Solange ich Lebe
Sanft streichen meine Fingerspitzen durch das grüne Gras des Spätsommers. So viel ist passiert. Kurz sehe ich mich um. Ich erkenne die Stelle wieder, ich würde sie immer wieder erkennen. Die Stelle, an der ich vor nicht einmal einem ganzen Jahr sterben wollte. Wenn ich nun zurückdenke erscheinen mir die Ereignisse von damals so fremd… ja, fast so, als hätten sie in einem anderem Leben stattgefunden. Vielleicht haben sie da ja auch. Schließlich hat selbst Kikyou so etwas gemeint, als sie zu mir gesagt hat, dass sie froh über meinen Neuanfang sei. Das war in diesem Frühling passiert, als ich endlich den Mut dazu aufgebracht hatte, meine Familie in meiner eigenen Zeit zu besuchen. Inuyasha und Kikyou habe ich, haben wir, denn Sesshoumaru hat mich damals begleitet, eher zufällig getroffen. Und während die untote Priesterin mir alles gute gewünscht hat, hat meine frühere Liebe mich einfach nur schweigend angesehen. Seine Augen wären bei unserer Begleitung vor Unglauben und Zweifeln fast übergelaufen, fast so, als ob er mich hätte fragen wollen, ob ich es mit meiner Wahl wirklich ernst meinte. Er hat zwar nicht gefragt, aber ich war lange genug mit ihm unterwegs, um ihn wenigstens so weit durchschauen zu können.
Ich habe es ernst gemeint und tue es immer noch. Ihm habe ich es nicht gesagt, aber dafür meiner Mutter. Ich werde mich wohl immer an ihren Blick erinnern, als ich mit Sesshoumaru aus dem Brunnen gekommen bin. Sie hat mich angesehen wie einen Geist, wie jemanden, den es eigentlich gar nicht mehr geben sollte. Sie konnte scheinbar nicht glauben, dass ich zurückgekehrt war, nach fast einem Vierteljahr ohne jegliches Lebenszeichen. Selbst mein Großvater und mein Bruder haben mich wie so etwas wie ein Wesen aus einer anderen Dimension betrachtet. Ich habe sie damals gefragt, ob sie meine Nachricht nicht bekommen hätten und sie haben geantwortet, dass sie sie dutzende Male durchgelesen hätten, jeder einzelne von ihnen. Und obwohl ich es nicht bereut habe, fort gegangen zu sein, so habe ich mir in diesem Moment doch gewünscht, ich hätte ihnen vorher bescheid sagen können. Aber das ist nun und war auch damals Vergangenheit und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Auf jeden Fall habe ich mich mit meiner Familie damals lange und ausführlich unterhalten müssen. Selbst Sesshoumaru hat meinem Bericht zugehört, auch, wenn er mich niemals unterbrochen hat, als ich einige Kämpfe bewusst verharmlost habe. Er war einfach nur da und dafür bin ich ihm heute noch immer sehr dankbar. Schließlich war es seine Anwesenheit, die mich vor einem Zusammenbruch bewahrt hat, als meine Mutter mir sagte, dass ich in der Neuzeit offiziell schon seit einiger Zeit tot war.
Kurz nachdem ich verschwunden war, hatte es offenbar in einer Lagerhalle in der nähe meiner Schule einen Brand gegeben. Und als eine so genannte Augenzeugin der Polizei berichtet hatte, dass sie mich in die Lagerhalle hätte gehen sehen, waren ein paar überaus verkohlte Leichenteile sehr schnell als die meinen identifiziert worden. Ich weis nicht genau, was mich damals mehr geschockt hat, als ich vor meinem eigenen Grab in der Nähe des Schreins stand. Die Tatsache, dass ich überhaupt ein Grab hatte oder der Gedanke an den Toten, der darin lag und von dem niemals jemand wissen würde, wer er wirklich war.
Aus diesem Grund konnte ich auch nicht lange dort bleiben. Meine Mutter sagte mir, dass meine früheren Schulfreundinnen und auch Hojo öfters vorbeikamen und Blumen an mein Grab brachten. Ich durfte von ihnen nicht gesehen werden, auch, wenn es ihre Trauer auf lange Zeit wohl gemindert hätte, wenn ich ihnen alles hätte erklären können. Wahrscheinlich hätte so etwas allerdings noch mehr Probleme verursacht als es gelöst hätte und so versuchte ich gar nicht erst wieder Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Aus diesem Grund blieb ich auch nicht allzu lange in meinem früheren zu Hause.
Aber auch das ist nun Vergangenheit oder vielleicht auch noch ferne Zukunft, eine Zukunft, die ich selbst wahrscheinlich niemals mehr mit eigenen Augen sehen werde, denn der Brunnen hat sich nun geschlossen, für immer. Er lässt mich nicht mehr hindurch, ganz so, als wäre ich nun an meinem Bestimmungsort angekommen und müsste nicht mehr zwischen den Zeiten wechseln. Irgendwie ist dieser Gedanke beruhigend. Er verspricht mir Frieden.
Langsam schleicht sich ein Lächeln auf mein Gesicht, während die Abendsonne ihre noch warmen strahlen über das Land wirft. Ich warte. Ich warte darauf, dass Sesshoumaru, Jaken und Ah-Uhn aus dem Schloss des Westens zurückkehren. Es macht mir nichts aus, zu warten. Es ist egal, das ich das Schloss noch nie mit eigenen Augen gesehen habe, genauso, wie es egal ist, dass ich selbst es niemals betreten werde. Ich wäre dort nicht glücklich, dort, zwischen all den unsterblichen Dämonen, die mich immer wieder an meine eigene Vergänglichkeit erinnert hätten und an die Person, die ich niemals werde sein können.
Eine Lady… die Gefährtin eines Dämonenlords… ich weis noch, dass mein menschlicher Verstand kurz nach dem Krieg gegen die Drachen ganz besessen von dieser Vorstellung gewesen war. Irgendwie schade, dass mir dieser Wunsch niemals in Erfüllung gehen wird. Ich kann nicht die offizielle Gefährtin eines Dämonenlords sein, denn in meinen Adern fließt Menschenblut. Selbst wenn ich es irgendwie schaffen sollte, den Respekt der Youkai des Westens zu erweben, wäre meine Lebensspanne doch viel zu kurz. Schließlich werde ich höchstens noch 60, vielleicht auch 70 Jahre leben. Diese Zeitspanne ist verschwindend gering, betrachtete man sie einmal aus der Sicht von nahezu unsterblichen Wesen. Selbst die Ausbildung, die jede dämonische Prinzessin durchlaufen muss, so hatte mir Jaken einst erklärt, dauerte ganze 50 Jahre. Und erst danach wird es ihr erlaubt, sich unter anderen, hochrangigen Youkai aufzuhalten.
Schon allein das ist eine Hürde, die ich niemals werde überwinden können. Aber wie gesagt, dass ist egal. Schließlich geht es mir weder um einen Stand noch Ruhm. Es geht mir lediglich um Sesshoumaru und um ihn allein. Auch wenn ich nur ein Mensch bin, so hat er mich doch an seiner Seite akzeptiert. Auch, wenn ich noch so kurz leben sollte, so schenkt er mir doch seine Aufmerksamkeit und das ist mehr, als die meisten anderen jemals erhalten werden. Und dafür bin ich ihm dankbar, auch, wenn ein kleiner Teil von mir vor Eifersucht kocht und wahrscheinlich auch immer kochen wird. Immerhin wird er sich irgendwann eine richtige Gefährtin nehmen, nehmen müssen, um einen würdigen Erben zu zeugen. Meine Art verhindert es, dass ich diese Aufgabe übernehmen könnte. Niemand würde einen Hanyou als Dämonenlord akzeptieren. Niemand. Das hat mir Inuyashas Schicksal eindeutig bewiesen.
Leise seufzend richte ich meinen Oberkörper auf. Ich bin wirklich selbstsüchtig, einfach so anzunehmen, dass ein Dämon für mich wahrscheinlich noch jahrhunderte lang nach meinem Tod allein bleiben sollte. Wirklich, unglaublich selbstsüchtig.
Kurz seufze ich lautlos auf. So viel ist in letzter Zeit und noch immer habe ich nicht gelernt, die Dinge so zu akzeptieren wie sie sind. Wahrscheinlich ist es mein menschliches Herz, dass mir diese Möglichkeit verweigert. Vielleicht…. Aber auch dafür sollte ich dankbar sein. Immerhin sind es nur diese kleinen Unterschiede zwischen mir und den anderen Dämonen, die ich trotz meinem Abstand zum Schloss nun immer wieder treffe, die mich daran erinnern, dass ich ein Mensch und keiner von ihnen bin. Wenn ich lernen würde, mich wie eine zugegebenermaßen friedliche Dämonin zu verhalten… wahrscheinlich würde ich mich dann selbst vergessen und das will ich nicht.
In diesem Augenblick spüre ich ein vertrautes, wenn auch größtenteils unterdrücktes Youki hinter mir. Lächelnd stütze ich meine Hände auf dem Boden ab, das Gras kitzelt meine Fingerspitzen, bevor ich mich erhebe.
Kaum stehe ich, spüre ich schon seine Wärme direkt hinter mir. Ein angenehmer Schauer läuft mir den Rücken hinunter, als ich seinen Atem über meinem Hals streichen spüre.
“Du musstest lange warten.”, erklingt seine kühle Stimme an meinem Ohr.
Unwillkürlich kräuseln sich meine Mundwinkel zu einem Lächeln. Ich kenne mittlerweile seine Art, sich auszudrücken. Seine unglaublich kühle Art, die man wahrscheinlich erst versteht, wenn man gelernt hat, zwischen den Zeilen zu lesen. Ich habe es gelernt.
“Wenn du noch länger gebraucht hättest, wäre ich dich suchen gegangen.”, murmelte ich zufrieden, “Du wirst mich nicht mehr los, selbst, wenn du es wolltest.”
Als einzige Antwort darauf spürte ich, wie er seinen Atem etwas stärker ausstieß. Wenn ich das Gehör eines Dämons besessen hätte, hätte ich da leise, belustigte Schnauben seinerseits wahrscheinlich sogar gehört.
“Ich werde immer bei dir bleiben, Sesshoumaru. Ich werde immer bei dir bleiben… so lange ich lebe.” Und das war mehr als nur ein Versprechen.
Solange die Zeit vergeht
Verlieren wir immer ein Stückchen mehr
Unsre Erinnerung verweht,
Hinein, in ein Tränenmeer.
Und doch steh’ ich nun vor dir
Und doch seh’ ich nun in dein Gesicht
Und sag dir:
Vergiss mein nicht.
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Nun, hier ist die Geschichte offiziell beendet.
Ich möchte mich bei all meinen treuen Kommischreibern für ihre liebe Unterstützung bedanken^^ Ihr habt mir echt geholfen und mich immer dazu motiviert, weiterzumachen.
Ich hoff, dass die Geschichte und auch das Ende euch gefällt^^ Immerhin muss ich zugeben, dass besonders dieser Teil nicht unbedingt meine Stärke ist.
Am Ende entschuldige ich mich auch noch mal für die langen Wartezeiten zwischen den Kapiteln. Ihr musstet echt manchmal ziemlich lange warten, bis ich meinen Ar*** zu einem neuen Kap hochbekommen hab^^ Danke für eure Geduld*verbeug*
*euch alle ganz doll knuddel*
_Corchen_