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Dark Age of Camelot

Licht und Schatten
von

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Verschwunden

"Rede doch mit mir," verlangte Alazais entnervt, aber Zacharel schüttelte plötzlich ruckartig den Kopf. "Du überreizt bist, deswegen schlecht schlafen," sagte er ungewöhnlich forsch. "Aber du hast doch eben gesagt, dass das kein Traum war! was, in Danas Namen, verheimlichst du? was soll ich nicht wissen?" platzte es aus dem Elfen heraus. "Genug!" bellte Zacharel und der junge Magier wich einen halben Schritt zurück. Wortlos, gekränkt und böse starrte er seinen Lehrer an und dieser erwiderte den Blick, wenngleich in seinen Augen beinahe so etwas wie Schuldbewusstsein flackerte. "Du alles erfahren wirst," sagte er schließlich. "Aber jetzt nicht. Komm, draußen wir beginnen mit dem Unterricht." Alazais starrte an ihm vorbei. "Ich habe keine Lust," erwiderte er bockig. Zacharel fluchte kurz und bündig. "Keine Lust! keine Wahl du hast!" gab er scharf zurück. "Aber gut. Dann du sagst Stellan selbst dies, ich nun gehe."

Damit drehte er sich um und Alazais biss sich wütend und resigniert auf die Lippen. Der Frostalf hatte Recht- leider. Wenn Stellan davon erfahren würde, musste es unweigerlich zu einem Ausbruch kommen, auf den der Mentalist keinerlei Wert legte. "Nein, warte...," bat er frustriert. "Ich komme." Zacharel hielt an der Tür inne und Alazais holte sich das Buch, in dem er in seinen Mußestunden immer las, ehe er seinen schweren, pelzgefütterten Umhang um die Schultern schlang. "Dann sag mir wenigstens eines, ja?" murmelte er und der Frostalf betrachtete ihn argwöhnisch: "Nun?" Alazais rieb sich über die Schläfen. "Warum willst du mir nichts über diesen Traum...oder eben auch Nicht-Traum erzählen? wer oder was hindert dich?" Zacharel öffnete die Tür und trat nach draußen in die Winterkälte. "Ein Wort," erwiderte er kurz angebunden und hob dann rasch die linke Hand, als der Junge nachfragen wollte. "Nein. Mehr ich jetzt nicht sagen werde, Alazais. Später." Der Heiler war zumeist eine gutmütiger Natur und Alazais spürte, dass er gegen eine Wand redete- je stärker er nachbohrte, desto verschlossener würde der andere reagieren und er konnte es sich einfach nicht leisten, in dieser feindseligen Welt den einzigen Verbündeten zu verlieren, den er hatte.

Schweigend und mit spürbarer Distanz gingen die Beiden vor die Tür. Die Luft war eisig kalt und schmeckte nach frischem Schnee und es fiel Alazais schwer, sich auf die Erklärungen und Worte zu konzentrieren, die Zacharel sagte. "...du mir übersetzt das nun. Hey, ich mit dir rede. Alazais!" der Elf schreckte aus seinen Grübeleien, die sich um Madran und seine ominösen Träume drehten, auf und blinzelte. "Tut mir Leid, ich habe nicht zugehört." Zacharel seufzte sehr tief. "Ich auch reden könnte mit einer Wand," sagte er tadelnd. "Sag mir, du das jetzt machst mit Absicht?" Alazais presste verärgert die Lippen aufeinander. "Nein, ich kann mich nicht konzentrieren." Fast wäre er versucht gewesen, noch hinzu zu fügen, dass er sich allerdings weitaus besser konzentrieren könnte, wenn Zacharel ihm endlich sagte, was es mit diesem mysteriösen Elfen auf sich hatte, der genau den gleichen Namen wie sein bester Freund trug, aber das verkniff er sich lieber.

Zacharel seufzte erneut. "Ich denke, das kaum Sinn hat. Wir das verschieben auf morgen." Alazais senkte den Blick und plötzlich strich ihm der Frostalf kurz über das Haar. "Kopf hoch," meinte er, um nur noch geheimnisvoll zu ergänzen: "Bald." Der Junge sah ihn fragend an, aber sein Lehrer erklärte sich nicht weiter. "Da lernen heute nur macht wenig Sinn, was du hältst davon, du mir erzählst ein wenig von Hibernia?" fragte er stattdessen friedlich. "Ich fast nichts wissen über dich, Alazais. Und dabei ich doch so neugierig bin!" selbstironisch verdrehte er die Augen und der Elf lächelte ein wenig. "Was möchtest du denn hören?" Zacharel breitete in einer allumfassenden Geste die Hände aus. "Egal. Ich alles interessant finde."

Alazais überlegte kurz, während sie weiter schlenderten. "Ich wohnte in einem Dorf namens Mag Mell, das liegt genau vor dem Palast meiner Königin." Er biss sich schmerzhaft auf die Lippen, denn die Art, in der Vergangenheitsform über seine geliebte Heimat zu sprechen, hinterließ ein so intensives Gefühl der Beklemmung, dass es dem Elfen beinahe in der Brust schmerzte. Zacharel sagte nichts und musterte ihn nur mit Neugier und ehrlichem Mitgefühl. Alazais holte tief Luft und fuhr mit leiser Stimme fort: "Meine Eltern sind Vertraute des Königshofes, aber sie genießen keinen besonderen Rang. Meine Mutter ist eine von Königin Brigits persönlichen Schneiderinnen und führt die Oberaufsicht über die Lager, die die Stoffe für unseren Teil von Atlantis herstellen." Versonnen strich er sich über den pelzgefütterten Umhang. "Mein Vaters ist einer der Ausbilder in unserer Hauptstadt. Ich selbst bin...wollte Mentalist werden." Die dunklen Augen des Elfen blickten melancholisch in die Ferne. "Ich hatte nicht viele Freunde in Hibernia. Einer von ihnen ist auch hier gefangen, aber nun will er mich nicht mehr sehen. Der andere wurde bei dem letzten Reliktfeldzug getötet, glaube ich. Er heißt Cheres." Alazais warf Zacharel einen kurzen Blick zu, aber der Frostalf zeigte keine Überraschung und fragte auch nicht nach.

Mit leicht wankender Stimme fuhr der junge Magier fort. "Wir besuchten oft eine ältere Beschwörerin namens Shynafaye. Sie wohnte nicht wie die anderen im Wohngebiet oder den abgegrenzten Dörfern, sondern hatte sich ganz allein ein Haus mitten im Wald gebaut. Manchmal nahm sie uns mit nach Hy Brasil, das ist ein eigenständiger Teil des Landes, der sehr weit im Süden liegt. Einmal hat sie uns auch mit in den Schleier genommen, das ist der Ort, von dem mein Volk ursprünglich stammt, die Menschen bei uns nennen ihn die Anderwelt." Während Alazais erzählte, fiel die Zurückhaltung Stück für Stück von ihm ab. Er war noch immer niedergeschlagen und schier krank vor Heimweh, aber die farbenfrohen Erinnerungen an Hibernia holten ihn schleichend aus der Reserve und Zacharel unterbrach ihn mit keinem Wort, denn der Junge sprach meist nur wenig und wenn, dann nie so lebhaft wie jetzt.

Der Elf berichtete, dass die Elfen dieses Schleiers vor vielen, vielen Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden nach Hibernia gekommen waren und dass inzwischen nur noch wenige der damaligen, ersten Auswanderer am Leben waren. Auch die Ursprache, die die Elfen des Schleiers gesprochen hatten, galt als ausgestorben. Weiterhin hatte ganz Hibernia einstmals den Firbolg und Kelten gehört, ehe die Elfen kamen und sich selbst zu den Herrschern des Landes erklärten. Alazais war nicht stolz auf den Umstand, dass seine Vorfahren eigentlich Eroberer und Mörder waren, aber das Ganze lag so lange zurück und war vor seiner Zeit geschehen, dass er persönlich keinen Grund für ein schlechtes Gewissen sah.

Alazais erzählte noch eine ganze Weile, ehe Zacharel vorschlug, sich langsam auf den Rückweg zu begeben. Als Stellans Hütte in Sichtweite kam, legte er dem jungen Elfen kurz einen Arm um die Schultern. "Ich dir noch einmal danken will, das alles sehr interessant und spannend gewesen." Alazais lächelte sachte, sagte aber nichts. Vor der Tür neigte er den Kopf und sie verabschiedeten sich. "Ich übermorgen wieder komme," erklärte Zacharel und winkte dem Jungen noch einmal zu, ehe er die Kapuze des Umhangs über streifte und in Richtung Vasudheim ging.

Alazais schloss behutsam die Tür, nachdem er dem Frostalf noch einen Moment nachgesehen hatte. Dann streifte er seinen dicken Umhang ab und strich sich fröstelnd über die Oberarme. In der Hütte war es eiskalt. Seufzend trat er an die Feuerstelle heran, schichtete ein paar Holzscheite auf und konzentrierte sich auf seine Mentalistenmagie. Helles, eingefangenes Sonnenlicht tanzte in kleinen Flammen um seine Hände und sprang von Scheit zu Scheit, bis allmählich ein echtes Feuer in Gang kam. Alazais wärmte seine kalten Finger über den Flammen und blickte stirnrunzelnd aus dem Fenster. Stellan war schon sehr lange fort, allmählich ging der späte Nachmittag in den Abend über. Normalerweise war der Berserker um diese Zeit schon von seinen Streifzügen durch die Grenzgebiete zurück. Und wenn er tot ist? dachte der Junge plötzlich. Was, wenn er endlich die Rechnung für seine Mordlust bekommen hatte? bei dem Gedanken begann sein Herz zu klopfen. Er wäre seinen schlimmsten Feind los, aber auch gleichzeitig den dürftigen Schutz, den Stellan ihm bot. Wenn der Nordmann wirklich getötet worden sein sollte, würde zwangsläufig irgendwann jemand herkommen und Alazais bezweifelte, dass man ihm großmütig diese Hütte schenken und ihn vergessen würde. Die Vorstellung, dass sie ihn einfach gehen ließen, war sogar noch utopischer.

"Nun mach dich nicht selbst verrückt," flüsterte sich der Elf energisch zu. Aber die Unruhe wuchs beständig an und als es draußen langsam wirklich dunkel wurde, begann der Junge, vor lauter Nervosität gleich einem eingesperrten Tier inder Hütte auf und abzugehen. Er hatte keine Ahnung, wo Zacharel wohnte, und für kein Geld der Welt wäre er in der Finsternis alleine nach Vasudheim gegangen. Plötzlich kratzte etwas an der Tür, gefolgt von einem dumpfen, hechelnden Laut. Alazais glaubte, ihm würden sich die Nackenhaare sträuben. Mit aufgerissenen Augen blickte er zur Tür, vor der irgendjemand -oder irgend etwas- herum scharrte und tappte. Das Fenster war mit Pergament bespannt , der Elf konnte sicht sehen, was da draußen vor sich ging. Warnungslos ließ ein kurzer, heftiger Schlag die gesamte Tür erbeben und Alazais erstarrte. Er bezweifelte stark, dass Stellan da draußen herum schlich und sich zum Narren machte, außerdem klangen die Geräusche auf unbestimmte Art, als wären sie tierischen Ursprungs. Ein deutlich hörbaraes Knurren erklang und Alazais presste die Hände zusammen. Das Geräusch klang tief und kehlig, als würde dort ein riesiger Wolf seinen Unmut kund tun. Wieder ein Schlag.

Alazais wich ein wenig zurück und hob angriffsbereit die Hände, für den Fall, dass das Ding dort draußen die Tür aus den Angeln reißen würde. Aus dem Augenwinkel bemerkte er einen Schatten am Fenster und wandte so hektisch den Kopf, dass seine Nackenwirbel unangenehm knackten. Warnungslos brach mit einem reißenden, fetzenden Laut eine gewaltige, zottelige Pranke durch die dicken Pergamentbahnen. Alazais schrie auf vor Schreck und starrte die mit dolchartigen Krallen bestückte Klaue an, die nun das Pergament auseinander riss. Gleich darauf schob sie ein hässlicher, wolfsähnlicher Schädel durch das Loch. Der Elf blickte in ein Paar tückische, gelbe Augen, in denen eine dumpfe, böse Intelligenz lauerte. Im linken Ohr der Wolfskreatur baumelte ein aus Knochen geschnitzter Ring und als das Untier den Magier bemerkte, knurrte es gierig. Alazais wich noch weiter zurück und hob drohend die Hände. "Hau ab!" befahl er mit bebender Stimme. "Weg!"

Das Wolfswesen gab einen heiseren, bellenden Laut von sich, der beinahe wie ein Lachen klang. Mit einem Ruck versuchte es, sich durch das Fenster zu zwängen, aber dazu war dieses zu klein. Der Elf schleuderte dem Untier einen Schwall leuchtender Sonnenenergie entgegen und schrill aufjaulend wich dieses zurück. Es verschwand vom Fenster und bewegte sich mit kratzenden Pfoten zur Tür zurück. Die hölzerne Klinke bewegte sich und Alazais hechtete mit einem Satz nach vorne, um sich gegen die Tür zu werfen. Die Kreatur stemmte sich dagegen, wusste aber offenbar noch nichts mit der Klinke anzufangen, doch probierte sie alle Möglichkeiten aus und riss, ruckelte und stieß am Türgriff. Alazais glaubte sogar, das Knacken zubeißender Zähne zu hören. Innerlich betete er, das Monster möge nicht auf den entscheidenen Gedanken kommen, und er hatte Glück: der bizarre Wolf tobte noch eine ganze Weile und grollte seinen Zorn heraus, doch irgendwann ließ das Rumoren vor der Tür nach und es wurde still.

Alazais atmete leise keuchend, das Adrenalin pumpte durch seinen Körper. Zögerlich wich er zurück, doch er wagte es nicht, die Tür zu öffnen. Auch vom offenen Fenster, durch das kalte Luft in die Hütte strömte, hielt er sich fern. Mit wachsweichen Beinen ging der Elf zum Bett und ließ sich auf dessen Kante sinken. So wartete er eine ganze Weile, aber der Angreifer kam nicht zurück.

Ebenso wenig wie Stellan.

Alazais kaute unruhig an seiner Unterlippe herum und versuchte eine Zeit lang, sich mit Lesen abzulenken, aber das wollte ihm nicht gelingen. Schließlich entledigte er sich seiner Stiefel und legte sich mit klopfendem Herzen ins Bett, das ihm auf einmal viel größer vorkam als sonst. Jedes fremde Geräusch ließ den Elfen zusammen zucken und er zog die kratzige Decke bis zum Kinn hinauf. Scheinbar Stunden später wurde er letzlich doch müde, schloss die Augen und öffnete sie gewaltsam wieder, bis der Druck auf seine Lider zu stark wurde und den Magier in einen unruhigen, aber traumlosen Schlaf zwang.
 

Er erwachte, ohne dass ihn jemand geweckt hätte. Alazais schlug die Augen auf und sah sofort zur Seite, doch die andere Hälfte des Bettes war leer. Auch sonst war in der Hütte alles unverändert. Vor Kälte bibbernd schlug der Junge die leicht dumpf riechende Decke zurück und stieg in seine Stiefel. Er war hungrig und einigermaßen ratlos. Natürlich konnte er nicht einfach tatenlos herum sitzen und hoffen, dass sich jemand seiner annahm, aber die Vorstellung, ins Dorf zu laufen und Bescheid zu geben, war doch sehr reizlos. Am Ende würde man ihm vielleicht sogar unterstellen, er hätte Stellan getötet. Mit einigem Widerwillen tappte der Mentalist zur Tür und besah sich diese von draußen. Das Holz war zerkratzt und von Zahnabdrücken übersät, doch in der Nacht hatte es erneut geschneit und alle Fußspuren waren vom Schnee verschluckt worden.

Beklommen holte Alazais seinen Umhang, flocht die Haare zu einem lockeren Zopf und trat nach draußen. Zacharel würde erst morgen wieder zurückkommen, so lange konnte er nicht in der Hütte warten. Mit nicht besonders schnellen Schritten stapfte der Junge durch den Schnee und bewegte sich in Richtung Vasudheim. Er hielt das nach wie vor für eine gefährliche, selbstmörderische Idee und war auch zweimal umgekehrt, um nach wenigen Schritten ernstlich mit sich selbst zu ringen. Wie er da grübelnd und unsicher im Schnee stand, bemerkte er aus der Ferne plötzlich eine einsame Gestalt in seine Richtung kommen. Alazais schirmte die Augen mit einer Hand ab und glaubte -hoffte beinahe- einen Moment, Stellan zu sehen, aber der oder die Fremde war zu schmal gebaut und außerdem wesentlich kleiner. Nach einem weiteren Moment erkannte Alazais den Neuankömmling und spürte einen heftigen Schwall Widerwillen. Es war ein Frostalf namens Velandral und mit ihm und seinem milesischen Begleiter hatte Alazais schon einmal eine schmerzhafte Begegnug gehabt, damals, als er nach der Tötung eines Reichsmitglieds blind und ziellos aus der Hütte geflohen war.

Einen Moment spielte der Junge mit dem Gedanken, in den Wald zu flüchten, der links und rechts neben ihm in die Höhe ragte, aber auch der Midgarder hatte ihn nun bereits gesehen und bewegte sich nun wesentlich zielstrebiger. Unbewusst ballte Alazais die Fäuste und sah dem anderen entgegen. Velandral wirkte einen Moment verblüfft, offenbar hatte auch er damit gerechnet, dass der Elf vor ihm davon laufen würde, doch dann grinste er spöttisch. "Oh, wen haben wir denn da. Dich hab ich ja seit Wochen nicht mehr gesehen, Kleiner. Erinnerst du dich noch an mich?" seine Augen blitzten herausfordernd. Alazais verengte die Augen und schluckte lautlos. "Bitte gehen," sagte er mit -so hoffte er- fester Stimme. "Ich Stellan suche." Velandral blinzelte amüsiert. "Hey, du sprichst ja schon richtig gut. Kannst du andere Dinge auch noch so schön?" provokant leckte er sich über die dunkle Unterlippe. Alazais schwieg und starrte an ihm vorbei.

"He, ich rede mit dir, Baumküsser. Was ist? so ein schöner Morgen und niemand da, da könnten wir doch..." er ließ den Satz offen, trat einen Schritt näher und wartete. Alazais schwieg immer noch und sah ihn nicht einmal an und Velandral fluchte in seiner zischelnden Muttersprache. Plötzlich ertönte ein lautes Knurren hinter dem Frostalf und erst jetzt drehte er sich um- nur um sich Auge in Auge mit einem wolfsartigen, schwarzbraunen Untier wieder zu finden, das wie ein Mensch aufrecht auf zwei Beinen ging und vor Gier geiferte. Das Wesen hatte sich nahezu lautlos von hinten heran gepirscht und Alazais hatte es tunlichst vermieden, Velandral darauf aufmerksam zu machen. Nun ging der Midgarder mit einem erschrockenen Aufschrei zu Boden, als sich die Wolfskreatur auf ihn stürzte und die Krallen in seine Schultern grub. "Nein! verschwinde!" wild strampelte er mit den Beinen und sah zu Alazais hinüber. Der Elf war zurück gewichen und erwiderte seinen Blick ausdrucklos.

"Du..." schrie er, "du...hilf mir!" Alazais tat nichts dergleichen und sah zwischen ihm und dem Wolfsmonster hin und her. Dieses schnellte vor und verbiss sich in Velandrals Oberarm. Mit einem kurzen Ruck riss es ein Stück Fleisch heraus und der Frostalf schrie erneut. "Bitte!" brüllte er. "Hilf mir! es...es tut mir Leid, ich werde...ich werde tun, was du willst, aber..." der Wolf knurrte und spritzte dem Liegenden heißen Geifer ins Gesicht. Alazais presste die Lippen zusammen und als Velandral ihn erneut und mit angst- und schmerzverzerrter Stimme anschrie, schnellten seine Hände empor und schleuderten der Kreatur einen Schwall Sonnenlicht entgegen. Sofort riss das Ungeheuer den Kopf in die Höhe und funkelte den Angreifer hasserfüllt an. Mit einem Knurren und einem mächtigen Sprung setzte es über Velandral hinweg, öffnete das blutige Maul und wollte sich auf den Elfen stürzen.

Alazais wirkte einen weiteren Zauber und zielte genau auf eines der aufgerissenen, gelben Augen. Der Zauber traf und der Wolf fuhr aufheulend zurück. Eine durchsichtige, zähe Flüssigkeit tropfte in den Schnee und halb blind wandte sich das Untier ab, um auf zwei flinken Beinen schnaufend und krachend im Unterholz zu verschwinden. Velandral richtete sich keuchend auf. Sein Arm blutete stark und seine Kleider waren an den Schultern zerrissen. Wortlos starrte er Alazais an, der den Blick misstrauisch erwiderte. "Ich...danke dir," sagte der Frostalf nach einer Weile zähneknirschend. "Kannst du..." er deutete auf seinen Arm. Alazais hob eine Augenbraue- eigentlich war seine Hilfsbereitschaft in Bezug auf den Midgarder weitgehend ausgereizt, dennoch trat er nun widerwillig näher, ging in die Hocke und besah sich die Verletzung. Sie musste stark schmerzen, blutete heftig und wer konnte schon wissen, welche Gifte und Bakterien an den Zähnen des Monster gehaftet hatten.

Der Junge legte seine Hände über die Wunde und besann sich auf seinen regenerierenden Zauber, doch Velandral stöhnte auf und schüttelte heftig den Kopf. "Das tut weh," fauchte er. Alazais verzog die Lippen. Hibernianische, heilende Magie wirkte nicht immer bei Reichsfeinden. Manchmal zeigte sie einfach keinerlei Wirkung, oder diese stellte sich schleppend und mit starken Schmerzen als Begleiterscheinung ein. "Du sterben, wenn nicht Hilfe schnell," sagte der Mentalist abweisend. "Mir Recht." Velandral funkelte ihn wütend an, nickte dann aber wortlos. Nur ein dumpfes, gequältes Stöhnen fand den Weg über die dunklen Lippen des Midgarders, als Alazais abermals seine Magie wirken ließ, aber irgendwann trug der Zauber endlich Früchte und entfaltete seine Kraft: langsam, viel langsamer als gwöhnlich, begann sich die Wunde zu schließen, das Blut hörte auf zu fließen.

Der betroffene Arm würde noch immer sehr empfindlich sein und den Blutverlust konnte Alazais nicht ersetzen, aber Velandral musste für den Moment nicht mehr um sein Leben fürchten. "Ich schätze, ich bin dir was schuldig, wie?" fragte der Midgarder, nachdem sie sich etwa fünf Minuten stoisch angeschwiegen hatten. Alazais wandte ihm den Blick zu und plötzlich zuckte die Faust des Frostalfar vor und bohrte sich in seinen Bauch. Der Junge riss die Augen auf und keuchte und gleich darauf schlug Velandral abermals zu. Stöhnend und gegen eine heftigen Würgereiz ankämpfend klappte Alazais zusammen. Sofort war der Frostalf über ihm, verdrehte ihm die Arme auf den Rücken und gab ihm einen dritten Schlag zwischen die Schulterblätter.

"Ja, ich werde mich gebührend bei dir bedanken," höhnte Velandral und lächelte böse. Ruckartig schob er den Umhang des Elfen beiseite und riss an seiner Hose. Alazais wehrte sich schwach, doch von der heimtückischen Attacke hatte er sich noch nicht erholt. Voll hilfloser Wut und mit dumpfem Entsetzten spürte er, wie der andere ihm die Hose hinunter schob und die stechende Kälte konnte das Gefühl der schwieligen Finger, die nun seine Hinterbacken auseinander klaffen ließen, nicht betäuben.

Alazais strampelte kraftlos und versuchte seine Arme frei zu bekommen, während er schon mit dem dumpfen, Luft abschnürenden Schmerz rechnete, der gleich durch seinen Unterleib toben musste. Stattdessen fühlte er plötzlich, wie Velandral mit einem Ruck von ihm herunter gerissen wurde. Leise ächzend tastete der Elf nach seiner Hose, zog sie hoch und wälzte sich auf die Seite, wo er sich vorsichtig aufrichtete und einen Blick über die Schulter warf. Sein spontaner Retter entpuppte sich als Cryptica und der Junge war selten erleichterter gewesen, den Geisterbeschwörer zu sehen. Velandral blinzelte überrumpelt, dann knurrte er. "Du schon wieder?" der türkisäugige Elf verzog die Lippen zu einem flüchtigen, humorlosen Grinsen. "Tut mir ja auch Leid, dass ich dir dauernd den Spaß verderbe, aber ich fürchte, das ist keine gute Idee." Warnungslos schoss sein gestiefelter Fuß vor und verschwand zwischen Velandrals Beinen. Der Frostelf stieß einen beinahe quiekenden Schrei aus, stürzte zu Boden und presste wimmernd die Hände vor den Schritt.

"Damit du es dir endlich merkst," sagte Cryptica freundlich, ehe er sich an Alazais wandte und ihm die Hand entgegen hielt. Der Jüngere griff danach und ließ sich auf die Beine helfen. "Du hättest gehen sollen. Eine Magenverstimmung eines Askheimers ist ein vergleichsweise akzeptabler Preis, wenn man bedenkt, wie der gute Velandral sich erkenntlich zeigen wollte, oder?" sein Gälisch war noch immer sehr akzentschwer, doch Alazais bemerkte, dass der seltsame Elf die Sprache, die eigentlich die seines wahren Volkes war, weitaus besser beherrschte als bei ihrem letzten Treffen. Dennoch war er von dem raschen Szenenwechsel immer noch zu überrascht, um Cryptica wirklich folgen zu können. "Askheimer?" fragte er matt. Der weißhaarige Elf deutete auf die Fußspuren im Schnee. "Du kannst auch Werwolf sagen, das dürfte das Gleiche sein." Hinter ihm rappelte sich Velandral auf und hielt plötzlich ein Messer in der Hand. Alazais riss die Augen auf. "Achtung!" rief er.

Cryptica drehte sich betont gleichmütig um und die Klinge beschrieb einen scharfen Bogen- sie musste ihn jeden Moment treffen. Während Alazais vor Schreck leichenblass geworden war, geschah etwas höchst Seltsames: Cryptica bewegte sich nicht, stattdessen trat eine durchscheinende, blasse Gestalt aus ihm heraus und fing den Hieb ab. Gleichzeitig hob der Schatten einen gewichtslosen Speer und hieb ihn Velandral mit der stumpfen Seite an die Schläfe. Der Frostalf ächzte und kippte wie ein gefällter Baum nach hinten. Der weiße Schatten ließ seine Waffe sinken und trat einen Schritt aus Cryptica heraus. Er entpuppte sich als ein Frostalf, dem ein fast bodenlanger Umhang um die Schultern hauchte, doch alles an ihm war so durchlässig, als bestünde das Wesen aus feinem Nebel. Alazais machte große Augen und Cryptica lachte leise. "Das ist Salmakis, einer meiner Geister." Der schemenhafte Frostalf verneigte sich leicht und Alazais war so perplex, dass er die Geste erwiderte. Natürlich, Cryptica hatte ja nie eine hibernianische Ausbildung erhalten und war stattdessen auf Midgards Magierpfaden gewandelt.

Als sich Alazais nach einem weiteren Moment des Staunens halbwegs gefasst hatte, strich er sich den Schnee vom Mantel und warf dem anderen Elfen einen scheuen Blick zu. "Danke für Eure Hilfe." Der Weißhaarige winkte dezent ab und griff in eine Tasche seines Mantels. "Ich bin nicht zufällig hier. Man schickt mich, dir etwas zu überreichen." Er holte einen Ring aus der Tasche und hielt ihn Alazais hin. Der Junge besah sich das Schmuckstück und war merkwürdigerweise kaum überrascht, dass es genauso aussah wie der Ring, von dem er letzte Nacht geträumt hatte, auch wenn sein Überbringer jemand anderes gewesen war. "Von wem ist das?" fragte er und griff automatisch nach dem winzigen Reif, um ihn zwischen den Fingern zu drehen.

"Jemand, der dich bald kennen lernen will," sagte Cryptica. "Durch die Rettung des Mädchens am See hat er von dir erfahren." Alazais nickte fahrig, sein Herz schlug für einen Moment schneller. Er wagte es nicht, bei dem Elfen genauso hartnäckig nachzufragen wie bei Zacharel, stattdessen deutete er mit dem Kopf zaghaft in Richtung Vasudheim. "Ich suche Stellan, habt Ihr ihn zufällig gesehen?" der andere hob eine Augenbraue. "Es verwundert mich, dass du ihn vermisst." Alazais bekam heiße Ohren. "Das tue ich nicht," murmelte er. "Ich dachte nur, weil er...er ist seit gestern verschwunden, nachdem er ins Grenzgebiet gegangen ist und..." verärgert über sein verschüchtertes Gestammel brach der junge Magier ab, aber Cryptica nickte ernst. "Gesehen habe ich ihn nicht, aber du musst ein bisschen verrückt sein, wenn du alleine nach Vasudheim gehen willst. Ich begleite dich."



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