10 Mythen über Aquarell
Autor: Ellerfru
1. Man kann alle anderen Farben aus den Primärfarben mischen
NEIN!
In der Theorie wäre das zwar der Fall - aber in der Praxis hängt das Mischergebnis eben nicht nur vom Farbton der beteiligten Pigmente ab, sondern zum Beispiel auch von ihrer Größe, Form und Opazität. Wenn sich diese unter den "Mischpartnern" zu sehr unterscheiden, erhält man durch lustige Licht-Wechselwirkungen teils unerwartete Effekte. Zum Beispiel lässt sich aus Kadmiumgelb und Elfenbeinschwarz ein wunderbares... na... Olivgrün mischen! Und aus Warmorange (PO73) und Titan-Deckweiß bekomme ich nicht etwa (wie man nach Lektüre erwarten würde) ein pastelligeres Orange, sondern ein interessantes Neon-Korallenrot (das fast noch knalliger ist als das reine Orange). Und ich habe noch nie (wirklich NIE NIE NIE) aus Rot und Blau ein wirklich leuchtendes, schönes Lila bekommen... Wie viele Aquarell-Einsteiger da wohl schon über "Farbkreisen" und ähnlichem Bullshit verzweifelt sind?
2. Für gute Aquarellbilder nimmt man am besten die gleichen Farben wie die "Alten Meister"
NEIN!
Zwar ist die Grundannahme, dass berühmte Künstler vergangener Tage schon Ahnung von ihrem Material hatten, durchaus berechtigt - aber man sollte nicht vergessen, dass sie auch mit dem arbeiten mussten, was sie damals zur Verfügung hatten. Dass moderne Pigmente wie z.B. Phthalogrün damals noch nicht erfunden waren, ist KEIN sachlicher Grund, sie heutzutage nicht zu benutzen. Hätten die Künstler damals wohl auch getan, wenn man ihnen das Zeug gegeben hätte. Oh, und mir wird SCHLECHT, wenn ich dran denke, wie viele Ratgeber allen Ernstes die Verwendung von Alizarin-Karmesin empfehlen. Leute, das ist 'ne Scheißidee, das Zeug verblasst sichtbar innerhalb weniger Monate! Wie viele Aquarell-Anfänger wohl stolz ihre ersten Bilder an die Wand hängen, um dann mit Erschrecken festzustellen, dass ihr tolles Werk schlichtweg verschwindet? (Mal ganz abgesehen davon, dass man nicht gleich so gut wird wie Künstler XY, bloß weil man den gleichen Shit kauft.)
3. Die "richtige" Farbauswahl für den Einstieg ist wichtig
NEIN!
Allein schon die Tatsache, dass Autoren in der Material-Sektion üblicherweise ihre persönlichen Lieblingsfarbtöne als essentiell beschreiben, zeigt, dass daran nichts ist - die empfohlenen Listen unterscheiden sich erheblich; trotzdem sind all diese Autoren irgendwie in der Lage, gute (oder zumindest mittelgute) Aquarelle zu fabrizieren. Was darauf hindeutet, dass die "richtigen" Pigmente ganz offensichtlich eine persönliche Geschmackssache sind. Und, seien wir ehrlich, Total-Anfänger haben GANZ andere Probleme mit ihren Bildern als "nehme ich jetzt Kobaltblau oder Ultramarin?".... Das einzige, worin ich zustimme, ist, dass man auch für den Einstieg Farben guter Qualität (und dann lieber ein paar weniger) kaufen sollte, da das Malen mit Billo-Farben zwar nicht unmöglich, aber technisch erheblich erschwert ist. Gerade als Anfänger, der schon ein paar hübsche Resultate will, ist man mit Künstlerqualität besser bedient. Aber im Grunde kann man einfach in den Laden gehen, ein paar Farben holen, die man hübsch findet, und damit loslegen. (Wenn das Bild an die Wand soll, noch auf die Lichtechtheits-Sternchen achten.) Wie gesagt, Anfänger im Stadium "Pinsel mit der flauschigen Seite aufs Papier" brauchen sich über die subtilen Nuancen des Malverhaltens bestimmter Pigmente keinerlei Gedanken zu machen. Und zur Motivation, zum "Dranbleiben", sind mMn die Farben, die man am hübschesten findet, auch am besten geeignet!
4. Aquarellbilder sind zwangsläufig blass
NEIN!
Zwar zeichnen sich Aquarellfarben durch ihre Verdünnbarkeit aus - aber jedes mit Aquarellfarben gemalte Bild ist ein Aquarell. Und selbstverständlich kann man auch einfach weniger Wasser (oder, in Extremfällen, Farbe unverdünnt aus der Tube) verwenden, und damit sehr kräftige Farbtöne erzielen. Es gibt kein "Gesetz", das das verbietet - letztendlich kommt es ja einfach nur darauf an, dass das Bild so aussieht, wie man es haben will.
5. Aquarellfarben müssen transparent sein / Deckweiß ist kein Aquarell
NEIN!
Das ist nicht nur historisch falsch (zum Beispiel Dürers berühmtes Hasenbild, das oft als archetypisches Beispiel für gelungene Aquarelltechnik herangezogen wird - was es mMn auch ist; tolles Bild ^^ -, entstand aus relativ deckenden Erdpigmenten in Kombination mit, jep, Deckweiß...) sondern wird auch von der schlichten Tatsache, dass praktisch alle namhaften Hersteller mindestens ein Deckweiß im Aquarell(!)-Sortiment haben, widerlegt. Aquarell-Deckweiß ist übrigens auch noch lange keine "Gouache", da üblicherweise keine Kreide beteiligt ist, und auch das Bindemittel sich unterscheidet. Und "Mischtechnik" wird es ebenfalls nicht - immerhin sind ja nur Aquarellfarben beteiligt. Mal ganz davon abgesehen, dass VIIIEEEEELE "klassische" in der Aquarellmalerei verwendete Pigmente (Ocker, Kobaltgrün, Kobaltgelb, Indischrot ...) sogar deutlich deckender sind als Deckweiß. Ich habe keine Ahnung, wo dieser "Dogmatismus" der Verteufelung von Deckweiß im Aquarell herkommt, das scheint eine recht neue und auf den deutschsprachigen Raum beschränkte Erscheinung zu sein - wahrscheinlich hat mal irgendwer berühmtes an irgendeiner Kunsthochschule damit angefangen, und jetzt plappern es viele nach. Es stimmt schon, dass es oftmals (gerade bei größeren Stellen) besser/leuchtender aussieht, das Papier freizulassen, als es mit Deckweiß zu überpinseln: weißes Papier reflektiert mehr Licht als die gängigen Weiß-Pigmente (Titanweiß, Zinkweiß). Aber ob jemand Aquarell-Deckweiß benutzen möchte oder nicht - eine Aquarellfarbe ist es trotzdem.
6. Man benutzt kein Schwarzpigment im Aquarell
NEIN!
Der "kleine Bruder" des vorherigen Dogmas... Aber selbstverständlich ist schwarze Aquarellfarbe auf dem Markt erhältlich (und wurde von diversen historischen Künstlern eifrig eingesetzt, yadda), also kann man sie auch benutzen. (Dass viele "gemischte Schwarztöne", z.B. Phthalogrün mit Chinacridonviolett, oft lebendiger aussehen, sei mal dahingestellt.) Hier ist aber immerhin etwas klarer, wo das Dogma herrührt: einige Impressionisten fingen damit an, generell keine schwarzen Pigmente (auch in der Ölmalerei) mehr benutzen zu wollen. Offensichtlich hat sich das fortgesetzt - ein Sachgrund ist allerdings nicht zu erkennen. Ich persönlich hatte nie den Eindruck, schwarze Pigmente würden meine Bilder ruinieren. *schulternzuck* Letztendlich kommt es ja eh darauf an, was man damit macht - und ich hab auch ganz sicher andere maltechnische Probleme.
7. Man malt Aquarell "von hell nach dunkel"
NEIN!
Beziehungsweise JEIN!, denn natürlich KANN man so vorgehen, wenn man möchte. Muss man aber nicht. Deswegen ist der Satz als allgemeine Regel falsch. Viel eher macht es Sinn, die Farben nach ihrer Wieder-Anlösbarkeit zu unterscheiden: zum Beispiel kann Phthalogrün als unterste Farbschicht problemlos übermalt werden, weil es sich kaum wieder "auswaschen" lässt, sondern brav an Ort und Stelle bleibt. Kobaltblau hingegen wird, wenn man es mit einer anderen Farbschicht übermalt, sofort wieder angelöst und bewegt sich übers Papier. (Wobei man sogar das gezielt als Effekt nutzen kann!) Und man kann sich auch darüber Gedanken machen, welche Farben am empfindlichsten gegenüber einer "Verunreinigung" mit anderen Farben sind, und diese zuerst auftragen. Ich persönlich beginne immer mit Gelb, weil das sehr leicht "schmutzig" wirkt, wenn Spuren einer drunterliegenden Farbschicht hineingerieten. Das hat aber nichts damit zu tun, dass Gelb "hell" wäre. Zum Beispiel ein blauer oder gar bewölkter Himmel ist - rein vom Grauwert - heller als ein kräftig gelbes Objekt, trotzdem würde ich ihn eindeutig danach malen... Oh, und natürlich bin ich mir dessen bewusst, dass meine persönliche Maltechnik kein allgemeingültiges Dogma ist. So wichtig bin ich nicht. XD
8. Man darf beim Aquarell nicht vorzeichnen
NEIN!
Niemand wird einen dafür verhaften. XD Und auch mal viel allgemeiner gesprochen: der Unterschied zwischen "Aquarell" und "Aquarell-Mischtechnik" besteht hier darin, ob die Linien aus "Fremdmaterial" als grafisches Element des fertigen Bildes zu sehen sind oder nicht. Wobei die Grenzen zugegebenermaßen fließend sind. Eine colorierte Tuschezeichnung wäre recht eindeutig kein reines Aquarell mehr. (Was aber auch kein Drama ist!) Eine Malerei, durch die an ein oder zwei Stellen ein paar Bleistift-Striche durchblitzen, ist deswegen trotzdem immer noch ein Aquarell. Ein Bild, dessen Vorzeichnung man nicht mehr sieht, sowieso. (Ich persönlich zeichne übrigens konsequent mit Bleistift vor - so dick, wie ich Farbe draufhaue, sieht man am Ende eh nichts mehr davon....) Generell gibt es übrigens auch Methoden des Vorzeichnens, die man am Ende nicht mehr sieht. Man kann zum Beispiel mit Aquarellbuntstiften vorzeichnen, die Linien lösen sich dann einfach mit auf, wenn man drübermalt. Und es gibt auch spezielle Stifte, die darauf ausgelegt sind, nach ein bis zwei Wochen Lichteinstrahlung spurlos zu verblassen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, das nicht zu nutzen.
9. Organische Pigmente sind weniger haltbar/lichtecht als anorganische
NEIN!
Kann man so allgemein nicht sagen, zum Beispiel ist das (organische) PY154 (Benzimidazolon-Gelb) wesentlich lichtechter als, sagen wir mal, das (anorganische) Echte Aureolin PY40, das innerhalb weniger Jahre kackbraun wird. Eine so verallgemeinernde Aussage ist grober Unsinn. Ursache für diesen Irrtum ist vermutlich, dass die meisten Verfasser von Aquarell-Ratgeberliteratur keinen blassen Schimmer von Chemie haben, und das chemische "organisch" (also: enthält Kohlenwasserstoff-Verbindungen) mit dem englischen "organic" (bio/ökologisch) verwechseln. Und die meisten "Öko-Farben" wie Pflanzenfarbstoffe sind tatsächlich NICHT lichtbeständig. Das hat aber mit organischen Pigmenten in der Aquarellmalerei nichts zu tun. (Die sind übrigens auch meistens nicht mal ansatzweise öko-freundlich hergestellt... Whatever.)
10. Naturpigmente sind ungiftiger/ungefährlicher
NEIN!
Wenn jemand zum Beispiel mit "natürlichem" gemahlenem Malachit oder Azurit - oder echtem Zinnober (LOL) - malen möchte, kann er/sie das gerne tun. Das ändert nichts daran, dass diese Substanzen hochgiftig sind... Also da fresse ich im Zweifelsfall lieber Azogelb "aus dem Chemielabor". Abgesehen davon, dass ich meine Aquarellfarben sowieso tendenziell eher nicht verzehre. Aber für Leute mit kleinen Kindern ist es gemeingefährlich, Erkenntnisse von Obst und Gemüse (wobei auch das dank Kupfersalzen in der Bio-Landwirtschaft nicht ganz sicher ist) 1:1 auf Künstlerbedarf zu übertragen... Einfach NOPE.