Liebe Envy,
Krieg als literarisches Thema finde ich immer schwierig, da die bestehende soziale Ordnung völlig außer Kraft gesetzt wird und Moral plötzlich von Überlebenswillen, Macht und Gier unterdrückt wird. Umso mehr ist es bewundernswert, dass du versuchst, die ganze Schrecklichkeit des Kriegs in einer Kurzgeschichte einzufangen.
Zunächst einmal: dein Schreibstil ist wirklich gut, liest sich flüssig und schafft (jedenfalls meistens) die Gratwanderung zwischen kühler Sachlichkeit und emotionalem Überschuss. Man liest in einem Rutsch, weil die Geschichte spannend ist und man den Ausgang wissen möchte (auch wenn dieser sich bereits zu Beginn erahnen lässt, wenn man bereits mehrere Kriegsgeschichten rezerpiert hat).
Und doch glaube ich, du hast dir zu viel vorgenommen; es gelingt dir nicht, den Krieg in seiner Grausamkeit und Verzweilfung, in seiner ganzen Unmenschlichkeit einzufangen. Du möchtest einfach zu viel: die Geschichte der Tochter, die zur Mörderin wurde und unter den Kämpfen leidet, der Vater, der sein Kind retten möchte; das Ende des Kriegs, der unvermeidliche tragische Tod der Tochter. Das bietet Stoff für eine Fanfiction mit mehreren Kapiteln, für eine Kurzgeschichte, die im Grunde genommen einen Ausschnitt aus der Lebenswirklichkeit einer Figur darstellt, ist das zu viel.
Um zu verdeutlichen, was ich meine, möchte ich im Folgenden kurz auf die einzelnen Abschnitt der Geschichte eingehen, so, wie ich sie mir als subjektiver Leser eingeteilt habe.
Es beginnt mit Hoenns Erlebnissen auf dem Schlachtfeld, der Abscheu, die sie vor den Gefechten, den Leichen und sich selbst entwickelt hat. Ich finde ihre Verzweiflung, die mit einer gewissen Lebensstarre einhergeht, ziemlich gut dargestellt, auch wenn ich über einige Stellen im Text gestolpert bin.
Z.B. die erwähnte "Stille" zu Beginn der Geschichte, die zwar durch den Satz "So still ein Schlachtfeld sein konnte relativiert wird, aber durch die nachfolgenden Beschreibungen, nämlich:
"Das leise Wimmern[...]" und
"Kanonenschüsse drangen an jedes Ohr[...]" doch recht fragwürdig erscheint, denn die Stille auf einem Schlachtfeld kündet eigentlich von einem Aussetzen der Kampfhandlungen oder wird als Stilmittel für die obligatorische "Ruhe vor dem Sturm" gewertet. Eine Stille aber, die vom Wimmern Sterbender und Kanonenschüssen durchbrochen wird, kann keine Stille sein - jedenfalls meiner Ansicht nach nicht.
Ähnliches gilt auch für die - wie ich finde - sehr schöne Schneemetapher, die mit der vorherrschenden Stille Hand in Hand geht. Zunächst wird die Abwesenheit von Schnee beklagt (vgl. "Immer wenn Honoo ihren Fuß zu einem neuen Schritt hob hinterließ sie eine Spur. Nicht im Schnee…der war lange unter der Hitze der gefallenen Körper und des Blutes geschmolzen"; "der vermisste Schnee"), dann auf den bald kommenden Schnee hingewiesen ("Bald würde der vermisste Schnee kommen. Er wäre eine Erlösung") und schließlich, nur wenige Absätze später, heißt es dann: "Etwas weißes fiel auf das braune Haar der Leiche [...] Seufzend blickte sie hoch und streckte ihre Arme aus. Also doch kein Sturm, einfach nur Schnee."
Ich bin keine Wetterexpertin, aber für gewöhnlich erkennt man an den grauen Wolken, ob Schnee kommt oder nicht - da du allerdings nichts über eine Graufront am Himmel geschrieben hast, die auf baldigen Niederschlag verweist, wirkt das Warten auf Schnee ein wenig befremdlich - zunächst klingt es, als wird der Schneefall ersehnt, damit er die Kämpfe unterbricht, es ist also mehr ein Hoffen als die reale Erkenntnis, dass es schneien wird - und dann, kurze Zeit später, beginnt es tatsächlich zu schneien. Verstehst du, worauf ich hinaus möchte? Vielleicht fügst du einfach noch einen Satz über die Wettergegebenheiten hinzu, um die Metapher zum einen als Metapher wirken zu lassen (denn das Bild ist sehr schön) und zum anderen, um den Leser nicht mit dem plötzlichen Schneefall zu verwirren. Zumal sich über den (im Grunde genommen wirklich guten) Satz mit dem Schnee als "Engelstränen" die eigentliche Bedeutung, die du dem Schnee zuvor gegeben hast, auflöst. Plötzlich dient der Schneefall dazu, die Toten zu beweinen (und dabei auch die Mörderin anzuklagen, und zwar durch eine himmlische Macht, wenn man so will) und nicht mehr, ihnen die ersehnte Ruhe zu geben. Das sind für mich zwei Bilder, die die Metapher überladen, aber das kann nur mein Eindruck sein.
Dennoch gelingt es dir, die Müdigkeit und den nahezu gebrochenen Widerwillen von Honoo überzeugend darzustellen.
Dann kommt der Bruch, indem du zum Vater der jungen Frau übergehst, seine Perspektive einnimmst und sein Handeln schilderst. Die Sorge um sein Kind ist nachvollziehbar, sein Wunsch, sie aus den Kriegswirren zu retten, ebenso, doch in Anbetracht der vorherigen Schilderungen und der Tatsache der Grausamkeit eines Krieges, die das Gemüt nahezu als logische Konsequenz abstumpfen muss, klingt es zynisch, wenn es heißt:
"[...] seine kleine Tochter, das Mädchen welches ihn immer lachend entgegen rannte als Kind und begrüßte…verlor seine Lebenslust."
Natürlich, wer verliert denn seine Lebenslust nicht im Krieg? Dazu finde ich "Lebenslust" als Wort sehr - nun ja, fragwürdig, denn in Bezug auf den Krieg mutet es doch paradox, wenn nicht sogar grotesk an. Die beiden Begriffe passen einfach nicht zusammen und können nur schwer in Relation zueinander gesetzt werden (meine ich jedenfalls). Vielleicht wäre "Lebenswille" hier passender gewesen.
Roy sucht also sein Kind, findet es auch und erkennt es nicht mehr wieder - hier gefällt mir besonders die Beschreibung ihrer leblosen, ausdruckslosen Augen. Ihr Gefühl ist tot, ihr Inneres stumpf, sie sieht ihren Vater, aber kann keine Freude über sein Auftauchen empfinden. Super! Allerdings ist diese Gefühllosigkeit von ziemlich kurzer Dauer, denn kaum treffen die beiden am Abend aufeinander, kehrt sehr wohl alles Leben in Honoo zurück und die Verzweiflung bricht aus ihr heraus - dramatisch, aber füpr mich nicht ganz nachvollziehbar, da der Ausbruch zu offensichtlich herbeigeführt wird. Was löst ihn aus, an welchem Punkt überkommt Honoo die Erinnerung an all das Leid und ihr eigenes Zutun dafür in den letzten Wochen, Monaten? Ist es die unbeschwerte Kindheit, die sie bei ihren Eltern erleben durfte und der scharfe Kontrast zu dem, was sie jetzt durchstehen muss? Der Kosename "Prinzesschen" (der nahezu spöttisch anmutet) ist der Auslöser, natürlich, doch mit einem Mal zeigt Honoo Reue und verzweifelt an ihren Taten, dabei hatte sie vorher keine Hemmungen zu schildern, auf welche Weise sie die Soldaten tötet. Sie beschränkt sich also nicht darauf, ihnen einfach das Genick zu brechen oder sie zu ertränken, nein, sie probiert wahre Grausamkeiten an ihnen aus, indem sie ihre Glieder zertrümmert oder sie in Stücke reißt. Das zeugt für mich nicht von einer jungen Frau, die entgegen ihres Willens handelt, sondern inzwischen so abgestumpft ist, dass sie womöglich in dem Leid anderer ein Gefühl zu entdecken versucht. Darum hat mich ihr Ausbruch ziemlich verwundert.
Im letzten Teil der Geschichte geht dann alles ganz schnell - zu schnell. Plötzlich erscheint die Mutter, verkündet das Ende des Kriegs durch ein paar simple Verhandlungen (die umso bizarrer wirken, als dass der Grund für den Krieg nicht erwähnt worden ist, aber das mag womöglich daran liegen, dass ich "Fullmetal Alchemist" nicht kenne und mir daher das nötige Wissen fehlt) und einen neuen Führer - der gleich mal mitgebracht wird und plötzlich ist alles gut. Der Vater eilt zur Tochter, die verspürt so etwas wie Freude und dann, im letzten Moment, wird sie doch noch erschossen (was wiederum komisch ist, denn ist der Krieg nicht vorbei? Hat der neue Führer seinen Soldaten auf dem Schlachtfeld via Bote oder Magier etwa nichts gesagt, obwohl gerade der Tod der Alchemistin - trotz Friedensabkommen! - einen neuen kriegsgrund darstellt?).
Das alles wirkt überstürzt, der Leser wird einfach nur mitgeschleift und am Schluss der Geschichte stehen gelassen. Da helfen auch die wirklich guten letzten Sätze nicht mehr, die auf Honoos Tragik verweisen, sich den Frieden herbeigesehnt zu haben, ihn aber nicht mehr erleben zu können. Ich gestehe, es ist sehr schade, dass das Ende die Wirkung der Geschichte stört, ganz einfach, weil es scheint, als hättest du als Autorin zum Schluss kommen wollen. Die Handlung im Ganzen, noch dazu der Perspektivwechsel zwischendurch, ist einfach zu viel für diese Kurzgeschichte und lässt sie überladen wirken. Wie gesagt, vielleicht wäre es besser gewesen, sich entweder auf Honoos Handlungen, Gedanken und Gefühle im Krieg zu beschränken - oder das Ende zum Anlass zu nehmen, die vorherigen Schlachten als Erinnerungsfetzen einzubinden - oder die Geschichte als längeres Werk mit mehreren Kapiteln anzulegen. Zumindest ist das der Eindruck, den ich beim Lesen gewonnen habe.
Zusammenfassend möchte ich noch einmal betonen, wie gut mir dein Stil gefällt, du schaffst es, die Gefühle und Gedanken der Figuren treffend zu vermitteln, auch wenn bisweilen Ungereimtheiten auftreten. Leider kann ich mich mit dem Ende nicht anfreunden, nicht, weil mir die Dramatik nicht gefällt, sondern weil es zu überstürzt wirkt und die vorher aufgebaute Atmosphäre zerstört. Aber wie ich eingangs erwähnte: es ist ungemein schwer, den Krieg in all seinen Facetten darzustellen und vor allem in Kurzgeschichtenform meines Erachtens nach unmöglich. Trotzdem habe ich deinen Text gerne gelesen!
Mit den besten Grüßen,
Bell
Re-✖✐✖