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Das Blut der Lasair

von

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Ein Name für 'Madame X'

Ein Name für ‚Madame X’
 


 

David war noch nicht zurück und die anderen waren schnell über das Neuste informiert, sodass sich ihre Wege bald wieder trennten. Armand und Marius hatten sich bereit erklärt, in dieser Nacht noch einmal nach Thirlestane Castle zu gehen und die Augen offen zu halten, wollten aber bis zum Morgengrauen zurück sein. Louis war überhaupt nicht zum Treffen gekommen. Lestat wollte ebenfalls in Paris bleiben, um die Stellung zu halten. Außerdem gefiel ihm die Vorstellung nicht, dass er Catherine allein lassen sollte, wo er ihr vor einigen Stunden erst zugesichert hatte, dass sie sich auf ihn verlassen konnte. Catherine gefiel der Gedanke nicht, dass sie im Moment nicht weiter arbeiteten, doch ließ Armand und Marius gehen. Was hätte sie auch tun sollen, um sie aufzuhalten?

„Wir müssen auf jeden Fall auf David warten. Ohne ihn weiterzumachen, können wir uns sparen. Das ist Zeitverschwendung.“ flüsterte Lestat an Catherines Ohr, als die beiden anderen das Arbeitszimmer verlassen hatten.

„Ich weiß.“ seufzte sie und ließ sich küssen. „Ich mag es nur nicht, wenn ich untätig herumsitze.“ gestand sie weiter und blickte ihn an.

„Willst du noch einmal nach Lea sehen?“ fragte Lestat, hoffte aber, dass sie es nicht wollte.

„Louis ist wahrscheinlich noch bei ihr, sonst wäre er hier wohl aufgetaucht.“

„Louis…“ begann Lestat, doch brach gleich wieder ab.

„Was ist mit ihm?“ fragte Catherine, doch Lestat legte ihr zwei Finger auf die Lippen und schüttelte den Kopf.

„Komm’ mit!“ meinte er und zog sie aus dem Arbeitszimer. „Die Nacht ist lau und ich möchte einfach allein mit dir sein.“

„Ein Spaziergang im Mondschein?“

„Ja, unser letzter Ausflug ist schon etwas zu lange her, meinst du nicht?“ grinste er und beugte sich zu ihr hinunter, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu geben.

Dann legte er ihr den Arm um die Schultern, öffnete die Tür für sie und führte sie nach draußen.
 

Die Nacht war tatsächlich klar und warm, doch der Mond war noch nicht aufgegangen. Catherine lächelte. Ein Spaziergang mit Lestat. Ihre erste Reise nach Crossbost hatte der Sache dienen sollen. An ihre zweite dorthin konnte sie sich nicht gänzlich erinnern. Sie wusste nur, dass sie nicht völlig freiwillig von ihrer Seite aus gewesen war. Ein Spaziergang, der nicht der großen Sache diente, sondern nur ihnen und ihrer Zweisamkeit, war etwas völlig Neues… und Angenehmes. Catherine blickte zu ihm nach oben und bemerkte, dass sie leicht vergessen konnte, was sie seit langer Zeit beschäftigte, wenn sie bei ihm war.

Mehrere Menschen kamen ihnen entgegen, aber sie kümmerten sich nicht um das Paar, das Arm in Arm gemächlich spazieren ging. Sie schlenderten eine Weile die Straßen entlang und schwiegen. Lestat lauschte Catherines Atemzügen und ihrem ruhigen Herzschlag. Ihr Blick glitt über die gegenüberliegende Straßenseite und über die Fassaden der mehrstöckigen Gebäude, die sie schon so lange nicht mehr gesehen hatte.

Wie war es wohl für Lestat, wieder durch die Straßen von Paris zu gehen. Hier in Paris hatte er als Sterblicher versucht, sein Glück zu finden, doch hatte denjenigen getroffen, der ihm dieses Leben aufgezwungen hatte. Catherine ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie froh sein konnte, denn sonst wäre sie ihm niemals begegnet. War sie zu egoistisch? Vielleicht, doch Lestat gab ihr keinen Anlass, ihn zu bedauern. Er bereute scheinbar nicht, dass er hier mit ihr war. Er nahm seine Existenz hin und formte sein Leben, wie er wollte. Zumindest versuchte er es und brach damit wohl immer wieder ungeschriebene Gesetze.

Lestat wusste so viel und kannte diese Welt schon so lange… es fiel ihr schwer zu glauben, dass er noch durch etwas überrascht werden konnte, doch scheinbar war es so. Überraschte und überforderte ihn nicht ihr eigenes Wesen? Catherine schüttelte in Gedanken den Kopf. Auch das konnte sie kaum glauben, denn er musste mit einigen Individuen seiner Art mit starkem Charakter auskommen. Marius, der Lehrmeister und nach außen Besonnene, der ihn in der Vergangenheit schon des Öfteren belehrt hatte. Armand, der ihn provozierte ohne es vielleicht zu wollen. Catherine durchschaute ihr Verhältnis zueinander nicht, doch wie sollte sie auch? Wenn sie daran dachte, wie entsetzt Lestat sie gefragt hatte, ob Armand ihr etwas angetan hatte, schien es ihr nur sicher, dass Lestat Armand nicht vertraute. Hatte er vielleicht allen Grund dafür? David. David liebte Lestat und Lestat liebte David. Und Louis…
 

„Was ist mit Louis?“ brach sie plötzlich das Schweigen und blickte ihn von der Seite an.

„Wie kommst du jetzt auf Louis?“ fragte Lestat ohne einen Vorwurf in der Stimme.

„Ich habe mir Gedanken über euch alle gemacht. Und vorhin wolltest du nicht weitersprechen, als ich ihn erwähnte. Sollte ich etwas wissen?“

„Es ist nichts.“ meinte Lestat und zog sie dichter zu sich.

„Gestern Abend kam er mir so seltsam vor. Vielleicht habe ich mich aber auch getäuscht.“ entgegnete sie, doch glaubte nicht recht daran.

„Catherine, Louis ist eine schwierige Person. Selbst ich verstehe ihn nicht immer – eigentlich verstehe ich ihn recht selten.“ weihte er sie ein und suchte ihren Blick. „Im Moment macht er sich hauptsächlich Vorwürfe, dass er Lea nicht beschützt hat.“

„Er hat doch getan, was er konnte.“ bemerkte sie verständnislos.

„Das brauchst du mir nicht zu sagen. Es ist eben Louis’ Art, sich schnell Vorwürfe zu machen.“

„Ist das alles? Er war so… Ich weiß nicht! Ich kenne ihn kaum, das gebe ich zu, aber es schien mir, als bedrücke ihn etwas von größerem Ausmaß.“

Lestat zuckte die Schultern. Er wollte jetzt nicht über Louis sprechen, aber er wollte auch nicht, dass Catherine sich ausgeschlossen fühlte. Diese Frau machte sein Leben tatsächlich kompliziert!

„Louis hadert wieder einmal mit sich und der Welt – vor allem aber mit uns.“ erklärte er.

„Wie das? Das verstehe ich nicht.“

„In diesem Fall wünschte ich, ich würde es auch überhaupt nicht verstehen.“ gab Lestat zu und strich ihr mit der Hand den Oberarm entlang.

„Erklärst du es mir? Oder möchtest du nicht? Dann ist das natürlich…“

„Louis zweifelt, dass wir uns so von denen unterscheiden, die wir Vampirähnliche nennen. Er meint, dass wir uns etwas vormachen, wenn wir denken, wir hätten einen Platz in der Welt. Seiner Überzeugung nach dürften wir nicht einmal existieren und außerdem schiebt er die Schuld für das, was hier geschieht, auf uns.“

„Das kann doch nicht sein!“

„Doch, er glaubt, Lea sei wegen ihm in Gefahr.“

„Wenn Lea wegen irgendjemand in Gefahr ist, dann bin das ich.“

„Jetzt fängst du auch noch an!“ stöhnte Lestat, blieb stehen und wollte sich von Catherine lösten, doch sie entließ ihn nicht ganz.

„Nein, ich verspreche es dir. Egal wer schuld ist – und ich bin immer noch der Meinung, dass niemand an dieser Situation wirklich Schuld trägt, es ist nicht mehr zu ändern. Es ist, wie es ist. Und wir werden das Beste daraus machen.“ erklärte sie und zog ihn wieder ein Stück näher zu sich.

„Ich verspreche es dir.“ murmelte er rau, als sich ihre Lippen schon berührten.

Warm pressten seine Lippen gegen ihre. Leidenschaftlich verwickelte seine Zunge ihre in ein neckisches Spiel, das Catherine bewies, dass er – wie auch sie – nun doch lieber in einem Zimmer in der Villa wären. Sie konnte sich nicht vorstellen, jemals genug von ihm zu bekommen. Ihre Droge, die ihr die klare Sicht immer wieder nahm. Es war dunkel und neblig vor ihren Augen. Lestat. Lestat war Wirklichkeit. Er war hier bei ihr und… was er mit ihr tat – von ihr aus konnte er nehmen, was er wollte. Ihr Pulsschlag stieg fiebrig an und sie drohte, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Eine Gestalt – sie selbst. Nein, unmöglich. Nur die Frau mit den roten Haaren, die ihr so ähnlich sah… Mehrere Gestalten in Kutten mit Kapuzen im Steinkreis von Crossbost. Fackeln. Rituale. Dunkelheit. Nebel. Sie waren fort. Lestats Körper presste hart gegen ihren. Sie konnte jede Linie seiner muskulösen Brust an sich spüren. Wieder die Frau… Sie hetzte durch einen Wald. Sie wurde verfolgt. Sie musste weg! Catherine fühlte sich plötzlich zwiegespalten. Ein Teil von ihr wusste, dass sie in Lestats Armen war, der andere entfernte sich langsam von ihm. Nein! Catherine klammerte sich an Lestat und konzentierte sich wieder auf ihn. Dann Schmerzen. Betäubende Schmerzen. Männer. Sie schnitten in ihre Haut. Sie verrengten ihre Gelenke. Sie lachten. Sie wollten etwas. Sie brachen ihre Knochen. Todesangst. Sie brachen ihren Willen. Sie erhielten, was sie wollten. Catherine fühlte Lestats Arme stark um sich und ließ sich von ihnen gegen seinen Körper pressen. Das war wirklich real, aber die Frau mit den roten Haaren, die ihr so ähnlich sah… Das rote Haar verlor sich in den Flammen. Catherine bekam keine Luft. Ihr Herz setzte scheinbar aus. Nein, noch nicht. Sie war wieder allein und an einem anderen Ort. Sie war nicht mehr sie. Sie war… plötzlich wieder fort, doch da hatte sie gestanden. Oder doch nicht? Doch. Dort hatte sie gelehnt. Im Nebel und, obwohl Catherine wusste, dass sie sich täuschen konnte, wusste sie - es war nicht so. Dort hatte sie sie schon einmal gesehen. Genau dort… bei den Grabmälern von Thirlestane Castle. Sie erkannte es. Ein keltisches Kreuz mit Knotenmustern und von Efeu überwuchert. Ihre Hände fuhren in Lestats weiche Haare und hielten sich an ihm fest. Sie konnte ihn nicht loslassen. Wenn sie losließ, kam sie niemals in die Wirklichkeit zurück. Diese Wirklichkeit, die sie wegen ihm so liebte! Ihre Kraft ließ nach. Nein! Ihre Hände bewegten sich wieder und schoben das Efeu zur Seite. Eine Inschrift. Eine verwitterte Inschrift aus eingravierten, kantigen Buchstaben und Zahlen, die kaum noch zu lesen waren, doch dort stand es. ‚Margaret Barcley 1587 – 1618’.

„Lestat!“ brach Catherine heraus und schob ihn zurück.

„Was ist?!“ rief Lestat und ergriff ihre Schultern, um sie in einen dunkleren Bereich in einem Hauseingang zu ziehen, um eventuellen Blicken zu entgehen, doch es war niemand auf sie aufmerksam geworden.

Catherine zitterte und atmete flach. Ihr Puls raste immer noch. Während ihres Kusses hatte er ihren heftigen Pulsschlag gehört und gegen seinen gesamten Körper gespürt, doch sie hatte kein Anzeichen gegeben, dass sie das nicht wollte, was er mit ihr tat. Sie hatte ihn an sich gezogen, als zähle nur er… Was war nun mit ihr? Er fühlte, dass ihre Beine unter ihr nachgaben. Hatte er sie durch seine enorme Kraft verletzt?

„Was ist mit dir? Was stimmt nicht?“ fragte er wieder, dieses Mal aber ruhiger und eindringlicher.

Sie antwortete immer noch nicht, sondern schloss die Augen. Ihre Finger gruben sich in seine Unterarme. Ihr Atem verließ stoßweise ihre Lungen und rauschte gepresst über ihre Lippen. Sie war zurück. In Sicherheit. Bei ihm in Sicherheit.

„Vision.“ hauchte sie, als ihr Atem es zuließ, und sank kraftlos gegen ihn.

„Ssht, sprich’ jetzt nicht. Ich bringe dich zurück nach Hause.“ versicherte er und nahm sie in seine Arme.

„Nach Hause.“ murmelte sie und sank dann mit der Stirn gegen seine Schulter.



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