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Träume

von

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Kapitel 23

Sie standen einfach nur da und sahen einander an. Farin hatte es endlich klar und deutlich gesagt, und sich dabei sogar getraut, Bela in die Augen zu sehen. Es fühlte sich an, als sei ihm eine riesige Last, ein ungeheuer großer Stein vom Herzen gefallen, denn endlich brachte er den Mut auf, die Worte auszusprechen, die schon so lange in seinem Kopf, seinen Gedanken umhergeisterten, den Mut, vor Bela und vor allem vor sich selbst dazu zu stehen. Es gab jetzt kein Zurück mehr, jetzt, nachdem es endlich raus war. Dieser Moment bedeutete einen Einschnitt in ihrem Leben, in ihrer Freundschaft. Er wünschte sich, die Zeit würde stehen bleiben, zumindest solange, bis er wusste, wie es weitergehen sollte. Was sollte er als nächstes sagen oder tun? Und was würde Bela als nächstes machen?
 

Belas Blick, der Verwirrung, Verwunderung und Ungläubigkeit ausstrahlte, fesselte Farin, so als ob er nie wieder in diese Augen blicken könnte. Hatte er endgültig alles zerstört? Oder gab Bela ihm eine allerletzte Chance?
 

Die Sekunden, die verstrichen, während sie sich einfach nur gegenüberstanden, Farins Hand noch immer ums Belas Oberarm gekrallt, und ansahen, als seien ihre Augen durch eine unsichtbare Kette miteinander verbunden, kamen ihren wie Stunden, Tage, Monate vor. Sie rührten sich nicht, brachten es nicht fertig, eine Bewegung zu machen oder gar den Blick voneinander abzuwenden. Farin spürte, wie Bela versuchte, sein Zittern, sein heftiges Atmen zu unterdrücken, und er konnte seinen eigenen Puls rasen spüren, das Herz schlug ihm bis zum Hals, seine Finger waren eiskalt. Sein Kopf und seine Gedanken waren leer, nichts durchbrach die Stille des Raumes und seines Geistes.
 

Bis Bela langsam und zaghaft den Arm aus Farins Griff wand und einen halben Schritt zurück wich, ohne den Blick von Farins Augen zu wenden. Atemlos stand er da, konnte nicht fassen was geschah, wie sie sich hier gegenüberstanden, konnte die Worte nicht begreifen, die Farin ihm zuletzt mitten ins Gesicht warf. Ohne Reue, ohne Bedenken, als ob es völlig normal wäre.
 

Ganz zart, beinahe unmerklich, schüttelte er in einer kaum merklichen Bewegung den Kopf.
 

Farin spürte, dass etwas in seinem besten Freund vorging. Dass er gerade versuchte, seine Gedanken in Worte zu fassen. Er konnte schon lange seine Gefühle erraten, und brauchte ihm dafür bloß in die Augen zu sehen. Nur war eben die Frage, ob er das wissen wollte.
 

„Was versuchst du mir zu sagen?“ durchbrachen Farins Worte endlich die Stille, weil er diesen unerträglichen Zustand nicht mehr aushielt und seine Neugier mal wieder die Oberhand über den Verstand gewann. Er war üblicherweise nicht seine Art, Dinge zu erforschen, von denen er nichts wissen wollte.
 

Aber eigentlich wollte er es doch. Er hatte nur Angst vor dem, was kommen kann. Das war das erste Mal in den vergangenen Tagen so, und er befürchtete, dass es nicht das letzte Mal so sein würde. Er wurde ungeduldig, hielt diesen Zustand nicht mehr aus, dieses Warten, Hoffen, Bangen.
 

„Jetzt sag schon“ drängte er, und erbebte in diesem Moment, seine Stimme überschlug sich schier, und er atmete, als sei er eben einen Marathon gelaufen. Hör endlich auf, mich zu quälen!
 

Bela holte nochmals tief Luft, bevor er antwortete.
 

„Oh Mann. Unser ganzes Leben lang waren wir Freunde. Haben so ziemlich alle Höhen und Tiefen miteinander durchgestanden, die man so miteinander durchstehen kann. Ich hab mich immer gefreut, wenn du dich aus der Versenkung heraus bei mir gemeldet hast, wenn du auf Reisen warst. All die Dinge, die wir zusammen erlebt haben… ich mein, guck mal wie wir damals angefangen haben, und jetzt…? Ich hab mich öfter mal gefragt, kann sein dass du das jetzt kitschig oder so findest, ob es damals Schicksal war, dass wir uns kennen gelernt haben. Ob irgendjemand oder irgendwas wollte, dass wir uns trafen. Ob es Gottes Plan oder so war, dass Bernd damals seine Gitarre geklaut wurde. Verstehst du, wir gehören einfach irgendwie zusammen!“
 

Bela hatte sich so ereifert, dass seine Stimme sich überschlug, seine Augen leuchteten förmlich, die Euphorie, mit der er sprach, raubte Farin dem Atem, und er lauschte Belas Worten gespannt, als sei er ein Jünger und Bela der Prophet, der vom Berg herabstieg, um die Erlösung zu bringen. Die Worte seines Freundes berührten ihn tief, wie eine innige, warme Umarmung, wie die ersten Sonnenstrahlen nach einem kalten, grausamen Winter voller Nebel und Schnee… Nie hätte er gedacht, dass Bela derart tief und dankbar für ihre Freundschaft empfand, denn auch wenn sie sich noch so nahe waren, über diese selbstverständliche Verbindung zwischen ihnen sprachen sie nie. Vielleicht gerade weil sie so selbstverständlich war.
 

„Und doch…“
 

Belas Blick nahm wieder diesen matten, gequälten Ausdruck an, und vor Farins innerem Auge zerplatzte eine große, in allen erdenklichen Farben schimmernde Seifenblase. Er seufzte leise.
 

„Ich weiß einfach nicht, was wir jetzt machen sollen, wie es weitergehen soll. Ob ich damit umgehen kann. Bitte, gib mir ein wenig Zeit…“
 

Im Farins Kopf ertönte ein Knall, einem Donnerschlag gleich. Ein Alarmsystem hatte ausgeschlagen, eine Warnung ausgestoßen, die sich auf „Zeit geben“ bezog. Auf gar keinen Fall! Wenn er sich nun darauf einließe, würde das eine Trennung auf – ungewisse – Zeit bedeuten, wenn es nicht sogar ein verzweifelter Versuch Belas war, der Situation zu entfliehen. Farin wollte das unter gar keinen Umständen zulassen. Er wollte Nägel mit Köpfen machen, hatte keine Lust mehr auf dieses ewige Warten. Er war hier und heute bei Bela aufgekreuzt, um zu erfahren, wie es weitergehen würde zwischen ihnen. Und er nahm sich vor, nicht eher zu gehen, bis die Fronten geklärt waren. Und wenn sie auf ewig mitten in Belas Wohnzimmer stehen würden, es war ihm egal. Es gab für ihn keinen anderen Weg.
 

„Nein.“
 

Farins Antwort war klar und hart, wie seine Augen. Er senkte seinen Kopf ein wenig, um seiner fast befehlenden Erwiderung mehr Ausdruck zu verleihen. Bela zog überrascht die Brauen leicht hoch, als ob er sich verhört habe. Er öffnete den Mund zum Sprechen, schien aber nicht zu wissen was er sagen sollte. Das nutzte Farin schamlos aus.
 

„Vergiss es. Ich stehe hier nicht rum, gestehe dir meine Liebe, nur um mich wieder mal von dir abweisen zu lassen, und nur um mit wieder anzuhören, dass du nicht weißt, was du jetzt machen sollst! Willst du mir weismachen, du hättest bisher noch nicht darüber nachgedacht?“
 

„Aber ich –„
 

„Scheiß aber! Bela, das geht so nicht! Du wolltest doch die ganze Zeit über, dass ich mich in dich hineinversetze und versuche zu verstehen wie´ s dir geht, oder?! Dann tu mir jetzt bitte den Gefallen und denke, hier und jetzt, mal an mich!“
 

Farins Stimme wurde immer lauter, immer erregter, und eine gewisse Wut schwang in ihr mit. Bela machte einen recht betroffenen Eindruck. Farin hatte den Spieß einfach umgedreht, ohne Rücksicht auf Verluste. Bela versuchte, nicht die Beherrschung zu verlieren. Er verstand es nicht. Er verstand es einfach nicht!
 

„Jan, du verschissener dämlicher Vollidiot!!“ schrie Bela plötzlich, der Versuch war gescheitert. Er hatte jetzt wieder das Zepter in der Hand, denn nun guckte Farin wieder belämmert drein. „Sag mal, kapierst du eigentlich gar nichts?!?“
 

Farin dachte angestrengt nach. Nur ganz kurz. Dann dachte er, dass er verdammt noch mal keine Lust hatte, darüber nachzudenken und keine Lust mehr auf Belas Zeit gewinnende Spielchen hatte.
 

„Nee, aber du kannst es mir gerne erklären!“ rief Farin äußerst gereizt zurück. Er bemerkte, dass Bela ein paar Mal tief Luft holte, so tief, dass sein ganzer Körper sich hob und wieder senkte. Dann setzte er sich in Bewegung. Schnellen Schrittes stampfte er an Farin vorbei, sah ihm so lange in die Augen wie das Vorbeigehen es zuließ, steuerte auf den Wohnzimmertisch zu, wo das kleine Päckchen lag, nahm es auf und hielt es, schüttelnd Farin entgegen.
 

Farin schien es, als dämmerte es ihm ein wenig.
 

„Sprich mir nach: ich bin ein blöder Affe“, knurrte Bela und warf Farin das Päckchen zu.
 

....
 

Der Nebel war so undurchdringlich, dass Farin jegliches Gefühl für Raum und Zeit verlor. Er spürte seinen tauben, erfrorenen Körper nicht mehr. Schon eine Weile lief er im Kreis, ohne es zu merken. Er versank immer tiefer im Schnee. Ab und an trug der schneidend kalte Wind Belas Worte an seine Ohren.
 

„Jan… ich bin hier… finde mich…“
 

Er hob seine blau gefrorenen, zitternden Hände. Beim Versuch, sie zu bewegen, schmerzten sie. Das Atmen fiel ihm schwer, er keuchte, sah seinem Atem in der Luft gefrieren. Langsam drehte er sich um die eigene Achse, als er begriff, dass er die Richtung einschlagen musste, von der der Wind wehte. Schweren Schrittes setzte er sich in Bewegung. Unablässig peitschten ihm Schneeflocken ins Gesicht, doch er hatte neuen Mut gefasst, ging nun energischer, entschlossener.
 

Belas Stimme wurde langsam deutlicher. Er schloss die Augen, verließ sich ganz auf sein Gehör. Sein Herz pochte. Er fühlte, wie der Schnee langsam weniger wurde, die Schneetiefe abnahm, die Kälte immer weniger kalt wurde. Einem plötzlichen Impuls folgend, blieb er stehen. Langsam öffnete er die Augen.
 

Wenige Meter vor ihm stand er. Kein Schnee befand sich zu seinen Füßen, sondern saftiges grünes Gras. Die Sonne stand hinter ihm und strahle so kräftig, dass Farin seine Augen mit den warmen, wieder durchbluteten Händen abschirmen musste. Wenn er es recht einschätzte, meinte er, dass Bela lächelte. Farin sah an sich hinab. Seine Füße standen noch immer auf Schnee, der Atem war noch immer leicht zu sehen. Ein Schritt… nur ein einziger Schritt war es, der sie voneinander trennte. Gleich würde er am Ziel sein, gleich würde er bei dem Menschen sein, für den er sein Leben geben würde. Er konnte es kaum noch erwarten. Langsam, wie in Zeitlupe, hob er einen Fuß, bewegte ihn nach vorne, nahm seinen Körper mit, setzte ihn auf, zog den anderen Fuß nach und…
 

… hörte in seinen Ohren wieder diesen einen Satz, der sich in sein Gehirn gebrannt hat und den er wohl nie wieder vergessen würde:
 

„Hätte ich sie doch bloß dir geschenkt. Da wüsste ich zumindest, dass sie gut aufgehoben ist.“
 

Und als Farin begriff, endlich begriff, was Bela damit meinte, warum er ihm die Kette schickte, warum er sie ihm erneut übergab, warum Bela selbst seit Tagen unsicher, launenhaft und wie der Wind war, warum er sich selbst nicht dafür entscheiden konnte, was er denn wollte, wiederholte er endlich Belas Worte:
 

„Ich bin ein blöder Affe!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Ahoj-Brausenmatrose
2012-08-07T09:41:23+00:00 07.08.2012 11:41
Hey,
bisher deutlich die beste Fanfiction, die ich hier von den Ärzten gefunden hab. Dachte schon sie wäre abgeschlossen.. Gott sei Dank nicht :)
Ja, was soll man dazu sagen: Schöner Schreibstil, gute Personenbeschreibung, nicht übertrieben und nicht allzu typisch.
Hoffe du kriegst sie genauso schön zu Ende, ist wirklich gelungen!

Vielen Dank und liebe Grüße!
Von:  Krachgarten
2012-07-21T12:09:16+00:00 21.07.2012 14:09
hey
deine Story ist wirklich super toll!! Ich hoffe du schreibst schnell weiter!
Liebe Grüße
Von:  Yuki-chii
2012-07-15T19:45:06+00:00 15.07.2012 21:45
Hey~
Ich habe deine Geschichte auf Fanfiktion.de gefunden und jetzt seh ich, dass sie hier ja noch wesentlich weiter fortgesetzt ist! *o*
Darüber bin ich echt froh, weil ich LIEBE deine Story.
Du schreibst wirklich so herzerweichend und spannend.
Also schreib bitte schnell weiter. Ich kann es kaum noch erwarten :)
Von:  DalhousieSprings
2012-07-15T18:38:50+00:00 15.07.2012 20:38
Hey,

ich habe deine FF gerade erst gefunden. Und wie es scheint zur rechten Zeit, wenn du jetzt ja weiterschiebst!
Mir gefällt dein Schreibstil echt gut! Die Darstellung der Charaktere find ich klasse!
liebe Grüße!


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