt - ich hoffe, ich verletze hier jetzt keine Copyrights... Jedenfalls hat die Dame es ziemlich gut getroffen, finde ich. Voilà:

Tot zu sein ist komisch - ein Vergleich zwischen "Dance of the Vampires" und "Tanz der Vampire"

Musste es der Broadway um jeden Preis sein? Ist es der legendäre Name wirklich wert, dass man dafür sein Musical völlig aus der Hand gibt und erwartungsvoll dabei zusieht, wie es zerlegt wird? Nach den vernichtenden Kritiken und dem daraus resultierenden schnellen Aus für die Vampire dürfte der Great White Way für Jim Steinman und Michael Kunze entscheidend an Magie verloren haben. Nach Roman Polanski hat bei dieser Produktion eh keiner gefragt. "Tanz der Vampire" ist in seiner amerikanischen Fassung ein völlig anderes Musical geworden - was wohl vor allem Hauptdarsteller Michael Crawford zu verdanken ist, dessen Namen den Weg nach New York angeblich erst geebnet hat.

Das glänzende Vorhang-Kunstobjekt sieht aus wie tausend rote Rosen; bei näherem Hinsehen sind es Totenschädel. Zur Ouvertüre leuchten bunte Scheinwerfer im Publikum herum, danach ist bis zum Auftrittssong des Grafen von Krolock der Anfang des Stücks völlig neu geschrieben. Sarah und zwei kichernde Freundinnen sammeln Pilze auf einem Friedhof. Eine der Teenies isst davon, wird high und lacht hysterisch. Es ist drei Tage vor Halloween, deshalb stimmt Sarah gegen die Angst das langsame, volksliedhafte "Angels arise" an. Während sie singt, klettern zwei Vampire kopfüber am rechten und linken Portal nach unten. Es beginnt ein wilder Tanz der Untoten, die hier in helle, durchsichtige Fetzen gekleidet sind und irgendwie verhuschter aussehen als in der Orginalproduktion - die schwarzledernen Rocker-Anspielungen fehlen bei Ann Hould-Wards Kostümen völlig. Die Choreographie ist stürmisch, wirkt aber eher akrobatisch und klassisch. Immerhin - sie ist neu. Das beweist, dass John Carrafa selbständig arbeiten kann, was die weiteren Ergebnisse bezweifeln lassen könnten.

Sarg mit Auspuff

Sarahs Freundinnen werden von den Vampiren entführt, sie bleibt voll Angst allein zurück und schreit "My God!". Da schießt ein Sarg senkrecht aus dem Boden und landet langsam hochkant. Ihm entsteigt ein rüstiger Charmeur mit schwarzem Glitter-Smoking und blond gesträhnter Fönfrisur - es ist weder Liberace noch Siegfried ohne Roy, sondern unverkennbar Michael-wehe-ihr-verkleidet-mich-auch-in-diesem-Musical-Crawford. Er ruft: "God has left the building", aber Krolocks erste Worte gehen hier im Auftrittsapplaus unter. Nach seinem Song "Original Sin" (Gott ist tot), dessen Text hier viel stärker auf den Grafen selbst bezogen ist, stellt sich der fröhliche Herr mit italienischem Akzent als "Count Giovanni von Krolock" vor (sprich: Tschi-ou-vahni). Er beißt Sarah und lädt sie ein, ihren Geburtstag, der in drei Tagen bei der "total eclipse of the mon" stattfinden soll, in seinem Schloss zu feiern. Dann schenkt er ihr einen Schwamm - was zu dem Zeitpunkt ratloses Kichern auslöst, weil ja noch niemand weiß, dass Sarah gerne badet. Aber das tut sie in dieser Fassung auch nicht. Der joviale Entertainer verabschiedet sich mit "Ciao Bella!", das Krolock-Raumschiff schließt sich mittels einer Art Klospülung, die der Graf grinsend zieht, der Sarg-Auspuff macht pft-pft, und Vampir samt Behälter versinken wieder: Wir haben eine Ahnung von dem Niveau, auf dem fortan in "Dance of the Vampires" gelacht werden soll. Der amerikanische Krolock ist kein einsam wandelnder, zwischen Ironie und Melancholie herumphilosophierender Adliger von untadeliger Haltung, sondern er ist ein sich anbiedernder, auf jung machender Popstar und die zentrale, ja eigentlich die einzig komische Figur des Abends.

Chagals Gasthaus ist arg eng und ähnelt einrichtungstechnisch der Kneipe aus „Beauty and the Beast“. „Knoblauch“ war in Wien wie auch im Film der allererste Hinweis auf die Nähe des Vampirschlosses, also ein Baustein einer spannend erzählten Geschichte. Die Broadway-Fassung braucht keine spannende Geschichte mehr, denn sie hat ja Michael Crawford. Hier kennt man das ganze Vampir-Rudel samt seinem Leadsänger bereits, insofern hat „Garlic“ nur noch einen zweifelhaften dekorativen Wert als bunte Einlage mit Volkstanz.
Der Professor und Alfred treten ein – weder erfroren, noch schrullig oder ängstlich. Abronsius sieht nicht mehr aus wie Einstein, sondern mit seiner schicken roten Brokatweste eher wie Dr. Doolittle. Alfred ist vom ersten Auftritt an der junge Held des Abends, er hat nichts Zaghaftes mehr an sich. Beim Stichwort „Sunset“ leert sich das Gasthaus in Windeseile: alle rennen los, um vor Anbruch der Nacht in ihren sicheren Häusern zu sein. Dann tapert die Hexe aus „Into the Woods“ herein und stellt sich mit Michael Crawfords Stimme als „Madame von Krolock“ vor – es ist der Herr Graf en travestie. Er reißt ein paar Witze und kauft Seide für ein rotes Ballkleid.

Halloween in den Karpaten

Abronsius´ „Logic“ klingt nicht mehr nach Gilbert & Sullivan, sondern ist flachgewalzt und langsamer. Chagal beklagt sich über das neuerdings so aufsässige Verhalten seiner Tochter, Abronsius schöpft Verdacht, man eilt die Treppe hinauf. Chagals spilleriger Kellner Boris bleibt allein zurück und wird von einer niedlichen Fledermaus-Handpuppe mit Michael Crawfords Stimme überzeugt, dem Grafen zu dienen (und ergo Koukols Rolle zu übernehmen).

In ihrem Dachzimmerchen sitzt Sarah eher zufällig in der Badewanne, als die Meute hereinstürmt. Zwischen ihr und Alfred ist es Liebe auf den ersten Blick – wo sich Alfred bei Polanski nicht einmal traut, das Mädchen anzusprechen, tauscht man hier sofort die Tagebücher aus. Der Professor konstatiert Sarahs Zustand („she is a hemi-demi-semi-vampire“) und verteilt albernes Abschreckungsmaterial wie einen Halloween-Kürbis. Während „There´s never been a night like this“ (Ein Mädchen, das so lächeln kann), wird Sarah durch eine Bluttransfusion von Alfred wieder geheilt. Abronsius verabschiedet sich mit dem Satz „I´m at the toilet!“.

Während Chagals „Don´t leave Daddy“ (Eine schöne Tochter ist ein Segen) dringt die Muppet-Fledermaus mit ihren rot glühenden Augen durch Sarahs Dachfenster ein und Chagal fällt hinaus. Dann steht Krolock da und singt „A good nightmare comes so rarely“, einen neuen, langsamen und einschmeichelnden Song. Erneut lädt er Sarah ins Schloß ein: „Come to my castle, be my queen – this is a one-time special offer.“ Das Zimmer verschwindet und ein riesiger Stimmungstöter von Mond geht hinter Krolock und Sarah auf.

Vor dem Gasthaus betrauern Rebecca und Magda, die hier stets als Paar auftreten, mit „Death is such an odd thing“ (Tot zu sein ist komisch) den steif gefrorenen Chagal. Der untote Gastwirt erwacht, rammelt wie ein Karnickel an Magda herum und flieht, dann bringt „Madame“ von Krolock Sarah die roten Stiefel selbst vorbei und nutzt den Auftritt für ein paar Kalauer. Wo Alfred in der Orginalversion noch verschämt unter Sarahs Fenster singt, schmalzt er ihr hier bereits beim zweiten Treffen „I love you“ mitten ins Gesicht. Das „Red Boots Ballet“ ist unverkennbar aus Stuttgart abgekupfert, aber wiederum bleibt John Caraffa zu klassisch, wiederum fehlt das Laszive, Erotische. Faszinierend sieht allerdings aus, wie das Sarah-Double mitten im Tanz plötzlich in die Luft abhebt und frei herumfliegt, was sich Sarah zuvor im reichlich abstrakt geratenen Text von „Braver than we are“ (Draussen ist Freiheit) ersehnt hatte.

Zu „Say a prayer“ (Stärker als wir sind) beginnt es dann zu schneien. In der Stuttgarter Version war durch das Licht von hinten und die mächtige Lautstärke des Chors eine bedrohliche, furchtsame Atmosphäre entstanden, aber hier wird die Nummer zu Cheer-up: breitbeinig und in pathetischer Aufbruchstimmung stehen alle hinter dem unbeugsamen Helden Alfred, sie recken die Fäuste und zu „Les Mis“ fehlt nur noch die rote Fahne. Wie in „Beauty and the Beast“ brechen dann alle zum Schloß auf, um die Vampire fertig zu machen, Motto: dieses Volk läßt sich nichts gefallen.

Im Schloß wird eine riesige, bühnenhohe Zugbrücke rasselnd hinunter gelassen – haarscharf erkannt, das ist der technische Gimmick dieser Produktion (obwohl das Ding ziemlich nach Plastik aussieht). Dass das ziselierte Schloßtor in Wien viel schöner und wie das gesamte Bühnenbild wesentlich stilvoller und feiner gearbeitet war, weiß ja hier keiner. Krolock begrüßt Sarah mit der gleichen Musik, mit der er im Original Alfred und den Professor empfängt. Er singt nichts von Krankheit und Traurigkeit und wird auch nicht ironisch, sondern er säuselt sanfte Liebesschwüre, die hier ganz verdächtig nach Phantom klingen. Kein Herbert weit und breit; Alfred und dem Professor hatte „Madame“ zuvor irgendwann versprochen, ihnen die Hintertür offen zu lassen. Ende der ersten Aktes.

Krolock als Witzfigur

Den zweiten Akt eröffnet eine große, breite Treppe, übervoll mit Totenköpfen und brennenden Kerzen. Eigentlich erinnert sie kaum an die breite Maskenball-Treppe aus dem „Phantom“ – aber nur bis John Caraffa das gesamte Ensemble schön gleichmäßig darauf verteilt und mit effektvoll gespreizten Händen auch choreographisch ans „Phantom“ anknüpft. Ominöse Mönche (im Vampirschloß?!) stehen bewegungslos herum und leuchten von unten ihre Gesichter an. „Total eclipse of the heart“ ist der Lacherfolg des Abends – ähnlich wie bei „Mamma Mia“ freuen sich die Zuschauer über den bekannten Song aus dem Radio, der hier so überraschend auftaucht. Natürlich hört deshalb keiner auf den Text, der gegenüber dem Bonnie-Tyler-Hit leicht verändert wurde. Während des gesamten Songs stehen sich Krolock und Sarah unbeholfen gegenüber und singen sich an (wofür hatte John Rando noch mal den Tony Award gewonnen?).

In der nächsten Szene empfängt der Graf den Professor und „the piccolo Alfredo“. Als er seinen Sohn Herbert vorstellt, betont Krolock im Satz „My son could use a good factotum“ beim letzten Wort die erste Silbe überdeutlich. Aber das war noch nicht der Tiefpunkt: Krolock überreicht Alfred einen Schwamm in Phallusform und läßt ihn gespielt enttäuscht nach unten sinken, als der moralisch entrüstete junge Held dankend ablehnt. Dann schaut man kurz zu dritt in die Bibliothek (hier nur aufgemalt) – so kurz, dass es gerade mal für einen halben Vers von des Professors Bücherarie langt, schön langsam natürlich – und bewundert dies und das: „Every book ever written – and a very nice coffee bar, too!“
Es folgt „Carpe Noctem“, das gegenüber Wien kaum verändert ist und am Broadway hervorragend gesungen wird. Auch hier streitet sich ein Alfred-Double mit einem Grafen-Double um ein Sarah-Double, und wieder hat Carrafa beim Kopieren der Originalchoreographie den gesamten Drive verloren. Alfred erwacht, plumpst aus dem Bett und stimmt umgehend „For Sarah“ an. Max von Essen singt das als den typischen Liebesschwur des romantischen Helden, wunderbar strahlend und von sich selbst überzeugt – und wirkt so viel eindimensionaler als der ängstliche Aris Sas, der sich damit seinen Mut erst ersingen mußte.

Die unstillbare Kalauer-Maschine

Beim Gruft-Suchen wird hier nicht hoch oben auf dunklen Brücken, sondern lediglich über ein kleines Treppchen spaziert, auf dem ein Comic-Wegweiser zur „Crypt“ hochklappt. Dort stehen zwei mickrige Holzsärge: in einem liegt Chagal, der Krolock-Sarg ist leer. Magda und Rebecca treffen ein, um Chagal zu retten. Der Professor verabschiedet sich wieder mit einer blöden Ausrede, und auch Alfred rennt weg, als er Sarah singen hört – jetzt sollten die beiden Frauen Chagal pfählen. Natürlich beißt er statt dessen beide, dann hüpfen sie zu dritt in den Sarg und hängen ein „Do not disturb“- Schild raus. Alfred landet in Herberts Zimmer, der ihm, damit es schnell geht, den passenden Ratgeber zum romantischen Liebeswalzer gleich in die Hand drückt und trotz Alfred Weigerung ("I´m straight!“) schon mal die Handschellen rausholt. Zwar klemmt ihm Alfred auch hier das Buch zwischen die Fangzähne, aber das Regenschirm-Scharmützel mit dem Professor fehlt. Sarah schminkt sich in ihrem Zimmer und will nicht mit Alfred kommen.
Die Friedhof-Szene ist mitsamt dem leicht vereinfachten Bühnenbild praktisch identisch geblieben – allerdings zitiert Jim Steinman von Beginn an von „Eternity“ neuerdings Siegfrieds Trauermarsch und verhilft damit Richard Wagner zu einem originellen Broadway-Auftritt (noch vor Puccini!). Nachdem vorher nur Sarah oder die Bauern durchs Publikum abgingen, wagen sich hier zum ersten Mal die Vampire ins Auditorium – von vorne natürlich, damit ja keiner erschrickt. Zwischen „Eternity“ und Krolocks „Gier“-Arie tauchen der Professor und Alfred auf und drohen dem Grafen mit der endgültigen Vernichtung. Die „Unstillbare Gier“ wurde sehr eng ins Englische übertragen – auch wenn die Gier hier mit dem vergleichsweise harmlosen „appetite“ übersetzt ist und nicht mit „greed“, was das passende Wort aus den biblischen Todsünden wäre. So ist also eher sexuelle Lust als Habgier oder Machtgier gemeit – was soll´s der albernen Witzfigur Krolock nimmt man weder das eine noch das andere ab, und schon gar nicht, dass er plötzlich so ernste Sachen sagt.

Beim anschließenden Ball fungiert Boris als Einlasser und weist die Vampire ab, die ihm nicht genehm sind. Krolock kommt wie ein Popstar die Hitparadentreppe herunter, schüttelt rechts und links die Hände seiner Fans, beißt die bereits-gebissene-und-wieder-geheilte Sarah noch mal. Weil der Professor sein Anti-Vampirkreuz vergessen hat (wie verschenke ich eine überraschende Wendung? – indem ich sie vorher durchspreche), benutzen er und Alfred die bekannten Kerzen. Dann läßt Abronsius das Tageslicht herein (beim Mitternachtsball?), Krolock liegt mitten auf der Riesentreppe und verdampft. Die Treppe fährt nach hinten hoch und wird immer steiler, der sterbende Vampir hängt praktisch in der Luft – ein wirklich starker Abgang. Denkste...

Der Professor wähnt sich als Sieger, Sarah beißt Alfred, die drei taumeln von der Bühne und plötzlich sehen wir auf einem schlecht gemalten Hintergrundprospekt den Times Square, also den Platz draußen vor dem Minskoff Theater. Hier läuft statt „Cats“ das Musical „Bats“ und es gastieren die „Rolling Bones“ – ähnlich wie am Ende von „The Producers“ wurden die Reklametafeln des Broadways stückgerecht verballhornt. Das Ensemble wickelt sich nach und nach aus dicken Stasi-Ledermänteln um sich als gierige Vampire von heute zu entpuppen. Endlich – der aktuelle Bezug! It´s „Urinetown“ und Sozialkritik! Ein letztes Mal klaut Caraffa die Schritte von Dennis Callahan, aber das Ensemble bewegt sich auf dem viel zu schmalen Bühnenstreifen noch lange nicht so fetzig wie in Wien oder Stuttgart. Wie das Kasperle aus der Kiste steht ganz zum Schluß plötzlich Krolock im Orchestergraben hinter dem Music Director und dirigiert grinsend ins Publikum. Mein Gott, er hat überlebt... aus welchem Musical wird er als nächstes das Blut saugen?

Klischees statt Personen

Wer die Schrulligkeit der mit liebevollen Details charakterisierten Personen des Musicaloriginals mochte, hat hier Pech gehabt: in der amerikanischen Version muss alles möglichst flott gehen, der Brüller ist wichtiger als ein Lächeln. Die Personen sind nicht mehr spinnert, schräg und allzu menschlich, sondern sie wurden auf wenige Eigenschaften reduziert und passen jetzt exakt in die Schubladen des amerikanischen Entertainments – Alfred und Sarah z.B. ähneln den Klischee-Teens aus den Highschool-Filmen. Alfred zeigt keinerlei Anzeichen von Zaghaftigkeit mehr, sondern packt stets sofort zu. Der junge Held gesteht Sarah mit klaren Worten seine Liebe, er stürmt angriffslustig ins Schloß und hat mit dem linkischen, vorsichtigen Studenten nichts mehr zu tun. Sarah hat all die Attribute verloren, die sie in der Fassung veranlaßten, freiwillig ins Vampirschloß zu gehen – weder ist sie immer allein (sie hat ja Freundinnen), noch sehnt sie sich nach Freiheit, weil sie ja nicht eingesperrt wird. Auch ist sie Alfred gegenüber nicht kokett – sie ist einfach nur das Mädchen, das alle haben wollen.

Fast alle anderen Personen wurden zu Randfiguren degradiert. Die Komik des Professors wurde (angeblich auf Drängen von Michael Crawford) praktisch eliminiert – weder singt Abronsius allzu schnell, noch wirkt er je zerstreut, sondern er ist mit seiner albernen Bluttransfusionsmaschine nur noch ein Quacksalber. Chagal wurde sein jiddischer Witz komplett gestrichen, Magda ist mit ihrer Doris-Day-Frisur jetzt schon von Anfang an ordinär („I´ve always wanted a hair saloon – or a whore house“). Herberts heiter-tuntige Walzerseligkeit wurde durch knallharte Fakten ersetzt (und wir ahnen, wie der Broadway-Krolock dieses Wort betont hätte). All die kleinen Szenen, in denen Polanski und Kunze die Charaktere durch ihre schrägen Eigenheiten beschrieben haben, wurden gestrichen – die Badeszene mit Alfred und Sarah, die Verfolgungsjagd um den Tisch mit Chagal, Krolocks Gespräch mit Alfred und Abronsius vor dem Schloßtor oder die vielen Szenen zwischen Abronsius und Alfred.

Krolock Superstar

Stattdessen bekam Count Giovanni von Krolock jede Menge neue Auftritte, meist mit und manchmal auch ohne italienischem Akzent. Er hat jetzt den allergrößten Teil der Pointen, und dem großen Michael Crawford ist es keineswegs peinlich mit Sätzen wie „is-a me!“ oder „is-a too good-a!“ Lacher zu schinden. So unsterblich der berühmte Brite als Phantom gewesen sein mag: er ist das große Problem dieses Musicals. Krolock ist keine Figur in einer Geschichte mehr, sondern nur ein wenig verkleideter Superstar – Dance of the Vampires ist faktisch ein Crawford-Vehikel, zu dem der Songwriter von Meat Loaf und irgendein Deutscher ein bißchen was drumrum geschrieben haben. Der Broadway-Krolock ist geschwätzig statt rätselhaft, alt statt unsterblich, kindisch statt sinnlich und erbärmlich statt würdevoll. Wenn der Obervampir schon ein alternder Rockstar sein soll (und die Idee paßt zum Gothic-Thema und zu Jim Steinmans bombastischer Musik), dann hätte der dramatische Vampir-Rock doch eher nach einem zerknitterten Mick-Jagger-Typ verlangt – weniger nach einem Las-Vegas-Softie, der neulich noch eine Disney-CD auf den Markt geworfen hat. Zwar wollte Crawford seine Rolle unbedingt vom Phantom unterschieden haben (das ist ihm gelungen – jetzt ähnelt er eher Ubaldo Piangi), aber er macht trotzdem an mehreren Stellen ein Phantom daraus, indem er sich gar nicht erst bemüht, anders zu singen als in seiner Starrolle.

Gott ist abgehauen

Der von den Wiener Vampiren wiederholt gesungene Nietzsche-Satz „Gott ist tot“ kommt in der amerikanischen Version nicht mehr vor – dort heißt es „God has left the building“ („God must have seen the script!“ ätzte prompt ein Kritiker). Der Satz greift ein geflügeltes Wort aus der amerikanischen Popgeschichte auf, als man mit „Elvis has left the building“ den Fans nach Konzerten mitteilte, dass Elvis schon weg ist und sie nicht mehr warten brauchten. Das paßt natürlich wunderbar zu Krolock als Popstar, verdeutlicht aber gleichzeitig den Verlust sämtlicher literarischer und philosophischer Anspielungen – Michael Kunzes Sprachreichtum, all die Zitate und die poetische, manchmal altertümelnde Sprache sind fast durchweg verschwunden. Textstellen wie „zum ewigen Leben verflucht“, „wir glauben an Lügen“, „tauch ins Meer des Nichts“ oder die „große Leere“ (und natürlich auch die ganzen komplizierten Schriftstellernamen aus dem Büchersong des Professors) fehlen ganz oder sie wurden in seltenen Fällen in den Dialog verbannt und klingen dort zwischen Krolocks Kalauern völlig daneben. Oft sind die englischen Lyrics wesentlich einfacher und unverbindlicher. Dadurch, dass es jetzt immer wieder Dialog gibt, ist der Text der Songs ohnehin nicht mehr sehr wichtig, denn die Handlung wird in den Dialogen transportiert. Das ist von der Form her ganz klar ein Rückschritt von dem, was sich in Europa als durchkomponiertes Pop-Musical mit einer musikalischen Motiv-Dramaturgie entwickelt hat, zu dem, was der Broadway gerade verlangt, nämlich die gute alte Zeit.

Amerikanische Komik

Womit wir beim Buch-Coautor David Ives wären, der angeblich für die Anpassung an die amerikanische Komik zuständig war (die Verantwortung für die miesen Pointen aber in der New York Post auf Michael Crawford geschoben hat). Wenn Chagal im ersten Akt mit einem Kürbis aus Sarahs Zimmer stürmt und Vampire jagen will, schreit er „I´ve got a pumpkin here and I´m not afraid to use it!“ – so tief kann Michael Kunze einfach nicht sinken. „Amerikanische Komik“ meint platte sexuelle Anspielungen, Krolocks italienische Kalauer oder den völlig sinnfreien Einsatz von Schwämmen. Was der Amerikaner gemeinhin als „tongue in cheek“-Humor bezeichnet, löst hier selbst beim lachwilligsten Mitteleuropäer nur ein lahmes Fassenachts-Dädää aus. Wenn man in Minskoff Theater fassungslose, düstere Gesichter sah, dann waren das deutsche Musicaltouristen. „Forbidden Broadway“ ist hier gleich mitgeliefert. Dass die Handlung „eighteen-eighty-something“ spielt, wiederholen alle möglichen Figuren so oft, bis auch der letzte kapiert hat, dass sogar die handelnden Personen ihr Musical für nichts als eine Parodie halten. Vielleicht gibt es deshalb Halloween in den Karpaten, vielleicht hat deshalb der transsylvanische Graf in einem nach dem Ungarn benannten Béla Bartók benannten Dorf trotz der deutschen Vorsilbe in seinem Namen einen italienischen Akzent. Ist nicht alles auf dem Kontinent eine einzige Soße, ein einziger Eurotrash? Natürlich stammt Abronsius hier auch nicht aus Königsberg, sondern aus „Haidlbörg“, was der amerikanische Zuschauer aus „The Student Prince“ kennt.

Bewährte Broadway-Muster

John Rando arbeitet mit Schemata und Typen, nicht mit subtiler Personenführung oder Psychologie. Bei allzu vielen Szenen, Bildern und Figuren fühlt man sich geradezu aufdringlich an andere, bekannte Musicals erinnert – aber Rando zitiert oder parodiert nicht, sondern er versucht krampfhaft, Polanskis Charaktere und Jim Steinmans Songs ins bewährte Broadway-Muster zu pressen, alles nach dem Motto „bloß nix Neues“! Choreograph Caraffa hatte in einem Interview betont, er würde sich weder die Originalaufführung, noch ein Video davon anschauen, um sich nicht beeinflussen zu lassen. Was für ein Zufall, dass er überall ähnliche Schritte, ja identische Abläufe erfunden hat! Beim meist ziemlich sparsamen, oft einfach nur aufgemalten Bühnenbild im Minskoff Theater fragt man sich, wo denn das ganze Geld geblieben ist – nach Angaben der New Yorker Zeitungen hat die Broadway-Produktion etwa das Doppelte der Wiener Uraufführung gekostest.

Polanski dürfte der Unmöglichkeit, nach Amerika einzureisen, zum ersten Mal einen positiven Aspekt abgewinnen, weil ihm diese Aufführung erspart bleibt. Jim Steinman war zur Premiere gleich gar nicht erschienen. Michael Kunze machte gute Miene zum bösen Spiel und versuchte schon vorab in Interviews zu erklären, warum ein alternder Broadwaystar sein ambitioniertes Konzept mühelos über den Haufen werfen konnte. Die Autoren wollten oder konnten nicht eingreifen – dafür müssen sie jetzt damit leben, dass ihr großartiges Musical als „Eurotrash bonanza“ verhöhnt wird.

Mag sein, dass die durchkomponierte Rockoper den Amerikanern grundsätzlich nicht liegt, und dass sie gerade jetzt nach schematisierter, leichter Unterhaltung verlangen. Nach dieser Pleite dürften Musicals vom europäischen Kontinent am Broadway jedenfalls erst mal keine Chance mehr haben. Aber warum akzeptieren wir Europäer dann immer noch den Broadway als ultimative Meßlatte, anstatt gerade unsere Offenheit für neue Musical-Formen als unseren eigenen, wichtigsten Qualitätsmaßstab zu etablieren? Wenn das „Dance of the Vampires“-Destaster zu etwas gut ist, dann um endgültig Emanzipation den koninental-europäischen Musicals vom Broadway einzuläuten (das West End macht bekanntlich schon lange, was es will). Die Wiener Erfolge haben zweifellos bewiesen, wie sehr sich das Risiko lohnt.

Und Wien hat noch etwas anderes bewiesen: das europäische Produzenten Know-how steht dem Broadway in nichts nach. Völlig ungeachtet des künstlerischen Materials von Tanz der Vampire und der „amerikanisierenden“ Veränderungen am Werk hat eine kleine popelige Stadt an der Donau kurz vor den Karpaten nämlich im direkten Vergleich einen besseren Regisseur, einen besseren Choreographen, ein besseres Orchester und einen besseren Hauptdarsteller; sie hat bessere Bühnenbilder und Kostüme, sogar besseres Licht und besseren Ton als New York hervorgebracht – kurz, sie hat für etwa die Hälfte der Kosten eine bessere Aufführung produziert. Nicht das europäische Musical hat sich blamiert, sondern der Broadway.


Nochmal. Der Text wurde nicht von mir verfasst. Ich habe ihn nur zum besseren Verständnis hier reingesetzt. Ach ja und entschuldigung dass er so lang ist aber sonst hätte ich euch einen umständlichen Weg aufschreiben müssen um dort heran zu kommen.
stoffi-chan
*~I have lived many lifetimes. I have hidden in the shadows and suffered in the light. I have loved. I have killed. And now I will finally tell my story.
Die young . Live forever!~*
From the Musical "Lestat"

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