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A Dreamless Carroll

von

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Friendship - All you wanted

”Hi! Wie geht es dir?”, ertönte es aus dem Hörer, den Regina mit Mühe aus ihrer Manteltasche gefischt hatte. Die Stimme ihrer besten Freundin Felicitas klang fröhlich, aber das konnte täuschen, ganz im Gegenteil, je glücklicher sie klang, desto schlechter ging es ihr. Doch sie wartete ab und antwortete unbekümmert:

„Ganz gut, die Schule war ziemlich langweilig, aber ab morgen sind ja Ferien! Und dir?“

„Ich hab es vermasselt.“, erwiderte Felicitas tonlos.
 

‚Scheiße. Scheiße, Scheiße, Scheiße!’, schoss es Regina durch den Kopf und ihr wäre vor Schreck beinahe das Telefon aus den steifen Fingern gefallen. Sie hatte es vermasselt. Sie. Hatte. Es. Vermasselt. Sie war durch die wichtigste Prüfung ihres Lebens gefallen. Die Prüfung, die über ihre weitere Zukunft entscheiden sollte. Einfach so. Ohne Wenn und Aber. Ohne alles den Boden unter den Füßen verlieren. Nicht wissen, wie es weitergeht. Mit dieser Prüfung hätten ihre alle Türen offen gestanden, jetzt musste sie durchs Fenster springen ohne zu wissen, wie hoch das Gebäude war. Regina konnte es nicht glauben. Das durfte nicht wahr sein!
 

„Bist du dir sicher? Hast du alle Punkte nachgezählt? Vielleicht hat sich ja der Prüfer geirrt!“, fragte sie verzweifelt nach.

„Bei Abschlussprüfungen kann man keine Punkte nachzählen, das weißt du doch.“, antwortete ihre Freundin resigniert, „Man bekommt nur einen großen Zettel, auf dem draufsteht, dass man es nicht geschafft hat.“

„Aber, aber dann verlang doch, dass du noch mal drübergucken kannst, du hast ein Recht darauf!“, rief Regina verzweifelt. Die konnten ihrer besten Freundin doch nicht einfach die Zukunft ruinieren!

„Nein.“, erwiderte Felicitas.
 

Nein. Natürlich nein. Das wusste Regina genau. Über diese Prüfungen guckten drei unabhängige Lehrer drüber, das Ergebnis war somit sicherer als sicher und konnte nur in begründeten Fällen angezweifelt werden. Dazu zählten Verdacht auf Bestechung, Formfehler oder irgendetwas anderes. Nicht bestehen gehörte nicht dazu. In diesem Moment hasste sie es, die Klügere zu sein. Felicitas hatte alles, was sie nicht hatte: sie war schön, sie war beliebt, sie hatte einen Freund, tolle Eltern und viel Geld. Sie war auch ziemlich clever, aber das letzte Fünkchen fehlte ihr. Daher war es Regina anfangs auch komisch vorgekommen, dass sie sich überhaupt angefreundet hatten. Was wollte so eine perfekte Frau von ihr, einem Mauerblümchen, einer Außenseiterin, die außer ihrer Intelligenz nichts anziehendes hatte? Sie vermutete eine Wette mit ihren Freundinnen, ob sie es schaffte, eine graue Maus in einen Vamp zu verwandeln. Oder sie wollte ihr Wissen ausnutzen, um sich noch mehr Vorteile zu verschaffen. Vielleicht wollte sie sich einfach lustig über sie machen. Aber dem war nicht so. Seit Felicitas sie eines Tages im Speisesaal angesprochen hatte, weil sie Hilfe bei den Mathehausaufgaben brauchte, war ihre Verbindung immer tiefer geworden, sie wurde sogar von ihren Möchtegern-Freundinnen immer komisch angeguckt, weil sie jetzt mit ihr ‚abhing’. Felicitas war nicht von ihrem himmlischen Thron heruntergestürzt, aber jeder fragte sich, was das tollste Mädchen der Schule von dem Bücherwurm wollte. Regina wusste es nicht. Aber Felicitas tat ihr gut. Für sie war alles immer so einfach, wenn sie ein Problem hatte, löste sie es. Während Regina wochenlang über einer Entscheidung grübelte, sagte Felicitas einfach ‚Wir machen das!’ und es wurde gemacht. Sie machte sich keine Gedanken über Fehler, sie übersah sie einfach. Gerade wenn Regina mit ihrer Ehrlichkeit alles überfuhr, was ihr im Weg stand, lächelte sie Felicitas einfach an. Jede andere wäre beleidigt, verletzt gewesen, wenn sie Bedenken wegen ihrem neuen Freund, einem Kleid geäußert oder einfach widersprochen hätte. Aber sie tat es nicht. Regina schätzte das an ihr, es beruhigte sie auch irgendwie. Felicitas war perfekt.
 

Umso mehr bedrückte sie nun die Hilflosigkeit ihrer besten Freundin. Damit hatten sie beide nicht gerechnet. Sie hätten vielleicht damit rechnen müssen, schon seit Wochen ging es mit Felicitas’ schulischen Leistungen bergab, aber sie dachten, sie schafften das. Beide. Felicitas glaubte an sich und Regina glaubte an sie. Sie hätte es besser wissen müssen. Regina wusste alles. Regina wusste, dass sie mit dem Gedanken spielte, Schriftstellerin zu werden und deswegen viel Stress mit ihrem Freund und ihren Eltern hatte. Und sie hatte sie darin bestärkt. Wie dumm war sie eigentlich? Sie als ihre beste Freundin hätte sie davon abbringen sollen, es wäre ihre Pflicht gewesen, ihre Zukunft zu retten und nicht zu ruinieren! Aber sie hatte es nicht lassen können! Warum hatte sie ihr nur immer wieder gesagt, dass sie schreiben sollte, wenn es ihr gefiele? Warum hatte sie enthusiastisch nachgefragt, wie weit sie mit ihrer Geschichte sei? Warum hatte sie ihr nicht vorgerechnet, dass die Schriftstellerei eine brotlose Kunst war? Warum hatte sie ihr keinen Lernplan erstellt? Warum musste sie gegen sie sein? Wollte sie sie zerstören? War sie in Wirklichkeit nur neidisch auf sie und wollte sie deswegen vernichten? War sie wirklich so gemein?
 

„Regina, bist du noch dran?“, die Stimme ihres Opfers riss sie aus ihren Gedanken.

„Ja … Wollen wir bei einer Tassen Kaffee darüberquatzschen?“, fragte sie. Ihre Hand tat weh, sie war bei der Kälte einfach eingefroren.

„Gerne. In einer Stunde im ‚Bongos’?“, Felicitas klang wieder fröhlich.

„Klar.“, sagte Regina. In einer Stunde.

„Also, bis dann!“, sie schien sich wirklich zu freuen und wollte schon auflegen, als Regina sie aufhielt:
 

„Es tut mir leid!“
 

„Muss es nicht. Tschau!“, antwortete Felicitas knapp. Wahrscheinlich meinte sie es auch so. Was Reginas Schuldgefühle nur verstärkte.
 

Eine Stunde. Sie hatte eine Stunde um ihre Gedanken zu ordnen. Eine Stunde um sich auf das Unvorbereitete vorzubereiten. Regina fühlte sich wie auf dem Weg zur Hinrichtung. Natürlich, Felicitas würde sie nicht dafür verantwortlich machen. Ganz im Gegenteil, sie würde ihr dankbar sein, dass sie sie immer unterstützt hatte. Sie hatte sie unterstützt. Sie hatte versucht, ihre Freundin in dem zu bestärken, was dieser am wichtigsten war. Wollte sie am Ende nur ihrer Meinung sein? Hatte sie Angst zurück gewiesen zu werden, als Spießerin zu gelten, die genau das sagte, was alle anderen sagten? War sie sich selbst untreu geworden?
 

Aber das war egoistisch! Felicitas würde sich keine Gedanken um sie machen, auch nicht um sich selbst, sondern überlegen, wie es weitergehen würde! Realistisch betrachtet gab es nicht viele Optionen: ihr Medizinstudium konnte sie vergessen, mit dem Mittelschulabschluss ließ sich zwar einiges anfangen, aber nichts, was den Ansprüchen ihrer Eltern genügen würde. Sie hatte sie selbst erlebt, als sie einmal bei Felicitas zuhause gewesen war: das Haus war staubkornfrei, überall wuselte eine Putzfrau herum, das Besteck lag geometrisch exakt auf dem Tisch und ihre Eltern redeten in einem Stil, den ihre Deutschlehrerin für falsch halten würde, so überholt war er. Dass Felicitas wöchentlich Bericht über ihre Noten und Ausgaben erstatten musste, war eine Selbstverständlichkeit. Nur, dass ihre Eltern sie überwachten, hätte sie nie für möglich gehalten, bis ihr ihr Vater eines Tages die Notizen für ihr erstes Buch vor die Nase gehalten hatte. Nach der darauf folgenden Diskussion hatte er Felicitas’ Kreditkarte gesperrt, sodass sie ihn um jede Kleinigkeit bitten musste, selbst das Geld für das Mittagessen musste sie erbetteln. Ihre Mutter war zwar liberaler, aber natürlich wollte auch sie, dass etwas aus ihrer Tochter wurde. Der Plan einer Schriftsteller-Schule war somit hinfällig. Wenn sie Glück hatte, könnte sie ihren Vater bitten, die Prüfung wiederholen zu dürfen, aber dann würde er sie vermutlich noch mehr überwachen und Regina wusste nicht, ob sie das aushalten würde. Auch ihre Freunde würden sie verlassen, ihr Freund würde sich eine bessere suchen, die Situation war aussichtslos.
 

Und inmitten dieser Ausweglosigkeit wäre sie als Freundin wichtig. Sie, die nichts konnte. Sie, die Felicitas ferner war als ihre Eltern. Sie, die nichts von dem hatte, was Felicitas besaß. Jedes Wort, jeder Rat könnte das Falsche bedeuten, konnte sie noch tiefer in den Abgrund reißen. Was wusste Regina schon von Felicitas’ Leben? Sie war soviel anders als sie. Ihre Eltern waren arbeitslos, sie hatten nie viel Geld gehabt und mussten noch dazu ein Kind durchbringen. Manche Leute ziehen das Glück magisch an, Regina gehörte nicht dazu. Sie besaß keine tollen Klamotten, sondern nur eine kostenlose Bibliothekskarte, ihre besten Freunde waren Krisabella White und Richard Fallen, die Meisterdetektive, die jeden übernatürlichen Fall mit viel Wissen lösten, und sie las lieber als auf Parties zu gehen. Überhaupt konnte sie nicht mit Menschen reden, sobald jemand auch nur in ihre Nähe kam, wurde sie unruhig. Und was in diesem Moment das schlimmste war: Regina wusste alles, hatte die Prüfungen mit Bravur bestanden und sah einem Jura-Studium entgegen.
 

Es war zum verzweifeln! Es war so zum Verzweifeln! Felicitas gab ihr soviel und jetzt, wo es darauf ankam, ihr etwas zurück zu geben, konnte sie es nicht! Das Leben war so ungerecht, so beschissen, so gemein! Alles war gemein, alles war fies, alles war weiß!
 

Die Tränen kullerten über ihre Wangen und fielen als gefrorenen Kugeln zu Boden. Es war kalt. Unheimlich kalt. Der Schnee türmte sich überall und der Wind pustete ihr die Kälte ins Gesicht. Nur wenige Menschen waren auf den Straßen, vermummt wie Verbrecher. Und sie war einer von ihnen. Sie starrte gerade in den Himmel und fragte sich, ob die dunklen Wolken irgendwann verschwinden würden, als sie mit jemandem zusammenstieß.

„Oh, sorry, tut mir leid!“, eine männliche Stimme drang von weit her zu ihr, doch sie hörte es nicht. Stattdessen hörte sie Musik:
 

Ich wollte so sein wie du

Ich wollte alles haben

Also versuchte ich genau wie du zu sein

Und ich habe mich dabei verloren
 

Ich wusste nicht, dass es so kalt war und

Du jemanden brauchtest,

der dir einen Ausweg zeigt

Also nahm ich deine Hand und wir überlegten uns,

dass ich dich mitnehme,

wenn die Flut kommt.
 

Wenn du möchtest,

kann ich dich retten,

ich kann dich von hier wegbringen

Du bist so einsam im Inneren,

und äußerlich so geschäftig.

Und alles, was du wolltest,

war jemand, der sich um dich kümmert.
 

Ich sinke langsam,

bitte, halt mich,

deine Hand ist die einzige, an die ich mich klammern kann

Bitte sag mir,

damit ich es sehen kann,

wohin du gehst, wenn du verloren bist.
 

Wenn du möchtest,

kann ich dich retten,

ich kann dich von hier wegbringen

Du bist so einsam im Inneren,

und äußerlich so geschäftig.

Und alles, was du wolltest,

war jemand, der sich um dich kümmert.
 

Alles, was du wolltest, war jemand, der sich um dich kümmert

Wenn du mich brauchst, dann bin ich für dich da!
 

Wenn du möchtest,

kann ich dich retten,

ich kann dich von hier wegbringen

Du bist so einsam im Inneren,

und äußerlich so geschäftig.

Und alles, was du wolltest,

war jemand, der sich um dich kümmert.
 

Bitte, kannst du mir sagen,

damit ich es endlich sehen kann,

wohin du gehst, wenn du verloren bist.


 

Sie hatte Recht. Wer auch immer das war, er hatte recht. So einfach war das. Sie brauchte sie. Sie brauchte sie wirklich. Sie brauchte jemanden, der ihr half. Und das war sie. Egal, wie sie sie retten würde, Felicitas würde sich vielleicht selbst retten, aber sie brauchte jemanden, der ihr einen Rettungsring hinhielt! Sie hielt ihn in der Hand, sie durfte ihn nicht wegschmeißen oder die Luft rauslassen, nur weil sie meinte, ihn nicht verdient zu haben. Sie hatte Felicitas verdient. Sie war es wert mit ihr befreundet zu sein! Weil sie sie verstand und ihr ehrlich ihre Meinung sagte. Das war das wichtigste! Felicitas hatte sie nicht umsonst als Freundin auserwählt!
 

„Wer ist das?“, fragte sie den jungen Mann gedankenverloren.

„Michelle Branch, irgendsoein Girlie aus den Nineties. Schon ziemlich oldschool, aber verdammt heiß. Soll ich dir den Track mailen?“, antwortete der Junge.

Regina rückte ihre Brille zurecht und sah ihn an. Er sah aus wie einer der Hiphopper aus ihrer Schule und hatte blaue Augen. Für einen Moment war sie mal nicht bei Felicitas oder sich, sondern bei diesem recht ansehnlichen Mann.

„Nein, danke.“, erwiderte sie verwirrt.

„Wirklich? Als du die Musik gehört hast, sahst du irgendwie cleaner aus.“, sein heißer Atem beschlug ihre Brille.

„Nein, tut mir leid ich muss … los…!“, stotterte sie und wollte weitergehen, als er sie sanft am Ärmel packte und ihr einen Zettel in die Hand drückte.

„Hier, meine Mail, falls du es dir anders überlegst – ist echt hamma, das Teil!“

„Danke!“, sagte Regina und verstaute den Zettel in ihrer Manteltasche.
 

Dann lief sie locker durch den Schnee, sie hatte das Gefühl, als wäre eine große Last von ihr gefallen. Sie lief nicht zu ihrer Hinrichtung, sondern zu einer Trost-Session. Ihre beste Freundin brauchte sie jetzt!



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