Zum Inhalt der Seite

Das Blut der Lasair

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Schreckliche Neuigkeiten

Schreckliche Neuigkeiten
 


 

Catherine schlenderte nachdenklich die Auffahrt zurück und schloss langsam die Eingangstür hinter sich. Immer wieder drehte sie unter argwöhnischen und erstaunten Blicken den Brief in ihrer Hand von der einen auf die andere Seite. Die Handschrift ihres Großvaters war unverkennbar. Catherines Gedanken kreisten wirr in ihrem Kopf, denn immer noch konnte sie sich keinen Reim darauf machen. Ihr Großvater, der Großvater, der so oft Schottland aufgesucht hatte, war vor Jahren nicht mehr aus Schottland zurückgekehrt. Es war verschwunden. Verschollen. Verstorben. So hieß es von der Bruderschaft. Sollte die Bruderschaft gelogen haben? Sollte er noch leben? Wie in Trance ging sie die Treppe hinauf und in ihr Zimmer, dessen Tür sie nach sich verschloss. Catherine wusste nicht, was sie empfand. Zu viel von allem – so fühlte sie sich. Verwirrung und Neugier, doch trotzdem mahnte etwas in ihr zur Vernunft und Vorsicht. ‚Gib’ dich nicht deinen hoffnungsvollen Gefühlen hin. Es könnte immer noch ein Trick sein!’ mahnte es in ihr. Ein Trick, eine List, die sie nur verwundbar machen würde, nachdem all ihre Hoffnungen zerstört worden waren. Und doch konnte sie sich nicht dagegen wehren: ein Funke von Hoffnung war in ihr entfacht. Hoffnung darauf, dass er doch noch leben konnte. Hoffnung darauf, dass sie nicht alleine war. Vielleicht konnten auch ihre Eltern noch am Leben sein… Nein, das war absurd, das wusste sie, doch ihr Herz wollte es nicht glauben.
 

Catherine blickte zögernd den Brief an und setzte sich auf die Fensterbank. Ihr blieb keine Wahl: sie musste ihn öffnen und damit der Wahrheit ins Gesicht blicken. Der Wahrheit, dass alles beim Alten bleiben würde, denn Tote kehrten nicht zurück. Zumindest nicht die Toten ihrer Familie, denn die waren nun einmal wirklich tot. Mit zitternden Fingern fuhr die über den Briefumschlag und öffnete ihn. Ihr Herz schlug heftig gegen ihren Brustkorb, als sie das weiße Papier, das an seinen Rändern gelbliche Verfärbungen erhalten hatte, aus dem Umschlag zog und zu lesen begann:
 

‚Meine kleine Catherine,
 

ich weiß nicht, wann du diesen Brief erhalten wirst – in welchem Jahr und wie alt du dann sein wirst, doch es wird in dem Augenblick sein, in dem diejenigen, denen ich am meisten vertraue, die Zeit für gekommen halten. Sie haben bisher diesen Brief für mich verwahrt, da ich nur in diesem Brief die Gelegenheit habe, dir etwas sehr, sehr Wichtiges mitzuteilen.

Es gibt Dinge über unsere alte Familie zu wissen, die auch dich etwas angehen. Dinge, die die Societas am liebsten auslöschen würde.

Durch Zufall stieß ich bei einer gewöhnlichen Recherche in unserer Familienchronik auf Ungereimtheiten, weshalb ich der Sache nachging. Ich erspare dir die einzelnen Schritte und Erkenntnisse, doch das Ergebnis war, dass es sich bei unserer Familienchronik in Paris und bei den Chroniken in den Versammlungsräumen der Societas um Fälschungen handelt. Ich schloss daraus, dass zu einer früheren Zeit gewisse historische Geschehnisse aus unserer Familiengeschichte eliminiert werden sollten. Aus Überzeugung setzte ich meine Forschungen fort und stieß durch die Hilfe eines guten Freundes auf eine Chronik, die ich als richtig identifiziert habe. – Heute bereue ich, dass ich diesen Freund nicht in alles eingeweiht habe, denn er könnte dir aus verschiedenen Gründen auch heute noch mit Rat und Tat beiseite stehen. – Ich fand heraus, dass die Familie du Ravin nicht auf eine Schwester des Königs Ludwig XII zurückgehen kann, sondern es beinahe nicht erkennbare Verbindungen zu einer schottischen Adelsfamilie gibt, deren Spuren sich 1618 plötzlich verlieren. Nur ein Jahr später kann ich mit gesicherten Quellen die ersten Verzeichnungen der Familie du Ravin annehmen. 1618 ist allerdings ein Datum, über das uns sehr wenig bekannt ist. Systematisch wurden scheinbar alle wichtigen Ereignisse, die mit dieser schottischen Adelsfamilie zu tun haben, unkenntlich gemacht, weshalb es mir nicht möglich ist, darüber sicher Auskunft zu geben.

Sicher ist nur eines: das Anwesen der Familie muss in Irvine gelegen haben. Ich glaube, auch mit Sicherheit sagen zu können, dass es das Schloss ist, auf dem ich mich nun befinde: Thirlestane Castle...’
 

Catherine stockte und las den Satz wieder und wieder. Ihr Großvater war einst auf Thirlestane Castle gewesen! Noch einmal las sie den Satz durch und folgte dann weiter dem Schreiben ihres Großvaters.
 

‚…Ich glaube, auch mit Sicherheit sagen zu können, dass es das Schloss ist, auf dem ich mich nun befinde: Thirlestane Castle. Leider ist uns kein Name erhalten – nur der Titel ‚Duke of Irvine’ kann uns Aufschluss über das Schloss geben, denn im beginnenden 17. Jahrhundert sollen die Herzöge von Irvine auf Thirlestane Castle residiert haben.

Ich präsentierte nun stolz auf meine Arbeit, meine Ergebnisse dem Hohen Rat und musste feststellen, dass ich einen wunden Punkt getroffen hatte. Erklärt wurde mir nichts, doch meine Ergebnisse wurden verbrannt und mir wurde verboten, je wieder ein Wort über ‚solche Dinge’ zu sprechen. Eine seltsame Reaktion und eine Reaktion, die mich nur noch mehr anstachelte, die Wahrheit, die mir nun umso interessanter schien, zu suchen. Die Societas wollte Punkte unserer Vergangenheit auslöschen. Warum? Diese Frage beschäftigte nur noch meinen Geist. Ich reiste ohne die Billigung des Rates wieder nach Schottland und man bot mir an, auf Thirlestane Castle Quartier zu beziehen. Was konnte es für eine weitere Forschung besseres als Ausgangspunkt geben als dieses Schloss? Ich war mir sicher, dass ich hier früher oder später auf weitere Hinweise stoßen würde, doch dem war nicht so. Noch dazu scheine ich in meinem Alter dem rauen Klima nicht mehr gewachsen zu sein. Vielleicht erinnerst du dich, dass die Ärzte mich am liebsten in ein heißes, trockenes Wüstenklima geschickt hätten, doch vielleicht warst du noch zu jung und hast das nicht bemerkt.

Ich hatte vor, mich hier soweit auszuruhen, dass ich mich wieder auf die Heimreise begeben kann, doch im Moment bin ich dazu zu schwach. Inzwischen glaube ich auch nicht mehr, dass ich dieses Schloss jemals verlassen werde. Vielleicht ist es nicht einmal meine Krankheit, sondern etwas anderes. Um mehr herauszufinden, fehlt mir allerdings die Zeit, doch ich bin mir sicher, dass du dies wissen musstest. Und ich bin mir sicher, dass dies wichtig war und wichtig sein wird. Finde mehr heraus. Das bist du unserer Familie schuldig. Ich kann es nicht mehr tun. Und du bist es dir schuldig.
 

Ich liebe dich.

Dein Großvater Vincent.’
 

Catherine ließ den Brief sinken und ließ ihren Blick über die saubere und regelmäßige Schrift gleiten. Sie erinnerte sich an die Papiere ihres Großvaters und daran, wie sie als Kind immer diese gleichgroßen und ordentlichen Buchstaben bewundert hatte. Weißes Papier schien durchzogen von feinen Strichen und Bögen schwarzer Tinte. Sie nickte bei sich. Von ihm hatte sie Schreiben gelernt. Sie atmete tief durch und faltete enttäuscht den Briefbogen zusammen. Insgeheim hatte sie sich mehr erwartet – mehr erhofft, denn das alles wusste sie bereits. Der Duke of Irvine war ein Vorfahre und die Bruderschaft hatte etwas dagegen, um es ganz knapp zusammenzufassen. Nur eines wusste sie nun mit Sicherheit: der Bruderschaft den Rücken zu kehren, war richtig und nicht die unüberlegte Laune einer jungen Frau, die nichts verstand. Und es war nicht ihr Bruder Lucien, der weise war, sondern derjenige, der auf die Bruderschaft hereingefallen war. Sie hatte es schwarz auf weiß, dass sie richtig gehandelt hatte und das beruhigte ungemein. Catherine drehte das Blatt herum, um es wieder in den Umschlag zu stecken, und entdeckte noch einige Zeilen. Ihre Augenbrauen zogen sich misstrauisch zusammen und ihre Hände falteten den Brief wieder etwas auf, sodass sie die Zeilen lesen konnte.
 

‚Es ist Gift. Gift im Essen, im Trinken. Ich weiß nicht, wo. Wähle deine Freunde mit Bedacht. Vertraue niemandem, Catherine. Niemandem.’



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück