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Das Blut der Lasair

von

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Stärke und Schwäche

Stärke und Schwäche
 


 

Langsam ging Bruyard die Treppen nach oben und betrat leise Catherines Zimmer. Zum dritten Mal sah er inzwischen wieder nach ihr, seit die Vampire die Villa verlassen hatten. Er schaltete die kleine Lampe an und sah, dass Catherine die Augen geöffnet hatte und ihn anblickte.

„Wie geht es dir?“ fragte er und setzte sich auf einen Stuhl neben ihrem Bett.

„Unverändert.“ gab sie zurück und blickte zur Tür, ehe sie fragte: „Sind sie zurück?“

„Nein.“ entgegnete er und schüttelte den Kopf.

„Ich kann nicht sagen, wie viel Zeit vergangen ist, seit Lestat hier war… oder Lea.“

„Erst wenige Stunden, Catherine.“ antwortete er. „Es ist noch dunkel draußen.“

„Ich habe kein Gefühl für die Zeit.“ seufzte sie und schloss die Augen wieder. „Ich habe geschlafen.“

„Ja, das ist sehr gut.“ entgegnete Bruyard.

„Ich weiß, dass Sie mir nicht helfen können.“ meinte Catherine matt und drehte sich leicht auf die Seite, was sie schon sehr anstrengte.

„Catherine, du darfst die Hoffnung nicht aufgeben.“ bat Bruyard, doch Catherine sah ihn mit einem Blick an, der ihm sagte, dass sie nur realistisch war, weshalb er keine weiteren Versuche unternahm, ihr Mut zuzusprechen, sondern in ein langes Schweigen verfiel.

„Ich denke, ich habe schon längere Zeit gespürt, dass das geschehen würde.“

„Weshalb?“ fragte er und Catherine zuckte die Schultern.

„Der Gedanke an meinen Tod war in der letzten Zeit immer präsent – nicht im Bewusstsein, aber unbewusst habe ich dieser Möglichkeit wohl viel Platz eingeräumt… Und nun gibt scheinbar alles einen Sinn… Nun, da ich weiß, dass ich sozusagen ein Halbvampir bin.“

„Was gibt Sinn, Catherine?“

„Ich habe mich verändert. Ich habe bemerkt, dass mein Tag-Nacht-Rhythmus sich sehr verändert, was nicht nur allein daran liegt, dass ich dauerhaft spät schlafen gegangen bin. Helles Licht tat meinen Augen weh. Essen schmeckte nicht und Hunger hatte ich kaum mehr. Meine Sinne waren schärfer und nun noch die… Kräfte, die ich beherrschen kann.“

„Was denkst du, was das zu bedeuten hat?“ fragte Bruyard und blickte Catherine aufmerksam an.

„Ich denke, das vampirische Blut hat langsam die Oberhand über mein menschliches genommen. Der Erbteil scheint stärker zu sein, obwohl sein Ursprung schon so lange Zeit zurückliegt und über so viele Menschen vererbt wurde.“

„Das vampirische Blut…“

„Ich weiß nicht, wie das funktioniert, aber ich denke, dass das vampirische Blut zwar stärker als das menschliche ist, da es das menschliche verdrängt, aber in der Hinsicht schwächer ist, dass es meinen Körper nicht am Leben erhalten kann.“

„Das ist möglich. Das ist sogar sehr gut möglich.“ überlegte Bruyard und ließ seinen Blick über Catherines blasse Haut und ihre bleichen Lippen wandern.

„Sehe ich genauso blutleer aus, wie ich mich fühle?“ fragte Catherine, musste jedoch leicht lächeln, als er immer noch gefangen in seinen wissenschaftlichen Blick und Überlegungen ohne Rücksicht auf sie wahrheitsgemäß nickte.

„Ich hätte viel früher darauf bestehen müssen, dein Blut genauer zu untersuchen. Allein schon deine Selbstheilungskräfte hätten mich alarmieren sollen.“

„Machen Sie sich keine Vorwürfe. Sie konnten nicht wissen, was in mir ist… Und vielleicht ist es gut, dass wir es erst nun erfahren, denn die Bruderschaft hätte sicherlich ein Interesse in diesem Wissen gehabt.“

„Ihr Vater hätte sie schon schützen können.“ gab Bruyard zurück, doch Catherine schüttelte den Kopf.

„Alles, was geschehen ist, ist so viel mächtiger, größer und gewaltiger… als ich es mir jemals vorstellen konnte. Ich denke, dass meine Familie ebenfalls überfordert gewesen wäre….“ meinte Catherine, doch erinnerte sich daran, dass Bruyard die Situation, in der er und sie sich befand, die gesamten Hintergründe und die Geschehnisse der letzten Monate nicht durchblicken konnte, weshalb sie hinzufügte: „Möglich, dass es einen Weg gegeben hätte, aber ich glaube es nicht.“

„Es tut mir leid, dass ich keine Hilfe bin.“ entgegnete der Arzt niedergeschlagen.

„Sie sind hier. Das hilft mir schon.“ beteuerte Catherine und lächelte leicht, ehe sie meinte: „Hoffnung – sagten Sie – sollte ich haben. Hoffnung ist gut. Humor auch… Ist es nicht witzig, dass mein Blut sowohl meine Stärke als auch meine Schwäche ist? Nun, vielleicht nicht komisch-witzig, aber paradox ist es schon, weshalb es auch wieder witzig ist…“

„Catherine, du solltest versuchen, noch etwas zu schlafen und deine Kräfte zu schonen.“

„Ich wüsste nicht wofür, doch sie haben Recht.“ lenkte Catherine ein und schüttelte den Kopf, als sie über ihre Worte nachdachte, die ihr selbst sehr verwirrt erschienen.
 

Plötzlich klopfte es an der Tür und Lea steckte den Kopf zur Tür herein, ehe sie eintrat.

„Wie geht es dir?“ fragte sie und Catherine schüttelte den Kopf.

„Der nächste, der mich das fragt, darf sich die Antwort aussuchen.“ gab Catherine zurück, sagte aber gleich darauf: „Es geht.“

Lea nickte, setzte sich auf die andere Seite des Bettes und blickte zu Bruyard, der daraufhin meinte:

„Ich werde euch allein lassen… Vielleicht kann ich mit den Gedanken, die du gerade hattest, etwas anfangen… Ich versuche es einfach.“

Catherine nickte und blickte ihm nach, wie er das Zimmer verließ.

„Er ist sehr besorgt.“ bemerkte Catherine und blickte wieder zu Lea, die nachdenklich nickte.

„Das sind wir alle.“ meinte sie.

„Ich weiß… Ich denke, ihr müsst euch damit abfinden, dass ich…“

„Nein! Hör auf damit!“ rief Lea und schüttelte den Kopf.

„Lea…“ sagte Catherine sanft und legte ihre Hand auf Leas Unterarm.

„Ich will nicht, dass du stirbst! Du bist die einzige Familie, die ich noch habe. Ohne dich bin ich ganz allein… Ich will nicht allein sein.“ meinte sie und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

„Lea, ich werde so lange bei dir bleiben, wie es möglich ist, aber… Es gibt Dinge, auf die wir keinen Einfluss haben. Und es gibt Dinge, die geschehen müssen.“ sagte Catherine müde.

„Kannst du nicht… Lestat. Ich meine, du musst nicht sterben… Wolltest du nicht bei Lestat bleiben?“

Catherine nickte und lächelte. Ja, das wollte sie, aber sie hatte das Gefühl, noch nicht richtig und genügend darüber nachgedacht zu haben. Sie wollte sich nicht zu früh entscheiden – natürlich auch nicht zu spät, aber…. Nun, da sie sich schon damit abgefunden hatte, dass der Tod nah war, hatte er plötzlich nichts mehr Bedrohliches, Schreckliches und Grauenvolles. War es so schlimm, sich aus dem Leben zu verabschieden? Und traf es sie so unvorbereitet? Nein. Nein war die Antwort auf beide Fragen.

„Lea, ich werde meine Entscheidung treffen, aber ich habe noch Zeit. Das spüre ich. Ich muss darüber nachdenken. Ich muss mir sicher sein, dass ich wirklich sicher bin. Das bin ich Lestat schuldig, denn er wird sich Vorwürfe machen, wenn ich mir nicht sicher war und die Ewigkeit noch vor mir habe.“

„Ich verstehe.“ murmelte Lea und senkte den Blick. „Du solltest auch sicher sein, dass du deine Entscheidung für dich triffst, und nicht für jemanden, der nur nicht will, dass du stirbst.“

„Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich hast du Recht, aber du darfst nicht vergessen, dass ich auch sterben würde, wenn ich mich zum Vampir wandeln lasse. Ich würde weiterhin existieren, doch ich wäre tot.“

„Ja, darüber sehe ich vielleicht zu leicht hinweg.“

„Ich denke, ich habe das am Anfang auch nicht so gesehen.“ murmelte Catherine und fühlte, wie die Müdigkeit die wieder in die Arme nahm.

„Hast du etwas dagegen, wenn ich hier bleibe. Ich möchte bleiben, wenn du schläfst.“

„Sicher. Bleib’ ruhig hier. Das ist schön.“ flüsterte Catherine und schloss die Augen.

Sie hörte, wie Lea es sich auf ihrem Stuhl bequem machte, und fühlte, dass sie ihre strümpfigen Füße zu ihr auf das Bett streckte.

„Sagst du Lestat bitte, dass er… mich wecken soll, wenn er da ist?“ bat Catherine leise.

„Ja, das mache ich.“ versprach Lea.

Catherine nickte leicht und war innerhalb von wenigen Augenblicken eingeschlafen.
 

Lestat blickte sich wütend um. Feuer und Rauch. Catherine. Obwohl er seine Wut ausgelebt hatte, brannte sie noch fürchterlich in ihm. Schwer atmend und blind vor Zorn stand er wie gelähmt im Chaos, das er selbst angerichtet hatte. Catherine.

Danieles Leiche, die in ihrem lebendigen Zustand kein Wort mehr gesagt hatte, wie es doch möglich war, Catherine zu retten. Es war nicht möglich. Es war nie möglich gewesen. Ihre Existenz nährte die gedankenlosen Vampire. Ihr Blut. Ihre Seele… Ihr Leben. Lestat wusste es… und hasste sich dafür.

Er hasste sich dafür, dass er Catherine nicht zu schützen vermocht hatte. Er hasste sich dafür, dass er Catherine die Wahl in Aussicht gestellt hatte, die sie nun nicht mehr hatte. Ihr Tod… Lestat schüttelte den Kopf. Er hasste sich einfach und die Wut kehrte stärker zurück, sodass sie ihn beinahe erneut rasend werden ließ.

Diese Schmerzen und diese Verzweiflung, die er nun fühlte, kamen aus dem Verständnis, dass man den anderen nicht retten konnte… dass er sterben würde. Hilflosigkeit. Ein Gefühl, das Lestat lange Zeit nicht gekannt hatte und keinesfalls schätzte. Lestat schloss die Augen und wusste, dass er seine Unsterblichkeit, seine Existenz für Catherines Leben geben würde, wenn das möglich wäre.

Bevor die Flammen im Labor ihn noch weiter in Gefahr brachten, folgte er den anderen, die die Laborräume auf seinen Wunsch schon lange zuvor verlassen hatten. Sie waren schon mit allen Unterlagen und Datenträgern, die wichtig sein konnten, nach Paris unterwegs. Er würde ihnen folgen und sich auch einholen, hatte er gesagt, und sie hatten sich schnell einverstanden erklärt, obwohl sie wussten, dass er morden würde, seine Wut ausleben würde, zerstören und vernichten würde.

Lestat war ihnen dankbar dafür, doch gleichzeitig wusste es, dass es nur einen Ort gab, an dem er jetzt sein sollte. Catherine. Er stürmte die unterirdischen Gänge entlang und drang in der Gewissheit ins Freie hinaus, dass keiner der Drahtzieher in weißen Kitteln mehr am Leben war und das Labor in Schutt und Asche irgendwo unter der Stadt Rom sein Ende gefunden hatte.



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