Studentisches Fremdschämen
Autor: Teilzeitheldin
Eigentlich doch an so etwas wie eine Bildungselite. Die Chefetagen von morgen und so weiter. Immerhin ham die doch alle wat au'm Kasten, ham doch Abi gemacht, oder?
Denkste.
Was ich schon während meiner Studienzeit an Hammerwerfern erlebt hab, geht auf keine Kuhhaut. Grade heute dachte ich einen Moment lang wieder, ich würde nicht in einem Hörsaal, sondern im Hobbyraum einer Sonderschule sitzen.
Dieses Semester bin ich gezwungenermaßen etwas interdisziplinärer unterwegs. Eigentlich bin ich ja angehende Geisteswissenschaftlerin (genau genommen Philologin und Kunsthistorikerin), aber in diesem Winter gehe ich auch unter die Naturwissenschaftler und hab theoretische und praktische Übungen in Physik und Geografie.
Und heute - in der ersten Sitzung - hab ich folgende Szene miterlebt, die ich so bizarr fand, dass ich dachte, jeden Moment beginnen die Pferde damit, sich gegenseitig aufzuessen (American Dad-Gucker werden die Pointe verstehen XDD).
Folgendes trug sich zu:
Der Professor will in der ersten Physik-Vorlesung ein paar Grundprinzipien erläutern. Unter anderem eben, dass auch alle Gesetzmäßigkeiten, von denen man ausgehen muss, um überhaupt zu nachvollziehbaren Systemen zu kommen, relativ sind. Er nimmt die Zeiteinheit als Beispiel und will darauf hinaus, dass ja die Geschwindigkeit und damit die Drehung der Erde, die man ja mal als Maßstab dafür genommen hatte, auch nicht konstant ist. Sein Beispiel bezieht sich darauf, dass die Erde sich im Winter und im Sommer mit unterschiedlicher Geschwindigkeit bewegt. Er nimmt - unglückseligerweise - eine Studentin aus der ersten Reihe, als Assistentin, um dieses Prinzip zu erläutern:
"Vergleichen Sie doch mal Winter und Sommer. Was ist da anders?"
"Im Sommer ist es warm, im Winter kalt."
"......äh. Ja. Aber was noch? Denken Sie mal in die Natur. Was ist mit den Bäumen?"
"Die haben im Winter keine Blätter."
"Und das könnte bedeuten?"
"..."
"Das bedeutet, dass die Oberfläche bzw. Masse der Erde im Winter geringer ist. Und schon so etwas hat Auswirkungen auf die Geschwindigkeit!"
"Es gibt auch Bäume, die nicht ihre Blätter verlieren. Nadelbäume nennt man die."
"Äh... ja. Die gibt es auch..."
Die gleiche Studentin meldete sich noch zwei weitere Male. Einmal um zu fragen, was "falsifizieren" bedeutet und einmal, um zu sagen "Es gibt ja auch ganz viele andere Studien, die auch wieder widerlegt wurden"... völlig ohne ersichtlichen Zusammenhang zum grade besprochenen Thema!!! Ich meld mich doch auch nicht in einer meiner Kunst-Vorlesungen und sage ganz aus dem Zusammenhang gerissen "Übigens gibt es Bilder, die im Querformat hängen und auch andere.". Hallo? Lieber den Atem sparen und Zuhören, wenn man nichts Konstruktives zu sagen hat!
Davon mal abgesehen ist so ein kleiner Ausflug in die Naturwissenschaft wirklich eine Horizonterweiterung in meinen Augen. Und was mir als erstes aufgefallen ist: Es gibt echt bedeutende Unterschiede zwischen einer geisteswissenschaftlichen (besonders philologischen) Vorlesung und einer naturwissenschaftlichen. Das fängt schon mit der Ausdrucksweise der Dozenten an. Ich bin's gewohnt, sehr eloquente Dozenten zu haben. Das erste, was man als angehender Philologe vermittelt bekommt ist, dass Sprache eine sehr exakte Wissenschaft ist. Präzise Ausdrucksweisen und ein umfangreicher Wortschatz zeichnen die Dozenten aus.
Der Physik-Prof hatte unheimlich viele Orthographie- Und Grammatikklöpse in seiner Präsentation. Aber die Kehrseite der Medaille war, dass er sich auch sehr einfach und verständlich ausgedrückt hat. Im Gegensatz dazu neigen unsere Profs dazu, Schriftsprache zu sprechen. Jedenfalls die didaktisch schlechteren. Ich denke, wenn einer unserer Germanistik-Studenten nen Prof gefragt hätte, was "falsifizieren" bedeutet, hätte er neben einer Antwort wohl auch ne hochgezogene Augenbraue bekommen.
So. Gleich gehts wieder zurück zur Uni, der Tag dauert ja noch'n bissken. Mal schauen, ob noch mehr Fremdschämen angesagt is... XD