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Sein Leben

von

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Sein Gefühl

Es war knapp ein Jahr her, seit der letzte Cup gewonnen worden war.

Schon zum zweiten Mal. Wer hätte das gedacht?
 

Er war vielleicht davon überzeugt gewesen, dass sie eine gute Mannschaft waren, doch so weit zu kommen, hatte er eher nicht erwartet.

Schon gar nicht nach seiner so genannten „Netherball-Affäre“.
 

Er hatte nicht darüber nachdenken wollen, reden schon gar nicht.

Weder mit der Presse noch mit seinen Eltern.

Das einzige richtige Gespräch, das er geführt hatte, war zugleich das womöglich intensivste seines Lebens gewesen.

Unangenehm.

Aber unheimlich befreiend.

Es stimmte, dass man sich nicht zu sehr verschließen sollte. Und nach solch einer traumatisierenden Erfahrung war es umso wichtiger, einen Menschen zu haben, mit dem man über alles reden konnte.
 

Und dieses Mädchen hatte er.

Nein, diese Frau.

Dieses Mädchen?
 

Es war egal, als was er die kleine Blondine bezeichnete, die er vom Schreibtisch aus beim Schlafen beobachtete.

Laut der Wanduhr war es fast 4 Uhr morgens.

Er hätte eigentlich, dicht an den dort liegenden Körper angekuschelt, schlafen sollen, doch es funktionierte nicht.

Mal waren es Alpträume, mal war es die pure Unmöglichkeit, die ihn davon abhielt, die gewünschte Ruhe zu finden.
 

Er weigerte sich, es als Schlafstörung anzuerkennen, vor allem, da es nicht jede Nacht so war. Und mittlerweile hatte er sich fast schon daran gewöhnt, zu einer unmenschlichen Zeit wach zu sein und zu beobachten, wie sie sich im Schlaf drehte, seinen Namen murmelte und unsinniges Zeug vor sich hin brabbelte.

Nichts hätte ihn selbst friedlicher stimmen können.
 

Meistens dauerte es ungefähr eine Stunde, bevor schließlich auch ihn der Schlaf übermannte, doch diesmal war es anders.

Schon seit über zwei Stunden saß er quasi regungslos auf seinem Schreibtischstuhl, mit einem Glas Wasser in der Hand und fixiert auf das engelsgleiche Wesen in seinem Bett.

Er versuchte, so leise wie möglich, das Glas wieder auf dem Schreibtisch abzustellen, stand dann auf und bewegte sich ebenso leise aufs Bett zu.

Die seidene, blaue Bettwäsche passte so verdammt gut zu ihr...

Die Vorhänge waren nur halb zugezogen und der Mond rückte das Szenario in ein besonders schönes Licht.
 

Das Risiko, sie zu wecken, während er sich neben sie legte, war nicht unerheblich, doch er musste es eingehen. Ganz langsam hob er die Bettdecke an und schlüpfte so still es ging darunter.

Sie schlief weiter.

Das erste Hindernis war überwunden.
 

Nun könnte er sich, wie geplant, wegdrehen, um sicher zu gehen, dass sie nicht aufwachen würde.

Er tat es nicht.

Die Versuchung war einfach zu groß, die Arme um sie zu schlingen, sich an sie zu schmiegen und den wohligen Duft ihrer Haare einzuatmen.

Er konnte nicht widerstehen.
 

„Rocket?“

Kaum mehr als ein leises Flüstern war zu vernehmen.

Sie versuchte, sich ein Stück zu drehen, doch er stupste sie sanft zurück.

„Schlaf weiter“, forderte er sie auf, während er die Augen schloss.

„Was hast du so lange gemacht?“

Tias momentane Stimme klang ihrer eigentlichen Stimme nicht wirklich ähnlich. Sie war brüchig und man konnte die Müdigkeit förmlich sehen.

„Nichts, schon okay.“ Er hauchte einen Kuss auf ihren Kopf.

„Na dann...“

Sekunden später war sie schon wieder ins Land der Träume verschwunden.

Er hingegen versuchte mit allen Mitteln, ihr zu folgen.
 

Sein erster Versuch war das Schäfchenzählen, er merkte jedoch schnell, wie albern das eigentlich war. Danach gab er den einzelnen Haaren seiner Freundin einen Namen bis er bei seltsamen Fantasiegebilden wie „Kreppo, das fünfte“ oder „Hula Walla“ landete.

Als nächstes waren Quadratzahlen dran. Doch nachdem er Kopfschmerzen hatte und feststellen musste, dass wahrscheinlich nicht eine davon richtig war, gab er auch das auf.

Danach rief er sich jedes einzelne Fußballspiel in Erinnerung, bei dem er je auf dem Platz gestanden hatte (Netherball wurde natürlich verdrängt).

Und mit dem Gedanken an das letzte Elfmeterschießen, als er die Ehre gehabte hatte, das letzte Tor zu erzielen und damit den Snow Kids ihren zweiten Pokalsieg zu sichern, schlief er dann doch ein.
 

Uz uz uz...
 

Er hatte es in fünf Jahren nicht geschafft, seinen Weckton zu verändern.

„Kannst du ihn bitte ausstellen?“, murmelte er verschlafen.

Der Techno-Sound wurde immer lauter. Grausam.

„Bitte, Tia...“

Er öffnete die Augen, um zu sehen, wieso sich neben ihm niemand bewegte.

Alles, was er sah, war die weiße Wand, die ihm inzwischen selbst nicht mehr gefiel.

„Tia?“

Er streckte sich, um endlich den verfluchten Ton auszuschalten.

Halb neun... Eigentlich zu früh, um aufzustehen. Aber was sollte man allein im Bett liegen bleiben?

Behäbig stand Rocket schließlich auf, verzichtete auf die ordnungsgemäße Herrichtung der Bettwäsche und öffnete die Zimmertür.
 

„Tia?!“ Er wartete kurz.

„Warte einen Moment!“

Es war so schön, morgens ihre Stimme zu hören...

Für Rocket war jeder Tag schon verloren, der nicht neben ihr begann und aufhörte, der nicht mit „Guten Morgen, mein Schatz“ anfing und mit „Gute Nacht, Liebling“ endete.
 

Rocket wollte nicht warten. Es war so etwas wie eine Beleidigung, dass sie ihn hatte schlafen lassen. Anstatt durch einen langen, sanften Kuss wurde er durch diesen schrecklichen Beat geweckt.

„Was machst du denn da?“

„Wirst du gleich sehen!“

Sie klang so wach und gar nicht mehr wie in der vergangenen Nacht.
 

Er kam sich dumm vor, wie er zwischen Tür und Angel stand und die Treppe hoch sah.

Ihm fiel ein, wie selten er in den letzten paar Jahren selbst hier gewesen war. Seine zweite Heimat war mittlerweile der Obia Mond geworden. Tias Heimatplanet.

Das Haus ihrer Eltern war riesig. Zumindest im Vergleich zu dem Haus hier.

Aber wahrscheinlich würde es auch gar nicht mehr lange dauern bis sie ihre eigene kleine Wohnung haben würden.

Es war interessant, Tia zu beobachten, während sie in den Zeitungen die Immobilienabteilung durchforstete. Obwohl Rocket wohl auch sein restliches Leben in seinem Kellerzimmer verbringen würde, war er insgeheim froh darüber, dass sie sich um ein unabhängigeres Dasein voller Zweisamkeit bemühte.
 

„Du kannst herkommen.“

Die plötzliche Erlösung riss ihn aus seinen Gedanken.

Langsam stieg er die Treppen hoch.

Er bewegte sich in die Küche und musste lächeln.
 

Als Tia ihn kommen hörte, drehte sie sich um.

„Hey...“, lächelte sie ihm ebenfalls entgegen.

Sie hatte sich noch nicht umgezogen, trug ihren Lieblingsschlafanzug, wenn man es so nennen konnte. Das gelbe Top hätte vielleicht ganz nett ausgesehen, wenn es nicht durch einen übergroßen Häschenkopf mit großen, leeren Augenhöhlen verunstaltet wäre.
 

Seiner Meinung nach sähe es besser aus, wenn sie etwas motivloses –oder am besten gar nichts– anhatte. Aber das konnte er ihr wohl schlecht deutlich machen ohne sich böse Blicke einzufangen.

Auch mit den weiten, schwarzen Shorts musste er lernen, sich abzufinden. Sie gehörten ihm, besser gesagt, hatten ihm gehört bis Tia festgestellt hatte, dass sie so wunderbar zu Bunnys leeren Augenhöhlen passten.
 

Ihre weißblonden Haare standen in alle Richtungen, doch trotz allem war sie so...

Rocket fiel kein Wort dafür ein. Er bewegte sich die restlichen Schritte zu ihr und umarmte sie innig.

Währenddessen deutete sie nebenbei auf den Frühstückstisch.

„Gefällt es dir?“, fragte sie leise.

„Mmmh“, murmelte Rocket ohne hinzusehen.
 

Sie verharrten ein paar Minuten in dieser Position, bevor Tia ihn eindringlich anschaute.

„Du weißt, welcher Tag heute ist?“

Rocket konnte sich nicht von ihren Augen, die ihm so erwartungsvoll entgegen blickten, lösen. „Ein wunderschöner Sommertag...?“

Tia stieß ihn an. „Rocket...“

„Ich meine, mich zu erinnern...“, Rocket starrte die Decke an, bevor er sich wieder Tia zuwandte, „...wir haben uns nicht zufällig vor ein paar Jahren zum ersten Mal gesehen?“

„Hm...“, erwiderte Tia, „das kommt eigentlich hin. Zufällig habe ich dir heute auch ein wunderbares Frühstück gezaubert.“

Rocket lächelte. „Danke. Sollen wir uns jetzt gegenseitig gratulieren?“

„Ich glaube, das können wir ohne weiteres überspringen“, antwortete Tia nach kurzem Überlegen. Sie lehnte sich wieder an ihn. „Küsst du mich?“

Rocket konnte sich ein kurzes Lachen nicht verkneifen. „Wie bitte?“

„Du hast das verstanden“, murmelte Tia in sein Shirt hinein.
 

Er sah sich um. Keine Spur von Norata und Kira, obwohl die beiden normalerweise die ersten waren, die morgens durch die Wohnung wuselten.

„Sie sind übers Wochenende weggefahren.“

Als könnte sie seine Gedanken lesen...

„Hast du das wirklich nicht mitbekommen?“

„Nein“, antwortete Rocket ehrlich, immer noch verwundert, „Ich habe mittlerweile das Gefühl, dass sie lieber mit dir als mit mir reden.“

Tia löste sich leicht von ihm. „Du weißt, dass das nicht stimmt. Aber darüber müssen wir jetzt nicht reden. Immerhin schuldest du mir eine Antwort.“

Die hohen Erwartungen waren zurück in ihre Augen gekehrt.

Sie funkelten ihn an und Rocket konnte beobachten, wie sie mit jedem handlungslosen Moment ungeduldiger aussahen.

„Du willst nicht, dass das Frühstück kalt wird, oder?“, fragte er provokant.

„Es ist kalt“, erwiderte Tia scharf.

„Dann soll es halt nicht warm werden“, grinste Rocket und drehte sich von ihr weg.
 

Er wollte sie reizen. Einfach mal schauen, wie lange sie dieses Spiel mitspielen würde.

Ihm war klar, dass sie bemüht war, ihre Fassung wiederzugewinnen. Auch ohne Augen im Hinterkopf. Eigentlich war es zu früh für solche Spielchen. Und sie entsprachen grundsätzlich nicht seinem Naturell. Aber wieso sollte er nicht ab und zu ein wenig unberechenbar sein?
 

„Du bist wirklich kein guter Verführer.“

„Wie bitte?!“ Rocket drehte sich schneller um als Tia sich Cornflakes in ihre Schale füllen konnte. „Was soll das denn heißen? Ich...nein!“

Er sah sie leicht entsetzt an.

Okay, das hatte nicht funktioniert.
 

Tia schüttelte augenverdrehend den Kopf.

„Du bist leicht manipulierbar“, stellte sie fest, „und du lässt dich von solchen Bemerkungen sofort aus der Bahn werfen. Vielleicht solltest du konsequenter sein.“

Als er Tias ehrliches Lächeln erblickte, verzichtete er auf weitere Proteste.

„Guten Morgen übrigens, Schatz.“

Rocket ließ sich auf den Stuhl neben ihr sinken und legte automatisch einen Arm um sie.

„Das ist dir wirklich gut gelungen.“ Er bestaunte den unheimlich fröhlich und bunt dekorierten Frühstückstisch.

Es war perfekt. Genauso wie sie es war. Doch der Tag würde noch sehr viel perfekter werden.

Womöglich. Hoffentlich...

„Danke. Ich hab mir auch wirklich Mühe gegeben. Obwohl ich nicht Kira bin...“, schmunzelte sie.

„Ich hoffe, das bleibt auch so“, erwiderte Rocket lächelnd.

„Bestimmt.“

„Sag mal, Tia“, setzte er an, während er nach den Brötchen langte, „Hast du nachher schon was vor? Heute Abend meine ich.“

„Nein.“ Wieso konnte sie sich nur so gut so naiv stellen und auch noch so klingen?

„Was hältst du davon, keine Ahnung, in irgendein Restaurant zu gehen, oder so?“

„Keine Ahnung? Oder so?“ Sie seufzte leise. „Wie wäre es mal mit einer klaren Ansage, Rocket? Natürlich können wir essen gehen. Sehr gern sogar. Im Planet?“

„Eigentlich hatte ich dafür etwas anderes vorgesehen. Du weißt schon, etwas stilvolleres.“

„Mir gefällt das Planet.“

„Ja, aber doch nicht immer.“ Er wurde nervös. Sie machte ihn nervös.

Und das um neun Uhr morgens. Nicht seine Zeit.
 

Ihm war klar, dass sie immer noch frustriert war. Wenn auch nur leicht. Nicht das zu bekommen, was sie wollte, gefiel Tia grundsätzlich nicht. Wann immer sie etwas gewollt hatte, hatten die verantwortlichen Personen alles stehen und liegen lassen, um ihren Wünschen nachzugehen.

Sie nickte langsam. „Gut, um acht?“

Er atmete auf. „Von mir aus.“
 

Wie schaffte sie es immer wieder, ihn so dermaßen einzuschüchtern? In Verlegenheit zu bringen, nervös werden zu lassen und in ihm eine Panik auszulösen, die er von sich gar nicht kannte. Er war normalerweise ruhig und entspannt, doch sobald es Richtung Kleinstreit ging, war all das verschwunden.

Das Merkwürdige daran war, dass sie keinesfalls in irgendeiner Art und Weise Dominanz ausübte. Im Gegenteil.

Er würde sie nie ganz verstehen. Und sich selbst würde er auch nicht so schnell begreifen.
 

„Und, was nimmst du?“

„Auf jeden Fall etwas, das besser schmeckt als dein Frühstück.“

Als Antwort stampfte Tia auf Rockets Fuß. „Tut mir leid“, fügte sie schnell hinzu.

Er sah schon die Schlagzeile in der Klatschpresse: Snow Kids brechen sich gegenseitig die Füße!
 

Gleiche Situation, anderer Ort, andere Zeit.

Wider Erwarten hatte Tia ihre Anti-Anti-Planet-Haltung abgelegt und sich auf dieses überaus noble Lokal eingelassen.
 

„Ist schon gut“, antwortete Rocket seufzend, „das Frühstück war wirklich lecker.“

„Alles klar bei dir?“

Er wusste, wie gut sie ihn kannte. Es gab niemanden, der ihn auch nur halb so genau analysieren konnte wie sie. Aus allem, was er von sich gab, konnte sie seinen Gemütszustand ermitteln, egal wie sehr er ihn verstecken wollte. Wieso konnte es nicht auch umgekehrt sein?

„Nein.“ Wieso sollte er nicht gleich ehrlich sein, wenn Tia eine Lüge eh durchschaut hätte?

„Aber es ist nichts Schlimmes, oder?“

Rocket schüttelte leicht den Kopf. „Du brauchst dir keine Gedanken machen.“

Dass sie das nicht davon abhalten würde, war ihm bewusst.

„Wir sollten endlich etwas bestellen.“

„Hör auf, abzulenken.“ Er wollte wegschauen, doch die tiefen grünen Augen waren zu schnell für ihn. Sie fesselten ihn. Und brachten ihn zum Lächeln.
 

Tia stutzte.

„Es geht um Folgendes.“

Sein Lächeln war schon wieder eingefroren. Völlig verkrampft. Hätte er sich selbst im Spiegel betrachten können, hätte er wahrscheinlich angefangen, zu weinen.

Er wollte wegschauen. Wollte sich den Himmel ansehen oder die Serviette betrachten. Es funktionierte nicht.

„Und das Folgende wäre das?“

„Das passt jetzt wirklich nicht, Tia.“

„Ich will’s hören“, erwiderte sie interessiert.

Sein künstliches Lachen klang furchtbar. „Nein, willst du nicht.“ Doch sie nickte nur.

Er war gefangen. Sein einziger Ausweg aus dieser brenzligen Situation schien das zu sein, was ihn schon ein paar Mal in ihrer Beziehung gerettet hatte: eine winzig kleine Lüge.

„Na schön.“ Rocket sammelte sich kurz. „Das mit Montag klappt wahrscheinlich nicht. Mein Vater hat mich gebeten, im Laden auszuhelfen, weil meine Mutter... keine Ahnung... sie ist wahrscheinlich mit ihrer Turngruppe unterwegs.“

Tia zog eine Augenbraue hoch. „Welche Turngruppe?“

„Ich bitte dich.“ Rocket sah sie unverständlich an. „Alle Mütter sind in irgendeiner Turngruppe. Du weißt schon, Fitness im Alter halt.“

„Von mir aus. Aber war für Montag wirklich was geplant?“

Rocket sah sie schockiert an. Er war kein sonderlich guter Schauspieler, aber Not machte nun einmal erfinderisch.

„Das sollte doch der schönste, lustigste und entspannteste Tag des Jahres werden! Wir wollten ins Kino gehen, uns danach Pizza bestellen und ein paar unlustige Filme anschauen.“ Zur Bestätigung fuchtelte er mit der Hand vor seinem Körper herum, bevor er sie enttäuscht anschaute. „Hast du das wirklich vergessen?“
 

Es gefiel ihm nicht, wie schuldbewusst sie aussah.

„Tia, ich...“

„Das tut mir wirklich leid, Rocket.“ Sie fuhr sich kurz durch die Haare. „Meine Eltern wollten mich zu so einer dämlichen Gala mitnehmen, die extrem unwichtig ist, und na ja... Sie gehen halt davon aus, dass ich mitkomme und...“ Sie wusste nicht weiter.

Rocket verfluchte sich innerlich dafür, wohl doch so ein überzeugender Schauspieler zu sein.

Bevor er sich weiter in seine Lügen verstrickte, wechselte er das Thema.

„Ich nehme, glaube ich, dieses Pasta-Zeug.“

„Hatte ich auch vor“, murmelte Tia. Ihr schlechtes Gewissen war ihr deutlich anzusehen.
 

Ohne ein weiteres Wort gaben sie die Bestellung auf.

Ohne jegliche zwischenzeitliche Kommunikation wurde ihnen das Essen gebracht.
 

„Das hätte alles anders laufen sollen“, murmelte Rocket, „ziemlich anders.“

„Tut mir leid.“

„Es ist wirklich nicht deine Schuld, glaub mir“, versuchte er sie zu überzeugen.

„Ich kann mich einfach nicht daran erinnern, dass wir das alles machen wollten.“

„Das kann ich ziemlich gut nachvollziehen“, murmelte er in die Serviette.

„Wie bitte?“

Sie hatte es einfach nicht verdient, dass er so unehrlich mit ihr umging.

„Okay, ich höre auf damit.“ Er legte sie ab. Erst die Serviette und dann die Lügen. „Wir hatten gar nichts geplant.“

Er wollte sie nicht ansehen. Trotzdem vernahm er diesen fragenden, verwirrten Blick. Danach kam wohl die Genugtuung darüber, dass sie sich nicht weiter selbst beschuldigen musste. Und dann die Frage nach dem Eigentlichen.

„Was hast du denn dann?“

Er wollte nicht mehr reden. Er wollte weglaufen. Ganz weit weg. Am besten in einen Wald, der aber nirgendwo zu sehen war, um ganz laut loszuschreien.

Je länger das hier dauerte, desto dümmer fühlte er sich.
 

„Ich will wirklich keine Vorträge halten. Ich könnte jetzt irgendwas erzählen, wie toll du bist und dass ich dich gar nicht verdient habe und so weiter.“ Er wartete kurz. Jedoch weniger, um ihre Reaktion zu beachten, sondern um die Luft zu sammeln, die ihm allmählich ausging. „Wie lange wir schon zusammen sind, obwohl ich wohl nie verstehen werde, warum und wie du es eigentlich mit mir aushältst.“ Er schaute auf.

Sie sah ihn verwundert an. „Was willst du mir damit sagen?“
 

„Ich meine damit, dass...Eigentlich meine ich es nicht... Ich sage es nicht mal, sondern wollte nur fragen, also im Sinne von sprechen und sagen schon, aber halt trotzdem fragen...wie reden, nur mit Fragezeichen...“

Rocket stockte.

Es war wie eine Einladung zu einem Ball, auf dem er nie gewesen war. Nur härter. Er hatte lange überlegt, sich alles perfekt zusammen gelegt. Dass jetzt nichts mehr zusammenpasste, brachte ihn aus dem Konzept. Wie sollte er einem so wichtigen Satz auch gerecht werden?

„Willst du mich heiraten?“
 

„Was?“

Tia sah ihn fragend an.

Rocket kannte diesen Blick nicht von ihr. Eine undefinierbare Mischung aus Überraschung, Verwirrung, ein Optimist hätte etwas in ihren Augen gesehen, dass Faszination gleich kam, doch er war halt keiner.

Doch er konnte erkennen, dass sie nach und nach immer amüsierter wurde.

Es war typisch Tia.

„Eh, ja, egal. Oh! Wir haben ja noch das halbe Essen vor uns“, versuchte Rocket die Situation zu retten. Er gestikulierte wild umher. „Du kannst diese tolle Pasta hier gern probieren, aber...du hast ja das gleiche Gericht. Aber vielleicht schmeckt das ja viel besser, weil...“

„Shhht.“ Tia legte ihren Zeigefinger auf seine Lippen und sah ihn an. Ihre Augen leuchteten plötzlich. „Wieso stellst du dich deswegen so an? Wozu dieses ganze Theater von wegen Verabredung? Wieso fragst du mich nicht einfach?“
 

Sie lächelte.

„Weil ich dachte, du...Wahrscheinlich habe ich gar nicht nachgedacht.“

„Dann solltest du genau jetzt damit anfangen.“

„Was meinst du?“

Es erforderte keine Antwort, um zu wissen, worauf sie anspielte.
 

Wie viele Gedanken hatte er sich vorher über diesen Abend gemacht?

Essen gehen in einem angebrachten Restaurant.

-Das war das geringste Problem gewesen.

Möglichst viele Komplimente machen.

-Den Punkt hatte er vernachlässigt, weil er wusste, wie unangenehm ihr das sein konnte.

Sie daran erinnern, wie lange sie schon zusammen sind.

-Zumindest hatte er es angedeutet.

Traumhaften Antrag machen.

-Antrag war Antrag.

Vorher natürlich den Ring rausholen und sie damit zu Tränen rühren.

-Er war ein absoluter Idiot.
 

Rocket atmete tief durch und kramte anschließend in seiner Hosentasche.

„Ich habe ihn dabei“, nuschelte er konzentriert.

„Lass dir ruhig Zeit.“ Amüsiert aß Tia erst mal weiter. „Du hast recht, es schmeckt wirklich gut.“

Natürlich hätte er sie mit so etwas nicht zu emotionalen Ausbrüchen verleiten können, obwohl sie von Natur aus nah am Wasser gebaut war. Doch er wusste, dass es in ihr selbst anders aussah als sie es gerade vorgab.

In diesem Moment hatte er zum ersten Mal das Gefühl, sie durchschauen zu können.

Trotz seiner blamablen Situation.

Es dauerte gefühlte zehn Minuten bevor Rocket einfiel, wo er die kleine Schatulle gelassen hatten. Minuten, in denen er seine Fassung zurückerlangt hatte. So unglaublich es auch schien.
 

Ihre Augen fingen an zu funkeln, als er den Ring offenbarte.

„Ich hoffe, dass es so in Ordnung ist.“

„Er ist wunderschön“, gestand Tia, während sie den Ring an ihrem Finger betrachtete.

Rocket sah sie erleichtert an. „Wirklich? Das beruhigt mich. Ich wusste nicht, ob er dir passt. Immerhin habe ich ihn schon vor ein paar Wochen gekauft und ich dachte, dass du vielleicht...“

„Was? Dass meine Finger dicker geworden sind?“

„Oder dass du deine Meinung geändert hättest. Du hast gesagt, dass du Grün mögen würdest, aber woher soll ich wissen, ob das jetzt immer noch der Fall hätte sein... müssen? Können? Egal.“

„Rocket, Grün ist meine Lieblingsfarbe, schon seit ich zehn bin. Wieso sollte sich das jetzt noch ändern?“

„Vielleicht, weil ich es bin? Immerhin hast du dich inzwischen auch mit dem Teppich in meinem Zimmer abgefunden. Über die Wand sollten wir vielleicht gar nicht reden.“

Tia schüttelte lächelnd den Kopf. „Du bist wirklich ein Idiot. Aber okay.“

„Was, okay?“, fragte Rocket verwirrt nach.

„Ein ziemlich vergesslicher Idiot“, murmelte Tia bevor sie sich leicht nach vorne beugte. „Natürlich will ich“, hauchte sie und wollte endlich die viel zu große Lücke zwischen ihnen schließen, doch Rocket zuckte zurück.

„Ich frage dich, ob du mich heiraten willst und du sagst einfach nur okay?“

Tia blinzelte fragend.

„Ja. Problematisch?“

„Nein, nicht wirklich.“
 

Es hatte fast einen ganzen Tag gedauert bis sie das bekam, was sie wollte und worum sie gebeten hatte.

Was folgte, war der merkwürdigste Kuss, den beide bisher miteinander erlebt hatten.

Es war weder förmlich noch sonderlich leidenschaftlich.

Ungezwungen, aber auch nicht wirklich locker.

Mehr als ein Zeichen von tiefer Zuneigung, eine Art Vertragsschluss.

Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit.

Übersinnlich.
 

Sie spürten die Blicke der anderen anwesenden Gäste, die gespannt und grinsend zu ihnen rüberschauten.

Nichts hätte sie weniger interessieren können.
 

An den Rest konnte Rocket sich nicht mehr erinnern.

Ob sie zuende gegessen und wie sie bezahlt hatten, wie sie überhaupt nach Hause zurück gekommen waren. Doch all das zählte auch nicht.

Es sei denn natürlich, sie wären ohne zu zahlen gegangen und hätten auf dem Weg einen Unfall gebaut, aber das erschien Rocket ausgeschlossen zu sein.

Das Einzige, was für ihn in diesem Moment wichtig war, war die kleine Blondine, die ruhig atmend neben ihm lag.

Es war kurz nach elf und nicht allzu lang her, dass sie sich ein letztes Mal geküsst hatten, bevor Tia in seinen Armen eingeschlafen war.
 

Rocket war alles andere als müde. Wieder einmal.

Hellwach betrachtete er seine Freundin und wünschte sich, sie würde für einen kurzen Blick ihre Augen öffnen, nur damit er dieses wunderschöne Grün nicht vergessen würde.

Was ihm wahrscheinlich eh nie passieren könnte.

Während er sanft ihre Gesichtskonturen entlang strich, erinnerte er sich an all die besonderen Momente, die sie zusammen erlebt hatten. Und es waren einige gewesen.

Sein erster Kuss (und er hatte es nie gewagt, zu fragen, wie es bei ihr aussah), eine Mischung aus totaler Überraschung und Beflügelung.

Alle anderen Küsse danach, bei denen Rocket gemerkt hatte, dass Übung tatsächlich den Meister machen konnte.

Als logische Konsequenz folgten dem natürlich noch intimere und auch schönere Situationen.
 

Nicht alles war perfekt gewesen, allen voran während seiner von der Liga verhängten Sperre.

Netherball.

Es hätte sein ganzes Leben zerstören können. Die Beziehung zu seinen Freunden, Eltern und natürlich zu dem wichtigsten Menschen in seinem Leben.

Hatte es nicht.

Und er würde nie vergessen, wem er das zu verdanken hatte.
 

Genau jetzt sehnte er sich nicht danach, einzuschlafen.

Es wäre pure Zeitverschwendung. Und er wollte jede Minute genießen, die sie zusammen verbrachten.

Er war nicht Tia. Er hatte selten das bekommen, was er wollte.

Außer heute. Es würde wohl auch eine Ausnahme bleiben.

Denn sogar die Müdigkeit weigerte sich, seinen Wunsch wach bleiben zu dürfen, zu erfüllen...



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Machiko_chan
2009-10-24T20:11:25+00:00 24.10.2009 22:11
ha, du bist hier ja auch angemeldet *_*
ich hab die story auch hier gefunden, wie geil XD
ich bin 'Yami-Jacky' von fanfiktion.de und auch hier kommt die story auf meine favo-liste :D
Von:  HD
2009-03-20T18:26:28+00:00 20.03.2009 19:26
Ich saß dort, vor dem Coputer, mit offenem Mund und habe gestaunt!
Wirklich, die FF ist sowas von...MEGAL TOLL geschrieben <3
Mit astand einer der besten die ich je gelesen haben!
Und du hast dich richtig in die Charaktäre hinein verstezt! Das habe ich am meisten bewundert!
Auch die lustigen stellen waren ober cool! Wirklich!
"Er sah schon die Schlagzeile in der Klatschpresse: Snow Kids brechen sich gegenseitig die Füße!" Der Satz der so schnell nicht mehr aus meiner Birne kommen wird! :D
Weiter so und du kommst GROß raus 8D


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