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Meister der Rosen

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Prolog

Meister der Rosen
 

Prolog
 

"Nein!", schallte es durch den Raum. Drohend erhob ihr Vater seine Hand, zu einer Faust geballt. Tränen verschleierten ihre Augen und verhinderten ihre Sicht. Er kam auf sie zu. Angelica wusste nicht wie, aber letztendlich brachte sie ihre Füße dazu sich zu bewegen. Ihre Hände verkrampften sich in dem schneeweißen Kleid, rutschten immer wieder ab, wegen den Schweißes, der ebenfalls von ihrer Stirn rann. Warum tat sie das alles?

Das Mädchen stürzte aus der Tür und stolperte beinahe über den Rahmen. Sie schien bei jedem Schritt kurz davor zu fallen. Eine Stimme erklang hinter ihr. Sie sollte umkehren. Gehorchen. Alleine konnte sie nicht überleben, eine junge Frau wie sie.

Ihr Kopf drehte sich ein letztes Mal zu der Hütte zurück, der Ort ihrer Kindheit. Wie gerne wäre sie dort geblieben, ihr ganzes Leben lang. Es war ihre einzige Heimat, doch nun war sie nicht mehr willkommen. Seit diesem Augenblick. Sie konnte nicht zurück. Nie mehr.

Ihr Vater, der Herr dieses schlichten Hauses, bebte vor Zorn, die Ader auf seiner Stirn pochte. Angelica wusste, er würde sie umbringen, Sie hatte sein Ansehen beschmutzt, vielleicht wäre es noch nicht zu spät. Nein, sie wollte nicht zurück. Sie hatte noch mehr Angst vor dem, was sie dort erwartete, als vor dem Ungewissen vor ihr. Er würde sie grün und blau schlagen. Einfach wegzulaufen.

Ein zweiter Mann trat neben ihn, weiße Haare, blutunterlaufene Augen, in ein silbergewirktes Gewand gehüllt, ein Schwert an seiner Seite. Sie schluckte schwer und wandte sich ab, vor dem Schauspiel, das sie nun hinter sich zurückließ. Einen Gast zu beleidigen. Auch noch den Grafen. Es musste wirklich wahr sein, wenn ihr Vater sagte, was für ein unnützes, dummes Weib sie war. Welche Bauerntochter wäre nicht überglücklich einen Grafen heiraten zu können, reich zu sein, edle Kleider zu haben. War das nicht das Leben, das sich jedes junge Mädchen erträumte, was für die meisten nur ein Traum blieb. Vor allem für jemanden von so niedrigem Stand wie sie.

Angelica hatte das bleiche Gesicht ihrer Mutter gesehen, wie sie ein stummes Gebet zum Herrn schickte und ihre Hände bittend an ihr krankes Herz presste, rauh und dreckig, mit Narben überzogen, von all den Jahren harter Arbeit, als ihre undankbare Tochter endlich ihren Protest über die Lippen brachte. Sie hatte sich so gefürchtet, das tat sie immer noch. Ihr Herz war in diesem Augenblick still gestanden. Der Atem war ihr in der Kehle stecken geblieben. Mit weit aufgerissenen Augen hatte sie den Grafen angestarrt, entsetzt und angsterfüllt, als er ihren Vater um ihre Hand bat.

Dann war alles so schnell gegangen, sie hatten über ihre Hochzeit geredet, der Graf hatte sogar schon ein Kleid dabei! Er schickte einen Diener um die Truhe aus der goldenen Kutsche zu holen. In ihrem Schockzustand brachte man sie dazu es anzuprobieren. Warum hatte ihr Vater nichts dagegen gesagt? Aber welcher Bauer würde einem Grafen einen Wunsch abschlagen, wenn er ihm einen ganzen Beutel voll Goldmünzen bot, damit er seine einzige Tochter verkaufte. Wer hätte das nicht getan? Welche Tochter wäre nicht glücklich gewesen?

Das Kleid war schneeweiß gewesen, mit silberverziert, eine lange Schleppe dazu, an den Ärmeln Rüschen, die ihr beinahe bis zu den Knien reichten. Am Saum unten waren ebenfalls Rüschen und in der Mitte war es geteilt, sodass man einen weiteren Rock des Kleides sah. Es war ein Hochzeitskleid, ihres, doch nun schleifte es durch den Matsch, in dem sich die Schweine ihres Vaters wälzten und ihr quiekend aus dem Weg sprangen, als sie blindlings auf sie zu rannte. Irgendwohin. Nirgendwohin.

Sie hörte die Stimmen, die Rufe, die ihr galten und sie verfolgten. Nein, sie würden sie nicht einfach so entkommen lassen. Dafür war es viel zu schlimm, was sie getan hatte. Für ihren Vater war sie kein freier Mensch, sondern sein Eigentum. Angelica weinte. Aus Angst, vor dem was nun kommen würde, weil sie nicht wusste, was passieren würde,

Was sollte aus ihr werden? Ihr Vater würde dem Grafen bestimmt das Kleid ersetzten müssen, das sie gerade ruinierte. Würde sie das überhaupt noch mitbekommen? Sie hatte ihn bloßgestellt, Jeder würde darüber reden, über die Bauerntochter, die den Grafen nicht wollte, die die Frechheit besaß, sich in die Angelegenheiten ihres Vaters einzumischen! Was war das nur für ein Mann, der es nicht einmal fertig brachte sein eigen Fleisch und Blut in Zaum zu halten?! Sie hatte etwas furchtbares getan.

Hufgeklapper ertönte hinter ihr. Die Pferde natürlich! Sie hatte den Grafen beleidigt, seinen Heiratsantrag abgelehnt! Das würde er ihr nicht verzeihen, zumindest wollte er sie jetzt ganz sicher nicht mehr als seine Frau! Aber was würden sie nun mit ihr tun? Foltern? Brandmarken? Wie konnte sie nur auf die Idee kommen wegzulaufen?! Hätte sie nur ein klein wenig nachgedacht, wäre ihr sicher eingefallen, dass der Graf sich niemals die guten Stiefel an dem Schweinematsch eines Bauern dreckig machen würde, sondern einfach die Pferde nehmen würde! Das wäre auch ein komischer Anblick, wenn ein Adliger seiner Bauernbraut nachrannte, durch all den Dreck und Matsch. Der Geruch allein würde ihn schon zurückschrecken lassen.

Angelica rannte weiter, stolperte vor sich hin, das schwere Kleid soweit angehoben, wie ihre dünnen Arme es schafften. Als arme Bauerntochter bekam man nicht immer genügend zu essen, noch ein Punkt um den sich ihre Familie keine Sorgen mehr hätte machen müssen, wenn sie nur nicht so dumm gewesen wäre! Aber nun war es zu spät für Reue. Sie konnte nicht mehr rückgängig machen, was sie gerade dabei war zu tun. Angelica verließ ihren Heimatort, der Ort ihrer Kindheit, die Hütte, in der sie aufgewachsen war, ihre Eltern und den Mann dem sie versprochen wart.

Ihre Brust hob und senkte sich vor Anstrengung. Noch nie zuvor war sie so schnell und weit gerannt. Mit so schwerem Herzen und Füßen, die bei jedem Schritt vor Angst zitterten. Aber was sollte sie tun? Vielleicht würde sie sterben, Wie sollte sie auch alleine überleben?! Aber wenn sie geblieben wäre... Die wievielte Frau des Grafen wäre sie gewesen? Er hatte bestimmt schon mehr als neun gehabt! Und immer Bauerntöchter, die niemand vermissen würde, wenn er ihren Familien nur genug Geld bot! Alle waren sie gestorben, an unheilbaren Krankheiten,

Wie lange hatte die Letzte nach der Hochzeit gelebt? Ein Vierteljahr? Es war ein prachtvolles Fest gewesen. Das war es immer, mit allem drum und dran, Gaukler, Barden, der Graf liebte Musik über alles, das war im ganzen Land bekannt, weiße Rosen, als Schmuck und wie die Braut ausgesehen hatte! Wie eine Prinzessin aus dem Märchen, eine Krone aus Glas, in der sich das Licht geheimnisvoll widerspiegelte, eine Kette aus purem Silber mit einem Edelstein, der so blau glänzte wie der Himmel als Spiegelbild in einem klaren See.

Damals hatte sie die junge Frau beneidet, wollte an ihrer Stelle sein. Doch vor ein paar Wochen war sie froh gewesen, dass sie das nicht gewesen war, sonst wäre sie jetzt nämlich tot. Man flüsterte heimlich, der Graf sei verflucht, vom Teufel besessen. Nun war die Trauerzeit zu ende und wie jedesmal suchte er sich eine neue Braut. Eigentlich wäre es Angelica nicht so wichtig gewesen, wenn die Wahl diesmal nicht auf sie gefallen wäre. Sie wäre die dritte dieses Jahr gewesen, womöglich die dritte, deren Beerdigung mit schwarzen Rosen stattfand. Die Blumen hatten jedes Jahr eine andere Farbe.

Bei dem Gedanken an ihren eigenen Tod lief ihr ein kalter Schauer über den schweißnaßen Rücken. Es war kalt hier draußen. Bald würde es Winter werden. Die junge Frau schreckte aus ihren Gedanken auf, als sie sich daran erinnerte, dass sie Männer mit Pferden verfolgten. Unwillkürlich lief sie schneller, obwohl sie das nicht für möglich gehalten hätte. Zu Fuß konnte sie Pferden im vollem Galopp nicht entkommen, womöglich würden sie sie sogar einfach überrennen! Sie brauchte einen Fluchtweg, Irgendeinen!

Angelica zitterte. Sie war so gut wie tot! Sie wusste das und doch rannte sie weiter, ihre Füße trugen sie weiter weg. All das würde ihr jedoch nicht helfen, sie war zu langsam, viel zu langsam. Das alles war nicht fair! Der Wald!

Wie ein Geistesblitz schoß ihr der Gedanke durch den Kopf. Er war gleich neben ihrem Dorf, noch näher an der Hütte, da sie ein wenig entfernt stand. Er war eine Möglichkeit und außerdem rannte sie schon auf ihn zu, schon die ganze Zeit. Plötzlich zögerte sie. Er schien sie unbewusst angezogen zu haben, sie hätte viel leichter auch eine andere Richtung einschlagen können. Aber warum ausgerechnet hierher? Sie hatte nicht auf ihren Weg geachtet, doch eigentlich hätte sie ganz von selbst einen anderen Weg wählen müssen. Von klein auf hatte man ihr beigebracht niemals in den Wald zu gehen. Es hieß, er sei verflucht! Dort sollten böse Geister leben! Nachts hörte man von dort die Wölfe heulen.

Ihr Schritt hatte sich verlangsamt, aber noch blieb sie nicht stehen. Sie wollte noch hoffen. Sie blickte zum Himmel auf und schickte ein stummes Gebet an den Herrn. Es wurde dunkler, die Dämmerung zog bereits über das Dorf. Würde sie hineingehen, wäre es sehr wahrscheinlich, dass sie umkommen würde! Aber hier, hier... Angelica sah das weiße Pferd des Grafen, das auf sie zu galoppierte. Er schlug mit voller Wucht mit der Gerte auf es ein, um es noch weiter anzutreiben. Ihr Vater lag nur ein wenig zurück und dahinter folgten ihnen Soldaten.

Wie hatte sie ihnen nur so lange entkommen können? Die junge Frau stand da und bewegte sich nicht. Ihr Blick wurde von dem weißhaarigen Grafen angezogen, sie war wie gebannt. Ihr schien, als könnte sie sehen, wie er in stummer Wut die Zähne fletschte, die in der Sonne weiß glänzten. Doch es war nicht das, was sie letztendlich in die Gegenwart zurückholte. Angelica war, als hätten sich die Augen des Grafen für einen Moment im Licht der Dämmerung blutrot gefärbt.

Mit einem erstickten Aufschrei stürzte sie in den Wald. Wegen dem Regen vom Morgen war der Boden naß und das Moos gab unter ihren Füßen bei jedem schritt ein klein wenig nach. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und sie konnte es deutlich hämmern hören. Was für ein Wesen war er? Sie rannte weiter ohne ihre Umgebung genau wahrzunehmen. Überall lagen dunkle Schatten unter den Bäumen, nirgends konnte sie einen Vogel sehen, doch diese Tatsache kam ihr nicht sonderlich beunruhigend vor, da der Winter bereits nahte und sich die meisten Tiere vor den Menschen fürchteten.

Die Äste zerrissen ihr weißes Kleid, doch auch das bemerkte sie kaum. Ihre ganzen Gedanken drehten sich um diesen einen Augenblick, als sich die Augen rot färbten. Es war ihr vorgekommen, als könnte sie deutlich einen Blutdurst spüren, aber so etwas war doch unmöglich! Ein Monster würde niemals unter Menschen leben! Aber warum waren dann sonst immer die Ehefrauen gestorben? An einer unheilbaren Krankheit...

Plötzlich hörte sie den Stoff ihres Kleides deutlich reißen und blieb wie erstarrt stehen. Irgend etwas stand auf ihrem Kleid. Ihr Blick wanderte an ihr entlang und schließlich drehte sie langsam den Kopf. Krallen nagelten die Schleppe und ein Teil ihres Kleides auf den Boden. Sie waren größer als alle anderen, die sie jemals zuvor gesehen hatte. Angelica war wie betäubt. Sie starrte die Krallen an ohne irgend etwas wirklich wahrzunehmen.

"Meister, Meister gib mir Rosen, Rosen auf mein weißes Kleid." Angelica hatte diese Worte noch nie zuvor gehört, deshalb wunderte es sie, dass sie aus ihrem Mund stammten. Es war wie ein eiserner Drang gewesen, es auszusprechen. Ihr war kalt, so eiskalt.

Vor ihr stand ein Wesen, das sie nicht erkennen konnte. Ihr Denkvermögen war wie weggeblasen und auch ihr Herz hatte aufgehört zu schlagen. Scharfe Zähne bohrten sich in Angelicas Hals und zerfetzten ihre Kehle. Die Blutspritzer waren wie blutrote Träne, die wie eine Knospe auf ihrem weißen Kleid aufplatzen und darauf zu großen Blumen erblühten. Rot auf weiß, wie Blut auf Schnee, und der Winter zog mit der Nacht über das Land hinein.



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