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Das Blut der Lasair

von

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Ein neuer Hinweis

Ein neuer Hinweis
 


 

Catherine starrte auf das Blatt vor sich und schüttelte immer wieder den Kopf.

„Oh, mein Gott.“ murmelte sie und strich sich über die Stirn.

Er war vergiftet worden. Hier. In diesen Mauern, in denen auch sie sich nun befand. In Mauern, von denen man ihr gesagt hatte, sie würden sie schützen. Bei Menschen, denen sie ihr Wohl anvertrauen sollte. Niemand hatte ihr gesagt, dass er hier gewesen war. Niemand hatte es auch nur in einem winzigen Nebensatz erwähnt, dass er bekannt war. Niemand. Ihr Großvater hatte Recht: sie konnte niemandem vertrauen. Catherine war sich sicher, dass zumindest Elizabeth ihn gekannt haben musste. Zumindest sie musste vor einigen Jahren schon hier gewesen sein. Wütend steckte Catherine den Brief zurück in den Umschlag und presste ihn an ihre Brust. Schreckliche Gedanken beschlichen sie: Elizabeth hatte davon gewusst! Elizabeth hatte es veranlasst! Er wurde aus dem Weg geräumt, weil er Fragen gestellt hatte. Und sie hatte ihren Feind vernichtet, indem sie ihn sinnvollerweise in Freundschaft und Vertrauen gefesselt hatte. Ja, wie sonst? Wie sonst konnte man zum sicher vernichtenden Schlag gegen einen Feind ausholen? Man machte ihm zum Freund und er glaubte alles. Er wiegte sich in Sicherheit und hegt nicht den geringsten Verdacht. Diese Lösung war todsicher. Catherine lachte bitter.

„Hexe.“ flüsterte sie tonlos. „Heuchlerin.“

Catherine schloss die Augen und schüttelte einmal mehr den Kopf. Konnte das wirklich sein? War sie es nicht, die sich etwas zusammenreimte, was nicht der Realität entsprach? Es war eine wahnwitzige Idee, diese Idee von einem weitreichenden Komplott gegen ihre Familie – gegen sie selbst. Sie rief sich die letzten Wochen in Erinnerung, in denen Elizabeth mit ihr nach der Wahrheit gesucht hatte, sollte sie das alles nicht nur vorgetäuscht haben. Sie waren nicht sehr weit gekommen, doch auch die Vampire hatten keinen Erfolg gehabt. Doch dann kam ihr die Erinnerung an das Imbolc-Fest und an den bitteren Kräutertrank, der sie in Willenlosigkeit versetzte hatte, in den Sinn und plötzlich schien ihr die Möglichkeit eines Giftes in der Hand von Elizabeth nicht mehr so abwegig. Catherine presste ihre rechte Hand gegen ihre Schläfe und öffnete unruhig die Augen. Lernte sie denn nie dazu? Sie konnte der Bruderschaft nicht trauen, das hatte sie bemerkt. Wieso sollte sie dann einer Vereinigung von Hexen trauen können, die ihr ausgerechnet ein Kardinal der Bruderschaft empfohlen hatte? Salieri. Sie hatte ihm vertraut. Er war ihr Mentor. Er kannte sie. Er hatte sie bis zu einem gewissen Punkt ausgebildet und angeleitet. Sie hatte ihm vertraut… Lucien. Würde er ihr glauben, wenn sie ihm den Brief zeigen konnte? Catherine wusste es nicht. Und noch dazu war es überflüssig, darüber nachzudenken, denn sie hatte keine Ahnung, wo sich ihr Bruder aufhielt.
 

Catherine blickte hinab in den Park und steckte schließlich den Brief klein zusammengefaltet in die hintere Tasche ihrer Jeans. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Übereilt handeln wollte sie nicht. Sie musste vorsichtig sein und ihr Wissen für sich behalten. Es gab nur eine Möglichkeit: sie musste herausfinden, ob es wahr war. Und dazu musste sie weiterhin die unwissende, kleine Catherine spielen, die sie bisher in Elizabeths Augen wohl auch gewesen war. Catherine nickte bei sich. Kurz darauf klopfte es zaghaft an der Tür.

„Ja?“ Catherine wartete ab und wandte sich nicht um. Sie hörte, dass die Klinke gedrückt wurde und erinnerte sich, dass sie abgeschlossen hatte. „Ich komme!“ meinte sie und ging quer durch den Raum. Fast geräuschlos drehte sie den Schlüssel im Schloss um und öffnete die Tür einen Spalt, ehe sie sich wieder abwandte. Catherine hörte, wie die Tür weiter geöffnet wurde.

„Cate, kommst du hinunter zum Essen?“ fragte Lea und behielt ihre Hand an der Türklinke. Sie sah, dass Catherine den Kopf schüttelte und wollte sich wieder zum Gehen wenden, doch sie zögerte. „Wieso hattest du abgeschlossen?“

„Das war... keine wirklich Absicht.“ entgegnete Catherine und ging wieder zum Fenster zurück.

„Du bist also nicht böse oder…“

„Nein, es ist alles in Ordnung.“ unterbrach Catherine sie und versuchte, so glaubhaft wie möglich zu klingen. Sie legte den Kopf zurück und meinte: „Du warst heute Morgen seltsam – nicht ich.“ Lea nickte und biss sich auf die Lippen.

„Catherine, wie stehst du zu uns?“ brach sie schließlich hervor.

„Was meinst du?“ fragte Catherine und drehte sich erstaunt um. Lea erschrak. „Also?“

„Du siehst schlecht aus. Catherine, bist du krank? Du bist kreidebleich! Ich habe dich noch nie so gesehen… Du hast…“ Lea brach ab und ergriff sie bei der Hand. „Du siehst aus, als sei dein Körper blutleer. Hat Lestat etwa…? Nein, das würde er nicht, oder? Du hast ihm doch vertraut, oder nicht?“ Catherine hob ihre Hand und schüttelte den Kopf.

„Es hat nichts mit Lestat zu tun. Es geht mir gut.“ entgegnete sie und schüttelte den Kopf, als Lea immer noch besorgt schaute. „Wie ich zu euch stehe?“ fuhr Catherine fort und bat Lea, die Tür zu schließen, da mehrere Mädchen draußen vorbeigingen.
 

Catherine schwieg eine Weile und wandte sich wieder von Lea ab. Das Schweigen zerrte an Leas Nerven, doch sie wartete. Sie musste es wissen, doch sie konnte warten, bis Catherine sich entschloss zu sprechen.

„Lea, was willst du von mir? Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Ich mache mir nur noch Gedanken über meine Aussage bei der Polizei.“ meinte Catherine und machte eine kleine Pause. „Darf ich dir eine Frage stellen?“ Lea nickte. „Weißt du immer, was deine Mutter und deine Großmutter tun, was sie vorhaben, was sie planen?“ Lea schwieg und schüttelte dann leicht den Kopf.

„Sie haben sich verändert. Beide. Und nicht zum Besseren.“ gab sie leise zu und senkte den Blick. „Ich kenne sie nicht mehr. Vielleicht ist es, weil sie mich nun scheinbar einbeziehen, und ich trotzdem nichts weiß. Sie lassen mich Dinge tun, die ich nicht tun will.“

„Was meinst du damit? Stimmt etwas nicht?“ Lea schüttelte den Kopf.

„Ich kann es dir nicht sagen.“ verwehrte sie und griff wieder nach der Türklinke.

„Lea, warte!“ rief Catherine und Lea hielt in ihrer Bewegung inne. „Vertraust du ihnen? Ich meine, deiner Mutter und deiner Großmutter.“ Lea seufzte.

„Als ich ein kleines Kind war, habe ich meiner Großmutter vertraut, meine Mutter kannte ich allerdings kaum.“ Catherine nickte und vermutete, dass sie nichts weiter darüber sagen würde, doch da hatte sie sich geirrt. „Heute ist das anders. Sie sind nur noch Saerlaith und Elatha für mich. Ich vertraue ihnen nicht blind, Cate. Ich weiß einerseits zu viel über sie, andererseits zu wenig und es gibt Dinge, die mich stutzig machen, aber diese reichen mir noch nicht aus, um mich endgültig zu entscheiden, ob sie vertrauenswürdig oder nicht vertrauenswürdig sind.“

„Sie reichen dir noch nicht aus, ja? Was müsste noch geschehen? Hast du eine Vorstellung davon, was noch geschehen muss, dass du diese Entscheidung triffst und dein Urteil fällst?“

„Ich weiß es nicht. Sie sind meine Familie. Und das bedeutet mir viel, Cate. Ich habe nur das hier. Nur Saerlaith und Elatha.“

„Du hast dich. Und das ist viel wichtiger.“

„Was willst du damit sagen?“ Lea schaute sie an und biss sich auf die Lippen.

„Lea, wir entscheiden uns für uns. Und wir tragen die Verantwortung für unser Handeln allein. Wir sollten nicht etwas tun, nur weil es unsere Familie für richtig ansieht, wenn wir es selbst für falsch halten.“ Lea blickte sie an und schwieg. „Ich klinge wie irgendeine Spinnerin!“ fuhr Catherine fort und winkte ab. Lea schüttelte den Kopf und meinte:

„Ich muss dir etwas sagen…“ Catherine wartete ab und vermied, ihr in die Augen zu starren. Sie sollte sagen, was sie sagen wollte und was sie zu sagen hatte. Trotzdem blickte sie ihr ins Gesicht. „Ich muss… gehen. Du kommst wirklich nicht herunter?“ Lea drehte sich um und verschwand aus der Tür.
 

Catherine blieb allein zurück und blickte ihr nach. Nachdenklich wanderte ihre Hand in ihre Hosentasche und griff nach dem Brief. Sie holte ihn wieder heraus und las ihn noch einmal durch. Wieso hatte er nicht einmal ein Datum geschrieben? Das war doch das Selbstverständlichste der Welt – ein Brief mit Datum. Hatte sie etwas übersehen? Irgendwas? Catherine setzte sich auf ihr Bett und blickte zur Decke hoch. Wenn ihr Großvater geahnt hätte, dass sie einmal auch hier sein würde, hätte er ihr dann nicht einen Hinweis hinterlassen? Sie legte sich nach hinten und hielt den Brief gegen das Licht. Am Kopf des Papiers schien ein Emblem hindurch. Catherine setzte sich wieder auf und betrachtete es genauer. Ein Porträt eines Mannes in einem ovalen und bekrönten Rahmen. Links wurde das Emblem von einem Einhorn flankiert, rechts von einem Löwen. Catherine kannte es. Sie hatte es bei den Bankunterlagen ihres Vaters gesehen: Das Emblem der Royal Bank of Scotland. War ihr Vater überhaupt Kunde dort gewesen? Das konnte Catherine nicht mit Sicherheit sagen, aber sie hatte auch keinen Einblick in die Geschäfte ihres Vaters gehabt. Nur einmal lagen diese Unterlagen auf seinem Schreibtisch und sie hatte sie gesehen. Sie konnte nicht genau sagen, wann es gewesen war, aber es musste kurz nach dem Tod ihres Großvaters gewesen sein. Ihr Vater und ihre Mutter hatten Schwarz getragen. Sie selbst hatte ein schwarzes Kleid angehabt. Und Lucien einen schwarzen Anzug, der für ihn geschneidert worden war. Die Trauerfeier auf dem Anwesen war vorüber, die wenigen Gäste saßen im Salon zusammen und unterhielten sich mit gedämpfter Stimme. Eine Beerdigung hatte es nicht gegeben. Nur eine Trauerfeier für einen vermissten Verstorbenen.
 

Catherine erhob sich und griff nach ihrer Jacke. Sie nahm Handy und Geldbeutel an sich und verließ ihr Zimmer. Mit festen Schritten ging sie die Treppe hinunter und verließ das Schloss. Sie war sich sicher, dass die Royal Bank of Scotland ihr weiterhelfen konnte. Vielleicht gab es dort ein Schließfach oder sonst etwas. Sie musste es zumindest versuchen.



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