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Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde

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Herrscher der Geister

Die nächste Nacht verlief ruhiger als die vergangene. Allmählich löste sich der Schock über Tabaris Tod aus den Seelen der Magier; das Leben musste weitergehen. Sie waren am Leben, sie konnten nichts für Tabari tun und er auch nichts für sie. Es wurde Zeit, Prioritäten zu setzen… auch, wenn es schwer fiel.

„Irgendwie wird das schon.“, behauptete Neron Shai zuversichtlich zu dem Thema, „Das hätte Tabari jetzt gesagt. Wir sollten das in Ehren halten, denke ich.“ Da hatte er nicht ganz unrecht, denn es gab genügend Dinge, um die sie sich in Zukunft Gedanken machen müssten – in ziemlich naher Zukunft überdies.
 

„Die Zuyyaner haben sich zurückgezogen.“, erklärte der König von Kisara guter Laune, als Puran ihn einige Tage nach seines Vaters Tod in seinem Thronsaal aufsuchte, um mit ihm zu sprechen. „Das verdanken wir dir, sie sind sicher schockiert, dass ihr Kaiser getötet wurde. Soweit die Späher das gesehen haben, haben sie sich in höhere Gebiete des Hochlandes verkrochen und die Stellung in Zarimia am Fluss aufgegeben. Aber ganz weg sind sie immer noch nicht, obwohl es von allen Seiten in den Provinzen Aufstände und Gemetzel gegeben hat in den letzten Monden, sie sind immer noch da. Was muss denn noch passieren, damit diese machthungrigen Geier endlich mal verschwinden?“

„Vielleicht muss ihnen erst der Himmel auf den Kopf fallen.“, seufzte Puran dazu, „Aber ich fürchte, dass selbst das sie nicht abschrecken würde. Ich frage mich, ob die nichts Besseres zu tun haben auf Zuyya. Und langsam müssen ihnen doch mal die Krieger ausgehen…“

„Ja, ich weiß auch nicht. Erstaunliche Leute, diese Zuyyaner. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir auf dem richtigen Weg sind, sie zu zerschlagen. Jetzt wird es sicher einen neuen Kaiser geben, aber so als neuer Kaiser kann man nicht mir nichts dir nichts die Politik seines Vaters oder Vorgängers fortsetzen… ich weiß das ja selbst sehr gut, obwohl ich kein Kaiser, sondern nur König bin.“ Er zeigte ein aufmunterndes Lächeln und Puran räusperte sich. Es wurde Zeit, mit dem Geplapper aufzuhören.

„Majestät… der Grund meines Kommen ist… eigentlich eine Bitte an Euch, oder… mehr eine… Umstandsänderung meinerseits, die für Euch einige Konsequenzen haben wird.“ Der König hörte zu lächeln auf und sah ihn jetzt ernst an, als der Jüngere sich höflich verneigte. „Ich… werde mich aus dem Militär zurückziehen. Vergebt mir, mein König, ich… kann nicht weiter in Eurer Armee kämpfen.“

Der Monarch beäugte ihn lange, dann schloss er die Augen und seufzte.

„Ich verstehe; was ist mit den anderen aus dem Rat? Sprichst du für sie mit?“

„Nein, das gilt nur für mich persönlich. Es ist so, ich… habe in den vergangenen Tagen und Nächten viel nachgedacht und… festgestellt, dass… mir das Dasein als Krieger überhaupt nicht liegt. – Ich meine.“, Er hob abwehrend die Hände, als der König protestieren wollte, dass er aber doch ein ausgezeichneter Kämpfer war, „Es… liegt mir geistig nicht. Ich kann das nicht länger mit meinem Gewissen vereinbaren, ich bin Schamane… und Schamanen sind nicht als Krieger geboren. Zumindest ursprünglich nicht. Meine Aufgaben beschränken sich auf andere Dinge. Davon abgesehen liegt mir das… alles aber auch so nicht, ich bin nicht der geborene Heerführer wie es mein Vater war. Ich bin eben mehr der Redner und Politiker, wie meine Großmutter.“ Jetzt zog der Monarch eine Braue hoch und schien etwas aufgeheitert.

„Ach, na, wenn das so ist, warum unterhältst du dich nicht mal mit den Männern aus dem Senat? Es würde mich ehren, wenn du dich tatsächlich mehr zu den Politikern zugehörig fühlst, wenn du ein Teil des Senats werden würdest.“ Puran musste lachen.

„Das… würde mich wiederum zu sehr ehren, Majestät. Der Senat des Königs? Das ist für mich als Landei aus dem Norden doch sehr weit weg.“

„Ich meine das ernst.“, erwiderte der Ältere verdutzt und der Schamane zog eine Braue hoch. „Sprich mit den Männern. Ich habe es in der letzten Zeit öfter getan und wollte ohnehin dafür sorgen, dass die Gesetze reformiert werden und so auch Magier genauso wie Nichtmagier hohe Ämter des Landes belegen können. Mein Vater mit seiner dämlichen Rassenpolitik war da ja nicht so für zu haben. Aber ich sage, wir alle sind ein Volk. Lianer, Schamanen und Menschen sollten alle gleichberechtigt sein in der Möglichkeit der Berufe. Die Senatoren sind in diesem Punkt meiner Meinung.“ Puran verneigte sich abermals.

„Bei allem Respekt, mein König, ich kann… so ein großzügiges Angebot nicht einfach annehmen, ich… weiß auch gar nicht, ob ich wirklich hier in Vialla bleiben werde.“

„Das ist natürlich ein Argument. Andererseits habe ich gehört, dass in der Provinzregierung von Dokahsan die Räte der Magier einen Anteil an Mitspracherecht im Senat hatten, ist das richtig?“

„Das ist richtig. Zumindest, sofern es einen Senat gab.“

„Das ist großartig, das inspiriert mich. Ich hatte die Idee, da gerade für Kisara, wo die Magier doch sehr zahlreich vertreten sind – anders als in Senjo zum Beispiel, meine ich – die Mitsprache eures Volkes für die Regierung unglaublich wichtig ist… also, da hatte ich die Idee, die drei Rät der Schamanen ebenso in meinen einzugliedern. Ich würde mir, das ist eine dringliche Bitte an dich, wünschen, dass du mir von den Angelegenheiten aus Dokahsan erzählst. Der Vertreter des Senats da oben ist wohl leider im Feuer des Krieges gefallen, es ist im Moment ohnehin unsagbar schwer, mit den ferneren Provinzen Kontakt aufzunehmen. Da hilft mir jeder zufällig vorhandene, kundige Landsmann.“

„Kundig? Nun ja, abgesehen davon, dass ich meines Vaters Papiere studiert habe als Junge, weiß ich kaum etwas…“ Der Jüngere machte eine Pause. „Auch… wenn ich Euer Angebot für viel zu ehrenhaft halte, würde ich mich dennoch gerne in diese Richtung wenden und für Euch tun, was ich kann.“ Der König war jetzt zufriedener.

„Das hört man gern. Du bist klug und engagiert, ich halte dich für durchaus fähig, ein höheres Amt zu betreiben als das eines Berichterstatters. Wenn sich die Aufregung gelegt hat, werde ich dich persönlich in der Akademie empfehlen, damit du studieren kannst. Du musst wissen, die Akademie für Politikwissenschaften hier in Vialla gilt als eine der besten im Zentrum.“

„Um Himmels Willen.“, murmelte der Magier errötend, „Majestät! Ich meine… ehrlich gesagt würde ich mir… intrigant vorkommen den anderen Männern gegenüber, die sich so einen Studienplatz hart erkämpfen müssen… ich meine, ich hätte das Gefühl, mir meine Ehre erschummelt zu haben.“

„Dann mach es wieder gut und beweise, dass ich mich bei deinem Talent für diese Richtung nicht irre.“, war die erstaunlich ernste Antwort des Monarchen und Puran sah ihn groß an. Er meinte völlig ernst, was er sagte – und er würde das wirklich tun. Nicht, weil er ihm zujubelte, sondern weil er wirklich dieses Talent in ihm sah, was er beschrieben hatte. Der Jüngere blinzelte kurz, ehe er sich abermals verneigte.

„Da Ihr… so darauf besteht… werde ich mich nicht weiter zieren. Und ich verspreche Euch… wenn Ihr das wirklich für mich tut, werde ich alles tun, was in meiner Macht steht, um Euch nicht zu enttäuschen. Und eines Tages… werde ich dann vielleicht wieder hier mit Euch stehen, dann aber im Kreis der Senatoren, zu denen ich aufsehe. Und erst in diesem Moment wird vergolten sein, was Ihr für mich tun wollt… ich will nicht, dass irgendjemand denkt, ich hätte mir meinen Posten mit guten Beziehungen ermogelt.“

„Das hört sich gut an.“, meinte der König zuversichtlich, „Ich weiß, dass du mich nicht enttäuschen wirst, ich habe es im Gefühl. An dem Tage, an dem wir hier wieder stehen werden, werde ich lächeln und nicken, damit wir beide Bescheid wissen.“
 

Als Puran den Thronsaal verlassen hatte und auf dem Weg zurück zu seinen Gemächern war, hörte er plötzlich rennende Schritte hinter sich auf dem Korridor. Er war so verblüfft und auch beschämt über die große Ehre und das Vertrauen, das der König ihm entgegen gebracht hatte, dass er zu langsam reagierte und sich erst umdrehte, als sich etwas – oder eher jemand – japsend an seinen Hals schmiss und ihn von hinten stürmisch fest umarmte.

„Puran, Liebster!“, machte Leyya, die an seinem Rücken hing, und als er hustete, überrascht von dem Ansturm, ließ sie ihn los und lächelte ihn stolz an. „Du glaubst nicht, was gerade passiert ist!“ Er musterte sie verdutzt. Seine kleine Frau war ganz aus dem Häuschen, und sie nahm flink seine Hände in ihre und tänzelte mit ihm weiter in Richtung des Zimmers. „Der Vorsteher des Heilerrates, bei dem ich gelernt habe, hat mit mir gesprochen, eben gerade. Er hat gesagt, er hätte meine Erschaffung des Heilzaubers gegen die zuyyanischen Waffen mitverfolgt und er war ganz begeistert davon, dass es tatsächlich geklappt hat!“ Puran musste lächeln und ließ sich von ihr herum zerren, nicht fähig, ihre gute Laune zu bremsen; sie war einfach wie Zucker, der auf der Zunge zerging, wenn sie strahlte… wie könnte er da etwas dazwischen werfen?

„Das ist wunderbar.“, sagte er so, „Ich habe dir ja gesagt, es ist ein wahres Wunder. Ich muss gestehen, ich habe vor Neron und ein paar anderen auch schon damit angegeben, wie gut du meine Hand geheilt hast…“ Er blickte dabei auf die vernarbte linke Hand, und Leyya errötete vor Stolz.

„Sie wollen, dass ich Mitglied des Heilerrates werde und allen zeige, wie man diesen Zauber benutzt!“, offenbarte sie dann ihr Hauptanliegen, „Damit bin ich wohl das jüngste Mitglied, das seit Ewigkeiten in diesem Rat ist, ich… bin so stolz, weil… ich einfach das Gefühl habe…“ Jetzt hielt sie inne und wurde leiser, was Puran sie neugierig ansehen ließ. „Weil ich das Gefühl habe, dass ich damit… meinem längst toten Vater eine wahnsinnige Ehre erweisen kann… und ich… bin nie wieder eine unnütze Tochter, oder eine unnütze Frau…“ Ihre Stimme zitterte vor Aufregung und sie sah hoch in das hübsche Gesicht ihres Mannes. „Sag, Puran… bist du… auch stolz auf mich?“

Er war mehr als das. Weil es sinnlos war, das in Worten auszudrücken zu versuchen, zog er ihr Kinn hoch, beugte sich herab und küsste sie verlangend auf den Mund. Hingebungsvoll erwiderte die kleine Heilerin seinen Kuss und schlang seufzend die Arme um seinen Nacken, sich dabei auf die Zehenspitzen stellend. Als sie den Kuss beendeten, lächelte sie ihn an, und er lächelte zurück.

„Ich habe überdies nie gedacht, du wärst unnütz… meine hübsche, tapfere Leyya. Ich habe deinen Mut und deine Hartnäckigkeit, mit der du an eine Sache herangehst, immer sehr bewundert. Egal, wie der Sturm auch tobt, du gibst nicht auf, du lässt dich vielleicht biegen wie ein zarter Grashalm…“ Dabei streichelte er ihr nicht ohne einen gewissen Unterton in der Stimme über die Hüften, „Aber du richtest dich immer und immer wieder auf. Das… fasziniert mich immer noch so an dir… du hast diese Ehre des Heilerrates verdient, mehr als jeder andere Heiler der Welt.“ Er küsste sie noch einmal, dieses Mal fordernder. Zum ersten Mal seit Tabaris Tod verspürten sie beide wieder das Bedürfnis, sich zu lieben, und es war ein angenehmes, warmes Gefühl.

Sie überwanden die letzten Fuß zu ihrem Zimmer, wo Puran die Tür hinter sich schloss; und kaum war sie zu, gab es kein Halten mehr. Als hätten sie sich jahrelang nicht gesehen, stürzten sie sich wild und übermütig aufeinander, und sie rollten sich lachend über den Boden, glücklich über die Befreiung, die sie spürten, weil die Beklemmung der Trauer verflog. Tabari hätte nicht gewollt, dass seinetwegen alle einen Mond lang Trübsal bliesen. Und diese Erkenntnis tat ungemein gut, als sie sich in ungestümer Hektik gegenseitig die Kleider vom Leib rissen, sich zwischendurch erhitzt küssten und einander mit den Händen flüchtig berührten.

„Sei nicht so wild, Leyya… pass doch auf das Baby auf…“, stöhnte er benommen, als sie auf seinem Schoß saß, während er am Boden lag, und sie schnalzte frech mit der Zunge, ehe sie seinen Rumpf zwischen ihren Schenkeln einklemmte und sich mit einem großen Schwung zur Seite warf, sodass sie auf den weichen Teppichboden des Zimmers rollte und er über sie. Sie teilten einen gierigen, leidenschaftlichen Zungenkuss.

„Das sagt der Richtige, ja, ja…“, feixte sie und schlang laut seufzend die Arme um ihren Mann, als er sich keuchend über sie beugte und ihre Brustwarze zwischen seine Lippen nahm, um wie ein Baby daran zu saugen, was in ihren Lenden die Hitze verdoppelte. Sie schrie enthusiastisch seinen Namen in den Raum, während sie sich ihm willig öffnete und ungeduldig auf die feste, tiefe Berührung wartete –

Ein unglaublich lautes Hämmern an der Zimmertür unterbrach ihre Zweisamkeit und wie vom Blitz getroffen fuhren beide empor, Puran drehte sich schnaufend zur Tür um.

„Wer in Himmels Namen wagt es, jetzt zu klopfen?!“, brüllte er wütend, und Leyya schnappte nach Luft. Draußen hörte sie unsicheres Gackern, das irgendwie nach Neron klang.

„Ähm… ich komme wohl ungelegen, aber… es ist wirklich verdammt, verdammt wichtig, Puran… deine Mutter köpft mich, wenn ich dich nicht auf der Stelle in den Salon hole… willst du wirklich, dass ich sterbe, alter Freund?“ Puran zischte und erhob sich, seine Kleider zusammen suchend.

„Oh, du solltest ab jetzt nicht meine Mutter fürchten, sonder mich… dir ist ja wohl klar, was du gerade angestellt hast… oh, ich werde mich so fürchterlich an dir rächen, Neron…!“ So fluchte er vor sich hin, während er und seine Frau sich anzogen und sie errötete, als er sie entschuldigend ansah. „Vergib mir, Leyya… nachher machen wir da weiter, wo wir aufgehört haben.“

Sie verließen zusammen das Zimmer, sobald sie angezogen und etwas gekämmt waren, und schenkten Neron Shai beide einen bitterbösen Blick, der sich nur grinsend räusperte und mit ihnen in Richtung des Salons ging.

„Jetzt mal ohne Witz, Puran, deine Mutter ist aus verständlichen Gründen nicht ganz so ausgelassen wie ihr…“, murmelte er dann und der Jüngere zuckte kurz. „Sie ist unglaublich schlecht gelaunt, und es hieß, alle Ratsmitglieder sollen sich treffen, weil es sehr dringend wäre.“

„Wehe, es ist nichts, was mit dem Untergang der Welt oder so zu tun hat, oder sonst wie dringlichst ist, für eine Runde Kippen und Kaffee unterbreche ich nicht meine Beschäftigung mit meiner Frau, so eine Ratssitzung kann ja wohl warten!“

„Wenn Nalani nicht so unheimlich gewesen wäre, hätte ich auch gedacht, als ich vor der Tür stand, ‚Verdammt, lass sie wenigstens fertig machen’…“, räumte der Schwarzhaarige ein und er kassierte einen Schlag auf den Rücken von Leyya.

„Also wirklich, wie lange standest du Spanner vor unserer Tür?!“

„Ich habe euch ehrlich gesagt schon am Ende des Flurs stöhnen gehört, ihr seid aber auch laut…“

„Neron, halt deine vorlaute Zunge fest!“ So meckernd und diskutierend erreichten sie den Salon, wo Nalani, Meoran und Tare Kohdar schon saßen, die beiden letzteren rauchend, die Frau grimmig auf und ab gehend.

„Da seid ihr ja endlich.“, wurden die drei begrüßt und Puran grunzte.

„Dann raus mit deinem wichtigen Anliegen, das war gerade der unpassendste Moment der Welt!“ Seine Mutter verengte die blauen Augen zu schmalen Schlitzen.

„Wie ihr ja wohl wisst, haben wir keinen Ratsvorsteher mehr.“, sagte sie, „Und das bedeutet, wir müssen dringend dafür sorgen, dass die Entscheidungskämpfe stattfinden, die den neuen Herrn der Geister bestimmen werden.“
 

Das ließ die Mannschaft verstummen. Neron Shai und Puran sahen sich kurz an, Leyya machte ein verwirrtes Gesicht.

„Wie sieht das denn aus?“, fragte sie sich, „Entscheidungskämpfe?“ Nalani hatte zum Glück die Geduld, ihrer Schwiegertochter das jetzt zu erklären.

„Vielleicht weiß Neron das ja auch nicht, der ist ja noch nicht lange hier.“, räumte sie davor ein, ehe sie sich an Leyya wandte. „Es muss immer einen Herrn der Geister geben, den höchsten Vertreter der Geister hier in der Welt der Lebenden. Normalerweise finden diese Entscheidungskämpfe alle fünf Jahre statt. Im Normalfall sieht es so aus, dass alle amtierenden Ratsmitglieder einmal gegen den Vorsteher antreten müssen; wenn ihn jemand besiegen kann, ist er der neue Ratsvorsteher. Wenn nicht, bleibt der alte es eben.“

„Und wenn es mehrere schaffen, ihn zu besiegen?“, machte Neron verdutzt, und Meoran lachte im Hintergrund.

„Glaubst du, das kommt oft vor? Es ist wohl mal vorgekommen, dass es wirklich zwei geschafft haben, dann mussten diese zwei eben noch einmal gegeneinander antreten, bis ein klarer Sieger entschieden ist. Aber dass sowas vorkommt, ist absolut selten. Und seit Tabari den Posten seines Vaters übernommen hat, sind jetzt siebzehn Jahre vergangen, und bei den beiden Malen, die es seitdem diese Kämpfe gab, hat ihn keiner von uns geschlagen. Nicht mal Nalani.“ Darauf sagte Neron nichts, und die einzige Frau im Rat seufzte und fuhr fort.

„Wir haben allerdings das Problem, dass wir ja keinen Ratsführer haben, gegen den jemand antreten könnte. Das macht alles komplizierter und vor allem zeitaufwendiger, denn das bedeutet, dass jeder von uns gegen jeden einmal kämpfen muss. Und wer die meisten Kämpfe für sich entscheiden kann, ist der neue Herr der Geister.“ Leyya weitete die Augen.

„Das ist doch Irrsinn, das… sind doch wahnsinnig viele Kämpfe! Und… hatten wir nicht genug davon…?“ Sie sah bedrückt zu Boden; die Vorstellung, dass all die Leute, die sie lieb gewonnen hatte, sich gegenseitig bekämpfen mussten, gefiel ihr gar nicht. Tare Kohdar kicherte.

„Ja, ja, da sind sie wieder, die pazifistischen Heiler. Es wird schon keiner sterben, Leyya… es läuft ähnlich wie bei den Aufnahmeprüfungen, einer ist Schiedsrichter und passt darauf auf, dass keiner zu Bruch geht.“

„Also, ich fand, dass Puran schlimm genug zugerichtet war nach seiner Prüfung!“, jammerte sie, und ihr Mann errötete.

„Du beschämst mich.“, brummte er, „Das hört sich an, als wäre ich der totale Verlierer…“ Sie schnaufte.

„Ihr und eure elende Ehre und Würde, grausam…“ Nalani unterbrach das Gespräch.

„So ist es seit Anbeginn der Zeiten Tradition, Leyya. Es ist der Wille der Geister, dass es so geschieht, und so wird es auch dieses Mal laufen.“ Sie sah jetzt mehr ihren Sohn an, der den Blick aber nicht zu bemerken schien, „Jeder… gegen jeden. Es gibt kein freundliches Gewinnenlassen, das würde sämtliche Geister entehren; Himmel und Erde werden entscheiden, wem von uns sie die meiste Kraft geben werden, um ihn dann zum Anführer des Rates zu machen.“ Schweigen erfüllte den Salon. Dann war es Tare Kohdar, der sprach.

„Wir… haben aber noch ein Problem, Nalani… wir sind nicht… vollzählig, wenn ich es wagen darf, das zu sagen. Henac ist nicht da.“ Der einzige verbliebene Erbe des Kohdar-Clans wurde darauf von einigen Augenpaaren beinahe tot gestarrt. Puran zischte.

„Der? Der ist doch gar nicht mehr im Rat! Was sollen wir mit dem? Es geht um uns fünf, mehr nicht, Tare!“

„Du irrst dich.“, machte der Ältere ernst, „Tabari mag Henac aus dem Rat verstoßen haben; vor den Augen der Geister jedoch hat er die gleiche Macht inne wie wir fünf. Vor den Geistern… ist er immer noch einer von uns, daran können wir nichts ändern. Solche Grenzen zwischen der Stufe der magischen Macht können nicht wir ziehen. Das können allein die Geister von Himmel und Erde.“

„Soll das heißen, wir müssen den Bastard wieder hierher holen?!“, empörte Puran sich grantig, „Das könnt ihr vergessen!“ Seine Mutter war anderer Meinung.

„Uns wird aber nichts anderes übrig bleiben, Tare hat recht. So leid es mir tut und so sehr ich mir auch wünsche, einen anderen Weg zu finden. Jeder, der einmal diese Aufnahmeprüfung bestanden hat, ist auf dem Niveau der Geisterjäger. Der Mächtigste von denen, die dieses Niveau haben, muss der Anführer des Rates werden. Es kann sich auch keiner von uns der Teilnahme an diesen Kämpfen verweigern; auch, wenn man keine Lust hat, Anführer zu werden, muss man trotzdem mitmachen, denn allein die Geister bestimmen denjenigen, den sie für fähig halten, ihr mächtigster Vertreter zu sein. Und würden wir Emo einfach außen vor lassen, wäre das ein Verstoß gegen die Regeln – da er auf demselben magischen Niveau ist wie wir, könnte es genauso gut sein, dass die Geister ausgerechnet ihn für am würdigsten empfinden. Es wäre also quasi Schummelei, würden wir ihn ausschließen und ihm diese Chance verwehren.“

„Du glaubst doch nicht, dass die Geister diesem Meuchler und Verräter den Posten des Herrn der Geister überlassen würden!“, machte Neron jetzt auch pikiert, „Ich meine, dann Prost Mahlzeit, wenn der Anführer wird, geht der Rat aber den Bach runter.“ Da stimmten ihm alle zu; dennoch war es ihre Pflicht, dafür zu sorgen, dass alle an den Kämpfen teilnahmen.

Meoran seufzte und erhob sich, sobald Nalani ihn auffordernd ansah.

„Ich tue das wirklich ungern.“, murmelte er, „Aber ich könnte… weder dir noch den Himmelsgeistern diesen Befehl abschlagen, Nalani… ich werde einen Boten nach ihm schicken.“ Er ging wortlos an den anderen vorbei zur Salontür, und Nalani drehte den Kopf in seine Richtung.

„Ich danke dir, Meoran. Du hast etwas gut bei mir.“
 

Meoran hatte nicht geahnt, bei seinem Vorhaben auf heftigsten Widerstand zu stoßen – und zwar von Seiten seiner Tochter.

„Du darfst nicht, Vati! Du darfst nicht, er soll hier nicht sein! Ich will nicht, dass er hier ist!“ Meoran sah verzweifelt herunter, wo seine kleine Tochter sich schreiend und protestierend an sein Bein klammerte und wild strampelnd versuchte, ihn aufzuhalten. Saja, die auf die Kleine aufgepasst hatte, saß ratlos auf dem Sofa der Stube und tauschte einen verwirrten Blick mit dem Vater der Kleinen.

„Müsst ihr ihn denn wirklich holen…?“, fragte sie zaghaft und Meoran schnaubte.

„So will es das Gesetz! Saidah, lass mich auf der Stelle los, oder ich werde böse!“

„Du darfst das nicht, Vati! Er ist ein böser Mann, er ist der Schattenmann! Ich hasse ihn, Vati!“ Sie schrie und heulte und riss kreischend an seinem Hosenbein, wobei sie es beinahe kaputt machte. Meoran sah auf die Kleine herunter und schloss benommen die Augen, um sich darauf zu konzentrieren, was er jetzt tun sollte.

Er verstand ihre Panik… er verabscheute Emo genauso wie seine Tochter. Er wollte auch nicht, dass er kam… aber es musste sein. Die Gedanken an Rujas Tod schmerzten ihn noch immer. Er dachte jeden Tag an seine geliebte Frau und sehnte sich schrecklich nach ihr. Auch, wenn er sich vor anderen beherrschen konnte, wusste er doch sehr genau, dass dieses Loch, dass Rujas Tod in seiner Seele hinterlassen hatte, mit jedem Tag, den er sie vermisste, etwas größer wurde. Und dass Saidah ihn daran erinnerte, wer zumindest mit Schuld an Rujas Tod gewesen war, machte es ihm nicht gerade leichter, seine Pflicht zu erfüllen.

„Saidah, bitte hör mir zu…“, versuchte er es kleinlaut, und das vier Jahre alte Mädchen strampelte wütend und klammerte sich mit aller Macht an sein Bein, als er versuchte, sich loszureißen, ohne ihr dabei wehzutun. „Hör mir bitte zu!“, wiederholte er lauter und zorniger, und mit einem Ruck entzog er sein Bein doch noch ihrem Griff, hockte sich herunter und packte das Mädchen unsanft an den Oberarmen. Sie schrie, und er wusste genau, dass er ihr wehtat. „Du bist noch zu klein, um das zu verstehen!“, blaffte er sie an, „Das ist eine Sache der Erwachsenen, du hältst dich da raus, Saidah! Ich muss das tun, ich habe keine Wahl! Glaub mir, ich will auch nicht, dass Emo hier herum hockt! Aber so will es das Gesetz!“ Saidah stierte ihn an und schluchzte.

„Warum befiehlst du den Geistern dann nicht einfach, dass sie das Gesetz ändern?! Du… bist doch Geisterjäger, Vati!“

„So einfach geht das nicht, meine Kleine. So etwas kann ich ihnen nicht befehlen.“ Er ließ sie los und streichelte sanft ihre Arme, die er zu fest gepackt hatte. „Vergib mir, mein Liebes… ich wollte dir nicht wehtun. Bist du mir böse?“ Saidah strafte ihn mit einem trotzigen Blick, und er küsste das Kind auf den Kopf und nahm es dann auf die Arme, um es sanft an sich zu drücken und zu wiegen. „Ich habe dich so lieb, mein Schatz… verzeih mir, Saidahchen. Ich war garstig zu dir. Ich verspreche dir, dass ich nicht zulassen werde, dass dieser Schuft dir zu nahe kommt. Einverstanden?“ Die Kleine drückte das Gesicht an seine Brust und antwortete nicht, aber sie schlang ihre kleinen Ärmchen schutzsuchend um seinen Hals, und er wusste, dass sie ihm vergeben würde.
 

Niemand freute sich auf Henac Emos Rückkehr nach Vialla; Nalani schauderte bei dem Gedanken daran, dass Tabari dem Verräter damals geschworen hatte, ihn umzubringen, würde er je wieder einen Fuß in die Stadt setzen; ihn jetzt nach Tabaris Tod einfach wieder zurück zu zitieren grenzte beinahe an Verrat an ihrem Mann, so hatte sie das Gefühl. Aber Gesetz war Gesetz… so schauten die Mitglieder des Geisterjägerrates alle relativ missmutig drein, als der Verbannte wenige Tage später tatsächlich Meorans Botschaft nachkommend von Süden aus in die Stadt der Städte zurückkehrte. Er sah nicht aus, als wäre es ihm schlecht ergangen, er war ordentlich angezogen, gewaschen und gekämmt, und wie üblich hatte er das süffisante Grinsen im Gesicht, nicht ohne eine Spur von Genugtuung, als er seine ehemaligen Kollegen erreichte, die ihn am Tor des Palastes empfingen.

„Was sagt man dazu? Da lässt man euch ein halbes Jahr alleine und schon ruft ihr nach mir… ich habe mich gefragt, wie lange es wohl dauern würde… nicht wahr, Nalani?“ Nalani schenkte ihm einen Blick voller Abscheu.

„Glaube ja nicht, dass wir uns darüber freuen, dich zu sehen, Verräter. Du weißt, warum du kommen musstest; und wäre es ein anderer Grund gewesen, wärst du wohl kaum gekommen.“ Er lachte amüsiert.

„Du glaubst, ich sei scharf auf den Posten deines Mannes? Mein Beileid, übrigens.“

„Spare dir deine Heucheleien!“, zischte Puran und stierte ihn zornig an, „Damit das klar ist, du wirst nicht wieder Mitglied des Rates, Emo. Sobald wir hier fertig sind, verschwindest du, es sei denn, du wirst neues Ratsoberhaupt…“

„Was offenbar keiner vermutet und keiner hofft.“, addierte der Verräter, „Ihr seid echte Kameradenschweine, Puran… ich habe es ja immer gesagt. Verblendet. Na ja, ich sehe einmal darüber hinweg… mir ist der Posten egal. Ich bin nicht scharf darauf, eine Bande von Hornochsen zu führen, hier bin ich definitiv fehl am Platz, das ist mir klar geworden im vergangenen halben Jahr.“ Nalani beobachtete ihn schweigend, während er sprach, und sie fragte sich, wo er dann besser dran war. Das war der Moment, in dem sie zum ersten Mal wieder an den komischen Koch aus Holia dachte; ob Emo wirklich irgendetwas mit ihm zu tun hatte? Beide waren etwa zeitgleich aus Vialla verschwunden, der Koch allerdings grund- und spurlos. Sie fragte sich, was das zu bedeuten hatte.

Henac Emo schenkte Puran ein immer noch amüsiertes Grinsen.

„Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, du hast deine Frau geschwängert? Tapfer, tapfer, und das in ihrem zarten Alter, du bist aber einer, Puran…“

„Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“, war die reservierte, nüchterne Antwort. „Wie auch immer. Wir sollten dieses nötige Szenario bald hinter uns bringen, wir wissen nicht, was die Zuyyaner als nächstes vorhaben. Nur, weil ihr Kaiser tot ist, heißt das nicht, dass sie klein beigeben; wir tun das schließlich auch nicht.“
 

Es dämmerte bereits, als der Rat sich im Salon versammelte, um alles Restliche zu besprechen. Sie würden die Kämpfe auf den ohnehin zertrümmerten Feldern von Zarimia ausführen, wo die Schlachten gegen die Zuyyaner stattgefunden hatten; dort war genug Platz und es gab nichts, was aus Versehen zu Bruch gehen konnte. Jetzt war Saja dabei, eine Tabelle zu zeichnen, während der Rest der Versammlung rauchte oder Kaffee trank. Puran war ziemlich stolz auf sich, dass er langsam alle davon überzeugen konnte, statt Tee Kaffee zu trinken.

„So.“, sagte Saja dann und sah von ihrem Papier auf, das sie beschriftet hatte, die Feder klemmte sie sich hinter das Ohr. „Ihr seid sechs Geisterjäger, jeder kämpft gegen jeden einmal, das bedeutet, es gibt sechs mal fünf Kämpfe; da es ja aber Zweikämpfe sind, sind das drei mal fünf Kämpfe, das bedeutet, wenn jeder pro Tag einen Kampf ausführt, gibt es fünf Tage mit je drei Kämpfen. Wenn wir morgen bei Sonnenaufgang anfangen, haben wir mit Glück in fünf Tagen bei Sonnenuntergang den neuen Ratsvorsteher.“ Alle sahen sie an und Neron schnaubte.

„Wieso kannst du das im Kopf rechnen?!“

„Das ist gut, so ein Glück, dass wir eine gerade Anzahl sind.“, lachte Tare Kohdar, „Sonst wäre ja alles noch anstrengender geworden… hast du auch aufgeschrieben, wer als erstes wen an der Backe hat, Saja, du kluge Rechnerin?“ Die blonde Frau fuhr sich durch die Haare und hielt ihr Papier hoch.

„Ja, ich habe vorhin Lose gebastelt mit euren Namen und dann den ersten Tag ausgelost. Da sowieso jeder gegen jeden antreten muss, ist es vollkommen egal, wer wann welchen Gegner hat, daher habe ich den Rest dann einfach so aufgeschrieben, wie es mir eben in den Sinn kam.“ Sie erntete neugierige Blicke von allen Seiten, als die Betreffenden einen Blick auf das Papier erhaschten. Ihr immer noch Verlobter pustete die Luft aus seinem Mund.

„Du bist so sadistisch, wenn ich gleich am ersten Tag gegen Puran kämpfe, bin ich doch total unmotiviert, gegen den verliere ich doch sowieso!“, meckerte er, das aber nicht ganz ernst meinend. Puran schnaubte.

„Ach, aber in Iter damals warst du so von dir selbst überzeugt?“

„Du hast den zuyyanischen Kaiser getötet, Alter… und deine Frau geheiratet. Und geschwängert!“

„Was… hat das denn mit dem Kampf zu tun?“ Jetzt ging wieder angeregtes Diskutieren los, und Saja verdrehte die Augen und lehnte sich zurück, dabei sah sie auf Leyya, die mit der kleinen Saidah in der Ecke des Salons saß, um das Mädchen möglichst weit von Emo fern zu halten, den Saidah nur mit bitterbösen Blicken voller Hass strafte, während sie sich mit dem Kopf an Leyyas Bauch an die etwas ältere Heilerin klammerte. Leyya hatte die Kleine so lieb… mit jedem Tag wurde sie ihrer hübschen Mutter ein bisschen ähnlicher, fand die Heilerin, und sie war sicher, dass Saidah als erwachsene Frau einmal genauso bildschön sein würde wie Ruja es gewesen war.

Sie vermisste die liebevolle und mütterliche Ruja…
 

Die bevorstehenden Kämpfe besorgten sie noch in der Nacht, als sie mit Puran in ihrem Bett lag.

„Ich wünschte, es gäbe eine friedlichere Lösung dafür!“, schmollte sie, während sie mit dem Kopf auf seiner nackten Brust lag und mit der Hand über seinen Bauch streichelte. Er seufzte.

„Mir graust ehrlich gesagt auch davor… aber so ist das Gesetz.“

„Warum macht ihr euch das so kompliziert? Die Telepathen wählen einfach ihren Vorsteher und wir Heiler tun das auch, soweit ich weiß… so lange bin ich ja noch nicht im Rat…“ Er musste lächeln, als er stolz daran dachte, dass seine Frau jetzt eine offiziell anerkannte, wirklich fähige Heilerin war; in den obersten Rat der Heiler kam nicht jeder Idiot. Nicht mal Keisha war Mitglied gewesen, dabei war sie eine sehr talentierte Frau gewesen. Als Auszeichnung für ihren Beitritt in den Rat hatte Leyya auch einen Umhang und einen Anstecker bekommen; allerdings war ihr Umhang weiß und nicht schwarz wie die der Geisterjäger, und auf dem vergoldeten Anstecker war kein Pentagramm, sondern eine Blume, die das weltweite Symbol der Heiler war. Die Telepathen hatten purpurne, auberginefarbene, violette oder manchmal auch blaue Umhänge – für die Männer des Rates, die violett zu feminin fanden – und auch sie hatten Anstecker, auf denen eine Spirale abgebildet war. So hatte jeder der drei Stämme der Schamanen seine Farbe und sein Symbol.

„Weißt du, Leyya.“, begann Puran dann leise und strich dabei zärtlich auf ihrem Rücken auf und ab. „Es gibt Menschen, die behaupten, Schwarzmagier wären generell mächtiger als Heiler und Telepathen. Das ist Quatsch. Aber es gibt einen Grund, wieso wir es in diesem Fall komplizierter haben. Es hängt mit den Geistern zusammen, denen wir alle auf verschiedene Art befehlen können. Ihr Heiler befiehlt den Erdgeistern; der Mutter Erde, die die Pflanzen wachsen und Dinge Leben lässt. Die Telepathen wiederum befehlen den Himmelsgeistern; dem Vater Himmel, der die Dinge verändern kann, der uns von der Geisterwelt abschirmt, der aber auch auf uns herunter stoßen kann. Und wir Schwarzmagier befehlen sowohl den Himmelsgeistern als auch den Erdgeistern. Du hast ja sicher etwas über die Gene gelernt? Von jedem Elternteil bekommst du ein magisches Gen vererbt, je nach der Art Magier, die deine Eltern sind. Es gibt Heilergene, Telepathengene und Schwarzmagiergene. Sobald du auch nur von einem Elternteil ein Heiler- oder Telepathengen geerbt hast, kannst du Heiler oder Telepath sein, oder sogar beides, wenn du beide Gene besitzt. Aber Schwarzmagier mit richtiger, höherer Schwarzmagie kannst du nur sein, wenn du von beiden Eltern das schwarze Gen bekommen hast.“ Sie nickte.

„Ich weiß… das ist gut in unserem Fall. Ich bin keine reinerbige Heilerin, ich habe nämlich nur ein Heilergen; das Gen, das ich von meiner Mutter geerbt habe, ist ein Schwarzmagiergen. Das heißt, da du zwei schwarze Gene hast, ist es möglich, dass unser Kind genau wie du Schwarzmagier wird und damit… ein Erbe für eure Familie.“ Das war ihr vor kurzem erst aufgefallen, und es hatte sie stolz und glücklich gemacht; auch, wenn Puran beteuerte, dass ihm das Erbe nur zweitrangig wichtig wäre, und dass er auch alle Kinder von ihr lieben würde, wenn sie allesamt Heiler würden, mochte Leyya den Gedanken, dass sie wenigstens die Chance hatte, ihm einen richtigen Erben zu schenken.

„Ja, so ist es. Und da wir als Schwarzmagier eine größere und schwerere Verantwortung auf den Schultern haben, da wir zwei der Mächte der Schöpfung beherrschen, können wir den obersten Vertreter der Menschen, die beide dieser Mächte miteinander verbinden können, nicht einfach per Abstimmung auswählen. Es geht darum, zu beweisen, dass wir… würdig sind, den Geistern von Himmel und Erde mit genügend Macht gegenüber zu treten. Deswegen ist es so kompliziert.“ Die Frau nickte verständnisvoll und kuschelte sich dichter an ihn.

„Und noch etwas ist mir eingefallen.“, murmelte sie, „Meoran hat gesagt, Tabari war siebzehn Jahre lang Herr der Geister; und es gab in dieser Zeit nur zwei mal diese Kämpfe? Ich dachte, alle fünf Jahre?“

„Ja, das stimmt, die letzten Kämpfe dieser Art waren in dem Jahr, bevor der Krieg anfing. Danach… hatte keiner mehr Zeit, wir verloren uns aus den Augen… wann und wo hätten wir fünf Tage lang durchgehend kämpfen sollen? Abgesehen davon, dass wir auch mal mehr als sechs waren…in dem Jahr, in dem die Kämpfe fällig gewesen wären, sind wir nach Vialla gekommen, die Schlachten mit den Zuyyanern liefen auf Hochtouren. Das wäre nicht leicht geworden.“ Das sah sie ein, und sie seufzte leise, seine sanften Berührungen auf ihrem Rücken genießend.

„Puran…?“ Er sah zu ihr herab, als sie den Kopf drehte, und sie lächelte ihn liebevoll an. „Ich… wünsche dir viel Glück.“
 

Nalani hatte den König darum gebeten, die Kämpfe auf den im Moment ruhigen Schlachtfeldern nicht als Zirkus auszuschildern und möglichst wenige Menschen als Zuschauer zuzulassen. Die Entscheidung, wer der nächste Herr der Geister werden sollte, war kein Schauspiel für die Bewohner von Vialla. Natürlich konnte man Schaulustige von ihren Hausdächern oder der Mauer im Norden nicht vertreiben, aber direkt bei den zermürbten Feldern waren nur die drei Könige, einige Sicherheitsleibgarden und die Angehörigen der Teilnehmer – was sich auf Leyya, Saja und die kleine Saidah beschränkte. Und ein paar Vertreter des Telepathen-Ordens waren mitgekommen, die zur Not die Zuschauer mit Barrieren vor den umher fliegenden Blitzen schützen sollten.

„Das ist ja abenteuerlich.“, machte der König von Senjo verwirrt und sah sich skeptisch um, „Ich habe mir nicht in meinen abstrusesten Träumen ausgemalt, so etwas beobachten zu können. Na, so ein Glück, dass wir nicht auf solche Weisen die Könige bestimmen, haha…“

„Ja, das wäre in der Tat unschön.“ Der König von Kisara drehte den Kopf, als nachträglich noch die Mitglieder des Heilerrates kamen, um zur Not Wunden heilen zu können. Leyya stellte sich artig zu ihren neuen Kollegen, dabei Saidah an der Hand haltend. Das kleine Mädchen mit den schwarzen Haaren blickte in den bewölkten Himmel.

„Ich hab von kleinen Vöglein geträumt!“, erzählte sie dann und umklammerte dabei erstaunlich frohen Mutes Leyyas Hand.

„So? Das ist fein, das war sicher ein guter Traum.“

„Ja, die Vögelchen kamen und haben eine böse Schlange gepickt, weil sie das Nest angreifen wollte. Und dann haben sie gesungen, Husch, dumme Schlange, kriech davon! Oder wir picken dir deine Äuglein aus, ei! “ Leyya fragte sich, was das zu bedeuten haben mochte.
 

Den Auftakt zur Reihe der Duelle machten Nalani und Tare Kohdar. Der Kampf war schnell vorüber und Nalani entschied ihn für sich; da sie am besten mit Wasser arbeiten konnte, war Tare als Feuermagier da nicht wirklich im Vorteil, und dann schluckte Nalanis Schattenzauber den Rest der Flammen und der Kampf war entschieden.

„Und das ohne Kadhúrem.“, machte Tare Kohdar dazu und raufte sich die braunen Haare, „Was bin ich denn für ein Waschlappen?“

„Kopf hoch, Tare, wir werden am Ende vermutlich auch alle Waschlappen sein… das ist Nalani, vergiss das nicht.“, kicherte Neron Shai darauf, ehe er und Puran den zweiten Kampf bestritten. Wie Neron es vorhergesagt hatte, gesellte der Jüngere sich zu seiner Mutter in die Liste der Gewinner, wobei ihr Kampf nicht ganz so schnell vorbei gewesen war wie der erste. Neron hatte versucht, mit dem Schlangenschwert das Geisterschwert aus Purans Hand zu reißen, was gründlich daneben gegangen war, und nach einigem Hin und Her beider Männer und diversen Blitzschlägen, die das Feld noch mehr zermürbt hatten, war es Puran gewesen, der mit einer geschickten Handbewegung und einem Windmesser seinem Gegner das Schwert aus der Hand geschlagen hatte. Das Schlangenschwert war in hohem Bogen über das Schlachtfeld geflogen und hätte beinahe die Zuschauer getroffen, hätten die Telepathen nicht rechtzeitig gehandelt.

„Himmel, so ein Chaos!“, empörte einer der Könige sich bestürzt, der um sein Leben gefürchtet hatte.

Meoran seinerseits fragte sich, ob es Schicksal war, dass er als erstes ausgerechnet gegen Henac Emo antreten musste. Gegen den Mann, der seine Frau auf dem Gewissen hatte… es war nicht einfach, seine unerschütterliche Seele standfest zu halten, wenn man so einen tief verwurzelten, grausamen Zorn in sich spürte, wie er ihn auf Emo hatte. Aber mit roher Gewalt würde er nicht weit kommen – das war nicht seine Aufgabe.

Beide Männer kannten die Techniken des anderen und waren daher darauf eingestellt, entsprechend zu reagieren. Der dritte und letzte Kampf des ersten Tages war auch der längste, und obwohl es bereits wieder dämmerte, sah Leyya mit der Kleinen an der Hand gebannt der Schlacht der Federn und Wurfnadeln zu, der grollenden Macht des Himmels, die Meoran nach Henac Emo warf, der die Blitze des Älteren mit seinen Schattenzaubern verschlang; am Ende zerschmetterte Meoran mit der letzten seiner Federn Emos Schatten und zwang seinen verhassten Gegner zu Boden. Er war mit einem Satz über ihm und schon hatte der Schwarzhaarige die Feder des Kondors an seiner Kehle, dabei starrten sich beide Männer keuchend und finster ins Gesicht. Als Meoran sprach, wusste die Heilerin am Rand des Feldes plötzlich, wovon Saidah geträumt hatte.

„Ich hätte hundert Gründe mehr dafür, dich zu töten, als dich am Leben zu lassen, Schlange. Ich rate dir, kriech weg, solange du noch kannst, bevor ich es mir anders überlege und dir eines Tages deine garstigen Schattenaugen aussteche!“
 

Die folgenden drei Tage verliefen ähnlich. Wirklich ernste Verletzungen gab es nicht, hier mal ein kleiner Schnitt, hier mal eine Platzwunde, aber nichts, was Besorgnis erregen würde, worüber Leyya froh war. Jeden Tag beobachtete sie die Kämpfe, die jeder auf seine Art atemberaubend und einzigartig waren – und unheimlich, wie sie fand, wenn sie mitunter die Macht der Geister überall spüren konnte, wenn die Kontrahenten ihre mächtigsten Zauber auf ihre Gegner schmetterten und damit die Erde zum Zittern brachten.

Nachdem vier von fünf Tagen vergangen waren, war die Entscheidung des neuen Ratsführers dennoch noch nicht ganz gefallen. Meoran hatte zwei von vier Kämpfen gewonnen, Tare Kohdar und Henac Emo jeder einen, der arme Neron war bislang leer ausgegangen und Nalani und Puran teilten sich den ersten Platz des Rangliste, da sie beide alle ihre Kämpfe für sich entschieden hatten; der letzte Tag würde das ändern.

„Dass da keiner von uns mehr mitspielt, ist eigentlich klar.“, schnaufte Neron am Abend des vierten Tages, „Eigentlich können wir vier anderen es uns sparen, noch mal zu kämpfen, oder?“

„Das wäre aber irgendwie Schummelei.“, schmollte Puran und sein Freund schlug ihm gegen den Rücken, „Aua!“

„Es wird sich ja wohl zwischen dir und Nalani entscheiden! Wir andere sind doch alle raus aus dem Rennen, es wäre vergeudete Zeit und vor allem vergeudete Kraft. Wobei ich gegen Meoran sicher ausnahmsweise Mal gewinnen würde, das hab ich schließlich bei der Prüfung schon mal geschafft…“

„Also, ich muss nicht unbedingt noch mehr haben…“, machte Meoran und kratzte sich am Kopf. „Neron hat recht, eigentlich entscheidet es sich zwischen euch beiden. Du wirst morgen gegen Nalani kämpfen müssen, Puran, und wer diesen Kampf gewinnt… ist der neue Ratsvorsteher.“ Puran wich den Blicken aus, die die anderen ihm jetzt zuwarfen, und sah in Richtung seiner Mutter, die mit dem König von Kisara sprach und den Männern des Rates den Rücken kehrte.

Mutter… ich kann doch nicht gegen meine eigene Mutter kämpfen!
 

Puran verfluchte mal wieder sein Schicksal. Er wollte nicht gegen seine Mutter kämpfen… gegen seinen Lehrmeister anzutreten war schon schwer genug gewesen. Er erinnerte sich an den Kampf gegen Meoran; nach einigem Anfangszögern hatte er auch schnell aufgehört, sich zurückzuhalten, immerhin war Meoran der Erbe des Chimalis-Clans und kein Schwächling. Und obwohl er wusste, dass sein Lehrmeister immer wieder gesundheitlich etwas angeschlagen war und schnell aus der Puste geriet, war es ein harter Kampf gewesen; Meoran hatte keinesfalls vorgehabt, es ihm leicht zu machen, und das hatte er auch wirklich nicht getan. Letzten Endes hatte das Geisterschwert die Macht der Kondorgeister überbieten können, aber es war nicht einfach gewesen.

Bei seiner Mutter war das etwas anderes. Sie war seine Mutter, er konnte doch nicht gegen sie kämpfen… nicht, weil er sich vor ihrer Macht fürchtete, und sie war auch für ihn vermutlich der schwerste Gegner des ganzen Rates – sie war seine Mutter! Sie hatte ihn geboren und groß gezogen, er verehrte sie… wie konnte er da gegen sie kämpfen mit dem Vorhaben, sie zu besiegen? Er wollte sie gar nicht besiegen… das konnte er doch gar nicht. Er wünschte sich, sich irgendwie davor drücken zu können… aber das würde nicht gehen.

„Du versuchst schon wieder, wegzulaufen…“, tadelten ihn die Himmelsgeister und Puran schnaubte.

„Au!“ Auf seinen kurzen Aufschrei hob Leyya den Kopf.

„Halt doch still!“, mahnte sie ihn, „Wie soll ich dich heilen, wenn du die ganze Zeit herum hampelst wie ein nervöses Kind? Was ist denn?“ Er stöhnte und raufte sich die Haare, während er rücklings auf dem Bett lag. Leyya versorgte die Brandblase an seinem Unterschenkel, die er Tare zu verdanken hatte, mit dem er sich heute herum geschlagen hatte. Oder versuchte das zumindest.

„Ich kann nicht gegen meine Mutter kämpfen…“, murmelte er dann und versuchte jetzt, ruhig zu liegen, damit sie die schmerzende Wunde verschwinden lassen konnte. Sorgsam kam seine zierliche Frau ihrer Arbeit als Heilerin nach und bemühte sich bei ihrem Heilzauber, zärtlich zu sein.

„Ich weiß, dass es sicher schwer wird.“, meinte sie dabei leise, „Du musst das aber hinter dich bringen.“

„Wie so vieles. Manchmal hasse ich es echt… ich wünschte, ich wäre… einfach stinknormal. Ram Derran würde mir ins Gesicht schlagen, wenn er das jetzt hören würde, aber ich beneide ihn, wenn er noch am Leben ist… ich beneide ihn dafür, dass er ein Niemand ist. Er kann weder großartig zaubern noch hat je in sonst irgendwas wirklich durch Können geglänzt – außer Jagen – aber er hat wenigstens ein normales Leben und nicht dauernd irgendwelche Herausforderungen der Geister, die er bestehen muss.“ Er fragte sich, wieso er jetzt an seinen Schulkameraden dachte, den er nie gemocht hatte – was auf Gegenseitigkeit beruhte, wie er annahm.

Ram Derran würde nie ernsthaft gegen seine Mutter kämpfen müssen. Er würde auch nie darüber nachdenken, die Verantwortung tragen zu müssen, den Rat der Geisterjäger anzuführen. Er würde nicht irgendwelche viel zu ehrwürdigen Angebote vom König des Landes bekommen, die er nicht ablehnen konnte. Puran fragte sich, ob das Mädchen Pakuna Rams Frau geworden war; soweit er das damals mitbekommen hatte, hatten die zwei immer sehr aneinander gehangen, und die Tratschtante Travidan hatte einmal erzählt, sie wären auch ein Paar gewesen, sobald sie alt genug gewesen waren. Travi und Kannar… Puran dachte viel zu selten an seine beiden Kindheitsfreunde. Was wohl aus ihnen geworden war? Oder aus Ram und Pakuna…

Ram Derran würde einfach nur seiner Frau ein guter Mann und ihren gemeinsamen Kindern ein guter Vater sein können. Er musste niemand anderes sein als das… darum beneidete der Jüngere ihn wirklich. Er wollte auch einfach nur Leyyas Mann und Vater ihres noch ungeborenen Kindes sein.

Aber die Geister hatten nie gewollt, dass er normal war. Sie hatten bestimmt, dass er anders war… er würde sie irgendwo in seinem Inneren immer dafür hassen, egal, wie gewissenhaft er seiner Bestimmung nachgehen würde.

Leyya ließ von seinem Bein ab, betrachtete die verheilte Haut zufrieden und sah ihn dann aufmunternd lächelnd an.

„Du schaffst das schon.“, sagte sie und streichelte dabei zärtlich über seine Beine, während sie am Bettrand saß. „Wir alle müssen manchmal Dinge tun, die wir nicht wollen…“ Sie lächelte ihn liebevoll an und er seufzte leise, als ihre Finger vorsichtig hinauf auf seine Oberschenkel krochen und dann noch weiter nach oben. Ehe sie in seinem Schoß hätte ankommen können, hielt er ihre Hände fest und umklammerte sanft ihr Handgelenk.

„Komm zu mir, Leyya… bitte. Sei heute Nacht… einfach nur hier. Deine bloße Anwesenheit gibt mir ja vielleicht die Kraft… die ich brauche, um den morgigen Tag zu überleben.“ Sie kicherte leise und stand vorsichtig auf.

„Du übertreibst… die Welt wird nicht untergehen, Puran. Du bist nur nervös…“ Er beobachtete sie schweigend, wie sie sich langsam vor ihm auszog. In aller Ruhe betrachtete er jeden Zoll ihrer weichen, rosigen Haut, den sie freigab; von ihrem Schlüsselbein hinab zu ihren kleinen, hübschen Brüsten, über ihren noch flachen Bauch, der in wenigen Monden so rund wie eine Wassermelone sein würde, über ihre Oberschenkel bis hin zu dem kleinen, dunklen Dreieck aus weichen Härchen zwischen ihren Beinen. Sie war schön… manchmal sah er sie einfach nur gerne an. Ganz ohne irgendwelche anzüglichen Gedanken sah er sie gerne an, wie sie war, so, wie er sie liebte. Es tat gut, sie einfach nur anzusehen, und es erheiterte ihn immer wieder, wenn sie verlegen errötete, wenn er sie so anblickte.

„Starr doch nicht so…“, nuschelte sie peinlich berührt und krabbelte zu ihm ins Bett, kuschelte sich mit ihm unter die Decke und schmiegte ihren warmen, nackten Körper dicht an seinen. Er trug noch seine Unterwäsche; während er sie liebevoll küsste, ließ er zu, dass sie sie ihm zärtlich auszog.

„Warum soll ich nicht starren, wenn mir doch so gefällt, was ich sehe?“, fragte er zurück und sie errötete noch tiefer, als er sich seufzend über sie rollte und ihr Gesicht mit zärtlichen Küssen bedeckte. Sie umarmte seinen Nacken und erzitterte unter den sanften Berührungen.

„Küss mich…“, wisperte sie nur, weil ihr keine gescheite Antwort einfiel, und ihr Mann grinste wissend, ehe er ihrer Forderung mit größter Hingabe nachkam, sich am Bett abstützte und mit einer Hand spielerisch hinab zwischen ihre Schenkel glitt. Ja, es war gut, wenn sie bei ihm war… vielleicht berauschte ihre hingebungsvolle Liebe so sehr, dass er darüber die Furcht vor dem morgigen Tag vergaß.
 

Der Morgen graute in einer beängstigenden Stille. Flammend erhob sich die Sonne über dem östlichen Horizont und ließ die Gutwetterwolken am Himmel in ihrem Licht brennen. Puran spürte das Brennen im Nacken, der Sonne den Rücken kehrend und das Gesicht nach Westen. Es verursachte ein unangenehmes Kribbeln in ihm und es wehte kein Lüftchen, als er auf den zerrütteten Feldern von Zarimia stand, ihm gegenüber seine Mutter.

Der Tag, den er gefürchtet hatte, war angebrochen. Und obwohl er ihn immer noch fürchtete, blieb er felsenfest stehen, wo er war, und versuchte, dem Blick der Frau vor sich standzuhalten, als sie ihn aus blauen Augen anstierte. In ihnen spiegelte sich die Flamme der aufgehenden Sonne, in ihnen lag eine kalte, bestialische Entschlossenheit; Nalani hatte keine Angst vor diesem Kampf, er wusste das. Und sie würde ohne Gnade tun, wozu sie hergekommen waren… er fragte sich, woher sie diese Selbstbeherrschung nahm.

In der Ferne warteten die anderen Geisterjäger, die Könige, deren Leibgarde und die Telepathen und Heiler. Leyya war auch da… sie stand in seinem Rücken, sodass er sie nicht sehen konnte, aber er wusste, dass sie da war, und dass sie jede Bewegung von ihm verfolgte, an ihrer Hand die kleine Saidah.

Dieser Tag würde vieles entscheiden. Dieser Tag würde entscheiden, wer der neue Führer des Rates werden würde… der Nachfolger von Tabari als Herr der Geister. Niemanden der anderen hatte es überrascht, dass das Finale der Kämpfe so aussah; Meoran und Tare Kohdar hatten bereits am zweiten Tag behauptet, es würde sich letzten Endes zwischen Tabaris Frau und seinem Sohn entscheiden. Tare seinerseits übernahm jetzt die Arbeit des Schiedsrichters; nach Nalani war er jetzt derjenige, der am längsten im Rat war, weil er so unheimlich jung schon die Prüfung bestanden hatte.

„Seid ihr bereit?“, fragte er die beiden Kontrahenten langsam und sah dabei von einem zum anderen. „Dieser Kampf entscheidet über die Zukunft des Rates; es gibt kein Unentschieden. Entweder ihr gewinnt, oder ihr verliert. Bevor das nicht eindeutig ist, ist der Kampf auch nicht vorbei. Von mir aus kann es losgehen.“ Damit trat er zurück in den Sicherheitsabstand, doch Nalani und Puran rührten sich eine ganze Weile nicht. Schließlich sprach die Frau. Sie hob das Kinn und blickte ihrem Sohn ins Gesicht, obwohl die hinter ihm aufgehende Sonne sie blendete.

„Du weißt, worauf es ankommt. Wir sind nicht hier, um Kaffee zu trinken, und ich halte mich für sehr großzügig, wenn ich dir jetzt vorher sogar ins Gesicht sage, dass ich mich nicht zurückhalten werde, nur, weil du mein Kind bist. Ja, das bist du, aber du bist jetzt ein Mann. Ich muss dich nicht mehr mit Samthandschuhen anfassen.“ Er atmete tief ein und aus und hockte sich auf den Boden, um mit der Hand ein wenig der von der kühlen Nacht noch feuchten, schwarzen Erde aufzunehmen und sie durch seine Finger rieseln zu lassen.

Vater Himmel… siehe, ich atme deinen Atem ein… Mutter Erde… siehe, ich berühre deine Haut. Gebt mir Kraft… für das, was mir jetzt bevorsteht. Gebt mir… bitte den Mut, den ich brauche, um das zu tun, was ich tun muss…

Er erhob sich, sobald die Erde nicht mehr in seiner Hand war, und Nalanis Augen trafen wieder auf seine, als sie die Arme nach vorne hob.

„Wenn du geglaubt hast, ich würde es dir leicht machen, weil ich dich lieb habe, hast du dich geirrt, Puran!“, zischte sie und er weitete die Augen, als sie ihn so plötzlich angriff, dass er kaum einen Lidschlag später rückwärts zu Boden geschleudert wurde, sich einmal überschlug und dann hustend auf dem Bauch liegen blieb. Er keuchte, als er vor sich noch die gewaltige Wasserflut auf sich zudonnern sah, ehe er sich so schnell er konnte wieder aufrappelte und die Welle gerade noch mit einem Windmesser teilen konnte, sodass sie an ihm vorbei rauschte und auf das Schlachtfeld klatschte. Er kam kaum dazu, Luft zu holen, denn seine Mutter hatte sich jetzt frontal auf ihn gestürzt. Sie hatte sich zwei schmale, lange Schwerter besorgt, mit beiden schlug sie jetzt nach ihm, sodass er hustend ausweichen und rückwärts springen musste. Er starrte sie an in dem Moment, in dem sie abermals ausholte, und war unfähig, sich zu rühren; war das wirklich seine Mutter?

Ja, das war sie, eindeutig… aber es fühlte sich falsch an, dass sie ihn angriff… dass er sie angreifen sollte…

Nalani erinnerte ihn schmerzhaft daran, als sie ihm mit einem der Schwerter in den Arm schlug.

„Wehre dich, du Memme!“, zischte sie ihn an, „Na los! Willst du hier Wurzeln schlagen?!“ Er zischte, als sie die Klinge wieder empor riss und er nach dem blutenden Schnitt an seinem Arm fasste.

„V-verdammt, übertreib doch nicht so-…“ Instinktiv riss er den Kopf zur Seite, als sie mit einer Hand plötzlich wieder einen messerscharfen Wasserstrahl nach ihm schmetterte. Dann schlug sie mit den Schwertern nach ihm und er wich abermals aus.

„Ich übertreibe nicht, du sollst mich angreifen, Puran!“, blaffte sie ihn an, „Willst du den Rest des Tages vor mir davon rennen, wie du es immer bei allem tust, was dir nicht passt?!“ Er errötete wegen des Tadels, und sie zischte und schlug erneut nach ihm.

Sie hatte genau gewusst, dass es so laufen würde… er war eben das Kind seines Vaters. Und sie musste ihm das austreiben… jetzt, hier, sofort.

Sie ließ ihn wieder zurück hechten und steckte dann die Waffen weg, um die Arme wieder in den Himmel zu heben und aus dem Tau auf der Erde das Wasser empor zu ziehen und mit Hilfe dessen eine weitere Flutwelle zu erschaffen.. Puran weitete japsend die grünen Augen, als die Wassermassen abermals auf ihn zu kamen, und in dem Moment, in dem er sich mit einem weiteren Windmesser retten konnte, stürzte seine Mutter sich mit grimmiger Entschlossenheit auf ihn, dabei wieder eines der Schwerter ziehend und es genau auf ihn richtend. Seine Instinkte waren gut; reflexartig riss er die Hände jetzt ebenfalls hoch und mit einem Krachen aus dem Himmel ließ er das Geisterschwert darin erscheinen, die gebündelte, gewaltige Macht der Geister. Nalanis Klinge schlug gegen die blitzende des Geisterschwertes und ein böses Grollen folgte aus dem Himmel.

„Kämpfe!“, rief sie zornig, riss ihr Schwert zurück und sprang jetzt ihrerseits rückwärts, „Tu es, oder ich zwinge dich dazu!“ Puran ließ das Schwert zitternd sinken.

„D-du bist meine Mutter! Verstehst du denn nicht-…?!“

„Das tut nichts zur Sache vor den Geistern von Himmel und Erde!“, schrie sie wütend und er fuhr zusammen, als er in ihr kaltes, verhärtetes Gesicht sah. „Los, kämpfe! Greif mich verdammt noch mal an, oder bist du dazu zu erbärmlich?!“ Er schnappte nach Luft, als sie die freie Hand empor riss und darin die Schwärze des Schattenzaubers entstehen ließ, den sie unweigerlich auf ihn werfen würde. Er schnappte verzweifelt nach Luft. Wie konnte sie so grausam sein?

„M-Mutter! Das ist – das hat nichts mit erbärmlich zu tun, das ist eine natürliche Hemmschwelle! Wenn du die nicht hast, bist du wirklich kaltherzig-…“ Er keuchte abermals, als sie die geballte Macht aus purer Finsternis nach ihm schleuderte. Krachend prallte sie auf das Geisterschwert, das er wieder empor riss, und mit einem gleißenden Blitzen zerschmetterte er ihren Zauber mit seiner Klinge. Sie sprang in die Luft und schlug mit dem Schwert nach ihm, was er mit seinem eigenen parieren konnte.

„Bist du nicht Manns genug, um eine Frau zu schlagen?“, lachte sie dabei spöttisch und er weitete die Augen, als sie amüsiert hinter ihm landete, blitzschnell herumfuhr und abermals nach ihm schlug. Er konterte den Angriff geschickt mit seinem Schwert und wurde von ihr rückwärts gestoßen, beinahe wäre er gestolpert. „Bist du zu feige, Puran?! Du entehrst mich mit deiner… elenden Feigheit! Traust du mir nicht zu, dass ich es überlebe, wenn du ernst machst, oder wie?“

„W-was…?!“, schnappte er und wurde weiß – jetzt ging sie langsam wirklich unter die Gürtellinie. „Sag sowas nicht! Du weißt, wieso ich-…!“ Ein neuer Schlag von ihr unterbrach ihn und er zog den Kopf ein, als ihre Klingen sich direkt über ihm kreuzten.

„Dann kämpfe!“, schrie sie wütend, „Du bist ein Jammerlappen, genau wie dein Vater es in deinem Alter war! Spare mir dein Geheule und benehme dich ausnahmsweise mal wie ein richtiger Mann! Los, greif mich an, oder ich reiße dich in Stücke, wenn es sein muss! Du musst die Gesetze der Geister ehren und kannst… nicht weglaufen, Puran! Und ich werde nicht zulassen, dass du deine Ahnen so dermaßen beschämst mit deinem jämmerlichen… unreifen Verhalten hier!“ Er starrte sie immer fassungsloser über diese abscheulichen Beschuldigungen an und sie wusste, dass sie ihm wehtat… aber er rührte sich immer noch nicht, deswegen musste sie wohl oder übel noch einen draufsetzen.
 

„Es wundert mich echt, dass du Verlierer es geschafft hast, deiner Frau ein Kind einzupflanzen, bei deiner Unmännlichkeit!“
 

Jetzt fanden ihre Worte fruchtbaren Boden. Innerlich entschuldigte sie sich bei ihm für die widerlichen Worte, die sie nicht wirklich ernst meinte, obwohl es ernst geklungen hatte; der Zweck heiligte die Mittel. Sie wollte den Kampf ehrlich beenden und ihn nicht gewinnen, weil er sich geschlagen gab. Das würde die Geister erzürnen… und sie wusste, dass er das genauso wusste wie sie.

„Jetzt… bist du zu weit gegangen!“, blaffte er sie an und sie war ironischerweise erleichtert über den Zorn, den sie in seinem Gesicht sah.

Jetzt macht er ernst. Na endlich…

Sie sprang zurück, als er sich jetzt auf sie stürzte und mit dem Geisterschwert nach ihr schlug. Sie parierte den Schlag und schleuderte abermals eine Fuhre Wasser nach ihm, was er mit einer Katura erwiderte und mit dem Windzauber ihren Angriff zerschlug.

„Ich lasse mir manches von dir gefallen, Mutter!“, empörte er sich dabei, „Aber nicht alles!“

„Ja, das ist auch gut so!“, zischte sie zurück, ehe die Klingen erneut aufeinander trafen. Er schlug mit solcher Wucht zu, dass das Geisterschwert Nalanis Waffe zerschmettere und sie mit einem Griff ohne Klinge da stand. Keuchend fuhr sie herum und hechtete zurück, ehe er sie mit dem blitzenden Schwert hätte treffen können. Jetzt war sie es, die auswich, als er mit einer weiteren, gewaltigen Katura nach ihr warf.
 

Himmel und Erde erzitterten und Leyya tat es auch, dabei die kleine Saidah fester umklammernd, die sie an der Hand hielt. Es erschütterte die kleine Heilerin genau wie die anderen und die Erde zu ihren Füßen, als sie zusah, wie ihr Mann und seine Mutter einander Zerstörer entgegen schleuderten, sich gegenseitig auswichen und erbittert versuchten, den Sieg über den Gegner zu erringen. Sie fragte sich, ob es Nalani auch so schwer gefallen war, sich dazu durchzuringen, zu kämpfen. Nalani tat immer ohne zu zögern, was sie tun musste… sie war eine starke Frau und Leyya bewunderte sie für diese Willenskraft, für diese unerweichliche Seele, die sie besaß… sie fragte sich, ob es nicht unsagbar schwer sein musste, die Kraft aufzubringen, gegen sein eigenes Kind zu kämpfen… sie fasste nach ihrem flachen Bauch. Sie könnte niemals gegen das Baby kämpfen, das darin mit jedem Tag etwas wuchs.

Ein weiteres Donnern aus dem Himmel ließ sie zusammenfahren und Saidah quiekte unwirsch an ihrer Hand, weil sie das kleine Händchen aus Versehen mehr einquetschte als nötig.

„Aua…“, machte die Kleine und Leyya ließ sie erschrocken etwas lockerer.

„Oh nein, vergib mir, Saidahchen!“ Sie spürte, wie jemand ihre Schulter tätschelte, und sah darauf beunruhigt zur Seite und in Meorans Gesicht.

„Sorge dich nicht… sie werden sich schon nicht gegenseitig umbringen. Das sieht härter aus als es ist.“

„Das sagt sich so leicht.“, murmelte die Heilerin und erzitterte, als ein gleißendes Blitzen von vorne die Landschaft erhellte.

„Sie müssen jetzt den Geistern beweisen, dass sie würdig sind, diesen Titel zu tragen… nur der, der die Geister am besten beherrschen kann und dadurch den anderen besiegt, kann auch Herr der Geister werden. Oder Herrin, wie auch immer…“

„Gab es je eine Herrin der Geister?“, lachte Neron Shai doof, „Kann ich mir gar nicht vorstellen…“ Meoran seufzte.

„Hey, überhaupt, lasst uns wetten, wer gewinnt, wenn wir schon hier herum stehen…“ Leyya schnaubte.

„I-ihr könnt doch über sowas nicht wetten!“ Doch die anderen Geisterjäger schienen das gar nicht unnormal zu finden.

„Nalani, aber sowas von.“, war Henac Emos ungewünschter Kommentar und er machte ein komisches Gesicht. „Sie ist die Schattenkönigin, Baby Puran kann sie nicht besiegen, auf gar keinen Fall!“

„Wettest du?“, machte Meoran verdutzt, „Ich halte dagegen.“

„Ernsthaft? Du bist lebensmüde, Meoran… du bist nur verblendet, weil du Puran so gern hast! Dabei solltest du ihn besser hassen, weil er deine Frau angemacht hat…“ Der Ältere verengte die Augen zu Schlitzen, wobei sein linkes, kaputtes Auge eigentlich wie immer zur Seite schielte.

„Was denn, traust du dich doch nicht, Emo?“, antwortete er, ohne darauf einzugehen, und der Schwarzhaarige zog eine Braue hoch.

„Wieso sollte ich, ich gewinne sowieso… einhundert, Alter. Und Nalani wird ihn in den Boden schlagen. Was für eine Schande, wir alle verlieren gegen eine Frau…“
 

Puran keuchte und stolperte rückwärts, um Nalanis übrigem Schwert auszuweichen, als sie nach ihm schlug und die freie Hand empor riss, um darin den nächsten Wasserzauber entstehen zu lassen. Krachend donnerte die Magie gegen die Klinge des Geisterschwertes, das er herum riss, dem Angriff entgegen, und das Schwert zerschmetterte die Flutwelle wie ein großes Glas, sodass die Tropen wie tausende von Scherben durch die Luft wirbelten und wie Regen herab zur Erde fielen. Puran keuchte und riss beide Arme empor, um dem Wind zu befehlen, die Scherben zurück auf seine Gegnerin zu schleudern. Und die Wassertropfen flogen wie die Eissplitter der Zuyyaner auf Nalani zu, die die Hände auch hoch riss, das Schwert einsteckend, und mit einem schwarzen Loch aus Schatten zwischen ihren Händen ihren eigenen Zauber im Nichts verschwinden ließ.

Keuchend sprang sie ein Stück zurück, als ihr Sohn vor ihr inne hielt und sie mit noch immer erhobenen Armen anstarrte, ebenfalls leicht außer Atem. Sie hatte nicht geglaubt, es würde einfach werden, jetzt, wo sie ihn erst mal dazu gebracht hatte, sich Mühe zu geben… er war Tabaris Sohn. Und gegen Tabari hatte sie nur einmal in ihrem Leben gewonnen, bei ihrer Geisterjägerprüfung vor genau zwanzig Jahren.

Du bist das Kind deines Vaters, Puran… beweise es mir! Beweise mir, dass ich mich nicht täusche in den Dingen, die ich sehe… die die Geister mir offenbart haben. Es ist unser Schicksal, am heutigen Tag so aufeinander zu treffen… und der Sieger dieses Kampfes ist ebenfalls Schicksal… und wurde schon lange vor unserer Geburt von den Geistern von Himmel und Erde dazu bestimmt.

Sie atmete tief ein und aus, ehe sie die Hände ausbreitete und sie dann ausgestreckt über den zertrümmerten Erdboden hielt, auf dem sie stand, die Augen schließend und auf die Antwort der Mutter Erde wartend.

„Komm, Erdgeist!“, rief sie dabei laut und deutlich, „Komm, Mutter der lebenden Dinge, auf der wir stehen, Geist der Dunkelheit, Geister der Toten! Folgt meinem Willen, wenn ich euch rufe!“ Sie spürte, wie die Erde zu ihren Füßen leicht erbebte und konnte fühlen, wie die Macht der Mutter auf sie überging, sie ausfüllte wie ein warmer Strom, bis in ihre Fingerspitzen floss. Die Haut der Erde zitterte unter ihr und brodelte, und als die Frau die Augen wieder öffnete und den Kopf reckte, sah sie ihrem Kind direkt ins Gesicht, bereit, die ganze Macht an Schatten, die sie hatte, auf ihn zu schleudern.

Es wird Zeit, es zu Ende zu bringen, Puran. Lauf nicht weg… stell dich deinem Schicksal!
 

Puran konnte die Erde ebenfalls zittern spüren, und er keuchte abermals, als er seiner Mutter in die Augen sah und wusste, dass sie jetzt zum finalen Schlag greifen würde. Sie beschwor die Geister der Erde, und er konnte die Macht, die vom Boden ausging, auf dem er stand, in seinen Füßen spüren, es ließ ihn schaudern.

„Lauf nicht weg.“ , flüsterten die Geister in seinem Kopf, und er schloss bebend die Augen, als es ausnahmsweise einmal keine bösartigen, zischenden Stimmen waren, die zu ihm sprachen, sondern sanfte, gutmütige, die ihm Mut gaben. „Das ist… deine Bestimmung, Puran.“

Und woher soll ich wissen, ob ich das Richtige tue, Geister…?

Die sanfte Stimme in seinem Kopf lachte leise und er spürte, wie die Geister ihm ihre Hände reichten, wie sie seine Arme wieder empor in den Himmel zogen, ihn dazu ermutigten, die rufenden Worte zu sprechen.

„Vertrauen… das ist alles. Du bist ein Rufer der Himmelsgeister… hab Vertrauen.“

Er schnappte nach Luft, als er das Geisterschwert in den Himmel empor streckte und hörte, wie es über ihm donnerte, so laut, dass die Luft und die Erde erschüttert wurden. Dann schlug mit einem zweiten Krachen ein gleißender Blitz in die Klinge des Schwertes ein, sobald Puran den Mund öffnete.

„Geister des Himmels! Geister des allmächtigen Vaters, der über uns wacht, Geister der Sonne, die uns Licht schenkt, Geister der Winde, die den Dingen Leben einhauchen! Kommt herunter zu mir, kommt in meine Arme, kommt in das Schwert, das ihr mir gegeben habt! Gebt mir die Macht, mit der ich meinem Schicksal entgegentreten kann!“ Er spürte das Donnern des Himmels, das ihm durch Mark und Bein ging, während der Blitz an der Klinge des Schwertes sich vergrößerte und zu einem gigantischen Wirbel aus purer Macht wurde, einem Wirbel der Himmelsgeister.

Im selben Moment gab es auch ein Krachen aus der Erde unter ihm und als er den Blick auf seine Mutter richtete, brach vor ihren Füßen die Erde auf und heraus brach eine gigantisch große, mächtige Springflut, als hätte Nalani mit bloßem Willen das Grundwasser aus der Erde gezogen. Sie riss die Arme empor und die gigantischen Wellen türmten sich bis zum grollenden, schwarzen Himmel auf, als der Blick der Frau den ihres Kindes traf. Für einen Moment blickten beide einander an, in dem einen Moment, in dem sie ihre Wassermassen noch im Zaum hielt, bereit, sie jeder Zeit auf ihn loszulassen wie ungezähmte Pferde, eine geballte, grauenhafte und zerstörerische Macht der Mutter Erde. In dem Moment, in dem Puran in seinen Händen die Macht des Himmels festhielt, den erbarmungslosen Wirbel aus Magie, der alles zerschmettern würde, was ihm in den Weg käme…

In diesem einen, kurzen Moment, in dem sich ihre Blicke trafen, wusste Nalani, dass ihre Visionen sie nicht getäuscht hatten.

Und sie wusste, wie der Kampf ausgehen würde.
 

Sie ließen die Macht frei, die sie gerufen hatten, und ließen all die Kraft der beschworenen Geister hinaus in die Luft strömen, in die Flutwelle, die Nalani von sich schleuderte, und in den gigantischen Himmelswind, den Puran mit samt dem Geisterschwert in Richtung der Erde sausen ließ. Und mit einem Krachen aus dem Himmel und einem Dröhnen und bebend der Erde trafen die beiden Mächte aufeinander wie zwei gigantische Kraftfelder, die versuchten, das jeweils andere weg zu drängen, wobei beide Magier die Hände nach vorne gerissen hatten und sie geistige und körperliche Macht, die sie besaßen, in die beschworenen Zauber steckten.

Die Mächte sind einander ebenbürtig… schoss es Puran in den Kopf und er schloss keuchend die Augen, als er am ganzen Leib erzitterte und spürte, wie die Macht des Vater Himmel wie sein Blut durch seine Adern floss, wie es in seinem Kopf rauschte und in seinen Fingern kribbelte. Das Kribbeln verteilte sich über den ganzen Körper und er hatte plötzlich das Gefühl, keinen Boden mehr unter den Füßen zu haben; er war nicht mehr Puran, er war der Wind selbst, er war die Macht, die er gerufen hatte, und er konnte sie beherrschen, wie er seinen eigenen Leib beherrschte, er konnte mit ihr machen was immer er wollte.

„Wir Schwarzmagier beherrschen die Macht von Himmel und Erde zugleich.“ , erinnerten ihn die Geister an seine eigenen Worte, die er zu Leyya gesagt hatte.

„Rufe die Erdgeister… und vereine sie mit denen des Himmels.“

Er öffnete die Augen japsend wieder – der Boden unter seinen Füßen war zurückgekehrt und die Erde erbebte, als er den Blick auf sie richtete. Seine Stimme klang dumpf und fern, als wäre sie nicht seine eigene, als er die Arme zitternd wieder anhob und langsam zu den Seiten ausbreitete, dabei den Machtwirbel vor sich vergrößernd, der immer noch gegen Nalanis gigantische Flutwelle aus der Macht der Erde kämpfte –

Die Macht der Erdgeister, die er im Begriff war zu rufen.

Er keuchte.

„Geister… der Mutter Erde!“, schnappte er, „Frau von Vater Himmel, Mutter der Welt, Macht der Dunkelheit! Gehorche meinem Willen, Erdgeist!“ Wie Nalani zuvor hob er die zur Seite ausgestreckten Arme langsam wieder hoch, wobei er heftig erzitterte in dem Augenblick, in dem die Erde unter ihm bebte. Er konnte die Macht der Erdgeister spüren, die durch seine Füße in ihm empor schoss und sich mit der Macht des Himmels vereinte, die er gerufen hatte – als er den Kopf in den Nacken lehnte und keuchend empor sah in die grollenden, schwarzen Berge aus Wolken, explodierte das berauschende Gefühl in ihm mit einem blendenden, gleißenden Licht vor seinen Augen.

„Geister!“, brüllte er mit aller Macht, die er aufbringen konnte, „Hört mich an, Mächte der Schöpfung, Mächte des Anfangs und des Endes dieser Welt! Kommt und lasst mich euch lenken, und ihr werdet meinem Ruf folgen!“

Seinen befehlenden Worten, die keinen Widerspruch duldeten, folgte ein gewaltiges Krachen, das von Himmel und Erde zugleich zu kommen schien.
 

Nalanis Flutwelle verschwand zurück in der Erde, als Puran die Erdgeister zu sich rief und ihnen selbst befahl – die Frau hatte nicht länger die Kontrolle über sie und sie weitete die Augen, als die Macht in ihr versiegte wie ein ausgetrockneter Bach und sie stolpernd rückwärts torkelte, während der Machtwirbel aus den Winden des Vater Himmel auf sie zu donnerte und sie unweigerlich zerschmettern würde. Hinzu kam aus der aufbrechenden, zornig brüllenden Erde die Macht der Erdgeister, sie vermischte sich mit dem Wirbel, als Puran die Hände wieder herab stieß und mit dem Geisterschwert in den Boden schlug, auf dem sie standen. Als hätte er damit ein brüchiges Stück Brot getroffen, das zerbarst, bröckelte die Erde entzwei und bildete vor Purans Füßen einen großen Graben. Nalani sah die vereinte Macht von Himmel und Erde auf sich zukommen, und sie atmete die trockene Luft ein, als sie den Kopf ebenfalls in den Nacken warf, die Arme ausbreitete und so stehen blieb, das Schicksal erwartend, das die Geister seit langem für sie bestimmt hatten.
 

Ein ohrenbetäubendes Donnern erfüllte die Ebenen von Zarimia, als alle Wirbel gemeinsam mit der Macht verschwanden. Zurück blieb Puran, bar jeder Kraft, sich weiter auf den Beinen zu halten, und er strauchelte und hustete keuchend, während er verschwommen vor sich das zerschmetterte Feld sah, das der Wirbel zurückgelassen hatte. Das Geisterschwert verschwand aus seiner Hand, als seine Finger den leuchtenden Griff bebend losließen, nicht länger fähig, es festzuhalten.

„Schlaf…“, wisperten die Geister sanft und schienen zufrieden zu sein, und er verdrehte die Augen und stürzte haltlos zu Boden. Bevor alles schwarz wurde, hörte er Leyya in der Ferne gellend aufschreien.
 

Als er wieder zu sich kam, wusste er nicht, wo er war. Alles, was er wahrnahm, war das üble Pochen in seinem Kopf, ein ständiger, grausamer Schmerz, der ihn lange daran hinderte, sich zu bewegen. Erst nach einer Weile flaute er ganz langsam ab; als er die Augen öffnete, spürte er etwas Kaltes auf seiner Stirn. Das erste, was er sah, war das Gesicht seiner Frau.

„Du bist wach…“, wisperte sie und erstrahlte vor Freude. Ehe Puran etwas hätte sagen können, umarmte sie ihn zärtlich. Er merkte jetzt, dass er lag; beim zweiten Blick erkannte er sein Schlafzimmer und das Bett, an dessen Kante Leyya saß. Sie strahlte ihn an und richtete sich wieder auf, ihn loslassend. „Ich habe schon gedacht, du schläfst bis morgen durch…“ sagte sie leise und er stöhnte.

„Was… wieso, welche Tageszeit ist denn…?“

„Die Sonne geht bald unter. Du hast den halben Tag lang geschlafen… wobei du für das, was du durchgemacht hast, erstaunlich früh wach bist.“ Er blinzelte

„Häh? W-was… hab ich denn durchgemacht-…? Au…“ Er fasste keuchend nach seinem Kopf, als er sich vorsichtig aufsetzte und der Schmerz zurückkehrte. Dabei fiel ein nasser Lappen von seiner Stirn, der da offenbar zum Kühlen gelegen hatte. Leyya fasste ihm besorgt auf die jetzt feuchte Stirn.

„Hmm… fühlt sich schon besser an. Bleib lieber liegen. Du bist erschöpft… erinnerst du dich nicht? Die Kämpfe um den Titel des Ratsführers… du hast gegen Nalani gekämpft und unglaubliche Mächte entfesselt… es war… es war Wahnsinn!“ Er sah sie doof an, als ihre großen, braunen Rehaugen ihn musterten.

Ja, er erinnerte sich. Die Kämpfe… ja, die Macht von Himmel und Erde…

„W-wo… wo ist Mutter?“, keuchte er dann und sah sich um, als könnte sie plötzlich um die Ecke kommen. „Wie geht es ihr, was… was ist denn gewesen, ich meine…?“ Leyya lachte.

„Beruhige dich… Nalani geht es gut. Dein Zauber hätte sie beinahe zerschlagen wie eine Porzellanpuppe… es war vielleicht ein guter Wille der Geister, der sie genügen Widerstand hat haben lassen und dich die Magie rechtzeitig zurückziehen-… Tare als Schiedsrichter hätte das nie beenden können. Wäre er dazwischen gegangen, wäre er wohl draufgegangen, oder so! Grausam – aber die Geister haben dir gehorcht… du musst sie stumm zurückgerufen haben, ehe sie Nalani hätten erwischen können.“ Puran hielt sich immer noch stöhnend den Kopf. Was zum Geier? Er hätte seine Mutter beinahe in Stücke gerissen?

„Sie ist in Ordnung?“, fragte er besorgt, „Sie ist doch nicht verletzt, oder?“

„Nein! Nalani war vor dir wieder auf den Beinen, sie war auch nur etwas fertig nach der Anstrengung. Vermutlich ist sie in ihrem Zimmer.“ Er seufzte und atmete leicht auf. Wenigstens das… dann fiel ihm etwas anderes ein.

„Und wie, ähm… ist jetzt der Kampf ausgegangen?“

„Na ja.“, machte die Heilerin und lächelte ihn stolz an, als hätte sie nur auf diese Frage gewartet, „Deine Macht hat die von Nalani ganz offensichtlich überstiegen. Das heißt, du hast den Kampf gewonnen und bist… ab heute der Herr der Geister.“

Er konnte sie nur wieder doof ansehen. Sein Kopf schmerzte, er brauchte etwas, um zu verarbeiten, was sie gesagt hatte. Als es endlich bei ihm angekommen war, war sein erster, geistreicher Kommentar:

„Ähm… häh?“

Leyya lachte liebevoll.

„Ganz ruhig, immer langsam!“, meinte sie, „Du bist jetzt der Vorsteher des Rates, weil du alle Kämpfe gewonnen hast. Es ist entschieden, das Turnier ist endlich vorüber.“ Jetzt japste er.

„Was? Aber… aber, ich meine…?“ Er konnte nichts sagen. Alles, was ihm in den Kopf kam, blieb ihm im Hals stecken – was sollte er antworten?

Oh?

Ist ja großartig?

Er wusste es nicht… er wusste nicht mal, ob es wirklich großartig war. Das war ein ehrenwertes Amt; das ehrenwerteste Amt, das ein Schwarzmagier überhaupt inne haben konnte. Es war der Posten seines Vaters… den er jetzt übernommen hatte.

Tabari… er vermisste ihn, fiel ihm plötzlich auf.

Langsam rutschte er zum Rand des Bettes und startete einen benommenen Versuch, aufzustehen. Leyya wollte ihn daran hindern.

„Puran, bleib hier… du solltest dich jetzt ausruhen, ich bringe dir schon alles, was du brauchst!“

„Nein, Leyya… das nicht. Ich-… ich möchte… zu meiner Mutter… was hat sie… gesagt?“

„Sie hat es mit Fassung getragen.“, meinte die Heilerin, „Ich glaube, sie war sehr stolz, als wir es ihr gesagt haben. Bitte, Liebling, leg dich wieder hin-… Puran!“ Sie rief ihm besorgt nach, als er zur Tür torkelte und ohne auf sie zu hören hinaus eilte. Sie lief ihm nicht hinterher… zu Nalanis Zimmer war es nicht weit. Das würde er schon überleben, und wenn es ihn so drängte, sie zu sehen, wollte sie sich nicht in den Weg stellen… dazu hatte sie kein Recht.
 

Nalani war nicht in ihrem Zimmer. Puran überlegte sich zuerst, das Gespräch mit ihr nach hinten zu verschieben ob seines noch angeschlagenen Zustands; wer wusste, wo sie war? Er konnte jetzt nicht durch das ganze Schloss rennen und sie suchen… aber es drängte ihn doch zu sehr, sie zu sehen, er wollte sehen, dass sie in Ordnung war, er wollte ihre Stimme hören… kurz kam er sich schäbig vor, als er etwas eiliger durch die Korridore torkelte, manchmal nach ihr rief und versuchte, sie zu finden; wie lange war es jetzt her, dass sein Vater gestorben war? Er hatte seitdem nur mit einer eigenen Trauer gekämpft, er hatte sich von seiner Frau trösten lassen und ihr gleichzeitig beigestanden, aber was war mit seiner Mutter? War er auch nur einmal zu ihr gegangen und hatte mit ihr darüber gesprochen? Was war er denn für ein pietätloser Mistkerl?

„Du kannst nicht immer nur alle anderen im Kopf haben.“ , entschuldigten die Geister netterweise sein Verhalten, „Du bist nur ein Mensch, du musst auch irgendwann Zeit für dich selbst haben… das ist in Ordnung.“

„Nein, nichts ist in Ordnung!“, jammerte er und hielt kurz inne, sich keuchend an der Wand neben sich abstützend, „Wo ist Mutter…?“ Die Geister erleichterten ihm das Gehen, indem sie den Schwindel verschwinden ließen, der ihn kurzzeitig ob der Erschöpfung erfüllt hatte; als er Nalani fand, hockte sie allein auf einem seichten, Grasbewachsenen Hügel irgendwo in den Weiten des Schlossgartens. Sie wurde von der Sonne beschienen, die im Westen unterging, während sie da im Gras saß und nach Norden starrte. Als Puran zu ihr kam, rührte sie sich nicht; er war froh, dass seine Kontrolle über seinen Körper ein wenig zurückgekehrt war auf der Suche, als hätte die Bewegung ihm mehr geholfen, sich zu erholen, als die Bettruhe zuvor. Seine Mutter machte einen kerngesunden Eindruck, und dennoch…

„Mutter?“, sprach er sie zaghaft an, als er hinter ihr stand, und sie fuhr zusammen, was ihn verblüffte – sie hatte nicht gemerkt, dass er gekommen war? Das war unüblich, sonst sah sie alles sofort mit inneren Augen.

„Du bist wach…“, wisperte sie dann mit gebrochener Stimme und Puran erschrak. „Ich habe… mich gefragt, wann du kommen würdest-… ich habe dich noch nicht erwartet.“ Er keuchte, schnellte um sie herum und hockte sich verdattert neben sie in ihren Schatten, um ihr Gesicht sehen zu können.

Sie weinte.

„W-was… was ist denn…?“, fragte er bestürzt, „D-du… du weinst…?“ Sie fuhr sich mit der Hand errötend über die Augen, offenbar verlegen darüber, dass er sie so ansah. Es war das erste Mal, dass Puran sie so vor sich sah; sonst war sie so majestätisch, kalt, unbarmherzig und vermittelte mit nur einem Blick eine gnadenlose Macht, die ihr inne wohnte… jetzt saß sie wie ein Häufchen Elend weinend am Erdboden, die Wangen gerötet. Plötzlich wirkte sie, als sei sie in einem Tag um Jahre gealtert; dabei war sie noch nicht einmal vierzig. Nalani, die große Königin der Schamanen, war letzten Endes auch nur eine Frau, und keine allmächtige Göttin. Genau wie alle Menschen aus Fleisch und Blut konnte sie trauern, erröten und vergehen. Es bestürzte ihn, das festzustellen.

„Ich… habe mit deinem Vater gesprochen…“, stammelte sie dann und er weitete die Augen. Sie sprach mit den Geistern… „Du wirst jetzt… seinen Platz im Rat einnehmen. Das macht mich unheimlich stolz… instinktiv habe… ich immer gewusst, dass wir uns eines Tages so gegenüber stehen würden. Und ich habe auch gewusst… dass du mich schlagen würdest. Du bist… deines Vaters Sohn, Puran. Du bist Windmagier… ein Herrscher des Himmels und der Erde.“ Er sagte nichts und senkte benommen den Kopf. Sie hatte das alles vorher gewusst? Ihre Sehensgabe war unglaublich groß… Puran wusste genau, wieso seine Großmutter, die wahnsinnige Seherin Salihah, ihre Schwiegertochter so sehr geschätzt hatte.

Nalani drehte das Gesicht zu ihm und hob eine Hand, um sein Kinn anzuheben.

„Lass dich ansehen…“, wisperte sie, „Du bist… so erwachsen geworden. Du siehst… deinem Vater so unglaublich ähnlich, Puran… du bist bildhübsch. Das warst du immer…“ Er räusperte sich und nahm ihr Kompliment verlegen an, als sie wehmütig lächelte und zärtlich seine Wange streichelte. Dann weitete er seine grünen Augen wieder, als ihre Augen gefährlich zu glänzen begannen. „Du bist… ein wundervolles Kind gewesen… ich wünschte, ich wäre dir eine bessere Mutter gewesen, Puran.“ Dann schluchzte sie unverhofft und er hob die Brauen, als sie das Gesicht keuchend senkte und erzitterte. „D-dein Vater fehlt… mir so schrecklich… es tut so… grauenhaft weh, wenn ich an ihn denke und fest…stelle, dass er nie wieder hier sein wird-…“ Er machte ein betroffenes Gesicht, als sie vor ihm in sich zusammensank und das Gesicht in den Händen verbarg, als weitere Schluchzer ihren Körper erzittern ließen. Ohne zu zögern zog er sie in seine Arme.

„Weine ruhig…“, murmelte er, „Du irrst dich, wenn du denkst, du wärst mir eine schlechte Mutter… du bist eine wunderbare Mutter. Ich vermisse Vati auch immer… ich weiß, was du fühlst.“ Er beherrschte sich, um nicht auch zu weinen, als die Gedanken an seinen Vater ihn auch mit tiefer, schmerzvoller Trauer erfüllten. Sie keuchte und weinte bitterlich, während sie das Gesicht an seiner Brust vergrub, wie Leyya es auch tat, wenn sie weinte.

„Ich bin… so stolz auf dich…“, flüsterte sie, als sie ihre Stimme wieder etwas beherrschen konnte, und er schauderte, als sie seine Umarmung jetzt erwiderte. „Und ich weiß, dass du deiner Bestimmung gerecht werden wirst. Es war Wille der Geister… schon von Geburt an warst du dazu bestimmt… einmal hier zu landen. Von Geburt an warst du… etwas Besonderes. Du hast einen starken Willen, deswegen hast du immer versucht, wegzulaufen, und wolltest dich nicht einfach dem vorgegebenen Weg hingeben… aber ich glaube, du bist jetzt da, wo du hingehörst. Und es… macht mich gleichzeitig so glücklich und auch wehmütig, zu wissen… dass es jetzt nichts mehr gibt, was ich für dich tun kann. Du stehst auf eigenen Beinen… du bist ein erwachsener Mann. Bald wirst du Vater sein, dann hast du… eine neue Aufgabe, die du bewältigen musst. Aber ich bin sicher, dass du… auch das schaffen wirst, du hast ja noch Leyya.“ Er musste leicht lächeln.

„Du bist ja auch da.“, sagte er dann, „Nur, weil ich jetzt Herr der Geister bin, heißt das ja nicht, dass du nicht mehr meine Mutter bist.“ Sie sagte eine Weile nichts, sie saßen nur schweigend im Sonnenuntergang und hielten sich aneinander fest in dem wärmenden, schönen Licht, das den sonst grünen Himmel gelblich färbte.

Ach, mein geliebter Sohn… meine Aufgabe in dieser Welt… wird bald beendet sein, so fürchte ich. In meinen Träumen… rufen die Geister bereits meinen Namen. Ich weiß jetzt… wie sich Salihah gefühlt haben muss mit der Bürde… der Sehensgabe, die sie besessen hat… mit der Bürde der mächtigen Position, die sie hatte und die sie mir vermacht hat.

Sie drehte den Kopf nach Norden in Richtung des dunkler werdenden Himmels, während sie sich etwas aufsetzte, Puran sie losließ und sie weiterhin schweigend einfach nur da saßen. Wenn sie tief in sich hinein horchten, war es, als wären die Geister ihrer Verwandten, die sie vermissten, bei ihnen und säßen ebenfalls hier im Gras. Nalani spürte Tabaris Finger, die ihren Nacken kitzelte, und das liebevolle Grinsen in seinem Gesicht, das er immer besessen hatte. Zitternd schloss sie die Augen, als die Sehnsucht nach ihrem Mann so stark wurde, dass es in ihrem Inneren schmerzte.

Was sagst du, Salihah, Seherin? fragte Nalani die Geister in Gedanken, während sie weiter zum Himmel blickte. Lachst du über uns, weil wir vom Schicksal hin und her geschaukelt werden wie totes Holz auf dem Wasser? Du weißt… dass die Macht, das zu kontrollieren, nur wenige haben… nicht wahr?

Salihahs Geist antwortete nicht, aber die letzten Sonnenstrahlen tauchten die spärlichen Wolken am goldenen Himmel in eine Farbe des Feuers, was die Frau die Augen zu Schlitzen verengen ließ. Dann sprachen die Geister.

„Eines Tages wird die Welt in Feuer und Schatten versinken… fürchtest du dich, Schattenkönigin?“
 


 

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Booyah. April 982, again. Ich mag Neron, er ist so scheiße xD Und seht, frohlocket, Nalani kann... menschlich sein. Buahahaha xDDD



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Akazie
2010-05-09T13:15:03+00:00 09.05.2010 15:15
Also, ich habe ein Stück von dem Kapitel gelesen und kann also nicht viel dazu sagen. Kommi muss aber sein, auch wenn das ein wenig dumm rüberkommt. Ich meine, Kritik hatte ich dir schon gegeben, warum sollte dann nicht auch Lob vorkommen?
Genau, das habe ich mir auch gedacht und hier bin ich =D
Erstmal ein Lob für deine Ausdauer. Wow, so viele Wörter. Du hast meinen Respekt, da du immer solch lange Kapitel schreibst.
Dann noch zu deinem Dialog. Du schaffst es scharfe, zickige Bemerkungen, lustige, spritzige Dinge aufzuschreiben. Die Abwechslung macht es und die hast du drauf.
Wie gesagt, hab nicht viel Text gelesen, aber gehe ich als Kritiker auf deinen Stil ein, dann muss ich nahtlos anerkennen, dass du gut bist. Mir gefiel das, was ich gelesen habe, auch wenn mir die Beschreibung ein wenig zu kurz kam ;p

Achja, und noch etwas:
Die Punktsetzung im Dialog ist falsch. Wenn du einen Beta hast, dann mach ihn mal darauf aufmerksam. Hast du Fragen dies bezüglich an mich, sag bescheid. Wir schreiben ja sowieso schon per ENS XD
Von:  Decken-Diebin
2010-05-08T17:00:52+00:00 08.05.2010 19:00
*Izzys Kommi gelesen hat* Saja wird 987 Geisterjägerin, oder? o.o

Dass du nicht alle Kämpfe beschrieben hast, ist eindeutig besser, sonst wäre es langweilig geworden xD Aber armer Neron, der hat ja nie gewonne xD' Hab mich da schon gewundert, wie er überhaupt die Geisterjägerprüfung überstanden hatte... ich wusste gar nicht mehr, dass er gegen Meoran kämpfen musste ö.ö
Okay, Purans Kampf gegen Nalani war echt cool ö.ö Aber er braucht immer Anschübse von seinen Gegnern, damit er sich mal anstrengt xD Aber hey, es ist verständlich, es war seine Mutter... ich hatte schon Angst am Ende, er hat sie weggefegt .__.'
Die Szene, wo er an Kannar, Travi, Ram und Pakuna gedacht hat, fand ich auch toll *___* Und ja, ey, wann trifft er eigentlich mal Alona und Sukutai wieder óo...
Die letzte Szene war natürlich herzchen ._. Nalani ist schon irgendwie 'ne tolle Persönlichkeit, ich weiß auch nicht, wie Leyya auch in diesem Kapitel meinte, willensstark und so ö.ö
Von:  -Izumi-
2010-05-07T21:12:15+00:00 07.05.2010 23:12
Aww! .__.
Also, ne, von Anfang an jetzt erstmal.
Ja, also okay, du hast es logisch erklärt, warum Emo nochmal kommen musste! ^^
Das ist gut, ich mag ihn, warum auch immer XD
Und dass nochmal auf die einzelnen Arten der Schamanen random so eingegangen wurde finde ich auch sehr cool, das mochte ich ^^
Ah, und die Stelle, an der Ram und die anderen kurz erwähnt wurden! Stimmt, du könntest Puranchen ruhig öfters nostalgisch werden lassen >///<
Vielleicht ja, wenn er Alona wieder trifft? Wäre doch eine nette Gelegenheit! ^^
Dann, die Kämpfe.
Ja, da konntest du natürlich wirklich nicht auf jeden einzelnen eingehen! XD
Ich mag Saja übrigens doch noch, was sie da gerechnet hat, hätte ich auch noch hinbekommen, vorausgesetzt, ich bekomme zwei Minuten Zeit dafür, aber hey XD
Wann wird die eigentlich mal Geisterjägerin? ^^ Die soll mal zeigen, wie toll sie ist <3!
Ach ja, Kämpfe XD Ja, also ich fand es gut, wie du vereinzelt welche angeschnitten hast, die Meisten wurden ja mit Ausgang erwähnt, es war nicht zu lang und nicht zu kurz ^^
Fand ich gut so <3
Übrigens, merke ich ja wenn ich Beta-Baby bin, du machst immer weniger Tipp- oder Wiederholungsfehler! *lob* <3!
Und dann, Puran und Nalani... war natürlich etwas doof, dass meine Mutter da Kinderlieder eingeschaltete hatte "XD *drop*
Es kam aber trotzdem gut rüber, besonders der Moment, wo es sich dann entschied, war sehr beeindruckend! o.o
Puran klaut Nalani ja quasi ihre Macht aus den Fingern, das war sehr schön beschrieben...
Auch Purans Gefühle danach, er wusste nicht, ob er sich überhaupt freuen sollte, dass er jetzt Herr der Geister war... da kam die Sehnsucht nach Tabari wieder schön durch .__.
Überhaupt, die letzte Szene... bei der habe ich beinahe geweint! Das war so traurig... Nalani war plötzlich so unsagbar menschlich... und auch wenn es nicht erwähnt worden wäre, hätte man gespürt, dass sie nicht mehr lange hat, aww ._.
Die letzte Szene war wirklich unheimlich schön! Ein ganz tolles Kappi <3


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