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Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde

von

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Kerhi-Uhl

Das Mädchen sprach plötzlich eine Menge im Vergleich zu vorher.

„Ich habe mich noch gar nicht dafür bedankt, dass du mir das Leben gerettet hast, oder? Es tut mir leid, ich war so fasziniert und erschrocken… also… danke!“

„Bitte, keine Ursache,“ machte Puran förmlich und wollte fortfahren, aber das quietschvergnügte Heilermädchen ließ ihn nicht zu Wort kommen.

„Ich freue mich! Ich kann gar nicht sagen, worüber genau, eigentlich sollte ich weinen, weil Krieg ist! Die komischen Männer mit Rüstungen waren unheimlich… aber seit ich bei euch bin, habe ich gar keine Angst mehr, glaube ich!“

„Leyya, halt mal die Luft an,“ unterbrach Puran sie entrüstet, und als sie ihn verblüfft aus ihren riesengroßen, niedlichen Augen ansah, konnte er nicht anders als zu lächeln. „Ich meine, du sollst doch schauen, ob du gehen kannst, quasseln kannst du doch danach weiter. Steh auf, gib mir deine Hand.“ Sie tat es und er zog sie vorsichtig auf die Beine, um sie loszulassen, sobald sie stand. Das Mädchen ging ein paar Schritte.

„Ich habe keine Schmerzen mehr!“ jubelte sie begeistert, „Keisha ist wirklich eine sehr großartige Heilerin!“ Puran lachte.

„Na, die größte Vorarbeit an den Beinen hast du doch selbst geleistet, wie es aussieht!“ Die Kleine blieb stehen.

„Ich?“ stammelte sie und sah auf ihre Beine. Von ihren Brandwunden war so gut wie nichts mehr zu sehen, nur um den linken Arm trug sie noch einen kleinen Verband aus einem Stofffetzen.

„Natürlich du, du bist doch auch Heilerin?“ Leyya nickte.

„Ich habe mich bemüht, weil ich wegrennen wollte, aber meine Beine haben gebrannt, es hat so weh getan… aber ich habe gedacht, das Heilen hätte nicht geklappt, weil ich keine Veränderung gespürt habe… es hat immer noch wehgetan, als du mich gerettet hast.“ Wie immer, wenn sie erwähnte, dass er sie gerettet hatte, erstrahlte ihr ganzes, kleines Gesichtchen vor Freude und sie sah ihn so dankbar und liebevoll an, dann er sich nur verlegen räusperte. Sie übertrieb es ganz schön mit ihrer Dankbarkeit, dachte er mitunter, es war doch selbstverständlich gewesen, dass er sie mitgenommen hatte. Weil Leyya nie auf ihn hörte, wenn er ihre Dankbarkeit verlegen abtun wollte, sagte er schon nichts mehr dazu und ließ sie strahlen.

„Keisha hat aber gesagt, deine Beine wären in Ordnung, so ziemlich zumindest, vielleicht dauert es etwas, bis der Schmerz nachlässt,“ meinte er stattdessen grübelnd, „Fest steht, du musst eine sehr begabte kleine Heilerin sein, wenn du das geschafft hast.“ Jetzt errötete das Mädchen und senkte erst bescheiden den Kopf – Puran sah sie aber auch mit gesenktem Kopf vor Stolz über so ein Kompliment strahlen.

„Das ist übertrieben, ich bin nutzlos,“ erklärte sie sich und er verdrehte die Augen.

„Du musst ja grauenhaft behandelt worden sein,“ murmelte er dabei, „Dass du von dir selbst so wenig hältst… du kannst dir ruhig etwas mehr auf dich einbilden, manchmal glaube ich, du hältst dich für ein Stück Dreck!“ Das Kind sah unbehaglich zu Boden und er fragte sich bestürzt, ob er jetzt zu direkt gewesen war. Sie kam aus einer ganz anderen Gegend als er, in Anthurien war alles anders… er sollte vorsichtiger sein mit dem, was er zu ihr sagte, wenn er sie nicht verletzen wollte.

„Solche Worte habe ich… lange nicht gehört,“ sagte sie verblüffenderweise und Puran blinzelte. Lange nicht mehr? „Zuletzt von… meinem Vater. Er hat gesagt, ich sollte stolz sein auf meine Herkunft. Dabei hat er mich lieb angesehen, ich sehe es noch wie gestern vor mir.“ Es entstand eine unangenehme Pause und der junge Mann räusperte sich verhalten.

„Was ist mit deinem… Vater passiert?“ fragte er leise. Leyya strich sich schweigend durch die braunen Haare. Als er dachte, sie würde nichts mehr sagen, sprach sie doch.

„Er ist gestorben, als ich vier war. Weil meine Mutter bei meiner Geburt gestorben ist, musste ich danach zu meinem Onkel Turoni nach Makar. Ich weiß, so etwas Böses sagt man nicht, aber ich… bin froh, Onkel Turoni nie wieder sehen zu müssen.“
 

„Sie kann gehen?“ fragte Tabari seinen Sohn am späteren Abend, während er vor der Höhle stand, die der Gruppe zwei Wochen als Unterschlupf gedient hatte. Der Holzmond würde bald anbrechen, der Herbst war sehr plötzlich über den Wald gekommen. „Das ist gut, dann brechen wir morgen Nacht auf. Tagsüber ist zu riskant, wir müssen noch mindestens eine Straße überqueren bis nach Nosar. Ich bin hier nicht der Idiot, der die Landschaft auswendig kennt, wende dich an die Damen der Runde…“ Puran feixte, während Tabari sich die Haare raufte. Drinnen in der Höhle machte Ruja gemeinsam mit Keisha Essen; heute hatte Nalani das Fleisch ausgenommen, um ihrem Mann gleich zu beweisen, wie viel besser als er sie das konnte.

„Was machen wir, wenn der Winter kommt?“ wollte der Junge wissen, und der Blonde zuckte mit den Schultern.

„Hoffen, dass er mild ausfällt…“

„Das wäre ziemlich optimistisch. Glaubst du, die Zuyyaner kommen nach Kerhi-Uhl?“

„Ich habe keine Ahnung,“ seufzte sein Vater beklommen. „Ich bin ehrlich gesagt ziemlich in Sorge… um Kiuk und so, um meine Kollegen… es gibt so viel, das wir verloren haben und nie wiederbekommen werden in Dokahsan.“

„Kann Meoran nicht Vögel schicken, die nach Onkel Kiuk, Sukutai und Alona suchen?“ fragte Puran bedrückt, „Ich denke auch oft an sie und die Gedanken, dass sie-…“ Er sprach es nicht aus. Vom Tod eines Menschen zu sprechen, der vielleicht noch lebte, brachte Unheil und stachelte die Geister vielleicht dazu an, es als Wunsch aufzufassen und passieren zu lassen.

Sein Vater seufzte erneut und raufte sich zum wiederholten Male die blonden Haare.

„Ich weiß… und Meoran ist schon dabei und tut alles, was er kann… bisher sind die Boten aber nicht zurückgekehrt. Da das ewig her ist, macht es mir allmählich Sorgen – können Vögel einfach so verschwinden?“ Meoran selbst war es, der darauf antwortete, als er auch aus der Höhle zu den zwei anderen Männern trat, weil die Frauen ihn beim Kochen als überflüssig befunden und hinaus gescheucht hatten.

„Sicherlich nicht. Ich befürchte eher, dass die Zuyyaner sie gefunden haben, sonst wären sie längst zurück, um Bericht zu erstatten. Dokahsan ist, so fürchte ich, weitgehend besetzt von diesem Pack, es wird nicht leicht sein, Kiuk da zu finden… oder für Kohdars, sich zu uns durchzuboxen.“

„Die Zuyyaner?“ empörte Puran sich, „Warum sollten sie Vögel töten? Die wissen doch nicht, dass es Boten sind!“

„Das würde ich nicht so leichtfertig annehmen…“ Meoran kratzte sich am Kopf und spähte hinaus in die Finsternis des Waldes. „Zuyyaner sind anders als wir. Sie können Dinge spüren, die kein Tharraner spüren kann. Ich würde nicht meine Haut darauf verwetten, dass die das nicht wissen…“
 

Die Nacht war dunkel und kühl. Sie hatten die Haut, aus der sie das Zelt gemacht hatten, jetzt als Windschutz vor die Höhle gehängt, während sie drinnen schliefen. Puran fragte sich, wie es im Winter werden würde. Im eiskalten Schnee in Höhlen zu schlafen wäre nicht nur gesundheitlich schädlich, es wäre tödlich. Anthurien lag zwar südlich von Dokahsan, aber dennoch konnten die Winter hier kaum wärmer sein als in seiner alten Heimat.

Er hörte Meoran und Ruja leise miteinander flüstern, konnte ihre Worte aber nicht verstehen, da sie auf der anderen Seite der Höhle lagen. Vermutlich teilten sie sich das nicht vorhandene Bett, wobei sie dafür aber wirklich erstaunlich geräuschlos wären. Die Gedanken an Ruja und Vereinigungen zu schnell hintereinander bekamen ihm nicht gut, und murrend rollte er sich samt seiner Reisedecke herum, dem Geflüster den Rücken kehrend, und versuchte, nicht weiter darüber zu grübeln. Es ging ihn nichts an, was die trieben, sie waren Mann und Frau. Er schämte sich, weil die Erinnerungen an sein Blutritual und die hübsche Ruja ihn noch immer irgendwo erregten, obgleich es nicht mit dem zu vergleichen war, was er während seiner Lehre in Tuhuli gefühlt oder geträumt hatte.

Träume… er hasste Träume. Unwohl dachte der Junge an Cholena, die er seit sie über die Wiese gelaufen und mit ihm gesprochen hatte nicht mehr gesehen hatte. Er fragte sich, ob ihr Geist wusste, was er ab und zu tief im Inneren immer noch von Meorans Gemahlin dachte… vielleicht war sie erzürnt und erschien deswegen nicht mehr in seinen Träumen…

„Sei nicht töricht,“ sprachen die Geister in seinem Kopf. „Dafür gibt es eine Grenze zwischen der Welt der lebenden und der der Toten. Lass sie los.“

„Wie könnt ihr sowas sagen?“ stöhnte er tonlos, um niemanden der anderen zu wecken oder – im Falle von Meoran und Ruja – zu stören, „Pietätlose Ekel…“

„Du kannst die Totenwelt nicht als Lebender betreten, Puran Lyra,“ sprachen die Geister weiter. „Da ist kein Weg. Du lebst, also lebe.“

Das war einfacher gesagt als getan… er seufzte unglücklich. Ein kalter Windzug kam in die Höhle trotz des Vorhangs und er erzitterte. Er vermisste Cholena… zum ersten Mal seit ihrer Flucht aus Dokahsan dachte er auch an die anderen, die er vermisste, wie seine Freunde Kannar und Travi – was war mit ihnen? Lebten sie? Und Madanan, Umar und Narya? Vielleicht war Kannar bei Alona, immerhin waren sie zusammen und er hatte sie vor nicht allzu langer Zeit zur Frau gemacht – Puran hoffte es für beide. Die Ungewissheit über den Verbleib seiner Restfamilie und seiner Freunde schmerzte und weckte in ihm die altbekannte, grausige Übelkeit. Als er keuchend herumfuhr, tat er es allerdings nicht deswegen, sondern wegen des leisen Wisperns, das plötzlich direkt hinter ihm zu hören war.

„Puran… bist du noch wach?“

Hinter ihm kauerte eng an den Boden gedrückt die kleine Leyya und sie zitterte, als er sich betreten zu ihr herum rollte.

„Offenbar,“ war die Antwort. „Was ist los… fühlst du dich schlecht?“ Im Dunkeln konnte er sie nicht sehen, aber ihre Stimme klang nicht gut.

„Ich habe Angst…“ gestand die Kleine und verkroch sich unter ihrer Decke; sie hatte die von Nalani bekommen, die sich jetzt mit Tabari eine teilte. „Der Wind heult und… und ich habe Angst, dass d-die Männer mit Rüstung kommen und alles in Brand stecken…“

„Hier kommt niemand, Leyya,“ erklärte er ihr leise und sie sah bedrückt hinunter auf ihre Decke. Als sie nichts mehr sagte, kroch er über den Höhlenboden zu ihr herüber und zog sie in seine Arme, um das kleine Mädchen vorsichtig an sich zu drücken. „Ich… bin ja bei dir. Ich lasse dich nicht los, wenn du nicht willst.“ Er spürte, wie die Kleine sich an ihn schmiegte und legte die Decke über sie, um sie beide damit zuzudecken.

„Danke…“ nuschelte sie dabei, „Du bist… schön warm.“ Puran lächelte und streichelte ihre Haare.

„Schlaf,“ flüsterte er, „Morgen werden wir diesen Ort verlassen und weit weg gehen vom Feuer und den Zuyyanern. Ich werde nie wieder zulassen, dass dir jemand etwas antut.“

Und das Mädchen lächelte, während es die Augen schloss und die angenehme Wärme seiner Umarmung genoss. Sie fragte sich, wann sie zum letzten Mal umarmt worden war…

Sie konnte sich nicht erinnern.
 

Der Weg nach Kerhi-Uhl begann in der kommenden Nacht mit einem Unwetter. Tabari maulte, als sie durch den Wald nach Südosten stapften.

„Das ist ein schlechtes Zeichen, vielleicht sagen die Geister uns durch den Regen, wir sollten nicht nach Kerhi-Uhl!“

„Solange sie das nicht ausdrücklich sagen, gibt es für uns keinen Grund, länger im Wald zu bleiben,“ meinte Meoran verdutzt, „In den Bergen können wir uns besser verstecken und eine Armee wird nicht unbedingt einen Gebirgspass überqueren, wenn es nicht sein muss. Vielleicht schenken sich die Zuyyaner diese Ecke, meine ich, was gibt es schon in Kerhi-Uhl, geschweige denn in Nosar?“

„Gämsen,“ erwiderte der Herr der Geister wichtigtuerisch, „Wenn wir davon ein paar erlegen, können wir aus den Hörnern Trinkgefäße machen, das kann nie schaden.“

„Und ich dachte, du machst aus dem Kopf eine Trophäe und setzt sie dir auf den Schädel,“ meinte Nalani trocken, die vorweg ging, weil sie am besten im Dunkeln sehen konnte. Vor allem Keisha war völlig nachtblind und ließ sich von Ruja führen und festhalten.

„Das ist so furchtbar, ich sehe ja meine Hand vor Augen nicht!“ jammerte die Alte dabei immer wieder, „Waren wir schon am Fluss?“ Irgendwann verdrehte Meoran die Augen.

„Mutter, halt verdammt noch mal deinen Mund, bitte!“ empörte er sich gedämpft, „Nein, wir waren nicht am Fluss, wir kommen an keinem vorbei, Himmel und Erde! Wenn du noch ein elftes Mal nach diesem Fluss fragst, erkläre ich dich zu einer senilen alten Großmutter!“

Großmutter, du bist gut, wenn du mich mal zu einer machen tätest, Meoran, würde ich dir zustimmen!“ Dank der Dunkelheit sah niemand, wie ihr Sohn vor Scham errötete, sie hörten ihn sich nur entrüstet räuspern. Dazu würde er sich jetzt sicher nicht äußern. Ruja tat es ungebeten für ihn:

„Ich werde mir die größte Mühe geben, Schwiegermutter, das verspreche ich.“

„Himmel, könnt ihr darüber wann anders sprechen?“ mischte Puran sich genervt ein, der nicht wirklich an einem Gespräch über das Kinder zeugen interessiert war. An seiner Hand ging Leyya, die das alles offenbar sehr fasziniert verfolgte. „Und von was für einem verdammten Fluss redet ihr Helden überhaupt?!“

„Auf der Karte war einer!“ meinte Keisha, „Alte senile Großmutter, ja, ja, Meoran, ehrlich.“

„Ich hätte sie ins Meer werfen sollen in Undar,“ grummelte Meoran vor sich hin, natürlich ohne diesen Wunsch auch nur im Entferntesten ernst zu meinen. Nalani übernahm die Erklärungsarbeit an Keisha gewendet.

„Der Fluss liegt im Norden, dahin führt die Straße, und die wollen wir meiden. Wir werden sie nur kreuzen und uns nach Süden bewegen, im Wald bleiben, um knapp vor der Stadt Athash wieder gen Osten abzubiegen und zum Nosar-Gebirge zu gelangen. Und jetzt seid still, wenn wir so weiter plaudern, fühlen sich die Zuyyaner noch zum Tee trinken eingeladen.“ Alle verstummten jetzt und gingen schweigend weiter, nur Meoran murmelte grummelnd vor sich hin:

„Oh nein, Tee trinken weckt üble Erinnerungen an unser schönes Kanapee.“
 

Bei Tage rasteten sie im Dickicht möglichst versteckt, um in der Nacht weiter gen Süden zu ziehen. In der zweiten Nacht überquerten sie problemlos die Straße nach Osten. Ein paar Meilen von der Südstraße entfernt bewegten sie sich auf die Stadt Athash zu, die vor den Hängen von Nosar lag. Tabari hoffte, dass die Stadt sogar noch heil war, damit sie Vorräte aufstocken und eine Decke für Leyya besorgen konnten. Das kleine Mädchen fühlte sich offenbar sehr unbehaglich, Nalanis Decke zu missbrauchen, und versuchte mehrmals pro Reisenacht, sie ihr zurückzugeben, was die Geisterjägerin jedes Mal energisch ablehnte.

„Du bist noch ein Kind, für ein Kind wie dich würde ich auch mein letztes Hemd geben, das ist ja wohl selbstverständlich,“ sagte sie einmal während der vierten Reisenacht. Sie lächelte und strich der Kleinen über den Kopf, die, ihre Decke umgehängt, einmal neben ihr vorne ging, weil Puran damit beschäftigt war, mit Meoran und seinem Vater zu diskutieren, was wohl aus allen möglichen anderen geworden war. „Wie alt bist du eigentlich genau?“

„Ich bin im Sommermond acht geworden,“ nuschelte Leyya. Die Frau nickte für sich; dann war ihr Vater also vor vier Jahren gestorben, sie würde Keisha später einmal fragen, ob das zufällig mit dem Heiler Bao überein stimmte. Sie wollte das Mädchen lieber nicht direkt nach seinem Vater fragen, sicher täte es ihr weh, an seinen Verlust zu denken.

Überdies entwickelte sich die Kleine gut, sie sprach munter mit ihnen allen und schien keine Angst zu haben, nur wenig Selbstwertgefühl, wie Puran desöfteren beteuerte. Ihr Onkel, bei dem sie gelebt hatte, musste ein furchtbarer Mann gewesen sein, Nalani wollte gar nicht wirklich wissen, was er alles mit dem armen Kind angestellt hatte, dass sie so verschüchtert war. Ihre Wunden waren gut verheilt.

„Hab keine Sorge, kleines Mädchen,“ fuhr die Schwarzhaarige lächelnd fort, „Behalte die Decke reinen Gewissens. Du verdienst eine fürsorgliche und liebevolle Behandlung.“

„Wie wollt Ihr das wissen, Herrin?“ fragte das Kind betreten, „Vielleicht war ich ja unartig, bevor Ihr mich mitgenommen habt?“

„Die Geister haben mir genug gesagt, um gewiss zu sein.“

„Die Geister…?“ Die kleine Heilerin weitete beeindruckt die Augen und Nalani gluckste amüsiert über ihr Erstaunen. „Sie sprechen zu Euch, Herrin? Ich habe mir sagen lassen, nur wirklich fähige Magier können die Stimmen der Geister wahrnehmen oder sie sogar im Traum sehen…es ist eine besondere Gabe, nicht wahr?“

„Das Sehen ohne Augen und das Hören ohne Ohren nennen wir in Dokahsan es, ja,“ stimmte die Frau ihr zu, „Und obgleich ich in meiner Position viele Leute kennengelernt habe, die diese gaben beherrschten, dürfen wir dennoch nicht vergessen, dass sie wertvolle Geschenke der Geister sind. Mein Sohn wollte das lange Zeit nicht einsehen…“ Sie wandte den Kopf und sah über die Schulter zu Puran. Der Junge sah gerade auf.

„Was ist?“ fragte er verblüfft und die anderen Männer sahen ebenfalls nach vorne, weil Nalani mit Leyya stehen geblieben war.

„Nichts ist, was ist mit euch?“ fragte die Schamanenkönigin zurück, „Was ist mit deinen Flattermännern, Meoran?“

„Flattermänner, sagt sie, die Geisterjägerkönigin,“ meckerte der Jüngere entrüstet, „Etwas mehr Respekt bitte vor den Aasfressern, sie können dir die Augen aushacken, wenn du gemein zu mir bist…“

„Ich zittere vor Angst – ich meine, was ist aus Kiuk und Kohdars und wem sonst noch geworden?“

„Kohdars?“ wunderte Leyya sich erschrocken, „Das ist doch einer der ältesten Schwarzmagierclans Kisaras?!“

„Das sind unsere Kumpels,“ grinste Tabari, „Moment, haben wir vergessen zu erwähnen, dass wir drei auch Geisterjäger sind?!“

Das Mädchen erstarrte und Puran stöhnte.

„Vater, das war… etwas ungehobelt.“

„G-Geisterjäger?!“ fiepte Leyya, offenbar aus allen Wolken gerissen, „Aber – aber – nein, das habt Ihr ganz offenbar nicht erwähnt, Herr! Ich wusste nicht, w-wenn ich geahnt hätte, mit wem ich herumreise-…!“

„Jetzt aber mal halblang,“ Meoran gluckste, „Du vergisst eine Kleinigkeit, Mädchen. Egal, aus welchem Stand wir kommen oder du kommst, egal, wer wir sind oder waren, das tut nichts zur Sache. Wir sind im Krieg. Alles ist anders, von einem Titel können wir uns auch keine Sicherheit kaufen.“ Leyya blinzelte und alle schwiegen. Das waren wahre und weise Worte, fand Puran auch, und er bewunderte seinen Meister für seine Umsichtigkeit. „Geisterjäger, Dorfmädchen, Statthalter von Vikhara, das ist egal, wir alle sind hier im selben Boot, um es so auszudrücken. Wir alle wollen dasselbe, Sicherheit für die, die uns wichtig sind, oder zumindest uns selbst, und dass dieser Krieg aufhört. Menschlichkeit ist das, was uns hier und jetzt ausmacht, alles andere ist Schall und Rauch, Leyya.“ Das Mädchen war erbleicht.

„Aber – aber ich muss Euch Respekt zollen, mein Onkel hätte mich tot geschlagen, wenn er gewusst hätte, dass ich ohne es zu wissen mit Euch reise und nicht mal-…“

„Du solltest auf Meoran hören, er spricht klug,“ fiel Tabari ihr ernst ins Wort. „Ich denke, darüber brauchen wir nicht wieder sprechen, vergib uns, dass wir das versäumt haben zu erwähnen, Leyya.“ Er machte eine Kunstpause und fuhr leiser fort: „Aber wo wir bei Herkünften sind… wenn du Bao heißt, können deine Vorfahren nicht weniger angesehen gewesen sein unter den Heilern wie wir es unter den Schwarzmagiern waren… oder?“ Leyya senkte kurz den Kopf.

„Ich weiß nur, dass wir als ich sehr klein war ein großes Haus in Brayk hatten. Bis ich vier war, habe ich da mit meinem Vater gewohnt, bevor ich zu meinem Onkel gekommen bin… mein Vater war ein guter Heiler, glaube ich.“

„Das glauben wir auch beinahe,“ gab Nalani zu hören und sah zu Tabari, „Shht jetzt, wir gehen weiter. Es ist noch ein langer Weg nach Kerhi-Uhl und vor Sonnenaufgang brauchen wir noch ein gutes Versteck für den Tag.“
 

Das Versteck war weniger gut und noch weniger bequem, es war eine sehr schmale Nische zwischen zwei moosbewachsenen Felsen im Wald, in die sie sich quetschten. Puran nahm Leyya auf seinen Schoß, damit sie nicht am kalten Erdboden sitzen musste, und bevor sie einschlief, lehnte sie sich dankbar an seine Brust und kuschelte sich an ihn.

„Dann bist du der Sohn des Herren der Geister?“ flüsterte sie leise zu ihm, und er lächelte zur Antwort flüchtig.

„Das ist nicht wichtig, aber ja.“

„Dann bist du ja sowas wie ein Prinz unter den Schamanen…“

„Ach, Quatsch. Glaub mir, es hat ziemlich viele nervige Nachteile, Sohn einer mächtigen Familie zu sein.“ Er dachte kurz an Cholena und seufzte. Sie hatte ihn auch immer darum beneidet, dem uralten Adel Dokahsans anzugehören… er selbst hatte das nie nachvollziehen können. Wie viele hatten ihn in der Schule angeglotzt oder gehasst wegen seiner Herkunft? Allen voran Ram Derran natürlich…

Die Gedanken an seine tote Freundin verdrängend legte er schützend die Arme um die kleine Heilerin auf seinem Schoß und zog seine Decke um sie beide, um sie darin einzumummeln.

„Schlaf jetzt,“ wisperte er der Kleinen ins Ohr, „Du bist sicher müde vom Gehen. Nächste Nacht werden wir wieder weit laufen müssen…“ Sie sagte nichts, aber er spürte sie an seiner Brust leicht nicken, bevor er selbst die Augen schloss und versuchte, Schlaf zu finden.

Es war nicht leicht. Von einer inneren Unruhe getrieben wechselte er im Halbschlaf andauernd die Position seiner Beine, dabei versuchend, sich möglichst wenig zu bewegen, um Leyya nicht zu wecken, die tief zu schlafen schien. Er beneidete sie um ihren Schlaf, den die Geister ihm verwehren zu wollen schienen.

Stimmen in der Finsternis ließen ihn zusammenschrecken, sie sprachen von Unheil und Feuer. Vor seinen Augen brannte das Land und die fliegenden Feuersteine prasselten wie ein grausamer, tödlicher Regen auf die Haut von Mutter Erde, während der Himmel grollend zürnte. In den Flammen sah er einen hölzernen Turm aufragen, bevor unter seinen zitternden Füßen die Erde aufbrach und eine gewaltige, unsichtbare Macht das Feuer davon jagte, bis nur Schatten und Leere zurückblieben…

Puran fuhr aus dem Schlaf hoch und erschreckte damit aus Versehen das kleine Mädchen, das an ihn gekuschelt gedöst hatte.

„W-was ist?“ keuchte sie entsetzt, und sie wurde noch unruhiger, als sie in sein bleiches Gesicht sah. Was sie sah, war nicht Purans Gesicht. Es war das Gesicht irgendeines blassen, kranken Menschen, als wäre der junge Mann plötzlich um Jahrzehnte gealtert. Seine grünen Augen waren vernebelt von Unheil und Furcht und das Mädchen spürte, wie diese Furcht auf sie überging wie ein Virus, als er sie an sich drückte und dabei erzitterte. „Puran?“ wisperte sie tonlos und voller Angst, während sie sich wimmernd an seine warme, schützende Brust drückte. Sein Herz raste…

„Puran?“ wurden Leyyas Worte wiederholt, aber von Nalani, die plötzlich vor den beiden aufgetaucht war. Sie fasste nach ihres Sohnes Kinn und zerrte es mit sanfter Gewalt zu sich herum. „Sieh mich an. Was hast du gesehen?“

„Ich weiß nicht, was es war… aber die Flammen… kehren zurück,“ gab Puran von sich, seine Stimme war vor Heiserkeit kaum wiederzuerkennen. Leyya erstarrte.

„Das Zuyyanerfeuer?!“

„Rasch,“ war Nalanis Kommentar nach einer sehr kurzen Pause, „Tabari, Meoran, auf! Wir werden diesen Ort schnellstens verlassen.“

„Wie bitte, die Dämmerung ist noch gar nicht eingetreten…“ nölte ihr Mann, der am Boden in der Felsnische hockte und sein Schwert polierte, „Wenn wir im Hellen noch-…“ Er brach ab, als ihm ein lautes Krachen und ein Beben der Erde ins Wort fielen. Die Gruppe erstarrte und Puran erhob sich. Ihm war schwindelig und stöhnend stützte er sich an den Felsen ab, als die Nachwirkungen der Visionen ihm jetzt zu schaffen machten, wie sie es schon oft getan hatten.

„Das war nicht weit weg,“ machte Meoran ebenfalls beunruhigt, und Ruja und Keisha standen jetzt auch auf. Das Krachen wiederholte sich und die kleine Leyya erzitterte mit jedem Beben des Bodens mehr, ihr Gesicht aschfahl vor Angst.

„Von der Straße weg!“ rief Nalani und packte in Windeseile ihre Reisedecke auf ihre Rückentrage, „Nach Osten, rennt! Die kommen hierher!“

„Oh nein, Himmel!“ fiepte Ruja jetzt auch besorgt, ehe Meoran sie und seine Mutter packte und sie aus der Nische stieß, um mit ihnen vorweg zu rennen. Tabari zerrte an Purans Arm.

„Renn, oder sollen wir dich tragen?!“ schnappte er hektisch, weil sein Sohn sich nicht rührte und nur apathisch an die wand starrte, an der er lehnte. Er sah grauenhaft aus. „Puran, verdammt, komm zu dir, verdräng die Visionen! Jetzt!“

„Komm doch!“ jammerte Leyya auch, die an seiner Hand zog, und Puran stöhnte.

„M-mir ist schlecht, ich kann nicht gehen-…“

„Reiß dich zusammen, oder ich schleife dich an den Haaren nach Kerhi-Uhl,“ warnte sein Vater ihn erstaunlich energisch, „Du bist mein einziges Kind, du denkst doch nicht, dass ich dich hier lasse?“ Der Sohn keuchte ein paar Mal, ehe er sich mit aller Macht, die er noch hatte, zusammenriss und sich von den Felsen abstieß.

„Lauf!“ rief er seinem Vater zu, nahm das Kind an die Hand und folgte ihm augenblicklich.

Sie rannten nach Osten, quer feldein auf das Ende des Waldes zu. Dahinter trennte nur eine Aue sie vom Nosar-Gebirge. Während Nalani mit Meoran vorweg rannte, hinter ihnen Ruja und Keisha, sah Tabari sich immer wieder nach den Kindern um, wie er sie beide betitelte, obwohl Puran schon fast siebzehn war. Das Beben der Erde riss sie einige Male von den Beinen und am Himmel leuchtete glühend rot das Feuer des Krieges.

„Sie werden kommen!“ schrie Leyya außer sich vor Panik, während Puran sie geistesgegenwärtig mit sich zerrte. Er lief viel zu schnell für sie und sie stolperte immer wieder. „I-ich kann nicht mehr! E-es geht zu schnell…“ Das Mädchen schrie auf, als es den Halt endgültig verlor, Purans Hand entglitt und zu Boden stürzte.

„Nicht, halt!“ schrie Puran entsetzt, hielt an und riss sie unsanft vom Boden hoch, packte sie und nahm sie auf seinen Rücken. „Halt dich fest, ich trage dich!“

„D-das ist zu schwer für dich, du bist krank!“ heulte das Mädchen zitternd, während sie weiter rannten. Es krachte hinter ihnen und sie schrien beide vor Schreck auf. „Lass mich lieber hier, d-das bin ich nicht wert! Onkel Turoni hätte mich geschlachtet, wenn er das wüsste!“

„Dein Onkel Turoni kriegt von mir eine in die Fresse und ich trete ihm gehörig in die Säcke, wenn ich ihn jemals sehe! Ich lasse dich auf keinen Fall zurück, kapiert?!“ Das Mädchen weinte auf seinem Rücken, irgendwie vor Rührung, weil er sich so um sie bemühte, aber an sich am meisten aus Furcht. Puran ignorierte ihr Weinen und rannte, so schnell seine Beine es ihm erlaubten. Vorne hörte er die anderen rufen und plötzlich war sein Vater bei ihm und packte seinen Arm. Sie waren etwas hinter den vier übrigen zurückgefallen.

„Was ist mit dir?!“ japste Tabari, „Renn, auf der Wiese sind wir ungeschützt dem Feuerregen ausgesetzt, wenn wir zusammen bleiben, kann Ruja uns wenigstens mit ihrer Barriere schützen, sie kann damit aber keine tausend Hektar schützen, Himmel! Bist du in Ordnung?“

Nichts ist in Ordnung, wollte Puran jammern, aber er sagte nichts und beeilte sich mit Vaters Zerren die anderen wieder einzuholen. Als es über ihnen lauter krachte als je zuvor und sie einen großen Feuerball direkt auf sich zusausen sahen durch die Kronen der Bäume hinweg, schrien sie und machten gerade noch einen Satz nach vorn, um den Flammen zu entkommen. Der Druck der Explosion, als der Feuerball auf die Bäume prallte, schleuderte Tabari und Puran noch diverse Fuß weiter nach Osten und Leyya mit ihnen.

„Verdammt, habe nur ich das Gefühl oder kommen die direkt hierher?!“ stöhnte der Herr der Geister, der sich zuerst rasch erhob und Puran auf die Beine half, „Jemand verwundet?“

„D-das ist das Ende der Welt!“ keuchte sein Sohn entsetzt und fuhr herum, als ein weiteres Krachen ertönte, unter das sich jetzt ein neues Geräusch mischte – Schritte von Menschen. Leyya erbleichte.

„Vater, d-du hast recht, die kommen tatsächlich auf uns zu!“ entgegnete der Junge verblüfft, „W-wie haben die uns gefunden?!“

„Das ist mir völlig egal, solange wir sie abhängen können! Renn!“

Sie rannten weiter. Begleitet vom Beben der Erde und dem Dröhnen des Himmels verließen sie den Wald. In der Ferne sahen sie die vier anderen rennen auf der Wiese, hinter der das Nosar-Gebirge lag. Südlich von ihnen brannte die Stadt Athash.

„Rascher!“ brüllte der Blonde und scheuchte sein schon hustendes und japsendes Kind vor sich her. Als er zurück blickte, sah er aus den brennenden Gebüschen des Waldes die Verfolger hervor preschen und auf sie zu gerannt kommen. Es waren fünf Männer zu Fuß und in den typisch zuyyanischen Rüstungen, sie trugen scheinbar nur einfache Schwerter.

„Die Männer in den Rüstungen!“ heulte Leyya panisch auf Purans Rücken, die Tabaris Blick folgte, „D-die waren in Makar! Sie waren überall, sie setzten Feuer auf das Land und in den Himmel, sie töten alles, was sie in die Finger bekommen!“

„Lauf!“ schrie der Älteste entsetzt, „Wenn wir die anderen einholen, können wir uns mit der Barriere schützen, vielleicht hängen wir sie dann ab!“ Puran keuchte und rang verzweifelt nach Luft. Er war erschöpft, seine Beine gehorchten ihm nicht mehr lange, hatte er das Gefühl. Das Gewicht des kleinen Mädchens auf seinem Rücken wurde immer schwerer…

Das Mädchen. Er durfte nicht aufgeben, er musste sie in Sicherheit bringen! Sie war noch ein Kind, sie hatte doch ihr ganzes Leben noch vor sich!

Reiß dich zusammen, Puran, renn! Befahl er sich wütend und versuchte, das Tempo erneut zu erhöhen, als es unmittelbar hinter ihnen krachte und er die Hitze des tödlichen Feuers hinter sich spüren konnte. Eine Feuerkugel war auf die Wiese geschlagen. Leyya schrie.

„Bist du getroffen?!“ rief er über die Schulter zu ihr, und sie weinte ängstlich und klammerte sich an seinen Hals.

„Wir werden alle sterben!“

„Nicht so schnell…“ stöhnte der Herr der Geister neben ihnen und drehte den Kopf, ehe er beide Hände in den Himmel riss. „Heute stirbt niemand von uns, kleines Mädchen!“ Mit einer simplen Handbewegung ließ er den Wind über der Aue eine Druckwelle erzeugen, die die fünf Verfolger zu Boden schleuderte. „Das schenkt uns ein paar Momente, schneller!“

Doch die Momente verstrichen schneller als Tabari gedacht hatte. Kaum waren sie kurz weiter gerannt, kamen die Verfolger schon zurück und holten immer schneller auf. Plötzlich flogen Wurfmesser an ihren Köpfen vorbei ins Gras und verfehlten die drei um Haaresbreite, hätte Tabari die Geschosse nicht instinktiv heran fliegen gespürt und sie mit Wind zur Seite gelenkt, hätten sie sie durch den Kopf aufgespießt.

„W-was ist das?!“ rief Puran erbleichend und stolperte über eines der Wurfmesser – beim kurzen Hinsehen erkannte er, dass es keine Messer waren, sondern Zapfen aus Eis. Er erinnerte sich an die Worte seiner Mutter; Zuyyaner beherrschten nur drei Elemente der Magie, Feuer, Eis und Wasser. Er fuhr zu seinem Vater herum.

„Das hat keinen Zweck, wir schütteln die niemals ab!“ rief er, „Und bis zu Ruja und den anderen ist es zu weit, wir sind zu weit zurück gefallen!“

„Dann haben wir wohl keine Wahl, als uns mit der Nase voran ins Getümmel zu stürzen,“ war des Vaters Kommentar. „Du bleibst mit der Kleinen zurück, egal, was passiert, hast du das verstanden?“

„Was?!“ fiepte Leyya panisch, „D-das könnt Ihr nicht! Das sind Monster!“

„Das sind nicht die ersten Zuyyaner, denen ich begegne,“ machte Tabari und hielt an, „Und ich werde nicht meine Familie ihren Klauen überlassen! Lauf, Puran, bevor ich dir in den Hintern trete!“

„Ich kann dich nicht alleine hier-… Himmel!“ Der Junge duckte sich samt Leyya, als noch ein Eis-Geschoss auf ihn zugeflogen kam und ihn knapp verfehlte. Tabari zog mit einer Hand sein Schwert und hob die andere in den Himmel, der zu grollen begann.

„Sie sollen den Zorn Vater Himmels spüren für die Gräuel, die sie diesem Land antun…“ zischte der Blonde ungewohnt grimmig, während die Soldaten auf zu gerannt kamen. Kurz bevor sie die drei hätten erreichen können, riss er seine freie Hand nach vorne und ein weiterer Windstoß riss alle fünf von den Beinen. „Hau endlich ab, Puran, bring Leyya in Sicherheit!“ Sein Sohn keuchte.

Leyya. Ja, das Mädchen, bei aller Ehre, aber das Mädchen durfte nicht seiner Pietät ausgesetzt werden! Wenn er sie zu Ruja brachte, konnte er immer noch zurück rennen, wenn es bis dahin nicht zu spät war… er rannte los und Leyya schrie.

„Was wird aus deinem Vater?!“

„Der kommt klar!“

„Eben warst du anderer Meinung!“

„Er ist der Herr der Geister, er wird sich zu verteidigen wissen, ich kehre zurück, wenn du in Sicherheit bist-… ah!“ Er stolperte über einen neuen Eiszapfen, der im Gras vor ihm landete, und stürzte zu Boden, dabei fiel das Kind von seinem Rücken. Puran rappelte sich in Windeseile hoch und stellte sich schützend vor die Kleine, als zwei der Angreifer Tabari umgangen zu haben schienen und jetzt auf die zwei zu kamen. „Bleib hinter mir und rühr dich nicht!“ schrie er das Mädchen an, das leichenblass und wimmernd am Boden lag und sich allein vor Angst schon nicht rühren konnte, als es die Männer auf sich zu rennen sah.

Sie dachte an Makar. An das Feuer im Dorf, an die tote Frau von Onkel Turoni. An die andere Frau, die sie im Stich gelassen hatte…

Sie wollte das nicht mehr! Sie wollte, dass das aufhörte… Vor ihr stand ihr Retter, und er rettete sie glatt noch einmal, als er genau wie sein Vater die Arme empor riss und zumindest den einen Angreifer mit ebenso einem Wirbel zurück schleudern konnte.

Sie war nutzlos… wieder einmal kam sie sich dumm vor.

Puran keuchte und schaffte es gerade noch trotz des üblen Schwindels, der nach dem kurzen Windzauber wieder in ihm aufkam, seine zwei Schwerter zu schnappen und damit den zweiten Mann abzuwehren, der ihm sein eigenes Schwert entgegen schleuderte. Klirrend stießen drei Klingen aufeinander, bis der Jüngere eine seiner zwei wegzerrte, herum riss und dem Mann vor sich mit einer raschen Bewegung den Arm abschlug, ehe er selbst genau mitbekam, was er tat. Der zweite Soldat hatte sich jetzt wieder aufgerappelt, musste den zwei Schwertern ausweichen und einem neuen Windzauber, ehe er dem Jungen und dem kleinen Kind einen Feuersturm aus bloßen Händen entgegen schmetterte.

„Duck dich, Leyya!“ schrie Puran entsetzt, und er riss die Hände nach vorne – mit einem Mal kam ihm der Traum wieder auf, der ihn so beunruhigt hatte zuvor. Plötzlich spürte er dieselbe unsichtbare Macht in sich selbst, die in seinem Traum das Feuer zerstört hatte… vor seinen Augen wurde es schwarz und er verlor so plötzlich das Gleichgewicht und sämtliche Macht, wie sie zuvor in ihm aufgekommen war, ohne dass er sich erklären konnte, warum; alles, was ihm durch den Kopf ging, war, wie er so das Mädchen beschützen sollte… dann wurde er zu Boden gestoßen und das nächste, was er fühlte, war eine entsetzliche Übelkeit, während er das Feuer vor seinen Augen verschwinden sah, dann fiel für einen kurzen Moment Schatten über sein Bewusstsein.

„Verdammte Bastarde!“ hörte er über sich die wutentbrannte Stimme seiner Mutter, als er das Bewusstsein wieder erlangte. Er fand sich im gras liegend, neben ihm kauerte die wimmernde Leyya. Als er sich erheben wollte, versagten seine müden Beine und die Übelkeit von zuvor kehrte mit solcher Macht zurück, dass er sich prompt auf die Erde erbrach und lautstark zu husten begann.

„Tabari!“ hörte er als nächstes Meorans Stimme etwas weiter weg, „Ich gehe runter, bleib du bei den anderen, Nalani, ich hoffe, da kommen nicht noch mehr!“

„Was ist passiert?!“ stöhnte Puran benommen und schaffte es, sich hinzusetzen. Sein Kopf schmerzte. „Wo ist das Feuer…?“

„Es ist fort, seid unbesorgt, beide.“ Das war Ruja, und verblüfft stellte Puran fest, dass er gemeinsam mit Keisha und Leyya in einer schwach glimmenden Blase am Boden hockte, hinter der Barriere, die Ruja erstellt hatte und mit ausgestreckten Armen aufrecht erhielt. Außerhalb der Blase stand Nalani mit Kadhúrem in der rechten Hand, sie wandte jetzt schnaufend den Kopf von den beiden toten Soldaten ab, die vor ihr am Boden lagen und deren dunkles Blut das Gras befleckte.

Ihm fiel wieder ein, was passiert war. Wo war sein Vater?

„Vater!“ schrie er laut und sprang auf die Füße, „Vater, wo ist er?!“

„Bleib ruhig,“ mahnte die Telepathin ihn ernst, „Meoran ist ihm zur Hilfe gekommen, die Zuyyaner sind so gut wie tot.“

Wie ungewohnt kaltherzige Worte doch aus Rujas hübschem Mund springen konnten…
 

„Zwei gegen einen, ihr seid nicht fair,“ meckerte Tabari die beiden Männer an, deren tödlichen Schwerthieben er auswich oder sie teilweise gekonnt mit seiner eigenen Waffe blockte. Das waren keine hochkarätigen Krieger… das waren einfache Fußsoldaten, weder besonders stark noch sonderlich erfahren, stellte der Blonde verwundert fest. Er fragte sich, ob man ihn unterschätzte. „Hat euer Anführer euch uns nach gejagt? Redet, ihr könnt sicher die Einheitssprache, ihr Ratten!“ Sie sprachen nicht, sondern warfen mit Eis und Feuer nach ihm, was der Blonde ohne weitere Anstrengung mit einer Änderung der Windrichtung in ihre eigenen Gesichter zurück wehte. Schreiend mussten die Soldaten ihren eigenen Zaubern ausweichen und der Schamane nutzte die Ablenkung, um eine Hand in den Himmel zu reißen und mit einem lauten Grollen von oben einen Wirbel aus Blitzen und Donner in seiner Handfläche entstehen zu lassen. „Himmelsdonner, du Zorn unseres Vaters!“ keuchte er ehrerbietig, „Komm in meine Hand, Windgeist, und lasse mich dich beherrschen, wie es mein Schicksal ist!“ Es krachte aus dem Himmel und als Tabari den Kopf drehte, sah er die Männer vor sich die Arme empor reißen und ihn abermals mit Zaubern bewerfen. Er gluckste. „Zu spät, ihr Idioten. Wolltet ihr dem Finger des Vater Himmel widersprechen?“

Damit riss er seine erhobene Hand hinab und schmetterte den Zerstörer mit aller Kraft allen Gegnern und Zaubern entgegen, die da waren, riss den ohnmächtigen Körper des ersten Mannes, den er niedergeschlagen hatte, mit dem Wirbelwind hoch in die Luft und warf ihn auf die zwei anderen herunter. Mit einem Krachen platzte die Erde vor seinen Füßen auf dank der Macht des Windmessers. Der Mann schloss die Augen und bat Mutter Erde um Vergebung für die verlorenen Lebensgeister und den zerstörten Boden, als der Zauber sich legte. Dann riss er sie wieder auf, als mit einem Mal der eine der Soldaten genau vor ihm aus dem Nichts auftauchte.

„Na, du hast den Windzauber überlebt?“ fragte der Blonde noch, dann riss der Gegner sein Schwert nach vorn und hätte ihn um ein Haar aufgespießt, hätte er sich nicht instinktiv zur Seite fallen lassen, so wurde nur sein Arm von der seltsamen Schwert mit der roten Klinge gestreift. Als Tabari zu Boden stürzte und sich im Gras durch den Schwung überschlug, hörte er das unschöne Geräusch eines aufgeschlitzten Halses hinter sich und drehte keuchend den Kopf. Da stand Meoran, in seiner Hand eine Kondorfeder, und der Körper des Krieges ging vor ihm leblos zu Boden. Mit ihm fiel sein verziertes Schwert mit der roten Klinge. Mit einem Mal war es still auf der weiten Aue vor Nosar. In der Ferne erklang noch immer das Trommeln aus Athash, dessen Mauern lichterloh brannten. Schwarzer Rauch vernebelte den Himmel der heraufziehenden Nacht.
 

„Du bist aber gnadenlos, Meoran,“ kommentierte Tabari verdutzt den geköpften Zuyyaner vor ihnen am Boden, als sein Kollege seine Kondorfeder einsteckte und seinen zerfetzten Umhang zurecht rückte.

„Ja, bitte, dass ich dir gerade die Haut gerettet habe,“ feixte er, „Scherz… ich weiß, das ist nicht lustig.“

„In der Tat,“ brummte der Herr der Geister, „Das tut weh, dabei war es bloß ein dummer Schnitt…“ Er fasste keuchend nach seinem stark blutenden Arm. In dem Moment kamen die anderen wieder zu ihnen, Keisha und die Kinder sahen ungesund bleich aus.

„Waren das alle?“ war Nalanis erste Frage.

„Waren die hinter uns her?“ addierte Ruja scheu. „Das wäre furchtbar… die müssen ja viele Männer haben, wenn sie gleich fünf entbehren, um eine kleine Reisegruppe zu erledigen!“

„Kleine Reisegruppe ist gut, wenn der Chef von denen die Leichen erst findet, sind wir schlimmer dran,“ erwiderte ihr Mann unverblümt. „Wenn er weiß, dass er Gegner hat, die seine Krieger töten können, wird er unruhig werden.“

„Der Chef?“ fiepte Leyya panisch, die sich an den zitternden und immer noch schwindelnden Puran klammerte.

„Der Kaiser, oder wer auch immer diesen Haufen anführt.“

„Es ist egal,“ meinte Nalani kaltherzig. „Sie haben uns angegriffen, wir haben sie getötet. Wir gehen weiter, rasch jetzt! Wenn wir diese Nacht Nosar erreichen, können wir uns verstecken, ehe der Kaiser oder Chef noch mehr hinter uns her schickt.“
 

Der Schimmer des Feuers in der Stadt leuchtete weit in die düstere Nacht hinaus und der kleinen Magiergruppe den Weg zum Gebirge, als sie sich beeilten, jetzt im Dunkeln über die Aue zu laufen. Da sie nicht mehr verfolgt wurden, konnten sie etwas langsamer machen, was vor allem Puran zu Gute kam, der sich insgeheim fragte, wieso er noch gehen konnte, während er an der Hand die kleine Leyya mit sich zog. Sie ließen die getöteten Verfolger im Gras zurück und hielten genau auf die Berge zu. Erst, als sie deren Fuß endlich erreicht hatten, sprachen sie wieder. Weit in der Ferne glühte das Feuer von Athash. Das Trommeln verhallte in der Nacht und ein kalter Wind fuhr auf, als die Menschen begannen, sich gegenseitig auf eine Reihe von Felsen zu ziehen und langsam in das Gebirge zu klettern.

„Es kommen keine solche Kerle mehr, oder?“ war Keishas erste Frage, ehe sie anfing, zu jammern: „Ach, Kletterei, Himmel hilf!“

„Ich bin zwar nicht der Himmel, ich helfe aber trotzdem ausnahmsweise mal…“ seufzte Meoran großzügig und ließ seine Mutter auf seinen Rücken klettern, „Aber wehe, du scheuchst mich herum, Muttchen, ich bin kein Packesel!“

„Zumindest kann ich niemanden sehen hinter uns,“ antwortete Nalani auf die Frage der Heilerin und spähte über die düstere Aue, die nur vom rötlichen Brennen in der Ferne erhellt wurde. „Wir sollten uns so weit wie möglich ins Innere der Berge vorkämpfen, vielleicht finden wir wieder eine Höhle, das wäre gut. In den Bergen werden sie nicht viel herum wühlen, sie werden denken, wir gehen weiter in die Provinz hinunter.“

„Ich dachte, das täten wir auch!“ entgegnete ihr Gatte verwundert, „Sollen wir in den Bergen bleiben?“

„Es ist sicherer als jede Stadt der Welt es gerade sein kann, glaube ich.“

„Aber wenn der Winter kommt, erfrieren wir hier oben!“ war Purans Ansage, „W-wie stellt ihr euch das vor?“ Nalani schnaubte und kletterte weiter hinauf. Sie entdecke einen kleinen Trampelpfad, der zwischen verdorrten Büschen entlang mitten in die Berge führte.

„Vielleicht haben wir Glück und die Aufregung hier im Osten hat sich gelegt, bis der Winter kommt,“ meinte sie im Gehen, „Kommt, rasch! – Mädchen, kannst du noch gehen?“ Letztere Frage galt Leyya, die erschöpft an Purans Hand hing und widerwillig einen Fuß vor den anderen setzte.

„Es geht noch, ja,“ murmelte sie nicht ganz überzeugend und senkte den Kopf, „Ich werde niemanden mehr belasten heute! Es reicht, dass Puran meinetwegen so fertig ist…“ Sie fühlte sich furchtbar. Seit der großen Flucht von zuvor hatte der Ältere kaum gesprochen, er atmete ungleichmäßig und seine Hand, die ihre hielt, war ganz verkrampft. Wäre sie doch nur nicht so ein Klotz am Bein! Onkel Turoni hatte immer recht gehabt, sie gehörte in den Fluss geworfen und ersäuft, damit sie niemanden mehr belastete…

Puran sah das anders.

„Ich bin nicht fertig, und schon zweimal nicht deinetwegen,“ sagte er grantig, „Du redest dir furchtbare Dinge ein, kleines Mädchen. Niemand gibt dir an irgendetwas eine Schuld, ich bin nur erleichtert, dass du gesund und lebendig bist! Alles andere ist mir völlig egal, hörst du? Jetzt marsch, geh voraus, damit ich dich auffangen kann, wenn du ausrutschst.“ Sie starrte ihn entsetzt an und er lächelte müde. Dann streichelte er ihr über die kalten Wangen und durch die dunkeln Haare, die ganz zottelig waren nach der Aufregung. „Hab keine Angst. Ich hab dir doch gesagt, ich würde… niemals zulassen, dass dir etwas zustößt, kleine Leyya. Pass gut auf dich auf, ja?“ Das Kind schluchzte vor Rührung und klammerte sich fester an seine Hand, bis er sich aus ihrem Griff befreite und sie sanft von hinten anschob, damit sie vorausging.
 

Der schmale Pfad schlängelte sich durch eine unschöne Geröllhalde, die die Menschen überquerten. Kleine Kiesel lösten sich vom Boden, auf dem sie gingen, und mitunter rutschten sie aus auf den rollenden Steinchen. Ein lautes Donnergrollen ließ sie kurzzeitig zusammenfahren, aber kein weiteres, unheilvolles Geräusch folgte dem Krachen aus dem Himmel.

„Vielleicht war es weiter weg,“ orakelte Tabari optimistisch, sah aber bestürzt hinauf in die Schwärze über ihnen. Keisha klammerte sich unwillkürlich fester an Meorans Schultern.

„Was immer es war, Hauptsache, es kommt nicht hierher, w-wir sollten uns beeilen!“

Und weiter ging die endlos erscheinende Wanderung durch das Geröll der Nosar-Berge. Bald verschwand der Pfad und sie kämpften sich zwischen mächtigen Felsen hindurch, wateten durch einen kleinen Bach und stiegen stetig bergauf. Irgendwann tauchte der Pfad wieder auf oder es war ein neuer, jedenfalls folgten sie ihm eine lange Zeit nach Osten und wanderten, bis die Nacht halb um war. Dann übermannte selbst die tapfere Nalani allmählich die Erschöpfung dank der vorherigen Flucht, und sie hielten schnaufend und stöhnend mitten in den Felsen an. Leyya sah neben sich einen toten Baum stehen, der da vor sich hin gewachsen war und jetzt keine Blätter mehr trug. Es war eine trostlose und karge Gegend, in der sie sich befanden.

„Wir rasten für heute,“ entscheid Tabari anstelle seiner Gemahlin und hob eine Hand, „Da drüben ist ein Vorsprung, unter dem sind wir geschützt vor Regen, falls welcher kommt. Oder Schnee, so kalt, wie es langsam wird.“

„Schnee im Holzmond?“ japste Leyya entsetzt. Meoran lachte.

„Na, freilich! Bei uns in Dokahsan hat es oft im Holzmond geschneit. Es hat sogar schon mal im Mond der Irrlichter geschneit, als ich klein war.“

„Wir sind aber nicht in Dokahsan, sondern in Kerhi-Uhl,“ bemerkte Puran nachdenklich, „Also viel weiter südlich, dass der Winter hier so früh einfällt, würde mich verwundern.“

„Mich verwundert langsam kaum noch etwas,“ seufzte der Lehrmeister, „Nicht in diesem Land, nicht in diesem abscheulichen Krieg.“
 

Sie ruhten unter dem Vorsprung, sofern sie zur Ruhe kamen. Sie wechselten sich damit ab, Wache zu halten; dass die Zuyyaner direkt hinter ihnen her gewesen waren, obwohl sie fernab der Straße gewandert waren, hatte ihnen einen gehörigen Schrecken eingejagt. Wer wusste, ob noch mehr von ihnen kämen? Aber die Nacht blieb still und ebenso die folgenden Tage, die sie im Gebirge verbrachten. Sie beschlossen, vorerst in den Bergen zu bleiben. Der Pass, den die Hauptstraße nach Osten über die Berge nahm, war weiter nördlich, sie fühlten sich einigermaßen sicher zwischen den zerklüfteten Felsen. Während sie sich von dem Schrecken erholten, gab es genug anderes, was sie beunruhigte.

„Das ist äußerst verwunderlich!“ entrüstete Keisha sich und fingerte nervös an Tabaris Oberarm herum. Der Blonde stöhnte.

„Das tut weh, mach das doch sanfter! Was ist denn so verwunderlich, du alte Hexe, ich finde es verwunderlich, dass mein Arm noch dran ist!“

„Ich kann den Schnitt nicht heilen, Tabari,“ war die Antwort der Frau und der Geisterjäger verdrehte die Augen.

„Dann lass es die Kleine probieren, vielleicht kann – wie, Moment, wieso kannst du das nicht?“ Er sah sie verblüfft an, dann auf seinen Oberarm, den das Schwert des Zuyyaners vor einigen Tagen gestreift hatte. Die Wunde war ein wenig von selbst verheilt, schmerzte aber immer noch unangenehm.

„Ich weiß nicht…“ Keisha sah besorgt auf die Wunde, „Es ist zwar keine schwere Wunde, aber… aber was ich auch versuche, nichts zeigt Wirkung! Lira nicht, was dafür durchaus reichen müsste, und auch keine komplizierteren Zauber. Das verwundert mich, bin ich so alt?“

„Du bist nicht mal fünfzig,“ sagte der Mann verdrossen, „Was bedeutet das?“ Wenn sie nicht mehr heilen könnte… das wäre furchtbar!

Nalani mischte sich ein.

„Ich glaube, es liegt nicht an Keisha, sondern an der Waffe, die dich getroffen hat. Es war eine zuyyanische Waffe, die sind vielleicht anders. Ich habe damals, als ich über die Zuyyaner nachgeforscht habe, alte Aufzeichnungen von vor vielen Jahrhunderten gefunden über die Waffen, die sie tragen.“

„Tatsache?“ fragte Keisha verwirrt. Der Mann blinzelte.

„Manche Zuyyaner tragen spezielle Waffen, sowas wie Magiemedien, mit denen sie auch zaubern können. Die Klingen solcher Waffen sind aus anderem Material als unsere, wenn man von ihnen verletzt wird, kommt unsere Heilermagie dagegen vielleicht nicht an; so, wie mein Wasser gegen das Zuyyanerfeuer nicht ankommt.“ Das war beunruhigend und die beiden sahen sich an. Keisha jammerte.

„Was machen wir denn?! Diese Zuyyaner haben uns alles Mögliche voraus, wie sollen wir jemals gegen sie ankommen?!“

„Wir können sie nicht mit elementaren Reihefolgen schlagen, aber wir haben andere Stärken als sie,“ meinte Nalani, „Mein Wasser nützt mir nichts gegen ihr Feuer, aber vor dem Schatten Kadhúrems haben sie gekniet auf der Aue. Wenn uns die Elemente wenig nützen, werden wir auf anderes zurückgreifen müssen. Und wie wir gesehen haben, sind sie aus Fleisch und Blut und können sterben wie jeder andere Mensch.“

„Wie ungemütlich,“ stöhnte Tabari und rieb sich den Arm, ehe er die Heilerin ansah, „Ich glaube, das Heilen sparen wir uns jetzt, offenbar führt das zu nichts. Danke trotzdem, Keisha. Wo ist eigentlich deine Nachwuchs-Heilerin?“ Er sah sich um – da erblickte er Leyya schon selbst. Sie kam mit Puran einen Felsen herab geklettert und war erstaunlich flink darin. Die Kinder waren ganz aufgeregt.

„Wir haben eine Höhle gefunden!“ berichtete das Mädchen stolz, „Nicht weit von hier, und sie ist unbewohnt! Wir können da hoch ziehen, da sind wir geschützt vor dem Wetter und die Zuyyaner werden sie sicher auch nicht finden!“

„Was denn?“ Tabari grinste, „Das klingt ja großartig.“

„Noch mehr Klettern?!“ heulte Keisha, und Meoran schnaufte.

„Ich muss dich doch sowieso wieder tragen, du faule Tante!“ Neben ihm tauchte seine Frau auf und sie strahlte die beiden Jüngsten an.

„Eine Höhle? Ist ja wundervoll, wo müssen wir hin?“ Puran errötete gegen seinen Willen, als sie ihn direkt ansah, und grinste trotzdem, als er mit Leyyas ständigem Nicken und Zustimmen erklärte, wohin sie gegangen waren und wo sie die potentielle Behausung entdeckt hatten. Irgendwie war es komisch, mit Ruja zu sprechen, aber trotzdem tat er es gerne…

Nalani stieß ihren Mann in die Rippen, der aufgestanden war.

„Es war sicher Wille der Geister, dass wir die kleine Leyya gefunden haben, denke ich,“ sagte sie leise, und ihr Mann brummte verwirrt.

„Weil sie unser neues Daheim gefunden hat?“

„Ach, Unsinn… ich meine Puran. Sie hängt an ihm wie eine kleine Klette, und er kümmert sich um sie. Ich habe ein gutes Gefühl, wenn ich sie sehe, und sieh dir die zwei doch an… das Mädchen ist gut für ihn. Ihre Gegenwart scheint es ihm leichter zu machen, Cholenas Tod zu verkraften, das war ein harter Schlag für ihn. Dann der ganze Ärger mit den Visionen, nach denen sein Körper sich immer noch weigert, zu gehorchen… die Kleine tut ihm richtig gut, ich halte es für eine gute Sache.“ Der Blonde seufzte kurz und senkte dann das Gesicht etwas, ehe Puran merken konnte, dass beide Eltern ihn ansahen.

„Du siehst immer Dinge, die ich nicht sehe, Nalani,“ behauptete er, „Wenn du das sagst, wird es wohl so sein. Das mit Cholena hat mir so leid getan, sie hatten sich so lieb und… sie wäre doch eine gute Frau für ihn gewesen.“

„Offenbar haben die Himmelsgeister das anders gesehen,“ entgegnete die Schwarzhaarige langsam, ohne den Blick von Puran und Leyya zu wenden, die immer noch von der Höhle erzählten, „Sonst hätten sie Cholena nicht sterben lassen.“
 

Die neue Behausung, die die Kinder ausfindig gemacht hatten, war gut. Sie führte ein gutes Stück in den Berg hinein und schützte damit gut vor Kälte und Wind. Noch am selben Tag zogen sie in die Höhle um und errichteten dort ihr provisorisches neues Zuhause. Und für eine Weile schienen das Trommeln des Krieges und das Feuer der Zuyyaner wie für immer verstummt, während die kleine Gruppe in den Nosar-Bergen wohnte. In der Nähe ihrer Unterkunft wuchsen ein paar verkrüppelte Sträucher und sogar zwei kleine Laubbäumchen, die ihr Blätterkleid nach und nach abwarfen, je länger die Menschen im Gebirge lebten. Abgeschieden von der Zivilisation und dem Krieg kamen sie alle ein wenig zur Ruhe, bis der Winter über das Land kam.

Die Überlegung, im Winter die Berge zu verlassen, wurde einstimmig abgelehnt. Das Gebirge war sicher und die Höhle geschützt, sie hatten den Eingang mit einem Gatter aus Holzzweigen und darüber gespannten Tierfellen verbarrikadiert, um die eisige Kälte von draußen fern zu halten. In der kalten Jahreszeit verließen sie kaum die Höhle, nur, wenn es sein musste. Wasser war immer vorhanden dank des Wasserzaubers Alara, und dank Tabaris und Purans Jagdkünsten hatten sie auch ein paar Trinkgefäße aus den Hörnern der Gämsen machen können, die sie erlegt hatten. Der Winter eignete sich hervorragend für das Anlegen von größeren Vorräten, die in der Kälte in kleinen Vorratsgruben im Boden gefroren und so nicht schlecht werden konnten. Nicht nur Fleisch- und Fettvorräte, sondern auch kleine Bündel aus Heilkräutern, die Keisha gemeinsam mit dem kleinen Mädchen in den Bergen gesammelt hatte, wurden darin aufbewahrt.

In den Bergen schneite es viel. Noch mehr als in Dokahsan, stellte Puran verblüfft fest, der seine Heimatprovinz vor Beginn des Unheils nie verlassen hatte. Überdies kam er selten dazu, sich über die Landschaft zu wundern, er hatte genug anderes im Kopf. Viel seiner Zeit beanspruchte das kleine Mädchen, das Tag und Nacht kaum von seiner Seite wich und ihn am liebsten überall hin begleitete. Er war erstaunt darüber, dass er ihre ständige Anwesenheit und ihr Geklette nicht als lästig empfand. Der Junge hatte sie gerne bei sich und duldete ihre Anwesenheit an sich immer. Wenn er nicht gerade mit seinem Vater auf die Jagd ging, beschäftigte er sich mit Leyya, weil es die Kleine so unheimlich zu freuen schien, wenn er ihr Aufmerksamkeit schenkte. Nachts kuschelte sich das Kind oft an ihn, und jetzt im Winter konnten sie sich gegenseitig wärmen, wenn sie so miteinander kuschelten. Irrsinnigerweise half ihm das Kuscheln mit der Kleinen sogar dabei, sich mehr und mehr von den beunruhigenden Gedanken an die hübsche Ruja zu lösen. Wenn Leyya bei ihm schlief, dachte er nie an Ruja und träumte auch keine unartigen Sachen von Meorans Frau; die kleine Heilerin war wirklich eine Heilerin, in seinem Fall eher unbewusst und eine seelische.

Was sie nicht heilen konnte, weder bewusst noch unbewusst, waren die Geisterträume, die ihn immer wieder heimsuchten. Bisweilen zwar selten, aber sie kehrten immer wieder zurück in seinen Geist, um ihn um den Schlaf zu bringen. Und seit langem einmal wieder träumte Puran in einer der letzten Winternächte von der komischen weißen Spirale, die jetzt im Todesfeuer tanzte und ihn auslachte.

„Was wirst du tun, Lyra? Davonrennen, so wie du es immer getan hast? Was wirst du tun ohne deinen Vati, der dir den Wind zu Füßen legt, ohne deine Mutti, die jeden in den Schatten wirft, der es wagt, ihr Baby anzugreifen…? Du kannst nicht weglaufen, Lyra, dieses Mal nicht. Es liegt dir selbst im Blut… nicht wahr?“ So kicherte die Spirale und tanzte durch einen brennenden Himmel und eine blutige Erde voller Tod und Verderben. In der Ferne dröhnten die Trommeln, als das Bild vor Purans Augen verschwamm.
 

Er fuhr unwillkürlich zusammen, als er erwachte, und presste dabei aus Versehen die kleine Leyya fest an sich, sodass sie auch aufwachte.

„Was ist passiert?“ wollte sie bestürzt wissen, und Puran löste sich hustend von ihr und kehrte ihr den Rücken, als ein grauenhaftes Panikgefühl in ihm aufstieg gemeinsam mit dem furchtbaren Schwindelgefühl. „P-Puran?“ fragte das Kind weiter und fasste ihn vorsichtig an der Schulter.

„Nicht,“ stöhnte er und brachte nicht mehr heraus. Leyya zog besorgt die Brauen hoch.

„Wieder so ein Traum?“

„Sie… kommen immer d-dann, wenn ich es nicht haben will… das heißt, eigentlich will ich es selten… das geht vorüber… schlaf weiter.“

„Ich kann nicht,“ flüsterte sie bestürzt, „Kann ich dir nicht helfen? Du wirst immer so schlimm krank, wenn das öfter kommt…“ Puran lachte bitter. Ja, krank… sie nannte es krank, weil er kaum geradeaus gehen konnte und sich übergeben musste, wenn er zu oft Bilder sah, er kam sich selber vor, als hätte er zu viel Alkohol getrunken; dabei gab es gar keinen Alkohol in den Nosar-Bergen. Es gab gar nichts… es war Krieg.

Als er sich ein wenig beruhigt hatte und das furchtbare Gefühl abflaute, das er immer bekam, wenn er von der Spirale träumte, drehte Puran sich wieder zu der Kleinen um und seufzte tief.

„Schon gut. Gräm dich bitte nicht um meinetwillen, Leyyachen. Mir geht es gut, ich… bin nur aufgewühlt.“ Er setzte sich langsam auf und sah in Richtung des Höhleneingangs. Seiner instinktiven Schätzung zu Folge ging die Sonne gerade auf. Es fiel durch das Gatter kein Licht in die Höhle und das Feuer war erloschen, er sah nur die Umrisse der anderen, die irgendwo neben ihnen schliefen und sich nicht regten. Leyya setzte sich jetzt auch auf und zog die Decke fester um sich, als sie fröstelte. Ohne ihn an ihrer Seite, an den sie sich kuscheln konnte, war ihr plötzlich kalt…

„Wohin willst du?“ wisperte sie traurig, als Puran über den Boden zum Gatter zu krabbeln begann.

„Raus, ich brauche frische Luft. Bleib drinnen, du holst dir sonst den Tod… ich bin gleich zurück, keine Angst.“
 

Der Schnee begann schon, zu schmelzen. Puran sah sogar vereinzelte Grashalme durch die weiße Schneedecke sprießen, als er oben auf dem Dach der Höhle zwischen den Felsen stand und nach Norden blickte. Der Himmel grummelte, war aber nicht bösartig von feurigem Licht oder Schatten erfüllt. Die Luft war kalt, aber nicht unangenehm, und eine Weile stand der Junge einfach nur da und starrte gen Norden. Er hörte Schritte hinter sich und drehte den Kopf; Nalani kam zu ihm.

„Du bist aufgewacht? Tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe, Mutter.“

„Hast du nicht, ich war vor dir wach,“ war die nüchterne Antwort. Sie machte eine Pause, während sie neben ihren Sohn trat und ebenfalls nach Norden sah. „Du siehst sie auch… die Knochenspiralen, nicht wahr? Und sie bereiten dir Unbehagen, ebenso wie mir selbst.“

Puran starrte sie an.

„Du… du siehst sie auch?“ Warum sagte die das jetzt erst? Doch seine Mutter würde ihm die Frage nicht beantworten, sie drehte nur langsam den Kopf nach Nordwesten und blinzelte. „Was sollen sie, Mutter?“ fragte Puran dumpf weiter, „Ich sehe sie schon seit ich in Tuhuli die Lehre gemacht habe, ich verstehe nur ihre Bedeutung nicht.“ Nalani seufzte.

„Nun… du wirst sie anders sehen als ich, weil wir beide unterschiedliches Empfinden im Bezug auf die Visionen der Zukunft haben. Aber ich spüre genau wie du ein merkwürdiges, tiefes Unwohlsein… irgendetwas in mir versucht sich an irgendetwas Wichtiges zu erinnern, ich weiß nur nicht, an was…“ Das war beunruhigend. Puran senkte den Kopf und Nalani starrte weiter geradeaus, als ihr mit einem Mal wie ein Splitter einer Erinnerung der alte Stammbaum im Schloss vor Augen kam. Das Blatt, auf das Tabari die Tinte gekippt hatte, und den einen Namen, den diese verschont hatte.

Ulan.

Woran versuch ich mich zu erinnern…? Ulan… warum fühlt sich alles in mir schlecht an, wenn ich an diesen Namen denke?

Ein dumpfes, weit entferntes Beben unterbrach die Gedanken der beiden Magier und abrupt wendeten sich beide wieder nach Norden. Die Berge erzitterten leicht zu ihren Füßen.

„Mutter! W-was ist das?! Stürzt die Höhle ein?!“ keuchte der Junge entsetzt und strauchelte schon, Nalani hielt ihn am Arm fest.

„Hör auf deine Instinkte,“ war ihre kalte Anweisung. „Was sagen sie dir, Puran? Lerne, erst deinen eigenen Geist zu fragen, bevor du mich fragst… du wirst mich nicht immer bei dir haben, um dir antworten zu können.“ Nach dieser entsetzenden, aber wahren Aussage starrte er sie zunächst hilfesuchend an, folgte dann aber dem befehl und versuchte, nach seinen Instinkten zu suchen… die erstaunlicherweise keine Panik schoben.

„Die Zuyyaner rücken nach Osten vor…“ hörte er sich zu Nalani sagen, die nichts erwiderte. „Sie kommen zum Pass von Nosar oben im Norden… es war wirklich eine weise Entscheidung, hier zu bleiben im Winter, glaube ich!“

„Das glaubst nicht nur du,“ war Mutters Kommentar und sie strich sich kurz durch die schwarzen Haare. Sie und auch die anderen Frauen hatten ihre langen Haare abgeschnitten, da sie in freier Wildbahn nur im Weg waren und schwer zu pflegen. Niemand von ihnen konnte jetzt lange Zeit mit Haarpflege verbringen, so reichten Nalanis einst so lange, gewellte Haare gerade noch über ihre Schulterblätter. „Was immer im Norden passiert, wir sind fernab davon und hier in Sicherheit.“
 

Da hatte die Frau recht. Sie hatten es verhältnismäßig gut in ihrer kleinen Höhle und der Winter zog an ihnen vorbei, ohne bleibende Schäden zu hinterlassen. Als der Schnee verschwunden war, kehrte der Frühling in die Nosar-Berge und auch in die kleine Behausung der Gruppe ein. Das Grollen des Himmels war verstummt und die Menschen freuten sich, nicht mehr den ganzen Tag in der düsteren Höhle verbringen zu müssen; sie konnten die ersten warmen Sonnenstrahlen genießen und es kam auch neues, junges Wild in den Bergen, das sie jagen konnten. Nicht zu viel; immer nur so viel, wie sie zum Überleben brauchten, um die Tiergeister nicht zu beleidigen.

Ein unerwartetes Problem wurde ihnen erst bewusst, als der Frühling schon halb vorbei war und der Sommer näher kam.

„Was ist denn da drüben los?“ wunderte sich Puran und spähte zum kleinen Vorplatz der Höhle, auf dem sich seine Eltern, Meoran und Ruja befanden und über irgendetwas ziemlich Wichtiges zu diskutieren schienen. Vor dem Jungen im kargen Gras zwischen ein paar Felsen hockten Keisha und Leyya, die gemeinsam heilende Kräuter zum Trocknen auslegten, während die alte Frau dem Kind beibrachte, welche Pflanze wofür gut war.

„Hm?“ machte Leyya auch verwundert und blickte herüber, „Ist was passiert?“

„Vielleicht sollten wir lieber nachsehen…“ Puran räusperte sich und schnappte seinen Speer, den er aus Knochen gebaut hatte im Winter, ehe er samt der Frau und dem Mädchen zur angeregten Versammlung herüber eilte.

„Habe ich mich verhört?“ keuchte Tabari gerade und starrte dabei auf seinen Kollegen und dessen Frau, „Dass wir das noch erleben dürfen, habe ich ja nicht zu hoffen gewagt…“

„Und der Zeitpunkt hätte nicht ungünstiger sein können, ihr dummen Trottel,“ schimpfte Nalani, „Wie stellt ihr euch das vor?“

„Jetzt macht mal halblang, ich schäme mich so schon genug!“ jammerte Meoran errötend, „Es ist nicht so, dass das beabsichtigt war-… zumindest nicht jetzt und hier, Nalani, glaub mir! Ich wünsche mir durchaus einen schöneren Geburtsort für mein erstes Kind als die Berge von Nosar!“

Puran fiel aus allen Wolken.

„Kind?!“ fiepte er mit vor Schreck höherer Stimme, „D-du meinst, Ruja ist schwanger?!“ Er blickte seine frühere Flamme verblüfft an. Die hübsche Telepathin strich über ihren noch flachen Bauch, als auch auf ihre Wangen ein leichter Rotschimmer kroch – allerdings nicht vor Scham, sondern vor Freude.

„Ich weiß, Nalani, dass es dir und den anderen nur Ärger macht und dass es nicht gut ist, so im Krieg… aber ich freue mich so wahnsinnig über meine Schwangerschaft, i-ich habe geglaubt, ich wäre unfähig, eine gute Gemahlin für meinen Mann zu sein! Bitte sei nicht zornig… ich werde die volle Verantwortung für alles tragen, ich werde mich kümmern und ich verspreche euch, keine Belastung zu sein!“

„Schönerer Geburtsort?“ feixte Tabari an Meoran gewendet, „Ist doch herrlich hier, die Vögel zwitschern, die Sonne lacht – wobei, bis euer Baby kommt, ist der nächste Winter da, bis dahin vergeht viel Zeit!“ Meoran hustete nur verlegen. Verdammt, er hätte besser aufpassen sollen… er schielte zu seiner vor Glück strahlenden Frau, seiner süßen Ruja, die er so liebte. Er hatte genau wie sie schon lange den Gedanken aufgegeben, jemals ein Kind in ihren bauch zu pflanzen; dass es jetzt plötzlich doch passiert war, war eine sehr merkwürdige Laune der Geister, am unpassendsten Ort in der unpassendsten Zeit der Welt. Er war stolz, dass er plötzlich unverhofft Vater werden würde, und freute sich einerseits sehr über diese Neuigkeit, die Ruja ihm zunächst am Morgen heimlich mitgeteilt hatte; aber es gab so viele Probleme! Sie konnten doch nicht ewig hier bleiben, ein Kind konnte hier nicht geboren werden oder aufwachsen… und falls die Zuyyaner kämen und sie fliehen müssten und Ruja einen dicken bauch hätte oder ein Baby in einer Trage… er wollte gar nicht daran denken.

„Versteht mich nicht falsch,“ meinte Nalani, „Ich freue mich auch für euch beide… eigentlich sollte es die schönste Nachricht der Welt für ein Paar sein, dass die Frau ein Baby erwartet… aber ihr wisst, was damit für eine Verantwortung auf uns allen lastet. Ruja, das gilt nicht nur für dich. Deine Bürde in allen Ehren, aber wir alle stecken da mit drin. Du glaubst doch nicht, dass wir euch hängen lassen, wenn ihr Hilfe braucht! Es wird keine leichte zeit sein, vor allem nicht für euer Kind… aber sagen wir mal so, wir haben ja keine Wahl. Es ist jetzt in deinem Bauch, dann wird es dort wachsen.“

„Wir könnten es immer noch wegmachen…“ nuschelte Meoran kleinlaut, überzeugte aber absolut nicht davon, dass er das wirklich tun könnte. Tabari schnaufte.

„Hier werden keine Babys weggemacht! Erst recht nicht, wo ihr zwei seit Jahren probiert und probiert! Wir werden das schon irgendwie hinbiegen, oder nicht, Königin der Königinnen, Nalanichen?“ Er grinste seine Frau an, die ihre Augen verengte.

Nalanichen, so kommst du angekrochen?“ brummte sie, „Ich habe verstanden, Zuckerpopo.“ Der Blonde schnappte errötend nach Luft und zischte entsetzt „Zuckerpopo?!“, während Ruja darüber kicherte und die Geisterjägerin sich an sie wandte. „Wir werden wohl keine Wahl haben, wie ich sagte. Vergib meine unschöne Reaktion, ich… sorge mich nur um die Sicherheit der ganzen Gruppe, und es wird mit einem baby sehr schwer werden. Wenn wir still sein müssen, wie willst du deinem Kind verbieten, zu schreien, falls es Hunger bekommt? Wer trägt dich durch die berge mit deinem Kugelbauch in wenigen Monden?“ Die Telepathin verneigte sich lächelnd.

„Ich werde das hinbekommen, versprochen! Bitte sorgt euch nicht um uns… es wird ein gutes, gesundes Kind sein, ich kann das spüren! Endlich ein Erbe für den Chimalis-Clan, es wird gut sein!“

„Ja, das wird es!“ rief Keisha, die sich einmischte, und sie umarmte erst Ruja, dann ihren Sohn, und strahlte wie ein Honigkuchenpferd. „Ich habe ja auch schon gar nicht mehr gehofft, je Großmutter zu werden! Wie wunderschön!“

„Ja, ich finde auch, dass es wunderschön ist!“ stimmte Leyya fröhlich mit ein, „Ein kleines Baby wird bald geboren werden, das ist doch die schönste Nachricht der Welt, oder?“ Sie strahlte die Fast-Eltern an und Meoran räusperte sich, jetzt etwas ermutigter, während die Schwangere liebevoll lächelte. Alle Blicke wandten sich auf die kleine Heilerin und Leyya errötete ebenfalls vor Freude. „Wir… wir werden eine große Familie sein, oder?“ Sie blickte zu Puran, der neben ihr stand und kein weiteres Wort herausgebracht hatte.

Ruja bekam ein Kind… das war eine erstaunliche Sache, fand er. Er konnte sie sich mit dickem Bauch gar nicht vorstellen… andererseits band es sie noch fester als vorher an ihren Mann und war für den Jungen ein guter Anlass, den erregenden Träumen von der hübschen Frau endgültig den Rücken zu kehren. Bald würde sie Mutter von Meorans Kind sein, und sie würde eine wunderbare Mutter sein, das wusste er instinktiv, als ihn ihr lieb lächelnder Blick traf. Er lächelte auch und verneigte sich höflich.

„Ja, das werden wir,“ sagte er, um Leyya zu bestätigen, und nahm die Kleine dabei an die Hand, „Alles Gute, Meister Meoran, Ruja.“
 


 

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jah, goil xD sicher letztes Kapi 2009 xDD Euch halbem Dutzend Lesern frohe Weihnachten und einen guten Rutsch xD

~April 977 am Ende des kapis^^. Die 'Kosenamen' in der letzten Szene gehen auf Kimis Konto, sozusagen. Und ja, Kimi, du hattest recht, aber es hieß trotzdem nicht einfach 'Ja' ú///ù. Ansonsten, ultimatives Nichts-passiert!-Kapi #5484392625.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Kimiko93
2010-01-14T20:47:41+00:00 14.01.2010 21:47
Hmpfh. Was auch sonst, ey. Und wieder Sieg für mich. Doppelter Sieg. Haha.

Ich versteh immer noch nicht, wieso genau die Zuyyaner das machen, warum es in ganz Dokahsan offenbar nur sechs Überlebende mit funktionierendem Hirn gibt und was genau Puranchen mit den Zuyyanern angestellt hat. Windmesser? Zerstörer? Ach, egal.

Leyyachen ist echt süß. Und hat so'n bisschen was von Klein-Sukutai. Hach ja, good times...

Und Saidah ist unterwegs, hurra, einself. Eine weitere Schwangerschaft, bei der ich Buch führen kann, wie oft da schon was hätte schief laufen müssen. Hatte ich schon fast vermisst.

Und mit dieser ganzen Puran-Leyya-Sache schießt du dir gerade selbst ins Knie. Jaah, lass sie ruhig erstmal Geschwister sein. Macht das ganze auch nicht noch anrüchiger, als es sowieso schon ist.
Eeew.
Von:  Decken-Diebin
2009-12-23T21:28:14+00:00 23.12.2009 22:28
Saidahchen <3 Es ist irgendwie schön mitzubekommen, wie alle Charaktere nach und nach auf die Welt kommen ^___^
Aber Puran und Leyya sind ja auch Zucker. Ich mein, momentan verhalten sie sich ja noch ein bisschen wie Geschwister, ist verständlich, Leyya ist ja noch so jung, aber sie mögen sich total <3
Apropos Zucker. Zuckerpopo - wie kommt man auf sowas? xDDD Zu geil xD
LG, Hina
Von:  -Izumi-
2009-12-23T01:27:11+00:00 23.12.2009 02:27
*hat sich leider tot gelacht*
Zuckerpopo!!!!!!!!!!
XDDDDD
Ich kann nicht mehr, ich werd nicht mehr... ich bin fertig, OMG!
Ich will jetzt überhaupt nicht weiter nachdenken, wie sie auf diesen Namen kommt.... X___x
Ähm... also, weiter im Text.
Leyya ist echt süß, Puran auch.
Die haben sich irgendwie ja schon von anfang an lieb, sehr niedlich ^////^
Und... awww, Ruja bekommt eine kleine Saidah ^O^
<333
Sehr süß das alles.
Hm... ja, Zuyyaner sind Penner.
Meine Haustiere kamen vor ^///^
Und hatten noch nicht einmal Sprechrollen, na geil...
Wenn noch mehr Haustiere kommen, lässt du sie dann mal was randomes sagen? XDD
Ich bin grad unkreativ, sorry o___o
Ich weiß nix mehr, dieser Zuckerpopo hat alles, was ich dir schreiben wollte aus meinem Hirn gelöscht XDD

Btw. wtf, wer schaltet zu dieser Zeit FF's? óô


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