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Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde

von

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Seelen im Wind

Als Leyya die Neuigkeiten verbreitete, war die Freude im Bekanntenkreis groß. Tabari freute sich wie ein kleines Kind und verbrachte den Rest des Tages damit, abwechselnd Meoran und Tare Kohdar zu schütteln und ihnen immer wieder zu erzählen, dass er vermutlich noch in diesem Jahr Großvater würde. Während die beiden Männer Tabaris Freude teilten und es als willkommene Erheiterung in ihrem vergangenen Verlust ansahen, piekte Neron Shai seiner immer noch Verlobten in den Bauch.

„Wieso bist du eigentlich noch nicht schwanger, Saja?“

„Weil du ein Hornochse bist, mein Guter…“, war die Antwort der blonden Frau und sie schob empört seine Hand von ihrem Bauch. Die kleine Saidah freute sich tierisch.

„Leyyachen bekommt bald ein Baby!“, johlte sie und rannte dabei lachend und kichernd durch den Salon, im Slalom um alle Erwachsenen herum und wild mit den Ärmchen rudernd. Inzwischen war sie vier. „Dann kann ich mit ihm spielen! Darf ich es wiegen, zudecken und füttern? Ja?“

„Es muss doch erst mal auf die Welt kommen, Dummerchen.“, machte ihr Vater glucksend, als das Mädchen gegen seine Beine rannte und sich johlend an ihm festhielt. Leyya kicherte über ihre Freude. Ja, es wäre gut für Saidah, einen Spielgefährten zu bekommen; sie hatte hier keine anderen Kinder zum Spielen, höchstens mal Kinder der Bediensteten im Schloss, die sich aber offensichtlich eher etwas gruselten vor der hübschen, klugen Saidah. Saidah war eine kleine Schwarzmagierin, und sie war es mit Haut und Haaren. Man sah es nicht äußerlich, jedes nichtmagische Kind konnte genauso schwarze, lange Haare und blaue Augen haben; es war mehr ein Gefühl, das es deutlich machte, wenn man mit ihr sprach oder sie ansah. Auch, wenn die Kleine noch nicht in Worte fassen konnte, was mit ihr geschah, so war allen klar, dass ihre Sehensgabe sehr groß und mächtig sein musste; sie war eben eine Erbin des altehrwürdigen Chimalis-Clans.

Puran nutzte den frohen Moment, um sich mit seiner Mutter zu versöhnen; zu seiner Freude war sie es, die sich zuerst entschuldigte, bevor er zum Sprechen angesetzt hatte.

„Ich war ungerecht zu dir.“, behauptete sie dumpf und senkte den Kopf, als er vor ihr stand. „Ich kann dir nicht erklären, was… mit mir passiert ist, als wir uns damals bei Sonnenaufgang gestritten haben. Es ist… eine Intuition gewesen, die mir sagte, was ich in diesem Traum sehen soll…“

„Schon gut, mir tut es auch leid. Ich… war nicht wirklich mondelang böse auf dich, ich… ach, Mutter, lass uns das angehen wie erwachsene Menschen. Wir sind verschiedener Meinung; es mag ein schwerwiegender Unterschied sein, für welche Deutung wir uns entscheiden, aber wir sollten die Kraft haben, es mit erhobenem Kopf zu tragen. Ich bin bereit, die Konsequenzen auf mich zu nehmen, wenn ich zulasse, dass Leyya dieses Kind austrägt; ich brächte es doch nie übers Herz, es ihr zu verbieten. Es ist neues Leben und… es wird das Kind von mir und meiner geliebten Frau sein. Es sollte nicht Grund zum Streit sein, sondern Grund zur Freude… denke ich.“ Er lächelte kurz und verneigte sich vor ihr, und sie sagte nichts, sondern umarmte ihn nur schweigend, das Gesicht in seiner Schulter vergrabend. Verdutzt über die emotionale Reaktion, die er so gar nicht von ihr kannte, brauchte er etwas, um ihre liebevolle Umarmung zu erwidern. Wenn sie ihn umarmte, fühlte er sich immer wieder wie ein Kind… es tat gut, der Verantwortung des Erwachsenenlebens für einen Moment zu entfliehen.

„Ich bin so unendlich stolz auf dich, Puran.“, versetzte sie leise und er lächelte, während er hinter sie in den Raum sah und feststellte, dass die anderen alle in andere Gespräche vertieft waren. Seine Mutter hasste es, vor anderen Emotionen zu zeigen… „Du bist so erwachsen geworden und… irgendwie schmerzt es mich immer noch, wenn ich wieder merke, dass du nicht mehr mein kleiner Junge bist, der ohne es zu hinterfragen tut was ich sage und zu mir aufsieht… du hast deinen eigenen Geist. Und das ist gut so! Jetzt… wirst du Vater… und ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du auch ein so wunderbares Kind bekommst wie ich es habe.“ Er lächelte.

„Du dumme Frau.“, tadelte er sie sanft, „Egal, was zwischen uns stehen mag, ich werde im Herzen immer dein kleiner Junge bleiben. Das weißt du doch… ich liebe dich doch, Mutter.“ Nalani sagte nichts, aber er wusste, dass sie seine Worte in Gedanken mit größter Hingabe erwiderte.
 

Es war an einem Morgen kurz vor dem Vollmond des Kälbermondes, als Puran von wildem Geschrei draußen plötzlich geweckt wurde. Entsetzt fuhr er aus dem Bett hoch und starrte zum Fenster, während Leyya neben ihm gähnte und sich auf den noch flachen Bauch drehte, wobei die Decke von ihrem nackten Körper rutschte.

„Was ist denn jetzt…?“, seufzte sie, „Ist etwas passiert…?“

„Da draußen im Hof ist irgendein Aufruhr.“, stellte der Mann besorgt fest, und Leyya schenkte ihm einen sehnsüchtigen Blick, als er sich erhob und sich rasch anzuziehen begann. Sie setzte sich auf.

„Musst du jetzt weg?“, fragte sie maulig, „Ich würde viel lieber noch weiter mit dir kuscheln… oder vielleicht auch mehr machen…“

„Ich weiß, vergib mir. Nachher ist etwas Wichtiges passiert, da wäre es mir peinlich, wegen sowas alles verpasst zu haben.“

„Du magst es doch sonst vor dem Aufstehen immer so gerne.“, behauptete sie und kicherte dabei, sich durch die langen, dunklen Haare fahrend. „Kommst du denn zurück, wenn du geguckt hast, was los ist? Ich warte dann solange hier auf dich…“ Er grinste sie an und wollte gerade etwas erwidern, da klopfte es an die Schlafzimmertür; aber als Puran noch den Kopf drehte, flog sie auch schon auf und herein schob sich Tabaris Kopf. Leyya machte ein entsetztes Geräusch und bedeckte ihren entblößten Oberkörper.

„Huch!“, machte der Herr der Geister kurz, schüttelte aber schnell alle Verlegenheit ab. „Entschuldigt – Puran, rasch, komm runter, wir haben einen sehr eigenartigen Besucher bekommen!“ Der Jüngere schnaufte.

„So, und wer findet sich so wichtig, so kurz nach Morgengrauen hier anzutanzen?!“

„Es ist ein Bote des zuyyanischen Kaisers…“
 

Diese Faszination wollte sogar Leyya sehen, die sich ebenfalls schnell Kleidung überwarf, ehe sie zu dritt das Zimmer verließen. Im Hof direkt beim Eingang zum Palast hatten Wachen des Königs den Kundschafter in Ketten gelegt, sicherheitshalber, und so stand der uniformierte Mann jetzt in der Mitte des Hofes, umringt von Schaulustigen. Als die drei Könige kamen, machten die Leute artig Platz. Irgendwo am Rand versammelten sich auch die Geisterjäger und Puran hielt seine Frau vor sich fest, damit sie aus sicherer Entfernung sehen konnte, was geschah.

Der zuyyanische Botschafter machte ein gezwungen gefasstes Gesicht und linste unruhig nach allen Seiten, von denen er angestarrt wurde. Er hatte feuerrote Haare; bei Zuyyanern waren eigenartige Haar- und Augenfarben nicht unüblich, hieß es.

„Na ja, aber er könnte auch aus Kuyala kommen, die Leute in Kuyala haben auch rote Haare, obwohl sie keine Zuyyaner sind.“, behauptete Neron Shai großkotzig, „Vielleicht so ein Kollaborateur. Wir sollten ihn hängen.“

„Lassen wir ihn doch erst mal sagen, was er sagen will…“ Meoran schlug dem vorlauten Kerl gegen den Hinterkopf und Neron jammerte. „Wenn es uns missfällt, können wir ihn immer noch hängen.“ Die Stimme des Königs unterbrach die angeregte Diskussion auf dem Hof.

„Sprecht, Wachen!“, verlangte er nämlich, „Was ist das für ein Vogel?“

„Er kam mit dem Sonnenaufgang zum Nordtor, ganz allein, und bat um eine Audienz.“, erklärte der Soldat, der den Kerl zum Palast gebracht hatte. „Wir haben ihn durchsucht, er kam unbewaffnet. Sicherheitshalber haben wir ihn eingekettet, Majestät, damit er nicht versucht, wegzurennen oder gar zu zaubern…“

„Gute Arbeit. – Dann sag, was du zu sagen hast, Botschafter von Zuyya!“ Der König warf dem seltsamen Typen einen scharfen Blick zu. „Dein Gebieter schickt also eine Nachricht für uns?“

„Ich habe eine Botschaft von meinem Herrn, dem durchlauchten Kaiser des zuyyanischen Imperiums.“, erzählte er in perfekt gesprochener Dreiweltensprache. „Ich habe das Pergament in meiner Tasche, leider komme ich nicht heran, weil man mich eingekettet hat.“

„Wache, holt das Pergament!“, forderte der König. Ein Raunen ging durch die Menge und die Menschen tauschten verblüffte Blicke, als einer der Soldaten eine ordentlich verzierte und vergoldete Pergamentrolle hervorzog und sie dem König überreichte. Er öffnete sie seinem Herrscher gutmütig und der König von Kisara guckte verdutzt. „Was ist das denn für ein Kauderwelsch da?! Das kann ich nicht lesen!“ Der Zuyyaner schien ein Lachen zu unterdrücken in Anbetracht seiner Situation und sprach:

„Das hätte mich auch beeindruckt, wenn Ihr das gekonnt hättet, natürlich sind es Schriftzeichen der Zuyya. Wenn mir jemand das Papier vor die Nase hält, lese ich vor, mit Eurer Erlaubnis.“ Der König zuckte mit den Achseln.

„Was bleibt mir anderes übrig…“ So befahl er einem der Soldaten, dem Mann das Pergament vor das Gesicht zu halten. Der las vor:

„Wie lange soll es noch weitergehen mit dem Hin und her? Ich gestehe, ihr wehrt euch tapfer, Männer von Tharr. Tapferer, als ich angenommen hatte, und meine Geduld neigt sich dem Ende. So werde ich nicht länger hier sitzen und warten, sondern die Dinge eigenständig in die Hand nehmen. Ich habe mir Gedanken gemacht; dieses Land ist durchaus ein gutes Land und eure Männer sind tüchtig. Obwohl das ursprünglich nicht mein Anliegen hier war, werde ich euch Tharranern einen Vorschlag machen, der das alles ohne weiteres Blutvergießen beenden könnte. Ich ziehe meine Streitmacht augenblicklich zurück unter der Bedingung, dass Kisara ohne Einschränkungen unter mein Regime fällt. Es wird damit automatisch eine Kolonie des Imperiums der Zuyya. Ich verweise nur einmal auf die Großzügigkeit meines Angebotes; nehmt ihr es an, Tharraner, wird keiner von euch hier mehr sterben. Schlagt ihr es jedoch aus, wird meine Armee mit dem nächsten Morgenrot die Mauern von Vialla endgültig niederreißen und in Schutt und Asche legen, was auch nur zu einem Hauch von euch jemals erbaut worden ist. Es wird nicht länger hirnlose Kompromisse geben und ich werde mich nicht eher zurückziehen als Vialla gefallen ist. Und es wäre schade um die Stadt, oder nicht?“

Das war alles, was der Botschafter vorlas, und auf seine Worte herrschte Grabesstille auf dem Hof. Dann brach plötzlich lauter Protest aus den Reihen der Leute aus. Sie schrien und schimpften oder jammerten vor Panik, bis der König endlich die Hände erhob und zum Schweigen gebot.

„Ruhe!“, brüllte er dabei und fixierte den Kundschafter mit giftigem Blick. „Mit anderen Worten, dieser Brief ist nichts anderes als eine Drohung?! Wir… sollen uns ergeben oder sterben? Eine – wie war das? – zuyyanische Kolonie werden? Hat dein Herr wirklich geglaubt, es wäre so einfach?!“

„Ich fasse das so auf, dass Ihr das Angebot ablehnt?“, war die trockene Gegenfrage und der König von Kisara schnaubte.

„Kolonie!“, brüllte er, „Pah! Ich sage, die Männer in Kisara sterben lieber heldenhaft, als Sklaven von euch Bastarden zu sein! Ihr fallt über uns her, schlachtet Massen von Menschen und denkt dann, wir würden uns friedlich ergeben?!“ Er erhielt zustimmendes Brüllen aus den Zuschauerreihen und die Geisterjäger sahen sich kurz an. Tabari schloss kurz die Augen und seufzte tief.

„Das… ist also das Ende der Belagerung. Das bedeutet… morgen bei Sonnenaufgang wird sich dieser Krieg endlich entscheiden.“ Leyya schauderte in Purans Armen. Das klang schlimm… das gefiel ihr gar nicht.

„Zu lange haben wir uns hier hinhalten lassen!“, rief der König da zornig, „Der Kaiser sagt, er macht keine Kompromisse! Dann machen wir auch keine… wir werden Vialla bis zum letzten Mann verteidigen, bis zum letzten Tropfen Blut, der uns bleibt!“ Das Volk grölte zustimmend. „Dieses Land ist ein freies Land, ein Land Tharrs, niemals wird es eine Kolonie werden! Mit Blut wurde das Reich einst zusammengeschmiedet, jetzt wird es mit diesem Blut verteidigt werden, wenn es sein muss!“ Wieder Grölen, dann wandte sich der König unerwartet an den Rat der Schwarzmagier. Sein Blick galt vor allem Tabari, der ehrfürchtig den Kopf neigte. „Was sagt Ihr, Herr der Geister? Was geschieht mit diesen Scharlatanen?“ Alle Augen richteten sich jetzt auf den Blonden und Tabari räusperte sich, bevor er ein paar Schritte vortrat. Die Menschen vor ihm machten ihm brav Platz, bis er vor dem Zuyyaner und den Wachen stand, die noch immer das Pergament hielten.

„Gib mir das, Soldat.“, befahl er grob und verlangte nach dem Papier, das ihm sogleich gegeben wurde. Der rothaarige Kundschafter fixierte Tabari aus verengten Augenschlitzen, als der das Pergament vor ihn hoch hielt, den Arm dabei weit von sich streckend. Plötzlich war es still und ungläubig starrten alle gebannt auf die Konfrontation der beiden Männer. Der Zuyyaner schrumpfte unter Tabaris Blick richtig zusammen; dann sprach der Blonde.

„Wenn eure Männer morgen früh hier ankommen…“ Das gesagt ließ er das Pergament in seiner Hand ohne eine einzige Bewegung mit bloßer Geisteskraft in Flammen aufgehen; der Kundschafter weitete die Augen stumm, ebenso wie manch anderer, als der Herr der Geister den Kopf hob und die brennenden Teile des Briefes zu Boden fallen ließ, wo sie jämmerlich vor sich hin qualmten. Er fuhr fort. „Dann werden sie brennen.“
 

Damit war es beschlossen. Die Aufregung hinter den Mauern von Vialla war groß, als der Gesandte des zuyyanischen Kaisers zurückgeschickt wurde, um seinem Herrn zu berichten. Zweifelsohne würden die beiden Heere am nächsten Sonnenaufgang aufeinander treffen, und das Gefühl, dass diese eine Schlacht so manches entscheiden würde, drückte den Menschen schwer aufs Gemüt. Sofort ging es ans Aufrüsten und Rekrutieren; jeder Mann, der fähig war, eine Waffe zu tragen, wurde jetzt Teil der Armee. Viele waren noch sehr jung oder schon sehr alt. Und obwohl die Furcht über der Stadt hing, gemeinsam mit dem düsteren Schatten, der sie alle bedrohte, waren die Soldaten entschlossen, ihr Bestes zu geben und bis zum letzten Mann zu kämpfen, wenn es sein musste. Sie würden keine zuyyanische Kolonie sein!

Sie waren Tharraner und dafür würden sie kämpfen.
 

Tabari stand auf dem kleinen Balkon, der an seinem Zimmer war, das er mit seiner Frau teilte. An die Brüstung gelehnt sah er schweigend nach Westen ins Gesicht der untergehenden Sonne. Wie eine blutrote Feuerkugel schob sie sich Stück für Stück über den Horizont, um bald dahinter verschwunden zu sein und die Menschen mit den Schatten alleine zu lassen. Es war ein klammes, ungutes Gefühl, das den Mann jetzt überkam; vielleicht lag es an der heraufziehenden Kälte der Nacht… er konnte es nicht genau sagen.

„Geister von Himmel und Erde…“, murmelte er und schloss dabei andächtig die Augen, als er die Hände auf die Brüstung legte und spürte, wie die höchsten Geister zu ihm kamen und ihm zuhörten. „Sprecht, sind wir nicht alle eure Kinder? Ist dieses Land nicht eure Heimat genauso wie unsere? Dann steht uns morgen bei, Geister von Himmel und Erde… sorgt dafür, dass eure Kinder wieder in Frieden leben können. Vielleicht ist es ja dann vorbei…“ Er sagte nichts weiter und sah schweigend wieder nach Westen, wo die Sonne jetzt fast ganz untergegangen war. Die Geister zischten und wisperten in seinem Kopf. Es waren beunruhigende Klänge… es war wie ein eigenartig wissendes Gefühl, eine Ahnung, die er nicht benennen konnte. Obwohl sie düster war, hatte er keine Furcht…

Er hob den Kopf, als er Schritte hinter sich hörte und wie seine Frau sich hinter ihn stellte. Das Wispern der Stimmen aus der Geisterwelt verstummte, als Nalani sprach.

„Das war waghalsig von dir. Du hast den zuyyanischen Kaiser ziemlich provoziert, als du das Pergament verbrannt hast.“

„Was hätte ich sonst tun sollen?“, fragte er und drehte sich jetzt zu ihr um. „Mich unterwerfen?“

„Du hättest es etwas… diskreter angehen können.“, murmelte sie und er schwieg, als sie den Kopf senkte. „Ich habe Befürchtungen… Stimmen im Schatten, die zu mir von Unheil und Verderben sprechen.“

„Die haben wir alle.“, meinte er mit einem wohlwollenden Grinsen, obwohl sie ihn weiterhin nicht ansah. Schließlich, als sie nichts entgegnete, stieß er sich von der Brüstung ab, schritt an ihr vorbei und hinein ins Zimmer. „Du verstehst nicht viel von Kriegsführung, denke ich.“, fuhr er dann ernster fort. „Mein Vater hat mir davon viel beigebracht, als ich ein Junge war. Es geht nicht um die Provokation, Nalani, und auch nicht um mich, sondern um die Soldaten, die uns dienen. So zu sprechen provoziert vielleicht den Feind, aber es stärkt den Kampfgeist und das Selbstvertrauen unserer Männer, und das ist unglaublich wichtig in diesem Moment. Sie sollen wissen, dass wir zu dem stehen, was wir behaupten, und zwar mit Leib und Seele. Sie sollen sehen, dass sie keine Gnade zeigen sollen, denn die Zuyyaner werden wohl kaum welche für uns übrig haben. Sie sollen spüren, dass diese Feinde trotz ihrer gewaltigen Übermacht besiegbar sind! Zuyyaner sind keine Geister, sie sind Menschen aus Fleisch und Blut, genau wie wir. Und eines haben wir ihnen ganz klar voraus… wir haben Seelen. Bei den willenlosen Marionetten des größenwahnsinnigen Kaisers bin ich mir da nie sicher.“

Die Frau seufzte, als sie ebenfalls wieder ins Zimmer kam und die Balkontür hinter sich schloss und verriegelte. Dann zog sie die Vorhänge zu und folgte ihm ins Schlafzimmer.

„Und dennoch… ist mein Geist im Inneren unruhig, Tabari…“, gestand sie dann dumpf, als beide auf ihrer Seite des großen Bettes standen, sich einander den Rücken kehrten und sich auszuziehen begannen. Ihr Mann sah über die Schulter zu ihr hin und beobachtete, wie ihr Kleid von ihrem schlanken Körper rutschte, das sie geöffnet hatte. Seine Augen verfolgten jeden Zoll ihrer blassen, weichen Haut, den sie jetzt entblößte, und er grinste, als er sich an die alten Zeiten erinnerte, in denen sie ihn nicht an ihren hübschen Körper herangelassen hatte; damals hatte er sich gehütet, sie öfter so intensiv anzusehen, weil er genau gewusst hatte, dass es ihn nur zur Verzweiflung treiben würde, wenn er sie nackt sah und dann die Gewissheit hatte, sie nicht besitzen zu können.

Besessen hatte er sie nie… aber er sich an dem Tag, an dem er sich von seinem verrückten Vater abgewandt hatte, auch von dem Gedanken abgewandt, Männer müssten eine Frau besitzen. Das war nicht nötig… und Tabari hatte nie bedauert, Nalani nicht besitzen zu können.
 

Sie wechselten keine Worte mehr, als sie ins Bett kletterten und erst schweigend dalagen. Dann rollte Tabari sich seufzend auf die Seite zu seiner Frau und umarmte ihren nackten Körper zärtlich, sie dichter an sich heran ziehend.

„Hast du Angst, meine Königin?“, murmelte er gegen ihren Nacken, ehe er sich vorbeugte und ihren Hals küsste. Nalani schloss die Augen und seufzte leise, als sie spürte, wie seine Hände über ihren Bauch hinauf glitten und wie sie ihre Brüste erfassten, um sie erst sanft, dann etwas energischer zu drücken.

„Nicht vor der Schlacht…“, antwortete sie, „Nur vor der Zukunft. Was wird aus uns allen werden, Tabari?“ Zu ihrer Verblüffung war seine Antwort zunächst nur ein amüsiertes Lachen. Als sie sich empört zu ihm herumdrehen ließ und ihrerseits die Arme um seinen Hals legte, um ihren Unterleib gegen seinen bereits harten Mannknochen zu pressen, grinste er sie an.

„Eines Tages werden wir alle Staub und Luft sein, Nalani. Früher oder später… in sofern… spielt es doch keine Rolle und wir sollten die Zeit, die wir in dieser Welt haben, für… weltliche Dinge nutzen, oder?“

Sie wusste nicht genau, was es war, aber etwas war anders in dieser Nacht, als sie miteinander schliefen und sie sich leise stöhnend an seinen Oberkörper klammerte. Und es war nicht die Tatsache, dass er ausnahmsweise mal oben war. Vielleicht lag es am drohenden Schatten… Nalani sah keuchend an die düstere Decke des Zimmers, während sie die Hüften anhob und sich in heftiger Ekstase an ihren Mann presste, als er den Kopf zu ihrem herab senkte und sie unsanft in den Hals biss.

Sagt mir, Himmelsgeister… was ist es, das mich so nervös macht? Was ist es, das ich tief in meinem Inneren… schon so lange fürchte und das mit jedem Tag, den ich hier bin, schlimmer und heftiger wird…?

Doch die Geister schwiegen sie an, und die Frau schloss bebend die Augen, als sie das Gefühl hatte, die Mächte der Schöpfung würden sie in Grund und Boden starren wollen. Sie starrten nur von oben herab auf die Sterblichen und sagten kein Wort… aber sie wussten genau die Antworten auf alle Fragen.

Sadistische Bastarde…

Dann riss sie ihre blauen Augen wieder auf in dem Moment, in dem er ein letztes Mal zustieß und sie spürte, wie die altbekannte Hitze sie erfasste und in Richtung des schwarzen, unheilschwangeren Himmels zu tragen versuchte. Es war heftiger als sonst; wilder und ungezügelter, als sie laut Tabaris Namen in den dunklen Raum schrie und sich dabei an ihn klammerte wie an einen einzelnen Felsen inmitten von tosenden Wellen. Tabari keuchte über ihr, ergriffen von ihrer heftigen Reaktion, und mit einem Zischen warf er sich wieder über sie in dem Moment, in dem er sich in ihr ergoss. Sie hörte ihn an ihrer Schläfe heftig ausatmen und schloss die Augen wiederum, um das Gefühl des Höhepunktes zu genießen, das sie bis in die Tiefen ihres Geistes erschütterte.

Als er sich von seiner Frau herunter rollte und sich stöhnend neben sie ins Bett sinken ließ, drehte sie sich zu ihm herum und ließ zu, dass er einen Arm um sie legte wie um ein Kind, das er beschützen wollte.

„Die Geister schweigen…“, seufzte sie nach einer langen Pause, in der sie wieder zu Atem kamen und den Moment genossen, nach ihrer heftigen Vereinigung einfach nur beieinander liegen zu können. Tabari seufzte auf und fuhr sich mit der Hand, die nicht Nalanis Schulter streichelte, durch die blonden Haarsträhnen.

„Ich wünschte, sie täten es.“, war seine Ansage und die Frau hob verwundert das Gesicht, doch er sah sie nicht an, sondern starrte verdrossen an die Zimmerdecke. Erst, als Nalanis Hand langsam begann, seine nackte Brust zu streicheln und mit den Fingern seine Rippen nachzufahren, fuhr er fort, und seine Stimme hatte sich verändert. Sie klang dumpf und melancholisch, etwas, was Nalani gar nicht gewohnt war. „Manchmal höre… ich sie nachts rufen… die Geister der Männer, die ich in diesem Krieg getötet habe. All die… Väter, Brüder, Söhne, Onkel, Neffen und Ehemänner, sie stehen da hinter… dem Schleier aus Dunkelheit, der die Welt der Geister von der unseren trennt.“ Nalani hielt mit ihren Bewegungen auf seinem Oberkörper inne, als er sie vorsichtig dichter an sich heranzog und murmelnd weitersprach. „Sie rufen meinen Namen und sagen… Willkommen daheim.“
 

Vor einem blutroten Himmel und der wie ein zerstörerischer Feuerball im Osten aufgehenden Sonne versammelte sich die Armee von Kisara gemeinsam mit der Artillerie aus Intario und den Reitern aus Senjo bei den Toren der Stadt Vialla. Die Krieger waren in mehrere Gruppen geteilt worden und die Magier als beste Widersacher der zuyyanischen Eindringlinge hatten jeder das Kommando für eine dieser Abteilungen. Gütigerweise hatten sie von Senjos König Pferde gestellt bekommen, auf denen sie jetzt saßen, die schwarzen Umhänge bedeckten den halben Rücken der Tiere, die sie beritten. Es wehte kein Wind, als der König von Kisara gerüstet neben Tabari an der Spitze der Armee stand, hinter ihm der Träger mit dem Banner Kisaras, das schlaff an der Stange hing.

„Sie kommen.“, war Tabaris knappe Ansage, ohne dass er den König oder sonst jemanden ansah, als in der Ferne die Trommeln ertönten, die ihnen schon in Dokahsan durch Mark und Bein gegangen waren.

Die Trommeln des Krieges, die ihnen allen einen qualvollen Tod ankündigen wollten.

Der König zog die Schultern hoch und keuchte tonlos.

„Wir müssen standhaft bleiben, egal, was immer alles über die Hügel kommen mag!“, erklärte er scharf, „Wir dürfen nicht nachgeben… sie werden brennen, Ihr habt es auch gesagt, Herr Lyra.“ Tabari sagte zunächst nichts.

„Das habe ich. Und ich werde dafür sorgen, dass sie das tun… in Stücken, wenn es sein muss.“ Mit diesen Worten hob er die Arme gen Himmel und das war das Zeichen für den Monarchen, sein Pferd herumzuzerren und sein Schwert aus dem Gürtel zu ziehen, als er seiner Armada gegenüber stand.

„Männer!“, brüllte er laut und deutlich, während das Trommeln in der Ferne lauter wurde und immer näher kam, als der Wind auffuhr und die Umhänge und Banner empor wehte. Hinter den Hügeln tauchten die ersten Lanzen auf, dann die ersten Helme, die in der glutroten Sonne glänzten, die sich über den Horizont schob. „Männer aus Kisara! Männer aus Intario! Männer aus Senjo!“, fuhr der König fort und riss dabei seine Waffe in die Luft, sodass sich die rötlichen Sonnenstrahlen daran brachen. „Söhne von Tharr! So ziehen wir in diese entscheidende, vielleicht letzte Schlacht! Denkt immer daran, für was ihr kämpft! Ihr kämpft nicht für mich… nicht für einen Mann, oder für drei, ihr kämpft für dieses Land, eure Heimat! Unsere Welt, die wir bis zum letzten Mann zu verteidigen wissen werden!“ Er erntete tosendes Grölen aus den Reihen der Krieger, und Tabari grinste in sich hinein, als er an seine Worte zu Nalani über das Anfachen des Kriegsgeistes dachte.

Ja, sie sollten kämpfen um Leben und Tod. Er würde es auch tun, und er würde es mit dem Stolz seiner Ahnen tun.

Was würdest du sagen, Vater, würdest du das hier erleben? Fragte er sich und hob das Gesicht gen Himmel, um die rötlichen Wolken zu betrachten, die von der Sonne bestrahlt wurden. Du warst der Patriarch, der Tyrann, der das ganze Land Dokahsan in Angst und Schrecken versetzen konnte… ich frage mich, ob die Zuyyaner dich gefürchtet hätten.

„Für den Tod!“, brüllte der König gerade, der sein Pferd wieder herumdrehte und jetzt der heranziehenden Armee entgegen stierte, die über die Hügel gekommen war und jetzt anhielt, die Waffen zückte, bereit zu töten. An der Spitze der zuyyanischen Streitmacht stand jetzt ein verziertes, gerüstetes Ross, auf ihm saß ein noch mehr verzierter, ebenfalls gerüsteter Mann. Er hielt ein Banner mit einem verschnörkelten, zuyyanischen Emblem in der Hand und rammte die Stange jetzt symbolisch in den Erdboden neben sich, als ihn der Blick der Gegner aus Vialla traf.

„Der Kaiser.“, murmelte Tabari, als der König die Augen weitete, „So einen Hochmut besitzt nicht mal ein General von denen. Wurde auch Zeit, dass sich der Herrscher dieser Truppen mal persönlich auf dem Schlachtfeld zeigt und nicht immer die Soldaten die Arbeit machen lässt. Noch bevor die Sonne untergeht…“ Damit riss Tabari seine Arme nach vorne und mit einem mächtigen Windstoß aus seinen Händen dröhnte der Himmel über ihnen, die Zuyyaner rührten sich nicht von der Stelle. „…wird sein Kopf rollen, Majestät!“

Der König erwiderte den Blick des Herrn der Geister, nickte mit dem Kopf und riss sein Schwert abermals in die Höhe, als er die Zügel seines Pferdes anzog und es wiehernd stieg.

„Für Kisara!“, brüllte er, und die Krieger hinter und neben ihm grölten auch und zogen die Waffen ebenfalls empor. „Für Tharr! Vernichtet sie und lasst keinen am Leben!“

Mit diesem Schlachtruf stürzte sich das Heer auf die ebenfalls wieder vorrückenden Zuyyaner.
 

Es gab ein lautes Krachen, das von Himmel und Erde zugleich zu kommen schien, als die Armeen aufeinander prallten, im selben Moment noch begannen gleißende Blitze, Wirbel aus Feuer, Eissplittern und purer Macht durch die Luft zu fegen. Wie zwei tosende Wellen krachten die Fronten aneinander, mit einem ohrenbetäubenden Dröhnen trafen sich die zuyyanischen und tharranischen Zauber und schmetterten diverse Leute, die dummerweise dazwischen standen, zu Boden oder zerrissen sie in der Luft. Klingen von Schwertern und Spitzen von gefährlichen Spießen blitzten im Licht der aufgehenden Sonne, bald waren sie alle von Blut besudelt. Das Grölen der Krieger erfüllte die morgendliche Luft und das hysterische Schreien derjenigen, die bereits getroffen oder zu Boden gerissen worden waren, wo sie jetzt ihre Köpfe oder Gliedmaßen verloren.

„Vernichtet sie alle! Lasst nicht zu, dass sie unser Land einnehmen! Das hier ist Tharr, es wird niemals Teil des zuyyanischen Imperiums sein!“, tönte irgendwo im Getümmel die laute Stimme des Königs von Kisara, ihr folgte ein donnerndes Krachen, dass entweder von irgendeinem Zauber oder einem Artilleriegeschoss ausgehen musste. Puran fuhr keuchend herum und riss sein Pferd zur Seite, als ein greller Flammenstrahl haarscharf an ihm vorbei sauste und hinter ihm mit einem weiteren Knallen in die schon malträtierte Erde einschlug.

„Vergib uns, Mutter Erde, dass wir deine Haut so massakrieren.“, stöhnte der Schamane nur, zog die Zügel abermals herum und riss das Geisterschwert hoch, das er in der Hand trug, um damit herannahende zuyyanische Krieger von sich fern zu halten. Röchelnd stürzten die Männer blutend zu Boden, als die Klinge aus purer Magie ihre Rüstungen durchbohrte wie ein Stück weiche Butter. Aber Puran hatte keine Zeit, zu triumphieren, denn da kamen von links schon die nächsten, gewaltigen Flammen der Feinde auf ihn zu. Er japste und duckte sich gerade noch rechtzeitig, gab dem Tier die Sporen und es sprang nach vorn, dabei riss es drei weitere Zuyyaner zu Boden und trampelte über sie hinweg. Als wieder ein Schwall Feuer auf ihn zukam, riss Puran rein instinktiv die freie Hand ohne Schwert hoch und schleuderte den Flammen eine Klinge aus Windmagie entgegen, die den Zauber zurückschmetterte. Kurz darauf schrie der zuyyanische Soldat auf und wurde von seinem eigenen Feuerzauber getötet. Als er es hinter sich plötzlich schreien hörte, fuhr Puran abermals herum und sah auch Männer der eigenen Armee zu Boden gehen. Neben ihm ging ein Mann in Flammen auf; dann riss ein weiteres Grollen aus dem sich wieder verfinsternden Himmel den jungen Mann wieder aus seiner Starre. Als er nach oben blickte und die schwarzen Nebel aus Schatten sah, die herab kamen, um sich auf die feindlichen Krieger zu stürzen, hielt er unwillkürlich hektisch Ausschau nach seiner Mutter; wo war sie jetzt? Wo waren die anderen vom Rat?

Er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, wenn er hier lebendig rauskommen wollte, fiel ihm ein, als plötzlich ehe er dazu kam, richtig zu reagieren, ein ganzer Pfeilhagel aus Eissplittern von vorne auf ihn und das Pferd zugeschleudert wurde. Puran riss keuchend die Augen auf und riss reflexartig beide Arme nach vorne; ein instinktiver Windstoß aus seinen Händen hielt die meisten der Splitter ab, aber einige streiften seine Wange oder zerrissen Teile seines schwarzen Umhangs. Das Pferd stieg plötzlich und wieherte panisch, weil es getroffen worden war, und der Reiter schnappte entsetzt nach den Zügeln und riss es herum; mit einem Hieb seines blitzenden Schwertes schlug er zwei Männer zu Boden, die versuchten, das Pferd anzugreifen, und als er wieder nach links sah und das Reittier gerade einen weiteren Krieger zu Boden trampelte, kam der nächste Feuerschlag auf ihn zu. Er riss noch das Schwert herum, um mit der Macht der Geister das tödliche Feuer abzufangen, aber die Magie der Zuyyaner war jetzt zu stark. Als er spürte, wie der Zauber krachend auf die Klinge des Geisterschwertes donnerte, wurde er von der Macht seines Gegners zurückgeschleudert. Er fiel vom Pferd, das arme Tier wurde von den Flammen erfasste und rannte panisch wiehernd umher, dem sicheren Tod entgegen.

„Verdammt, was für eine Barbarei!“, schimpfte Puran hysterisch und rappelte sich schleunigst vom Boden auf, während er mit den Augen verfolgte, wie das brennende Pferd von den blutrünstigen Zuyyanern niedergemetzelt wurde. Sein Kopf schmerzte nach dem Sturz und er fuhr mehr zufällig rechtzeitig herum, als ein weiterer Zuyyaner mit einem Speer nach ihm stieß. Ein Schlag seines Schwertes blockte den Speer gerade noch ab und verhinderte so, dass er aufgespießt werden konnte, dann riss er die Waffe abermals herum und stach den Angreifer damit zu Boden, wo er mit einem gurgelnden Röcheln verendete.

Ein Donnern ließ die Erde zu seinen Füßen erzittern und warf ihn beinahe abermals zu Boden, während von vorne wieder ein Feuerschlag kam, der ihn nur sehr knapp verfehlte. Als Puran keuchend wieder auf die Beine kam und mit einem Krachen aus dem Himmel sein Geisterschwert herum riss, um die Reste der Flammen ins Nichts zu schlagen, erkannte er in knapper Entfernung vor sich den blonden General wieder, den er schon auf dem Hochland bei Aughot gegenüber gestanden hatte.

„So trifft man sich wieder.“, sagte der Zuyyaner in einwandfrei gesprochener Dreiweltensprache. „Bei uns heißt es, im Leben sieht man sich immer zweimal.“

„Gut, dann wäre das ja auch das letzte Mal für Euch!“, entgegnete Puran kaltherzig und hob sein Schwert, während über ihnen der pechschwarze Himmel grollte und die Erde unter ihnen erzitterte, als beide Männer einander gegenüber standen.

„Das denkst du, Sohn des Herrn der Geister.“, entgegnete der Ältere ungläubig, und Puran zischte und schlug mit dem Geisterschwert nach dem Mann, der den Schlag aber gekonnt mit seinem eigenen Schwert parierte. Ein grelles Blitzen umschlang die glühende Klinge der magischen Waffe, als sie auf die des Zuyyaners traf, und das Klirren war ein unschönes Geräusch.

„Ich… habe keine Angst vor euch, Zuyyaner!“, zischte der Schamane nur erbost, und er schlug abermals nach dem Kerl, der aber herumwirbelte und dem Angriff gekonnt auswich. Kurz darauf musste Puran selbst zurückspringen, weil das Schwert des Generals ihn beinahe enthauptet hätte. Mit einem zornigen Zischen riss er seine Waffe nach vorne und schleuderte damit ein gewaltiges Windmesser auf seinen Gegner. Der Zuyyaner ließ sich instinktiv zur Seite fallen, um der tödlichen Klinge aus Magie zu entkommen, und riss eine Hand vom Heft seines Schwertes, um damit einen weiteren Stoß Flammen auf den jüngeren Mann zu schleudern. Als der Windzauber und das Feuer aufeinander trafen, gab es ein lautes Krachen und die entstehende Druckwelle der Explosion beider Zauber schmetterte Puran wieder zurück auf die Erde. Ehe er sich hätte aufrappeln können, war der zuyyanische Heerführer wieder über ihm und schlug mit dem Schwert nach ihm; instinktiv riss der Jüngere den Schwertarm hoch und parierte den Angriff mit dem blitzenden Geisterschwert. Mit der freien Hand schleuderte er ein weiteres Windmesser nach dem Angreifer, sodass der zurückweichen musste und Puran Zeit bekam, sich schnell wieder aufzurappeln. Kaum stand er, kam schon wieder das Schwert des Generals auf ihn zu und er musste zur Seite hechten, weil er seine eigene Waffe nicht schnell genug hochreißen konnte.

Verdammt, ist der schnell…

Er warf einen Blick auf das Geisterschwert und dann in den schwarzen Himmel, während er noch einen Satz rückwärts machte und der zuyyanische General vor ihm zum Stehen kam.

„Du bist doch noch ein halber Knabe…“, brummte der Blonde dann und verengte die blauen Augen zu schmalen Schlitzen. „Du magst talentiert sein, aber so talentiert, dass ich mich fürchten müsste, bist du nicht. Und ich frage mich, was Katari mir sagen will, wenn ich dich… in der Zukunft sehe.“ Mit diesen Worten ließ er sein Schwert sinken und hob die eine Hand, um darin die schimmernde Seelenkugel erscheinen zu lassen. Puran keuchte und hob alarmiert sein Schwert; das war nicht gut. Diese Kugeln, die die Zuyyaner besaßen, waren gefährliche Waffen, hatte er gelernt…

Er musste schneller sein als sein Gegner; das war die einzige Chance, die er hatte, dachte er in dem einen Moment, und er riss das Geisterschwert mit einem Donnern von oben nach vorne, schlug nach der Hand mit der tödlichen Seelenkugel – aber ehe er sie hätte erreichen können, obwohl er sich blitzschnell bewegt hatte, spürte er wie damals bei Aughot die unsichtbare Druckwelle, die ihn überrollte, als der Zuyyaner die Hand nur ein kleines Stückchen anhob; eine Druckwelle, die ihn wieder zu Boden zwang, wo er sich keuchend auf allen Vieren an der aufgerissenen, mit Blut besudelten Erde abstützte. Plötzlich durchfuhr seinen Leib ein unangenehmer Schmerz, obwohl er keine beängstigende Wunde eingesteckt hatte, und als er hustete und Blut aus seinem Mund tropfte, hob er bebend den Kopf wieder. Es fiel ihm schwer, gegen die Übermacht der Seelenkugel anzukämpfen; sie kämpfte, ohne dass der Gegner sich bewegte. Der General stand nur da mit ausgestrecktem Arm und zwang ihn scheinbar mit bloßen Blicken auf die Erde nieder. Nein… es war die Kugel, die seinen Willen angriff, ihn herunter drückte und verhindern wollte, dass er jemals wieder aufstand.

Puran schnappte keuchend nach Luft, als er das Gefühl bekam, der Himmel würde ihn herab drücken mit aller Macht, die er hatte, und Mutter Erde zog ihn mit derselben Macht in ihren Schoß, um ihn festzuhalten und nie wieder ans Tageslicht zu lassen… es war ein grauenhaftes Gefühl, und ihm entrann ein weiteres Keuchen gefolgt von blutigem Husten, als er zitternd immer dichter an den Boden gedrückt zu werden schien.

Nein! zischte er innerlich wütend und kämpfte stärker dagegen an, Hört mich an, Geister von Mutter Erde! Ihr dürft jetzt nicht… nachgeben! Ich darf… nicht nachgeben!

„Fall tot um.“, befahlen die Geister des Himmels scheinbar in seinem Kopf und er wusste instinktiv, dass es nicht der Himmel war, der ihm befahl, sondern die Seelenkugel des Zuyyaners.

„Ich… werde nicht tot umfallen!“, zischte Puran dagegen an und schüttelte heftig den Kopf, ehe er die Finger in die lockere Erde unter sich krallte und spürte, wie sie bebte. „Ich… werde leben… für meine Frau und… mein ungeborenes Kind… für… dieses Land unter diesem Himmel und dieser Erde!“ Dann riss er den Kopf empor und stierte den Zuyyaner vor sich direkt an, der stumm die Augen weitete – er hatte keine Zeit mehr zu reagieren, denn plötzlich erzitterte die Erde direkt unter ihm so stark, dass sie entzwei brach und ein Graben entstand. Der General schnappte nach Luft, ließ seine Kugel verschwinden und sprang rechtzeitig zurück, um nicht in den Erdspalt zu stürzen.

„Was zum…?!“, keuchte er dabei, „Du solltest nicht mehr selbstständig denken können! Wieso kannst du dann zaubern?“ Er erwartete nicht wirklich eine Antwort, denn die Erde bebte erneut und er keuchte und stolperte jetzt doch zu Boden; im selben Moment war Puran wieder auf den Beinen, weil die Macht der Kugel jetzt vorbei war.

„Du kämpfst von mir aus mit deiner Seele… ich kämpfe mit den Seelen von Himmel und Erde.“, antwortete der Jüngere barsch, „Das ist der Grund, Zuyyaner!“ Mit diesen Worten schlug er abermals mit dem Schwert nach dem Gegner, während der Himmel über ihnen grollte.
 

Nalani drehte japsend den Kopf herum, als sie das Donnern der Himmelsgeister über sich hörte und ihre Macht spürte, sodass sie erzitterte.

„Puran!“, keuchte sie in der aufkommenden Panik, ihrem Sohn würde irgendwo im Getümmel irgendetwas zustoßen, doch sie kam nicht dazu, in die Richtung zu rennen, in der sie ihn instinktiv vermutete, denn diverse Gegner stürzten sich in diesem Moment grölend auf die einzige Frau des ganzen Schlachtfeldes zu, die Waffen voran. Ehe Nalani hätte reagieren und sie abblocken können, wurden die Männer von einem gezielten Windstoß erfasst und brutal zurück geschleudert, dabei zerfetzte die Windmagie ihre vom Helm nicht verborgenen Gesichter auf unschöne Weise. Blutend und schreiend stürzten die Männer zu Boden und Nalani konnte sie einen Moment nur fassungslos anstarren, ehe sie am Oberarm gepackt und zurück gerissen wurde.

„Puran wird schon noch am Leben sein!“, sagte Tabari zu ihr, der sie gepackt hatte, „Konzentriere dich, oder willst du hier verrecken? Ich würde mich für dich schämen, wo du zeitlebens besser warst als ich, wäre das ein unwürdiger Tod für meine Königin.“

„Tabari, Vorsicht!“, entgegnete sie lauter als nötig und riss sich aus seinem Griff los, um ihn zur Seite zu schubsen, als sie sah, wie von der anderen Seite ein weiterer Mann auf sie zustürzte. Der Herr der Geister fuhr herum und riss noch sein Schwert empor, um den Mann abzublocken, und seine Frau gab ihm dann den Rest, indem sie aus ihren Händen einen messerscharfen Wasserstrahl schießen ließ und damit die Rüstung des Soldaten durchbohrte, ehe er Zeit gehabt hätte, zu zaubern.

„Was wäre ich ohne dich?“, machte der Blonde darauf und beide fuhren herum, als sie von der Seite von einem Hagel aus Eissplittern unterbrochen wurden, der auf sie zukam. In einer hektischen Bewegung riss Tabari seine Frau mit sich zu Boden, die Eissplitter streiften so nur ihre Arme gerade noch und Nalani bekam einen unschönen Schnitt auf die Schulter, bevor sie beide zu Boden stürzten und der Rest des Zaubers über sie hinweg fegte. Als beide Magier herumfuhren und sich schnellstmöglich wieder aufrappelten, stand ihnen gegenüber das gerüstete Ross des Kaisers persönlich.

„Das.“, brummte Tabari düster und schob seine Frau damit mit einer Handbewegung von sich weg, „Ist mein Gegner, Nalani.“
 

Die Frau weitete die Augen und fuhr dann keuchend zurück, als kaum einen winzigen Augenblick später von beiden Seiten bereits die Zauber aufeinander krachten; das zuyyanische Feuer prallte gegen ein weiteres Windmesser von Tabari und die Erde erzitterte vor den gigantischen Mächten beider Magier, die hier zusammentrafen. Mit einem Krachen aus dem Himmel explodierten die Zauber und die Druckwelle schleuderte alles im Umkreis von diversen Fuß durch die Luft und zurück auf die Erde. Der Kaiser fluchte irgendetwas auf zuyyanisch, als das Pferd unter ihm den Halt verlor und wiehernd stürzte; die Rüstung war zu schwer um sich wieder aufrappeln zu können, und ehe er von dem kippenden Tier begraben werden konnte stieß der Mann sich davon ab und hechtete zur Seite weg. Er zog sein Schwert, aber Tabari war schneller wieder auf den Beinen und mit einem gewaltigen Schlag seines eigenen Schwertes stieß der Blonde seinen Gegner gleich wieder rückwärts. Nalani starrte und rappelte sich benommen wieder vom Boden auf – einen Moment später hätte sie die Faszination für die Schlacht fast das Leben gekostet, denn ein zuyyanischer Soldat stürzte sich von hinten auf sie und warf sie zu Boden. Sie spürte einen grauenhaften Schmerz in ihrem rechten Arm, als das Schwert des Feindes sie dort traf, dann wirbelte sie zischend herum und schlug dem Kerl die bare Faust ins Gesicht. Verblüfft von der unbeholfenen Reaktion fuhr der Mann zurück und die schwarzhaarige Frau drehte sich ganz um und machte nur eine winzige Handbewegung, die aus ihren Fingern gewaltige Wasserstrudel schießen ließ, welche den Angreifer zurück zu Boden schleuderten und durch ihre eisige Härte gleich den ganzen Mann quer durchbohrten. Als Nalani keuchend einen Schritt zurück machte, stieß sie rücklings gegen irgendetwas, fuhr herum und hätte um ein Haar Neron Shai skalpiert, der hinter ihr aufgetaucht war.

„Du liebe Güte!“, rief der Jüngere und sprang zurück, ebenfalls kurz davor, die Frau mit seinem Schlangenschwert zu enthaupten, „Verzeih, ich hab dich gar nicht gesehen.“

„Keine Zeit dafür!“, zischte sie und hechtete zur Seite, als ein weiterer Hagel aus messerscharfen Eispfeilen auf sie beide zugeflogen kam, den der junge Mann mit einem Schwung seines Schwertes abhalten konnte und zurück in die Luft schleuderte, wo er hergekommen war. „Was ist mit den anderen, Neron, hast du jemanden gesehen? Sind noch alle am Leben?“

„Äh, ich glaube schon! Irgendwo da drüben habe ich vorhin Tare und Meoran aus den Augen verloren, und irgendwo war auch der König von Intario… Achtung!“ Nalani keuchte und reagierte noch rechtzeitig, als wieder ein halbes Dutzend Zuyyaner zu Fuß auf sie zugehechtet kam, und sie riss die Arme empor und zwang die Männer allesamt unter ihren Schattenzauber, worauf sie polternd zu Boden stürzten, als wären sie mitten im Sprung gestorben. Neron erwischte einen weiteren mit seinem Schwert, das sich um dessen Bein wickelte und ihn dann hoch in die Luft riss und davon schleuderte. In dem Moment erschütterte ein gewaltiges Beben die Erde, auf der sie kämpften, und warf sowohl die nächsten Angreifer als auch Nalani und Neron brutal von den Beinen. Es entstand ein gewaltiger Riss im Boden, in den sie mit einem Haufen lockerer Erde und Geröll purzelten, und Nalani hustete und versuchte, sich wieder aufzurappeln, um nicht vom Boden verschluckt zu werden. Neron packte ihre Hand und mit etwas Mühe schafften sie es, sich aus dem Spalt zu befreien und wieder auf festem Boden zu landen.

„Der Zorn der Erdgeister… soll sie verschlingen, diese blutrünstigen Barbaren…“, stöhnte die Frau und keuchte dann, als sie sich aufrappeln wollte und zunächst ihr linkes Bein versagte, das irgendeinen Klumpen Geröll abbekommen haben musste, der eine unschöne Wunde auf ihren Unterschenkel gerissen hatte. „Verdammt…“

„Bist du verletzt?“, fragte Neron entsetzt und riss sie zur Seite, als plötzlich einer der Zuyyaner, die auch in den Spalt gefallen waren, wieder empor schnellte und nach ihnen mit seinem Speer stieß.

„Geht schon.“, brummte die Frau nur und rappelte sich jetzt beim zweiten Versuch erfolgreich wieder auf die Beine, ehe aus dem Himmel ein weiteres Krachen ertönte und die Erde unter ihnen erneut zum Beben brachte. Dieses Mal behielten sie aber das Gleichgewicht und Neron fuhr seinerseits japsend zu seiner Kollegin herum, nachdem er den Angreifer zurück in den Spalt getreten hatte und jetzt sein Schlangenschwert herum schwang.

„Nalani!“, keuchte er und stieß sie an, ehe er hinter sie deutete und die grünen Augen perplex weitete, „Das Beben kommt nicht von wütenden Geistern der Erde, sondern von Zaubern die die Haut von Mutter Erde erschüttern!“ Die Frau drehte ebenfalls den Kopf und prompt erzitterte der gespannte Erdboden unter ihnen abermals, als in knapper Entfernung ein gleißendes Blitzen zu sehen war. „Guck, da sind Puran und der Heerführer aus dem Hochland!“
 

Die Geister zischten in seinem Kopf, als Tabari in die Luft sprang und somit den Flammen des Kaisers entkam, die dieser nach ihm geworfen hatte. Das Feuer erwischte den Saum seines schwarzen Umhangs und fluchend riss der Geisterjäger sich den Stoff vom Hals, ehe er richtig in Flammen aufgehen konnte, dann landete er auf dem Boden und riss sein Schwert herum, um nach seinem Gegner zu schlagen. Klirrend schlug das Metall gegen die Klinge des zuyyanischen Kaisers. Tabari erhaschte nur einen flüchtigen Blick auf das lange, kunstvoll verzierte Schwert seines Gegners; vermutlich war es auch eine jener Klingen, von denen geschlagene Wunden unheilbar waren. Leyya arbeitete zwar an einem Zauber, der das beheben sollte, aber vollends ausgereift schien ihre Technik noch nicht zu sein, da sie bisher kaum mehr als kleine Schnitte damit hatte heilen können. Er musste also zusehen, diesen Kerl zu erledigen, bevor er ihn erledigte… das war der Kaiser der Zuyyaner, der Anführer der Bastarde, die seit Jahren das Land überfielen und belagerten und unzählige Menschen auf dem Gewissen hatten.

Was würden die Zuyyaner ohne ihren Führer tun? Wem würden diese geistlosen Schlächter folgen, wenn nicht dem Bediener aller Maschinen, die sie ja waren?

Die Dreiweltensprache des Kaisers hatte einen grässlichen Akzent, was nur kennzeichnete, wie wenig Mühe der Mann sich gab, dass der Tharraner ihn verstand.

„Du hältst dich wohl für schlau, Schamane… oder du hast zu viel Ruhm geerntet hierzulande und bist davon so trunken, dass du denkst, du schnappst dir mal den dicksten aller Fische… glaubst du, ich würde es dir leicht machen?“ Tabari spuckte ihm ins Gesicht, statt zu antworten, und mit der nächsten Handbewegung schmetterte er ein Windmesser auf den Mann, das ihn beinahe den Arm gekostet hätte; der Kaiser von Zuyya riss den Oberkörper rechtzeitig zur Seite, aber das Windmesser zischte durch die Luft empor und durch das schwungvolle Ausweichen stolperte der Mann und stürzte zu Boden. In der Befürchtung, Tabari würde sich sofort auf ihn stürzen, rappelte der Imperator sich schnaufend sofort wieder auf die Beine, aber sein jüngerer Gegner riss nur beide Arme in den Himmel und ließ mit einem lauten Krachen von oben einen Windwirbel zwischen seinen ausgestreckten Händen entstehen, der sich mit jedem Moment vergrößerte und immer mehr seine Macht versprühte.

„Nein, ich folge nur dem, was die Geister von Himmel und Erde gesagt haben.“, antwortete er dabei mit lauter, gebieterischer Stimme, und er starrte auf seinen Gegner auf eine Art, auf die sein Vater vermutlich auf in seinen Augen minderwertige Würmer gestarrt haben musste; dabei gab er sich nicht mehr Mühe, die Einheitssprache zu sprechen, als der Kaiser. „In meinen Träumen sah ich den Tag kommen… an dem wir uns begegnen würden. Und ich sah auch, dass es der letzte Tag des Befehlshabers von euch Bastarden sein würde!“ Mit diesen Worten schmetterte er seinen Wirbelwind auf den Kaiser zu, mit ihm allen Zorn des Himmels, der jetzt durch seinen eigenen Geist mit der Welt der Sterblichen vereint war. Tabari spürte die Anwesenheit der höchsten Geister in seinem Körper, er konnte die Erde zu seinen Füßen erbeben spüren und hörte das Grollen des zornigen Himmels über sich, als er die Augen schloss im Moment dieser Ekstase der puren Macht. In dem Moment, in dem der Windwirbel die Haut der Mutter Erde traf und er bereits glaubte, den Imperator endgültig erwischt zu haben… und dann ließ ihn ein weiteres Donnern direkt vor ihm die Augen wieder aufschlagen und er sah das gewaltige, garstige Feuer der Zuyya, das aus den empor gerissenen Händen des Mannes schoss, der Macht von Vater Himmel entgegen.

„Der allmächtige Gott Katari beugt sich nicht dem Willen eurer lächerlichen Gespenster!“, rief der Imperator höhnisch und riss den Kopf ebenfalls in den Nacken, aus seiner Kehle kam ein irres, verzerrtes Lachen. „Seht, ihr albernen Gewalten von Tharr! Das Feuer Kataris wird eure kleinen Böen zerschmettern, so wie Kataris Kinder die Tharraner zerfetzen!“

Mit einem gewaltigen Knallen trafen die beiden gigantischen Zauber aufeinander, wie zwei kämpfende Stiere mit den Köpfen aneinander krachten. Himmel und Erde bebten gleichermaßen bei der gewaltigen Energie, die die Magie freisetzte. Und Tabari bebte ebenfalls, aber vor Hass auf diesen widerwärtigen Drecksack, der es wagte, die Macht von Himmel und Erde vor ihren eigenen Augen derartig zu demütigen.

„Du wagst zu viel, Zuyyaner!“, presste er hervor, ehe er beide Arme nach vorn riss und spürte, wie die Macht der Himmelsgeister durch seine Finger rann wie das Blut in seinen Adern. „Du hättest… besser daheim bleiben sollen!“ So sprach er, ehe er die Arme auseinander riss und den Kopf wieder senkte. Es folgte ein weiteres Krachen.
 

Die Erschütterung der Erde warf Puran von den Beinen und er rollte sich keuchend zur Seite, um Haaresbreite dem Schwert des zuyyanischen Generals entkommend, der nach ihm schlug und jetzt die Waffe in die Erde steckte. Puran japste und schwang den Schwertarm ebenfalls herum, ehe der General Zeit hatte, seine Waffe wieder zu heben, und mit einem mächtigen Hieb des Geisterschwertes schlug er nach der ausgestreckten Hand, die den Schwertgriff hielt; der Griff wurde zerschmettert und der Zuyyaner riss mit einem kurzen Schrei seine Hand zurück, als das blitzende Schwert aus Magie ihn an den Fingern traf und eine unschöne Wunde auf seine Hand schlug.

„Narr!“, brummte der Blonde darauf und sah auf sein jetzt zerstörtes Schwert ohne Griff, ehe er nach dem am Boden liegenden Tharraner trat. Der Jüngere kam erstaunlich fix wieder auf die Beine und schlug erneut mit dem Geisterschwert nach ihm, im letzten Moment zog der Zuyyaner aus seinem Gürtel noch ein kurzes Messer, mit dem er das Schwert aber nur schwer abblocken konnte. Er sprang zurück und wich einem Windmesser aus, das Puran schnaubend nach ihm schleuderte und das ihn am Arm verletzte. Fluchend hechtete er weiter rückwärts und warf seinem Gegner eine Ladung Eissplitter entgegen, die Puran aber mit dem Schwert zur Seite schleuderte und dadurch praktischerweise noch einen anderen zuyyanischen Krieger erwischte, der dann röchelnd zu Boden stürzte.

„Ja, nennst mich einen Narr und rennst dann vor mir davon, wie?“, war Purans Antwort und er stürzte sich fluchend auf seinen Feind und schlug nach ihm, verfehlte ihn aber und verpasste der Rüstung nur einen ziemlich bösartigen Kratzer an der Seite, weil der Zuyyaner rechtzeitig hochsprang. Ein weiterer Schlag mit dem Geisterschwert warf dem Älteren das arglose Messerchen aus den Händen und er stolperte über einen am Boden liegenden Toten auf die Erde. Mit aller Macht riss Puran keuchend sein Schwert empor und mit einem Grollen aus dem Himmel glühte die Klinge stärker auf, ehe er sie herunter stieß, um den Mann endlich zu töten; ihm schlug ungeahnt ein mächtiges Feuer aus dessen Händen entgegen und ließ ihn seinerseits schreiend zur Seite springen, um nicht in Flammen aufzugehen, obwohl sich in seinem Gesicht jetzt ein unangenehm heißer Schmerz ausbreitete. Der kurze Moment des Ausweichens gab dem General Zeit, sich wieder aufzurappeln, dabei schnappte er eine neben der Leiche am Boden liegende, blutverschmierte Waffe und schlug sie gegen das leuchtende und blitzende Schwert des Schamanen, als der wieder nach ihm ausschlug. Klirrend prallten die Klingen aneinander und als der Zuyyaner schnell noch einen Schlag hinterher setzte, traf er Purans Seite und sorgte dafür, dass der Jüngere mit einem Aufschrie zu Boden ging.

„Ach, verdammt!“, meckerte der dabei und fasste zischend nach der Wunde in seiner Seite; sie war nicht tief, blutete aber offenbar ziemlich heftig… aber er hatte keine Zeit für einen notdürftigen Heilzauber, mit denen er als Schwarzmagier sowieso alles andere als begabt war. Hoffentlich könnte Leyya ihm das wieder richten, falls er hier lebend herauskam, dachte er noch, dann riss er instinktiv den Kopf herunter und wich so eben gerade noch der Schwertklinge des Zuyyaners aus. Er sprang rückwärts und erschlug auf dem Weg quer durch das halbe Schlachtfeld noch zwei andere Krieger, während der General ihn unermüdlich verfolgte und sie ein paar Schläge ihrer Schwerter austauschten. Schließlich überraschte Puran seinen älteren Gegner, indem er statt weiter zurück nach vorne sprang und ihn damit beinahe gerammt hätte – den Augenblick der Verblüffung des Zuyyaners nutzte er dann, um ihm mit dem Geisterschwert gegen den Unterarm zu schlagen.

Er hätte glatt die Hand des Generals abgeschlagen, hätte der nicht vorher den Arm hoch gerissen, so erwischte der Schamane nur das Schwert, das jetzt in hohem Bogen durch die Luft wirbelte und davon flog. Und wieder war der General ohne Waffe und er weitete die Augen noch, als Puran ihn mit bloßer Hand am Schlafittchen packte, ihn herumriss und gewaltsam zu Boden schleuderte, wo er mit dem Fuß auf seine Brust trat, um ihn festzuhalten, und das Geisterschwert mit einem bösartigen grollen des Himmels an die Kehle seines Gegners setzte. „Ein letztes Wort?“, fragte er den Blonden kalt und der Zuyyaner schwieg einen kurzen Moment. Dann seufzte er und hob unmerklich die rechte Hand in Richtung von Purans Bein, das auf seiner Brust stand.

„Oh ja. Hochmut, Junge, kommt stets vor dem Fall.“

Puran starrte ihn empört an, dann spürte er plötzlich einen grausamen Schmerz durch seinen Unterschenkel fahren und fluchend blickte er hinab; der Kerl hatte aus seiner Hand Feuer schießen lassen und versengte ihm damit gerade das Bein. Sofort zog er es zurück und schlug nach dem Gegner, der sich aber wegrollte und aufstand, während der Jüngere schreiend nach seinem schmerzenden Bein fasste und versuchte, das Gleichgewicht zu wahren. Der zuyyanische General riss die Hände empor und darin erschien abermals die Seelenkugel, ein kleines Gebilde aus bläulichem Licht, das so harmlos schien und doch so tödlich sein konnte. Puran zischte vor Schmerzen und versuchte mit aller Macht, sich auf den Kampf zu konzentrieren – es war ein ohrenbetäubendes Krachen in knapper Entfernung, das sowohl ihn als auch den General zur Seite herumfahren ließ.

„Das ist…?!“, keuchte der Jüngere und vergaß alle Schmerzen, als er herübersah zu dem gewaltigen Gemisch aus zuyyanischem Feuer und der puren, geballte Macht der Windgeister – einer Kraft, die er bei Aughot schon einmal gesehen hatte. „Vater…?!“, japste er weiterhin und auch der zuyyanische General weitete stumm die Augen beim Anblick des Infernos, als die beiden gigantischen Kräfte der Magie dort aufeinander schlugen.

Für einen Moment war es, als würde sich die ganze Schlacht nur noch auf die Auseinandersetzung von Tabari und dem Kaiser konzentrieren. Die Krieger beider Seiten, die noch am Leben waren, wenn auch teils schwer angeschlagen, wichen panisch zurück vor den Zaubern, die Himmel und Erde zum Beben brachten, und bildeten einen ehrfürchtigen Kreis um das Geschehen.

Es war in diesem Moment, dass die Geister in Purans Kopf anfingen, auf grauenhafte und beunruhigende Weise zu zischen und zu flüstern.
 

„Das ist das Ende der Welt…“
 

Die Mächte von Himmel und Erde vereinten sich zu einem großen, grollenden Krachen, als Tabari die Arme auseinander riss und damit wie durch bloße Willenskraft sowohl seinen Windwirbel als auch des Kaisers Flammenwand wie einen großen Vorhang teilte, sodass die Zauber donnernd nach beiden Seiten hin verschwanden. Dann sprang er nach vorne, durch die sich auflösenden Wände aus Magie hindurch auf den Imperator zu, der damit nicht gerechnet hatte und jetzt reflexartig seine Klinge mit der des Geisterjägers kreuzte. Krachend prallten beide Klingen aufeinander und es begann ein wilder Schlagabtausch, bei dem beide Männer sich gegenseitig über das Feld hetzten. Der Kaiser von Zuyya war größer und vor allem kräftiger als Tabari, es war gar nicht einfach, seine Schläge zu parieren, dafür war der Jüngere wendiger und schneller und konnte besser ausweichen.

Um sie herum tobten die Flammen des Krieges von neuem, als die Krieger sich aus ihrer Schreckensstarre rissen und wieder anfingen, sich mit sich selbst zu beschäftigen, die hohen Tiere der Armee sich gegenseitig überlassend. Irgendein umher fliegender Zauber hätte Tabari beinahe erwischt, aber seine Instinkte warnten ihn rechtzeitig und ließen ihn mit einer bloßen Handbewegung die Magie mit einem Windstoß zurückschleudern. Er musste zur Seite hechten, weil das gefährliche Schwert des Kaisers nach ihm schlug und ihn nur knapp am Arm streifte – der Blonde zischte und wirbelte mit einem Schwung herum, das Schwert mit aller Kraft empor reißend. Mit einem Schlag nach Oben erwischte er den Helm seines Gegners und riss ihn ihm damit unsanft vom Haupt; das Metallding flog durch die Luft und landete auf der Erde. Der Kaiser erstarrte, ebenso wie einige hinter ihm, die erschrocken hochfuhren. Sie riefen irgendetwas auf zuyyanisch, aber der Imperator zischte nur abwertend in Tabaris Richtung, ehe er ihn aus bösartigen Augenschlitzen fixierte.

„Das… wagst du nur einmal, Zauberer!“, war die Drohung, und Tabari schnaubte nur und parierte einen weiteren Schlag, ehe er den Kaiser mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, zurückstieß, sodass der taumelte und schließlich zu Boden stolperte.

Das war der Moment – vielleicht der einzige Moment, den er jemals haben würde.

Er machte einen Satz nach vorne und riss die Arme wieder empor, um den vernichtenden Wirbelsturm erneut vom Himmel herab zu ziehen und sein Gegenüber damit endgültig zu zerfetzen. Ein ohrenbetäubendes Krachen ertönte, als der Wirbel sich zwischen seinen ausgebreiteten Armen bildete und der Kaiser rappelte sich schnellstmöglich auf die Beine, ehe Tabari die Hände nach vorn zu reißen begann.

„Auf Tharr gibt es… keinen Katari, du Bastard!“

Es gab einen heftigen Ruck nach hinten, der Tabari verblüffte, und mit noch immer erhobenen Händen erstarrte er auf der Stelle, als das Gesicht seines Gegners plötzlich wieder genau vor seinem war. Der Imperator sah ihn ausdruckslos, aber triumphierend an, und zu spät bemerkte der Herr der Geister den seltsamen Schmerz, der bis eben nicht da gewesen war.

„Du irrst dich, Schamane.“, waren die gehässigen Worte des Mannes, ehe Tabari keuchend den Kopf senkte, um an sich herunter zu sehen. In seiner Brust steckte das monströse Schwert des Herrschers von Zuyya.
 

Als hätten die Geister die Zeit angehalten, erstarrte plötzlich das gesamte Umfeld. Sowohl Tharraner als auch Zuyyaner hielten wie versteinert inne und es trat eine unnatürliche Stille ein, die das Schlachtfeld noch gruseliger und bizarrer machte unter dem pechschwarzen Schattenhimmel als es ohnehin gewesen war, als der Kaiser mit einem unschönen Geräusch das Schwert aus dem Körper seines Gegners zog. Dann ging Tabari Blut spuckend zu Boden und löste die Versteinerung.

Nalani schrie.

„TABARI!“ Damit hechtete sie ungeachtet sämtlicher Gegner und Mitstreiter, die ihr im Weg war, und ungeachtet Neron Shais Händen, die versuchten, sie festzuhalten, nach vorne zu ihrem Mann, wo sie abermals aus vollem Halse aufschrie, als sie das Schwert jetzt von Nahem sah. In dem Moment schrie Puran auf der anderen Seite ebenfalls; der General, gegen den er so lange gekämpft hatte, rührte sich gar nicht mehr, als der Jüngere mit wenigen Sätzen ebenfalls nach vorne rannte.

„Himmel und Erde!“, schrie er hysterisch und erbleichte – er kam aber nicht dazu, sich weitere Gedanken zu machen, denn der Kaiser erwachte auch wieder zum Leben und schlug mit dem blutigen Schwert nach ihm.

„Und der Nächste, der versucht, es mit Kataris Kindern aufzunehmen…?!“, zischte er dabei mit einem dämonischen Grinsen, als Puran den Schlag reflexartig mit dem Geisterschwert parieren konnte, „Du wirst genauso enden wie deine Landsmänner… und du weißt es doch auch… dass Kisara fallen wird. Nicht wahr?!“ Puran schrie ihn wutentbrannt an, seine Stimme überschlug sich im Zorn, als er wütend nach dem größeren Mann schlug und nur knapp seinen Unterarm erwischte.

„Wage es nicht, den Namen dieses Landes auch nur in den Mund zu nehmen!“, brüllte er außer sich vor Wut, „Du wahnsinniger Bastard, die Geister sollen dich verfluchen!“ Er schrie auf, als er den Mann abermals verfehlte. Die Brandwunde an seinem Unterschenkel machte ihm schwer zu schaffen und er spürte, wie sehr dieser plötzliche Kraftaufwand an seinen Energiereserven zehrte; sein Herz schlug ihm bis zum Hals und das einzige, was durch seinen Kopf schwirrte neben dem Zischen der Himmelsgeister waren die Gedanken an seinen Vater.

Sein Vater… der Herr der Geister, der Führer des Clans, des Rates… des ganzen Volkes der Schamanen, wenn man so wollte.

Seine Panik und die Verzweiflung steigerten seinen Zorn nur und wie ein Besessener schlug er nach dem Imperator und drängte ihn zurück, quer über das halbe Schlachtfeld, so erschien es ihm, ohne ihn jemals ernsthaft zu treffen. Dann krachte der Himmel über ihm und er hielt für einen winzigen Augenblick in der Bewegung inne, als er die Spannung in der Luft spürte und aus dem Augenwinkel verfolgte, wie sich die schwarzen Wolkenberge direkt über dem Land auftürmten zu einem gewaltigen und bedrohlichen Massiv.

„Hebe dein Schwert, Puran!“ , befahlen die Himmelsgeister ihm, „Jetzt, sofort!“

Was er tat, tat er rein intuitiv. Er folgte dem Befehl keuchend und riss den rechten Arm in die Höhe, dem Himmel entgegen, im selben Moment, in dem das zuyyanische Schwert frontal auf ihn zu geschossen kam. Reflexartig riss er die linke Hand nach vorne und beugte sich zur Seite; die Waffe des Imperators durchbohrte mit einem unschönen Geräusch seine linke Handfläche komplett. Der Jüngere keuchte und weitete die Augen, in dem Moment versagte seine Stimme und hinderte ihn daran, ob des furchtbaren Schmerzes zu schreien – im selben Augenblick schlug mit einem gewaltigen Krachen der Blitz aus dem Wolkenberg in das Geisterschwert ein. Die gesamte, grausame Macht des Vater Himmel, des Beschützers ihrer Welt, bündelte sich in einem einzigen, gigantischen Wirbel aus purer Magie an der Spitze des Schwertes, einem gleißenden, erschütternden Wirbel aus Licht und Schatten. Der Kaiser erstarrte vor Purans Augen und trotz aller Schmerzen packte der Schamane die Klinge des Schwertes mit der Hand, die es ohnehin durchbohrt hatte, und hinderte den Mann daran, seine Waffe zurückzuziehen. Dann riss er den anderen Arm samt Schwert in einem Schwung herab und rammte die gesamte Macht und den Zorn des Himmels in die Brust seines Gegenübers. Der Imperator ging wie ein Stück Papier in gleißende Flammen auf und stieß einen grauenhaften Schrei aus, der sämtliche Anwesende erzittern ließ. Puran schrie auch und riss seine linke Hand aus dem Schwert, in der jetzt ein blutendes Loch klaffte.

„Ja, verfluchen sollen sie dich!“, brüllte er den brennenden Kaiser von Zuyya an und stieß ihn brutal auf die Erde, wo er schrie und sich wand und versuchte, die hartnäckigen Flammen loszuwerden, sobald der Schamane sein blitzendes Schwert aus seinem Körper gerissen hatte. Noch mal schlug Puran nach ihm und erwischte ein Bein, das er damit erfolgreich abtrennte. „Und sie sollen dich auf ewig in irgendein unwürdiges Geschöpf verwandeln, dessen Existenzgrund nur der ist, von anderen zerfetzt und zermalmt zu werden, wie ich es mit dir tun werde! Verflucht seist du, einen qualvollen, unwürdigen Tod sollst du sterben, unwürdiger, dreckiger Bastard! Brenne, du Hurensohn! Soll jeder Zoll Fleisch deines Körpers lichterloh brennen für immer!“ Er brüllte und schrie sich die Seele aus dem Leib, während er immer wieder wutentbrannt nach dem Mann schlug, auch, als der aufhörte sich zu wehren und reglos am Boden liegen blieb, ohne dass die Flammen der Himmelsmagie erlöschen wollten. Schließlich spürte Puran seine Kräfte verschwinden und dass ihn jemand an den Armen packte und zurück zerrte. Er hörte nur dumpf Nerons Stimme hinter sich, ehe er zu Boden sank und sein zorniges Schreien in panisches Heulen umschlug. Das Geisterschwert verschwand aus seiner Hand und der Mann warf sich heulend und schreiend auf den zermürbten Erdboden, ignorierte die Versuche hinter sich, ihn irgendwie auf die Beine zu ziehen.

„Verdammt, steh auf…“, versuchte Neron es verzweifelt, „D-du solltest nach deinem Vater sehen – VERDAMMT, HOLT DOCH ENDLICH DIE HEILER, IHR UNFÄHIGEN SÄCKE!“ Er zog seinen Kollegen und Freund mühsam wieder etwas hoch und zwang ihn streng, ihm ins Gesicht zu sehen. „Puran, reiß dich zusammen! Dein Vater ist verdammt noch mal noch am Leben!“ Der Jüngere sagte nichts und heulte nur wieder auf, ehe er den Kopf drehte und zu seinen Eltern sah, die einige Fuß entfernt am Boden waren. Tabaris Kopf lag auf Nalanis Schoß und sie hatte sich wimmernd und rufend über ihn gebeugt. Taumelnd kam Puran auf die Beine und stolperte mehr zufällig zu ihnen herüber, ehe er neben seinem Vater in den Matsch am Boden stürzte und wild zu husten anfing.

Neron Shai stand auf und drehte den Kopf, um dem blonden General der Zuyyaner in die Augen zu sehen.

„Ich denke, es gab genug Blutvergießen!“, behauptete der Schamane kalt und der General erwiderte den Blick stumm, stimmte ihm wortlos zu.

„Rückzug!“, befahl der Zuyyaner dann, „Sofort Rückzug, alle Truppen zu mir!“ Er wandte sich ein letztes Mal mit einem würdevollen Kopfnicken an Neron. „Wir haben genug angerichtet für jetzt.“ Sie nahmen die sterblichen Überreste ihres Führers mit, als sie sich zurückzogen und die Tharraner alleine ließen.
 

Das Wispern der Geister in Tabaris Kopf verstummte jetzt, als er in den Himmel sah, mit dem Kopf auf dem Schoß seiner Frau liegend.

„Holt die Heiler!“, hörte er irgendwen weiter hinten rufen, „Rasch!“ Der Blonde hustete und spuckte Blut, ehe er nach der Wunde auf seiner Brust fasste und keuchte.

„Lasst nur, es tut schon… kaum noch weh…“, stöhnte er dabei und er spürte, wie Nalani unter ihm erzitterte. Als er in ihr Gesicht empor blickte, weitete er keuchend die Augen bei der Panik darin. „N-…Nalani…“

„Das tust… das tust du nicht wirklich, Tabari!“, schnappte sie und versuchte mit aller Macht, sich zusammenzureißen, ehe sie am ganzen Körper erzitterte und die Hände hob, um damit hektisch über seinen Kopf und auf die Wunde zu fahren. „Ich… ich bin keine Heilerin, meine Lira wird nicht ausreichen dafür…“

„Das… erwarte ich auch nicht, meine Teuerste.“, sagte ihr Mann leise und hielt ihre Hand bebend auf seiner Brust fest, während er den Blick nach links schweifen ließ, zu Puran, der unbeholfen versuchte, sich aufzurappeln. „Sieh mich an… wo… ist der Kaiser geblieben?“

„Er ist tot, Vater…“, war Purans benommene Antwort, dann heulte er wieder auf und griff nach seinem Arm. „Hörst du, s-sie sind weg! Es wird… es wird alles wieder gut, Vater! Sie sind schon losgerannt und holen die Heiler, solange hältst du noch durch! Bitte…“ Er fuhr panisch zusammen, als sein Vater nicht antwortete, sondern nur zuckte und in einen üblen Hustenanfall ausbrach, bei dem er abermals Blut spuckte und sich dann krümmte und auf die Seite rollte.

„Argh-… verd-… dieser Scheißkerl!“, fluchte er dabei und meinte offenbar den Imperator, „Ich… ich bin stolz auf dich, Puran… sieh mich an. Ver-…sprich mir was, ja?“ Der Sohn sah ihm gehorsam ins Gesicht, konnte die Tränen aber nicht mehr zurückhalten und rüttelte verzweifelt an Tabaris Arm.

„Gar nichts, Vater! D-du wirst das überleben! Versprich du mir das!“

„Das kann… ich nicht…“, stöhnte der Herr der Geister und keuchte, während Puran vor ihm erbleichte beim rasselnden Klang seines Atems. „Versprich mir… dich gut um deine Mutter und… Leyya zu kümmern. Und… und dein Kind, es… ich… wäre ihm gerne… ein Großvater gewesen…“

„NEIN!“, brüllte Puran ihn an und schrie erneut, als sein Vater den Kopf wieder drehte und jetzt zu Nalani blickte, die ihn immer noch festhielt. „Vater, bitte! D-du kannst jetzt nicht sterben!“

„Versprich es mir, Puran!“, japste sein Vater nur und der Jüngere senkte wimmernd den Kopf, ohne noch etwas zu sagen. Mit dem, was er sprach, stimmte er indirekt zu – er wusste, dass es seine letzten Worte an seinen Vater sein würden.

Und diese Erkenntnis schmerzte ihn so sehr, dass er glaubte, selbst sterben zu müssen.

„Ich liebe dich, Vater… und ich verehre dich, mehr als jeden anderen Mann dieser Welt.“

Tabari wusste das zu schätzen, und als er abermals zu seiner Frau sah, spürte er den Schmerz der Wunde in seiner Brust dumpf werden und abflauen; ebenso flaute das Licht vor seinen Augen ab, als würde sich langsam ein dunkler Vorhang vor sein Gesicht legen.

„Nalani…“, murmelte er und zog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein in dem Versuch, noch Luft in seine Lungen zu bekommen. Die Klänge der Welt wurden leiser und hörten sich an, als wären sie meilenweit weg von ihm, dumpf und fern waren sie. Menschen kamen gerannt von irgendwo her… „Nalani, sieh… m-mich an…“ Und seine grünen Augen richteten sich direkt auf das hübsche Gesicht seiner Frau, während er keuchend und zitternd eine Hand hob, um nach ihrer Wange zu fassen.

Sie weinte. Tabari fragte sich, wann er sie jemals weinen gesehen hatte… es waren nicht viele Male gewesen. Seine tapfere, kaltherzige Königin der Schattengeister… die gar nicht so kaltherzig war, wie es von außen schien.

Er wusste das am besten.

Sein Mund verzog sich zu einem flüchtigen, verzerrten Lächeln.

„Erinnerst du dich an diese… Höhle in den Klippen hinter dem Schloss…?“, murmelte er und sie erwiderte nichts, schluchzte nur bitterlich und beugte das Gesicht zu seinem herab, damit er die Hand nicht so weit zu ihrer Wange heben musste.

„Ja…“, wisperte sie dann und erbebte vor Schluchzern, als er die Augen halb schloss.

„Wenn ich… mir einen Ort für meinen Tod hätte aussuchen können, wäre… es da gewesen…“ Sie erzitterte und sein Lächeln verschwand, als seine Hand über ihre Wange strich und versuchte, die Tränen wegzuwischen. Eine tropfte ihm auf die Stirn. „Du weinst…?“, murmelte er und sie wimmerte, sich weiter über ihn beugend. „Du weinst um mich, meine Königin… dann musst du mich ja wirklich… ziemlich lieben, was…?“ Ein Keuchen entrann ihrer Kehle und ihr Wimmern wurde lauter und verzweifelter. Panisch klammerte sie sich mit den Händen an seine Schultern, als hätte sie Angst, dass er davon wehen könnte.

„Ja!“, schrie sie dann unter Tränen, „Ja, das tue ich… so… sehr, Tabari…“

Sie erstarrte, als er abermals schwach lächelte und seine Hand langsam zu Boden sinken ließ. Noch einmal wollte er sie ansehen und sie im Gedächtnis behalten, seine schöne Frau, die er so sehr geliebt hatte, so viele Jahre lang… und er wollte die Erinnerung an sie fest in seinem Geist einschließen und mit auf die Reise durch den Wind ins Geisterland nehmen.

„Dann liebe mich für immer, Nalani…“, flüsterte er mit dem letzten Hauch von Stimme in seiner Kehle, dann schloss er die Augen ganz und spürte noch, wie seine Frau wieder zu zittern begann… dann umfingen ihn die Windgeister, um mit sanften Händen nach seiner Seele zu angeln und sie mit sich zu nehmen. Es war angenehm… als er wusste, dass Nalanis Geist seinen wenn auch widerwillig loslassen würde, folgte er dem Ruf der Himmelsgeister.
 

Als die Heiler gefolgt vom Rest des Rates und den Königen kamen, brach Nalani schon über dem Körper ihres Mannes zusammen und begann bitterlich zu weinen. Es war ein bizarres Bild, das Tare Kohdar erstarren ließ, als er neben Neron ankam, der in einiger Entfernung am Boden hockte und sich verwirrt immer wieder durch die Haare fuhr.

„Das ist ein schräger Tag heute.“, murmelte der Jüngere dumpf, „Ich meine, das ist so… surreal, oder, Tare? Vorhin war er noch da und so voller Kampfgeist… verdammte Scheiße.“ Tare wusste nichts dazu zu erwidern, er starrte bloß. Meoran stolperte nach vorne zu Nalani und Puran, zu denen jetzt die Heiler eilten. Leyya war auch bei ihnen, und sie schrie erschrocken, während sie zu ihrem Mann stürzte und ihn unter Tränen rüttelte.

„Sag, dass das nicht passiert!“, wimmerte sie, „D-das kann doch nicht, ich meine, Tabari ist-…?! E-eben kam ein Krieger in die Stadt und rief nach den Männern aus dem Heilerrat, und als ich… g-gehört habe, der Herr der Geister wäre schwer verletzt, h-habe ich… habe ich geglaubt, mir bliebe das Herz stehen…! Oh Puran, b-bitte sag, dass das nicht passiert…“

Sie erwartete nicht wirklich, dass er das sagte. Sie wusste, dass sie irrte, als er sich mühsam aufrappelte, bis er saß, und sie immer noch heulend und schreiend umarmte und an sich drückte, so wie seine Mutter seinen Vater, während Meoran unbeholfen versuchte, irgendetwas zu sagen.

Es hatte keinen Sinn, etwas zu sagen… es bedurfte hier keiner Worte.

„Der zuyyanische Kaiser ist tot.“, murmelte der König von Senjo finster und blickte schweigend nach Norden, während der Himmel aufzuklaren begann. „Vielleicht ist das… endlich das Ende dieses grausamen Krieges.“ Er sah zu seinem Kollegen aus Kisara, der neben ihm stand und jetzt resigniert den Helm absetzte, den Kopf senkend.

„Ja.“, murmelte er dabei, „Aber wir zahlen dafür einen bitteren Preis.“ Seine Augen ruhten eine Weile auf dem dramatischen Szenario auf der Erde, auf der verzweifelten, weinenden Familie, die jetzt für immer auseinander gerissen worden war. Schließlich hob der Monarch den Kopf wieder und sah gen Himmel, um die Geister zu bitten, den Geist des Ratsführers heil mit sich zu nehmen und sicher in ihr Reich zu tragen.

Mittag war bereits vorüber.
 

Puran hatte kein Zeitgefühl mehr. Eigentlich, so kam es ihm vor, hatte er überhaupt keine Gefühle mehr, denn in seinem Inneren war eine einzige, grausame Leere. Da war nicht einmal Trauer oder Schmerz über den Verlust… da war nur ein großes, schwarzes Loch.

Er hatte keine Ahnung, wie und wann er wieder in den Palast gelangt war, aber als er den dunklen Schleier seiner Seele von seinen Augen fort schob, lag er auf der Seite quer am Fußende seines Bettes in seinem Zimmer, voll angezogen, nur die Rüstung trug er nicht mehr; dafür aber immer noch die versifften, blutigen Kleider aus der Schlacht. In seiner linken Hand pochte dumpf irgendetwas, was er nicht einordnen konnte. Vielleicht noch so ein schwarzes Loch… als er benommen besagte Hand vor sein Gesicht hob, war er verdutzt, als er darin tatsächlich ein blutiges, grausam zugerichtetes Loch entdeckte.

Wieso hatte er ein Loch in der Hand? Er konnte durchsehen, dahinter war die angelehnte Schlafzimmertür… es tat nicht einmal mehr weh. Es sah nur scheußlich aus…

Als er an seinen Vater dachte, zog sich krampfhaft etwas in seinem Inneren zusammen und ließ ihn zucken. Er atmete keuchend ein und aus und schloss dann zitternd die Augen, als könnte er dadurch die bittere Realität einfach ausschalten.

Als könnte er dadurch in eine heile Welt zurückkehren, ohne Krieg, in der sein Vater noch lebte…

Als würde sein Körper ihn daran hindern wollen, sich der süßen, verlockenden Ohnmacht hinzugeben, zwang er den jungen Mann, die Augen wieder zu öffnen. Da war sie wieder, die Realität… und Tabari war tot.

Er erinnerte sich, wie er am vergangenen Morgen hier herein geplatzt war. Leyya hatte noch empört gequiekt, weil sie nackt gewesen war… wie unbeschwert waren sie gewesen? Tabari würde nie wieder durch diese Tür kommen. Es kam ihm vor, als wäre es Jahrhunderte her, dass er sein Lachen gehört hatte… ihn angesehen hatte. Ihn umarmt hatte… wo war all die Zeit hin? Sie würde niemals zurückkehren… ebenso wenig wie sein Vater.

Puran setzte sich stöhnend auf und ihm wurde schwindelig. Kurz war ihm schwarz vor Augen. Als er sich an die sitzende Position gewöhnt hatte, sah er zum Fenster. Die Sonne ging unter. Er drehte den Kopf weiter und erblickte dann an der Seite des Bettes seine Frau. Sie saß am Boden, Kopf und Arme lagen auf dem Bett und sie schien zu dösen. Mehr unbewusst bewegte er sich und streckte die Hand ohne Loch nach ihr aus, um sie sanft zu berühren, darauf fuhr sie zusammen und schrak hoch.

„Oh!“, machte sie heiser und er senkte den Kopf, als sie rasch aufstand. Sie zitterte und sah ungesund aus… „Du bist wach… ich bin eingeschlafen, oh nein… ich wollte… auf dich aufpassen…“

„Ist in Ordnung.“, murmelte er dumpf. „Wie lange war ich denn weggetreten…?“

„Den ganzen Nachmittag… Neron hat mir geholfen, dich herzubringen, oder, eigentlich hat er uns beiden geholfen, herzukommen…“ Sie strich sich traurig durch die Haare und senkte das Haupt tief, als er sich erhob und sich auch durch die Haare fuhr. Er taumelte zunächst, hielt sich aber auf den Beinen. Nach einer Weile sprach er.

„Ich gehe mich waschen. Den… ganzen Dreck, diesen Siff aus der Schlacht, ich will dieses verdammte Blut nicht mehr an mir haben! Ich will gar nichts mehr, ich will nur noch baden… diese dreckigen Klamotten sind grauenhaft, ich stinke sicher nach den Leichen vom Schlachtfeld…“ Leyya sah ihm bestürzt nach, als er aus dem Zimmer taumelte und dabei anfing, sich mehr schlecht als recht auszuziehen, was seine verwundete Hand ihm erschwerte.

„Warte!“, rief sie besorgt und folgte ihm ins Badezimmer, „Warte, du bist verletzt… ich helfe dir, Puran… ich… kann versuchen, die Wunden zu versorgen.“ Er sagte nichts, lehnte sich erschöpft gegen die kalte, geflieste Wand des Badezimmers und ließ zu, dass sie sein Hemd aufschnürte und es vorsichtig von seinem Oberkörper streifte. Kurz ließ sie von ihm ab und zauberte mit dem Wasserzauber Flüssigkeit in die Badewanne, nur ein wenig; sie war nicht sonderlich begabt mit dem Zauber Alara. Das erledigt kehrte sie zurück zu ihrem Mann und öffnete seinen Gürtel, dabei besorgt seinen Oberkörper nach schlimmeren Wunden absuchend.

„Was ist mit den anderen…?“, murmelte Puran lethargisch und senkte den Kopf, ihr dabei zusehend, wie sie auch seine Hose aufknöpfte, dann versuchte er unbeholfen, selbst die Initiative zu ergreifen. Doch er strauchelte nur wieder, sobald er sich von der Wand abstieß und versuchte, seine Hosen selbst auszuziehen, so tat seine Frau es doch für ihn. Ihre Kleider waren auch nicht mehr ganz sauber, so zog sie sich darauf rasch selbst aus und sorgte mit etwas Mühe dafür, dass sie beide in die halb gefüllte Badewanne stiegen.

Sie hatte vergessen, das Wasser mit Vaira aufzuheizen. Das kalte Bad vertrieb mit einem Schlag sämtliche Benommenheit aus Purans Geist und er schrie entsetzt, als er plötzlich im kalten Wasser saß und sowohl sein Bewusstsein als auch sämtliche Schmerzen zurückkehrten. „Verflucht, d-das ist ja eiskalt, Leyya!“, schrie er weiter und zischte dann schmerzhaft, als seine durchlöcherte Hand das Wasser berührte. Sofort riss er sie wieder hoch und starrte auf die blutige Wunde. „Himmel, tut das weh… eben war es noch so harmlos…“

„Entspann dich.“, riet die Heilerin ihm dumpf und er stöhnte.

Entspann dich? Du bist gut, das tut weh! – Aah!“ Er schrie abermals, als sie seine Hand ungeduldig nahm und ins Wasser tauchte. Noch schlimmer wurde es, als sie anfing, daran herum zu tasten und zu streichen. Er schnappte keuchend nach Luft und unterdrückte einen weiteren Schrei.

„Die Wunde muss erst gründlich gewaschen werden, bevor ich versuchen kann, sie zu heilen… halt doch still, bitte…“, murmelte sie leise und er bemühte sich, zu gehorchen, obwohl ein aasiger Schmerz von der Wunde ausging und ihn fast wieder ohnmächtig werden ließ. Diese verdammten zuyyanischen Waffen…

Das Wasser färbte sich leicht rötlich, als sie die Wunden wusch, und er beschloss, das widerliche Zeug gleich ablaufen zu lassen, neues in die Wanne zu befördern und noch mal zu baden – das hier war ja ein Blutbad… Leyya hob seine verletzte Hand aus dem Wasser und betrachtete sie kurz von allen Seiten, ehe sie ihn aufforderte, sie ihr flach ausgestreckt entgegen zu halten.

„Was machst du?“, fragte er dumpf, „Meinst du, dein… spezieller Zauber reicht dafür aus?“

„Das wird er müssen!“, entgegnete sie scharf und er spürte, wie die Entschlossenheit trotz der Trauer um ihren Schwiegervater zurückkehrte; der Kampfgeist seiner kleinen Frau, mit dem sie es gemeistert hatte, diese Kunst überhaupt zu entwickeln.

Sie war tapfer… tapferer als er es je sein könnte. Er beneidete sie kurz um ihren Mut.

Leyya legte ihre Hand auf seine und schloss die Augen.

„Ich bitte euch, Geister der Mutter Erde… Geister der Mutter, die lebende Dinge erschafft! Helft mir, jetzt auch… lebende Dinge zu erschaffen mit diesem Zauber!“ Und Puran weitete staunend die Augen, als ihre Hand zu leuchten begann und er die Macht der Erdgeister spüren konnte, die davon ausging. Sie ging auf ihn über, auf die Hand, die er ihr hinhielt, auf das Loch – und dann durchfuhr ihn ein grauenhafter, ziehender Schmerz von der Mitte seiner Handfläche aus, dem erst eisige Kälte, dann lodernde Hitze folgte. Er zischte und packte mit der freien Hand den Rand der Wanne, um nicht umzukippen durch den enormen Druck, der auf ihn einwirkte, der ihn dichter an die Mutter Erde ziehen wollte… Leyya schnappte vor ihm heftig nach Luft und versuchte mit aller Kraft ihr Bestes. Es musste klappen… es musste einfach! Wie sollte er ohne seine zweite Hand Geisterjäger sein? Sie durfte nicht zulassen, dass es dazu käme… sie war schon nicht rechtzeitig da gewesen, um Tabari zu helfen… jetzt musste sie wenigstens ihren Mann gesund machen.

„Mutter Erde…“, stöhnte sie, als sie spürte, dass ihre Kräfte schwanden, und sie presste ihre stärker aufglühende Hand ein letztes Mal fest gegen Purans, all ihre Kraft in den Zauber steckend, die sie aufbringen konnte. „Bitte… hör mich an, Mutter Erde…“ Puran japste ob der unangenehmen Gefühle des Heilungsprozesses; dann ließ Leyya ihre Hand sinken und beugte sich erschöpft atmend nach vorne. „I-ich… ich kann es nicht!“, schluchzte sie, „Ich… habe nicht genug Energie-… ich bin… e-eine unfähige Frau für dich-…“

„Warte-…“, machte er perplex stammelnd und hob seine linke Hand, die sie losgelassen hatte, und betrachtete sie eingehend.

Das Loch war verschwunden.

„Du hast es geschafft… sieh!“, stammelte er verdutzt und sie hob den Kopf. Dann eine Hand, mit der sie vorsichtig gegen die neu entstandene Handfläche tippte. Sie war wirklich da… die Zellen hatten sich regeneriert. Die Hand war ganz… das Loch war weg. An seiner Stelle blieb nur eine markante Narbe zurück. Sie hatte es wirklich geschafft!

Als sie das registrierte, wollte sie lächeln… aber die vorangegangenen Ereignisse ließen ihr glückliches Lachen in ihrer Kehle ersticken.
 

Düster grollte der Himmel über dem Land, als die Nacht heraufgezogen war. Es war lange her, dass Puran und Leyya zusammen gebadet hatten, ohne sich dabei in irgendeiner Weise intim zu berühren oder sich zu vereinen. Aber jetzt war niemandem danach, derlei Dinge zu tun… nachdem sie sich gewaschen und Leyya die restlichen Wunden versorgt hatte, trockneten sie sich ab und legten sich wieder ins Bett. Die kleine Heilerin kuschelte sich schweigend an die Brust ihres Mannes, der ihr nur gedankenverloren durch die langen, dunklen Haare fuhr.

„Es ist so unwirklich…“, murmelte er irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit. „Ich… glaube immer, dass mein Vater jeden Moment herein kommen könnte, oder ich denke daran, dass ich ihn morgen dies und das fragen sollte… und dann fällt mir ein, ‚Ach, das geht ja gar nicht…’… das ist… irgendwie brutal.“

„Brutal ist, dass er sterben musste!“, wimmerte sie an seiner Brust, „E-er war… er war ein so guter Magier und… er war ein toller Mensch! Für mich ist er… in den Jahren mehr mein Vater gewesen als es mein Onkel Turoni jemals gewesen ist… und mein leiblicher Vater hatte dazu nur vier Jahre meines Lebens Gelegenheit… an die ich mich kaum noch erinnere…“ Sie schluchzte und er zog sie zitternd dichter an sich heran, jetzt mit der Hand über ihren nackten Rücken streichelnd.

„Schlaf, Leyya.“, murmelte er dann dumpf, „Oder versuche es wenigstens. Wir haben… auch noch Dinge, für die wir Kraft brauchen werden, auf die wir uns zu bewegen…“ Damit löste er sich etwas von ihr und fuhr mit der Hand auf ihren noch flachen Bauch, in dem ihr gemeinsames Kind wuchs. Sie hickste leise vom Weinen in seinen Armen, ehe sie eine Hand auf seine legte.

„Dieser Kindeskeim in meinem Bauch ist auch in diesem Moment… mein einziger Lichtschimmer…“, wisperte sie, und er schloss die Augen, als sie erneut schluchzte und sich gegen ihn drückte, worauf er sie liebevoll umarmte und beschloss, sie nie wieder loszulassen.
 

Leyya schlief tatsächlich irgendwann erschöpft ein; Puran schlug sich die Nacht um die Ohren und fand keine Ruhe. Alles, was ihm im Kopf herum schwirrte, waren Gedanken an den vergangenen Tag. Er sah immer noch die Bilder der Schlacht, die Männer, die er zerfetzt hatte – den zuyyanischen Kaiser, den er vernichtet hatte.

Der Mann, der seinen Vater getötet hatte.

Die Gedanken brachten ihn beinahe um, so hatte er das Gefühl, während er sich bemühte, die arme Leyya nicht aus Versehen zu erdrosseln, als er sie energisch an sich drückte, als könnte er so das Zittern in seinem Inneren bezwingen. Das Wispern der Geister in seinem Kopf ließ ihn erschaudern und er schloss die Augen in der verzweifelten und vergeblichen Hoffnung, etwas Schlaf zu finden und die gräulichen Bilder in seinem Geist zu vergessen… Bilder von Tod und Verderben, die sich wie ein Schatten über seine Seele legten und offenbar beschlossen hatten, ihn nie wieder loszulassen.
 

Nalani dachte nicht einmal an Schlaf. Sie lag nur in ihrem Bett, das ihr jetzt zu groß und zu leer vorkam, weil sie alleine darin liegen musste. Wie versteinert starrte sie auf die Stelle, an der sonst ihr Mann gelegen hatte, als wünschte sie, er würde einfach wieder auftauchen, wenn sie lange genug starrte.

Er kam nicht zurück. Er würde nie wieder da liegen… nirgendwo würde Tabari jemals liegen, nur auf dem Scheiterhaufen am nächsten Tag, wenn sie die Bestattung abhalten würden. Der Gedanke ließ sie erschaudern. Es fühlte sich falsch an ohne Tabari… es war nicht richtig, dass er nicht da war und sie schon!

Zitternd streckte sie ihre Hand aus und berührte die Fläche auf dem Bett, auf der ihr Mann fehlte. Es erschütterte sie tief im Inneren, die bloße Matratze zu berühren, das Kopfkissen, auf dem sie noch ein blondes Haar fand.

„Wieso… bist du nicht hier…?“, wisperte sie tonlos, ohne eine Antwort zu erwarten, und sie fuhr zusammen, als sie unwillkürlich schluchzen musste, weil die Gedanken an ihren Mann sie zu sehr schmerzten. „Du fehlst mir… dabei sind wir nicht mal… einen Tag getrennt…“ Ihre Stimme erstarb unter den Schluchzern und sie rollte sich nach vorne auf Tabaris Seite des Bettes, das Gesicht bebend in seinem Kissen vergrabend. Das Bettzeug roch noch nach ihm… sie atmete tief den Geruch ein, den sie bald nie wieder riechen können würde… es war eine grausame Gewissheit. Dieses Wissen, dass sie ihn nie wieder lachen hören würde… dass er nie wieder mit ihr sprechen würde… sie wünschte sich, er käme zu ihr und würde ihren Kopf streicheln, ihre Haare berühren, wie er es gern getan hatte.

„Weine nicht, Königin.“ , wollte sie ihn sagen hören, und allein die Gedanken daran ließen sie wieder zu weinen beginnen.

Gestern Nacht hatten sie hier noch gelegen… sie waren zusammen gewesen, und sie hatten sich geliebt… plötzlich erinnerte sie sich an das, was er gesagt hatte, und hob den Kopf, auf das Kissen starrend, als wäre es Tabaris Gesicht.

„Manchmal höre ich nachts die Geister der Männer, die ich in diesem Krieg getötet habe, rufen… sie rufen meinen Namen und sagen… Willkommen daheim.“

„Du hast das geahnt…“, keuchte sie und starrte auf das Kissen, ehe sie abermals erzitterte bei der Schaurigkeit dieses Gedankens. „Du hast gewusst… dass etwas geschehen würde… nicht wahr, Tabari?“

Ihr Mann antwortete ihr nicht und benommen sank sie wieder ins Kissen, drehte sich wimmernd auf die Seite und kauerte sich zusammen, apathisch mit den Fingern über den Kissenbezug streichelnd.

„Erinnerst du dich noch an die Höhle in den Klippen hinter dem Schloss…?“, hörte sie noch seine Worte und schloss zitternd die Augen, um mit irgendeiner Macht, die sie nur aufbringen konnte, all ihren Schmerz in ihrem Inneren zu verschließen… sie wollte alle Gedanken einsperren und weitermachen können.

Tabari war tot und sie war am Leben… es war aber nicht so einfach, alles wegzusperren, wie sie es sich wünschte.

Sie sah die Höhle vor sich, von der er gesprochen hatte. Sie erinnerte sich an die Nacht, die sie dort zusammen verbracht hatten; damals hatten sie sich noch so gehasst und gestritten… und dennoch waren schon erste Anzeichen der Zärtlichkeit zwischen ihnen da gewesen. Sie wollte dahin zurück… zurück nach Dokahsan, in ihre Heimat. Sie dachte an Kiuk, ihren Schwager, der schon vor Jahren verstorben war… jetzt würde sein Bruder ihn wenigstens wiedersehen. Sie fragte sich, ob Sukutai und Alona am Leben waren… Alona. Als sie Kiuks Tochter zum letzten Mal gesehen hatte, war sie noch ein Mädchen gewesen… inzwischen musste sie längst eine erwachsene Frau sein, ein wenig älter als Nerons Verlobte.

Die Gedanken lenkten sie ab… sie hüllten sie ein wie ein schützender Vorhang aus Dunkelheit, damit sie versuchen konnte, die Nacht zu überstehen.

In dieser Nacht schwiegen die Geister in ihrem Inneren.
 

Die Bestattung fand am nächsten Tag auf dem Innenhof des Palastes statt. Sämtliche Anwohner des Schlosses des Königs waren anwesend, während in der Mitte der große Scheiterhaufen stand, auf dem unter einem Tuch der Herr der Geister lag, bereit für die letzte Reise ins Reich der Geister. Auf dem Podest, auf dem der Haufen war, standen Nalani und der König von Kisara, der noch die Fackel hielt und der noch etwas zu sagen hatte.

„Volk von Kisara! Der gestrige Tag war ein Tag der Geschichte. Tapfer haben unsere Männer gegen die zuyyanischen Eindringlinge gekämpft, wir haben uns wacker geschlagen! Aber wir haben auch schwere Verluste erlitten am gestrigen Tag… kann ein einfacher Sieg solche Verluste wett machen? Ich weiß es nicht… aber lasst uns glauben… lasst uns hoffen, dass die Männer, die gestern auf dem Schlachtfeld ihr Leben ließen, es für das Land getan haben, für ihre Familie, damit die in Frieden leben kann, eines fernen Tages, wenn der Schatten vorübergezogen ist.“ Er machte eine Pause, in der es totenstill auf dem Hof war. Dann fuhr er fort. „Tabari Lyra war ein guter Mann! Ein guter Kämpfer, ein weiser Magier und ein guter Heerführer. Ich beklage zutiefst seinen Verlust und demütig werde ich mich vor seiner Familie in den Staub werfen und sie um Vergebung bitten… denn es war mein Befehl, der ihn auf dieses Schlachtfeld gebracht hat.“ Jetzt drehte der König sich zu Nalani um, die den Kopf hob und so gefasst wie nur möglich sprach.

„Euch trifft keine Schuld, Majestät. Es war nicht Euer Befehl… Tabari wäre auch ohne den Befehl gegangen. Freiwillig, weil er daran geglaubt hat, mit… eigener Kraft diejenigen beschützen zu können… die er liebte.“ Ihre Worte erschütterten die Anwesenden und Leyya schluchzte unglücklich, während sie ganz vorne bei ihrem Mann stand, der jetzt sachte einen Arm um sie legte. Dann wandte der König den Kopf und sah ihn an, was ihn verdutzte.

„Gestern.“, erhob er wieder die Stimme, „Ist ein edler Mann gestorben, dessen Tod wir hier betrauern. Aber gestern haben auch… die Zuyyaner ihren Führer verloren, den Kaiser, der Schuld war an allem Unheil. In Ehren halten müssen wir die Schamanen, sage ich, die uns geholfen haben, den Feind zu zerschlagen – ohne die es nicht möglich gewesen wäre. Insbesondere will ich mich verneigen vor dir, Puran, Sohn von Tabari, dem Herrn der Geister. Du, der du den Kaiser unserer Feinde bezwungen… und geschlachtet hast. Das Volk soll dich in Ehren halten bis hin zu dem Tag, an dem deine Seele mit der deines Vaters im Wind weht! Ehren sollt ihr den Mann, dem ihr die Freiheit Kisaras zu verdanken habt!“ Und ehe Puran etwas erwidern konnte, ging der König auf die Knie und warf sich vor ihm auf den Boden. Der junge Mann erstarrte, als nach und nach erst die Generäle, dann die Senatoren und schließlich der ganze Hofstaat und alle, die im Hof anwesend waren, sich ebenfalls verneigten; allein Nalani blieb, wo sie war, und Leyya war an Purans Seite vor Verblüffung erstarrt.

„Himmel!“, keuchte Puran nur verlegen und spürte etwas in seinem Inneren sich schmerzhaft zusammenziehen bei dem Bild, das sich ihm darbot. „Ich… ich bin es nicht wert, dass Könige vor mir knien!“, stammelte er dann, brach den Protest aber mit flammendem Gesicht ab – er konnte doch dem König nicht befehlen, das zu lassen. Er war der König. Der nahm keine Befehle entgegen, schon gar nicht von ihm. Es war seine Mutter, die dumpf sprach.

„Das ist deine Ehre, Puran. Nimm sie an, sie ist… Wille der Geister.“

Und vermutlich die einzige Chance, die der Lyra-Clan hat, je wieder zu Rang und Ehre zu kommen nach dem, was Kelar getan hat… es ist richtig so. Es ist gut so…

Sie senkte ebenfalls würdevoll den Kopf und ihr Sohn keuchte verzweifelt, weil er sich unwohl fühlte. Er hinderte seine Frau gerade noch daran, sich auch zu verneigen, indem er sie festhielt. Das Gefühl war berauschend – aber auf eine unangenehme Weise, irgendwie. Er konnte nicht direkt erklären, was es war, aber er hatte das Gefühl, als würde die Ehre ihm die Kehle zuschnüren wollen und ihn zwingen, einen langsamen, grausamen Tod zu sterben.

Er war froh, als der König sich wieder aufrichtete und es ihm alle gleichtaten. Dann gab er Nalani die Fackel in die Hand und die Frau wandte sich dem Scheiterhaufen und ihrem Mann zu, das Feuer erhoben, das beides anstecken sollte.

„So brenne, Geist von Tabari…“, stammelte sie und ihre Stimme erstarb unter dem Knistern der Fackel in ihrer Hand, während sie erzitterte und die Augen schloss. „Mögen der Schein der Flammen und der Rauch dich hinauf tragen zum Vater Himmel und hinüber ins Reich der Geister…“ Sie schnappte keuchend nach Luft und zwang sich schließlich, nicht weiter zu zögern und die Fackel auf den Haufen zu werfen. Als sie darauf zurücktrat vor den empor stechenden Flammen, die sich über dem Reisig und dem Stroh ausbreiteten, taumelte die Frau und wäre beinahe vom Podest gefallen, hätte Puran nicht einen Schritt nach vorne gemacht und sie festgehalten, um sie anschließend lieber herunter zu heben und neben sich abzustellen.

„Reiß dich zusammen, Mutter…“, versuchte er es kleinlaut, als sie das Gesicht von ihm abwandte und hinauf starrte in die Flammen; ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Du hast damals bei Ruja gesagt-… w-wir… wir müssen ihn loslassen… wie soll Vaters Geist vernünftig auf die andere Seite des Himmels kommen, wenn du dich daran klammerst? Sieh mich an…“ Sie schnappte neben ihm nach Luft und hob den Kopf in die Höhe, sich dabei über die Augen fahrend – sie wusste es ja. Sie wusste, dass er die Wahrheit sprach…

Und dennoch fiel es ihr schwer…

Nalani atmete tief durch, ehe sie gen Himmel blickte und die Stimme etwas lauter erhob.

„Geh, Tabari… eines Tages werden wir uns wiedersehen! Sieh, Vater Himmel… ich lasse den Geist meines Mannes los, damit er zu dir kann. Wir kommen zurecht…“ Sie schloss die Augen wieder, als sie den Wind in ihr Gesicht fahren und durch ihre Haare streicheln spürte. Er war wie Tabaris Hände, die sie so sanft berührt hatten manchmal, wenn sie alleine gewesen waren… es war ein angenehmes, warmes Gefühl, und es kam nicht von den Flammen vor ihr, sondern aus ihrem Inneren heraus.

„Du bist nicht alleine, Königin…“, wisperten die Geister in ihrem Kopf und sie schauderte, als sie so deutlich, als wäre er wirklich da, Tabaris grinsendes Gesicht vor sich sehen konnte. „Sei tapfer, Nalani.“, sagte der Windgeist zu ihr, und sie lächelte unwillkürlich, die Augen noch immer geschlossen, und genoss die letzte, warme Berührung des Windes in ihrem Gesicht.

Es war gut so … sie hatte ihn loslassen können.
 

Die Flammen ragten bis hoch in den Himmel hinauf und von dem brennenden Haufen ging eine angenehme Wärme aus, als die Menschen versammelt schweigend im Hof standen und dem tanzenden Feuer zusahen, wie es die Seele des Herrn der Geister hinauf in den Himmel trug. Es dauerte lange, bis sich die Versammlung allmählich auflöste und nach und nach alle wieder dahin verschwanden, wo sie zu tun hatten.

Puran saß mit seiner Frau und Meoran, der Saidah auf dem Schoß hatte, auf der Treppe, die zum Palast führte, und raufte sich unruhig die Haare.

„Du bist jetzt so eine Art Nationalheld.“, sagte sein Lehrmeister zu ihm, „Weil du den zuyyanischen Kaiser getötet hast… irgendwie bist du schon immer etwas Besonderes gewesen.“

„Ja…“, murrte der Jüngere dumpf und wich dem Blick seines Meisters aus, „Und ich habe es schon immer gehasst.“ Meoran seufzte.

„Ich weiß, was du meinst… aber es war die Bestimmung der Geister, dir diese mächtigen Gaben zu verleihen. Du solltest ihren Willen ehren, Puran… du kannst dein Schicksal nicht eigenhändig ändern. Und dein Schicksal ist es nun einmal, etwas Besonderes zu sein. Jetzt… bist du das Oberhaupt deiner Familie. Und für die nachfolgenden Generationen…“ Er sah dabei auf Leyya, die schwach lächelte bei den Gedanken an das Baby in ihrem Bauch, „Solltest du ein gutes Beispiel liefern, sie sollten zu dir aufsehen und dich respektieren können… als Mann, der die Traditionen ehrt, wie es sich gehört. Neue Wege sind gut, Puran, aber wir Menschen sind von Natur aus eher Gewohnheitstiere, wir brauchen feste Regeln und Sitten, an die wir uns halten, deswegen müssen wir immer in gewissem Maß den Traditionen folgen, auch, wenn es uns nicht passt.“

„Die Gaben der Geister, sagst du…“, stöhnte der Jüngere und starrte apathisch in die Flammen; Meoran zog jetzt besorgt eine Braue hoch bei dem Zittern seiner Stimme und der Veränderung in seinem Gesicht. „Diese Gaben, die aus mir ein Monster machen, jawohl!“ Er schnappte nach Luft, als er an die Bilder dachte, die immer noch in seinem Kopf umher schwirrten wie lästige Fliegen um einen Kadaver herum flogen. Egal, wie oft er es versuchte, sie ließen sich nicht vertreiben. Die Bilder der Männer, die er in all den Schlachten getötet hatte… einschließlich die des Kaisers.

„Verneigen will ich mich vor dir… du, der du den Kaiser unserer Feinde bezwungen… und geschlachtet hast.“ Das hatte der König gesagt und die Worte stießen ihm jetzt übel auf, als er an sie dachte, und er erhob sich rasch von der Stufe und taumelte rückwärts, den Blick noch immer auf die Flammen gerichtet.

Geschlachtet, ja… das war das passende Wort.

Er erinnerte sich genau an den Moment… an den Augenblick, in dem er die Kontrolle über seine Macht verloren hatte, wie es schon lange nicht mehr passiert war. Es hatte ihm einmal wieder bewiesen, dass in seinem Inneren Kräfte wohnten, die er niemals zu bändigen wissen würde… eine bestialische, furchtbare Macht, vergleichbar mit der Schreckensgestalt seines Großvaters.

„Da siehst du es wieder.“ , zischten die Geister hämisch in seinem Kopf und er japste entsetzt, „Du bist eben Kelars Enkel. So sehr du es zu leugnen versuchst, ein Teil seines Blutes fließt in deinen Adern… und wird es immer tun, Puran. Du bist ein Kind des Geistes… und ein Genie, wie Kelar auch eines war.“

„N-nein, Lügen!“, zischte der Mann und schüttelte heftig den Kopf, nicht merkend, wie Leyya und Meoran erst ihn, dann sich gegenseitig bestürzt ansahen.

„Puran?“, fragte seine Frau dann erschrocken und stand auf, aber er wich vor ihr zurück, als wäre sie ein böser Dämon.

„Nicht…“, stöhnte er kraftlos und erzitterte, indem er eilig weiter zurück und die Stufen hinauf stolperte. „Komm nicht näher… die Geister segneten mich mit Gaben, sagst du, Meister! Ich sage, die gaben sind ein Fluch… es sind Mächte, die ich nicht beherrschen kann… nicht vollends! Diese Macht, die… die dafür sorgt, dass ich brutal Menschen umbringe, was ist das für eine gute Gabe, sag es mir!“ Meoran erhob sich auch.

„Es war der Mann, der deinen Vater getötet hat, hast du jetzt etwa Mitleid mit ihm?“, fragte er erstaunlich kaltherzig, was bei ihm ungewohnt war. Saidah hatte er auf der Stufe abgesetzt und die Kleine durchbohrte Puran mit ihren blauen Augen, ohne etwas zu sagen.

„Rache ist nichts Edles, was man verherrlichen sollte!“, rief Puran fassungslos und jetzt drehten sich immer mehr der anderen im Hof zu ihnen um, die bis eben noch das Feuer beobachtet hatten, einschließlich Nalani und der Rest des Rates. „Ich bereue nicht, ihn getötet zu haben, aber ich hätte in meinem Kontrollverlust auch wen anderes erwischen können! Sogar dich, sogar meine Mutter! Findest du das eine gute Gabe, Meoran?!“

„Das sind Hirngespinste, du machst es dramatischer als es ist.“, erwiderte der Ältere, „Setz dich hin, Puran, beruhige dich. Du weißt tief in deinem Inneren, dass so etwas nie passieren wird. Vorher würde dein Geist sich zusammenreißen und die Kontrolle über deine Macht zurückholen. Du weißt, dass du das kannst… könntest du es nicht, wärst du nicht fähig, das Schwert der Himmelsgeister zu führen.“

„Und wenn es doch eines Tages passiert? Ich sehe die Bilder der Leute, die ich umgebracht habe, sie verfolgen mich in meinen Träumen und machen mich wahnsinnig… und die Geister spotten über mich… i-ich kann das… nicht länger verantworten! Die Bürde ist… mir einfach zu schwer!“ Er schnappte abermals panisch nach Luft, als das Gefühl zurückkehrte, das er gespürt hatte, als sich alle vor ihm verbeugt hatten.

„Knien sollen sie… du bist jetzt der König des Lyra-Clans. Du verdienst, dass sie… vor dir kriechen.“, kicherten die Geister und er schrie entsetzt auf, wirbelte dann herum und stolperte in den Palast, die anderen zurücklassend. Leyya schrie auch und setzte ihm nach.

„Warte doch! Um Himmels Willen, Puran!“ Die anderen schenkten einander nur verblüffte Blicke, Nalani senkte nachdenklich die Augenbrauen über das Verhalten ihres Sohnes. Sie fragte sich, was das wohl bedeuten mochte…
 

Leyya holte ihren Mann oben im Korridor ein und fasste nach seinem Arm.

„Puran, sprich mit mir…“, verlangte sie sanft, doch er riss seinen Arm zischend aus ihrem Griff und schnappte verzweifelt nach Luft.

„Nicht, Leyya! Ich… tu dir nur weh…“

„Du tust mir weh, indem du mich abweist!“, empörte sie sich, packte störrisch wieder seinen Arm und zerrte daran, sodass er gezwungen war, anzuhalten, und sich zu ihr umdrehte. Sie sah die Verwirrung in seinem Gesicht, die Überlastung, und sie wusste, dass er noch weniger geschlafen haben musste als sie; er war todmüde, der Verlust seines Vaters saß ihm im Nacken, es war nicht verwunderlich, dass er so einen Nervenzusammenbruch bekam.

Sie seufzte leise, als er nur schweigend heftig ein und aus atmete, dann drückte sie ihn rückwärts gegen die steinerne Wand des Korridors und presste sich zärtlich gegen ihn, dabei seinen Oberkörper umarmend. „Bitte.“, flüsterte sie dumpf gegen seine Brust, „Sprich mit mir. Wovor fürchtest du dich?“ Er atmete eine Weile nur, ohne zu sprechen, und schloss bebend die Augen, um die wohltuende, beruhigende Wärme seiner hübschen Frau in sich aufzunehmen, die ihn umarmte.

Sie war eine gute Heilerin… er hatte es immer gewusst.

„Ich… fürchte mich immer noch… davor, so zu werden wie mein Großvater.“, murmelte er dann, „Manchmal habe ich… solche Gedanken in mir… solche… Impulse, die ich zurückhalte, die mir… vor Augen halten… dass ich im Inneren ein ziemlich… herrischer Mensch zu sein scheine…“ Er zuckte, als er spürte, sie sie ihn fester umarmte und sich streckte, um seine Wange zu küssen. „Und manchmal, in… diesen Schlachten… verliere ich die Beherrschung über dieses… schattige Innere meiner selbst und… ich weiß nicht, was ich dagegen machen soll…“ Leyya unterbrach ihn lächelnd.

„Du bist nicht herrisch, du magst nur gerne die Kontrolle haben.“, korrigierte sie ihn, „Daran… ist nichts Falsches, Puran. Du versuchst doch nur, das, was dir lieb ist, zu beschützen, und das geht am besten, wenn du es kontrollieren kannst… außerdem… musst du nicht etwas herrisch sein, wenn du die Geister von Himmel und Erde beherrschen willst?“

Er sah sie kurz an, als sie sich sanft von ihm löste und ihn zärtlich anlächelte.

Beherrschen… ja, das sollte er. Das Zischen in seinem Kopf war verstummt, als er jetzt so mit Leyya auf dem Flur stand, die Geister schwiegen ihn jetzt an.

Ja, beherrschen musste er sie… damit sie aufhörten, ihm höhnisch den Kopf zu verdrehen mit ihren Lügenmärchen. Natürlich hatte er das Blut seines Großvaters in sich, er hatte auch seine Haarfarbe; das machte ihn nicht zum Monster. Nicht, wenn er dafür sorgte, dass die Geister keine Gelegenheit bekamen, ihm seine Kontrolle zu nehmen.

„Du hast recht.“, machte er plötzlich entschlossen und Leyya zog eine Braue hoch, als er sich abermals umdrehte und weiter lief. Sie rannte ihm nach.

„Wohin gehst du denn?!“

„Auf den Balkon, damit Vater Himmel mich hören kann!“, erwiderte er grimmig und sie blinzelte perplex, als er in ihr gemeinsames Zimmer stürzte, durch die Stube hindurch und auf den kleinen Balkon, wo er sich am Geländer abstützte und hinauf in den Himmel sah. Oben türmten sich gräuliche Wolken. Als seine Frau auch auf dem Balkon angekommen war, hob Puran die Hände in den Himmel und betrachtete von unten die große Narbe auf seiner linken Hand, die er dem Kaiser zu verdanken hatte – nein, die Narbe hatte er an sich seiner Frau zu verdanken. Und er dankte ihr wirklich, denn besser eine Narbe als ein Loch. „Sieh, Vater Himmel!“, rief er mit lauter, gebieterischer Stimme, und Leyya hinter ihm fuhr zusammen, als aus dem wolkigen Himmel ein dumpfes Grollen ertönte. „Ich will, dass du mir zusiehst und auf ewig bezeugst, was ich zu dir spreche! Ich werde nicht… wie mein Großvater werden und noch mehr Menschen morden, ich werde dafür sorgen, dass ich meine Macht beherrsche! Ich schwöre dir in deinem eigenen Angesicht, Vater Himmel, dass ich nie wieder mit diesen meinen Händen einen Menschen töten werde!“ Es folgte ein weiteres Grollen und Leyya sah ihn aus großen Augen an bei den Worten.

Ein Schwur war ein Pakt mit Himmel und Erde. Ihn zu brechen war viel schlimmer als jedes Versprechen zu brechen, das man jemals jemandem gegeben haben mochte; die Geister konnten einen dafür bestrafen oder gar töten. Er musste sich seiner Sache sehr sicher sein, wenn er vor dem Himmel so einen Schwur ablegte… irgendwie beeindruckte sie diese Entschlossenheit enorm und sie atmete tief die frische Frühlingsluft ein, während sie andächtig die Hände auf ihren Bauch legte, als würde sie dadurch ihrem ungeborenen Baby sagen, dass sie seinen Vater wunderbar fand.

Sie lächelte, als Puran die Hände keuchend sinken ließ und sich zu ihr umdrehte. Er seufzte und drehte das Gesicht zur Seite, während er mit einer Hand nach ihren fasste.

„Du hast recht, beherrschen muss ich die Geister.“, meinte er dabei ernst und sie nahm seine Hand zärtlich in ihre, ehe sie sich an ihn schmiegte und zuließ, dass er den freien Arm um sie legte, während er nach Norden starrte, in Richtung ihrer alten Heimat. „Damit ich, wie Meoran gesagt hat, unserem Kind eines Tages ein gutes Beispiel sein kann… und verhindern kann, dass die Geister aus ihm so eine Bestie machen wie es mein Großvater war. Lass uns… ab heute versuchen, nicht mehr über ihn zu sprechen… wenn wir ihn totschweigen, verschwindet sein Schatten vielleicht eines Tages aus meinem Gemüt und denen derer, die ihn genauso gefürchtet haben.“
 


 

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Ähm - yay? April 982.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Decken-Diebin
2010-04-29T18:32:55+00:00 29.04.2010 20:32
Taschentuchalarm Q_____Q *schnäuz* Gott, ich hab lange nicht mehr beim Lesen so geheult ;_;' - Und das obwohl ich ebenfalls wusste, dass er stirbt und so... wäh .___.
Überhaupt am Anfang freut er sich noch sooo auf Karanachen, von wegen "er wird noch dieses Jahr Großvater"... wenn man das weiß, dann wird man schon da traurig >.<
Ach ja, ich glaube, da war eine Anspielung auf Yarek, nicht? ö.ö... Zumindest stand da irgendwo, dass Kuyalaner rote Haare haben... was zumindest Yareks Haarfarbe erklärt xD
Und dann, als sie sich das letzte Mal geliebt haben... oh man, ey wenn man schon Vorwissen hat, wird das alles trauriger >___< Aber dieser Satz, dass Tabari ausnahmsweise mal oben lag, der hat einem zwischendurch doch mal ein Lächeln auf die Lippen gezaubert :D'
"Willkommen daheim."... Dazu will ich gar nichts mehr sagen... Q____Q~
Ach ja, und dann bei Puran und Nodin die Szene... Nodin erzählte ja, dass man sich immer zweimal im Leben sieht und so, worauf Puran sagt, dass es wohl das letzte Mal sein wird, was Nodin wiederum nicht denkt... hmmm, war das eine Anspielung auf 984/985? xD Als Nodin Simu "vorbeibringt"? Was mir dann aber dazu einfällt - Puran muss Nodin doch erkannt haben, oder? O.o Dann müsste er auch wissen, wer Simus Eltern sind und so...
Na ja, und dann Tabaris Tod Q___Q Das war einfach nur... weinen >.<
Und überhaupt alles. Ebenso die Szene, wo Nalani im Bett liegt und ich kann mir das so gut verdammt vorstellen, wie man irgendwann auch mal so in einem Bett liegt... ach Q___Q
Ich geh ne Runde weinen ;_; <3'
Von:  -Izumi-
2010-04-29T17:22:29+00:00 29.04.2010 19:22
Er ist.... tooooooot Q____Q
Altha, ich hab ja sowas von geweint XD
Die Tränen sind mir nur so übers Gesicht gekullert.... ach XD
Ich meine, die Szene selbst war eher so ein wtf-Moment (okay, nur halb, ich wusste ja, dass Tabari dieses Kapitel durch den Kaiser stirbt, aber trotzdem irgendwie), aber das direkt danach...
Wie Puran abgedreht ist fand ich sehr beeindruckend... ich meine, ich kann ihn da auch voll und ganz verstehen! úù
Ach ja, und wie sich Nalani und Tabari zu Beginn noch lieb hatten... ich hab dir ja gesagt, was ich davon hielt >///<
Und diese ganze Stimmung bei dieser Schlacht dann kam so übelst gut rüber!
Wie gesagt, ich finde ja, du hast dich bei dem Kapitel selbst übertroffen (ich habs am Stück mit entzündeten Augen gelesen und war am Ende noch topp-fit!)
Dann, die Szene nach Tabaris Tod, wie Nalani dann allein im Bett liegt... das hat mir ja sowas von den Rest gegeben, da habe ich auch Rotz und Wasser geheult ^^'
Man konnte sich mal wieder sowas von in sie hinein versetzen ._. *grusel*
Ach ja, und ehe ich es vergesse, ich bin ja sowas von begeistert von Nodin óO
An sich ist er ja random... aber ich finde ihn unsagbar cool! Ich würde gern mehr von ihm lesen (wenn auch nicht hier, jetzt kommt er ja erst wieder ganz zum Schluss kurz vor)... <3


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